berechnung der hochbelasteten schraubenverbindung des … · 2012. 10. 1. · vorspannung und...
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© Germanischer Lloyd WindEnergie GmbH 2005
Berechnung der hochbelasteten Schraubenverbindung des Rotorblattes einer Windenergieanlage mittels FEM und VDI 2230 unter Berücksichtigung der Montage Dipl.-Ing. F. Pollicino und Dipl.-Ing., B.Sc. R. Schleeßelmann Germanischer Lloyd WindEnergie GmbH, Hamburg Kurzfassung
In dem stark wachsenden Markt für Windenergieanlagen (WEA) hat sich die Germanischer
Lloyd WindEnergie GmbH (GL Wind) seit den Anfängen als Produkt- und Projektzertifizierer
behauptet und ist Marktführer auf diesem Gebiet. Die anspruchsvollen Aufgaben der techni-
schen Beurteilung und die Pflege und ständige Weiterentwicklung der GL Wind – Richtlinien
werden im eigenen Hause von über 40 Ingenieurinnen und Ingenieuren auf hohem fachli-
chen Niveau durchgeführt. So wurden durch GL Wind – Experten schon seit Jahren immer
komplexere Problemstellungen an Schraubenverbindungen erfolgreich bearbeitet.
Die Schraubenverbindung, welche das Rotorblatt über das Blattlager mit der Rotornabe einer
Windenergieanlage (WEA) verbindet, ist eine durch die extremen und dynamischen Belas-
tungen hochbeanspruchte Mehrschraubenverbindung.
Durch die Vorspannung der exzentrischen Verbindung und die mehrfachen Trennfugen so-
wie das Verformungsverhalten der Kugeldrehverbindung unter Belastung, ergibt sich ein
nichtlinearer Schraubenbeanspruchungsverlauf, welcher für den Extrem- und Betriebsfestig-
keitsnachweis von großer Bedeutung ist.
Zur Ermittlung des nichtlinearen Schraubenbeanspruchungsverlaufes unter Berücksichtigung
der unterschiedlichen Materialsteifigkeiten der Einzelbauteile (Rotorblatt aus GFK, Blattlager
aus Stahl und Rotornabe aus Gusseisen mit Kugelgraphit) ist die Anwendung der FEM in
Verbindung mit der VDI 2230 Blatt 1 für eine wirtschaftliche Auslegung unabdingbar.
An einem Beispiel wird die Berechnung dieser komplexen Schraubenverbindung dargelegt
und der Einfluss der Montage auf die Auslegung verdeutlicht.
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Es wird besonders auf das überelastische Anziehen eingegangen. Für die Bemessung einer
überelastisch angezogenen Schraubenverbindung werden Kriterien angegeben und die Vor-
gehensweise bei einer Zertifizierung beschrieben.
1. Vorstellung GL Wind
Die Germanischer Lloyd WindEnergie GmbH (GL Wind) ist als Tochter der Germanischer
Lloyd Industriedienste (GLIS), die eine Tochter der Germanischer Lloyd AG ist, die internati-
onal führende Zertifizierungsgesellschaft in Bezug auf Windenergieanlagen. Erkenntnisse
und Erfahrungen aus Forschungsvorhaben und seit mehr als 25 Jahren durchgeführter Zerti-
fizierungstätigkeit auf nationaler und internationaler Ebene sowohl on- als offshore fanden
Eingang in die eigenen Richtlinien, z.B. die „Richtlinie für die Zertifizierung von Windenergie-
anlagen“ [3] und die „Guideline for the Certification of Offshore Wind Turbines“ [4]. Des Wei-
teren war GL Wind an der Erarbeitung der „Richtlinie für Windenergieanlagen“ des Deut-
schen Instituts für Bautechnik (DIBt) beteiligt und ist in den entsprechenden Normenaus-
schüssen der International Electrotechnical Commission (IEC) sowie der europäischen Nor-
mungsorganisationen CENELEC vertreten.
GL Wind ist durch den Deutschen Akkreditierungsrat (DAR) als Produktzertifizierungsstelle
für „Windenergieanlagen und deren Komponenten, Windpark-Projekte, Meeresströmungs-
turbinen und verwandte Technologien“ akkreditiert. Des Weiteren ist GL Wind durch das dä-
nische Energieministerium ermächtigt, „Typengenehmigungen“ für Dänemark durchzuführen.
In der indischen Zertifizierungsrichtlinie wurde GL Wind als Zertifizierungsstelle benannt. In
Griechenland, den Niederlanden, Schweden, USA oder Japan wird das Typenzertifikat von
GL Wind anerkannt. Weltweit hat GL Wind für eine Vielzahl von Herstellern Windenergiean-
lagen geprüft.
Abgerundet wird das Tätigkeitsfeld der Germanischer Lloyd WindEnergie GmbH durch Bau-
überwachungen, Wiederkehrende Prüfung und Garantieabnahme, Beurteilung von Scha-
densfällen als unparteiischer Sachverständiger und Technische Due Diligence (Bewertung
von Firmen und/oder Projekten).
In den Tochtergesellschaften WINDTEST Kaiser-Wilhelm-Koog GmbH, WINDTEST Greven-
broich GmbH und WINDTEST Ibérica S.L. werden alle Arten von Messungen an Windener-
gieanlagen durchgeführt.
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Durch diese gestaffelte Ausrichtung konnte ein erheblicher Erfahrungsschatz bezüglich Be-
trieb und Auslegung von Windenergieanlagen aufgebaut werden. In der GL Wind Gruppe
(inklusive der WINDTEST – Gesellschaften) arbeiten zurzeit über 100 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter.
Die Kompetenz im Bereich Schraubenverbindungen bei GL Wind wird durch die Zertifizie-
rungstätigkeit und die Pflege der eigenen „Richtlinie für die Zertifizierung von Windenergiean-
lagen“ sowie der damit verbundenen Fachdiskussion in der Branche auf dem Stand der
Technik gehalten. Immer wieder wurden mit unseren Kunden spezifische innovative Lösun-
gen analysiert und erfolgreich eingeführt.
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2. Einleitung
Die Windenergieanlagen (WEA) unterliegen extremen und zyklischen Belastungen, welche
durch das auftretende dreidimensionale aeroelastische Windfeld bestimmt werden.
Die erste im Kraftfluss liegende Schraubenverbindung verbindet das Rotorblatt mit der ein-
oder zweireihigen Kugeldrehverbindung (Blattlager), welche wiederum mit der Rotornabe
verbunden ist (s. Abb. 1). Die Verbindung wird dabei anhand von vorgespannten Schrauben
mit Regelgewinde (tailliertem Schaftquerschnitt oder Gewindebolzen) ausgeführt. Das fol-
gende Beispiel stellt eine Mehrschraubenverbindung mit etwa 60 Schrauben der Größe M30
mit tailliertem Schaftqueschnitt und der Festigkeitklasse 10.9 einer WEA der Leistungsklasse
1,5MW dar.
Generell ist eine Ausstattung von schwingungsbeanspruchten Verbindungen mit Schrauben
der Festigkeitsklasse 10.9 oder 8.8, wegen deren höheren Duktilität im Vergleich zu spröd-
bruchneigenden höheren Festigkeitsklassen vorzusehen [3].
Abb. 1: Belastung auf eine WEA und deren Blattanschluss (Bez. der Schrauben s. Abb. 2)
Schraube 2: Betriebsbelastung durch Gewicht (deterministisch)
Schraube 1: Betriebsbelastung durch turbulenten Wind (stochastisch)
AnschlussRotorblatt zurRotornabe
Foto: Bundesverband WindEnergie
Dreidimensionales Windfeld
Schraube 2: Betriebsbelastung durch Gewicht (deterministisch)
Schraube 1: Betriebsbelastung durch turbulenten Wind (stochastisch)
AnschlussRotorblatt zurRotornabe
Foto: Bundesverband WindEnergie
Dreidimensionales Windfeld
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Das nichtlineare Verhalten der Schraubenverbindung macht die Ermittlung der Schrauben-
beanspruchungsverläufe für eine sichere und ökonomische Auslegung unabdingbar.
Die Mehrschraubenverbindung wird in diesem Beitrag vereinfachend auf eine Einschrauben-
verbindung reduziert, um den numerischen Berechnungsaufwand zu minimieren. Des Weite-
ren wird folgend nur die Schraubenverbindung zwischen dem Blattlager und dem Blatt be-
trachtet.
Zur Ermittlung der höchstbeanspruchten Schraube aus der rotationssymmetrischen Mehr-
schraubenverbindung ist es notwendig, die zwei vorwiegend markanten Stellen an der Blatt-
wurzel bzgl. deren Belastung zu analysieren. So sind besonders die Schrauben 1 und senk-
recht dazu, die Schraube 2, durch die Belastung aus dem dreidimensionalen Windfeld und
der Rotordrehung zu betrachten (s. Abb. 1 und Abb. 2).
Abb. 2: Schraubenpositionen für Mx und My Belastung
x
x
y
y
Schraube 2
Schraube 1
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3. Schraubenbeanspruchung
Der Schraubenspannungsverlauf ist wegen der Vorspannung des exzentrischen Anschlus-
ses, des Kontakt-Klaffens in den Trennfugen und des Verformungsverhaltens der Kugel-
drehverbindung durch die äußere Belastung nichtlinear. Das Verhalten der Verbindung kann
durch die Reaktion der Schraubenspannung σS aufgrund der äußeren Belastung MB (Be-
triebsmoment) am Blatt beschrieben werden (s. Abb. 3).
Der Schraubenspannungsverlauf σS lässt sich generell in Abhängigkeit der äußeren Belas-
tung am Blatt MB in vier verschiedene Abschnitte gliedern:
Bereich 1 - einen linearen Anteil während der Entlastung des Druckkörpers des Anschlusses,
Bereich 2 - einen nichtlinearen Übergang während des Klaffens der Verbindung,
Bereich 3 - einen weiteren linearen Bereich, wenn die Vorspannung durch die Betriebskraft
aufgehoben ist und die Verbindung nur durch Stützwirkungen trägt,
Bereich 4 - einen nichtlinearen Anteil, der die Plastizierung der Schraube bis zum Bruch be-
schreibt.
Abb. 3: Nichtlinearer Schraubenspannungsverlauf
∆σ∆σ∆σ∆σS1
Spannungsverlauf
Spannung in der SchraubeσσσσS
∆∆∆∆MB1∆∆∆∆MB2
MB
σs
Äußere Last
MB
∆σ∆σ∆σ∆σS2∆∆∆∆MB1 = ∆∆∆∆MB2
∆σ∆σ∆σ∆σS1< ∆σ∆σ∆σ∆σS2
∆σ∆σ∆σ∆σS1
Spannungsverlauf
Spannung in der SchraubeσσσσS
∆∆∆∆MB1∆∆∆∆MB2
MB
σs
Äußere Last
MB
∆σ∆σ∆σ∆σS2∆σ∆σ∆σ∆σS1∆σ∆σ∆σ∆σS1
SpannungsverlaufSpannungsverlauf
Spannung in der SchraubeσσσσS
∆∆∆∆MB1∆∆∆∆MB2
MB
σs
MB
σs
Äußere Last
MB
Äußere Last
MB
∆σ∆σ∆σ∆σS2∆σ∆σ∆σ∆σS2∆∆∆∆MB1 = ∆∆∆∆MB2
∆σ∆σ∆σ∆σS1< ∆σ∆σ∆σ∆σS2
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Bei der Betrachtung der Schraubenspannungsschwingbreiten ∆σS unter der Belastung ∆MB
und unter der Berücksichtigung der erwähnten Bereiche, wird die Bedeutung des nichtlinea-
ren Schraubenspannungsverlaufes für die Betriebsfestigkeit deutlich.
Ist die durch die Belastung ∆MB1 sich ergebende Schraubenspannungsschwingbreite ∆σS1 im
Anfangsbereich, bedingt durch die Vorspannung, noch gering, so nimmt die Spannungs-
schwingweite ∆σS2 im weiteren progressiven Verlauf der Schraubenspannungsfunktion unter
der Belastung ∆MB2 stark zu. Während die Schwingbreite ∆MB in beiden Fällen gleich groß ist
(∆MB1=∆MB2), variiert ∆σSi in Abhängigkeit vom Niveau des Spannungsmittelwertes sehr stark
(∆σS1<<∆σS2). Somit kann eine relativ geringe Änderung der Momentenbelastung am Blatt
durch den nichtlinearen Verlauf der Schraubenspannung, zu einer großen Änderung der Le-
bensdauer der Schraube führen.
Für den Nachweis der Betriebsfestigkeit ist daher neben der Kenntnis der absoluten Größe
der Schraubenspannung auch die Kenntnis der Steigung der Schraubenspannungsfunktion
von großer Bedeutung.
Zusätzlich wird der Schraubenbeanspruchungsverlauf durch die auftretenden Vorspannkraft-
verluste beeinflusst. Diese ergeben sich durch folgende Ursachen:
- Setzen in der Kontaktfläche durch Einebnen von Oberflächenunebenheiten,
- Relaxation der im Kraftfluss liegenden Teile durch zeit- und / oder temperaturabhängiges
Plastizieren,
- Plastizierung des Flansches und/oder der Schraube durch Überschreitung der Streck-
grenze,
- selbsttätiges Lösen der Verbindung.
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4. Berechnung des Blattanschlusses
4.1 Allgemeines
Die Finite-Elemente-Methode (FEM) ist eine Möglichkeit, komplexe Strukturen realitätsnah
abzubilden und das Strukturverhalten unter einer Belastung zu erfassen. Die folgend doku-
mentierten numerischen Berechnungen wurden mit dem FEM Programm ANSYS durchge-
führt und dienen vorwiegend der Ermittlung des nichtlinearen Schraubenspannungsverlaufes
der Blattverschraubung.
Vorwiegend werden zwei unterschiedliche Blattanschlusskonstruktionen unterschieden. Der
Blattanschluss mit einer im Blattwurzelbereich einlaminierten metallischen Hülse (s. Abb. 4
und Abb. 7) und der mit in radialer Richtung eingesetzten metallischen Querbolzen, der sog.
T-Bolzen oder IKEA Anschluss (s. Abb. 8). Beide Konstruktionen dienen der Übertragung der
Vorspannung in den faserverstärkten Verbund des Blattanschlusses.
4.2 Finite-Elemente-Analyse
Für die Finite-Elemente-Analyse (FEA) wird das rotationssymmetrische Einschraubenmodell
zur weiteren Vereinfachung und Minimierung der Berechnungsdauer auf ein halbes Seg-
mentmodell reduziert (s. Abb. 4).
Abb. 4: Halbes Einschraubenmodell des Blattanschlusses
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Das halbe Einschrauben-Segmentmodell ist entsprechend rotationssymmetrisch gelagert.
Die teilweise modellierte Nabe ist im unteren Bereich in allen Freiheitsgraden eingeschränkt.
Die Schrauben sowie deren Köpfe sind vereinfacht durch Balkenelemente mit den entspre-
chenden Querschnittswerten simuliert.
Die auf das FE-Modell aufgebrachte Belastung des Anschlusses setzt sich erstens aus der
Vorspannung und zweitens aus dem äußeren resultierenden Blattwurzelbiegemoment zu-
sammen. Die Vorspannkräfte werden durch Vorspannelemente umgesetzt. Die Lasteinlei-
tung des äußeren Biegemomentes wird durch eine starre Verbindung am teilweise modellier-
ten Blatt eingebracht. Das sich aus den simulierten Lastberechnungen ergebende maximale
Biegemoment MB wird auf eine partielle Momentenbelastung MB1/2seg für das Einschrauben-
Segmentmodell umgerechnet und auf Höhe des modellierten Blattes, senkrecht zur Rotati-
onsachse und zur Schraubentangente aufgebracht (s. Abb. 4 und Abb. 6).
Aus der Vorgabe des Anzugsmomentes MA = 1100 Nm und den Reibbeiwerten µG = µK =
0,08 folgt nach VDI 2230 [5] eine Montagevorspannkraft von FMmax = 320 kN. Mit der Annah-
me eines Anziehfaktors von αA = 1,4 ergibt sich die minimale Vorspannkraft FMmin = FMmax / αA
= 230 kN.
Abb. 6: Momentenbelastung des Einschrauben-Segmentmodells
Das partielle Moment für ein Einschrauben-Segmentmodell ergibt sich aus dem Gleichge-
wicht zu:
sn
BM2
BsegM
⋅=
MB1/2seg
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MBseg: Momentenbelastung für ein Einschrauben-Segmentmodell
MB: Momentenbelastung des gesamten Blattanschlusses
ns: Schraubenanzahl
Das partielle Moment für ein halbes Einschrauben-Segmentmodell beträgt:
sn
BM
B1/2segM =
MB1/2seg: Momentenbelastung für das halbe Einschrauben-Segmentmodell
MB: Momentenbelastung des gesamten Blattanschlusses
ns: Schraubenanzahl
Die hier verwendeten Elemente für die Komponenten sind mit den entsprechenden Material-
eigenschaften (für die Rotornabe aus Gusseisen mit Kugelgraphit, das Blattlager aus Vergü-
tungsstahl, das Rotorblatt aus glas- oder kohlefaserverstärktem Kunststoff, die Hülse aus
Vergütungsstahl, der Querbolzen aus Vergütungsstahl und einem evtl. vorhandenen Zwi-
schenflansch und/oder einer Blattverstellungsplatte aus Stahl) versehen.
Die Kugeln der Vierpunktlager werden vereinfachend als nichtlineare (nur druckübertragen-
de) Balkenelemente im 45° Winkel angeordnet. Die Trennfugen zwischen den einzelnen
Bauteilen sind mit Kontaktelementen versehen.
Abb. 7: Einlaminierte Hülse
Abb. 8: T-Bolzen Blattanschluss
Nach der numerischen Lösung des Schraubenanschlusses mit den nichtlinearen Eigenschaf-
ten ergeben sich unter der reinen Vorspannung die in Abb. 9 dargestellten Spannungsverläu-
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fe. Unter Aufbringung der äußeren Belastung ergibt sich das in Abb. 10 dargestellte und
15fach überhöhte Verformungs- und Spannungsbild. Die äußere Belastung entlastet dabei
den Druckkörper der verspannten Bauteile teilweise, was zu einem Klaffen der Verbindung
führt.
Abb. 9: Spannungsverläufe unter Vorspannung FMmin
Abb. 10: Verformungs und Spannungsverläufe unter Vorspannung FMmin und äußerer Momen-
tenbelastung MB1/2seg
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Anhand der ermittelten Spannungen unter der schrittweise aufgebrachten Belastung ist es
möglich, den Schraubenspannungsverlauf unter Berücksichtigung der inneren Belastung
(FM) und der äußeren Belastung (MB) darzustellen.
Die Schraubenspannungen werden an drei verschiedenen Punkten über die Schraubenlänge
ausgelesen. Dies ist notwendig, um die unterschiedlichen Querschnittswerte zu berücksichti-
gen und deren Beanspruchung zu ermitteln. Die Berechnungen werden mit der minimalen
Vorspannung FMmin und der maximalen Vorspannung FMmax, aufgrund der Relevanz für die
Festigkeitsnachweise, durchgeführt (s. a. Kap. 5.1.2).
Die Abb. 11 zeigt repräsentativ die Schraubenspannungssverläufe im Spannungsquerschnitt
AS im Gewinde unter der Vorspannung FMmin und FMmax sowie der äußeren Biegebelastung
MB.
Vergleich des Schraubenspannungsverlaufs σs(MB) unter FMmin und FMmax
350
400
450
500
550
600
650
700
-4200 -3500 -2800 -2100 -1400 -700 0 700 1400 2100 2800 3500 4200
Blade Bending Moment MB (kNm)
Sch
rau
ben
span
nu
ng
σσ σσs,
Bla
ttb
olz
en [
N/m
m²]
Zugbelastung - Schraubenspannung FMmin (As) Zugbelastung - Schraubenspannung FMmax (As)
Druckbelastung - Schraubenspannung FMmin (As) Druckbelastung - Schraubenspannung FMmax (As)
Min Betriebslast - Moment Max Betriebslast - Moment
Abb. 11: Ausgewertete Schraubenspannungsverläufe unter FMmax und FMmin im Spannungs-
querschnitt AS im Gewinde
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Aus dem direkten Vergleich ist deutlich zu erkennen, dass sich der Schraubenspannungsver-
lauf unter der minimalen Vorspannung FMmin mit einer größeren Steigung darstellt als unter
der maximalen Vorspannung FMmax (s. Kap. 5.1.2). Die größere Steigung hat besonders für
eine Betriebsbelastung in diesem Bereiche eine wichtige Bedeutung für den zu führenden
Betriebsfestigkeitsnachweis (s. Kap. 3 und Kap. 4.4).
4.3 Extremlastnachweis
Das nichtlineare Verhalten der Schraubenverbindung ist durch den überproportionalen An-
stieg der Schraubenspannungen unter hoher Last ebenfalls für den Extremnachweis zu er-
fassen. Der Extremnachweis ist dabei im kleinsten Spannungsquerschnitt der Schraube zu
führen. Die zu ermittelnde maximale Spannung setzt sich aus einer axialen- und überlager-
ten Biegebeanspruchung zusammen. Bei taillierten Schrauben ist die maximale Schrauben-
spannung σs,max im Querschnitt AT auszuwerten s. (Abb. 12).
Schraubenspannungsverlauf σs(MB) unter FMmax
700
750
800
850
900
950
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000
Blattwuzelmoment MB [kNm]
Sch
rau
ben
span
nu
ng
σσ σσs,
Bla
ttb
olz
en [
N/m
m²]
Zugbelastung - Schraubenspannung (AT) Rp0.2 / γM
Abb. 12: Schraubenspannungsverlauf unter FMmax im Querschnitt AT
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Da das untersuchte FEM-Modell die Torsionsbeanspruchung der Schrauben nicht berück-
sichtigt, muss diese für den Vergleichsspannungsnachweis zusätzlich nach VDI 2230 [5]
berücksichtigt werden.
Der Vergleichspannungsnachweis wird nach VDI 2230 [5] (R8/4) in Verbindung mit den in
der numerischen Berechnung ermittelten Spannungen aufgestellt.
p0,2min2
maxτ
2maxs,Bred, R)τ(k3σσ ≤⋅⋅+=
σs,max=888,15 N/mm² aus FEA
kτ=0,5, P
Gmax W
Mτ = ,
30P d
16π
W ⋅=
Aus Vorgabe der maximalen Montagevorspannkraft FMmax (s. Kap.4.2) ergibt sich nach [5] ein
Gewindemoment MG=590 Nm und das elastische Widerstandsmoment von WP=2715 mm³.
Die maximale Torsionsbeanspruchung ergibt sich dann zu etwa τmax=220 N/mm² im maßge-
benden Querschnitt AT. Der o.g. Vergleichsspannungsnachweis kann somit aufgestellt wer-
den:
p0,2min22
Bred, RN/mm² 940N/mm² 910220)(0,53888,15σ =<=⋅⋅+=
4.4 Betriebsfestigkeitsnachweis
Die Betriebsfestigkeit wird hingegen in Abhängigkeit des Schraubenspannungsverlaufes im
Spannungsquerschnitt AS des Gewindes nachgewiesen. Durch die vorgegebene äußere Be-
lastung ∆MB wird die Schraubenspannungsschwingweite ∆σS der Schraube ermittelt (s. Abb.
3 und Abb. 11). Dabei muss die über die lineare Schadensakkumulationshypothese nach
PALMGREN/MINER berechnete Schädigung D = Σdi = Σni/Ni ≤ 1 sein.
Die extremen und zyklischen Beanspruchungen werden mittels simulierter Lastzeitreihen,
welche das Anlagenverhalten und die stochastischen Windfeldverhältnisse berücksichtigen
erfasst. Die Momentenbelastungen um die x-Achse werden dabei als edgewise (Mx) und um
die y-Achse als flapwise (My) im mitdrehenden Sehnenkoordinatensystem bezeichnet, s. [3]
und Abb. 2.
In der Abb. 13 sind beispielhaft Lastzeitreihen dargestellt. Dabei ist die Mx Lastzeireihe durch
das Leistungsnivieau der WEA leicht nach oben versetzt, d.h. das Mittel dieser Zeitreihe
stellt (aufgrund der drei Rotorblätter) ein Drittel des Drehmomentes des Antriebes dar. Die My
Lastzeitreihe ist hingegen durch den Wert des Windruckes auf die Rotorfläche ausgeprägter
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im Lastniveau nach oben versetzt. Die weiteren Laständerungen ergeben sich aus den
Windfeldturbulenzen.
Lastzeitreihen
-1.00E+06
-5.00E+05
0.00E+00
5.00E+05
1.00E+06
1.50E+06
2.00E+06
2.50E+06
0
15
30
45
60
75
90
105
120
135
150
165
180
195
210
225
240
255
270
285
300
315
330
345
360
375
390
405
420
435
450
465
480
495
510
525
540
555
570
585
Zeit [s]
Mo
men
t [N
m]
My flapwise Biegemoment Blatt 1
Mx edgewise Biegemoment Blatt 1
Abb. 13: Zeitgleiche Lastzeitreihen Mx und My für eine Windklassierung bei Nennwind im 10min.
Mittel
Zur vereinfachten Berechnung ist es möglich, durch eine Auszählung der Lastzeitreihen und
deren Wichtung in Abhängigkeit der Auftretenshäufigkeit der Zeitreihe während der Entwurfs-
lebensdauer, z.B. mittels des Rainflowcounts, dreispaltige Markov-Maritze zu ermitteln. Die-
se beinhaltet die Lastinformation der Schwingweite ∆M, den Mittelwert Mmean und die Last-
spielzahl Ni.
Die meistbelastete Schraube kann somit anhand der Markov-Matrizen (aus Mx und My) unter
Berücksichtigung des Schraubenspannungsverlaufes ermittelt werden. Eine Überprüfung der
Betriebsfestigkeit der senkrecht zu Mx und My liegenden Schrauben ist durch die unter-
schiedlichen Lastzeitreihenverläufe (Mx und My) notwendig.
In Abb. 11 ist der minimale und maximale Wert des Biegemomentes an der Blattwurzel wäh-
rend der Betriebsbeanspruchung graphisch angegeben (Min / Max Betriebslast). Daraus ist
zu erkennen, in wie weit die Betriebslast sich im nichtlinearen Schraubenbeanspruchungsbe-
reich befindet.
In Abhängigkeit der nichtlinearen Schraubenspannungsverläufen (Abb. 11) unter FMmin und
der bekannten Belastungsmatrizen ist es somit möglich die Schraubenspannungskollektive
(s. Abb. 14) zu berechnen.
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Schraubenspannungskollektiv
0.00E+00
5.00E+00
1.00E+01
1.50E+01
2.00E+01
2.50E+01
3.00E+01
3.50E+01
0.0E+00 1.0E+08 2.0E+08 3.0E+08 4.0E+08 5.0E+08 6.0E+08 7.0E+08 8.0E+08 9.0E+08 1.0E+09
Lastspiele Nakk [-]
Sch
win
gw
eite
n-S
chra
ub
ensp
ann
un
g
[N/m
m²]
Abb. 14: Ermitteltes Schraubenspannungskollektiv unter Berücksichtigung des Spannungsni-
veaus (hier aus My)
Für eine möglichst genaue Lebensdauervorhersage der Verbindung ist die Berücksichtigung
der überlagerten Beanspruchung aus Biegemoment und Normalkraft in der Schraube erfor-
derlich.
Zur Ermittlung der Schädigung der Schraube ist die Gegenüberstellung des Ermüdungswi-
derstandes und der vorhandenen zyklischen Belastung notwendig. Der Schraubenwider-
stand ist hier durch die Kerbfallklasse 71 für schlussgerollte Schrauben unter Berücksichti-
gung des Teilsicherheitsbeiwertes nach [3] dargestellt. Aus der Gegenüberstellung (s. Abb.
15) ergibt sich nach linearen Schadenakkumulation eine Gesamtschädigung von D=0.86<1.
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Spannungskollektiv-Wöhlerlinie
1
10
100
1000
1.0E+00 1.0E+01 1.0E+02 1.0E+03 1.0E+04 1.0E+05 1.0E+06 1.0E+07 1.0E+08 1.0E+09
log Lastspiele Nakk [-]
log
Sp
ann
un
gss
chw
ing
wei
ten
∆
σ∆
σ∆
σ∆
σs [N
/mm
²]
KurzzeitfestigkeitWöhlerlinie m1Wöhlerlinie m2Spannungskollektiv
Abb. 15: Gegenüberstellung des Bauteilswiderstandes und der Beanspruchung
4.5 Weitere Nachweise
Zusätzlich zu den o.g. Nachweisen sind Pressungsnachweise in den Kontaktbereichen (z.B.
Laminat, Hülse, Lager, evtl. Zwischenflansch und Blattverstellungsplatte), die Einschraubtie-
fen (z.B. Hülse, Querbolzen, Rotornabe) und evtl. weitere Extrem- und Betriebsfestigkeits-
nachweise (z.B. Querbolzen) der Anschlussbauteile vorzusehen.
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5. Montage
5.1 Elastisch vorgespannte Schraubenverbindung
5.1.1 Vorspannen der Schraube
Die Vorspannung einer Schraube erfolgt am einfachsten nach VDI 2230 [5] im elastischen
Bereich des Schraubenwerkstoffes. Dabei geht die VDI 2230 in folgenden Schritten vor, die
hier nur skizzenhaft beschrieben werden:
• Ermittlung der Mindestmontagevorspannkraft FMmin (Kraft, die in der Schraube ge-
sichert vorhanden sein muss, um die Funktion der Schraubenverbindung zu gewähr-
leisten) aus den Eingangsgrößen
o erforderlicher Klemmkraft,
o gleichzeitige Aufnahme von äußerer Last sowie
o Setzungsverlusten,
• Ermittlung der Maximalmontagevorspannkraft FMmax = αA * FMmin (Anziehfaktor x
Mindestmontagevorspannkraft)
• Auswahl der Schraube nach dem nächst größeren Tabellenwert für die Montagevor-
spannkraft FMTab.
In Abb. 16 ist die Zugspannung in einer Schraube beispielhaft bei dieser Vorgehensweise
dargestellt.
0
100
200
300
400
500
600
700
800
900
1000
RP0.2 FMTab FMmax FMmin
Sp
ann
un
g i
n [
N/m
m²]
Abb. 16 Schraubenvorspannung nach VDI 2230 [5]
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Es wurde bei diesem Beispiel der Anziehfaktor αA = 1,6 für drehmomentgesteuertes Anzie-
hen verwendet.
Es ist zu erkennen, dass bei dieser Vorgehensweise und diesem Beispiel die Zugspannung
in der Schraube bei FMmin nur 460 N/mm2 beträgt, das entspricht lediglich ca. 50 % der Min-
destdehnspannung Rp0.2 des Werkstoffes. Der Rest wird sozusagen durch die erforderlichen
Abschläge für Einfluss der Montage und Einfluss der Torsionsspannung im Werkstoff „ver-
braucht“.
Leider kann die Schraubenvorspannkraft mit üblichen Montagemethoden nicht sehr exakt
aufgebracht werden. Deshalb ist ein relativ großer „Anziehfaktor αA“ als Aufschlag notwen-
dig. Zusätzlich ist zwischen dem Tabellenwert für die Montagevorspannkraft FMTab und der
Dehngrenze Rp0.2 des Werkstoffes ein Abstand notwendig, weil der Einfluss der Torsions-
spannung und ein Ausnutzungsgrad von 90% von Rp0.2 Berücksichtigung finden.
Das bedeutet, dass die tatsächliche Vorspannkraft in der Schraube nach der Montage nicht
exakt bekannt ist. Sie liegt zwischen FMmax (≤ FMTab) und FMmin. Diese Spanne muss bei der
Auslegung der Schraubenverbindung berücksichtigt werden.
5.1.2 Beanspruchbarkeit der Schraube
Bei der Auslegung der Schraubenverbindung wird diese Spanne in der Vorspannung wie
folgt berücksichtigt:
Bei der Ermittlung der maximalen Schraubenbeanspruchung zur Gegenüberstellung mit der
zulässigen Schraubenbeanspruchbarkeit (Extremlastnachweis) wird von der maximalen
Vorspannkraft nach der Montage plus der Belastung durch die äußere Last ausgegangen (s.
Kap. 4.3).
Bei der Ermittlung der Wechselbelastung auf die Schraube zur Gegenüberstellung mit der
Wöhlerlinie (Betriebsfestigkeitsnachweis) wird von der minimalen Vorspannkraft ausge-
gangen (s. Kap. 4.4). Dabei ist zu beachten, dass die Wechselbelastung der Schraube er-
heblich von der Vorspannung in der Schraube abhängt (s. Abb. 17).
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Deutlich zu erkennen ist die Abhängigkeit der Wechselbelastung der Schraube von deren
Vorspannung bei der Montage. Eine erhöhte Vorspannung bewirkt eine verminderte Wech-
selbelastung der Schraube.
5.1.3 Diskussion der Vorspannkraft
Es ist also gegeben, dass aus folgenden Gründen eine möglichst hohe Vorspannkraft in der
Schraube vorteilhaft ist:
• Bei gegebener Mindestmontagevorspannkraft FMmin ist eine möglichst kleine Schrau-
be wünschenswert und
• Die Betriebsfestigkeit der Schraube soll voll ausgenutzt werden.
Da die Einflussfaktoren
• Anziehfaktor αA und
• Abminderung der Streckgrenze durch die Torsionsspannung, die vom Anziehen her-
rührt,
Referenzvorspannung
Äußere LastMB
Spannung in der SchraubeσσσσS
Verminderte Vorspannung
Erhöhte Vorspannung
∆∆∆∆MB1
∆σ∆σ∆σ∆σSi
∆∆∆∆MB2
∆σ∆σ∆σ∆σSi
∆∆∆∆MB1 = ∆∆∆∆MB2
Referenzvorspannung
Äußere LastMB
Spannung in der SchraubeσσσσS
Verminderte Vorspannung
Erhöhte Vorspannung
∆∆∆∆MB1
∆σ∆σ∆σ∆σSi
∆∆∆∆MB2
∆σ∆σ∆σ∆σSi
Referenzvorspannung
Äußere LastMB
Spannung in der SchraubeσσσσS
Referenzvorspannung
Äußere LastMB
Spannung in der SchraubeσσσσS
Verminderte VorspannungVerminderte Vorspannung
Erhöhte VorspannungErhöhte Vorspannung
∆∆∆∆MB1∆∆∆∆MB1
∆σ∆σ∆σ∆σSi∆σ∆σ∆σ∆σSi
∆∆∆∆MB2∆∆∆∆MB2
∆σ∆σ∆σ∆σSi∆σ∆σ∆σ∆σSi
∆∆∆∆MB1 = ∆∆∆∆MB2
Abb. 17: Abhängigkeit der Wechselbelastung in der Schraube von deren Vorspannung (sche-
matisch)
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sehr großen Einfluss auf die Auslegung der Schraubenverbindung haben, wird ein Anzugs-
verfahren bevorzugt werden, welches diese beiden Faktoren minimiert.
Aus den folgenden Gründen kann eine hohe Vorspannkraft in der Schraube nachteilig sein:
• Mögliche Überlastung anderer Bauteile in der Schraubenverbindung (z.B. zu hohe
Flächenpressung am Querbolzen),
• Mögliche Forderungen nach Materialsicherheiten im Schraubenwerkstoff (z.B.
γM = 1,1 auf die Dehngrenze).
5.2 Überelastisch vorgespannte Schraubenverbindung
5.2.1 Allgemeines
Es ist auch möglich – und in Übereinstimmung mit VDI 2230 [5] – die Montage der Schraube
so zu gestalten, dass der Werkstoff der Schraube bei der Montage über die Dehngrenze hin-
aus belastet wird. Dabei wird dann mit geeigneten Verfahren die Dehnung der Schraube z.B.
durch einen definierten „Weiterdrehwinkel“ bei der Montage gesteuert.
5.2.2 Normdaten des Schraubenwerkstoffes
Bei der überelastischen Dehnung während der Montage werden die folgenden Eigenschaf-
ten des Werkstoffs der Schraube genutzt (DIN EN ISO 898-1 [6], hier am Beispiel der Fes-
tigkeitsklasse 10.9):
• Mindestwert der 0,2 % Dehngrenze (Rp0,2) 940 N/mm²
• Mindestzugfestigkeit (Rm, min) 1.040 N/mm²
• Mindestbruchdehnung (A) 9 %
Das heißt das Spannungs-Dehnungs-Diagramm des Werkstoffes wird schematisch wie folgt
aussehen:
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0
200
400
600
800
1000
1200
0 2 4 6 8 10
Dehnung (%)
Sp
ann
un
g (
N/m
m2)
Mindestwert der 0,2 % Dehngrenze (Rp0,2)
Mindestzugfestigkeit (Rm, min)
Mindestbruchdehnung (A)
Abb. 18: Spannungs-Dehnungs-Diagramm des „Normwerkstoffes“
Zum Zeichnen dieser Kurve war es notwendig, die folgenden Annahmen zusätzlich zu den
Werten aus DIN EN ISO 898-1 zu treffen:
• Elastizitätsmodul (E) 205.000 N/mm²
• Dehnung beim Erreichen von Rm 4 %
Hieraus folgt, dass nicht alle für das Dehnverhalten relevanten Parameter in der Werkstoff-
norm festgelegt sind. Es sind z.B. auch keine maximal zulässigen Werte für Rp0,2 und Rm
vorgegeben.
5.2.3 Versuche von Steurer
Aus Versuchsergebnissen von Steurer aus [6] Seite 124 wurden Werkstoffwerte aus den
Ergebnissen eines Zugversuches einer ganzen Schraube ermittelt.
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0 2 4 6 8 10
Dehnung (%)
Sp
ann
un
g (
N/m
m2)
Versuchsergebnisse an einer Schraube
Kurve „Normwerkstoff“
Abb. 19: Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines Versuchsergebnisses (Beispiel)
Steurer machte für die Veröffentlichung [6] Zugversuche von ganzen Schrauben mit Muttern.
Ziel dieser Versuche war, das Dehnungsverhalten von Schrauben zu untersuchen. Die Zah-
len für das dargestellte Beispiel sind von einem Versuch mit einer Schraube M20 der Festig-
keitsklasse 10.9 mit Gewinde bis zum Kopf. Die Schraube wurde auf eine freie Länge von
135 mm dem Zugversuch ausgesetzt und bis zum Bruch belastet. Die Umrechnung der
Schraubenkraft auf die Spannung erfolgte vom Autor mit der Querschnittsfläche AS.
Ein Ergebnis der Versuche von Steurer ist, das Schrauben der Festigkeitsklasse 10.9 sehr
gut für das überelastische Vorspannen geeignet sind, wenn die freie Gewindelänge groß
genug ist. Die besten Ergebnisse wurden mit Schrauben erreicht, deren Gewinde bis unter
den Kopf gehen.
5.2.4 Diskussion der Montage mit überelastischer Vorspannung
Die Vorteile dieses Montageverfahrens sind:
• Die verbesserte Ausnutzung des Schraubenwerkstoffes und
• Ein Teil der Torsionsspannungen in der Schraube baut sich durch das Plastifizieren
des Werkstoffes ab.
Als Nachteile dieses Verfahrens wird angesehen:
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• Die maximale Vorspannung in der Schraube kann nicht durch das Montageverfahren
begrenzt werden. Sie ist durch die Werkstoffwerte gegeben.
• Ein zu weites Drehen bei der Montage über die Dehnung beim Erreichen von Rm hin-
aus führt zu Einschnürungen in der Schraube und somit Schwächung der Schraube.
Ein solcher Fehler ist äußerlich nicht sichtbar.
• Die für die Auslegung des Montageverfahrens nötigen Parameter (z.B. Drehmoment
und Weiterdrehwinkel) sind rechnerisch schwer ermittelbar. Oft sind Versuche erfor-
derlich.
5.2.5 Anforderungen von GL Wind
Auf der Grundlage unserer Recherchen wurden an die Anwendung der überelastischen Vor-
spannung für Schraubenverbindungen, die der Zertifizierung an Windenergieanlagen unter-
liegen, die folgenden Anforderungen formuliert:
• Ermittlung der plastischen Dehnung bei der Montage,
• Ermittlung von eventuellen zusätzlichen plastischen Dehnungen bei der Einwirkung
eines Extremereignisses,
• Plastische Gesamtdehnung nicht über 1 % der Länge des Bereiches der Schraube,
der plastisch gedehnt wird,
• Ermittlung der möglicherweise verminderten Vorspannung nach einer eventuellen zu-
sätzlichen plastischen Dehnung bei der Einwirkung eines Extremereignisses,
• Betrachtung der Funktion der Schraubverbindung und der Betriebsfestigkeit der
Schraube mit 90 % der ermittelten möglicherweise verminderten Vorspannung und
• Verwendung der Werte von schlussvergüteten Schrauben beim Betriebsfestigkeits-
nachweis (Vorteile in der Betriebsfestigkeit durch das Rollen des Gewindes gehen
beim Vorgang des Plastifizierens verloren).
Bei der Berechnung der überelastisch vorgespannten Schraubenverbindung wird eine Viel-
zahl von Eingangdaten verwendet (z.B. Werkstoffdaten, Reibungswerte, Montagewerte, Ver-
suchsergebnisse). Es sind jeweils die ungünstigsten Werte aus der Streubreite dieser Daten
heranzuziehen.
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6. Literaturverzeichnis
[1] Dalhoff, P.; Dombrowski, A.;Lehmann, D.: Berechnung großer Flanschverbindungen von
Windenergieanlagen. Kassel: VDI Tagung 1998, www.gl-group.com/glwind > Wind En-
ergy > Publications > List of Publications
[2] Frese, T.; Dalhoff, P.: Fatigue Analysis of Bolted and Welded Joints. Wiesbaden:
NAFEMS Seminar 2000, www.gl-group.com/glwind > Wind Energy > Publications > List
of Publications
[3] Germanischer Lloyd WindEnergie GmbH „Richtlinie für die Zertifizierung von Windener-
gieanlagen”, Ausgabe 2004 mit Ergänzung 2004.
[4] Germanischer Lloyd WindEnergie GmbH “Guideline for the Certification of Offshore Wind
Turbines“, Edition 2005
[5] Verein deutscher Ingenieure VDI 2230 Blatt 1 „Systematische Berechnung hochbean-
spruchter Schraubenverbindungen, Zylindrische Einschraubenverbindungen“, Februar
2003
[6] DIN EN ISO 898-1 „Mechanische Eigenschaften von Verbindungselementen aus Kohlen-
stoffstahl und legiertem Stahl, Teil 1: Schrauben“ November 1999
[7] Anton Steurer „Trag- und Verformungsverhalten von auf Zug beanspruchten Schrauben“,
Institut für Baustatik und Konstruktion, Eidgenössische Technische Hochschule (ETH)
Zürich, Mai 1996