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Universität Trier FB IV – VWL OS Räumliche Wirkung des demographischen Wandels SoSe 2004 Leitung: Prof. Dr. Harald Spehl, Dipl. – Geogr. Michaela Gensheimer Datum: 27.07.2004
Binnenwanderungen zwischen Ost- und Westdeutschland seit 1990 – Darstellung der Zahl
und Struktur, Determinanten, zukünftige Entwicklung
Yasmin Büttgen Mustorstr. 4a 54290 Trier Tel. 0171/7085182 [email protected] 6.FS/ AGR Matr. – Nr. 688320
Inhaltsverzeichnis Seite Tabellenverzeichnis......................................................................................II Abbildungsverzeichnis.................................................................................II 1. Einleitung..................................................................................................1 2. Wanderungssalden und –volumen.........................................................2 3. Struktur – Geschlecht, Alter und Qualifikation der Migranten.............3
3.1 Geschlecht..........................................................................................5 3.2 Alter.....................................................................................................6 3.3 Qualifikation........................................................................................8
4. Räumliche Wanderungsmuster............................................................10
4.1 Ost – West – Ströme.........................................................................10 4.2 West – Ost – Ströme.........................................................................11
5. Determinanten – Gründe für die Abwanderung aus den neuen
Bundesländern........................................................................................12 6. Zukünftige Tendenzen und Fazit............................................................13 Literaturverzeichnis......................................................................................15
I
Seite Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung Deutschlands
1949 – 1999 (in 1000)....................................................................2 Tabelle 2: Wanderungen zwischen dem früheren Bundesgebiet und den neuen Ländern (einschl. Ost – Berlin) seit 1989....................4 Tabelle 3: Wanderung zwischen den neuen Ländern einschl.
Berlin – Ost und dem früheren Bundesgebiet nach Altersgruppen.......................................................................7
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Wanderungen zwischen dem Bundesgebiet und
der ehemaligen DDR bzw. den neuen Bundesländern, Januar 1989 bis September 1992..................................................3
Abbildung 2: Wanderungen zwischen den neuen Ländern
einschl. Berlin (Ost) und dem früheren Bundesgebiet 1989 bis 1999 (insgesamt absolute Zahlen).............................4
Abbildung 3: Binnenwanderungssalden der neuen Länder einschließlich Ost – Berlin nach Geschlecht.............................5
Abbildung 4: Wanderungen von Frauen und Männern zwischen
den neuen Ländern einschl. Berlin (Ost) und dem früheren Bundesgebiet 1991 bis 1999 (insgesamt – absolute Zahlen)..................................................6
Abbildung 5a: Wanderungssalden der neuen Länder einschließlich
Ost – Berlin nach Altersgruppen (Ausbildungs- und Arbeitsplatzwanderer).................................7
Abbildung 5b: Wanderungssalden der neuen Länder einschließlich
Ost – Berlin nach Altersgruppen (Familien- und Altenwanderer)................................................8
Abbildung 6: Höchster allgemein bildender Schulabschluss der
Fortgezogenen aus dem Freistaat Sachsen (2000/ 2001) und der sächsischen Bevölkerung ab 18 Jahre (2000)....................................................................9
Seite
II
Abbildung 7: Fortzüge aus den neuen Bundesländern einschließlich Berlin – 0st in die alten Bundesländer, 1991...........................10 Abbildung 8: Fortzüge aus den alten Ländern in die neuen Bundesländer einschließlich Berlin – Ost, 1991.............................................12 Abbildung 9: Hauptmotiv für den Fortzug aus Sachsen nach
Alter und Geschlecht...............................................................13
III
1. Einleitung Verfolgt man die Schlagzeilen der Tagespresse der letzten Wochen und Monate
zurück, so stößt man fast unweigerlich auf das Thema Zuwanderung. Die Debatte
und schließlich der Kompromiss zwischen der Bundesregierung und der Opposition
um das neue Zuwanderungsgesetz sowie die immer wieder aufflammende
Diskussion über die Bundesrepublik als „De-facto-Einwanderungsland“1 lassen
leicht vergessen, dass v.a. große Teile der neuen Bundesländer eher von
Abwanderung betroffen sind.
Wird doch über diese Problematik berichtet, so klingen die Überschriften der Artikel
teils recht alarmierend: „Warum gehst du nicht rüber?“2, „Wer kann, geht nach
drüben“3 oder „Ein Land blutet aus“4 sind nur einige Beispiele.
Auch die Regional- und Lokalpresse in vom Bevölkerungsrückgang betroffenen
(ostdeutschen) Regionen greift das Thema auf, wobei die Berichterstattung oft recht
einseitig ausfällt. Die Abwanderung aus den Regionen wird vordergründig
behandelt, der generelle Geburtenrückgang sowie auch West – Ost – Wanderungen
bleiben größtenteils unberücksichtigt5. Die Komplexität des Themas
Binnenwanderungen wird meistens nicht erkannt oder zumindest nicht erwähnt,
denn bei Wanderungsprozessen spielen neben externen Bedingungen und
demographischen Merkmalen auch zahlreiche subjektive Faktoren eine
entscheidende Rolle.
In der vorliegenden Arbeit sollen deshalb die Binnenwanderungen zwischen Ost-
und Westdeutschland seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 objektiv und nach
verschiedenen Gesichtspunkten beschrieben und analysiert werden. Zunächst wird
die Entwicklung der Wanderungssalden und – volumen im beschriebenden Zeitraum
betrachtet. Anschließend sollen das Geschlecht, das Alter sowie die Qualifikation
der Wandernden näher beleuchtet werden, um einen Eindruck über die Struktur der
Binnenwanderungen zu erhalten. Im Anschluss werden die Wanderungsmuster auf
räumlicher Ebene untersucht, um regionale Differenzierungen sowie Quell- und
Zielgebiete der Wanderungen nachvollziehen zu können. Im nächsten Schritt
werden die Determinanten, die die Ab- und Zuwanderungen bestimmen
herausgearbeitet und zuletzt zukünftige Entwicklungstendenzen der
Binnenwanderungen zwischen den alten und neuen Bundesländern aufgezeigt.
1 Werz, N. (2001): Abwanderung aus den neuen Bundesländern von 1989 bis 2000. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 39-40/ 2001, S.23 2 Schneyink, D. (2001): Warum gehst du nicht rüber? In: Der Stern vom 16.1.2001 3 Gerlach, T. (2001): Wer kann, geht nach drüben. In: Tageszeitung vom 9.3.2001 4 Schade, O. (2001): Ein Land blutet aus. In: Hamburger Abendblatt vom 19./ 20.4.2001 5 Vgl. Werz (2001), S.23
1
2. Wanderungssalden und Volumen Zur Einordnung der im folgenden beschriebenen Entwicklungen der
Binnenwanderungsströme seit der Wiedervereinigung sei kurz auf die
Bevölkerungsentwicklung in der ehemaligen DDR und in der BRD vor der Wende
hingewiesen. Die DDR war zwischen 1950 und 1980 einer der wenigen Staaten,
dessen Bevölkerung stetig abnahm (s. Tabelle 1) und daher ein De-facto-
Auswanderungsland6. Währenddessen konnte die Bundesrepublik seit 1950 eine
konstante Bevölkerungszunahme verzeichnen. Diese war zu einem großen Teil auf
die Zuwanderung von Ausländern (Gastarbeitern), Aussiedlern und ostdeutschen
Bürgern zurückzuführen7.
Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung Deutschlands 1949 – 1999 (in 1000)
Quelle: Werz (2001), S.25 Nach der Grenzöffnung zwischen der DDR und der BRD am 9. November 1989
begann eine beispiellose Auswanderungswelle aus der DDR. Allein im November
und Dezember 1989 verließen 207.000 Menschen den sich auflösenden Staat in
Richtung Bundesrepublik bei gleichzeitig kaum erwähnenswerten Zuzugsströmen
aus Westdeutschland. Insgesamt waren es in jenem Jahr über 388.000 Bürger, v.a.
bisher noch Unentschlossene, Solche, die schon auf gepackten Koffern gesessen
hatten oder eine Wiederherstellung alter gesellschaftlicher Verhältnisse
befürchteten8.
Im eigentlichen Wendejahr 1990 stieg die Zahl der Fortziehenden sogar noch weiter
auf 395.343 an. Damit war der Höhepunkt der Abwanderung erreicht. Die Zuzüge
6 Vgl. Werz (2001), S. 24 7 Ebenda, S. 25 8 Wendt, H.(1994): Wanderungen nach und innerhalb von Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Ost-West-Wanderungen. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Jg.19, Nr.4, S. 534
2
aus den alten Bundesländern erreichten mit 36.217 Menschen nur ca. 10% der
Fortzüge. Ab dem 1. Juli fielen durch die Bildung der Wirtschafts-, Währungs- und
Sozialunion der Übersiedlerstatus sowie die Eingliederungsbeihilfen für DDR –
Bürger weg. Am 3. Oktober desselben Jahres wurden die deutsch – deutschen
Wanderungen mit der Wiedervereinigung de facto und de jure zu
Binnenwanderungen9.
Abbildung 1: Wanderungen zwischen dem Bundesgebiet und der ehemaligen DDR bzw. den neuen Bundesländern, Januar 1989 bis September 1992
Quelle: Wendt (1994), S. 534
Ab 1991 begannen sich die Wanderungsströme von Ost nach West bzw. West nach
Ost allmählich anzunähern, die Wanderungsverluste der neuen Länder somit zu
verringern. Dies äußerte sich darin, dass die Zahl der Fortzüge aus den neuen
Bundesländern um über ein Drittel (37%) gegenüber dem Vorjahr abnahm, während
gleichzeitig die West – Ost – Wanderungen auf Grund von Rückwanderungen und
Zuzügen von höher qualifizierten Arbeitnehmern10 deutlich zunahmen11. Mit der
sogenannten Ausgleichsthese vermutete man mittelfristig sogar eine weitere
Angleichung der Wanderungsströme12 und nahm an, „dass der negative
Binnenwanderungssaldo der neuen Länder immer mehr abgebaut würde“13.
Tatsächlich hielt der Trend der sinkenden Fort- und steigenden Zuzüge aus den
bzw. in die ostdeutschen Bundesländer auch bis 1998 an (s. Tabelle 2). Seitdem
geht die Schere jedoch wieder auseinander14 (s. Abbildung 2). Die Zahl der
Abwandernden nimmt wieder zu, während die der Zuziehenden aus dem alten
Bundesgebiet stagniert bzw. wieder rückläufig ist. Allerdings lässt sich eine
9 Vgl. Wendt (1994), S. 534 und Werz (2001), S. 24 10 Vgl. Kemper, F.-J. (2003): Binnenwanderung in Deutschland: Rückkehr alter Muster? In: Geographische Rundschau, H.6, S.11 11 Vgl. Wendt (1994), S. 535 12 Vgl. Werz (2001), S. 25 13 Kemper (2003), S. 11 14 Vgl. Werz (2001), S. 25
3
unterschiedliche Entwicklung im Hinblick auf das Wanderungsverhalten von
Männern und Frauen feststellen, auf das jedoch erst im nächsten Kapitel näher
eingegangen wird.
Tabelle 2: Wanderungen zwischen dem früheren Bundesgebiet und den neuen Ländern (einschl. Ost – Berlin) seit 1989
Jahr Fortzüge aus den
neuen BL Zuzüge aus den alten
BL Wanderungssaldo ggü. den alten BL
1989 1990 1991 1992 1994 1996 1997 1998 1999 2000 200115
388 396 395 343 249 743 199 170 163 034 166 007 167 789 182 478 195 530 214 456 192 002
5 135 36217 80 267 111 345 135 774 151 973 157 348 151 750 151 943 153 179 94 427
- 383 261 - 359 126 - 169 476 - 87 825 - 27 260 - 14 034 - 10 441 - 30 728 - 43 587 - 61 277 - 97 575
Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt (2002): Datenreport 2002. Bevölkerung. S.51.
Abbildung 2: Wanderungen zwischen den neuen Ländern einschl. Berlin (Ost)
und dem früheren Bundesgebiet 1989 bis 1999 (insgesamt – absolute Zahlen)
Quelle: Werz (2001), S. 26
15 Ohne Berlin.
4
3. Struktur – Geschlecht, Alter und Qualifikation der Migranten Sowohl die Zu- als auch die Abwanderungen in die bzw. aus den neuen
Bundesländern werden hauptsächlich von bestimmten Personengruppen getragen.
Das bedeutet, dass die Migrationen sowohl, alters- als auch geschlechts- und z.T.
auch qualifikationsspezifisch selektiv sind. Im folgenden wird daher analysiert,
welche sozialen Gruppen die mobilsten sind.
3.1 Geschlecht Generell wandern mehr Frauen als Männer aus den neuen in die alten
Bundesländer ab. Besonders ländlich periphere Räume in Ostdeutschland sind
überdurchschnittlich stark von der Abwanderung von Frauen betroffen, die auf
Beschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten im Westen hoffen16.
So war der Binnenwanderungssaldo zwischen Ost und West 1994 bei den Männern
bereits fast ausgeglichen, 1996 und 1997 sogar leicht positiv (s. Abbildung 3).
Währenddessen war die Wanderungsbilanz aus Sicht der neuen Länder bei den
Frauen durchweg negativ, d.h. es sind mehr Frauen weg- als zugezogen17. Zwar
verbesserte sie sich ebenfalls im Zeitraum 1994 bis 1999 leicht, doch ein Ausgleich
des Saldos wurde nicht erreicht. Wie bereits in Punkt 2 erwähnt steigen die
Wanderungsverluste der ostdeutschen Bundesländer seit 1997 wieder an, sowohl
bei den Männern als auch bei den Frauen.
Abbildung 3: Binnenwanderungssalden der neuen Länder einschließlich Ost – Berlin nach Geschlecht
Quelle: verändert nach Kemper (2003), S. 11
16 Vgl. Kemper (2003), S.11 17 Vgl. Werz (2001), S. 25
5
Ausschlaggebend bei der Zusammensetzung der Salden ist allerdings nicht die Zahl
der Fortzüge aus den neuen Bundesländern, die zwischen den Geschlechtern
relativ wenig differiert, sondern die Zahl der Zuzüge. Hier lässt sich feststellen, dass
deutlich mehr Männer als Frauen nach Ostdeutschland ziehen (s. Abbildung 4).
1990 beispielsweise waren „67% aller Zuwanderer aus dem früheren Bundesgebiet
Männer zwischen 18 und 50 Jahren“18. Hält dieser Trend in Zukunft weiter an, so
wird sich die Geschlechterparität verschieben19 und damit den ohnehin schon
dramatischen Geburtenrückgang in den neuen Ländern weiter verschärfen.
Abbildung 4: Wanderungen von Frauen und Männern zwischen den neuen Ländern einschl. Berlin (Ost) und dem früheren Bundesgebiet 1991 bis 1999 (insgesamt – absolute Zahlen)
Quelle: Werz (2001), S.26 3.2 Alter Die Altersgruppen 18 – 24 und 25 – 29 Jahre sind besonders mobil20, durch sie wird
die negative Wanderungsbilanz der neuen Länder hauptsächlich verursacht. Unter
den 18 – 24jährigen Migranten sind außerdem besonders viele Frauen (s. Tabelle
3). Die Angehörigen dieser Altersgruppe werden nach ihrem hauptsächlichen
Wanderungsmotiv auch Ausbildungswanderer genannt, während die der Gruppe 25
– 29 Jahre als Arbeitsplatzwanderer bezeichnet werden21. In Abbildung 5a wird
sichtbar, dass die Salden beider Altersgruppen ähnlich verlaufen. Bereits ab 1995
werden die Wanderungsbilanzen ungünstiger, was sich 1997/ 98 noch verstärkt.
Es fällt allerdings auf, dass die Salden in der Altersgruppe 25 – 29 Jahre günstiger
sind als die der jüngeren Gruppe. Zwischen 1993 und 1997 konnten hier sogar
Wanderungsgewinne erzielt werden. Dies hängt damit zusammen, dass in dieser
18 Wendt (1994), S. 537 19 Vgl. Werz (2001), S. 25 20 Vgl. Kemper (2003), S. 12 21 Vgl. Ebenda, S. 12
6
Altersschicht die meisten Zuwanderungen aus dem Westen verzeichnet werden
können, insbesondere von Männern22.
Tabelle 3: Wanderung zwischen den neuen Ländern einschl. Berlin – Ost und dem früheren Bundesgebiet nach Altersgruppen
Quelle: Werz (2001), S. 26
Abbildung 5a: Wanderungssalden der neuen Länder einschließlich Ost – Berlin nach Altersgruppen (Ausbildungs- und Arbeitsplatzwanderer)
Quelle: Kemper (2003), S. 12
Die Verlaufskurven der anderen Altersgruppen unterscheiden sich deutlich, sowohl
untereinander als auch von den Ausbildungs- und Arbeitsplatzwanderern. Anhand
der Abbildung 5b wird ersichtlich, dass die Wanderungssalden der
Familienwanderer (unter 18 und 30 – 49 Jahre) bis 1997 günstiger werden, danach
jedoch beginnen abzufallen23.
Die einzige Gruppe, die seit 1996 Wanderungsgewinne in Ostdeutschland
verbuchen kann, ist die der sogenannten Altenwanderer, also der über 50jährigen
22 Vgl. Kemper (2003), S. 12 23 Vgl. Ebenda, S. 12
7
Migranten. Hierbei handelt es sich vor allem um Ruhesitzwanderungen,
Arbeitsmarktentscheidungen spielen in dieser Altersschicht, v.a. bei den über
65jährigen, kaum mehr eine Rolle24. Die Zahl der Rentner und Pensionäre, die sich
besonders in landschaftlich attraktiven Teilen der neuen Bundesländern, z.B. der
Ostseeküste oder der Mecklenburgischen Seenplatte niederlassen, steigt von Jahr
zu Jahr an25. Allerdings können die Altenwanderungen, obwohl sie zunehmen, die
massiven Wanderungsverluste der jüngeren Altersgruppen höchstens auf lokaler
Ebene kompensieren26.
Durch die Abwanderung von v.a. jungen und die Zuwanderung von alten Menschen
in die neuen Länder wird die Überalterung der Gesellschaft, verstärkt durch den sich
ohnehin in der gesamten Bundesrepublik vollziehenden demographischen Wandel,
dort vermutlich viele Probleme verursachen und verstärken. Durch den
Altersüberhang wird die z.B. soziale Infrastruktur in Zukunft nicht mehr ausgelastet
werden können, wird den neuen Bundesländern kreatives Potenzial entzogen und
innovativer Existenzgründung entgegengewirkt27.
Abbildung 5b: Wanderungssalden der neuen Länder einschließlich Ost – Berlin nach Altersgruppen (Familien- und Altenwanderer)
Quelle: Kemper (2003), S. 12 3.3 Qualifikation Ebenso wie bei den anderen beiden Strukturmerkmalen der Migranten zeigt sich
auch bei der Qualifikation die Selektivität der Wanderungen. So ziehen seit 1989 vor
allem gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitskräfte aus den neuen Bundesländern 24 Vgl. Ebenda, S. 12 25 Vgl. Werz (2001), S.26 26 Vgl. Kemper (2003), S. 12
8
in das frühere Bundesgebiet28. An der Abbildung 6 wird anhand des Beispiels
Sachsens ersichtlich, „dass unter den Fortgezogenen anteilig erheblich mehr
Personen die Fachhochschul- oder Hochschulreife besitzen als bei der sächsischen
Bevölkerung. Beim Volks- oder Hauptschulabschluss kehrt sich die Gewichtung
um29“.
Abbildung 6: Höchster allgemein bildender Schulabschluss der Fortgezogenen aus dem Freistaat Sachsen (2000/ 2001) und der sächsischen Bevölkerung ab 18 Jahre (2000)
Quelle: Gans/ Kemper (2003), S. 17 Eine Folge davon ist, dass in den neuen Bundesländern trotz der hohen
Arbeitslosigkeit vielerorts bereits ein z.T. erheblicher Fachkräftemangel herrscht,
was für einzelne Länder durchaus ein Wettberwerbshemmniss bei der Ansiedlung
industrieller Großprojekte sein oder werden kann30.
Auch in der umgekehrten Wanderungsrichtung, also von West nach Ost, sind die
vorwiegend männlichen Zuzügler (s. Punkt 3.1) in die neuen Länder (u.a.
sogenannte Leihbeamte, Manager, Akademiker, Studenten etc.) höher qualifiziert
als der Durchschnitt der örtlichen Bevölkerung31. Dabei bleibt offen, „ob die West –
Ost – Wanderungen als dauerhafte Umzüge gelten können oder ob nicht ein Teil
nur zeitweilig in die neuen Bundesländer umgezogen ist bzw. zumindest einen
längeren Zeitraum getrennt von ihren Familien lebt“32.
Grob zusammenfassend lässt sich zu diesem Kapitel feststellen, dass aus den neuen
Bundesländern mehr Frauen als Männer in das frühere Bundesgebiet abwandern, mehr 27 Vgl. Werz (2001), S. 30 28 Vgl. Gans, P./ Kemper, F.-J. (2003): Ost – West – Wanderungen in Deutschland – Verlust von Humankapital für die neuen Länder. In: Geographische Rundschau, H.6, S.16 29 Ebenda, S.16 30 Vgl. Werz (2001), S. 30 31 Vgl. Ebenda, S. 30
9
junge als alte und mehr höher- als geringqualifizierte Personen.Währenddessen
ziehen hauptsächlich gut ausgebildete Männer jungen bis mittleren Alters von West
nach Ost.
4. Räumliche Wanderungsmuster Die großräumigen Wanderungsströme von Ost nach West bzw. umgekehrt weisen
mehr oder weniger starke regionale Differenzierungen auf. Die einzelnen
Bundesländer unterscheiden sich z.T. erheblich voneinander was die Zu- und
Fortzüge betrifft.
4.1 Ost – West – Ströme Der größte Bevölkerungsrückgang (zusammengesetzt aus Abwanderung und
Geburtenrückgang) wurde im Zeitraum von 1989 bis 1999 in Sachsen verzeichnet,
dem bevölkerungsreichsten und dichtbesiedlsten der neuen Länder33. Allein im Jahr
1991 zogen über 72 500 Menschen aus Sachsen fort (s. Abbildung 7). An zweiter
Stelle der meisten Abwanderungen lag Sachsen – Anhalt, gefolgt von Thüringen
und Brandenburg. Aus Mecklenburg – Vorpommern und Berlin – Ost zogen
zahlenmäßig gesehen die wenigsten Personen weg. Allerdings hatte Mecklenburg –
Vorpommern 1991 mit 15,8 Fortzügen je 1000 Einwohner die höchste
Fortzugsintensität (Zahl der Fortzüge bezogen auf die Bevölkerungszahl)34.
Abbildung 7: Fortzüge aus den neuen Bundesländern einschließlich Berlin – Ost in die alten Bundesländer, 1991
Quelle: Wendt (1994), S. 536
32 Wendt (1994), S. 537 f. 33 Vgl. Werz (2001), S. 27 34 Vgl. Wendt (1994), S. 536
10
Bei näherer Betrachtung zeigen sich außerdem differenzierte Verteilungsmuster der
Fort- und Zuzugsströme innerhalb der neuen Länder35. So verlieren v.a. die
peripheren ländlichen sowie die altindustrialisierten Räume an Bevölkerung, ebenso
wie die Kernstädte36. Dem gegenüber stehen die relativ starken
Bevölkerungszuwächse in den Umlandkreisen der großen und mittleren Städte37.
Insgesamt gesehen zogen 1991 die meisten Personen aus Ostdeutschland nach
Bayern (22% aller Fortzüge), Baden – Württemberg (17,6%) und Nordrhein –
Westfalen (17,5%), wohl auf Grund der dortigen Wirtschaftsstruktur und
vergleichsweise günstigen Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes38, wobei sich die
Verteilungsmuster je nach Bundesland deutlich unterscheiden (s. Abbildung 7). Die
Hauptabwanderung erfolgt i.d.R. in das jeweils angrenzende Bundesland39.
4.2 West – Ost – Ströme Als einziges der neuen Länder kann Brandenburg durch die Zuwanderungen aus
dem Westen Bevölkerungsgewinne erzielen, alle anderen registrieren Verluste. Der
Hauptgrund ist in der Lage Berlins in der Mitte des Landes zu sehen, von dessen
Agglomerationsvorteilen es maßgeblich profitiert40.
1991 sah die Situation noch anders aus: zu diesem Zeitpunkt konnte Sachsen die
meisten Zuzüge für sich verbuchen, erst mit einigem Abstand gefolgt von Thüringen
(s. Abbildung 8).
Damals kamen die meisten Migranten aus Bayern (15 800), Nordrhein – Westfalen
(12 700) und Baden – Württemberg (12 500) in die neuen Länder41.
35 Vgl. Ebenda, S. 536 36 siehe hierzu Kemper (2003), S. 13 und Wendt (1994), S. 536 37 Vgl. Kemper (2003), S. 13 38 Vgl. Wendt (1994), S. 536 39 Vgl. Werz (2001), S. 28 40 Vgl. Ebenda, S. 27 41 Vgl. Wendt (1994), S. 537; Aktuelle Daten über die Herkunftsgebiete der Zuwanderer lagen bis zum Abschluss dieser Arbeit nicht vor.
11
Abbildung 8: Fortzüge aus den alten Ländern in die neuen Bundesländer einschließlich Ost – Berlin, 1991
Quelle: Wendt (1994), S. 537
5. Determinanten – Gründe für die Abwanderung aus den neuen Bundesländern
Ganz allgemein sind „Wanderungen Reaktionen auf regionale Disparitäten
gesellschaftlicher Bedingungen, auf sich verändernde politische, soziale wie
ökonomische Gegebenheiten, die jedoch subjektiv unterschiedlich reflektiert
werden“42. Diese immer noch bestehenden regionalen Disparitäten zwischen Ost-
und Westdeutschland werden auch nach wie vor als die wichtigsten Push –
Faktoren für die Abwanderung aus den neuen Bundesländern angesehen43 und
auch für die Nicht – Rückkehr der Fortgezogenen.
Der wichtigste Grund für einen Wegzug aus dem Osten ist ein neuer oder besserer
Arbeitsplatz am Zielort in den alten Ländern. Dies gaben bei einer Befragung im
Freistaat Sachsen im Jahr 2002 insgesamt 40,4% der Fortzügler als
Wanderungsmotiv an44 (s. Abbildung 9). Dem Arbeitsplatzmotiv folgen mit 30,1%
persönlich bzw. familiäre Motive, insbesondere der Nachzug zum Ehe- bzw.
Lebenspartner, und die besseren Verdienstmöglichkeiten im Zielgebiet mit 12,3%.
Allerdings gibt es Differenzierungen zwischen den Geschlechtern und den
Altersgruppen, wie sie bereits in den Punkten 3.1 und 3.2 beschrieben wurden. Bei
einem Blick auf die Abbildung 9 bestätigt sich, dass Angehörige der Altersgruppe 18
– 21 Jahre Studium und Ausbildung besonders oft als Abwanderunsggrund
angeben, insbesondere die weiblichen Personen. In den älteren Gruppen verschiebt
sich die Gewichtung v.a. bei den Männern zunehmend in Richtung 42 Wendt (1994), S. 517 43 Vgl. Ebenda, S. 538
12
Arbeitsplatzmotiv, während bei den Frauen auch persönlich und familiäre Gründe
eine große Rolle spielen. Auch der höhere Verdienst scheint den Männern wichtiger
zu sein als den Frauen. Wie bereits an früherer Stelle festgestellt wurde, spielt der
Arbeitsplatz als Grund in der Altersgruppe ab 50 Jahren nur noch eine sehr
untergeordnete Rolle und persönliche und familiäre Motive überwiegen.
Sonstige Gründe, die eine hohe Abwanderungsbereitschaft bei den Bürgern aus
den neuen Ländern verursachen, sind beispielsweise die z.T. belastenden
Umweltbedingungen, z.B. in der Nähe ehemaliger Schwerindustriestandorte aus
DDR – Zeiten, die jedoch nach und nach saniert werden und auch Unsicherheiten
auf dem Wohnungsmarkt45, z.B. was die Besitzverhältnisse angeht. Diese Gründe
werden sich mit fortschreitender Zeit allerdings weiter relativieren.
Abbildung 9: Hauptmotiv für den Fortzug aus Sachsen nach Alter und
Geschlecht
Quelle: Gans, Kemper (2003), S. 17 6. Zukünftige Tendenzen und Fazit Ging man Mitte der 1990er Jahre noch davon aus, dass sich die Wanderungsströme
zwischen West und Ost mittelfristig angleichen würden (Ausgleichthese)46, so sind
sich die meisten Bevölkerunsgexperten heute einig, dass die Ost – West –
Wanderung, wenn auch in abgeschwächter Form, weiter anhalten wird.
Modellrechnungen des Innenministeriums veranschlagen ein Wanderungssaldo von
300 000 Personen bis zum Jahr 2015 zu Gunsten der alten Bundesländer, danach
44 Vgl. Gans/ Kemper. (2003), S. 17, auch die folgenden Ausführungen stützen sich auf diese Quelle 45 Wendt (1994), S. 538 46 Vgl. Kemper (2003), S. 11
13
soll sich die innerdeutsche Wanderungsbilanz allmählich ausgleichen47. Man muss
also neben dem ohnehin dramatischen Bevölkerungsverlust durch den
Geburtenrückgang in den neuen Ländern in Zukunft davon ausgehen, dass sich die
ostdeutsche Bevölkerung auch weiterhin durch Abwanderung reduzieren wird.
Durch die spezifischen Wanderungsszenarien in den einzelnen Ländern wird
weiterhin angenommen, dass sich regionale Disparitäten innerhalb der neuen
Bundesländer zunehmend verstärken werden48. Damit wird auch eine Veränderung
der Siedlungsstruktur einhergehen. die sich vermutlich in großräumigen
Konzentrationsprozessen auf die Kernstädte und ihr Umland äußern wird49.
Auch die bereits heute große Zahl der Wohnungsleerstände50 wird sehr
wahrscheinlich zunehmen, was zu einem weiteren Verlust von Stadtkultur und
Regionalbewusstsein der örtlichen Bevölkerung führen und somit die
Abwanderungsbereitschaft erhöhen kann.
Ebenso bedeutsam wie die Wanderungsverluste der neuen Länder ist die
Selektivität der Abwanderungsprozesse. Wie bereits erwähnt wird es durch die
Abwanderung von v.a. jungen und höher qualifizierten Personen sowohl zu einem
massiven Altersüberhang in der Bevölkerung als auch zu einem erheblichen
Fachkräftemangel trotz hoher Arbeitslosigkeit kommen, was die
Wettbewerbsfähigkeit der neuen Bundesländer zunehmend einschränken und
soziale Problem verschärfen wird.
Es besteht also auch vierzehn Jahre nach der deutsch – deutschen
Wiedervereinigung noch massiver Handlungsbedarf, um die z.T. gravierenden
Disparitäten zwischen alten und neuen Bundesländern auszugleichen und so die
Abwanderung zu bremsen bzw. Anreize für Zuwanderung oder die Rückkehr in die
neuen Länder zu schaffen.
47 Vgl. Bundesministerium des Innern (2000): Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 2050. Berlin, S. 8, 13, 50 48 Vgl. Werz (2001), S. 28 49 Vgl. Ebenda, S. 28 50 Im Dezember 2000 standen in den neuen Bundesländern 380 000 Wohnungen leer, vgl. Werz (2001), S. 29
14
Literaturverzeichnis • Bundesministerium des Innern (2000): Modellrechnungen zur
Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 2050. Berlin, S. 8, 13, 50
• Gans, P./ Kemper, F.-J. (2003): Ost – West – Wanderungen in Deutschland –
Verlust von Humankapital für die neuen Länder. In: Geographische Rundschau, H.6, S. 16 – 18.
• Gerlach. T. (2001): Wer kann, geht nach drüben. In: Tageszeitung vom 9.3.2001 • Kemper, F.-J. (2003): Binnenwanderungen in Deutschland – Rückkehr alter
Muster? In: Geographische Rundschau, H.6, S. 10 – 15. • Schade, O. (2001): Ein Land blutet aus. In: Hamburger Abendblatt vom 19./
20.4.2001 • Schneyink, D. (2001): Warum gehst du nicht rüber? In: Der Stern vom 16.1.2001 • Statistisches Bundesamt (2002): Datenreport 2002. Bevölkerung. S. 50 ff. • Wendt, H. (1994): Wanderungen nach und innerhalb von Deutschland unter
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