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,,Uns kommt nur noch die +agttdi€ bei" - .. .': . j,Jtu Zu Dürrenmatts Dramentheorie So zeigt sich denn in der Entwicklung des tragischen Helden eine Hinwendung zur Komödie. [...] Der Held eines Theaterstückes treibt nicht nur eine Handlung vorwärts oder erleidet ein bestimmtes Schicksal, son- s dern stellt auch eine Welt dar. Wir müssen uns daher die Frage stellen, wie unsere bedenkliche Welt darge- stellt werden muß, mit welchen Helden, wie die Spie- gel, diese Welt aufzufangen, beschaffen und wie sie geschliffen sein müssen. ro Läßt sich die heutige Welt etwa, um konkret zu fra- gen, mit der Dramatik Schillers gestalten, wie einige Schriftsteller behaupten , da ia Schiller das Publikum immer noch packe? [...] Schiller schrieb so, wie er schrieb, weil die Welt, in der er lebte, sich noch in der __ rs Welt, die er schrieb, die er sich als Historiker erschuf, spiegeln konnte. Gerade noch. War doch Napoleon vielleicht der letzte Held im alten Sinne. Die heutige Welt, wie sie uns erscheint, läßt sich dagegen schwer- lich in der Form des geschichtlichen Dramas Schillers zo bewältigen, allein aus dem Grunde, weil wir keine tragischen Helden, sondern nur Tragödien vorfin- den, die von Weltmetzgern inszeniert und von Hack- maschinen ausgeftihrt werden. Aus Hitler und Stalin lassen sich keine Wallensteine mehr machen. Ihre zs Macht ist so riesenhaft, daß sie selber nur noch zu- fällige, äußere Ausdrucksformen dieser Macht sind, beliebig zu ersetzen, und das Unglück, das man be- sonders mit dem ersten und ziemlich mit dem zwei- ten verbindet, ist zu weit verzweigt, zu verworren, zu ro grausam, zu mechanisch geworden und oft einfach auch allzu sinnlos. Die Macht Wallensteins ist eine noch sichtbare Macht, die heutige Macht ist nur zum kleinsten Teil sichtbar, wie bei einem Eisberg ist der größte Teil im Gesichtslosen, Abstrakten versunken. rs Das Drama Schillers setzt eine sichtbare Welt voraus, die echte Staatsaktion, wie ia auch die griechische Tragödie. Sichtbar in der Kunst ist das Uberschaubare. Der heutige Staat ist jedoch unüberschaubar, ano- nym, bürokratisch geworden, und dies nicht etwa 40 nur in Moskau oder Washington, sondern auch schon in Bern, und die heutigen Staatsaktionen sind nach- trägliche Satyrspiele, die den im Verschwiegenen vollzogenen Tragödien folgen. Die echten Repräsen- tanten fehlen, und die tragischen Helden sind ohne rs Namen. Mit einem kleinen Schieber, mit einem Kanz- listen, mit einem Polizisten läßt sich die heutige Welt besser wiedergeben als mit einem Bundesrat, als mit einem Bundeskanzler. [...] Doch die Aufgabe der Kunst, soweit sie überhaupt so eine Aufgabe haben kann, und somit die Aufgabe der heutigen Dramatik ist, Gestalt, Konkretes Zu schaf- fen. Dies vermag vor allem die Komödie. Die Tragö- die, als die gestrengste Kunstgattung, setzt eine ge- staltete Welt voraus. Die Komödie t...1 eine ungestaltete, im Werden, im Umsturz begriffene, eine ss Welt, die am Zusammenpacken ist wie die unsrige. Die Tragödie überwindet die Distanz. [...] Die Komö- die schafft Distanz [...]. Das Mittel nun, mit dem die Komödie Distanz schafft, ist der Einfall. [...] Aristophanes dagegen lebt VoIn eo Einfall. Seine Stoffe sind nicht Mythen, sondern er- fundene Handlungen, die sich nicht in der Vergan- genheit, sondern in der Grcg_enwart abspielen. Sie fallen in die Welt wie Grcschosse, di-e, indem sie einen Trichter aufwerfen, die Gegenwart ins ISh", aber es dadurch auch ins Sichtbare verwandeln. Das heißt nun nicht, daß ein heutiges Drama nur komisch sein könne. Die Tragödie und die Komödie sind Formbe- griffe, dramaturgische Verhaltensweisen, fingierte Figuren der Asthetik, die Gleiches zu umschreiben zo vermögen. Nur die Bedingungen sind anders, unter denen sie entstehen, und diese Bedingungen liegen nur zum kleineren Teil in der Kunst. Die Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Ubersicht, Ver- . antwortung voraus. In der Wurstelei unseres Jahr- zs hunderts, in diesem Kehraus der weißen Rasse, gibt es keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichen mehr. Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt. Es geht wirklich ohne jeden. Alles wird mit- gerissen und bleibt in irgendeinem Rechen hängen. ao Wir sind zu kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet in die Sünden unserer Väter und Vorväter. Wir sind nur noch Kindeskinder. Das ist unser Pech, nicht un- sere Schuld: Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat. Uns kommt nur noch die as Sg1r ,tjl-"-$i.-uns ere wett EilGEefrS zii d-?"'k- geftihif-wie zur Atombombe, wie ia die apokalyp- tischen Bilder des Hieronymus Bosch auch grotesk sind. Doch das Groteske ist nur ein sinnlicher Aus- druck, ein sinnliches Paradox, die Gestalt nämlich so einer Ungestalt, das Gesicht einer gesichtslosen Welt, und genau so wie unser Denken ohne den Begriff des Paradoxen nicht mehr auszukommen scheint, so auch die Kunst, unsere Welt, die nur noch ist, weil die Atombombe existiert: aus Furcht vor ihr. es Doch ist das Tiagische i4qel noch möglich, auch we nn die Fin eGffi ffi ctrt mam n ollr rcrr'iit. wir können das Tragische aus der Komödie heraus erzie- len, hervorbringen als einen schrecklichen Moment, als einen sich öffnenden Abgrund, so sind ia schon roo viele Tragödien Shakespeares Komödien, aus denen heraus das Tragische aufsteigt.

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Page 1: Bda Material

,,Uns kommt nur noch die +agttdi€ bei" -.. .': .j,Jtu

Zu Dürrenmatts DramentheorieSo zeigt sich denn in der Entwicklung des tragischenHelden eine Hinwendung zur Komödie. [...] Der Heldeines Theaterstückes treibt nicht nur eine Handlungvorwärts oder erleidet ein bestimmtes Schicksal, son-

s dern stellt auch eine Welt dar. Wir müssen uns daher

die Frage stellen, wie unsere bedenkliche Welt darge-

stellt werden muß, mit welchen Helden, wie die Spie-

gel, diese Welt aufzufangen, beschaffen und wie sie

geschliffen sein müssen.

ro Läßt sich die heutige Welt etwa, um konkret zu fra-gen, mit der Dramatik Schillers gestalten, wie einigeSchriftsteller behaupten , da ia Schiller das Publikumimmer noch packe? [...] Schiller schrieb so, wie er

schrieb, weil die Welt, in der er lebte, sich noch in der

__ rs Welt, die er schrieb, die er sich als Historiker erschuf,spiegeln konnte. Gerade noch. War doch Napoleonvielleicht der letzte Held im alten Sinne. Die heutigeWelt, wie sie uns erscheint, läßt sich dagegen schwer-lich in der Form des geschichtlichen Dramas Schillers

zo bewältigen, allein aus dem Grunde, weil wir keinetragischen Helden, sondern nur Tragödien vorfin-den, die von Weltmetzgern inszeniert und von Hack-maschinen ausgeftihrt werden. Aus Hitler und Stalinlassen sich keine Wallensteine mehr machen. Ihre

zs Macht ist so riesenhaft, daß sie selber nur noch zu-

fällige, äußere Ausdrucksformen dieser Macht sind,beliebig zu ersetzen, und das Unglück, das man be-

sonders mit dem ersten und ziemlich mit dem zwei-

ten verbindet, ist zu weit verzweigt, zu verworren, zu

ro grausam, zu mechanisch geworden und oft einfachauch allzu sinnlos. Die Macht Wallensteins ist einenoch sichtbare Macht, die heutige Macht ist nur zumkleinsten Teil sichtbar, wie bei einem Eisberg ist dergrößte Teil im Gesichtslosen, Abstrakten versunken.

rs Das Drama Schillers setzt eine sichtbare Welt voraus,

die echte Staatsaktion, wie ia auch die griechische

Tragödie. Sichtbar in der Kunst ist das Uberschaubare.Der heutige Staat ist jedoch unüberschaubar, ano-

nym, bürokratisch geworden, und dies nicht etwa

40 nur in Moskau oder Washington, sondern auch schonin Bern, und die heutigen Staatsaktionen sind nach-trägliche Satyrspiele, die den im Verschwiegenenvollzogenen Tragödien folgen. Die echten Repräsen-

tanten fehlen, und die tragischen Helden sind ohners Namen. Mit einem kleinen Schieber, mit einem Kanz-

listen, mit einem Polizisten läßt sich die heutige Weltbesser wiedergeben als mit einem Bundesrat, als miteinem Bundeskanzler. [...]Doch die Aufgabe der Kunst, soweit sie überhaupt

so eine Aufgabe haben kann, und somit die Aufgabe der

heutigen Dramatik ist, Gestalt, Konkretes Zu schaf-

fen. Dies vermag vor allem die Komödie. Die Tragö-

die, als die gestrengste Kunstgattung, setzt eine ge-

staltete Welt voraus. Die Komödie t...1 eineungestaltete, im Werden, im Umsturz begriffene, eine ss

Welt, die am Zusammenpacken ist wie die unsrige.

Die Tragödie überwindet die Distanz. [...] Die Komö-die schafft Distanz [...].Das Mittel nun, mit dem die Komödie Distanz schafft,ist der Einfall. [...] Aristophanes dagegen lebt VoIn eo

Einfall. Seine Stoffe sind nicht Mythen, sondern er-

fundene Handlungen, die sich nicht in der Vergan-genheit, sondern in der Grcg_enwart abspielen. Sie

fallen in die Welt wie Grcschosse, di-e, indem sie einenTrichter aufwerfen, die Gegenwart ins ISh", aber es

dadurch auch ins Sichtbare verwandeln. Das heißtnun nicht, daß ein heutiges Drama nur komisch seinkönne. Die Tragödie und die Komödie sind Formbe-griffe, dramaturgische Verhaltensweisen, fingierteFiguren der Asthetik, die Gleiches zu umschreiben zo

vermögen. Nur die Bedingungen sind anders, unterdenen sie entstehen, und diese Bedingungen liegennur zum kleineren Teil in der Kunst.Die Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Ubersicht, Ver- .

antwortung voraus. In der Wurstelei unseres Jahr- zs

hunderts, in diesem Kehraus der weißen Rasse, gibtes keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichenmehr. Alle können nichts dafür und haben es nichtgewollt. Es geht wirklich ohne jeden. Alles wird mit-gerissen und bleibt in irgendeinem Rechen hängen. ao

Wir sind zu kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet

in die Sünden unserer Väter und Vorväter. Wir sindnur noch Kindeskinder. Das ist unser Pech, nicht un-sere Schuld: Schuld gibt es nur noch als persönlicheLeistung, als religiöse Tat. Uns kommt nur noch die as

Sg1r ,tjl-"-$i.-uns ere wett EilGEefrS zii d-?"'k-geftihif-wie zur Atombombe, wie ia die apokalyp-tischen Bilder des Hieronymus Bosch auch grotesk

sind. Doch das Groteske ist nur ein sinnlicher Aus-

druck, ein sinnliches Paradox, die Gestalt nämlich so

einer Ungestalt, das Gesicht einer gesichtslosen Welt,und genau so wie unser Denken ohne den Begriff des

Paradoxen nicht mehr auszukommen scheint, so

auch die Kunst, unsere Welt, die nur noch ist, weildie Atombombe existiert: aus Furcht vor ihr. es

Doch ist das Tiagische i4qel noch möglich, auchwe nn die Fin eGffi ffi ctrt mam n ollr rcrr'iit. wirkönnen das Tragische aus der Komödie heraus erzie-len, hervorbringen als einen schrecklichen Moment,als einen sich öffnenden Abgrund, so sind ia schon roo

viele Tragödien Shakespeares Komödien, aus denenheraus das Tragische aufsteigt.

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AB 3G10s zwingend. Gewiß, wer das Sinnlose, das Hoffnungs-

lose dieser Welt sieht, kann verzweifeln, doch istdiese Verzweiflung nicht eine Folge dieser Welt, son-dern eine Antwort, die man auf diese Welt gibt, undeine andere Antwort wäre das Nichtverzweifeln, der

rro Entschluß etwa, die Welt zu bestehen, in der wir oftleben wie Gulliver unter den Riesen. Auch der nimmtDistanz, auch der tritt einen Schritt zurück, der sei-

nen Gegner einschätzen will, der sich bereit macht,mit ihm zu kämpfen oder ihm zu entgehen.Jp, isr

rrs irrrrn€r rroll_ryöglich,_dgn muligen Menschen nt Ver-ggn.Dies ist denn auch eines meiner Hauptanliegen. DerBlinde, Romulus, Ubelohe, Akki sind mutige Men-schen. Die verlorene Weltordnung wird in ihrer Brust

rzo wiederhergestellt, das Allgemeine entgeht meinemZugriff.Ich lehne es ab, das Allgemeine in einer Dok-trin zu finden, ich nehme es als Chaos hin. Die Welt(die Bühne somit, die diese Welt bedeutet) steht furmich als ein Ungeheuer da, als ein Rätsel an Unheil,

rrs das hingenommen werden muß, vot dem es iedochkein Kapitulieren geben darf. [...]Endlich: Durch den Einfall, durch die Komödie wirddas anonyme Publikum als Publikum erst möglich,eine Wirklichkeit, mit der zu rechnen, die aber auch

r:o zu berechnen ist. Der Einfall verwandelt die Menge

der Theaterbesucher besonders leicht in eine Masse,

die nun angegriffen, verführt, überlistet werdenkann, sich Dinge anzuhören, die sie sich sonst nichtso leicht anhören würde. Die Komödie ist eine Mause-

falle, in die das Publikum immer wieder gerät und rrimmer noch geraten wird. [...]Aus diesen Grunde muß denn auch d-er Künstler dieGestalten, die er trifft, auf die er überall stößt, redu-zieren, will er sie wieder zu Stoffen machen, hoffend,daß es ihm gelinge: Er parodiert sie, das heißt, er stellt r<o

sie im bewußten Gegensatz zu dem dar, was sie ge-

worden sind. Damit aber, durch diesen Akt der Paro-

die, gewinnt er wieder seine Freiheit und damit denStoff, der nicht mehr zu finden, sondern nur noch zu

erfinden ist, denn jede Parodie setzt ein Erfinden vo- r4s

raus. Die Dramaturgie der vorhandenen Stoffe wirddurch die Dramaturgie der erfundenen Stoffe abge-

löst. Im Lachen manifestiert sich die Freiheit des

Menschen, im Weinen seine Notwendigkeit, wir ha-ben heute die Freiheit zu beweisen. Die Tyrannen rso

dieses Planeten werden durch die Werke der Dichternicht gerührt, bei ihren Klageliedern gähnen sie, ihreHeldengesänge halten sie fur alberne Märchen, beiihren religiösen Dichtungen schlafen sie ein, nureines ftirchten sie: ihren Spott. rss

Aus: Friedrich Dürrenmatt: Theaten Copyright @ I 998 Diogenes Verlag AC Zürich

I Lies den Text und unterstreiche wichtige Textpossogen, die Aufschluss über dos Verhaltnis von

Trogödie und Komödie geben. Erldutere onschließend mit deinen eigenen Worten den Sotz

,,Uns kommt nur noch die Komödie bei".

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Dürrenmatt Stilistische und sprachliche Darstellungsmittel )

Jeder Versuch "tnet.

tnt".jr"t"tlon des Stückes muss dessen tragisch-komischem Anspruch

gerecht werden. Dieser äuBert sich u.a. in der Verwendung von optischen, akustischen und

dialoglschen Wlrkungsstrategien.

Stillstisches Darstel lungsmlttel

Als >Requislt< werden im Allgemeinen Theatergeräte, Gegenstände, Utensillen und Kostüme

bezelchnet, die der hlstorischen Kennzeichnung oder dramaturgischen Darstellung dlenen. Im

Besuch der alten Dame gewlnnt das Requislt eine gewisse Selbstständigkeit, indem es eineabgeschlossene Eigenwelt darstellt.

Sowelt es slch belm Requlslt ln dlesem Strick um Gegenstände handelt, können dlese sewohl Zelchen- wle Symbolcharakter annehmen, also zelchenhaft verwelsen oder über den

Gegenstand hlnaus elne übertragene Bedeutung elnnehmen.

Dle von den Güllenern auf Kredlt gekauften Waren wle Vollmllch, Welßbrot, Schokolade, Ta-

bak, Schrelbmaschlne, Radio, Waschmaschlne, Pelzmantel usw. erhalten zunächst Zeichen-

wert, Sle demonstrleren einen ungerechtfertigten Luxus. Deshalb kann Dürrenmatt ln den

>Randnotlzenc >Angst< (d.h. hler die Angst llls) als >meBbare Grc!ße< definieren, die an >den

Gegenständen< klebt. Die rgelben Schuhe< jedoch, an denen lll die Geslnnungsänderung

selner Mltbürger erkennt, werden Symbole des Verrats. So nennt auch der ffarrer dle neu

angeschaffte zwelte Klrchenglocke >Gloclce des Verrats< ( . ). In der Ladenszene lm drittenAkt gestaltet slch aus dem Verkauf elnes Eeils elne symbollsche Handlung - der Verwels auf die

Hinrlchtung Ills lst offensichtlich -, die glelchzeltlg makaber überhöht wlrd dadurch, dass dlePressefotografen, Indem sie dlese Szene anordnen, gercde das Elnfach-Alltägliche und >Natür-

llche<< zu zeigen glauben. Zugleich nickt Dürrenmatt dadurch auch die Rolle der Medien in ein

zwlellchtiges Licht.

Gewlsse Gegenstände dienen als Attribute zur CharaKerisierung von Personen. So unter-

scheiden sich z, B. die Gatten der Zachanasslan ledlglich durch die zu ihnen gehörenden Attri-bute: Angelruten oder Porsche; sie slnd als Person reduzlert auf lhre Attrlbute.

Clalre Zachanasslan selbst lst das beste l3elspiel einer solchen CharaKerlslerung durch Ding-

Attribute: Perlenhalsband, rieslge Armringe, eln edelsteinbesetztes Lorgnon, aber auch ihre

Prothesen, dle Sänfte, in der sle sich bewegt, gehören dazu und bewirken das unheimllch

Mechanlsche und Unverelnbare ihrer Erscheinung. Als Verlängerung dleser sie charaKerisie-renden Attrlbute können die >herkullschen Monstren< und >bllnden Eunuchen< in ihrem Ge-

folge aufgefasst werden sowie die sie begleitenden Gatten. Sie selbst sagt im Beisein des Gat-

ten IX: )Elnen Mann hält man sich zu Ausstellungszwecken, nicht als Nutzobjekt.< ( ) -Wobel man fragen möchte, was wenlger cliffamierend ist .,.

Dle verschledenen Zlgarrensorten, dle sle raucht, tragen zur CharaKerisierung bestimmterSituationen bel. So raucht sie die Sorte ihres slebten Gatten erst, nachdem sie von ihm ge-

schieden lst, und bei der Abschiedsszene mit lhrem Ex-Romeo lll im Konradsweilerwaldraucht sie bezeichnenderweise eine >Ronreo et Juliette<

Im GegensaE zu diesen gegenständlichen Zutaten, die einen integralen Bestandteil von Clai-

res Erscheinung ausmachen, erweist sich der schwarze Sarg als ein vorausdeutendes Sym-

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bol, Auch der schwarze Panther, der zu ihrem Gepäck gehört, stellt mehr als ein lebendesReguisit dar. Als Apostrophierung llls, der gleich eingangs von Claire an dlesen >Kosenamen<erinnert wlrd, dlent dieses Symbol der lronisierung, denn nlchts könnte auf die Figur des be-

rechnenden Krämers, der jetzt >fett, grau und versoffen< ( ) ist, weniger zutreffen. Au-

ßerdem stellt diese Bezeichnung auch eine Wunschprojektion Clalres dar, auf die sie beim An-bllck von llls Leiche wieder zurückkommt ( ), Uberdies wird im Mittelakt in der Panterjagd-

Szene die Jagd auf lll sinnfällig angedeutet, sodass die Panterjagd eine Art Bindeglied zwi-schen den Berelchen Claires und Ills darstellt. Das Symbol des schwarzen Panters, der vonder ersten bis zur leEten Szene als Bestandteil des Verhältnlsses zwischen Claire und lll auf-taucht, verklammert Handlung und Problematik.

Eln weiteres Darstellungsmlttel, das in diesem Stück mehrdeutlgen Hlnweischarakter an-nlmmt, lst das Zitat. Hierzu gehören sowohl wörtliche Zltate (etwa aus der Bibel: >ErsterKorinther drelzehn< ( ); der Prophet Amos, ( ); oder aus den Klassikern: >reine Mensch-

lichkeit<, ( ); >Emst lst das Leben, heiter die Kunst<, ( ; Schlller, Wallenstein) als auchNamen, Plakate, Schlageftexte (>O Heimat süB und hold<, ( ); >lm afrlkanischen Felsental

marschiert ein Bataillon<, ( ), >Die lustige Witwe( (Operette von Franz Lehär) im Padio, derChoral aus der Matthäuspassrbn (J.S. Bach), der Hlnweis auf das >Jüngste Gericht< (Bibel),welches das Portal des Güllener Münsters auszeichnet, sowie der >Goldene Apostel< alsWlftshausbezeichnung und slchtbares Emblem.

Bedeutungswert haben auch dle Namen aller Konfliktträger lm Drama: >Güllen<, >Ill<,>Klara Wäscher< bzw. >Clalre Zachanassian<, Unter den Zitaten, deren Assoziationskreis imWlderspruch oder in einem Spannungsverhältnis zur dargestewllten Szenerie steht, sind dieNamen der vorbeirasenden Expresszüge aufschlussreich: >Die Gudrun<, >>Der rasende Ro-

land(, rDer Diplomat<, >Dle Lorelei<, >Der Börsianer<,

Die heterogene Zusammenstellung überrascht und schockiert. t...1 Namen mit stark natio-nal-patriotischem Gefühlsweft stehen neben solchen merkantiler Art. [...]

Ein heterogener Assoziationskreis ergibt sich auch durch dle von Clalre zitierten Namen ihrerHochzeitsgratulanten und die damit verbundenen geograflschen Begriffe: Ike, Nehm, LordIsmyr, Graf Holk, Onassis, Aga, Ali/ Riviera, Kalro, Sphinx, Buckinghampalace usw, Während

diese Namen Claire als >Dame von Welt< ausweisen, stehen sle im lronischen Gegensatz zurtotalen Abgeschlossenhelt der Eigenwelt Güllens.

Außer den optischen >Zitaten< auf Plakaten, Transparenten, Türschildern, die meist in ei-nem ironischen Spannungsverhältnis zum vordergründigen Handlungsverlauf stehen - so

etwa die Plakate in der zweiten Bahnhofsszene oder das Kartonherz mit den Buchstaben AKim Konradsweilerwald - werden auch akustische Mittel zeichenhaft eingesetzt. In den Wald-szenen klopft eln GÜllener mit einem rostigen Hausschlüssel auf eine alte Tabakspfeife, umden Specht nachzuahmen, und unterhöhlt so die angebllch romantische Atmosphäre. DasGeräusch der Züge am Bahnhof übertönt dle Rede des Bürgermeisters. Ein >Glockenton<ertönt gelegentlich und verleiht gewissen Ausdrücken oder Vorgängen einen lronlschen Ak-zent. Die Feuerglocke bimmelt statt der versetden Kirchenglocken nicht zum geplanten Zeit-

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Dilrrenmatt Stilisüsche und sprachlldte Darstellungsmittel

punK des Empfangs, dafür umso zweideutlger (als Wtllkommens- und Warnzelchen) beimElnzug der Zachanasslan ln Güllen.

Zusammenfassend lässt slch über dle FunKlon all dieser außersprachllchen Darstellungsmit-

tel sagen, dass sle sowohl zur Deutung der vordergründlgen Handlung beitragen als auch zurironlschen Dlstanzlerung, zur Täuschung und Irreführung.

Eln gutes Beispiel für dle divergenten Luffassungsmögllchkeiten einer solchen Bühnenwelt

bletet der dramaturgische Einfall, ln den Szenen lm Konradswellerwald die Güllener Bäume

darstellen zu lassen. Der Autor begründet diesen Einfall als elne Art Ernüchterungsmittel, um

das potenzlell Pelnllche der Sltuation abzuschwächen. Dagegen wurde eingewendet, dass dles

nur auf dle erste dieser Szenen anwendbar sel, da Ill später >von Jeder Pelnllchkeit befrelt<

sel. Dle Forschung, dle dlese Szene vor allem auf lhren (grotesken) Gehalt an >nlcht-seln-

dürfendem Kontrast( hin abklopft, hebt hervor, dass alles an dleser Umgebung gefälscht lst.

Das Hämmern des Spechts wird mlt einer Tabakspfeife und rostigem Schlüssel erzeugt, das

Schlld mlt dem Buchstabenherz ÄK stellt kelne authentlsche Vergangenheit dar, sondern wur-

de nur ftir den gegenwärtlgen Anlass hergestellt, der Kuckucksruf ist menschllche Nachah-

mung usw. Diese Täuschung macht den Zuschauern bewusst, dass die schöne Erinnerung

nur Scheln und lm Grunde falsch lst.

Über dle Bedeutung dleser Szene ist viel spekullert worden, Dünenmatt schrelbt schlicht

und ergrelfend:rMan erlnnere slch der Tatsache, dass der dramatlsche Ort auf der Bühne nicht vorhanden

lst, und wäre das Bühnenblld noch so ausführllch, noch so täuschend, sondern durch das

Splel entstehen mu0. Eln Wort, wlr slnd ln Venedlg, eln Wort, wlr sind im Tower. Dle Phanta-

sle des Zuschauers braucht nur lelchte Unterstützung. Das Bühnenblld will andeuten, bedeu-

ten, verdlchten, nicht schildem. Es ist tmnsparent geworden, entstoffllcht.< (Theater-Schrif-

ten)

Dle Bühne Dürrenmatts strebt nlcht nach der Theatrallk der barocken llluslonsbühne. Dle

Stücke des Schweizer Autors wollen Jeweils eln Modell menschlicher Bezlehungen in einer

Versuchsanordnung darstellen. Dle Übertragung dleses Modells auf die elgene Wlrkllchkeit

blelbt dann dem Zuschauer übedassen.

Sprachllche Darstellungsmlttel

,Der Dialog lst fast immer zweidimensional, um die moralische Fassade der Bürger und ihre

wahre Gelstesverfassung zu zeigen. Selbst wenn die Güllener zusammen sprechen, findet

keln elgentllcher Dlalog statt, ledlgllch Monologe, in denen die Sprecher dle Fest-stellungen

lhrer Vorsprecher iortsetzen. Dlese Leutr: [...] sind typlsche Vertreter eines anonymen und

geslchtslosen Massendenkens. Dle Sprecher benutzen den Dlalog als Mittel zum persönlichen

Gewlnn und um lhr Geslctrt zu wahnen. Doch enthüllt ihre Sprache ihre Scheinhelligkeit und

Dummhelt und lässt den Mangel an ecfrt zwlscfienmenschllchem KontaK peinllch gewahr wer-

den." (Ema K. Neuse)

Drei verschiedene Erschelnungsformen des Sprechens ln dlesem StÜck lassen sich nach Sy-

berberg unterccheiden: das Zu-einandersprechen, das Neben-einandersprechen und das An-

Selte 2 von 3

einandervorbelsprechen, Die Form des ZueinandersDredrens, etwa zweier feindlicher Partelen.die slch gegenseltlg überzeugen wollen, erscheint relatlv selten. Sie lässt sich teilwelse inden Gesprächen zwischen lll und dem Polizisten, dem Bürgermelster und dem Pfaner nachwei-sen, wo Ill dle Gegenpartei von seiner Gefährdung überzeugen will in der Meinung: >Wenn ich

rede, habe lch noch eine Chance, davonzukommen.< ( ) Häuflger treten die zwei anderenDlalogformen auf. Ein gutes Beispiel bietet die Eingangsszene für das Neben-einanderspre-chen mlt dem Gespräch der vier Güllener auf der Bahnhofsbank. Ihre Außerungen, in denen

abwechselnd die Namen der Expresszüge auftauchen, dann die Namen der Industrle- undHüttenwerke, zelchnen sich durch Nelerprdnung, Elllpük und Rehung aus. Dabei lst es

glelchgültig, welcher der Männer welchen Namen nennt, denn ihre sprachllchen Rollen slndafustau*hb*' Sle sprechen nebeneinander, nlcht zuelnander, lhr assozlatlver, parataKlscherDlalog blldet eigentlich elnen Monolog. Durch die elllpUsctre, asyndetlsche Sprechwelsg

kommt eln stakkatoartlger Rhythmus zustande, der die monologlsche Qualität unterstrelcht.Eln Wort oder Satzfragment eines Gülleners dient jewells als Stichwort für die sprachliche

und gedankllche Assoziation des nächsten. Am Ende wird als gemeinsamer Ausdruck derKonstemation eln elnziger vollständiger Satz auf sechs Sprecher vertellt:>[1;] Der D-Zugl [2:] Hält! [3;] In Güllen! [4r] Im verarmtesten [5:] Lausigsten [6:] Erb-

ärmlichsten Nest der Strecke Venedlg-Stockholm!< ( )Hier sprechen enündlvlduallslerte Mensdren, sich in der Anonymltät versteckend, eine ver-

schlebbare Masse. Dachte man nlcht im deutschsprachlgen Raum, so etwas brächten nur tota-litäre Regime zustande, wle sle der Vergangenhelt angehören? - Geld und was slch dahinterverbirgt, schaffen es auch - nach wie vor gibt es diese Progrome.

Margarete im Faust l: "Nach Golde drängt, //Am Golde hängt // Doch alles. Ach wir Armenl' (2802)

Dlese Art des Dialogs - um obigen Faden wieder aufzunehmen - geht oft in ein chorischesMltelnandersprechen über, etwa in der Bahnhofsszene des zwelten Akts, in der die Güllener Illgegenüber elnstlmmig ihre Freundschaft betonen.

Der Btirgermelster: Das ganze SEiddren begleitet Sie,

Alle: Das ganze Städtchenl Das ganze Städtchen!

Ill: Ich habe euch nlcht hergebeten.Der Zwelte: Wlr werden doch noch von dir Abschied nehmen düfen.Der Bürgermelster: Als alte Freunde.

Aller Als alte Freunde! Als alte Freunde!< ( )

Auch in der Szene des Gemeindegerichts am Ende des Stücks kommt es zum chorlsch-hymni-schen Sprechen, das hier fast llturgischen CharaKer annimmt. Erst durch die Kamerapanneund die dadurch bedingte nochmalige Wlederholung trltt eine ironische Brechung ein,

Das chorlsche Sprechen glpfelt ln der Schlussszene des Dramas, wo die Güllener tatsächlichdie Form des antlken Chors übernehmen, um den VJohlstand zu preissn; und obwohl hier zweiChöre auftreten, sprechen diese nlcht etwa gegeneinander oder zuelnander, sondern in völllgerÜberelnsHmmung. Es lässt sich feststellen (Syberberg), dass dieses Neben-einandercprechen

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DüFenmattu Stilistlsche und sprachllche Darstellungsmittel

stets )ram Schluss elner Handlung oder Gedankenkette< liegt, die dadurch zusammenfassend

erhöht wird,

Dle kleinste Elnhelt dleses chorlschen Nebeneinanders bzw. Mltelnanders im Drama lässt slch

in den Außerungen der belden Eunuchen beobachten, die wle etne dramatische Figur auftre-

ten: >Wir sind ln Güllen. Wlr rlechen's, wir riechen's, wir rlechen's an der Luft, an der GÜllener

Luft.< ( ) Hierzu merK der Autor an, class beide auch abwechselnd reden können statt zu-

sammen, dann aber ohne Wlederholung d,er SäEe.

Während Glelchgestimmtheit in verschledene Worte gekleldet sein kann, die alle dasselbe

melnen (wle ln der Elngangsszene des Dramas), trltt im Falle des Aneinandervorbeiredens oft

das umgekehrte Verhältnls eln. Bel Verwendung des wörtlich glelchen Ausdrucks meint und

versteht Jeder Sprecher etwas anderes. Dles trlfü fast ln allen Gesprächen der Güllener mit

oder in Anwesenhelt von Reportern zu. Diadurch dass dle GUllener sich dle Mehrdeutigkeit der

Sprache bewusst zunutze machen, gelingt es lhnen, die belm Gemelndegericht anwesenden

loumallsten durch dle Mehrdeutigkelt ihrer sprachllchen Klischees völlig zu düpleren und so

elne Scheln-Harmonie mit den MaBstäben der AuBenwelt vozutäuschen.

An anderen Stellen (2. B. ln der zwelten l3ahnhofsszene) kommt es zur offenslchüichen Diver-

genz von Worten und Handlung. Während die Güllener sich so dicht um Ill scharen, dass er

slch kaum bewegen kann, fordem sle ihn gletchzeltlg auf einzustelgen und wünschen lhm >el-

ne gute Reise<.

Obwohl auch Clalre Zachanasslan, etwa ln lhren Fragen an die Bürger oder in elnigen Ge-

sprächen mit lll, um der lronlschen Entlarvungen wlllen bewussten Gebrauch von der Mehr-

deutigkeit der Sprache zu machen versteht (>Eure qgq$_ofg Ere-Ud.g über meinen Besuch ßihrtmlch<, ), zeichnet sich ihr Dlaloganteil lm Allgemelnen durch >Unverblümtheit< aus und

ruft so dle besondere Schochrvirkung oder edelchterndes Gelächter hervor, Sie gehört nach

Profitlich (1973 ) zu Jenen Gestalten Dürrenmatts, >denen dle ldeale kelne Vorwände bedeu-

ten(:>Dle Außerungen elner Gesinnung, dle sich der ethischen und ästhetlschen Normen und

Tabus entschlagen hat, slnd bald ordlnär und burschlkos, bald blasphemlsch, bald makaber

und grotesk, [...] AuBerhalb der mensclrlichen Ordnung stehend, betrachtet sle Menschen

ats >_[fgJ, als eine tlgg!l_c!g_W_gf9<, sprlcht vom Ökonomlschen und Nützllchen, wo der

Anstand pletäWolles Schwelgen vorschreibt, scherzt, wo man Respekt erwartet, zelgt sich

abgebrüht statt gefühlsbestimmt, ungenieft und direkt statt takWoll und zimperlich' [.'.J(Ebd., s. 86)

Analytische Fabel und Prozess-Struktur

Das Drama vom >Besuch der alten Dame< setzt mit elnem zwelfachen Rätsel ein' Die erste

Frage: Was lst de gn Ruin Güllens zu einer Zeit, wo odp.S..l.and.

floriert< ( )? Die dieääaa Fraü der welt nach fünfundvierzig

Jahren gerade zu diesem ZeitpunK in ihre Heimatstadt zurÜck?

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Dle Antwort auf die zwelte Fmge wird am Ende des ersten Aktes in Form eines von Claireinszenierten Verhörs aufgedecK, Die Antwort auf die erste Frage enthüllt sich erst zu Beginn

des letzten AKes (Gespräch Claire Zachanassian - Arzt - Lehrer).

Über Güllen hat sich also ein >Schicksalsknoten< zusammengezogen, lange -b_evol

die Urhebe-

rin, Clalre Zachanassian, dort eintrifft. Das Drama von ihrem >Besuch< stellt als >analytische

Fabel< lediglich die Entwirrung und Auflösung äieses bereits vorher geknüpften VeiliääShissesdar: Die Handlung verläuft so, wie sie von Claire, einer außerhalb der menschlichen Ordnung

stehenden Macht [Lehrer: ... daß auch zu uns einmal eine alte Dame kommen wird], längst vorher-bestimmt war,

Auch Ödlpus' Schicksalsknoten wird durch die unbedachten Begebenhelten zu Anfang seines

Weges geknüpft. Dem Vater Laios wird vom Delphischen Orakel Unglück durch den Sohn pro-phezelt; er setzt seinen Sohn daraufhin aus, jener aber überlebt und tötet den Vater unwis-

sentlich bei der Rückkehr nach Theben und heiratet die Mutter und zeugt lm Inzest die TochterAntigone. Dles alles entrollt des Sophokles Tragödie König ödipus, Auch in Dürenmatts tragi-

scher Komödie enthüllt sich dem Zuschauer ein Geschehen, dessen Knoten in der Vergangen-

heit geschürzt worden waren.'Wenn

Claire dle Rückkehr ln ihren Heimatort am Ende des ersten Aktes als Prozess insze-

niert, so handelt es slch um einen >Prozess auf zwei Ebenen<< (Durzak, 1972). Ein Tell dieses

Prozesses ist auf die Vergangenheit gerichtet. Ein >Fehlurteil lm lahre 1910< ( ) soll aufge-

deckt und dle Schuldlgen zur Verantwortung gezogen werden. Auf der zweiten Prozess-Ebeneweist Claires Forderung an die Güllener, Ill gegen eine Milliarde zu töten, in die Zukunft. Das

helßt, der urspninglich nur gegen Ill gerichtete Prozess wir!.-d_aq[t auch_auf die Gesellschaft

übertragen, die selnen Betrug mögllch machte. Denn ginge es Clalre nur darum, Ill zu rich-

tön und hinzurichten, so brauchte sie damit kaum eine ganze Gemeinde zu beauftragen und

eine Milliarde dafür anzusetzen. Es bestünde hier ein unbegreifliches Missverhältnis zwischen

Zweck und Mlttel, und der Polizist hätte völlig Recht, wenn er Ill gegenüber erklärt: >weil derPreis von elner Milllarde übertrieben ist, das müssen Sle doch selber zugeben, für so was

_"!"gl.hj z_yv_e.jt_a9g-qnE, mehr bestimmt nicht, da können Sie Gift draufnehmen< ( ). Dass es Claire nlcht ledigllch um die Wlederaufnahme des Prozesses gegen lllgeht, sondem um dle InkdmiligEJDg.giner >Welt<, sagt sie selbst eindeutig genug: >Dle Weltmachte mlch zu elner Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell.< ( ) Damit ergibt sich dieFrage: Wie lässt sich die Schuld einer ganzen Stadt, elne Kollektivschuld also, unter Beweis

stellen? Dieser Beweis wird in den beiden folgenden Akten erbracht. Evident wird die Käuf-

lichkelt und Bestechlichkeit der Gülleneq die derjenigen llls, als er Claire und ihr Kind mithil-

fe falscher Zeugen vedrieb, nicht nachsteht. Allerdings hat Claire, in der Rolle des Schicksals,Güllen nur wenig Entscheidungsfreiheit gelassen. Durch das Aufkaufen sämtlicher Industrien

und Ländereien, ein Umstand, der den Güllenern erst enthüllt wird, als sie bereits tief verschul-

det sind, blelbt diesen kaum noch ein Ausweg, und ihre eigentliche Kollektivschuld des Mordes

an lll vollzieht slch nahezu erwartungsgemäß.

Erwartungsgemäß?

Page 6: Bda Material

Uns Rommt nu noch die Komödie bei - Zu Dürrenmatts Theateilheorle. - lleutungen

Die Aufgabe der Kunst ist, Gestalt, Konkretes (Sichtbares) zu schaffen (49f).Dies vermag vor allem die KOMÖDIE, die eine Welt vorausseEt, die im Werden ist, sprich amZusammenpacken, wie eben die unsere (56)

Die Komödie - sie allein schafft Distanz (58) - macht durch einen EINFALL (60), d.h. durch eineerfundene Handlung, die sich in der Gegenwart abspielt und sich des GROTESKEN, der Ge-stalt einer Ungestalt bedient (vgl. Claire Zachanassian) die im Verschwiegenen bereits vollzo-gene Tragödie (42) sichtbar.Solche Einfälle fallen in die Welt ein wie Geschosse und verwandeln die Welt ins Komische,d.h. aber eben auch ins Sichtbare.

Dellnltlonen:

Die TRAGÖD|E (Trauerspiel) ist eine Form des Dramas (Oberbegritf) und neben der Komödie die

bedeutendste Vertreterin dieser Gattung. Sie lässt sich bis in das antlke Griechenland zurückfüh-

ren (vergleiche auch Aristoteles / Gottsched / die geschlossene Form { Maria Stuatfl

Kennzeichnend für die Tragödie ist der schicksalhafte Konflikt der Hauptfigur. lhre Situation ver-

schlechtert sich ab dem PunK, an dem die Katastroph€ eintritt. ln diesem Fall bedeutet das Wort

Katastrophe nur die unausweichliche Verschlechterung für den tragischen Helden. Allerdings be-

deutet diese Verschlechterung nicht zwangsläufig den Tod des Protagonisten.

Anders als im Drama ist das Scheitern des Helden in der Tragödie unausweichlich; die Ursache

liegt in der Konstellatlon und dem Charakter der Figur. Der Keim der Tragödie ist, dass der Mensch

der Hybis, d.h. der Selbstüberschätzung ver.fällt und dem ihm vorbestimmten Schicksal durch sein

Handeln entgehen will.

Eine KOMÖD|E (altgriechisch xoprpölo kömöidia: eigentlich,singender Umzug", meist übersetzt

als "Lustspiel')

ist ein Drama mit erheiterndem Handlungsablauf, das in der Regel glücklich endet.

Die unterhaltsame Grundstimmung entsteht durch eine übertriebene Darstellung menschlicher

Schwächen, die neben der Belustigung des Publikums auch kritische Zwecke haben kann.

20. Jahrhundert: Die erfolgreichen Komödien des Unterhaltungstheaters (Ohnesorg-Theater etc.)

und die literarisch angesehenen Bühnenstücke gehen im 20. Jahrhundert endgültig getrennte We-

ge. Als Komödien werden nun oft Stücke bezeichnet, die nicht eigentlich lustig sind, sondern im

aristotelischen Sinn den Menschen in seiner Lächerlichkeit, Würdelosigkeit, Absurdität zeigen. Die

Regel, dass die Komödie bürgerliches und die Tragödie aristokratisches Personal präsentieren

müssten, ist nun endgültig durchbrochen.

Eine gesellschaftskritische Schweizer Variante der Komödie etablierte sich durch die Schriftsteller

Max Frisch (Biedermann und die Brandstiftef und Friedrich Dürrenmatt (Die Physiketl.

Die Zuschauer fühlen sich zu den Figuren aul der Bühne entweder hingezogen, weil sie sich in

ihnen wiedererkennen bzw. blicken auf sie herab und verlachen sie, weil sie Schwächen haben,

die es zu vermeiden gilt, oder weil sie einer niederen Gesellschaftsschicht angehören- Schwankt

diese Haltung gegenüber den komischen Figuren, spricht man von einer TRAGTKOMÖD|E

Hiermit scheint zusammenzuhängen, dass Dürrenmatt sein Theaterstück eine traglsche Komödie

nennt. Allerdings gilt es, seine ganz spezifische Definition von Komödie zu beachten. Für ihn ist die

Welt der Tragödie gestaltet; die Welt der Komödie ist im Werden, sprich im Zusammenpacken ...

Was macht sein Einfall, eine Handlung, sprich eine Fabel wie die zwischen Claire Zachanassian

und Alfred lll zu erfinden, sichtbar? Was bewirkt dieses Geschoss?

DEUTUNGEN

Christlich-m$hisches Drama - als eigenständiger Deutungsansatz sicherlich überzogen

(Oberammergau ... Einer von euch (830 ... Maler malt einen Christus .... Mein Gott ...Anklänge an diverse Bibelstellen)

lll als Märtyrer, als Jesusgestalt (nur: Welche Werte vertritt er? Welchen Weg bahnt er?)

Kampf der Geschlechter: Dysbalance zwischen Mann und Frau; Unmöglichkeit einererfüllenden Beziehung.

Austauschbarkeit der Männer; Männer als ewige Froschkönige;

Kastration auf körperlicher Ebene und in seelischer Hinsicht;

Claire Zachanassian als alles verschlingende Große Mutter;

Bedeutung der Sexualität:Zigarren als Phallussymbol; Mann als Panther.

ldentitätsverlust im Kollektiv

Machtmonopol Geld (,Man kann alles kaufen* [45]; Änständig ist nur, wer zahlf [91]Geld setzt die Gewaltenteilung außer Kraft:

Claire Zachanassian bestimmt, was Gerechtigkeit und damit Gesetz ist (Legislative);sie spricht insgeheim das Urteil über lll (Judikative); sie macht die Güllener zu einerwillfährigen, gesichtslosen Exekutive.

lm Vergleich zu Brecht, der für diesen antikapitalistischen Ansatz Pate stand und steht, blei-ben bei Dürrenmatt die gesellschaftlichen Bedingungen solchen Handeln im Dunkeln.

Das GROTESKE (von llaL'. ,,grottesco" zu "grotta", "Grotte") bezeichnet das Seltsam-Fantastische,

Hässliche oder Bizane.

Die Groteske als Kunstform ist eine willkürlich verzerrte, übersteigerte Darstellung, die lächerlich,absurd oder schaurig wirkt.

Grotesk wirkt etwas durch das befremdliche Nebeneinander von Lachen und Entsetzen, manchmalauch durch das Gleichzeitige lneinander rcn Belustigung und Schaudern.

Der Zuschauer erlebt das, indem er manchmal nicht weiß, ob er lachen oder entsetzt sein soll.

Diese Wirkung verhindert seine ldentifizierung mit dem Geschehen und den Personen.

Dürrenmatt zielt darauf ab, das PARADOXE darzustellen. Als Parädoxon bezeichnet man einen

scheinbaren oder tatsächlich unauflöslichen Widerspruch. Um diese Widersprüchlichkeit darzustel-len, greift Dürrenmatt zum Stilmittel des Grotesken.

ln Der Besuch der alten Dame ist die Komik in der ersten Hälfte des Stückes offensichtlicher (vgl.

z.B. Begrüßungsszene);je länger es dauert, um so offensichtlich tragischer wird das Geschehen.lm Grunde ist Alfred lll ein tragischer Held; nur ermangelt er ieglicher GröBe; allerdings gewinnt er

an persönlichem Profil, an Mut(?), während Claire Zachanassian immer offensichtlicher zu einer

Hohlform der Menschlichkeit wird, genauer gesagt: dass sie eine ist, tritt immer deutlicher zutage.

Das Paradoxon Dürrenmatts: Der Mensch - ein Ungeheuer.

Triftt für unsere Welt also zunehmend zu, was schon Sophokles behauptete? (vgl. ausgeteiltes Blatt)

Verkommt der zum Träger von Menschlichkeit geschaffene Adam zum Ungeheuer bzw. zum belie-

big manipulierbaren Obiekt? Oder war er es gar schon immer?

Page 7: Bda Material

Beeprechung HA gestaltendes lnterpretieren - Dürronmatt - 11.10. 2OlO

s.8G91

Erläutere, warum der ArA und del Lehrer Claire Zachansslan aulsuchen.

F0hre den Dlaolog zwischen ArA und Lehrer, der im Buch durch die Szene in llls Ladenunterbrochen wird, lort.

Teil I

Claire Zachanassian, geborene Wäscher, kehrt in ihr Heimatdorf Güllen zurück, das sie

unter menschenverachtenden Umständen verlassen musste, um Gerechtigkeit zu

bekommen für das, was ihr von Allred lll, ihrem Geliebten aus Jugendtagen, angetan

worden war. Dieser hatte, als Claire Zachanassian von ihm schwanger war, zwei

bestochene Zeugen aussagen lassen, sie hätten mit ihr geschlafen. Der werdenden Mutter

war daraufhin keine andere Möglichkeit geblieben, als Güllen unter Schimpf und Schande

zu verlassen. Nun, zurückgekehrt, fordert sie von den Güllenern nicht mehr und nicht

weniger als den Tod llls. lm Gegenzug soll das Städtchen insgesarnt eine Milliarde erhalten.

Schon kurz nach ihrer Ankunft bearbeitet sie die wichtigen Menschen des Dorfes und

Personen, die ihr bei ihrem Unterfangen dienlich sein können, u.a. gibt sie dem Arzt den

Hinweis, wenn künftig jemand umkomme, den Totschein mit,Hezschlag" auszufertigen.

(30)

Einige Zeit gibt sich lll, der wahrnimmt, dass seine Mitbewohner erheblich mehr als lrüher

konsumieren, der lllusion hin, die Einwohner hätten wohl geerebt und spricht davon, dass

sie doch alle zusammenhalten müssten gegen das Ansinnen der Claire Zachanssian,

zumal der Bärgermeister Ende des ersten Aktes sich vor Claire Zachanassian so klar lür ihn

eingesetzt hatte. Doch spätestens als lll erkennt, dass alle Bürger als Zeichen des

Konsumrausches gelbe Schuhe tragen, der nichts anderes als seinen Tod zur Folge haben

kann, ändert er sein Verhalten, wird aggressiv, wirft der aus seinem Laden flüchtenden

Kundschaft Waren hinterher und beschließt die örtlichen Obrigkeiten aufzusuchen und sie

zum Eingreifen aufzufordern. Doch weder bei dem Polizisten noch bei dem Bürgermeistei'

hat er Erfolg. Mit Lügen und Heucheleien wird er abgespeist. Ja, der Pfarrer rät ihm zur

Flucht.

Verzweifelt sucht er seine ehemalige Jugendliebe auf, er bedroht sie sogar mit einer Waffe.

Doch bleibt die Milliardärin vollkommen cool und setzt lll mit wenigen Worten schachmattr

,,Du starrtest zu mir herauf (...), und dennoch waren deine Augen voll Liebe." (79)

lll beschließt zu fliehen, doch wird er von den Honoratioren des Städtchens samt der

Bevölkerung,begleitet", sprich verfolgt und so unter Druck gesetzt, dass er

zusammenbricht und nur noch stammeln kann: lch bin verlorenl (85). Dabei spielen der Arzt

und der Lehrer eine federführende Rolle, da ihre scheinbar harmlosen Bemerkungen an

Hohn und Häme kaum zu überbieten sind,

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Dennoch muss in beiden ein Umdenken eingesetzt haben, denn sie suchen die Milliardärin

in der Peterschen Scheune, dem ehemaligen Ort ihrer Liebe, in der jene sich nicht von

ungelähr aufhält, auf mit dem Hinweis, dass es um die Angelegenheit des Herrn lll gehe.

Doch redet der Lehrer zunächst vor allem von Finanziellem. Erst im weiteren Verlauf wird

offensichtlich, dass es ihm und wohl auch dem Arzt darum geht, die Milliardärin von ihren

Gedanken der Rache abzubringen. Offensichtlich war beiden die Dringlichkeit und Brisanz

der Situation bewusst gevrorden.

Allerdings ist ihr Ansinnen, Claire Zachanassian von ihrem Vorhaben der Tötung llls

abzubringen, nicht von Erfolg gekrönt, Kein lVunder, dass wir inr Anschluss den Lehrer

linden, wie er sich sinnlos betrinkt, äußert er doch in einem Gespräch mit lll, dass ermitmachen werde und fühle, wie er langsam zum Mörder werde (vgl. 103) . Nur so, indem

er sein Gewissen innen und außen betäubt, wird es ihm auch möglich sein, jene Rede zu

halten, die die Grundlage für die Zustimmung der Güllener zum Tod llls ist.

Claire Zachanassian beendet das Gespräch mit den beiden Honoratioren, indem sie sich

von ihren beiden freigekauften Kriminellen, Toby und Roby, wegtragen lässt. Diese erste

Sequenz des dritten Ak{bs endet mit der Aussage des Arztes:

Mein Gott, was sollen wir tun?

Woraufhin der Lehrer antwortet:

Was uns das Gewissen vorschreibt, Doktor NüBIin.

589 Wöftq 2,8 Seiten

Teilll

(Beide seten das Gespräch, die Scheune verlassend, fort.)

Lehrer: Mein Gott, hatte einen Schweißanfall nach dem anderen! (zeigt dem Arzt sein

klitschnasses Taschentuch)

Arzt: Hab's gesehen, dachte schon, Sie wollten in meiner Gegenwart kollabieren.

Dabei sprachen Sie doch davon, die Scheune sei ein besinnlicher Ort?!

- Seltsam!

Lehrer: Bevor keiner was sagt, muss einer was sagen, Sie machen es sich reichlich

einfach. Entsetzlich diese Atmosphäre in der Scheurre, wie kann die Frau da nur

freiwill'rg rei nge hen.

Arzt: Macht wohl der Wunsch nach Erinnerung, nach einer verflossenen Liebe aus,

die dieser Krüppel von Frau so offensichtlich nicht mehr bekommt, lässt sich ja

ohne Ende scheiden ...

Lehrer Meinem ldeal von Ehe entspricht das nicht, armes Abendland ...

Page 8: Bda Material

Besprechung HA gedaltendes lntepretieren - Dürrennntt - 11.10. 2010

Arzt: Sie und ihre ldeale - Sie undiihr Abendland gehen mir so aut den Geist ...

merken Sie denn nicht, wie hohl alles ist? Wo sind denn ihre ldeale, hofieren Sie

nicht genau wie wir alle dieser Frau, die voller Hass ist? (ggf. diesen AspeK

noch ausbauen)

Sie lügen doch den lieben langen Tag, Sie lügen sich doch selbst an und Sie

lügen der Frau etwas vor ...

Lehrer: Sie haben gut reden. Wenn ich nur Lungen abhören und Spritzen geben

müsste, wäre mir auch wohler. Aber ich habe die Jugend zu erziehen, ich leite

den Gesangverein, ich habe mit Menschen zu tun. Soll ich sagen: Hotiert dem

Hass? Gebt eure inneren Werte auf? Was bleibt mir denn, als mir etwas

vorzumachen in der Hoffnung, dass ich es selbst glaube. lvleinen Sie nicht, mir

tut dieser Kerl nicht auch Leid, obwohl er sich vor 45 Jahren absolut schweinisch

verhahen hat ... aber was soll man jetzt tun?

Arzt: Kein Wunder trinken Sie so viel in letzter Zeit ... das Dorf spricht schon davon ...

Lehrer Warten wir mal ab, wie Sie lhre Menschlichkeit unter Beweis stellen, wenn

Sie den Totenschein für lll ausstellen ... was wird da wohl draufstehen?

Arzt So weit muss es nicltt kommen.

Lehrer: Muss nicht? Was tun Sie dagegen? Ein bisschen anders spritzen, ein bisschen

anders Lungen abklopfen? Sie haben doch gehört, was Claire Zachanassian

alles getan hat, um uns zu dem Mord zu zwingen. lch habe nochlhr,,Das ist

doch ungeheurlich!" im Ohr. Aber weiter gesagt haben Sie nichts! Warum haben

Sie ihr nicht die Meinung gesagt? Dann aber über meine ldeale lästern! lch habe

dieses Weib immerhin versucht zu bewegen, von seiner Rache abzulassen, die

Register, die mir zur Verf0gung stehen, habe ich gezogen.

Arzt: Schon gut, ja, ich will lhnen nicht Unrecht tun. Ehrlich gesagt, ich traue lhnen

auch zu, dass Sie noch etwas unternehmen, aber lassen Sie mich aus dem

Spiel ... Sie wissen genau wie ich, dass das nicht stimmte mit der Universität

Erlangen oder mit ihrem Kalberstädther Obergymnasium.

lch bin kein Held, ich kann nicht in Ehren untergehen. Vielleicht können Sie das,

ich nicht. lch kann allerdings auch nicht so lügen wie Sie. Warum haben Sie in

Bezug auf unsre angeblichen berullichen Aussichten so gelogen?

Lehrer: Um der Sache willen.

Azt: Um der Sache wilbn bringen wir auch lll um. Sie haben aurf dem Weg zum

Bahnhof ihn genauso fertig gemacht wie ich. lch höre noch lhr "Sie

sehen ja, lvie

beliebt Sie sind" zu lll. Wie muss der sic:h da vorgekommen sein .'.

Seile 2 von 2

Meinen Sie, mir tut er nicht Leid. nn seinem Aher noch so einen Stress. Und wiesich seine Familie verhält, das ist schon unglaublich ...

(Aspekt ausbauen ... Leerstelle .., Frau hat sich offensichtlich schon nach einemneuen Grundstück für ein Kaufhaus erkundigt ...)

lch kann nicht nur nicht fassen, wie sich seine Familie verhält. Ehrlich gesagt,

ich tasse es nicht, wie sich ganz Güllen verhält. Hier schwappt eine stinkendemoralische Gülle durch alle Straßen. Nie hätte ich gedacht, dass Menschen

tatsächlich so um das Goldene Kalb tanzen.

Meine Güte, tun Sie nicht so, Sie stinken und tanzen genauso, wir stinken alle.

Wir hätten die Wahl gehabt, uns anders zu verhalten, doch das ist schon lange

vorbei. Alle hier haben ihre Seele an den Hass dieser Frau verkauft, die offen

davon spricht, dass sie das Geschäft ihrer Rache betreibt. Und fällt lhnen nicht

auf, dass sie einen ganz besonderen Hass auf Männer hat?

Auf Männer?

Falls Sie einer sind, könnten Sie sich angesprochen fühlen, ja. Sehen Sie doch,

wie sie mit lhren Ehemännern umgeht... Sie macht sie zu Marionetten. Und

was ich mich frage: Was finden die an ihr attraktiv? Die Hard aus Ebenholz?

lhre kriminellen Diener? lhr Geld .. ja, das muss es sein, ihr Geld!

Vorsicht, da vorn lauert so ein Pressefotograf .,.

Keine Bange, die hat sicherlich auch schon alle Zeitungen aufgekauft ,..

Noch mal zu den Männern ... Erinnern Sie sich noch an ihren Vater? Den

Säufer? Peinlich, wie er am Ende heruntergekommen war. Und genauso haltlos

war ja die junge Claire; die hat es ja ziemlich bunt getrieben!

Und dann kommt ihr persönliches Desaster lll!

Klar, dass Sie sich an allen Männern rächen will. Passen Sie nur aul lhre

Männlichkeit auf, Herr Lehrer, nicht dass Sie noch einen Kastratenchor

aufmachen milssen. Zwei Teilnehmer haben Sie auf jeden Fall schon. Sie

müssen die beiden nur wieder einlliegen lassen. Uncl Sie, vielleicht heißen sie

dann Goby .,. fast so wie die Wüste ... B2o wörrer, 3,8 seiten

Lehrer

Arzl

Lehrer

Arzt

Lehrer

Arzt

Lehrer

Arrzt

Beachle die großen Themen dieses Sttickes. Meistens stehen sie auch im Mittelpunkt eines zu

schreibenden Tagebucheintrages, eines Briefes, elnes Dialoges ...

We gerecht ist die Gerechigke[ der claire Zachanassan? Was is{ in ihrem Fall Gerecttigkelt?lnwietern ist lll schuldig und zu bGtrafen?We werlvoll sind ldeale - gemessen an der Realitäit?lst Gilllen ein mögllcher Ort mit einem möglichen Geschehen? Vvatum versagt das Gewissen der Güllener?

Page 9: Bda Material

o.,,,1,?5i3:t'Ji3

Handout: F riedrich DürrenmattGFS von Ilka Bantien

Allgemeines. er ist ein schweizer Schriftsteller, Dramatiker und Malero er verfasste Dramen, Theaterstücke, Komödien, Drehbücher, Romane, Hörspiele,

Essays und Gedichte. am berühmtesten sind seine Theaterstücke,,die Physiker" und,,Besuch der Alten

Dame"o Literarische Richtung: Schweizer Modeme

Lebeno Friedrich Di.irrenmatt wurde am 5. Januar I92l in Konolfingen, einem Dorf im

Kanton Bern, geboren. Sein Vater war Pfarrer der Gemeinde.. 1935 Umzugnach Bem, 7941machte er dort sein Abitur. 194I-1946 Studium in Bern und Zürich: Naturwissenschaften, Germanistik und

Philosophie als Schwerpunkto Im Sommer des Jahres 1946 lernte er die Schauspielerin Lotti Geißler kennen, die

er im Oktober heiratet.. Nach dem Studium beschloss er Schriftsteller zu werden und lebte in großer

finanzieller Unsicherheit mit seiner Frau und drei Kindern.o 1956 gelang Dürrenmatt der Durchbruch als Btihnenautor: "Der Besuch der alten

Dame"o Theaterarbeit in Basel: "Frank der Fünfte" (1959), "Die Physiker" (1962), "Der

Meteor" (1966) -> 60er Jahre Höhepunkt seines Öffentlichkeitserfolgo 1983 stirbt seine geliebte Frau Lotti Geißler; heiratet erneut 1983 eine

Schauspielerin (Charlotte Kerr)o Stirbt 14. Dezember 1990 mit 69 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts in

Neuchätel (seinem Wohnsitz)

Die Phsiker1962 Uraufführung inZijrich und ist nach,,Besuch der Alten Dame" der zweitgrößteWelterfolgInhalt:

. 3 ,,verrückte Physiker" befinden sich in einer Irrenanstalt und bringen alle ihreKrankenschwestem um

. Grund des den Aufenthalt: Zwei von den Dreien halten sich für Newton, Einstein unddem Dritten namens Möbius erscheint König Salomo.

. doch alles ist nur Fassade: Möbius macht geniale Forschungsergebnisse und hat dieWeltformel entdeckt. Aus Verantwortung gegenüber der Menschheit spielt er den

,,Verrückten" und die anderen beiden sind Geheimagenten, die Erfindungen desMöbius für ihr Land haben wollen. Sie alle töteten ihre Krankenschwestern, weil dieKrankeinschwestem erkannt haben, dass das Spiel der Physiker alles nur Fassade ist

o Wendepunkt: die Physiker befinden sich in der Gewalt einer verrückten Irrenäirztin,die Möbius Erfindungen geklaut hat

o die drei Physiker sind in Gefangenschaft und werden nun doch verrückt

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