biotechnologische leckerbissen || stumpfe wunderwaffe(3)

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Bevor wir den Test für Krankheitserreger er- klären, möchten wir noch eine andere Ge- schichte erzählen. Was passiert, wenn ein völlig neues Virus auftaucht? SARS war so ein Beispiel. Der SARS-Ausbruch begann in Hongkong Ende Februar 2003. Ein unbekanntes Virus, Antibiotika also zwecklos! 16 Gäste des Metropol -Hotels steckten sich mit der rät- selhaften Lungenkrankheit an. Im Zimmer 911 des Hotels hatte ein infizierter Arzt aus der chinesischen Provinz Guang- dong gewohnt. Der Infizierte war nur über den Flur des Hotel gelaufen, hatte den Lift genommen, dabei aber unaufhörlich gehustet. Ein sogenannter Superverbreiter (Super-Spender )... Nie im Leben werde ich das gespenstische Treffen der Bio- Experten Hongkongs in meiner Uni im März 2003 vergessen. Ein streng von der Polizei bewachter Saaleingang, Einlass nur nach persönlicher Identifizierung. Ein panischer Regierungsvertreter zeigte uns den Zeitver- lauf der Virus-Erkrankungen in Hongkong. Die Kurve stieg exponentiell steil an. Schockierend war aber die zweite Kurve: die Zahl der infi- zierten Ärzte und Schwestern! Diese hatte den selben Verlauf, nur mit etwa einer Woche Verzögerung! Unruhe brach unter den Experten im Saal aus: Was pas- siert, wenn das gesamte medizinische Personal der Stadt SARS- infiziert ist? Wer sollte dann helfen? Die Chinesische Volksbefreiungsarmee? Am 2. April hatte die WHO eine Reisewarnung für Hong- kong erlassen. Meine geliebte turbulente Stadt wurde zur Gei- sterstadt: kein Mensch auf der Straße! Schulen wurden geschlossen. Wir hielten Vorlesungen vor der Kamera, die Stu- Stumpfe Wunderwaffe(3) 14.05.11 88 R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen, DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_27, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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Bevor wir den Test fürKrankheitserreger er-klären, möchten wirnoch eine andere Ge-schichte erzählen.

Was passiert, wenn ein völlig neues Virus auftaucht? SARSwar so ein Beispiel. Der SARS-Ausbruch begann in HongkongEnde Februar 2003. Ein unbekanntes Virus, Antibiotika alsozwecklos!

16 Gäste des Metropol -Hotels steckten sich mit der rät-selhaften Lungenkrankheit an. Im Zimmer 911 des Hotelshatte ein infizierter Arzt aus der chinesischen Provinz Guang-dong gewohnt. Der Infizierte war nur über den Flur des Hotelgelaufen, hatte den Lift genommen, dabei aber unaufhörlichgehustet. Ein sogenannter Superverbreiter (Super-Spender )...

Nie im Leben werde ich das gespenstische Treffen der Bio-Experten Hongkongs in meiner Uni im März 2003 vergessen.

Ein streng von der Polizei bewachter Saaleingang, Einlassnur nach persönlicher Identifizierung.

Ein panischer Regierungsvertreter zeigte uns den Zeitver-lauf der Virus-Erkrankungen in Hongkong. Die Kurve stieg exponentiell steil an.

Schockierend war aber die zweite Kurve: die Zahl der infi-zierten Ärzte und Schwestern! Diese hatte den selben Verlauf,nur mit etwa einer Woche Verzögerung!

Unruhe brach unter den Experten im Saal aus: Was pas-siert, wenn das gesamte medizinische Personal der Stadt SARS-infiziert ist? Wer sollte dann helfen? Die ChinesischeVolksbefreiungsarmee?

Am 2. April hatte die WHO eine Reisewarnung für Hong-kong erlassen. Meine geliebte turbulente Stadt wurde zur Gei-sterstadt: kein Mensch auf der Straße! Schulen wurdengeschlossen. Wir hielten Vorlesungen vor der Kamera, die Stu-

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88R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen,DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_27, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

denten sahen uns zu Hause. Die schlechten Examensergeb-nisse zeigten übrigens, dass der Kontakt im Hörsaal doch wich-tig ist. Sieben Wochen später, am 23. Mai 2003, war der Spukvorbei: Dank der hohen Disziplin der Hongkonger war dieKrankheit isoliert worden.

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Der Flughafen hat bis zum heutigen Tag eine Infrarot- Kon-trolle für die Einreisenden, sie fischt Leute mit Fieber heraus.

Mithilfe umfassender Quarantäne und Reisekontrollenkonnte die Lungenkrankheit eingedämmt werden, die über800 Patienten das Leben kostete. Mehr als 8400 Menschenin über 24 Ländern infizierten sich.

Es gab zu der Zeit allerdings nur zwei Indikatoren fürSARS: das Fieber und einen Gentest, der mit der Polymerase-Ketten-Reaktion (nachzulesen in Ein Löffelchen voll Biotech-nologie, S.94, Heidelberg 2010) mehrere Stunden dauerte.Unser Neopterin-Schnelltest hätte damals Leben retten kön-nen.

Ein Fall war besonders schlimm: Die Erkrankungen warenaußer im Hotel Metropol in einem anderen Gebäude-Kom-plex gehäuft. In Amoy Gardens gab es 321 Fälle, davon 41 Prozent in Block E. Seltsamerweise war nur ein Aufgang be-troffen. Die Ausbreitung war vertikal verlaufen.

Warum? Kakerlaken? Das Rätsel wurde später gelöst: Ein Mann aus Shenzen

hatte die Familie seiner Schwester besucht. Er war an SARS er-krankt und litt unter dem typischen Durchfall. Undichte Toi-lettenleitungen und Fußboden-Entwässerungsleitungen mitausgetrockneten Trapsen brachten die Erreger in darunter lie-gende WCs. Die Ventilatoren der Toiletten erzeugten den sau-genden Unterdruck.

Leider kannten wir damals Neopterin noch nicht. Tests mit alten, tiefgefrorenen SARS-Proben zeigen aber:Unser Neopterin-Test hätte die Erkrankung in fünf Minuten erkannt!

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