blessing vorschau frühjahr 2015

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Bus nach Florida wollte Diane nicht Chics Hand halten, die wie ein toter Fisch auf seinem Knie lag. Sie würdigte sie keines Blickes und stellte sich schlafend. Dann gab sie es auf und starrte wütend auf den Hut d annes vor ihnen. Dabei war sie sonst überhaupt nicht so. Während des letzten Monats hatte sie die ganze Zeit wie ein Wasserfall über ihre bevorstehende Hochzeitsreise geredet – das müssen wir unbedingt machen, u es müssen wir unbedingt machen, das auch und das noch und das sowieso –, und jetzt, wo es so weit war, knirschte sie so laut mit den Zähnen, dass er es hören konnte. Bei einer Pause in Kentucky fragte er sie, ob e Limo- nade oder etwas zum Knabbern wolle. Sie starrte bloß schmol- lend aus dem Busfenster. Im Tankstellenladen kauſte er sich am Automaten eine Flasche Coca-Cola, dann beobachtete er durch die Fliegentür e ar Navy-Leute, wie sie einen kleinen Hund mit einem Stock triezten. Plötzlich musste er an Lijy denken, die Frau seines Bruders. Was sollte diese Rückenmassage bei der Feier? Der alte Mann an der Kasse meinte: »Die uman gehört nicht nach Washington.Wallace, ja, den hätte ich gewählt. Das heißt, wenn ich jemanden gefunden hätte, der auf meinen La- den aufpasst, damit ich wählen gehen kann.« Chic nahm einen Schluck von d ca-Cola. »Aber keine Chance. Mein Sohn will nichts damit zu tun haben. Und meine Frau, die sitzt den ganzen Tag an der Näh- maschine.« »Die tun dem Hund noch weh«, sagte Chic. »Ach wo. Der Hund ist zäh. Einm ihn ein Laster an- gefahren, und er ist einfach aufgestanden und hat weitergebellt. Wie dieser Hund sind wir alle.Wir bellen immer weiter.« Chic kramte ein Zehncentstück aus der Tasche. Er hatte Lust auf Käsefli ey, wohin fährt der Bus?«, fragte der Alte. »Nach Florida. Danach, weiß ich nicht. Zurück wahr- scheinlich.« »Wissen Sie, was ich in Florida machen würde? Das Flo- rida Wildlife Institute besuchen. Hab gehört, da gib bino- krokodile.« »Glaub nicht, dass das meiner Frau gefallen würde.« »Sie sind verheiratet?« »Ja, Sir.« Chic legte sein Geld auf die eke. »Trotzdem, ich würde mir das Wildlife Institute ansehen an Ihrer Stelle.Weg er Frau lässt man sich doch kein Albino- krokodil entgehen.« »Haben Sie schon mal eins gesehen?« »Nur davon gehört.« Auf der Weiterfahrt stopſte sich Chic Käseflips in den Mund. Er dachte an dieses Albinokrokod hatte noch nie einen Albino gesehen. Mit ihm war ein Junge in die Grundschule ge- gangen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte. Er hatte hellblondes Haar, und alle sagten, er sei ein Albino. Aber d mmte nicht. Albinos hatten rosa Augen, und die des Jungen waren blau. Später zog er weg. Was wohl aus ihm geworden war? Wahrscheinlich hatte er irgendwo die High- school besucht, geheiratet und sich eine Arb ucht. »Manchmal begreife ich dich einfach nicht, Chic Wald- beeser.« Er sah seine frisch angetraute Ehefrau an. Der Zorn in ihr arbeitete sichtbar wie ein rotierender Bohrer. »Du hast seit …« Er schaute auf seine U eit zwölf Stun- den kein Wort mit mir geredet. Und auf einmal erzählst du mir, dass ich nicht zu begreifen bin.Was ist denn los mit dir?« Sie wandte sich ab und starrte wieder zum Fenster hinaus. Der Bus kam an eine kat vorbei, auf dem stand: »Fahren Sie vorsichtig. Das Leben, das Sie retten, könnte Ihr eigenes sein.« Ihm war klar, dass er sich jetzt wirklich anstrengen musste. Also hielt er ihr einen Käseflip unter die Nase. »Willst en? Die sind gut.« Sie legte den Kopf an die Scheibe und tat, als würde sie schlafen. Chic aß den Flip selbst. Zweimal stieß er sie leicht mit dem Ellbogen an. Dann bohrte er ihr den Zeigefinger in den Arm. Nach ungefä er Minute schlug sie die Augen auf und sagte: »Hörst du bitte auf damit.« »Warum bist du so sauer?« »Das weißt du ganz genau.« Sie schloss die Augen. Wieder stieß er leicht ihren Arm an – einmal, zweimal, drei- m rmal. »Wenn du nicht damit auörst, schreie ich.« Er aß seine Flips auf und schaute sich nach den anderen Fahrgästen um. Die Navy-Leute saßen ganz hinten und unter- hielten sich flüsternd. Eine Erdnuss flog dur n Gang und landete auf der Frau gegenüber von Chic. Chic drehte sich um und sah, dass die Navy-Leute kicherten. Einer hielt sich sogar die Hand vor den Mund. Die Frau wischte sich den Arm ab. Sie war in Carbond gestiegen und hatte dem Fahrer erzählt, dass sie ihre Granny in Pensacola besuchen wollte. Er schielte hinüber zu Diane, um zu erkennen, ob sie noch schlief. Ihre Augen waren geschlossen. In der Highschool hatte C eine Freundin gehabt. Immer wenn er sich einem Mädchen näherte, erstarrte er, und seine Zunge fühlte sich an wie ein Schwamm. Dabei war er gar nicht unattraktiv mit seiner Bürstenfrisur, der umgeschlagenen Le d dem gestärkten weißen T-Shirt, doch wegen seiner verwirrten Miene wirkte er leicht zurückgeblieben. Wenn er ein Zimmer betrat, war er sich nicht sicher, wo er hinsollte, also blieb er im Türrahmen stehen und lö en Stau aus. Bei den Lehrern und anderen Erwachsenen war er beliebt. Er lä- chelte viel, schnitt sich regelmäßig die Fingernägel, sagte im- mer »Bitte« und »Danke« und sprach Frauen mit »Ma’am« an. Im Novemb er bei einem Footballspiel in Middleville auf der Tribüne saß, kam Diane auf ihn zu und erklärte ihm, dass sie erwarte, von ihm, Chic Waldbeeser, nach dem Spiel in die Milchbar eingeladen zu werden. Er war mit ein uppe an- derer Jungen da, Jungen wie er, kaum der Rede wert, die auf einen Schlag verstummten und mit gereckten Hälsen zu Diane aulickten. Diane von Schmidt kannten alle. Ihr Vater war Mathematiklehrer, ab benahm sich nicht wie die Tochter eines Mathematiklehrers. Zu den Schulbällen erschien sie in Pumps. Zwei Jahre lang war sie fest mit Randy Rugaard zu- sammen gewesen, der im Sportunterricht damit geprahlt hat ss sie ein heißer Feger war. Damit meinte er, dass sie eine Wildkatze war. Und damit meinte er, dass sie ihm einiges ab- verlangte. Nach einem gemeinsamen Eis saßen sie auf den Vordersit- zen des viertürigen Plymou n Chics Mutter, und Diane drückte ihren Mund auf Chics Lippen. Kichernd löste sie sich nach einigen Sekunden von ihm und wischte sich den Mund ab. Dann fragte sie: »Was wünschst du dir mehr als alles andere a t Selbststeuerung lässt sich im Leben vieles, ohne sie nichts erreichen. Ihre wahre Bedeutung liegt jedoch nicht in der Ansteuerung hehrer oder spektakulärer Ziele. Ihr tiefer Sinn liegt darin, unser ganz eigenes, wahres L n zu leben und zu uns selbst, zu unserer jeweils ureigenen Identität zu finden. Wer -wie es ein Kleinkind tut- nur seinen spontanen Impulsen nachgibt oder unvermittelt und ohne Sinn und Verstand nach allem greiſt, s es einverleibt oder alles haben muss, was ihm hingehalten wird, hat kein Selbst. Die Weisheit unserer Sprache verrät es: Wir können uns selbst verlieren. Wir können uns nicht nur an unsere Impulse und Affekte verlier ndern auch an Dinge, Waren und an die auf uns einwirkenden Reize. Ein Selbst, auch das kann man am sich entwickelnden Kleinkind beobachten, entsteht erst dann, wenn wir etwas Abstand zu unseren Emotionen, n Objekten und den Reizen der uns umgebenden Welt halten können, wenn wir damit beginnen innezuhalten und darüber nachzudenken, was wir eigentlich wirklich wollen. Zum Selbst gehört also, einen Plan zu hab d auf dieser Grundlage etwas besonders Beglückendes zu tun, nämlich für sich eine eigene, ganz individuelle Zukunſt zu entwerfen. Ich werde nicht nur zeigen, dass Menschen -entgegen dem, was uns immer wied isgemacht werden soll- einen freien Willen haben, mit dem wir uns steuern und unser individuelles Selbst leben können. Ich möchte auch den heilsamen Einfluss deutlich machen, der von einer intakten Selbststeueru unsere Gesundheit ausgeht. Wo kein Selbst ist, kann es auch keine Selbststeuerung geben. Das Glück, ein Selbst zu fühlen, ist fast jedem Menschen widerfahren, auch wenn sich manche gar nicht mehr erinnern. Wa r es, als wir erstmals im Leben ein großes Gefühl von Selbst-Sein und der damit verbundenen Freiheit verspürten? Die frühesten derartigen Momente, an die wir uns erinnern können, beschreiben meist Situationen v oßer Einfachheit und Natürlichkeit, Situationen jedenfalls, in denen Konsumartikel aus dem Warenarsenal unserer Wohlstandsgesellschaſten kaum eine Rolle spielen. Manche erinnern einen ersten derartigen Mom hon für ihr Kindesalter, etwa beim ersten freien Gehen. Die meisten datieren das Gefühl eines ersten tief erlebten Selbst-Seins aber in die Zeit am Ende der Adoleszenz. Oſt werden erste Reisen erinnert, die typischerwe t geringsten finanziellen Mitteln bestritten werden mussten. Häufig ist es auch der Auszug von zuhause, das erste bescheidene eigene Zimmer, die erste sexuelle Begegnung oder ein tiefgehendes Naturerlebnis, welch r mit einer ersten Erfahrung der Selbststeuerung verbinden. Interessanterweise war es für viele Menschen ein bewusstes Handeln gegen die Konvention oder ein absichtsvoll herbeigeführtes Verzichtserlebnis, welch t einem erstmaligen tiefen Gefühl der Selbstbestimmung verbunden war. Selbst sein heißt auch: Anders sein als die anderen. Doch was ist aus uns geworden, was hat das Leben mit uns gemacht, was haben wir -dur s Leben- mit uns machen lassen? Viel häufiger als uns bewusst ist folgt unser Verhalten im Alltag nicht dem, für was wir mit unserer Identität tatsächlich stehen, also dem, was wir wirklich gerne tun würden oder htig halten. Stattdessen leben wir weitgehend in Routine. Unser Verhalten folgt in großem Umfang dem Druck der Anpassung an das, was andere tun oder den Automatismen zwischen Reiz und Reaktion. Inwiew ht unser Leben über den Mini-Horizont wirklich noch hinaus, der vom Signalton aus einem unserer vielen medialen Gadgets zu unserer sofortigen Antwortreaktion reicht, oder vom kostenlos angebotenen Snack zu ortigen Konsum desselben? Zur Überflutung mit Reizen und Waren hinzu kommt die Hetze. Der Umstand, dass über sieben Milliarden Menschen ihren Anteil an den begrenzten Ressourcen unserer Erde suchen, zwin s zur Arbeit, was viele wenig beeinflussbare Abhängigkeiten nach sich zieht. Die Notwendigkeit zu arbeiten beschert uns einen Zustand fortwährender Geschäſtigkeit, den wir Stress nennen. Auch an diesen Zusta ben sich -ähnlich wie an den Zustand des Konformismus und des andauernden Konsums- viele aber schon so gewöhnt, dass sie auch dann, wenn es möglich wäre, nicht aus ihm aussteigen können. Möglichkeiten z bstbestimmung werden uns nicht nur genommen, wir nehmen sie uns auch selbst. Weit mehr als erforderlich, unterwerfen wir uns dem Druck des Konformismus und der Anpassung an die vermuteten Erwartung derer. Der Überfluss und die allgegenwärtige Verfügbarkeit von billigen, oſt minderwertigen und ungesunden Nahrungs- und Genussmitteln haben viele zu Abhängigen, beinahe zu Süchtigen werden lassen. Die an s antastischen Möglichkeiten, die uns Computer, Smartphones und soziale Netzwerke bieten, haben begonnen unsere Freiheit und Selbstbestimmung fast sklavenartig einzuengen. Mehr als vier Fünſtel sind, Umfrag s den USA zufolge, zum Abspannen und Nachdenken gar nicht mehr in der Lage. Unverhoe Gelegenheiten zum Innehalten -und erst Recht zur Muße- bringen manche Zeitgenossen paradoxer Weise in große Schw keiten. So versetzten sich zahlreiche Teilnehmer eines wissenschaſtlichen Experiments während einer ihnen gewährten 15-minütigen Auszeit lieber freiwillig kurze Stromstöße mit einem zufällig bereitstehenden Ge statt einfach nichts zu tun, nur um keine Langeweile mit sich selbst zu erleben. Wer kein Selbst hat, möchte diese missliche Tatsache lieber gar nicht erst entdecken. Wie finden wir den Weg aus einer von Selbst-Verlu lorener Selbstbestimmung und Stress gekennzeichneten Situation? Angesichts vieler Abhängigkeiten und Zwänge, in die wir uns hineinbegeben haben, wünschen sich viele Menschen die Möglichkeit zu einem Befr gsschlag. Doch diese Option würde nichts zum Besseren wenden. Lebensgewohnheiten und Verhaltensmuster sind in Netzwerken unseres Gehirns festgeschrieben und lassen sich nur im Laufe eines längeren Lern- u ungsprozesses verändern. In welche Richtung sollte dieser Prozess gehen? Das Ziel sollte sein, Freiheitsgrade zu erhöhen, Selbstbestimmung zu stärken und wieder etwas von dem Glück spürbar zu machen, das aus d nnerten Episoden sprach, von denen eingangs die Rede war. Dieses Glück war, wie wir sahen, kein durch die Warenwelt einlösbares, konsumatorisches Glück, kein Fast-Food-Glück mit der rein hedonischen Befriedigu serer vielen, oſt suchtartigen Abhängigkeiten. Es ist ein tieferes, eudaimonisches Glück, bei dem es darum geht, sich größere, längerfristige Ziele zu setzen, tiefe und sinnhaſte Erfahrungen zu machen, aufzubrech en eigenen Weg zu gehen und persönlich zu wachsen. Wer den Verdacht haben sollte, hier begegne uns Gutmenschen-Gerede, liegt daneben. Menschen, die sich dem eudaimonischen Glück verschrieben haben, zeig ganz besonderes Aktivitätsmuster ihrer Gene, das die Bewahrung der Gesundheit begünstigt. Wer nur das hedonische Glück vor Augen hat, das sich in schnellen, konsumatorischen Befriedigungen erschöpſt, aktivi FRÜHJAHR 2015

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Das Frühjahrsprogramm 2014 des Blessing Verlags

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Page 1: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Im Bus nach Florida wollte Diane nicht Chics Hand halten, die wie ein toter Fisch auf seinem Knie lag. Sie würdigte sie keines Blickes und stellte sich schlafend. Dann gab sie es auf und starrte wütend auf den Hut des Mannes vor ihnen. Dabei war sie sonst überhaupt nicht so. Während des letzten Monats hatte sie die ganze Zeit wie ein Wasserfall über ihre bevorstehende Hochzeitsreise geredet – das müssen wir unbedingt machen, und jenes müssen wir unbedingt machen, das auch und das noch und das sowieso –, und jetzt, wo es so weit war, knirschte sie so laut mit den Zähnen, dass er es hören konnte. Bei einer Pause in Kentucky fragte er sie, ob sie eine Limo- nade oder etwas zum Knabbern wolle. Sie starrte bloß schmol- lend aus dem Busfenster. Im Tankstellenladen kau� e er sich am Automaten eine Flasche Coca-Cola, dann beobachtete er durch die Fliegentür ein paar Navy-Leute, wie sie einen kleinen Hund mit einem Stock triezten. Plötzlich musste er an Lijy denken, die Frau seines Bruders. Was sollte diese Rückenmassage bei der Feier? Der alte Mann an der Kasse meinte: »Dieser Truman gehört nicht nach Washington.Wallace, ja, den hätte ich gewählt. Das heißt, wenn ich jemanden gefunden hätte, der auf meinen La- den aufpasst, damit ich wählen gehen kann.« Chic nahm einen Schluck von der Coca-Cola. »Aber keine Chance. Mein Sohn will nichts damit zu tun haben. Und meine Frau, die sitzt den ganzen Tag an der Näh- maschine.« »Die tun dem Hund noch weh«, sagte Chic. »Ach wo. Der Hund ist zäh. Einmal hat ihn ein Laster an- gefahren, und er ist einfach aufgestanden und hat weitergebellt. Wie dieser Hund sind wir alle.Wir bellen immer weiter.« Chic kramte ein Zehncentstück aus der Tasche. Er hatte Lust auf Käse� ips. »Hey, wohin fährt der Bus?«, fragte der Alte. »Nach Florida. Danach, weiß ich nicht. Zurück wahr- scheinlich.« »Wissen Sie, was ich in Florida machen würde? Das Flo- rida Wildlife Institute besuchen. Hab gehört, da gibt’s Albino- krokodile.« »Glaub nicht, dass das meiner Frau gefallen würde.« »Sie sind verheiratet?« »Ja, Sir.« Chic legte sein Geld auf die � eke. »Trotzdem, ich würde mir das Wildlife Institute ansehen an Ihrer Stelle.Wegen einer Frau lässt man sich doch kein Albino- krokodil entgehen.« »Haben Sie schon mal eins gesehen?« »Nur davon gehört.« Auf der Weiterfahrt stop� e sich Chic Käse� ips in den Mund. Er dachte an dieses Albinokrokodil. Er hatte noch nie einen Albino gesehen. Mit ihm war ein Junge in die Grundschule ge- gangen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte. Er hatte hellblondes Haar, und alle sagten, er sei ein Albino. Aber das stimmte nicht. Albinos hatten rosa Augen, und die des Jungen waren blau. Später zog er weg. Was wohl aus ihm geworden war? Wahrscheinlich hatte er irgendwo die High- school besucht, geheiratet und sich eine Arbeit gesucht. »Manchmal begreife ich dich einfach nicht, Chic Wald- beeser.« Er sah seine frisch angetraute Ehefrau an. Der Zorn in ihr arbeitete sichtbar wie ein rotierender Bohrer. »Du hast seit …« Er schaute auf seine Uhr. »Seit zwölf Stun- den kein Wort mit mir geredet. Und auf einmal erzählst du mir, dass ich nicht zu begreifen bin.Was ist denn los mit dir?« Sie wandte sich ab und starrte wieder zum Fenster hinaus. Der Bus kam an einem Plakat vorbei, auf dem stand: »Fahren Sie vorsichtig. Das Leben, das Sie retten, könnte Ihr eigenes sein.« Ihm war klar, dass er sich jetzt wirklich anstrengen musste. Also hielt er ihr einen Käse� ip unter die Nase. »Willst du einen? Die sind gut.« Sie legte den Kopf an die Scheibe und tat, als würde sie schlafen. Chic aß den Flip selbst. Zweimal stieß er sie leicht mit dem Ellbogen an. Dann bohrte er ihr den Zeige� nger in den Arm. Nach ungefähr einer Minute schlug sie die Augen auf und sagte: »Hörst du bitte auf damit.« »Warum bist du so sauer?« »Das weißt du ganz genau.« Sie schloss die Augen. Wieder stieß er leicht ihren Arm an – einmal, zweimal, drei- mal, viermal. »Wenn du nicht damit au� örst, schreie ich.« Er aß seine Flips auf und schaute sich nach den anderen Fahrgästen um. Die Navy-Leute saßen ganz hinten und unter- hielten sich � üsternd. Eine Erdnuss � og durch den Gang und landete auf der Frau gegenüber von Chic. Chic drehte sich um und sah, dass die Navy-Leute kicherten. Einer hielt sich sogar die Hand vor den Mund. Die Frau wischte sich den Arm ab. Sie war in Carbondale eingestiegen und hatte dem Fahrer erzählt, dass sie ihre Granny in Pensacola besuchen wollte. Er schielte hinüber zu Diane, um zu erkennen, ob sie noch schlief. Ihre Augen waren geschlossen. In der Highschool hatte Chic nie eine Freundin gehabt. Immer wenn er sich einem Mädchen näherte, erstarrte er, und seine Zunge fühlte sich an wie ein Schwamm. Dabei war er gar nicht unattraktiv mit seiner Bürstenfrisur, der umgeschlagenen Levi’s und dem gestärkten weißen T-Shirt, doch wegen seiner verwirrten Miene wirkte er leicht zurückgeblieben. Wenn er ein Zimmer betrat, war er sich nicht sicher, wo er hinsollte, also blieb er im Türrahmen stehen und löste einen Stau aus. Bei den Lehrern und anderen Erwachsenen war er beliebt. Er lä- chelte viel, schnitt sich regelmäßig die Fingernägel, sagte im- mer »Bitte« und »Danke« und sprach Frauen mit »Ma’am« an. Im November, als er bei einem Footballspiel in Middleville auf der Tribüne saß, kam Diane auf ihn zu und erklärte ihm, dass sie erwarte, von ihm, Chic Waldbeeser, nach dem Spiel in die Milchbar eingeladen zu werden. Er war mit einer Gruppe an- derer Jungen da, Jungen wie er, kaum der Rede wert, die auf einen Schlag verstummten und mit gereckten Hälsen zu Diane au� lickten. Diane von Schmidt kannten alle. Ihr Vater war Mathematiklehrer, aber sie benahm sich nicht wie die Tochter eines Mathematiklehrers. Zu den Schulbällen erschien sie in Pumps. Zwei Jahre lang war sie fest mit Randy Rugaard zu- sammen gewesen, der im Sportunterricht damit geprahlt hatte, dass sie ein heißer Feger war. Damit meinte er, dass sie eine Wildkatze war. Und damit meinte er, dass sie ihm einiges ab- verlangte. Nach einem gemeinsamen Eis saßen sie auf den Vordersit- zen des viertürigen Plymouth von Chics Mutter, und Diane drückte ihren Mund auf Chics Lippen. Kichernd löste sie sich nach einigen Sekunden von ihm und wischte sich den Mund ab. Dann fragte sie: »Was wünschst du dir mehr als alles andere auf Mit Selbststeuerung lässt sich im Leben vieles, ohne sie nichts erreichen. Ihre wahre Bedeutung liegt jedoch nicht in der Ansteuerung hehrer oder spektakulärer Ziele. Ihr tiefer Sinn liegt darin, unser ganz eigenes, wahres Le-ben zu leben und zu uns selbst, zu unserer jeweils ureigenen Identität zu � nden. Wer -wie es ein Kleinkind tut- nur seinen spontanen Impulsen nachgibt oder unvermittelt und ohne Sinn und Verstand nach allem grei� , sich alles einverleibt oder alles haben muss, was ihm hingehalten wird, hat kein Selbst. Die Weisheit unserer Sprache verrät es: Wir können uns selbst verlieren. Wir können uns nicht nur an unsere Impulse und A� ekte verlieren, sondern auch an Dinge, Waren und an die auf uns einwirkenden Reize. Ein Selbst, auch das kann man am sich entwickelnden Kleinkind beobachten, entsteht erst dann, wenn wir etwas Abstand zu unseren Emotionen, zu den Objekten und den Reizen der uns umgebenden Welt halten können, wenn wir damit beginnen innezuhalten und darüber nachzudenken, was wir eigentlich wirklich wollen. Zum Selbst gehört also, einen Plan zu haben und auf dieser Grundlage etwas besonders Beglückendes zu tun, nämlich für sich eine eigene, ganz individuelle Zukun� zu entwerfen. Ich werde nicht nur zeigen, dass Menschen -entgegen dem, was uns immer wieder weisgemacht werden soll- einen freien Willen haben, mit dem wir uns steuern und unser individuelles Selbst leben können. Ich möchte auch den heilsamen Ein� uss deutlich machen, der von einer intakten Selbststeuerung auf unsere Gesundheit ausgeht. Wo kein Selbst ist, kann es auch keine Selbststeuerung geben. Das Glück, ein Selbst zu fühlen, ist fast jedem Menschen widerfahren, auch wenn sich manche gar nicht mehr erinnern. Wann war es, als wir erstmals im Leben ein großes Gefühl von Selbst-Sein und der damit verbundenen Freiheit verspürten? Die frühesten derartigen Momente, an die wir uns erinnern können, beschreiben meist Situationen von großer Einfachheit und Natürlichkeit, Situationen jedenfalls, in denen Konsumartikel aus dem Warenarsenal unserer Wohlstandsgesellscha� en kaum eine Rolle spielen. Manche erinnern einen ersten derartigen Moment schon für ihr Kindesalter, etwa beim ersten freien Gehen. Die meisten datieren das Gefühl eines ersten tief erlebten Selbst-Seins aber in die Zeit am Ende der Adoleszenz. O� werden erste Reisen erinnert, die typischerweise mit geringsten � nanziellen Mitteln bestritten werden mussten. Häu� g ist es auch der Auszug von zuhause, das erste bescheidene eigene Zimmer, die erste sexuelle Begegnung oder ein tiefgehendes Naturerlebnis, welches wir mit einer ersten Erfahrung der Selbststeuerung verbinden. Interessanterweise war es für viele Menschen ein bewusstes Handeln gegen die Konvention oder ein absichtsvoll herbeigeführtes Verzichtserlebnis, welches mit einem erstmaligen tiefen Gefühl der Selbstbestimmung verbunden war. Selbst sein heißt auch: Anders sein als die anderen. Doch was ist aus uns geworden, was hat das Leben mit uns gemacht, was haben wir -durch das Leben- mit uns machen lassen? Viel häu� ger als uns bewusst ist folgt unser Verhalten im Alltag nicht dem, für was wir mit unserer Identität tatsächlich stehen, also dem, was wir wirklich gerne tun würden oder für richtig halten. Stattdessen leben wir weitgehend in Routine. Unser Verhalten folgt in großem Umfang dem Druck der Anpassung an das, was andere tun oder den Automatismen zwischen Reiz und Reaktion. Inwieweit geht unser Leben über den Mini-Horizont wirklich noch hinaus, der vom Signalton aus einem unserer vielen medialen Gadgets zu unserer sofortigen Antwortreaktion reicht, oder vom kostenlos angebotenen Snack zum sofortigen Konsum desselben? Zur Über� utung mit Reizen und Waren hinzu kommt die Hetze. Der Umstand, dass über sieben Milliarden Menschen ihren Anteil an den begrenzten Ressourcen unserer Erde suchen, zwingt uns zur Arbeit, was viele wenig beein� ussbare Abhängigkeiten nach sich zieht. Die Notwendigkeit zu arbeiten beschert uns einen Zustand fortwährender Geschä� igkeit, den wir Stress nennen. Auch an diesen Zustand haben sich -ähnlich wie an den Zustand des Konformismus und des andauernden Konsums- viele aber schon so gewöhnt, dass sie auch dann, wenn es möglich wäre, nicht aus ihm aussteigen können. Möglichkeiten zur Selbstbestimmung werden uns nicht nur genommen, wir nehmen sie uns auch selbst. Weit mehr als erforderlich, unterwerfen wir uns dem Druck des Konformismus und der Anpassung an die vermuteten Erwartungen anderer. Der Über� uss und die allgegenwärtige Verfügbarkeit von billigen, o� minderwertigen und ungesunden Nahrungs- und Genussmitteln haben viele zu Abhängigen, beinahe zu Süchtigen werden lassen. Die an sich phantastischen Möglichkeiten, die uns Computer, Smartphones und soziale Netzwerke bieten, haben begonnen unsere Freiheit und Selbstbestimmung fast sklavenartig einzuengen. Mehr als vier Fün� el sind, Umfragen aus den USA zufolge, zum Abspannen und Nachdenken gar nicht mehr in der Lage. Unverho� e Gelegenheiten zum Innehalten -und erst Recht zur Muße- bringen manche Zeitgenossen paradoxer Weise in große Schwie-rigkeiten. So versetzten sich zahlreiche Teilnehmer eines wissenscha� lichen Experiments während einer ihnen gewährten 15-minütigen Auszeit lieber freiwillig kurze Stromstöße mit einem zufällig bereitstehenden Gerät anstatt einfach nichts zu tun, nur um keine Langeweile mit sich selbst zu erleben. Wer kein Selbst hat, möchte diese missliche Tatsache lieber gar nicht erst entdecken. Wie � nden wir den Weg aus einer von Selbst-Verlust, verlorener Selbstbestimmung und Stress gekennzeichneten Situation? Angesichts vieler Abhängigkeiten und Zwänge, in die wir uns hineinbegeben haben, wünschen sich viele Menschen die Möglichkeit zu einem Befrei-ungsschlag. Doch diese Option würde nichts zum Besseren wenden. Lebensgewohnheiten und Verhaltensmuster sind in Netzwerken unseres Gehirns festgeschrieben und lassen sich nur im Laufe eines längeren Lern- und Übungsprozesses verändern. In welche Richtung sollte dieser Prozess gehen? Das Ziel sollte sein, Freiheitsgrade zu erhöhen, Selbstbestimmung zu stärken und wieder etwas von dem Glück spürbar zu machen, das aus den erinnerten Episoden sprach, von denen eingangs die Rede war. Dieses Glück war, wie wir sahen, kein durch die Warenwelt einlösbares, konsumatorisches Glück, kein Fast-Food-Glück mit der rein hedonischen Befriedigung unserer vielen, o� suchtartigen Abhängigkeiten. Es ist ein tieferes, eudaimonisches Glück, bei dem es darum geht, sich größere, längerfristige Ziele zu setzen, tiefe und sinnha� e Erfahrungen zu machen, aufzubrechen, einen eigenen Weg zu gehen und persönlich zu wachsen. Wer den Verdacht haben sollte, hier begegne uns Gutmenschen-Gerede, liegt daneben. Menschen, die sich dem eudaimonischen Glück verschrieben haben, zeigen ein ganz besonderes Aktivitätsmuster ihrer Gene, das die Bewahrung der Gesundheit begünstigt. Wer nur das hedonische Glück vor Augen hat, das sich in schnellen, konsumatorischen Befriedigungen erschöp� , aktiviert m Körper demgegenüber ein Genaktivitätsmuster, das Herz-, Krebs- und Demenzerkrankungen begünstigt und die Anfälligkeit für Virusinfekte erhöht. So stoßen wir am Ende dieser

FRÜHJAHR 2015

Page 2: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Im Bus nach Florida wollte Diane nicht Chics Hand halten, die wie ein toter Fisch auf seinem Knie lag. Sie würdigte sie keines Blickes und stellte sich schlafend. Dann gab sie es auf und starrte wütend auf den Hut des Mannes vor ihnen. Dabei war sie sonst überhaupt nicht so. Während des letzten Monats hatte sie die ganze Zeit wie ein Wasserfall über ihre bevorstehende Hochzeitsreise geredet – das müssen wir unbedingt machen, und jenes müssen wir unbedingt machen, das auch und das noch und das sowieso –, und jetzt, wo es so weit war, knirschte sie so laut mit den Zähnen, dass er es hören konnte. Bei einer Pause in Kentucky fragte er sie, ob sie eine Limo- nade oder etwas zum Knabbern wolle. Sie starrte bloß schmol- lend aus dem Busfenster. Im Tankstellenladen kau� e er sich am Automaten eine Flasche Coca-Cola, dann beobachtete er durch die Fliegentür ein paar Navy-Leute, wie sie einen kleinen Hund mit einem Stock triezten. Plötzlich musste er an Lijy denken, die Frau seines Bruders. Was sollte diese Rückenmassage bei der Feier? Der alte Mann an der Kasse meinte: »Dieser Truman gehört nicht nach Washington.Wallace, ja, den hätte ich gewählt. Das heißt, wenn ich jemanden gefunden hätte, der auf meinen La- den aufpasst, damit ich wählen gehen kann.« Chic nahm einen Schluck von der Coca-Cola. »Aber keine Chance. Mein Sohn will nichts damit zu tun haben. Und meine Frau, die sitzt den ganzen Tag an der Näh- maschine.« »Die tun dem Hund noch weh«, sagte Chic. »Ach wo. Der Hund ist zäh. Einmal hat ihn ein Laster an- gefahren, und er ist einfach aufgestanden und hat weitergebellt. Wie dieser Hund sind wir alle.Wir bellen immer weiter.« Chic kramte ein Zehncentstück aus der Tasche. Er hatte Lust auf Käse� ips. »Hey, wohin fährt der Bus?«, fragte der Alte. »Nach Florida. Danach, weiß ich nicht. Zurück wahr- scheinlich.« »Wissen Sie, was ich in Florida machen würde? Das Flo- rida Wildlife Institute besuchen. Hab gehört, da gibt’s Albino- krokodile.« »Glaub nicht, dass das meiner Frau gefallen würde.« »Sie sind verheiratet?« »Ja, Sir.« Chic legte sein Geld auf die � eke. »Trotzdem, ich würde mir das Wild-life Institute ansehen an Ihrer Stelle.Wegen einer Frau lässt man sich doch kein Albino- krokodil entgehen.« »Haben Sie schon mal eins gesehen?« »Nur davon gehört.« Auf der Weiterfahrt stop� e sich Chic Käse� ips in den Mund. Er dachte an dieses Albinokrokodil. Er hatte noch nie einen Albino gesehen. Mit ihm war ein Junge in die Grundschule ge- gangen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte. Er hatte hellblondes Haar, und alle sagten, er sei ein Albino. Aber das stimmte nicht. Albinos hatten rosa Augen, und die des Jungen waren blau. Später zog er weg. Was wohl aus ihm geworden war? Wahrscheinlich hatte er irgendwo die High- school besucht, geheiratet und sich eine Arbeit gesucht. »Manchmal begreife ich dich einfach nicht, Chic Wald- beeser.« Er sah seine frisch angetraute Ehefrau an. Der Zorn in ihr arbeitete sichtbar wie ein rotie-render Bohrer. »Du hast seit …« Er schaute auf seine Uhr. »Seit zwölf Stun- den kein Wort mit mir geredet. Und auf einmal erzählst du mir, dass ich nicht zu begreifen bin.Was ist denn los mit dir?« Sie wandte sich ab und starrte wieder zum Fenster hinaus. Der Bus kam an einem Plakat vorbei, auf dem stand: »Fahren Sie vorsichtig. Das Leben, das Sie retten, könnte Ihr eigenes sein.« Ihm war klar, dass er sich jetzt wirklich anstrengen musste. Also hielt er ihr einen Käse� ip unter die Nase. »Willst du einen? Die sind gut.« Sie legte den Kopf an die Scheibe und tat, als würde sie schlafen. Chic aß den Flip selbst. Zweimal stieß er sie leicht mit dem Ellbo-gen an. Dann bohrte er ihr den Zeige� nger in den Arm. Nach ungefähr einer Minute schlug sie die Augen auf und sagte: »Hörst du bitte auf damit.« »Warum bist du so sauer?« »Das weißt du ganz genau.« Sie schloss die Augen. Wieder stieß er leicht ihren Arm an – einmal, zweimal, drei- mal, viermal. »Wenn du nicht damit au� örst, schreie ich.« Er aß seine Flips auf und schaute sich nach den anderen Fahrgästen um. Die Navy-Leute saßen ganz hinten und unter- hielten sich � üsternd. Eine Erdnuss � og durch den Gang und landete auf der Frau gegenüber von Chic. Chic drehte sich um und sah, dass die Navy-Leute kicherten. Einer hielt sich sogar die Hand vor den Mund. Die Frau wischte sich den Arm ab. Sie war in Carbondale eingestiegen und hatte dem Fahrer erzählt, dass sie ihre Granny in Pensacola besuchen wollte. Er schielte hinüber zu Diane, um zu erkennen, ob sie noch schlief. Ihre Augen waren geschlossen. In der Highschool hatte Chic nie eine Freundin gehabt. Immer wenn er sich einem Mädchen näherte, erstarrte er, und seine Zunge fühlte sich an wie ein Schwamm. Dabei war er gar nicht unattraktiv mit seiner Bürstenfrisur, der umgeschlagenen Levi’s und dem gestärkten weißen T-Shirt, doch wegen seiner verwirrten Miene wirkte er leicht zurückgeblieben. Wenn er ein Zimmer betrat, war er sich nicht sicher, wo er hinsollte, also blieb er im Türrahmen stehen und löste einen Stau aus. Bei den Lehrern und anderen Erwachsenen war er beliebt. Er lä- chelte viel, schnitt sich regelmäßig die Fingernägel, sagte im- mer »Bitte« und »Danke« und sprach Frauen mit »Ma’am« an. Im November, als er bei einem Footballspiel in Middleville auf der Tribüne saß, kam Diane auf ihn zu und erklärte ihm, dass sie erwarte, von ihm, Chic Waldbeeser, nach dem Spiel in die Milchbar eingeladen zu werden. Er war mit einer Gruppe an- derer Jungen da, Jungen wie er, kaum der Rede wert, die auf einen Schlag verstummten und mit gereckten Hälsen zu Diane au� lickten. Diane von Schmidt kannten alle. Ihr Vater war Mathematiklehrer, aber sie benahm sich nicht wie die Tochter eines Mathematiklehrers. Zu den Schulbällen erschien sie in Pumps. Zwei Jahre lang war sie fest mit Randy Rugaard zu- sammen gewesen, der im Sportunterricht damit geprahlt hatte, dass sie ein heißer Feger war. Damit meinte er, dass sie eine Wildkatze war. Und damit meinte er, dass sie ihm einiges ab- verlangte. Nach einem gemeinsamen Eis saßen sie auf den Vordersit- zen des viertürigen Plymouth von Chics Mutter, und Diane drückte ihren Mund auf Chics Lippen. Kichernd löste sie sich nach einigen Sekunden von ihm und wischte sich den Mund ab. Dann fragte sie: »Was wünschst du dir mehr als alles andere auf der ganzen, weiten Welt?« Ihre Stimme klang so selbstbe- wusst, dass Chic ganz unsicher wurde. »Einen großen Hund«, sagte Chic. »Nein, ich meine vom Leben.« Darüber musste er nachdenken. Mit einem großen Hund würde alles ein bisschen besser werden. Große Hunde mach- ten Familien glücklich, und seine Familie war seit zehn Jahren nur noch ein Scherbenhaufen. Als er acht war, war sein Vater hinter die Scheune gegangen und hatte sich in den Schnee ge- setzt, um zu erfrieren. Ungelogen. Diane wusste davon. Alle wussten es. Und alle schauten Chic deswegen ein wenig schief von der Seite an. Die meiste Zeit dachte er lieber nicht so viel darüber nach. Er dachte nur daran, dass er eines Tages seine eigene Familie haben würde – und diesen großen Hund. An- scheinend war das die brauchbarste Art, mit solchen Dingen umzugehen: immer weiter voranzugehen und nicht zurückzu- schauen. So hatte es seine Mutter gemacht. Einen Tag nach der Beerdigung seines Vaters stieg sie in Tom McNeeleys Dodge und fuhr mit ihm herum. Also, was wünschte er – Chic Wald- beeser – sich mehr als alles andere? Eigentlich war die Antwort darauf ziemlich einfach, auch wenn er sie tief in sich verbarg, weit hinten in seinem Kopf, dort, wo Spinnweben hingen und ständig ein Wasserhahn trop� e. Aber weil sie gefragt hatte und Diane von Schmidt war, die Tochter eines Mathematik-lehrers und ein heißer Feger, verriet er es ihr. »Ich wünsche mir eine normale Familie.« »Wie bitte?« »Eine normale Familie. Ein ganz normales Leben.« Ein knappes Jahr später richtete Dianes Vater eine große Hochzeit aus. In der katholischen Kirche von Middleville dräng- ten sich DianesTanten, Onkel, Cousins und Cousinen und deren Kinder. Chics Mutter schickte einen Obstkorb mit einer Karte, in der sie schrieb, dass sie nicht kommen konnte, weil sie in Florida war und Tennis spielen lernte.Am Tag nach Chics High- school-Abschluss war sie mit Tom McNeeley dorthin gezogen. Der einzige Geladene von der Waldbeeser-Seite war Kenneth Waxman, ein Freund von Chics Vater. Mr.Waxman saß zusam- mengequetscht hinten in der Kirche neben Dianes Cousine dritten Grades Mary Lou aus Junction City, Kansas, und ihren sieben Kindern. Ein älterer

Mit Selbststeuerung lässt sich im Leben vieles, ohne sie nichts erreichen. Ihre wahre Bedeutung liegt jedoch nicht in der Ansteuerung hehrer oder spektakulärer Ziele. Ihr tiefer Sinn liegt darin, unser ganz eigenes, wahres Leben zu leben und zu uns selbst, zu unserer jeweils ureigenen Identität zu � nden. Wer -wie es ein Kleinkind tut- nur seinen spontanen Impulsen nachgibt oder unvermittelt und ohne Sinn und Verstand nach allem grei� , sich alles einverleibt oder alles haben muss, was ihm hingehalten wird, hat kein Selbst. Die Weisheit unserer Sprache verrät es: Wir können uns selbst verlieren. Wir können uns nicht nur an unsere Impulse und A� ekte verlieren, sondern auch an Dinge, Waren und an die auf uns einwirkenden Reize. Ein Selbst, auch das kann man am sich entwickelnden Kleinkind beobachten, entsteht erst dann, wenn wir etwas Abstand zu unseren Emotionen, zu den Objekten und den Reizen der uns umgebenden Welt halten können, wenn wir damit beginnen innezuhalten und darüber nachzudenken, was wir eigentlich wirklich wollen. Zum Selbst gehört also, einen Plan zu haben und auf dieser Grundlage etwas besonders Beglückendes zu tun, nämlich für sich eine eigene, ganz individuelle Zukun� zu entwerfen. Ich werde nicht nur zeigen, dass Menschen -ent-gegen dem, was uns immer wieder weisgemacht werden soll- einen freien Willen haben, mit dem wir uns steuern und unser individuelles Selbst leben können. Ich möchte auch den heilsamen Ein� uss deutlich machen, der von einer intakten Selbststeuerung auf unsere Gesundheit ausgeht. Wo kein Selbst ist, kann es auch keine Selbststeuerung geben. Das Glück, ein Selbst zu fühlen, ist fast jedem Menschen widerfahren, auch wenn sich manche gar nicht mehr erinnern. Wann war es, als wir erstmals im Leben ein großes Gefühl von Selbst-Sein und der damit verbundenen Freiheit verspürten? Die frühesten derartigen Momente, an die wir uns erinnern können, beschreiben meist Situationen von großer Einfachheit und Natürlichkeit, Situationen jedenfalls, in denen Konsumartikel aus dem Warenarsenal unserer Wohlstandsgesellscha� en kaum eine Rolle spielen. Man-che erinnern einen ersten derartigen Moment schon für ihr Kindesalter, etwa beim ersten freien Gehen. Die meisten datieren das Gefühl eines ersten tief erlebten Selbst-Seins aber in die Zeit am Ende der Adoleszenz. O� werden erste Reisen erinnert, die typischerweise mit geringsten � nanziellen Mitteln bestritten werden mussten. Häu� g ist es auch der Auszug von zuhause, das erste bescheidene eigene Zimmer, die erste sexuelle Begegnung oder ein tiefgehendes Naturerlebnis, welches wir mit einer ersten Erfahrung der Selbststeuerung verbinden. Interessanterweise war es für viele Menschen ein bewusstes Handeln gegen die Konvention oder ein absichtsvoll herbeigeführtes Verzichtserlebnis, welches mit einem erstmaligen tiefen Gefühl der Selbstbestimmung verbunden war. Selbst sein heißt auch: Anders sein als die anderen. Doch was ist aus uns geworden, was hat das Leben mit uns gemacht, was haben wir -durch das Leben- mit uns machen lassen? Viel häu� ger als uns bewusst ist folgt unser Verhalten im Alltag nicht dem, für was wir mit unserer Identität tatsächlich stehen, also dem, was wir wirklich gerne tun würden oder für richtig halten. Stattdessen leben wir weitgehend in Routine. Unser Verhalten folgt in großem Umfang dem Druck der Anpassung an das, was andere tun oder den Automatismen zwischen Reiz und Reaktion. Inwieweit geht unser Leben über den Mini-Horizont wirklich noch hinaus, der vom Signalton aus einem unserer vielen medialen Gadgets zu unserer sofortigen Antwortreaktion reicht, oder vom kostenlos angebotenen Snack zum sofortigen Konsum desselben? Zur Über� utung mit Reizen und Waren hinzu kommt die Hetze. Der Umstand, dass über sieben Milliarden Menschen ihren Anteil an den begrenzten Ressourcen unserer Erde suchen, zwingt uns zur Arbeit, was viele wenig beein� ussbare Abhängigkeiten nach sich zieht. Die Notwendigkeit zu arbeiten beschert uns einen Zustand fort-währender Geschä� igkeit, den wir Stress nennen. Auch an diesen Zustand haben sich -ähnlich wie an den Zustand des Konformismus und des andauernden Konsums- viele aber schon so gewöhnt, dass sie auch dann, wenn es möglich wäre, nicht aus ihm aussteigen können. Möglichkeiten zur Selbstbestimmung werden uns nicht nur genommen, wir nehmen sie uns auch selbst. Weit mehr als erforderlich, unterwerfen wir uns dem Druck des Konformismus und der Anpassung an die vermuteten Erwartungen anderer. Der Über� uss und die allgegenwärtige Verfügbarkeit von billigen, o� minderwertigen und ungesunden Nahrungs- und Genuss-mitteln haben viele zu Abhängigen, beinahe zu Süchtigen werden lassen. Die an sich phantastischen Möglichkeiten, die uns Computer, Smartphones und soziale Netzwerke bieten, haben begonnen unsere Freiheit und Selbstbestimmung fast sklavenartig einzuengen. Mehr als vier Fün� el sind, Umfragen aus den USA zufolge, zum Abspannen und Nachdenken gar nicht mehr in der Lage. Unverho� e Gelegenheiten zum Innehalten -und erst Recht zur Muße- bringen manche Zeitgenossen paradoxer Weise in große Schwierigkeiten. So versetzten sich zahlreiche Teilnehmer eines wissenscha� lichen Experiments während einer ihnen gewährten 15-minütigen Auszeit lieber freiwillig kurze Stromstöße mit einem zufällig bereitstehenden Gerät anstatt einfach nichts zu tun, nur um keine Langeweile mit sich selbst zu erleben. Wer kein Selbst hat, möchte diese missliche Tatsache lieber gar nicht erst entdecken. Wie � nden wir den Weg aus einer von Selbst-Verlust, verlorener Selbstbestimmung und Stress gekennzeichneten Situation? Angesichts vieler Abhängigkeiten und Zwänge, in die wir uns hineinbegeben haben, wünschen sich viele Menschen die Möglichkeit zu einem Befreiungsschlag. Doch diese Option würde nichts zum Besseren wenden. Lebensgewohnheiten und Verhaltens-muster sind in Netzwerken unseres Gehirns festgeschrieben und lassen sich nur im Laufe eines längeren Lern- und Übungsprozesses verändern. In welche Richtung sollte dieser Prozess gehen? Das Ziel sollte sein, Freiheitsgrade zu erhöhen, Selbstbestimmung zu stärken und wieder etwas von dem Glück spürbar zu machen, das aus den erinnerten Episoden sprach, von denen eingangs die Rede war. Dieses Glück war, wie wir sahen, kein durch die Warenwelt einlösbares, konsumatorisches Glück, kein Fast-Food-Glück mit der rein hedonischen Befriedigung unserer vielen, o� suchtartigen Abhängigkeiten. Es ist ein tieferes, eudaimonisches Glück, bei dem es darum geht, sich größere, längerfristige Ziele zu setzen, tiefe und sinnha� e Erfahrungen zu machen, aufzubrechen, einen eigenen Weg zu gehen und persönlich zu wachsen. Wer den Verdacht haben sollte, hier begegne uns Gutmenschen-Gerede, liegt daneben. Menschen, die sich dem eudaimonischen Glück verschrieben haben, zeigen ein ganz besonderes Aktivitätsmuster ihrer Gene, das die Bewahrung der Gesundheit begünstigt. Wer nur das hedonische Glück vor Augen hat, das sich in schnellen, konsumatorischen Befriedigungen erschöp� , aktiviert in seinem Körper demgegenüber ein Genaktivitätsmuster, das Herz-, Krebs- und Demenzerkrankungen begünstigt und die Anfälligkeit für Virusinfekte erhöht. So stoßen wir am Ende dieser ersten Betrachtung auf eine dialektische Beziehung: Die Fähigkeit, sich dem sinnlosen Konsum und ständi-gen Reizen zu verweigern, sich stattdessen bewusst zu beschränken, auch Verzicht ertragen zu können, kann zu einem Zugewinn von Freiheit und Selbststeuerungsfähigkeit führen, sie kann unsere Handlungsoptionen erweitern und uns größere, lohnenswertere Ziele erreichen lassen. Was ist Selbststeuerung? Vor allem: In welchem Verhältnis steht sie zur Selbstkontrolle und zur Disziplin, die in Deutschland von etwa 1870 bis Ende der 1950er Jahre als oberste Tugenden galten? Wer seine Kinderjahre kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, konnte die letzten Vertreter der damals lebenden Generationen noch als Eltern und Großeltern kennen-lernen. Strenge Selbstkontrolle und absolute Disziplin wurden damals, unter reichlicher Anwendung von erzieherischer Gewalt, bereits kleinen Kindern aufgezwungen . Den Abschluss dieser Erziehung bildete bei den Männern das Militär. Freundlichkeit und Zärtlichkeit wurden als Gefühlsduselei gering geschätzt, genussvolle Sexualität radikal unterdrückt. Nur Selbstkontrolle und Disziplin galten als Kennzeichen eines anständigen

Page 3: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Im Bus nach Florida wollte Diane nicht Chics Hand halten, die wie ein toter Fisch auf seinem Knie lag. Sie würdigte sie keines Blickes und stellte sich schlafend. Dann gab sie es auf und starrte wütend auf den Hut des Mannes vor ihnen. Dabei war sie sonst überhaupt nicht so. Während des letzten Monats hatte sie die ganze Zeit wie ein Wasserfall über ihre bevorstehende Hochzeitsreise geredet – das müssen wir unbedingt machen, und jenes müssen wir unbedingt machen, das auch und das noch und das sowieso –, und jetzt, wo es so weit war, knirschte sie so laut mit den Zähnen, dass er es hören konnte. Bei einer Pause in Kentucky fragte er sie, ob sie eine Limo- nade oder etwas zum Knabbern wolle. Sie starrte bloß schmol- lend aus dem Busfenster. Im Tankstellenladen kau� e er sich am Automaten eine Flasche Coca-Cola, dann beobachtete er durch die Fliegentür ein paar Navy-Leute, wie sie einen kleinen Hund mit einem Stock triezten. Plötzlich musste er an Lijy denken, die Frau seines Bruders. Was sollte diese Rückenmassage bei der Feier? Der alte Mann an der Kasse meinte: »Dieser Truman gehört nicht nach Washington.Wallace, ja, den hätte ich gewählt. Das heißt, wenn ich jemanden gefunden hätte, der auf meinen La- den aufpasst, damit ich wählen gehen kann.« Chic nahm einen Schluck von der Coca-Cola. »Aber keine Chance. Mein Sohn will nichts damit zu tun haben. Und meine Frau, die sitzt den ganzen Tag an der Näh- maschine.« »Die tun dem Hund noch weh«, sagte Chic. »Ach wo. Der Hund ist zäh. Einmal hat ihn ein Laster an- gefahren, und er ist einfach aufgestanden und hat weitergebellt. Wie dieser Hund sind wir alle.Wir bellen immer weiter.« Chic kramte ein Zehncentstück aus der Tasche. Er hatte Lust auf Käse� ips. »Hey, wohin fährt der Bus?«, fragte der Alte. »Nach Florida. Danach, weiß ich nicht. Zurück wahr- scheinlich.« »Wissen Sie, was ich in Florida machen würde? Das Flo- rida Wildlife Institute besuchen. Hab gehört, da gibt’s Albino- krokodile.« »Glaub nicht, dass das meiner Frau gefallen würde.« »Sie sind verheiratet?« »Ja, Sir.« Chic legte sein Geld auf die � eke. »Trotzdem, ich würde mir das Wild-life Institute ansehen an Ihrer Stelle.Wegen einer Frau lässt man sich doch kein Albino- krokodil entgehen.« »Haben Sie schon mal eins gesehen?« »Nur davon gehört.« Auf der Weiterfahrt stop� e sich Chic Käse� ips in den Mund. Er dachte an dieses Albinokrokodil. Er hatte noch nie einen Albino gesehen. Mit ihm war ein Junge in die Grundschule ge- gangen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte. Er hatte hellblondes Haar, und alle sagten, er sei ein Albino. Aber das stimmte nicht. Albinos hatten rosa Augen, und die des Jungen waren blau. Später zog er weg. Was wohl aus ihm geworden war? Wahrscheinlich hatte er irgendwo die High- school besucht, geheiratet und sich eine Arbeit gesucht. »Manchmal begreife ich dich einfach nicht, Chic Wald- beeser.« Er sah seine frisch angetraute Ehefrau an. Der Zorn in ihr arbeitete sichtbar wie ein rotie-render Bohrer. »Du hast seit …« Er schaute auf seine Uhr. »Seit zwölf Stun- den kein Wort mit mir geredet. Und auf einmal erzählst du mir, dass ich nicht zu begreifen bin.Was ist denn los mit dir?« Sie wandte sich ab und starrte wieder zum Fenster hinaus. Der Bus kam an einem Plakat vorbei, auf dem stand: »Fahren Sie vorsichtig. Das Leben, das Sie retten, könnte Ihr eigenes sein.« Ihm war klar, dass er sich jetzt wirklich anstrengen musste. Also hielt er ihr einen Käse� ip unter die Nase. »Willst du einen? Die sind gut.« Sie legte den Kopf an die Scheibe und tat, als würde sie schlafen. Chic aß den Flip selbst. Zweimal stieß er sie leicht mit dem Ellbo-gen an. Dann bohrte er ihr den Zeige� nger in den Arm. Nach ungefähr einer Minute schlug sie die Augen auf und sagte: »Hörst du bitte auf damit.« »Warum bist du so sauer?« »Das weißt du ganz genau.« Sie schloss die Augen. Wieder stieß er leicht ihren Arm an – einmal, zweimal, drei- mal, viermal. »Wenn du nicht damit au� örst, schreie ich.« Er aß seine Flips auf und schaute sich nach den anderen Fahrgästen um. Die Navy-Leute saßen ganz hinten und unter- hielten sich � üsternd. Eine Erdnuss � og durch den Gang und landete auf der Frau gegenüber von Chic. Chic drehte sich um und sah, dass die Navy-Leute kicherten. Einer hielt sich sogar die Hand vor den Mund. Die Frau wischte sich den Arm ab. Sie war in Carbondale eingestiegen und hatte dem Fahrer erzählt, dass sie ihre Granny in Pensacola besuchen wollte. Er schielte hinüber zu Diane, um zu erkennen, ob sie noch schlief. Ihre Augen waren geschlossen. In der Highschool hatte Chic nie eine Freundin gehabt. Immer wenn er sich einem Mädchen näherte, erstarrte er, und seine Zunge fühlte sich an wie ein Schwamm. Dabei war er gar nicht unattraktiv mit seiner Bürstenfrisur, der umgeschlagenen Levi’s und dem gestärkten weißen T-Shirt, doch wegen seiner verwirrten Miene wirkte er leicht zurückgeblieben. Wenn er ein Zimmer betrat, war er sich nicht sicher, wo er hinsollte, also blieb er im Türrahmen stehen und löste einen Stau aus. Bei den Lehrern und anderen Erwachsenen war er beliebt. Er lä- chelte viel, schnitt sich regelmäßig die Fingernägel, sagte im- mer »Bitte« und »Danke« und sprach Frauen mit »Ma’am« an. Im November, als er bei einem Footballspiel in Middleville auf der Tribüne saß, kam Diane auf ihn zu und erklärte ihm, dass sie erwarte, von ihm, Chic Waldbeeser, nach dem Spiel in die Milchbar eingeladen zu werden. Er war mit einer Gruppe an- derer Jungen da, Jungen wie er, kaum der Rede wert, die auf einen Schlag verstummten und mit gereckten Hälsen zu Diane au� lickten. Diane von Schmidt kannten alle. Ihr Vater war Mathematiklehrer, aber sie benahm sich nicht wie die Tochter eines Mathematiklehrers. Zu den Schulbällen erschien sie in Pumps. Zwei Jahre lang war sie fest mit Randy Rugaard zu- sammen gewesen, der im Sportunterricht damit geprahlt hatte, dass sie ein heißer Feger war. Damit meinte er, dass sie eine Wildkatze war. Und damit meinte er, dass sie ihm einiges ab- verlangte. Nach einem gemeinsamen Eis saßen sie auf den Vordersit- zen des viertürigen Plymouth von Chics Mutter, und Diane drückte ihren Mund auf Chics Lippen. Kichernd löste sie sich nach einigen Sekunden von ihm und wischte sich den Mund ab. Dann fragte sie: »Was wünschst du dir mehr als alles andere auf der ganzen, weiten Welt?« Ihre Stimme klang so selbstbe- wusst, dass Chic ganz unsicher wurde. »Einen großen Hund«, sagte Chic. »Nein, ich meine vom Leben.« Darüber musste er nachdenken. Mit einem großen Hund würde alles ein bisschen besser werden. Große Hunde mach- ten Familien glücklich, und seine Familie war seit zehn Jahren nur noch ein Scherbenhaufen. Als er acht war, war sein Vater hinter die Scheune gegangen und hatte sich in den Schnee ge- setzt, um zu erfrieren. Ungelogen. Diane wusste davon. Alle wussten es. Und alle schauten Chic deswegen ein wenig schief von der Seite an. Die meiste Zeit dachte er lieber nicht so viel darüber nach. Er dachte nur daran, dass er eines Tages seine eigene Familie haben würde – und diesen großen Hund. An- scheinend war das die brauchbarste Art, mit solchen Dingen umzugehen: immer weiter voranzugehen und nicht zurückzu- schauen. So hatte es seine Mutter gemacht. Einen Tag nach der Beerdigung seines Vaters stieg sie in Tom McNeeleys Dodge und fuhr mit ihm herum. Also, was wünschte er – Chic Wald- beeser – sich mehr als alles andere? Eigentlich war die Antwort darauf ziemlich einfach, auch wenn er sie tief in sich verbarg, weit hinten in seinem Kopf, dort, wo Spinnweben hingen und ständig ein Wasserhahn trop� e. Aber weil sie gefragt hatte und Diane von Schmidt war, die Tochter eines Mathematik-lehrers und ein heißer Feger, verriet er es ihr. »Ich wünsche mir eine normale Familie.« »Wie bitte?« »Eine normale Familie. Ein ganz normales Leben.« Ein knappes Jahr später richtete Dianes Vater eine große Hochzeit aus. In der katholischen Kirche von Middleville dräng- ten sich DianesTanten, Onkel, Cousins und Cousinen und deren Kinder. Chics Mutter schickte einen Obstkorb mit einer Karte, in der sie schrieb, dass sie nicht kommen konnte, weil sie in Florida war und Tennis spielen lernte.Am Tag nach Chics High- school-Abschluss war sie mit Tom McNeeley dorthin gezogen. Der einzige Geladene von der Waldbeeser-Seite war Kenneth Waxman, ein Freund von Chics Vater. Mr.Waxman saß zusam- mengequetscht hinten in der Kirche neben Dianes Cousine dritten Grades Mary Lou aus Junction City, Kansas, und ihren sieben Kindern. Ein älterer

Mit Selbststeuerung lässt sich im Leben vieles, ohne sie nichts erreichen. Ihre wahre Bedeutung liegt jedoch nicht in der Ansteuerung hehrer oder spektakulärer Ziele. Ihr tiefer Sinn liegt darin, unser ganz eigenes, wahres Leben zu leben und zu uns selbst, zu unserer jeweils ureigenen Identität zu � nden. Wer -wie es ein Kleinkind tut- nur seinen spontanen Impulsen nachgibt oder unvermittelt und ohne Sinn und Verstand nach allem grei� , sich alles einverleibt oder alles haben muss, was ihm hingehalten wird, hat kein Selbst. Die Weisheit unserer Sprache verrät es: Wir können uns selbst verlieren. Wir können uns nicht nur an unsere Impulse und A� ekte verlieren, sondern auch an Dinge, Waren und an die auf uns einwirkenden Reize. Ein Selbst, auch das kann man am sich entwickelnden Kleinkind beobachten, entsteht erst dann, wenn wir etwas Abstand zu unseren Emotionen, zu den Objekten und den Reizen der uns umgebenden Welt halten können, wenn wir damit beginnen innezuhalten und darüber nachzudenken, was wir eigentlich wirklich wollen. Zum Selbst gehört also, einen Plan zu haben und auf dieser Grundlage etwas besonders Beglückendes zu tun, nämlich für sich eine eigene, ganz individuelle Zukun� zu entwerfen. Ich werde nicht nur zeigen, dass Menschen -ent-gegen dem, was uns immer wieder weisgemacht werden soll- einen freien Willen haben, mit dem wir uns steuern und unser individuelles Selbst leben können. Ich möchte auch den heilsamen Ein� uss deutlich machen, der von einer intakten Selbststeuerung auf unsere Gesundheit ausgeht. Wo kein Selbst ist, kann es auch keine Selbststeuerung geben. Das Glück, ein Selbst zu fühlen, ist fast jedem Menschen widerfahren, auch wenn sich manche gar nicht mehr erinnern. Wann war es, als wir erstmals im Leben ein großes Gefühl von Selbst-Sein und der damit verbundenen Freiheit verspürten? Die frühesten derartigen Momente, an die wir uns erinnern können, beschreiben meist Situationen von großer Einfachheit und Natürlichkeit, Situationen jedenfalls, in denen Konsumartikel aus dem Warenarsenal unserer Wohlstandsgesellscha� en kaum eine Rolle spielen. Man-che erinnern einen ersten derartigen Moment schon für ihr Kindesalter, etwa beim ersten freien Gehen. Die meisten datieren das Gefühl eines ersten tief erlebten Selbst-Seins aber in die Zeit am Ende der Adoleszenz. O� werden erste Reisen erinnert, die typischerweise mit geringsten � nanziellen Mitteln bestritten werden mussten. Häu� g ist es auch der Auszug von zuhause, das erste bescheidene eigene Zimmer, die erste sexuelle Begegnung oder ein tiefgehendes Naturerlebnis, welches wir mit einer ersten Erfahrung der Selbststeuerung verbinden. Interessanterweise war es für viele Menschen ein bewusstes Handeln gegen die Konvention oder ein absichtsvoll herbeigeführtes Verzichtserlebnis, welches mit einem erstmaligen tiefen Gefühl der Selbstbestimmung verbunden war. Selbst sein heißt auch: Anders sein als die anderen. Doch was ist aus uns geworden, was hat das Leben mit uns gemacht, was haben wir -durch das Leben- mit uns machen lassen? Viel häu� ger als uns bewusst ist folgt unser Verhalten im Alltag nicht dem, für was wir mit unserer Identität tatsächlich stehen, also dem, was wir wirklich gerne tun würden oder für richtig halten. Stattdessen leben wir weitgehend in Routine. Unser Verhalten folgt in großem Umfang dem Druck der Anpassung an das, was andere tun oder den Automatismen zwischen Reiz und Reaktion. Inwieweit geht unser Leben über den Mini-Horizont wirklich noch hinaus, der vom Signalton aus einem unserer vielen medialen Gadgets zu unserer sofortigen Antwortreaktion reicht, oder vom kostenlos angebotenen Snack zum sofortigen Konsum desselben? Zur Über� utung mit Reizen und Waren hinzu kommt die Hetze. Der Umstand, dass über sieben Milliarden Menschen ihren Anteil an den begrenzten Ressourcen unserer Erde suchen, zwingt uns zur Arbeit, was viele wenig beein� ussbare Abhängigkeiten nach sich zieht. Die Notwendigkeit zu arbeiten beschert uns einen Zustand fort-währender Geschä� igkeit, den wir Stress nennen. Auch an diesen Zustand haben sich -ähnlich wie an den Zustand des Konformismus und des andauernden Konsums- viele aber schon so gewöhnt, dass sie auch dann, wenn es möglich wäre, nicht aus ihm aussteigen können. Möglichkeiten zur Selbstbestimmung werden uns nicht nur genommen, wir nehmen sie uns auch selbst. Weit mehr als erforderlich, unterwerfen wir uns dem Druck des Konformismus und der Anpassung an die vermuteten Erwartungen anderer. Der Über� uss und die allgegenwärtige Verfügbarkeit von billigen, o� minderwertigen und ungesunden Nahrungs- und Genuss-mitteln haben viele zu Abhängigen, beinahe zu Süchtigen werden lassen. Die an sich phantastischen Möglichkeiten, die uns Computer, Smartphones und soziale Netzwerke bieten, haben begonnen unsere Freiheit und Selbstbestimmung fast sklavenartig einzuengen. Mehr als vier Fün� el sind, Umfragen aus den USA zufolge, zum Abspannen und Nachdenken gar nicht mehr in der Lage. Unverho� e Gelegenheiten zum Innehalten -und erst Recht zur Muße- bringen manche Zeitgenossen paradoxer Weise in große Schwierigkeiten. So versetzten sich zahlreiche Teilnehmer eines wissenscha� lichen Experiments während einer ihnen gewährten 15-minütigen Auszeit lieber freiwillig kurze Stromstöße mit einem zufällig bereitstehenden Gerät anstatt einfach nichts zu tun, nur um keine Langeweile mit sich selbst zu erleben. Wer kein Selbst hat, möchte diese missliche Tatsache lieber gar nicht erst entdecken. Wie � nden wir den Weg aus einer von Selbst-Verlust, verlorener Selbstbestimmung und Stress gekennzeichneten Situation? Angesichts vieler Abhängigkeiten und Zwänge, in die wir uns hineinbegeben haben, wünschen sich viele Menschen die Möglichkeit zu einem Befreiungsschlag. Doch diese Option würde nichts zum Besseren wenden. Lebensgewohnheiten und Verhaltens-muster sind in Netzwerken unseres Gehirns festgeschrieben und lassen sich nur im Laufe eines längeren Lern- und Übungsprozesses verändern. In welche Richtung sollte dieser Prozess gehen? Das Ziel sollte sein, Freiheitsgrade zu erhöhen, Selbstbestimmung zu stärken und wieder etwas von dem Glück spürbar zu machen, das aus den erinnerten Episoden sprach, von denen eingangs die Rede war. Dieses Glück war, wie wir sahen, kein durch die Warenwelt einlösbares, konsumatorisches Glück, kein Fast-Food-Glück mit der rein hedonischen Befriedigung unserer vielen, o� suchtartigen Abhängigkeiten. Es ist ein tieferes, eudaimonisches Glück, bei dem es darum geht, sich größere, längerfristige Ziele zu setzen, tiefe und sinnha� e Erfahrungen zu machen, aufzubrechen, einen eigenen Weg zu gehen und persönlich zu wachsen. Wer den Verdacht haben sollte, hier begegne uns Gutmenschen-Gerede, liegt daneben. Menschen, die sich dem eudaimonischen Glück verschrieben haben, zeigen ein ganz besonderes Aktivitätsmuster ihrer Gene, das die Bewahrung der Gesundheit begünstigt. Wer nur das hedonische Glück vor Augen hat, das sich in schnellen, konsumatorischen Befriedigungen erschöp� , aktiviert in seinem Körper demgegenüber ein Genaktivitätsmuster, das Herz-, Krebs- und Demenzerkrankungen begünstigt und die Anfälligkeit für Virusinfekte erhöht. So stoßen wir am Ende dieser ersten Betrachtung auf eine dialektische Beziehung: Die Fähigkeit, sich dem sinnlosen Konsum und ständi-gen Reizen zu verweigern, sich stattdessen bewusst zu beschränken, auch Verzicht ertragen zu können, kann zu einem Zugewinn von Freiheit und Selbststeuerungsfähigkeit führen, sie kann unsere Handlungsoptionen erweitern und uns größere, lohnenswertere Ziele erreichen lassen. Was ist Selbststeuerung? Vor allem: In welchem Verhältnis steht sie zur Selbstkontrolle und zur Disziplin, die in Deutschland von etwa 1870 bis Ende der 1950er Jahre als oberste Tugenden galten? Wer seine Kinderjahre kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, konnte die letzten Vertreter der damals lebenden Generationen noch als Eltern und Großeltern kennen-lernen. Strenge Selbstkontrolle und absolute Disziplin wurden damals, unter reichlicher Anwendung von erzieherischer Gewalt, bereits kleinen Kindern aufgezwungen . Den Abschluss dieser Erziehung bildete bei den Männern das Militär. Freundlichkeit und Zärtlichkeit wurden als Gefühlsduselei gering geschätzt, genussvolle Sexualität radikal unterdrückt. Nur Selbstkontrolle und Disziplin galten als Kennzeichen eines anständigen

Belletristik

Ryan Bartelmay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4Voran, voran, immer weiter voran

Gunnar Ardelius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 8Die Liebe zur Freiheit hat uns hierher geführt

Titus Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 10Berlin Feuerland

Scott Turow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12Die Erben des Zeus

Elizabeth Kelly . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 14Die offi zielle Verabschiedung meiner langjährigen Kindheit

Sachbuch

Joachim Bauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 16Selbststeuerung

Tanja Busse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20Die Wegwerfk uh

Björn Schumacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 22Das Geheimnis des menschlichen Alterns

Marie Mouti er . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 24„Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen.“

John Cleese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 26Wo war ich noch mal?

Uwe Witt stock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 30Marcel Reich-Ranicki

Backlist

Kathy Reichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 32Knochen lügen nie

Highlights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 33

Inhalt FRÜHJAHR 2015

Page 4: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

© B

rad

Caus

ey Ryan Bartel may

Page 5: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung I Die Zeit I KulturSpiegel I Das Magazin I Buchjournal I Buchkultur NZZ „Bücher am Sonntag“

Online-Kampagne: perlentaucher.de I literaturcafe.de literaturforum.de I lovelybooks.devorablesen.de

Publikumsanzeigen in aufl agenstarken Medien:

Bestsellermarketing

„Mein Roman zeigt Menschen, die über den Verlauf ihrer gesamten

Lebensspanne ihre Probleme mit den falschen Rezepten zu lösen

versuchen und die dabei doch immer das Richtige tun wollen.“

RYAN BARTELMAY

Streifenplakat:

Format 29,7 x 63 cm

Streifenplakat:

Format 29,7 x 63 cm

Ryan Bartel may

Page 6: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Im Bus nach Florida wollte Diane nicht Chics Hand halten, die wie ein toter Fisch auf seinem Knie lag. Sie würdigte sie keines Blickes und stellte sich schla-fend. Dann gab sie es auf und starrte wütend auf den Hut des Mannes vor ihnen. Dabei war sie sonst überhaupt nicht so. Während des letzten Monats hatte sie die ganze Zeit wie ein Wasserfall über ihre bevorstehende Hochzeitsreise geredet – das müssen wir unbedingt machen, und jenes müssen wir unbedingt machen, das auch und das noch und das sowieso –, und jetzt, wo es so weit war, knirschte sie so laut mit den Zähnen, dass er es hören konnte. Bei einer Pause in Kentucky fragte er sie, ob sie eine Limo- nade oder etwas zum Knabbern wolle. Sie starrte bloß schmol- lend aus dem Busfenster. Im Tankstellenladen kau� e er sich am Automaten eine Flasche Coca-Cola, dann beobachtete er durch die Fliegentür ein paar Navy-Leute, wie sie einen kleinen Hund mit einem Stock triezten. Plötzlich musste er an Lijy denken, die Frau seines Bruders. Was sollte diese Rückenmassage bei der Feier? Der alte Mann an der Kasse meinte: »Dieser Truman gehört nicht nach Washington.Wallace, ja, den hätte ich gewählt. Das heißt, wenn ich jemanden gefunden hätte, der auf meinen La- den aufpasst, damit ich wählen gehen kann.« Chic nahm einen Schluck von der Coca-Cola. »Aber keine Chance. Mein Sohn will nichts damit zu tun haben. Und meine Frau, die sitzt den ganzen Tag an der Näh- maschine.« »Die tun dem Hund noch weh«, sagte Chic. »Ach wo. Der Hund ist zäh. Einmal hat ihn ein Laster an- gefahren, und er ist einfach aufgestanden und hat weitergebellt. Wie dieser Hund sind wir alle.Wir bellen immer weiter.« Chic kramte ein Zehncentstück aus der Tasche. Er hatte Lust auf Käse� ips. »Hey, wohin fährt der Bus?«, fragte der Alte. »Nach Florida. Danach, weiß ich nicht. Zurück wahr- scheinlich.« »Wissen Sie, was ich in Florida machen würde? Das Flo- rida Wildlife Institute besuchen. Hab gehört, da gibt’s Albino- krokodile.« »Glaub nicht, dass das meiner Frau gefallen würde.« »Sie sind verheiratet?« »Ja, Sir.« Chic legte sein Geld auf die � eke. »Trotzdem, ich würde mir das Wildlife Institute ansehen an Ihrer Stelle.Wegen einer Frau lässt man sich doch kein Albino- krokodil entgehen.« »Haben Sie schon mal eins gesehen?« »Nur davon gehört.« Auf der Weiterfahrt stop� e sich Chic Käse� ips in den Mund. Er dachte an dieses Albinokrokodil. Er hatte noch nie einen Albino gesehen. Mit ihm war ein Junge in die Grundschule ge- gangen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte. Er hatte hellblondes Haar, und alle sagten, er sei ein Albino. Aber das stimmte nicht. Albinos hatten rosa Augen, und die des Jungen waren blau. Später zog er weg. Was wohl aus ihm geworden war? Wahrscheinlich hatte er irgendwo die High- school besucht, geheiratet und sich eine Arbeit gesucht. »Manchmal begreife ich dich einfach nicht, Chic Wald- beeser.« Er sah seine frisch angetraute Ehefrau an. Der Zorn in ihr arbeitete sichtbar wie ein rotierender Bohrer. »Du hast seit …« Er schaute auf seine Uhr. »Seit zwölf Stun- den kein Wort mit mir geredet. Und auf einmal erzählst du mir, dass ich nicht zu begreifen bin.Was ist denn los mit dir?« Sie wandte sich ab und starrte wieder zum Fenster hinaus. Der Bus kam an einem Plakat vorbei, auf dem stand: »Fahren Sie vorsichtig. Das Leben, das Sie retten, könnte Ihr eigenes sein.« Ihm war klar, dass er sich jetzt wirklich anstrengen musste. Also hielt er ihr einen Käse� ip unter die Nase. »Willst du einen? Die sind gut.« Sie legte den Kopf an die Scheibe und tat, als würde sie schlafen. Chic aß den Flip selbst. Zweimal stieß er sie leicht mit dem Ellbogen an. Dann bohrte er ihr den Zeige� nger in den Arm. Nach ungefähr einer Minute schlug sie die Augen auf und sagte: »Hörst du bitte auf damit.« »Warum bist du so sauer?« »Das weißt du ganz genau.« Sie schloss die Augen. Wieder stieß er leicht ihren Arm an – einmal, zweimal, drei- mal, viermal. »Wenn du nicht damit au� örst, schreie ich.« Er aß seine Flips auf und schaute sich nach den anderen Fahrgästen um. Die Navy-Leute saßen ganz hinten und unter- hielten sich � üsternd. Eine Erdnuss � og durch den Gang und landete auf der Frau gegenüber von Chic. Chic drehte sich um und sah, dass die Navy-Leute kicherten. Einer hielt sich sogar die Hand vor den Mund. Die Frau wischte sich den Arm ab. Sie war in Carbondale eingestiegen und hatte dem Fahrer erzählt, dass sie ihre Granny in Pensacola besuchen wollte. Er schielte hinüber zu Diane, um zu erkennen, ob sie noch schlief. Ihre Augen waren geschlossen. In der Highschool hatte Chic nie eine Freundin gehabt. Immer wenn er sich einem Mädchen näherte, erstarrte er, und seine Zunge fühlte sich an wie ein Schwamm. Dabei war er gar nicht unattraktiv mit seiner Bürstenfrisur, der umgeschlagenen Levi’s und dem gestärkten weißen T-Shirt, doch wegen seiner verwirrten Miene wirkte er leicht zurückgeblieben. Wenn er ein Zimmer betrat, war er sich nicht sicher, wo er hinsollte, also blieb er im Türrahmen stehen und löste einen Stau aus. Bei den Lehrern und anderen Erwachsenen war er beliebt. Er lä- chelte viel, schnitt sich regelmäßig die Fingernägel, sagte im- mer »Bitte« und »Danke« und sprach Frauen mit »Ma’am« an. Im November, als er bei einem Footballspiel in Middleville auf der Tribüne saß, kam Diane auf ihn zu und erklärte ihm, dass sie erwarte, von ihm, Chic Waldbeeser, nach dem Spiel in die Milchbar eingeladen zu werden. Er war mit einer Gruppe an- derer Jungen da, Jungen wie er, kaum der Rede wert, die auf einen Schlag verstummten und mit gereckten Hälsen zu Diane au� lickten. Diane von Schmidt kannten alle. Ihr Vater war Mathematiklehrer, aber sie benahm sich nicht wie die Tochter eines Mathematiklehrers. Zu den Schulbällen erschien sie in Pumps. Zwei Jahre lang war sie fest mit Randy Rugaard zu- sammen gewesen, der im Sportunterricht damit geprahlt hatte, dass sie ein heißer Feger war. Damit meinte er, dass sie eine Wildkatze war. Und damit meinte er, dass sie ihm einiges ab- verlangte. Nach einem gemeinsamen Eis saßen sie auf den Vordersit- zen des viertürigen Plymouth von Chics Mutter, und Diane drückte ihren Mund auf Chics Lippen. Kichernd löste sie sich nach einigen Sekunden von ihm und wischte sich den Mund ab. Dann fragte sie: »Was wünschst du dir mehr als alles andere auf der ganzen, weiten Welt?« Ihre Stimme klang so selbstbe- wusst, dass Chic ganz unsicher wurde. »Einen großen Hund«, sagte Chic. »Nein, ich meine vom Leben.« Darüber musste er nachdenken. Mit einem großen Hund würde alles ein bisschen besser werden. Große Hunde mach- ten Familien glücklich, und seine Familie war seit zehn Jahren nur noch ein Scherbenhaufen. Als er acht war, war sein Vater hinter die Scheune gegangen und hatte sich in den Schnee ge- setzt, um zu erfrieren. Ungelogen. Diane wusste davon. Alle wussten es. Und alle schauten Chic deswegen ein wenig schief von der Seite an. Die meiste Zeit dachte er lieber nicht so viel darüber nach. Er dachte nur daran, dass er eines Tages seine eigene Familie haben würde – und diesen großen Hund. An- scheinend war das die brauchbarste Art, mit solchen Dingen umzugehen: immer weiter voranzugehen und nicht zurückzu- schauen. So hatte es seine Mutter gemacht. Einen Tag nach der Beerdigung seines Vaters stieg sie in Tom McNeeleys Dodge und fuhr mit ihm herum. Also, was wünschte er – Chic Wald- beeser – sich mehr als alles andere? Eigentlich war die Antwort darauf ziemlich einfach, auch wenn er sie tief in sich verbarg, weit hinten in seinem Kopf, dort, wo Spinnweben hingen und ständig ein Wasserhahn trop� e. Aber weil sie gefragt hatte und Diane

von Schmidt war, die Tochter eines Mathematiklehrers und ein heißer Feger, verriet er es ihr. »Ich wünsche mir eine normale Familie.« »Wie bitte?« »Eine normale Familie. Ein ganz normales Leben.« Ein knappes Jahr später richtete Dianes Vater eine große Hochzeit aus. In der katholischen Kirche von Middle-ville dräng- ten sich DianesTanten, Onkel, Cousins und Cousinen und deren Kinder. Chics Mutter schickte einen Obstkorb mit einer Karte, in der sie schrieb, dass sie nicht kommen konnte, weil sie in Florida war und Tennis spielen lernte.Am Tag nach Chics High- school-Abschluss war sie mit Tom McNeeley dort-hin gezogen. Der einzige Geladene von der Waldbeeser-Seite war Kenneth Waxman, ein Freund von Chics Vater. Mr.Waxman saß zusam- mengequetscht hinten in der Kirche neben Dianes Cousine dritten Grades Mary Lou aus Junction City, Kansas, und ihren sieben Kindern. Ein älterer Onkel Dianes, der schon lange in Middleville lebte, beugte sich zu seiner Frau und fragte: »Was genau hat der alte Waldbeeser gemacht?« »Selbstmord«, antwortete sie. »Vor zehn Jahren oder so.« »Ja, ja … das weiß ich. Ich meine, was hat er gemacht.« Sie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich in der Konserven- fabrik gearbeitet.« Chics Bruder Buddy stand mit dem Ring in der Tasche vor dem Altar neben Chic. Erst vor Kurzem war er von irgendwo im Osten oder Westen zurückge-kehrt. Er war nicht besonders mitteilsam. Auf jeden Fall kam er rechtzeitig zu Chics Hoch- zeit und hatte seine indische Ehefrau dabei, die, weil sie einen Sari trug und in Sandalen ihre Zehen zeigte, bei den Klein- stadtbewohnern Getuschel auslöste. Buddy war lang und dünn wie eine Bohnenstange. In einem überfüllten Zimmer sah man ihn als Ersten, doch ansonsten konnte man nicht behaupten, dass er die anderen überragte. Seine Standardnote an der High- school war »Ausreichend« gewesen. Und er war schüchtern. Bei der Feier im Gemeindesaal genehmigte er sich zu viel von dem starken Punsch und schwa-felte während seiner Rede als Trauzeuge endlos von seinem Vater, vom Vater seines Vaters und von dessen Vater, Bascom Waldbeeser, der aus Deutschland eingewandert und zusammen mit seiner Frau Kiki und ihrem gemeinsamen Sohn Bascom junior aus New Orleans hierher- gekommen war, um Middleville zu gründen. Die Gäste auf ihren Klappstühlen schauten einander an. Jeder Einwohner der Kleinstadt wusste, dass Middleville und die Konservenfabrik in den Achtzehnhundertachtzigern von R.S. Archerbach und seinen Söhnen gegründet worden war. Es gab sogar ein Buch, Middleville, Illinois: Unsere Stadt, unser Leben, unsere Geschichte, das Mrs. Ruth Van Eatton verfasst hatte, eine Englischlehrerin an der Highschool. Das Buch zeigte auf Schwarz-Weiß-Fotos die Familie Archerbach und andere füh- rende Familien des Orts, dazu den Holzbau der Kürbiskon- servenfabrik (inzwischen ein Nationaldenkmal) an der Main Street um 1884 und die Eisenbahnstation an der Je� erson und First Street, die Middleville mit dem dreißig Kilometer nörd- lich gelegenen Peoria verband. Diane beugte sich vor und fragte Chic, warum sein Bruder behauptete, dass die Familie Waldbeeser für die Konservenfabrik verantwortlich war.Ach- selzuckend tat Chic, als hätte er keine Ahnung, worauf sein Bruder hinauswollte. Dabei wusste er es ganz genau. Das hatte ihnen ihr Großvater erzählt, als sie noch klein waren, ein Mär- chen, das Buddy und Chic dazu bewegen sollte, sich in der großen, weiten Welt zu behaupten und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. So interpretierte Chic zumindest die Geschichte. Nach einer Viertelstunde knipste ein zehnjähriger Cousin das Licht aus, und im ganzen Saal wurde es stockdunkel.Tan- ten und andere Frauen ächzten erschrocken. Jemand � üsterte: »Gott sei Dank.« Als es wieder hell wurde, stand Buddy leicht schwankend mitten auf der Tanz� äche. Sichtlich betrunken, hob er sein Glas. »Herzlichen Glück…« Er rülpste. »Herzlichen Glück- wunsch.« Dianes Vater führte ihn durch eine Seitentür hinaus auf den Parkplatz, und jemand warf die Musikbox an: Patti Page sang »All My Love«. Als sich das Durcheinander wieder gelegt hatte und die Leute nach den Händen ihrer Liebsten gri� en, um sie aufs Tanzparkett zu zerren, fand sich Chic auf einmal hinter Bud- dys Frau Lijy wieder. Sie zup� e sich gerade Fussel von ihrem Sari. Während der gesamten Feier hatte er beobachtet, wie sich Tanten und Onkel anstießen und hinter vorgehaltener Hand über Lijy redeten. Mit Ausnahme von Bildern in Bü- chern war sie die erste Inderin, die die Leute in Middleville je zu Gesicht bekommen hatten. Wenn sie auf der Main Street ins Kau� aus Witzig gegenüber der Milchbar trat, bremsten kreischend die Buick Roadmasters, auf deren Rücksitzen achtjährige Knirpse saßen und die Fenster herunterkurbelten, um mit dem Finger auf sie zu zeigen.Als er nun am Rand der Tanz� äche stand, drängte sich Chic so nah an sie heran, dass er ihr Haar riechen konnte. Es roch seltsam, aber gut – erdig und würzig, nach Moschus vielleicht. Sie erinnerte ihn an eine Puppe. Plötzlich drehte sie sich um und räusperte sich. Sofort bemerkte Chic die Wölbung ihrer Brüste unter dem Sari. Das war ihm bisher nicht aufgefallen. Doch da waren sie – ungefähr so groß wie Grapefruits. »Ich …« Schnell senkte er den Blick zu seinen Schuhspitzen und drückte die Augen ganz fest zu. Sie hatte es gesehen, sie hatte gesehen, wie er auf ihren Busen gestarrt hatte. »Entschuldigung«, murmelte er. Doch sie beachtete ihn gar nicht. Ihr Blick zielte an ihm vorbei zu der Seitentür, durch die Buddy auf den Parkplatz hinaus verschwunden war. Chic schaute über seine Schulter und sah, wie sein Bruder, gefolgt von Dianes Vater, wieder her- einkam. Buddy wischte sich mit einem Taschentuch den Mund ab, und seine Krawatte hatte sich gelöst. Er war bleich, als hätte er sich gerade übergeben. »Möchtest du eine Rückenmassage?«, fragte Lijy. Chic sah sie mit großen Augen an. »Hast du mich gehört?« Meinte sie das ernst? Er ließ den Blick über die Hochzeitsgäste gleiten. Auf dem Tanzparkett warf Diane die Beine hoch, während ein Kerl Akkordeon spielte. Ihre Verwandten hatten einen Kreis um sie gebildet und klatschten mit. Lijy packte ihn am Unterarm und führte ihn zu einem leeren Tisch. Dort forderte sie ihn auf, die Jacke seines Smokings auszuziehen und sich auf den Stuhl zu setzen. Dann berührte sie ihn mit ihren Händen. Sie waren kalt, doch sie hatte diesen Trick, sie anei-nander zu reiben, dann fuhr sie damit wieder über sein Hemd und drückte seine Schultern. Ein gutes Gefühl – mehr als gut. Allerdings nahm Chic das gar nicht richtig wahr, weil er so sehr damit beschä� igt war, nicht die Fassung zu verlieren. Während Lijy seinen Rücken rubbelte und knetete, behielt sie Buddy immer im Auge, der gar nicht mitbekommen hatte, dass sie seinen Bruder, den Bräutigam dieses ganzen Hochzeitsspektakels, an einen leeren Tisch gezerrt hatte, um ihm den Rücken zu massieren. Sie beobachtete, wie Buddy zum Punschtresen torkelte und sich von der Frau mit der Kelle ein Glas eingießen ließ. Mit einer einzigen ruckartigen Bewegung kippte er den Punsch hinunter und streckte ihr das Glas zum Nachschenken hin. »Das hier ist dein Amsa Phalak«, � üsterte sie Chic ins Ohr. Ihre Hände arbeiteten sich zu seinem mittleren Rücken vor. »Vrihati Marma. Parshva Sandhi. Katika Tarunam.« Chic strei� e kurz die Befürchtung, dass Diane herüberschauen könnte, doch dieser Gedanke ver� üchtigte sich schnell wieder, weil sich die Rückenmassage so gut anfühlte. »Mach weiter«, � üsterte er. »Ja, genau da.« Völlig unvermittelt hörte Lijy auf, strich an ihm vorbei und ließ ihn sitzen. Das Hemd hing ihm aus der Hose, die Smokingjacke lag achtlos hingeworfen auf dem Tisch. Er sah, wie Buddy durch die Seitentür zum Parkplatz wankte und Lijy ihm folgte.

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Ryan Bartelmay, geboren 1975, hat an der Colum-bia University Kreati ves Schreiben studiert. Seine Kurzge-schichten wurden in verschiedenen amerikanischen Litera-turmagazinen veröff entlicht. Voran, voran, immer weiter voran ist Bartelmays erster Roman. Ryan Bartelmay ist Dekan an der erziehungswissenschaft lichen Fakultät des Kendall College in Chicago, wo er mit seiner Familie lebt.

Amerikanischer Mitt elwesten, Anfang der 1950er-Jahre: Chic Waldbeeser hat gerade seine Highschool-Liebe Diane gehei-ratet und sieht hoff nungsfroh in eine Zukunft als Familienva-ter und Eigenheimbesitzer. Sein Bruder Buddy ist ein ruhelo-ser Geist, dem es schwerfällt, seinen Platz im Leben zu fi nden und sesshaft zu werden, und der nicht weiß, dass seine Frau Lijy ihr eigenes Geheimnis hütet. Über fünfzig Jahre hinweg werden die beiden Brüder versuchen, trotz aller Schicksals-schläge und Niederlagen immer weiterzumachen. Und Chic wird im Alter noch eine letzte Chance bekommen, sein Glück zu fi nden.

In der Traditi on von John Williams’ Stoner erzählt dieser epi-Stoner erzählt dieser epi-Stonersche Roman von zwischenmenschlichen Missverständnissen, die mit der Zeit zu unüberwindlichen Barrieren werden, vom Mitt elmaß und den kleinen und großen Dramen des Lebens. Mit einer lakonischen und eingängigen Sprache macht Ryan Bartelmay uns zu Zeugen einer sich über ein halbes Jahrhun-dert entf altenden Familiengeschichte.

Ein literarisches Meisterwerk über das Scheitern und Wiederaufstehen, die Liebe und den Schmerz und die tragikomische Geschichte zweier ungleicher Brüder.

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schon lange in Middleville lebte, beugte sich zu seiner Frau und fragte: »Was genau hat der alte Waldbeeser gemacht?« »Selbstmord«, antwortete sie. »Vor zehn Jahren oder so.« »Ja, ja … das weiß ich. Ich meine, was hat er gemacht.« Sie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich in der Konserven- fabrik gearbeitet.« Chics Bruder Buddy stand mit dem Ring in der Tasche vor dem Altar neben Chic. Erst vor Kurzem war er von irgendwo im Osten oder Westen zurückge-kehrt. Er war nicht besonders mitteilsam. Auf jeden Fall kam er rechtzeitig zu Chics Hoch- zeit und hatte seine indische Ehefrau dabei, die, weil sie einen Sari trug und in Sandalen ihre Zehen zeigte, bei den Klein- stadtbewohnern Getuschel auslöste. Buddy war lang und dünn wie eine Bohnenstange. In einem überfüllten Zimmer sah man ihn als Ersten, doch ansonsten konnte man nicht behaupten, dass er die anderen überragte. Seine Standardnote an der High- school war »Ausreichend« gewesen. Und er war schüchtern. Bei der Feier im Gemeindesaal genehmigte er sich zu viel von dem starken Punsch und schwa-felte während seiner Rede als Trauzeuge endlos von seinem Vater, vom Vater seines Vaters und von dessen Vater, Bascom Waldbeeser, der aus Deutschland eingewandert und zusammen mit seiner Frau Kiki und ihrem gemeinsamen Sohn Bascom junior aus New Orleans hierher- gekommen war, um Middleville zu gründen. Die Gäste auf ihren Klappstühlen schauten einander an. Jeder Einwohner der Kleinstadt wusste, dass Middleville und die Konservenfabrik in den Achtzehnhundertachtzigern von R.S. Archerbach und seinen Söhnen gegründet worden war. Es gab sogar ein Buch, Middleville, Illinois: Unsere Stadt, unser Leben, unsere Geschichte, das Mrs. Ruth Van Eatton verfasst hatte, eine Englischlehrerin an der Highschool. Das Buch zeigte auf Schwarz-Weiß-Fotos die Familie Archerbach und andere füh- rende Familien des Orts, dazu den Holzbau der Kürbiskon- servenfabrik (inzwischen ein Nationaldenkmal) an der Main Street um 1884 und die Eisenbahnstation an der Je� erson und First Street, die Middleville mit dem dreißig Kilometer nörd- lich gelegenen Peoria verband. Diane beugte sich vor und fragte Chic, warum sein Bruder behauptete, dass die Familie Waldbeeser für die Konservenfabrik verantwortlich war.Ach- selzuckend tat Chic, als hätte er keine Ahnung, worauf sein Bruder hinauswollte. Dabei wusste er es ganz genau. Das hatte ihnen ihr Großvater erzählt, als sie noch klein waren, ein Mär- chen, das Buddy und Chic dazu bewegen sollte, sich in der großen, weiten Welt zu behaupten und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. So interpretierte Chic zumindest die Geschichte. Nach einer Viertelstunde knipste ein zehnjähriger Cousin das Licht aus, und im ganzen Saal wurde es stockdunkel.Tan- ten und andere Frauen ächzten erschrocken. Jemand � üsterte: »Gott sei Dank.« Als es wieder hell wurde, stand Buddy leicht schwankend mitten auf der Tanz� äche. Sichtlich betrunken, hob er sein Glas. »Herzlichen Glück…« Er rülpste. »Herzlichen Glück- wunsch.« Dianes Vater führte ihn durch eine Seitentür hinaus auf den Parkplatz, und jemand warf die Musikbox an: Patti Page sang »All My Love«. Als sich das Durcheinander wieder gelegt hatte und die Leute nach den Händen ihrer Liebsten gri� en, um sie aufs Tanzparkett zu zerren, fand sich Chic auf einmal hinter Bud- dys Frau Lijy wieder. Sie zup� e sich gerade Fussel von ihrem Sari. Während der gesamten Feier hatte er beobachtet, wie sich Tanten und Onkel anstießen und hinter vorgehaltener Hand über Lijy redeten. Mit Ausnahme von Bildern in Bü- chern war sie die erste Inderin, die die Leute in Middleville je zu Gesicht bekommen hatten. Wenn sie auf der Main Street ins Kau� aus Witzig gegenüber der Milchbar trat, bremsten kreischend die Buick Roadmasters, auf deren Rücksitzen achtjährige Knirpse saßen und die Fenster herunterkurbelten, um mit dem Finger auf sie zu zeigen.Als er nun am Rand der Tanz� äche stand, drängte sich Chic so nah an sie heran, dass er ihr Haar riechen konnte. Es roch seltsam, aber gut – erdig und würzig, nach Moschus vielleicht. Sie erinnerte ihn an eine Puppe. Plötzlich drehte sie sich um und räusperte sich. Sofort bemerkte Chic die Wölbung ihrer Brüste unter dem Sari. Das war ihm bisher nicht aufgefallen. Doch da waren sie – ungefähr so groß wie Grapefruits. »Ich …« Schnell senkte er den Blick zu seinen Schuhspitzen und drückte die Augen ganz fest zu. Sie hatte es gesehen, sie hatte gesehen, wie er auf ihren Busen gestarrt hatte. »Entschuldigung«, murmelte er. Doch sie beachtete ihn gar nicht. Ihr Blick zielte an ihm vorbei zu der Seitentür, durch die Buddy auf den Parkplatz hinaus verschwunden war. Chic schaute über seine Schulter und sah, wie sein Bruder, gefolgt von Dianes Vater, wieder her- einkam. Buddy wischte sich mit einem Taschentuch den Mund ab, und seine Krawatte hatte sich gelöst. Er war bleich, als hätte er sich gerade übergeben. »Möchtest du eine Rückenmassage?«, fragte Lijy. Chic sah sie mit großen Augen an. »Hast du mich gehört?« Meinte sie das ernst? Er ließ den Blick über die Hochzeitsgäste gleiten. Auf dem Tanzparkett warf Diane die Beine hoch, während ein Kerl Akkordeon spielte. Ihre Verwandten hatten einen Kreis um sie gebildet und klatschten mit. Lijy packte ihn am Unterarm und führte ihn zu einem leeren Tisch. Dort forderte sie ihn auf, die Jacke seines Smokings auszuziehen und sich auf den Stuhl zu setzen. Dann berührte sie ihn mit ihren Händen. Sie waren kalt, doch sie hatte diesen Trick, sie anei-nander zu reiben, dann fuhr sie damit wieder über sein Hemd und drückte seine Schultern. Ein gutes Gefühl – mehr als gut. Allerdings nahm Chic das gar nicht richtig wahr, weil er so sehr damit beschä� igt war, nicht die Fassung zu verlieren. Während Lijy seinen Rücken rubbelte und knetete, behielt sie Buddy immer im Auge, der gar nicht mitbekommen hatte, dass sie seinen Bruder, den Bräutigam dieses ganzen Hochzeitsspektakels, an einen leeren Tisch gezerrt hatte, um ihm den Rücken zu massieren. Sie beobachtete, wie Buddy zum Punschtresen torkelte und sich von der Frau mit der Kelle ein Glas eingießen ließ. Mit einer einzigen ruckartigen Bewegung kippte er den Punsch hinunter und streckte ihr das Glas zum Nachschenken hin. »Das hier ist dein Amsa Phalak«,

Page 7: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

„Im Stil von Jeffrey Eugenides und Richard Russo erzählt Bartelmay von Verlust, Verzweiflung und Versöhnung.“ BOOKLIST

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Die Independent-Überraschung aus den USA.

„Was für ein wunderschöner, warmherziger und großzügiger Roman!“ DINAW MENGESTU

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Leseexemplarauch digitalBitt e bestellen Sie [email protected]

Hardcover

Ryan BartelmayVoran, voran, immer weiter voranRoman[Onward Toward What We’re Going Toward]Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader432 Seiten | 13,5 x 21,5 cmGebunden mit Schutzumschlag€ 21,99 [D] | € 22,70 [A] | CHF 31,50*ISBN 978-3-89667-526-2WG 1110, Belletristi k

MÄRZ 2015

E-Book€ 17,99 [D/A] | CHF 23,–*ISBN 978-3-641-13788-5

Page 8: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

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Gunnar Ardelius, geboren 1981, studierte Litera-tur. 2006 erschien sein Debüt, ein Jugendbuch, ausgezeich-net mit dem Slangbellan, dem wichti gsten schwedischen De-bütantenpreis, und nominiert für den August-Preis. Die Liebe zur Freiheit hat uns hierher geführt ist Ardelius’ erstes Buch für Erwachsene und wurde für den Tidningen Vi:s litt eratur-pris nominiert. Seit 2012 ist Gunnar Ardelius Vorsitzender des schwedischen Schrift stellerverbandes. Er lebt bei Stockholm.

Eine schwedische Familie kommt 1969 in die liberianische Mi-nenstadt Yekepa, nachdem der Vater, Hektor, dort eine Stelle als Personalchef bei der schwedischen Minenfi rma LAMCO angenommen hat. Was für die Familie Abwechslung und Abenteuer werden soll, gerät zum Albtraum: Seine Frau emp-fi ndet die neue Umgebung zunehmend als beängsti gend, lei-det unter dem Klima und vermisst ihren Liebhaber in Stock-holm. Hektor wird schnell bewusst, dass der ihm durch den Umzug nach Afrika zugesagte Karrieresprung ausbleiben wird, er ist alarmiert vom Umgang seines Unternehmens mit den Einheimischen und befürchtet anhaltende Streiks. Sein sieb-zehnjähriger Sohn Mårten hingegen freundet sich mit dem afrikanischen Gärtner der Familie an. Nach und nach kommt Mårten dadurch mit der afrikanischen Unabhängigkeitsbewe-gung in Kontakt und gerät schließlich zwischen die Fronten. Dabei bringt er nicht nur sich selbst, sondern auch seine Fami-lie und seinen afrikanischen Freund in Gefahr.

Ein beklemmender und atmosphärisch dichter Roman über eine Familie, die in der fremden Umgebung Afrikas mit ver-drängten Ängsten, längst schwelenden Konfl ikten und den eigenen Abgründen konfronti ert wird.

Ein aufrüttelnder Roman über Rassismus, Kolonialismus und kulturelle Identität.

Page 9: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

„Dieser Roman ist ein Juwel, bewegend und melancholisch.“ GÖTEBORGS POSTEN

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„Ardelius’ gewagte und gleichzeitig raffiniert einfache Bild-sprache und sein Gespür für das richtige Timing rauben einem beim Lesen den Atem.“ DAGENS NYHETER

Gunnar Ardelius ist der literarische Newcomer aus Schweden, ausgezeichnet mit dem Slangbellan, nominiert für den August-Preis und für den Tidningen Vi:s litteraturpris.

Hardcover

Gunnar ArdeliusDie Liebe zur Freiheit hat uns hierher geführtRoman[Friheten förde oss hit]Aus dem Schwedischen von Thorsten Almsca. 250 Seiten | 13,5 x 21,5 cmGebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-548-4WG 1110, Belletristi k

MÄRZ 2015

E-Book€ 15,99 [D/A] | CHF 20,–*ISBN 978-3-641-16279-5

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Page 10: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Hannes Böhm lebt in dem Industrieviertel, das die Berliner Feuerland nennen, weil hier die Schornsteine der Industrie qualmen. Als eine Art selbst ernannter Fremdenführer ver-dient er sich ein kleines Zubrot, indem er neugierigen Bürgern die Armut und die Not in den Hinterhäusern zeigt. Bei einer solchen Gelegenheit lernt er Alice kennen, die als Tochter des Kastellans im Berliner Stadtschloss wohnt, der Frühlingsresi-denz des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. Alice ist schockiert über das Ausmaß der Verelendung – und zugleich ti ef beeindruckt von Hannes, der voller Ehrgeiz und Fantasie zu sein scheint.

Doch als die Märzunruhen 1848 ausbrechen, als sich der Kon-fl ikt zwischen dem preußischen König und den Aufständi-schen zuspitzt und gemäßigte Kräft e nur schwer Gehör fi n-den, scheint es für die Gefühle, die Hannes und Alice füreinander entwickeln, keine Zukunft mehr zu geben.

Titus Müller entwirft in seinem neuen Roman ein großes Pan-orama der revoluti onären Ereignisse und zeigt, dass die Zwei-fel an der Politi k des Königs selbst in der Armee und im Poli-zeiapparat immer größer wurden.

„Titus Müller ist der Meister der spannenden Verbindung geschichtsträchtiger Themen mit fiktiven Schicksalen.“ WIESBADENER KURIER

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Titus Müller, geboren 1977 in Leipzig, studierte in Berlin u. a. Literatur und Geschichte. 1998 gründete er die Literaturzeitschrift Federwelt. 2002 veröff entlichte er seinen ersten Roman Der Kalligraph des Bischofs. 2011 erschien bei Blessing sein Roman über den Untergang der Titanic: Tanz unter Sternen. Für Nachtauge (Blessing, 2013) wurde Titus Müller 2014 im Rahmen einer Leserumfrage zum Histo-König des Jahres gewählt.

Große Lesereise des Autors.

Außenplakati erung an hochfrequen-ti erten Standorten in Berlin

Spots in Berliner Programmkinos

Marketing

Page 11: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Zwischen Schloss und Barrikaden: eine Geschichte voller Liebe und Abenteuer, minutiös recherchiert, packend und atmosphärisch dicht erzählt.

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Hardcover

Titus MüllerBerlin FeuerlandRomanca. 450 Seiten | 13,5 x 21,5 cmGebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-503-3WG 1113, Historischer Roman

MÄRZ 2015

E-Book€ 15,99 [D/A] | CHF 20,–*ISBN 978-3-641-12511-0

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Der große Roman über die Märzrevolution von 1848.

Titus Müller wurde mit dem C. S. Lewis-Preis und dem Sir Walter Scott-Preis ausgezeichnet und ist Mitglied des P.E.N.-Clubs.

480 SeitenGebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-458-6

Auch als Heyne Taschenbuch

Page 12: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

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Scott Turow, Jahrgang 1949, ist Schrift steller und Anwalt. Er schrieb bereits neun in zahlreiche Sprachen über-setzte Romane, darunter sein Debüt Aus Mangel an Bewei-sen (1987) – verfi lmt mit Harrison Ford auch ein enormer Kinoerfolg – und dessen lang erwartete Fortsetzung Der letzte Beweis (Blessing, 2010).

Paul und Cass Gianis sind Zwillinge. Paul ist erfolgreicher An-walt, der seine Wahlkampagne für das Amt des Bürgermeis-ters vorbereitet. Cass sitzt seit fünfundzwanzig Jahren im Ge-fängnis, weil er im Jahr 1982 seine Verlobte, Dita Kronon, umgebracht haben soll. Seine Entlassung steht kurz bevor. Nun will Hal Kronon, Bruder des Opfers und aufb rausender Immobilientycoon, einen lang gehegten Verdacht prüfen – nämlich dass Paul nicht minder an der Ermordung seiner Schwester beteiligt war als der Zwilling Cass. Hals Rachefeld-zug ist nur der Auft akt zu einem vielschichti gen Verwirrspiel, dessen Dramati k einer griechischen Tragödie gleicht. Denn auf die Protagonisten Paul Gianis und Hal Kronon und ihren Kampf um Wahrheit und Macht fällt der lange Schatt en einer Geschichte zweier Einwandererfamilien, in der Hals Vater, Zeus Kronon, die unheilvolle Hauptrolle spielt.

Mit Die Erben des Zeus bekräft igt Scott Turow einmal mehr seinen von zahlreichen Bestsellern untermauerten Status als Autor, der literarisches Gewicht und Spannung ungezwungen kunstvoll verbinden kann.

Ein tödliches Verwirrspiel, in dem sich politische Macht und persönliche Schuld danach bemessen,wer den besseren Anwalt hat.

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Page 13: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

„Turow ist ein großer Stilist, seine intelligenten, wuchtigen Sätze durchdringen gnadenlos ein Justizwesen, das unfähig ist, menschli-che Schwächen zu beurteilen.“ THE NEW YORK TIMES BOOK REVIEW

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Mehr als 25 Millionen verkaufte Romane weltweit.

„Scott Turow ist immer noch der beste Autor unter uns Anwälten.“ JOHN GRISHAM

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Hardcover

Scott TurowDie Erben des ZeusThriller[Identi cal]Aus dem Amerikanischen von Klaus Timmermann und Ulrike Waselca. 400 Seiten | 13,5 x 21,5 cmGebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-523-1WG 1121, Krimis/Thriller

APRIL 2015

E-Book€ 15,99 [D/A] | CHF 20,–*ISBN 978-3-641-15555-1

Page 14: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

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Elizabeth Kelly wurde in Brantf ort, Kanada, gebo-ren und studierte an der University of Toronto Anglisti k. Sie arbeitet als Redakteurin und wurde mehrfach mit dem Cana-dian Nati onal Magazine Award ausgezeichnet. Ihr Debüt Die verrückten Flanagans erschien 2009 bei Blessing. Elizabeth Kelly lebt in einem Dorf in der Nähe von Ontario.

Riddle Camperdown freut sich darauf, den Sommer 1972 vor-nehmlich faulenzend auf der Veranda ihres Elternhauses auf Cape Cod zu verbringen, und hofft , dabei nicht allzu oft von ihren exzentrischen Eltern gestört zu werden: Greer, der exal-ti erten, scharfzüngigen ehemaligen Hollywoodschauspiele-rin, und Godfrey „Camp“ Camperdown, dem Patriarchen und gewerkschaft snahen Lokalpoliti ker mit Hang zur großen Ges-te, der gerade mitt en im Wahlkampf steckt.

Dann wird Riddle im Pferdestall des Nachbarn zufällig zur Zeu-gin eines Mordes. Verängsti gt entscheidet sie sich dafür, nie-mandem davon zu erzählen. Doch als Camps Wahlkampf im-mer hitziger wird und einer seiner politi schen Gegner Gerüchte über die Camperdowns in die Welt setzt, gerät Riddle immer mehr unter Druck, die Wahrheit zu sagen, ob-wohl sie gleichzeiti g die Rache des Mörders fürchtet.

Das Porträt einer unvergesslichen, so skurrilen wie liebens-werten Familie, das sich vor dem Hintergrund eines Verbre-chens und eines Familiengeheimnisses entf altet – unterhalt-sam, intelligent und spannend.

„Kellys neuer Roman kombiniert eine Familien- mit einer Mordgeschichte. Ein ungemein kurz-weiliges Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.“ THE NEW YORK TIMES BOOK REVIEW

Page 15: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

„Ein großartiger Roman von einer Schriftstellerin mit dem seltenen Gespür für Witz und Mitgefühl.“ KIRKUS REVIEWS

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Eine geistreiche und unverwechselbare Geschichte um einen Mord, eine Ehekrise und ein quälendes Familiengeheimnis.

Der neue Roman der New York Times-Bestsellerautorin, Finalist des New England Society Book Awards 2014.

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Hardcover

Elizabeth KellyDie offi zielle Verabschiedung meiner langjährigen KindheitRoman[The Last Summer of the Camperdowns]Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müllerca. 450 Seiten | 13,5 x 21,5 cmGebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-514-9WG 1110, Belletristi k

MAI 2015

E-Book€ 15,99 [D/A] | CHF 20,–*ISBN 978-3-641-12444-1

Page 16: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

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Joachim Bauer

Page 17: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Bestsellermarketing

Psychologie heute I Zeit Wissen I Stern Gesund leben Chrismon: Beilage in Die Zeit I Süddeutsche Zeitung I Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Welt I Leipziger Volkszeitung

Publikumsanzeigen in aufl agenstarken Medien:

Joachim Bauer

„Mit Selbststeuerung lässt sich im Leben vieles, ohne sie nichts erreichen.

Ihr tiefer Sinn liegt darin, unser ganz eigenes, wahres Leben zu leben und

zu uns selbst, zu unserer jeweils ureigenen Identität zu finden. Davon

handelt mein neues Buch.“

JOACHIM BAUER

Online-Kampagne: psychologie-heute.de I nachdenkseiten.de wissenschaft .de

Leipziger Volkszeitung

Page 18: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Mit Selbststeuerung lässt sich im Leben vieles, ohne sie nichts erreichen. Ihre wahre Bedeutung liegt jedoch nicht in der Ansteuerung hehrer oder spektaku-lärer Ziele. Ihr tiefer Sinn liegt darin, unser ganz eigenes, wahres Leben zu leben und zu uns selbst, zu unserer jeweils ureigenen Identität zu � nden. Wer -wie es ein Kleinkind tut- nur seinen spontanen Impulsen nachgibt oder unvermittelt und ohne Sinn und Verstand nach allem grei� , sich alles einverleibt oder alles haben muss, was ihm hingehalten wird, hat kein Selbst. Die Weisheit unserer Sprache verrät es: Wir können uns selbst verlieren. Wir können uns nicht nur an unsere Impulse und A� ekte verlieren, sondern auch an Dinge, Waren und an die auf uns einwirkenden Reize. Ein Selbst, auch das kann man am sich entwickelnden Kleinkind beobachten, entsteht erst dann, wenn wir etwas Abstand zu unseren Emotionen, zu den Objekten und den Reizen der uns umge-benden Welt halten können, wenn wir damit beginnen innezuhalten und darüber nachzudenken, was wir eigentlich wirklich wollen. Zum Selbst gehört also, einen Plan zu haben und auf dieser Grundlage etwas besonders Beglückendes zu tun, nämlich für sich eine eigene, ganz individuelle Zukun� zu entwerfen. Ich werde nicht nur zeigen, dass Menschen -entgegen dem, was uns immer wieder weisgemacht werden soll- einen freien Willen haben, mit dem wir uns steuern und unser individuelles Selbst leben können. Ich möchte auch den heilsamen Ein� uss deutlich machen, der von einer intakten Selbststeuerung auf unsere Gesundheit ausgeht. Wo kein Selbst ist, kann es auch keine Selbststeuerung geben. Das Glück, ein Selbst zu fühlen, ist fast jedem Menschen widerfahren, auch wenn sich manche gar nicht mehr erinnern. Wann war es, als wir erstmals im Leben ein großes Gefühl von Selbst-Sein und der damit verbundenen Freiheit verspürten? Die frühesten derartigen Momente, an die wir uns erinnern können, beschreiben meist Situationen von großer Einfachheit und Natürlichkeit, Situationen jedenfalls, in denen Konsumartikel aus dem Warenarsenal unserer Wohlstandsgesellscha� en kaum eine Rolle spielen. Manche erinnern einen ersten derartigen Moment schon für ihr Kindesalter, etwa beim ersten freien Gehen. Die meisten datieren das Gefühl eines ersten tief erlebten Selbst-Seins aber in die Zeit am Ende der Adoleszenz. O� werden erste Reisen erinnert, die typischerweise mit geringsten � nanziellen Mitteln bestritten werden mussten. Häu� g ist es auch der Auszug von zuhause, das erste bescheidene eigene Zimmer, die erste sexuelle Begegnung oder ein tiefgehendes Naturerlebnis, welches wir mit einer ersten Erfahrung der Selbststeuerung verbinden. Interessanterweise war es für viele Menschen ein bewusstes Handeln gegen die Konvention oder ein absichtsvoll herbeigeführtes Verzichtserlebnis, welches mit einem erstmaligen tiefen Gefühl der Selbstbestimmung verbunden war. Selbst sein heißt auch: Anders sein als die anderen. Doch was ist aus uns geworden, was hat das Leben mit uns gemacht, was haben wir -durch das Leben- mit uns machen lassen? Viel häu� ger als uns bewusst ist folgt unser Verhalten im Alltag nicht dem, für was wir mit unserer Identität tatsächlich stehen, also dem, was wir wirklich gerne tun würden oder für richtig halten. Stattdessen leben wir weitgehend in Routine. Unser Verhalten folgt in großem Umfang dem Druck der Anpassung an das, was andere tun oder den Automatismen zwischen Reiz und Reaktion. Inwieweit geht unser Leben über den Mini-Horizont wirklich noch hinaus, der vom Signalton aus einem unserer vielen medialen Gadgets zu unserer sofortigen Antwortreaktion reicht, oder vom kostenlos angebotenen Snack zum sofortigen Konsum desselben? Zur Über� utung mit Reizen und Waren hinzu kommt die Hetze. Der Umstand, dass über sieben Milliarden Menschen ihren Anteil an den begrenzten Ressourcen unserer Erde suchen, zwingt uns zur Arbeit, was viele wenig beein� ussbare Abhängigkeiten nach sich zieht. Die Notwendigkeit zu arbeiten beschert uns einen Zustand fortwährender Geschä� igkeit, den wir Stress nennen. Auch an diesen Zustand haben sich -ähnlich wie an den Zustand des Konformismus und des andauernden Konsums- viele aber schon so gewöhnt, dass sie auch dann, wenn es möglich wäre, nicht aus ihm aussteigen können. Möglichkeiten zur Selbstbestimmung werden uns nicht nur genommen, wir nehmen sie uns auch selbst. Weit mehr als erforderlich, unterwerfen wir uns dem Druck des Konformismus und der Anpassung an die vermuteten Erwartungen anderer. Der Über� uss und die allgegenwärtige Verfügbarkeit von billigen, o� minderwertigen und ungesunden Nahrungs- und Genussmitteln haben viele zu Abhängigen, beinahe zu Süchtigen werden lassen. Die an sich phantastischen Möglichkeiten, die uns Computer, Smartphones und soziale Netzwerke bieten, haben begonnen unsere Freiheit und Selbstbestimmung fast sklavenartig ein-zuengen. Mehr als vier Fün� el sind, Umfragen aus den USA zufolge, zum Abspannen und Nachdenken gar nicht mehr in der Lage. Unverho� e Gelegenheiten zum Innehalten -und erst Recht zur Muße- bringen manche Zeitgenossen paradoxer Weise in große Schwierigkeiten. So versetzten sich zahlreiche Teilnehmer eines wissenscha� lichen Experiments während einer ihnen gewährten 15-minütigen Auszeit lieber freiwillig kurze Stromstöße mit einem zufällig bereitste-henden Gerät anstatt einfach nichts zu tun, nur um keine Langeweile mit sich selbst zu erleben. Wer kein Selbst hat, möchte diese missliche Tatsache lieber gar nicht erst entdecken. Wie � nden wir den Weg aus einer von Selbst-Verlust, verlorener Selbstbestimmung und Stress gekennzeichneten Situation? Angesichts vieler Abhängigkeiten und Zwänge, in die wir uns hineinbegeben haben, wünschen sich viele Menschen die Möglichkeit zu einem Befreiungsschlag. Doch diese Option würde nichts zum Besseren wenden. Lebensgewohnheiten und Verhaltensmuster sind in Netzwerken unseres Gehirns festgeschrieben und lassen sich nur im Laufe eines längeren Lern- und Übungsprozesses verändern. In welche Richtung sollte dieser Prozess gehen? Das Ziel sollte sein, Freiheits-grade zu erhöhen, Selbstbestimmung zu stärken und wieder etwas von dem Glück spürbar zu machen, das aus den erinnerten Episoden sprach, von denen eingangs die Rede war. Dieses Glück war, wie wir sahen, kein durch die Warenwelt einlösbares, konsumatorisches Glück, kein Fast-Food-Glück mit der rein hedonischen Befriedigung unserer vielen, o� suchtartigen Abhängigkeiten. Es ist ein tieferes, eudaimonisches Glück, bei dem es darum geht, sich größere, längerfristige Ziele zu setzen, tiefe und sinnha� e Erfahrungen zu machen, aufzubrechen, einen eigenen Weg zu gehen und persönlich zu wachsen. Wer den Verdacht haben sollte, hier begegne uns Gutmenschen-Gerede, liegt daneben. Menschen, die sich dem eudaimonischen Glück verschrieben haben, zeigen ein ganz besonderes Aktivitätsmuster ihrer Gene, das die Bewahrung der Gesundheit begünstigt. Wer nur das hedonische Glück vor Augen hat, das sich in schnellen, konsumatorischen Befriedigungen erschöp� , aktiviert in seinem Körper demgegenüber ein Genaktivitätsmuster, das Herz-, Krebs- und Demenzer-krankungen begünstigt und die Anfälligkeit für Virusinfekte erhöht. So stoßen wir am Ende dieser ersten Betrachtung auf eine dialektische Beziehung: Die Fähigkeit, sich dem sinnlosen Konsum und ständigen Reizen zu verweigern, sich stattdessen bewusst zu beschränken, auch Verzicht ertragen zu können, kann zu einem Zugewinn von Freiheit und Selbststeuerungsfähigkeit führen, sie kann unsere Handlungsoptionen erweitern und uns größere, lohnenswertere Ziele erreichen lassen. Was ist Selbststeuerung? Vor allem: In welchem Verhältnis steht sie zur Selbstkontrolle und zur Disziplin, die in Deutschland von etwa 1870

bis Ende der 1950er Jahre als oberste Tugenden galten? Wer seine Kinderjahre kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, konnte die letzten Vertreter der damals lebenden Generationen noch als Eltern und Großeltern kennenlernen. Strenge Selbstkontrolle und absolute Disziplin wurden damals, unter reichli-cher Anwendung von erzieherischer Gewalt, bereits kleinen Kindern aufgezwungen . Den Abschluss dieser Erziehung bildete bei den Männern das Militär. Freundlichkeit und Zärtlichkeit wurden als Gefühlsduselei gering geschätzt, genussvolle Sexualität radikal unterdrückt. Nur Selbstkontrolle und Disziplin galten als Kennzeichen eines anständigen Lebens. Sie standen im Dienste des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit, erzeugten Konformismus, hatten -wie Sigmund Freud und andere erkannten- massenha� psychische Störungen zur Folge und leisteten einen entscheidenden Beitrag zu zwei Weltkriegen. Unter derartigen Vorzeichen herangewachsene Menschen waren seelisch beschädigt, weil ihrer emotionalen Seiten beraubt, nicht selten waren sie traumatisiert. Wie diese Epoche, die von vielen Älteren in der Kindheit noch leidvoll selbst erlebt wurde, überdeutlich gezeigt hat, kann man die Selbstkontrolle ad absurdum führen. Es war vor allem die unmenschlich gewordene Vorstellung von Disziplin und Selbstkontrolle, die in den 1960er und 1970er Jahren bei den seinerzeit Jüngeren zum Ausgangspunkt für eine -zunächst durchaus heilsame- Gegenbewegung wurde. Zu den vielen und durchaus heterogenen Zielen, die sich die sogenannte 1968er-Generation auf die Fahnen geschrieben hatte, gehörte vor allem die Befreiung der Gefühle, die Legitimierung von Zärtlichkeit, Liebe und Sexualität. Der Verklärung des Krieges wurde der Pazi� smus, dem Konformismus der Alten eine bewusst gelebte Disziplinlosigkeit entgegengesetzt, aus der alsbald allerdings neue Formen von Konformismus hervorgingen. Die seinerzeit he� ige Welle dieser Bewegung ist nur scheinbar abgeebbt. Ihr Wasser wurde auf die Mühlen einer gewaltigen Konsum- und Medienindustrie umgeleitet, welche die einst von den 1968ern propagierten Slogans kurzerhand zu Werbeslo-gans ihrer Produkte machte. Just do it. Alles ist möglich. Die Herrscha� der A� ekte und das Diktat spontaner Impulse � nden ihren Ausdruck nun nicht mehr im kulturellen Milieu studentischer Wohngemeinscha� en, sondern in der durch die neuen Medien hervorgebrachten Schwemme von Signalen, Angeboten und impulsgesteuerter Absonderungen wie sie sich vor allem im Internet und in den Programmen privater Fernsehsender � nden. Wer unter dem Vorzeichen weitgehend ungebremster Impulsivität und ungehemmten A� ektausdrucks heranwächst, wird einen Mangel der Fähigkeit zur Selbstkontrolle erleiden und als Folge davon vorzugsweise Suchttendenzen oder narzisstische Störungen entwickeln. Diese Entwicklung hat auf breiter Front bereits begonnen. Selbststeu-erung bedeutet nicht genussfeindliche Selbstkontrolle, nicht menschenverachtend überdrehte Disziplin, ebenso wenig aber hat sie eine ungebremste Herr-scha� von A� ekten oder Impulsen im Sinn. A� ekte und Impulse sind ein Teil des menschlichen Wesens, sie sind nichts Schlechtes. Doch ebenso gehört zum Menschsein auch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Selbststeuerung ist ganzheitliche Selbstfürsorge und besteht in der Kunst, beide Komponenten -a� ektive Impulse und ihre Kontrolle- miteinander zu verbinden. Beide Komponenten lassen sich auch neurobiologisch beschreiben. Hirnforscher und Psychologen unterscheiden im menschlichen Gehirn zwei Fundamentalsysteme, ein triebha� es, sozusagen von unten her -Bottom-up- agierendes Trieb- oder Basissystem und ein darauf au� auendes, zweites System. Dieses Au� ausystem hat seinen Sitz im Stirnhirn, dem sogenannten Präfrontalen Cortex. Es wirkt umgekehrt nach unten -top-down- zurück und kann, wenn es hinreichend gut entwickelt ist, das Basissystem kontrollieren. Das übergeordnete System ermöglicht, was Hirnforscher und Psychologen als Selbstkontrolle -im Englischen Self Control- bezeichnen. Wie schon erwähnt, schließt Selbststeuerung -im Gegensatz zur Selbstkontrolle- die Fürsorge für beide Fundamentalsysteme, also auch für das Trieb- oder Basissystem, mit ein. Der Mensch sollte mit allen seinen inneren Anteilen in Frieden leben. Askese um ihrer selbst willen ist kein sinnsti� endes Projekt. Mit Selbststeuerung lässt sich, wie eingangs erwähnt, im Leben vieles erreichen. Sie ö� net die Türen zu guten Beziehungen mit anderen Menschen, zu beru� ichem Erfolg und zur Erhaltung -oder Wiedergewinnung- der eigenen Gesundheit. Wer den Geheimnissen der Selbststeuerung auf die Spur gekommen ist, wird daraus nicht nur für sich selbst, sondern auch im Umgang mit an-deren Menschen Vorteile ziehen können. Besonders hilfreich kann das Wissen um ihre Geheimnisse bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen sein, deren Selbststeuerung meistens noch zu wünschen übrig lässt. Diesen Mangel können wir den Jungen allerdings nicht verübeln, denn eine funktionierende Selbststeuerung ist keine angeborene Eigenscha� . Angeboren ist lediglich die Fähigkeit sie zu erwerben. Bei diesem Erwerb spielen wir Erwachsenen eine entscheidende Rolle, der wir allerdings seit einiger Zeit nicht mehr hinreichend nachkommen. Allen, die sich danach sehnen, die eigene Selbststeuerung oder die ihrer Kinder zu entwickeln und ihr Leben entsprechend zu verändern, soll mein Buch eine Vorstellung vermitteln, in welchem Gelände wir uns -aus Sicht der Hirnforschung und der Psychologie- hier bewegen. Jeder Mensch ist anders. Daher gibt es nicht den einen, angeblich richtigen Weg zu guter Selbststeue-rung. Jede und jeder muss die eigene, für sich persönlich richtige Route � nden. Viel wichtiger als die konkrete Wegführung im Einzelfall ist es, überhaupt auf dem Weg zu sein und das Bemühen um gute Selbststeuerung zum ständigen Begleiter zu machen. Wer unterwegs ist, wird allerdings sehr rasch feststellen, wie viele Hindernisse oder Hinweiszeichen in diesem Gelände aufgestellt sind, die in falsche Richtungen und Sackgassen weisen. Zur Kunst der Selbststeuerung gehört, auf zahlreiche, der bewussten Wahrnehmung leicht entgehende Beein� ussungsversuche zu achten, die ins Abseits führen. Aufzubrechen und sich auf den Weg zu machen ist allerdings lohnend. Gekonnte Selbststeuerung ist nicht nur der Schlüssel zu persönlicher Zufriedenheit, zu gelingendem Leben und zu eudaimonischem Glück. Sie ist, wie schon angedeutet, auch eine mächtige medizinische Heilkra� und die Grundlage jener inneren Widerstandskrä� e, die unseren Körper für die Auseinandersetzung mit Erkrankungen -Krebserkrankungen, Krankheiten des Herzens und Demenzerkrankungen eingeschlos-sen- wappnen. Gnadenlose Selbstkontrolle alleine macht keinen Sinn. Die pauschale Verfolgung triebha� er Grundbedürfnisse und eine feindselige Haltung gegenüber den genüsslichen Seiten des Lebens sind unmenschlich, destruktiv und letztlich zum Scheitern verurteilt. Umgekehrt allerdings reduziert der Weg-fall von Selbstkontrolle das Verhalten des Menschen auf Reiz-Reaktions-Automatismen, ein Trend der sich in den letzten Jahren vor allem in den westlichen Wohlstandländern -vor allem Deutschland, ebenso aber auch in den USA- beobachten lässt. Wir haben uns zu Abhängigen von Bildschirmen und ungesunden Lebensgewohnheit gemacht und sind auf dem Weg, eine in vielerlei Hinsicht sozusagen süchtige Gesellscha� zu werden. Hinzu kommt, dass teils auferlegter, teils selbst gemachter Stress die Selbstfürsorge hat schwieriger werden lassen. Wer keine Selbstkontrolle ausüben kann, für den ist jedes Billigangebot -wie die einem Esel hingehaltene Karotte – eine unwiderstehliche Versuchung. Ohne Selbstkontrolle geben wir den Freiheitsraum, der sich uns dadurch bietet, dass wir nachdenkend mehrere Handlungsmöglichkeiten gegeneinander abwägen, verloren. Tatsächlich ist dieser

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Prof. Dr. med. Joachim Bauer ist Neuro-biologe, Arzt und Psychotherapeut und lehrt an der Universi-tät Freiburg. 1996 erhielt er den renommierten Organon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. Er veröff entlichte zahlreiche Sachbücher, u. a. Das Gedächtnis des Körpers, Warum ich fühle, was du fühlst sowie Lob der Schule. Zuletzt erschienen bei Blessing Schmerzgrenze (2011) und der Spiegel-Bestseller Arbeit (2013).

Höre auf deinen Bauch, folge deinen Gefühlen, vertraue auf deine Impulse. So der Tenor, in dem uns wissenschaft liche Bü-cher in den letzten Jahren darauf eingeschworen haben, un-serem rati onalen, abwägenden Denken nicht mehr die Be-deutung beizumessen, die ihm gebührt. Joachim Bauers Selbststeuerung ist der lange überfällige Aufruf dazu, unsere Selbststeuerung ist der lange überfällige Aufruf dazu, unsere Selbststeuerungauf Autopilot fahrenden Verhaltensweisen als das zu sehen, was sie sind: kurzsichti g und fehleranfällig. Studien zeigen: Seine Impulse kontrollieren und vorübergehende Anstren-gungen auf sich nehmen zu können ist nicht nur die unab-dingbare Voraussetzung für langfristi ge persönliche Erfolge und gute soziale Beziehungen. Die Fähigkeit zur Selbststeue-rung schützt vor allem auch die Gesundheit, und erkrankten Menschen kann sie ein Heilmitt el sein. Anstatt ständig den Reizen der Außenwelt zu folgen, sollten wir selbst entschei-den. Der freie Wille ist zurück, und das ist gut so.

Wissenschaft s-Bestsellerautor Joachim Bauer erläutert in sei-nem neuesten Buch die aktuellen Forschungsergebnisse aus den unterschiedlichsten Disziplinen zu diesem Thema. Er zeigt, was diese unmitt elbar für jeden Einzelnen bedeuten und welche Konsequenzen für die Psychologie, die Bildungs- oder die Gesundheitspoliti k daraus zu ziehen sind.

Das große Sachbuch dieses Frühjahrs: Wie wirdie Macht über unser Leben zurückgewinnen.

BestsellermarketingBestsellermarketingSachbuchSachbuch

Der Autor steht für Veranstaltungen zur Verfügung.

diese Epoche, die von vielen Älteren in der Kindheit noch leidvoll selbst erlebt wurde, überdeutlich gezeigt hat, kann man die Selbstkontrolle ad absurdum führen. Es war vor allem die unmenschlich gewordene Vorstellung von Disziplin und Selbstkontrolle, die in den 1960er und 1970er Jahren bei den seinerzeit Jüngeren zum Ausgangspunkt für eine -zunächst durchaus heilsame- Gegenbewegung wurde. Zu den vielen und durchaus heterogenen Zielen, die sich die sogenannte 1968er-Generation auf die Fahnen geschrieben hatte, gehörte vor allem die Befreiung der Gefühle, die Legitimierung von Zärtlichkeit, Liebe und Sexualität. Der Verklärung des Krieges wurde der Pazi� smus, dem Konformismus der Alten eine bewusst gelebte Disziplinlosigkeit entgegengesetzt, aus der alsbald allerdings neue Formen von Konformismus hervorgingen. Die seinerzeit he� ige Welle dieser Bewegung ist nur scheinbar abgeebbt. Ihr Wasser wurde auf die Mühlen einer gewaltigen Konsum- und Medienindustrie umgeleitet, welche die einst von den 1968ern propagierten Slogans kurzerhand zu Werbeslo-gans ihrer Produkte machte. Just do it. Alles ist möglich. Die Herrscha� der A� ekte und das Diktat spontaner Impulse � nden ihren Ausdruck nun nicht mehr im kulturellen Milieu studentischer Wohngemeinscha� en, sondern in der durch die neuen Medien hervorgebrachten Schwemme von Signalen, Angeboten und impulsgesteuerter Absonderungen wie sie sich vor allem im Internet und in den Programmen privater Fernsehsender � nden. Wer unter dem Vorzeichen weitgehend ungebremster Impulsivität und ungehemmten A� ektausdrucks heranwächst, wird einen Mangel der Fähigkeit zur Selbstkontrolle erleiden und als Folge davon vorzugsweise Suchttendenzen oder narzisstische Störungen entwickeln. Diese Entwicklung hat auf breiter Front bereits begonnen. Selbststeu-erung bedeutet nicht genussfeindliche Selbstkontrolle, nicht menschenverachtend überdrehte Disziplin, ebenso wenig aber hat sie eine ungebremste Herr-scha� von A� ekten oder Impulsen im Sinn. A� ekte und Impulse sind ein Teil des menschlichen Wesens, sie sind nichts Schlechtes. Doch ebenso gehört zum Menschsein auch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Selbststeuerung ist ganzheitliche Selbstfürsorge und besteht in der Kunst, beide Komponenten -a� ektive Impulse und ihre Kontrolle- miteinander zu verbinden. Beide Komponenten lassen sich auch neurobiologisch beschreiben. Hirnforscher und Psychologen unterscheiden im menschlichen Gehirn zwei Fundamentalsysteme, ein triebha� es, sozusagen von unten her -Bottom-up- agierendes Trieb- oder Basissystem und ein darauf au� auendes, zweites System. Dieses Au� ausystem hat seinen Sitz im Stirnhirn, dem sogenannten Präfrontalen Cortex. Es wirkt umgekehrt nach unten -top-down- zurück und kann, wenn es hinreichend gut entwickelt ist, das Basissystem kontrollieren. Das übergeordnete System ermöglicht, was Hirnforscher und Psychologen als Selbstkontrolle -im Englischen Self Control- bezeichnen. Wie schon erwähnt, schließt Selbststeuerung -im Gegensatz zur Selbstkontrolle- die Fürsorge für beide Fundamentalsysteme, also auch für das Trieb- oder Basissystem, mit ein. Der Mensch sollte mit allen seinen inneren Anteilen in Frieden leben. Askese um ihrer selbst willen ist kein sinnsti� endes Projekt. Mit Selbststeuerung lässt sich, wie eingangs erwähnt, im Leben vieles erreichen. Sie ö� net die Türen zu guten Beziehungen mit anderen Menschen, zu beru� ichem Erfolg und zur Erhaltung -oder Wiedergewinnung- der eigenen Gesundheit. Wer den Geheimnissen der Selbststeuerung auf die Spur gekommen ist, wird daraus nicht nur für sich selbst, sondern auch im Umgang mit an-deren Menschen Vorteile ziehen können. Besonders hilfreich kann das Wissen um ihre Geheimnisse bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen sein, deren Selbststeuerung meistens noch zu wünschen übrig lässt. Diesen Mangel können wir den Jungen allerdings nicht verübeln, denn eine funktionierende Selbststeuerung ist keine angeborene Eigenscha� . Angeboren ist lediglich die Fähigkeit sie zu erwerben. Bei diesem Erwerb spielen wir Erwachsenen eine entscheidende Rolle, der wir allerdings seit einiger Zeit nicht mehr hinreichend nachkommen. Allen, die sich danach sehnen, die eigene Selbststeuerung oder die ihrer Kinder zu entwickeln und ihr Leben entsprechend zu verändern, soll mein Buch eine Vorstellung vermitteln, in welchem Gelände wir uns -aus Sicht der Hirnforschung und der Psychologie- hier bewegen. Jeder Mensch ist anders. Daher gibt es nicht den einen, angeblich richtigen Weg zu guter Selbststeue-rung. Jede und jeder muss die eigene, für sich persönlich richtige Route � nden. Viel wichtiger als die konkrete Wegführung im Einzelfall ist es, überhaupt auf dem Weg zu sein und das Bemühen um gute Selbststeuerung zum ständigen Begleiter zu machen. Wer unterwegs ist, wird allerdings sehr rasch feststellen, wie viele Hindernisse oder Hinweiszeichen in diesem Gelände aufgestellt sind, die in falsche Richtungen und Sackgassen weisen. Zur Kunst der Selbststeuerung gehört, auf zahlreiche, der bewussten Wahrnehmung leicht entgehende Beein� ussungsversuche zu achten, die ins Abseits führen. Aufzubrechen und sich auf den Weg zu machen ist allerdings lohnend. Gekonnte Selbststeuerung ist nicht nur der Schlüssel zu persönlicher Zufriedenheit, zu gelingendem Leben und zu eudaimonischem Glück. Sie ist, wie schon angedeutet, auch eine mächtige medizinische Heilkra� und die Grundlage jener inneren Widerstandskrä� e, die unseren Körper für die Auseinandersetzung mit Erkrankungen -Krebserkrankungen, Krankheiten des Herzens und Demenzerkrankungen eingeschlos-sen- wappnen. Gnadenlose Selbstkontrolle alleine macht keinen Sinn. Die pauschale Verfolgung triebha� er Grundbedürfnisse und eine feindselige Haltung gegenüber den genüsslichen Seiten des Lebens sind unmenschlich, destruktiv und letztlich zum Scheitern verurteilt. Umgekehrt allerdings reduziert der Weg-fall von Selbstkontrolle das Verhalten des Menschen auf Reiz-Reaktions-Automatismen, ein Trend der sich in den letzten Jahren vor allem in den westlichen Wohlstandländern -vor allem Deutschland, ebenso aber auch in den USA- beobachten lässt. Wir haben uns zu Abhängigen von Bildschirmen und ungesunden

Page 19: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Spiegel-Bestsellerautor Joachim Bauer: mehr als 700.000 verkaufte Bücher im deutschsprachigen Raum.

Für alle Leser von Daniel Kahneman, Bas Kast und Stefan Klein.

Joachim Bauer zeigt, wie die uns angeborene Fähigkeit zur Selbststeuerung den Weg aus Stress, innerer Leere und Sinnlosigkeit weist.

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Joachim BauerSelbststeuerungDie Wiederentdeckung des freien Willensca. 300 Seiten | 13,5 x 21,5 cmGebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-539-2WG 1973, Gesellschaft

APRIL 2015

E-Book€ 15,99 [D/A] | CHF 20,–*ISBN 978-3-641-15631-2

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19 I Sachbuch

Ab Februar 2015im Heyne Taschenbuch

ca. 272 Seiten€ 9,99 [D] / € 10,30 [A] / CHF 14,90*ISBN 978-3-453-60354-7

Page 20: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Die deutsche Landwirtschaft produziert immer mehr Milch, Fleisch und Eier in immer kürzerer Zeit. Die Effi zienz scheint ihr bestes Argument zu sein. Nur mit den Methoden der Agrar-industrie könne man neun Milliarden Menschen ernähren, behaupten deren Anhänger. Doch diese Hochleistungslandwirtschaft ist eine Verschwen-dungs- und Vernichtungslandwirtschaft . Sie erzeugt Milchkü-he, die – bei einer natürlichen Lebenserwartung von zwanzig Jahren – schon nach drei Jahren im Melkstand geschlachtet werden. Sie werden zu einer so hohen Milchprodukti on ge-trieben, dass sie krank und unfruchtbar werden. Gleichzeiti g können die meisten Bauern nicht mehr autonom handeln, weil sie abhängig und hoch verschuldet sind. In der Gefl ügelmast verkaufen wenige große Konzerne Küken, Futt er und Medikamente an die Landwirte und nehmen ihnen nach der Mast die schlachtreifen Hühner ab. Die Preise besti mmen die Unternehmen – die Stallkosten und das Risiko für die Auf-zucht tragen die Bauern, die sich trotzdem der Logik der In-dustrie beugen.

In ihrem neuen Buch Die Wegwerfk uh belässt Tanja Busse es Die Wegwerfk uh belässt Tanja Busse es Die Wegwerfk uhnicht bei der schonungslosen Kriti k der Missstände und Ab-hängigkeiten, sondern zeigt auch Wege zu einer nachhalti gen Landwirtschaft auf.

Sie nennen es Effizienz – doch in Wahrheit ist es ein System gigantischer Verschwendung.

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Tanja Busse, geboren 1970, studierte Journalisti k und Philosophie in Dortmund, Bochum und Pisa. Sie promovierte 2000 mit einer Arbeit über die Massenmedien. Sie schrieb wichti ge Arti kel über Verbraucherschutz und Landwirtschaft u. a. in der Zeit und für das Greenpeace-Magazin. Ihr Buch Die Einkaufsrevoluti on (Blessing, 2006) wurde ein Longseller. Auch Die Ernährungsdiktatur (Blessing, 2010) fand hohe Re-sonanz.

Die Autorin steht für Veranstaltungen zur Verfügung.

Publikumsanzeigen in:Schrot&KornSlow Food Magazin

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Page 21: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

21 I Sachbuch

Unsere Landwirtschaft funktioniert nach den Prinzipien der Industrie: Intensivierung, Technisierung, Spezialisierung und Standardisierung. Tanja Busse erklärt, warum das der falsche Weg ist.

Für alle Leser von Karen Duves Anständig essen und Jonathan Safran Foers Tiere essen.

Tanja Busse wuchs auf einem Bauernhof auf und ist eine der gefragtesten Expertinnen zu den Themen Ernährung, Landwirtschaft und Konsum in den deutschen Medien.

Paperback

Tanja BusseDie Wegwerfk uhWie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun könnenca. 300 Seiten | 13,5 x 21,5 cmKlappenbroschur€ 16,99 [D] | € 17,50 [A] | CHF 24,50*ISBN 978-3-89667-538-5WG 1973, Gesellschaft

MÄRZ 2015

E-Book€ 13,99 [D/A] | CHF 18,–*ISBN 978-3-641-15641-1

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Page 22: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

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Björn Schumacher, Jahrgang 1975, studierte Bio-logie an der Universität Konstanz und an der State University of New York und promovierte am Max-Planck-Insti tut für Bio-chemie in Marti nsried bei München. Er hat den Lehrstuhl für Genomstabilität in Alterung und Erkrankung an der Medizini-schen Fakultät zu Köln inne und leitet eine Forschungsgruppe am Kölner Exzellenzcluster für die Alternsforschung CECAD.

Die Molekularbiologie hat in den letzten zwanzig Jahren im-mense Fortschritt e erzielt: Wir wissen, welche Gene unsere Lebensdauer begrenzen, wir können zeigen, dass die Fehl-funkti on eines einzigen winzigen Proteins eine altersbedingte Krankheit wie Alzheimer auslöst. Wir gewinnen ständig neue aufregende Einblicke in Zellteilung und Zellstoff wechsel und deren Gefahrenquellen. Kein Wunder, dass immer häufi ger Mediziner davon träumen, den Alterungsprozess so aufzuhal-ten, dass uns die alterstypischen Erkrankungen erspart blei-ben.

Doch wie realisti sch sind solche Hoff nungen auf ewige Ju-gend? Und was kann man, solange es den Jungbrunnen auf Rezept noch nicht gibt, vorbeugend gegen die Beschwernisse der späten Jahre unternehmen? Was müsste gesellschaft lich in die Wege geleitet werden, um zu verhindern, dass aus ei-ner alternden eine morbide Gesellschaft wird? Deutschlands renommiertester Alternsforscher legt ein aufk lärerisches Buch zu einer der wichti gsten Fragen unserer Zeit vor.

Warum der menschliche Körper kein Bauwerk für die Ewigkeit ist.

Page 23: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Ein ebenso aufklärendes wie engagiertes Buch zu einem drängenden Thema unserer Zeit.

23 I Sachbuch

Hardcover

Björn SchumacherDas Geheimnis des menschlichen AlternsDie überraschenden Erkenntnisse der noch jungen Alternsforschungca. 320 Seiten | 13,5 x 21,5 cmGebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-524-8WG 1973, Gesellschaft

MAI 2015

E-Book€ 15,99 [D/A] | CHF 20,–*ISBN 978-3-641-13688-8

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Björn Schumacher ist einer der profiliertesten Alternsfor-scher weltweit. Er erklärt die Grenzen unseres Alterns, die Therapieformen der Zukunft und die Aussichten auf ein gutes, langes Leben.

Ein Plädoyer für ein Umdenken in der Arbeitswelt und für eine Reform des Gesundheitssystems.

Page 24: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Die Museumssti ft ung Post und Telekommunikati on in Berlin ist in Besitz von 16.000 Briefen, die deutsche Soldaten im Laufe des Zweiten Weltkrieges an ihre Verwandten daheim ge-schrieben haben. Die französische Germanisti n und Historike-rin Marie Mouti er hat eine Auswahl aus dieser großen Samm-lung getroff en. Chronologisch und nach Kriegsschauplätzen (Polen, Frankreich, Norwegen, Afrika, Russland, Normandie) geordnet, liefert diese Feldpost gleichsam eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Briefen. Sie zeigt einfache Soldaten und Gefreite, die gegenüber ihren verwandten Briefpartnern oft enormes Mitgefühl und Einfühlungsvermögen beweisen und die zugleich von der Rassenideologie des Nati onalsozialis-mus durchdrungen sind. Jedem Brief ist jeweils ein kurzer Lebensaufriss des Absenders vorangestellt.

„Die Veröff entlichung dieser Briefe ist ein bedeutender Beitrag zum Verständnis des Zweiten Weltkrieges und der Mentalität der Soldaten.“ TIMOTHY SNYDER

Eine beeindruckende Sammlung persönlicher Zeitdokumente.

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Marie Moutier studierte an der Sorbonne in Paris Geschichte und Germanisti k und promoviert gegenwärti g an der Universität von Amiens. Als Archivleiterin der Organisati -on Yahad-in Unum forschte sie über Massenexekuti onen von Juden zwischen 1941 und 1944 auf dem Gebiet der heuti gen Ukraine und Weißrusslands.

Die Autorin steht für Veranstaltungen zur Verfügung.

Page 25: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

25 I Sachbuch

Beklemmende Einblicke in das Denken deutscher Wehrmachtssoldaten.

Mit einem Vorwort des renommierten Holocaust-Forschers Timothy Snyder.

8. Mai 2015 – 70. Jahrestag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht und der Befreiung vom Nationalsozialismus

Hardcover

Marie Mouti er„Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen.“Briefe deutscher Wehrmachtssoldaten 1939 – 45[Lett res de la Wehrmacht]ca. 320 Seiten | 13,5 x 21,5 cmGebunden mit Schutzumschlag€ 22,99 [D] | € 23,70 [A] | CHF 32,90*ISBN 978-3-89667-552-1WG 1947, Geschichte/20. Jahrhundert (bis 1945)

MÄRZ 2015

E-Book€ 18,99 [D/A] | CHF 24,–*ISBN 978-3-641-16353-2

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Page 26: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

John Cleese

Page 27: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

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Postkarten:

für den Buchhandel und in Programmkinos

Streifenplakat:Format 29,7 x 63 cm

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung I Titanic I Rolling Stone

Publikumsanzeigen in aufl agenstarken Medien:

Online-Werbung: kino.de I kinopolis.de I programmkino.deGoogle-Adwords-Kampagne

Page 28: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

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John Marwood Cleese, geboren 1939 in Weston- super-Mare, England, schloss sein Jura-Studium am Downing College in Cambridge mit der Promoti on ab, bevor er mit sei-nem Talent als Texter Karriere machte. Als Drehbuchautor und Schauspieler war er für namhaft e Preise nominiert – vom Emmy über den Edgar Allan Poe Award bis zum Oscar. Mit Drehbüchern und Hauptrollen reüssierte er auch in Hol-lywood. Heute lebt John Cleese in London.

„Am 14. August 1940 bombardierten deutsche Flugzeuge meinen Heimatort Weston-super-Mare. Die meisten Einwoh-ner waren überzeugt, es müsse sich dabei um einen Irrtum handeln. Schließlich waren die Deutschen ein für seine Effi zi-enz berühmtes Volk, warum also sollten sie absolut einwand-freie Bomben auf Weston werfen, wo es nichts gab, was an-nähernd so wertvoll war wie eine deutsche Bombe?“ So beginnt John Cleese seine Autobiografi e Wo war ich noch mal?.

Cleese war früh klar, dass aus ihm einmal ein ganz Großer werden würde – schließlich maß er mit zwölf Jahren bereits über 1,80 Meter. Nach ersten traumati schen Bühnenerfah-rungen im Schultheater feierte er bald erste Erfolge im Lon-doner West End, seiner Begegnung mit Graham Chapman verdankt die Welt das Phänomen Monty Python. Seine Figu-ren, meist Ausgeburten typischer Mitt elschichtsneurosen, sind aus dem Sati rekosmos nicht wegzudenken. 2014 de-monstrierte der Erfolg der Tournee Monty Python Live (Most-ly), die innerhalb von 43,5 Sekunden ausverkauft war und in ly), die innerhalb von 43,5 Sekunden ausverkauft war und in ly),Kinosälen weltweit gezeigt wurde, einmal mehr, dass John Cleese eine Ikone ist.

Wo war ich noch mal? erzählt auf unerreicht komische Weise Wo war ich noch mal? erzählt auf unerreicht komische Weise Wo war ich noch mal?seinen Lebensweg vom schüchternen englischen Schlaks zum gefeierten internati onalen Star.

„And now for something completely different!“

Page 29: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

29 I Sachbuch

Die Ikone des britischen Humors erzählt ihre Lebensgeschichte.

Der prominente Kopf der legendären Monty Pythons: „Fast ein halbes Jahrhundert schenkte die Comedy-Truppe der Welt einen nie da gewesenen Witz – und war damit in bedeutendem Maße für die Humorbildung von Generationen verantwortlich.“ SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

Mit umfangreichem Bildmaterial – inklusive bisher unveröffentlichter Fotos.

Hardcover

John CleeseWo war ich noch mal?Autobiografi e[So, Anyway]Aus dem Englischen von Yvonne Badalca. 450 Seiten | 13,5 x 21,5 cmMit AbbildungenGebunden mit Schutzumschlag€ 22,99 [D] | € 23,70 [A] | CHF 32,90*ISBN 978-3-89667-505-7WG 1961, Autobiografi en

MÄRZ 2015

E-Book€ 18,99 [D/A] | CHF 24,–*ISBN 978-3-641-12337-6

Spitzentitel

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Page 30: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

„Literatur ist ein Spiel, man soll sie nicht so bierernst nehmen.“ MARCEL REICH-RANICKI

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Uwe Wittstock, 1955 in Leipzig geboren, war von 1980 bis 1989 unter der Ägide von Marcel Reich-Ranicki Lite-raturredakteur der FAZ. 1989 wurde er mit dem Theodor-Wolff -Preis für Journalismus ausgezeichnet. Er war als Lektor im S. Fischer Verlag und als Kulturkorrespondent der Welt täti g. Seit 2010 ist Witt stock Literaturredakteur des Focus. Zuletzt veröff entlichte er den Essayband Nach der Moderne über die deutsche Gegenwartsliteratur.

Er war ein scharfzüngiger Kriti ker, dessen Urteil man fürchte-te, der es aber auch wie kein Zweiter verstand, für große Bü-cher zu begeistern: Marcel Reich-Ranicki konnte mit Worten Berge versetzen, aber eines gelang ihm nie: sein Publikum zu langweilen.

Gestützt auf zum Teil bisher unveröff entlichte Quellen und auf Gespräche mit einsti gen Weggefährten und Gegnern be-schreibt Uwe Witt stock das Leben dieses Büchermenschen und Musikliebhabers: von der Hölle des Warschauer Gett os zum wichti gsten Literaturkriti ker der Bundesrepublik Deutsch-land, der mit dem Literarischen Quartett für einige Jahre lei-Literarischen Quartett für einige Jahre lei-Literarischen Quartett denschaft liche Diskussionen über Literatur im Fernsehen zu etablieren verstand – ein Wunder, das sich als unwiederhol-bar erwies.

Uwe Witt stock hat seine 2005 bei Blessing erschienene Bio-grafi e komplett überarbeitet und mit zahlreichen neuen Infor-mati onen und Fotos sowie einem Rückblick auf die letzten acht Lebensjahre des 2013 verstorbenen Marcel Reich-Rani-cki ergänzt.

Der Autor steht für Veranstaltungen zur Verfügung.

Page 31: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

31 I Sachbuch

Das Leben eines exemplarischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts – eine spannend erzählte Kultur- und Literaturgeschichte.

Komplett überarbeitete und ergänzte Neuausgabe mit bisher unveröffentlichten Familienfotos.

2. Juni 2015: 95. Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki.

Hardcover

Uwe Witt stockMarcel Reich-RanickiDie Biografi eca. 350 Seiten | 13,5 x 21,5 cmMit AbbildungenGebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-543-9WG 1971, Autobiografi en

APRIL 2015

E-Book€ 15,99 [D/A] | CHF 20,–*ISBN 978-3-641-16559-8

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Page 32: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

KATHY REICHS’ ROMANE – VORLAGE FÜR DIE TV-SERIE

BONESD I E K N O C H E N J Ä G E R I N

Bereits angeboten, noch nicht erschienen

TV-Werbung zur Primetimeim Januar und Februar:

Spots bei RTL im Umfeld der Serie BONES mit BONES mit BONESwöchentlich mehr als 4 Mio. Zuschauern

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Hardcover

Kathy ReichsKnochen lügen nieEin neuer Fall für Tempe BrennanThrillerca. 360 Seiten Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-453-1WG 1121, Krimis/Thriller

AUSLIEFERUNG:5. JANUAR 2015

E-Book€ 15,99 [D/A] | CHF 20,–*ISBN 978-3-641-13789-2

HörbuchRandom House AudioGelesen von Britt a Steff enhagen6 CDs€ 19,99 [D/A] | CHF 29,90*ISBN 978-3-8371-2670-9

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Page 33: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

33 I Backlist

384 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-534-7

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Unsere Highlights aus dem lieferbaren Programm

928 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 29,99 [D] | € 30,90 [A] | CHF 40,90*ISBN 978-3-89667-515-6

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400 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-525-5

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352 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-480-7

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Page 34: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

496 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-519-4

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272 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-537-8

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Unsere Highlights aus dem lieferbaren Programm

352 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,95 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-448-7

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448 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-449-4

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KrimiZEIT-Bestenliste

KrimiZEIT-Bestenliste

Page 35: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

35 I Backlist

256 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-529-3

576 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 24,99 [D] | € 25,70 [A] | CHF 35,50*ISBN 978-3-89667-418-0

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256 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50*ISBN 978-3-89667-533-0

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240 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag€ 16,99 [D] | € 17,50 [A] | CHF 24,50* ISBN 978-3-89667-521-7

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Page 36: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Im Bus nach Florida wollte Diane nicht Chics Hand halten, die wie ein toter Fisch auf seinem Knie lag. Sie würdigte sie keines Blickes und stellte sich schlafend. Dann gab sie es auf und starrte wütend auf den Hut des Mannes vor ihnen. Dabei war sie sonst überhaupt nicht so. Während des letzten Monats hatte sie die ganze Zeit wie ein Wasserfall über ihre bevorstehende Hochzeitsreise geredet – das müssen wir unbedingt machen, und jenes müssen wir unbedingt machen, das auch und das noch und das sowieso –, und jetzt, wo es so weit war, knirschte sie so laut mit den Zähnen, dass er es hören konnte. Bei einer Pause in Kentucky fragte er sie, ob sie eine Limo- nade oder etwas zum Knabbern wolle. Sie starrte bloß schmol- lend aus dem Busfenster. Im Tankstellenladen kau� e er sich am Automaten eine Flasche Coca-Cola, dann beobachtete er durch die Flie-gentür ein paar Navy-Leute, wie sie einen kleinen Hund mit einem Stock triezten. Plötzlich musste er an Lijy denken, die Frau seines Bruders. Was sollte diese Rückenmassage bei der Feier? Der alte Mann an der Kasse meinte: »Dieser Truman gehört nicht nach Washington.Wallace, ja, den hätte ich gewählt. Das heißt, wenn ich jemanden gefunden hätte, der auf meinen La- den aufpasst, damit ich wählen gehen kann.« Chic nahm einen Schluck von der Coca-Cola. »Aber keine Chance. Mein Sohn will nichts damit zu tun haben. Und meine Frau, die sitzt den ganzen Tag an der Näh- maschine.« »Die tun dem Hund noch weh«, sagte Chic. »Ach wo. Der Hund ist zäh. Einmal hat ihn ein Laster an- gefahren, und er ist einfach aufgestanden und hat weitergebellt. Wie dieser Hund sind wir alle.Wir bellen immer weiter.« Chic kramte ein Zehncentstück aus der Tasche. Er hatte Lust auf Käse� ips. »Hey, wohin fährt der Bus?«, fragte der Alte. »Nach Florida. Danach, weiß ich nicht. Zurück wahr- scheinlich.« »Wissen Sie, was ich in Florida machen würde? Das Flo- rida Wildlife Institute besuchen. Hab gehört, da gibt’s Albino- krokodile.« »Glaub nicht, dass das meiner Frau gefallen würde.« »Sie sind verheiratet?« »Ja, Sir.« Chic legte sein Geld auf die � eke. »Trotzdem, ich würde mir das Wildlife Insti-tute ansehen an Ihrer Stelle.Wegen einer Frau lässt man sich doch kein Albino- krokodil entgehen.« »Haben Sie schon mal eins gesehen?« »Nur davon gehört.« Auf der Weiterfahrt stop� e sich Chic Käse� ips in den Mund. Er dachte an dieses Albinokrokodil. Er hatte noch nie einen Albino gesehen. Mit ihm war ein Junge in die Grundschule ge- gangen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte. Er hatte hellblondes Haar, und alle sagten, er sei ein Albino. Aber das stimmte nicht. Albinos hatten rosa Augen, und die des Jungen waren blau. Später zog er weg. Was wohl aus ihm geworden war? Wahrscheinlich hatte er irgendwo die High- school besucht, geheiratet und sich eine Arbeit gesucht. »Manchmal begreife ich dich einfach nicht, Chic Wald- beeser.« Er sah seine frisch angetraute Ehefrau an. Der Zorn in ihr arbeitete sichtbar wie ein rotierender Bohrer. »Du hast seit …« Er schaute auf seine Uhr. »Seit zwölf Stun- den kein Wort mit mir geredet. Und auf einmal erzählst du mir, dass ich nicht zu begreifen bin.Was ist denn los mit dir?« Sie wandte sich ab und starrte wieder zum Fenster hinaus. Der Bus kam an einem Plakat vorbei, auf dem stand: »Fahren Sie vorsichtig. Das Leben, das Sie retten, könnte Ihr eigenes sein.« Ihm war klar, dass er sich jetzt wirklich anstrengen musste. Also hielt er ihr einen Käse� ip unter die Nase. »Willst du einen? Die sind gut.« Sie legte den Kopf an die Scheibe und tat, als würde sie schlafen. Chic aß den Flip selbst. Zweimal stieß er sie leicht mit dem Ellbogen an. Dann bohr-te er ihr den Zeige� nger in den Arm. Nach ungefähr einer Minute schlug sie die Augen auf und sagte: »Hörst du bitte auf damit.« »Warum bist du so sauer?« »Das weißt du ganz genau.« Sie schloss die Augen. Wieder stieß er leicht ihren Arm an – einmal, zweimal, drei- mal, viermal. »Wenn du nicht damit au� örst, schreie ich.« Er aß seine Flips auf und schaute sich nach den anderen Fahrgästen um. Die Navy-Leute saßen ganz hinten und unter- hielten sich � üsternd. Eine Erdnuss � og durch den Gang und landete auf der Frau gegenüber von Chic. Chic drehte sich um und sah, dass die Navy-Leute kicherten. Einer hielt sich sogar die Hand vor den Mund. Die Frau wischte sich den Arm ab. Sie war in Carbondale eingestiegen und hatte dem Fahrer erzählt, dass sie ihre Granny in Pensacola besuchen wollte. Er schielte hinüber zu Diane, um zu erkennen, ob sie noch schlief. Ihre Augen waren geschlossen. In der Highschool hatte Chic nie eine Freundin gehabt. Immer wenn er sich einem Mädchen näherte, erstarrte er, und seine Zunge fühlte sich an wie ein Schwamm. Dabei war er gar nicht unattraktiv mit seiner Bürstenfrisur, der umgeschlagenen Levi’s und dem gestärkten weißen T-Shirt, doch wegen seiner verwirrten Miene wirkte er leicht zurückgeblieben. Wenn er ein Zimmer betrat, war er sich nicht sicher, wo er hinsollte, also blieb er im Türrahmen stehen und löste einen Stau aus. Bei den Lehrern und anderen Erwachsenen war er beliebt. Er lä- chelte viel, schnitt sich regelmäßig die Fingernägel, sagte im- mer »Bitte« und »Danke« und sprach Frauen mit »Ma’am« an. Im November, als er bei einem Footballspiel in Middleville auf der Tribüne saß, kam Diane auf ihn zu und erklärte ihm, dass sie erwarte, von ihm, Chic Waldbeeser, nach dem Spiel in die Milchbar eingeladen zu werden. Er war mit einer Gruppe an- derer Jungen da, Jungen wie er, kaum der Rede wert, die auf einen Schlag verstummten und mit gereckten Hälsen zu Di-ane au� lickten. Diane von Schmidt kannten alle. Ihr Vater war Mathematiklehrer, aber sie benahm sich nicht wie die Tochter eines Mathematiklehrers. Zu den Schulbällen erschien sie in Pumps. Zwei Jahre lang war sie fest mit Randy Rugaard zu- sammen gewesen, der im Sportunterricht damit geprahlt hatte, dass sie ein heißer Feger war. Damit meinte er, dass sie eine Wildkatze war. Und damit meinte er, dass sie ihm einiges ab- ver-langte. Nach einem gemeinsamen Eis saßen sie auf den Vordersit- zen des viertürigen Plymouth von Chics Mutter, und Diane drückte ihren Mund auf Chics Lippen. Kichernd löste sie sich nach einigen Sekunden von ihm und wischte sich den Mund ab. Dann fragte sie: »Was wünschst du dir mehr als alles andere auf der ganzen, weiten Welt?« Ihre Stimme klang so selbstbe- wusst, dass Chic ganz unsicher wurde. »Einen großen Hund«, sagte Chic. »Nein, ich meine vom Leben.« Darüber musste er nachdenken. Mit einem großen Hund würde alles ein bisschen besser werden. Große Hunde mach- ten Familien glücklich, und seine Familie war seit zehn Jahren nur noch ein Scherbenhaufen. Als er acht war, war sein Vater hinter die Scheune gegangen und hatte sich in den Schnee ge- setzt, um zu erfrieren. Ungelogen. Diane wusste davon. Alle wussten es. Und alle schau-ten Chic deswegen ein wenig schief von der Seite an. Die meiste Zeit dachte er lieber nicht so viel darüber nach. Er dachte nur daran, dass er eines Tages seine eigene Familie haben würde – und diesen großen Hund. An- scheinend war das die brauchbarste Art, mit solchen Dingen umzugehen: immer weiter voranzugehen und nicht zurückzu- schauen. So hatte es seine Mutter gemacht. Einen Tag nach der Beerdigung seines Vaters stieg sie in Tom McNeeleys Dodge und fuhr mit ihm herum. Also, was wünschte er – Chic Wald- beeser – sich mehr als alles andere? Eigentlich war die Antwort darauf ziemlich einfach, auch wenn er sie tief in sich verbarg, weit hinten in seinem Kopf, dort, wo Spinnweben hingen und ständig ein Wasserhahn trop� e. Aber weil sie gefragt hatte und Diane von Schmidt war, die Tochter eines Mathematiklehrers und ein heißer Feger, verriet er es ihr. »Ich wünsche mir eine normale Familie.« »Wie bitte?« »Eine normale Familie. Ein ganz normales Leben.« Ein knappes Jahr später richtete Dianes Vater eine große Hochzeit aus. In der katholischen Kirche von Middleville dräng- ten sich DianesTanten, Onkel, Cousins und Cousinen und deren Kinder. Chics Mutter schickte einen Obstkorb mit einer Karte, in der sie schrieb, dass sie nicht kommen konnte, weil sie in Florida war und Tennis spielen lernte.Am Tag nach Chics High- school-Abschluss war sie mit Tom McNeeley dorthin gezogen. Der einzige Geladene von der Waldbeeser-Seite war Kenneth Waxman, ein Freund von Chics Vater. Mr.Waxman saß zusam- mengequetscht hinten in der Kirche neben Dianes Cousine dritten Grades Mary Lou aus Junction City, Kansas, und ihren sieben Kindern. Ein älterer Onkel Dianes, der schon lange in Middleville lebte, beugte sich zu seiner Frau und fragte: »Was genau hat der alte Waldbeeser gemacht?« »Selbstmord«, antwortete sie. »Vor zehn Jahren oder so.« »Ja, ja … das weiß ich. Ich meine, was hat er gemacht.« Sie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich in der Konserven- fabrik gearbeitet.« Chics Bruder Buddy stand mit dem Ring in der Tasche vor dem Altar neben Chic. Erst vor Kurzem war er von irgendwo im Osten oder Westen zurückgekehrt. Er war nicht besonders mitteilsam. Auf jeden Fall kam er rechtzeitig zu Chics Hoch- zeit und hatte seine indische Ehefrau dabei, die, weil sie einen Sari trug und in Sandalen ihre Zehen zeigte, bei den Klein- stadtbewohnern Getuschel auslöste. Buddy war lang und dünn wie eine Bohnenstange. In einem überfüllten Zimmer sah man ihn als Ersten, doch ansonsten konnte man nicht behaupten, dass er die anderen überragte. Seine Standardnote an der High- school war »Ausreichend« gewesen. Und er war schüchtern. Bei der Feier im Gemeindesaal genehmigte er sich zu viel von dem starken Punsch und schwafelte während seiner Rede als Trauzeuge endlos von seinem Vater, vom Vater seines Vaters und von dessen Vater, Bascom Waldbeeser, der aus Deutschland eingewandert und zusammen mit seiner Frau Kiki und ihrem gemeinsamen Sohn Bascom junior aus New Orleans hierher- gekommen war, um Middleville zu gründen. Die Gäste auf ihren Klappstühlen schauten einander an. Jeder Einwohner der Kleinstadt wusste, dass Middleville und die Konser-venfabrik in den Achtzehnhundertachtzigern von R.S. Archerbach und seinen Söhnen gegründet worden war. Es gab sogar ein Buch, Middleville, Illinois: Unsere Stadt, unser Leben, unsere Geschichte, das Mrs. Ruth Van Eatton verfasst hatte, eine Englischlehrerin an der Highschool. Das Buch zeigte auf Schwarz-Weiß-Fotos die Familie Archerbach und andere füh- rende Familien des Orts, dazu den Holzbau der Kürbiskon- serven-fabrik (inzwischen ein Nationaldenkmal) an der Main Street um 1884 und die Eisenbahnstation an der Je� erson und First Street, die Middleville mit dem dreißig Kilometer nörd- lich gelegenen Peoria verband. Diane beugte sich vor und fragte Chic, warum sein Bruder behauptete, dass die Familie Waldbeeser für die Konservenfabrik verantwortlich war.Ach- selzuckend tat Chic, als hätte er keine Ahnung, worauf sein Bruder hinaus-wollte. Dabei wusste er es ganz genau. Das hatte ihnen ihr Großvater erzählt, als sie noch klein waren, ein Mär- chen, das Buddy und Chic dazu bewegen sollte, sich in der großen, weiten Welt zu behaupten und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. So interpretierte Chic zumindest die Geschichte. Nach einer Viertelstunde knipste ein zehnjähriger Cousin das Licht aus, und im ganzen Saal wurde es stockdunkel.Tan- ten und andere Frauen ächzten erschrocken. Jemand � üsterte: »Gott sei Dank.« Als es wieder hell wurde, stand Buddy leicht schwankend mitten auf der Tanz� äche. Sichtlich betrunken, hob er sein Glas. »Herzlichen Glück…« Er rülpste. »Herzlichen Glück- wunsch.« Dianes Vater führte ihn durch eine Seitentür hinaus auf den Parkplatz, und jemand warf die Musikbox an: Patti Page sang »All My Love«. Als sich das Durcheinander wieder gelegt hatte und die Leute nach den Händen ihrer Liebsten gri� en, um sie aufs Tanzparkett zu zerren, fand sich Chic auf einmal hinter Bud- dys Frau Lijy wieder. Sie zup� e sich gerade Fussel von ihrem Sari. Während der gesamten Feier hatte er beobachtet, wie sich Tanten und Onkel anstießen und hinter vorgehaltener Hand über Lijy redeten. Mit Ausnahme von Bildern in Bü- chern war sie die erste Inderin, die die Leute in Middle-ville je zu Gesicht bekommen hatten. Wenn sie auf der Main Street ins Kau� aus Witzig gegenüber der Milchbar trat, bremsten kreischend die Buick Roadmasters, auf deren Rücksitzen achtjährige Knirpse saßen und die Fenster herunterkurbelten, um mit dem Finger auf sie zu zeigen.Als er nun am Rand der Tanz� äche stand, drängte sich Chic so nah an sie heran, dass er ihr Haar riechen konnte. Es roch seltsam, aber gut – erdig und würzig, nach Moschus vielleicht. Sie erinnerte ihn an eine Puppe. Plötzlich drehte sie sich um und räusperte sich. Sofort bemerkte Chic die Wölbung ihrer Brüste unter dem Sari. Das war ihm bisher nicht aufgefallen. Doch da waren sie – ungefähr so groß wie Grapefruits. »Ich …« Schnell senkte er den Blick zu seinen Schuhspitzen und drückte die Augen ganz fest zu. Sie hatte es gesehen, sie hatte gesehen, wie er auf ihren Busen gestarrt hatte. »Entschuldigung«, murmelte er. Doch sie beachtete ihn gar nicht. Ihr Blick zielte an ihm vorbei zu der Seitentür, durch die Buddy auf den Parkplatz hinaus verschwunden war. Chic schaute über seine Schulter und m Mit Selbststeuerung lässt sich im Leben vieles, ohne sie nichts erreichen. Ihre wahre Bedeutung liegt jedoch nicht in der Ansteuerung hehrer oder spektakulärer Ziele. Ihr tiefer Sinn liegt darin, unser ganz eigenes, wahres Leben zu leben und zu uns selbst, zu unserer jeweils ureigenen Identität zu � nden. Wer -wie es ein Kleinkind tut- nur seinen spontanen Impulsen nachgibt oder unvermittelt und ohne Sinn und Verstand nach allem grei� , sich alles einverleibt oder alles haben muss, was ihm hingehalten wird, hat kein Selbst. Die Weisheit unserer Sprache verrät es: Wir können uns selbst verlieren. Wir können uns nicht nur an unsere Impulse und A� ekte verlieren, sondern auch an Dinge, Waren und an die auf uns einwirkenden Reize. Ein Selbst, auch das kann man am sich entwickelnden Kleinkind beobachten, entsteht erst dann, wenn wir etwas Abstand zu unseren Emotionen, zu den Objekten und den Reizen der uns umgebenden Welt halten können, wenn wir damit beginnen innezuhalten und darüber nachzudenken, was wir eigentlich wirklich wollen. Zum Selbst gehört also, einen Plan zu haben und auf dieser Grundlage etwas besonders Beglückendes zu tun, nämlich für sich eine eigene, ganz individuelle Zukun� zu entwerfen. Ich werde nicht nur zeigen, dass Menschen -entgegen dem, was uns immer wieder weisgemacht werden soll- einen freien Willen haben, mit dem wir uns steuern und unser individuelles Selbst leben können. Ich möchte auch den heilsamen Ein� uss deutlich machen, der von einer intakten Selbststeuerung auf unsere Gesundheit ausgeht. Wo kein Selbst ist, kann es auch keine Selbststeuerung geben. Das Glück, ein Selbst zu fühlen, ist fast jedem Menschen widerfahren, auch wenn sich manche gar nicht mehr erinnern. Wann war es, als wir erstmals im Leben ein großes Gefühl von Selbst-Sein und der damit verbundenen Freiheit verspürten? Die frühesten derartigen Momente, an die wir uns erinnern können, beschreiben meist Situationen von großer Einfachheit und Natürlichkeit, Situationen jedenfalls, in denen Konsumartikel aus dem Warenarsenal unserer Wohlstandsgesellscha� en kaum eine Rolle spielen. Manche erin-nern einen ersten derartigen Moment schon für ihr Kindesalter, etwa beim ersten freien Gehen. Die meisten datieren das Gefühl eines ersten tief erlebten Selbst-Seins aber in die Zeit am Ende der Adoleszenz. O� werden erste Reisen erinnert, die typischerweise mit geringsten � nanziellen Mitteln bestritten werden mussten. Häu� g ist es auch der Auszug von zuhause, das erste bescheidene eigene Zimmer, die erste sexuelle Begegnung oder ein tiefgehendes Naturerlebnis, welches wir mit einer ersten Erfahrung der Selbststeuerung verbinden. Interessanterweise war es für viele Menschen ein bewusstes Handeln gegen die Konvention oder ein absichtsvoll herbeigeführtes Verzichtserlebnis, welches mit einem erstmaligen tiefen Gefühl der Selbstbestimmung verbunden war. Selbst sein heißt auch: Anders sein als die anderen. Doch was ist aus uns geworden, was hat das Leben mit uns gemacht, was haben wir -durch das Leben- mit uns machen lassen? Viel häu� ger als uns bewusst ist folgt unser Verhalten im Alltag nicht dem, für was wir mit unserer Identität tatsächlich stehen, also dem, was wir wirklich gerne tun würden oder für richtig halten. Stattdessen leben wir weitgehend in Routine. Unser Verhalten folgt in großem Umfang dem Druck der Anpassung an das, was andere tun oder den Automatis-men zwischen Reiz und Reaktion. Inwieweit geht unser Leben über den Mini-Horizont wirklich noch hinaus, der vom Signalton aus einem unserer vielen medialen Gadgets zu unserer sofortigen Antwortreaktion reicht, oder vom kostenlos angebotenen Snack zum sofortigen Konsum desselben? Zur Über� utung mit Reizen und Waren hinzu kommt die Hetze. Der Umstand, dass über sieben Milliarden Menschen ihren Anteil an den begrenzten Ressourcen unserer Erde suchen, zwingt uns zur Arbeit, was viele wenig beein� ussbare Abhängigkeiten nach sich zieht. Die Notwendigkeit zu arbeiten beschert uns einen Zustand fortwährender Geschä� ig-keit, den wir Stress nennen. Auch an diesen Zustand haben sich -ähnlich wie an den Zustand des Konformismus und des andauernden Konsums- viele aber schon so gewöhnt, dass sie auch dann, wenn es möglich wäre, nicht aus ihm aussteigen können. Möglichkeiten zur Selbstbestimmung werden uns nicht nur genommen, wir nehmen sie uns auch selbst. Weit mehr als erforderlich, unterwerfen wir uns dem Druck des Konformismus und der Anpassung an die vermuteten Erwartungen anderer. Der Über� uss und die allgegenwärtige Verfügbarkeit von billigen, o� minderwertigen und ungesunden Nahrungs- und Genussmitteln haben viele zu Ab-hängigen, beinahe zu Süchtigen werden lassen. Die an sich phantastischen Möglichkeiten, die uns Computer, Smartphones und soziale Netzwerke bieten, haben begonnen unsere Freiheit und Selbstbestimmung fast sklavenartig einzuengen. Mehr als vier Fün� el sind, Umfragen aus den USA zufolge, zum Abspannen und Nachdenken gar nicht mehr in der Lage. Unverho� e Gelegenheiten zum Innehalten -und erst Recht zur Muße- bringen manche Zeitgenossen paradoxer Weise in große Schwierigkeiten. So versetzten sich zahlreiche Teilnehmer eines wissenscha� lichen Experiments während einer ihnen gewährten 15-minütigen Auszeit lieber freiwillig kurze Stromstöße mit einem zufällig bereitstehenden Gerät anstatt einfach nichts zu tun, nur um keine Langeweile mit sich selbst zu erleben. Wer kein Selbst hat, möchte diese missliche Tatsache lieber gar nicht erst entdecken. Wie � nden wir den Weg aus einer von Selbst-Verlust, verlorener Selbstbestimmung und Stress gekennzeichneten Situation? Angesichts vieler Abhängigkeiten und Zwänge, in die wir uns hineinbe-geben haben, wünschen sich viele Menschen die Möglichkeit zu einem Befreiungsschlag. Doch diese Option würde nichts zum Besseren wenden. Lebensgewohnheiten und Verhaltensmuster sind in Netzwerken unseres Gehirns festgeschrieben und lassen sich nur im Laufe eines längeren Lern- und Übungsprozesses verändern. In welche Richtung sollte dieser Prozess gehen? Das Ziel sollte sein, Freiheitsgrade zu erhöhen, Selbstbestim-mung zu stärken und wieder etwas von dem Glück spürbar zu machen, das aus den erinnerten Episoden sprach, von denen eingangs die Rede war. Dieses Glück war, wie wir sahen, kein durch die Warenwelt einlösbares, konsumatorisches Glück, kein Fast-Food-Glück mit der rein hedonischen Befriedigung unserer vielen, o� suchtartigen Abhängigkeiten. Es ist ein tieferes, eudaimonisches Glück, bei dem es darum geht, sich größere, längerfristige Ziele zu setzen, tiefe und sinnha� e Erfahrungen zu machen, aufzubrechen, einen eigenen Weg zu gehen und persönlich zu wachsen. Wer den Verdacht haben sollte, hier begegne uns Gutmenschen-Gerede, liegt daneben. Menschen, die sich dem eudaimonischen Glück verschrieben haben, zeigen ein ganz besonderes Aktivitätsmuster ihrer Gene, das die Bewahrung der Gesundheit begünstigt. Wer nur das hedonische Glück vor Augen hat, das sich in schnellen, konsumatorischen Befriedigungen erschöp� , aktiviert in seinem Körper demgegenüber ein Genaktivitätsmuster, das Herz-, Krebs- und Demenzerkrankungen begünstigt und die Anfälligkeit für Virusinfekte erhöht. So stoßen wir am Ende dieser ersten Betrachtung auf eine dialektische Beziehung: Die Fähigkeit, sich dem sinnlosen Konsum und ständigen Reizen zu verweigern, sich stattdessen bewusst zu beschränken, auch Verzicht ertragen zu können, kann zu einem Zugewinn von Freiheit und Selbststeuerungsfähigkeit führen, sie kann unsere Handlungsoptionen erweitern und uns größere, lohnenswertere Ziele erreichen lassen. Was ist Selbststeuerung? Vor allem: In welchem Verhältnis steht sie zur Selbstkontrolle und zur Disziplin, die in Deutschland von etwa 1870 bis Ende der 1950er Jahre als oberste Tugenden galten? Wer seine Kinderjahre kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, konnte die letzten Vertreter der damals lebenden Generationen noch als Eltern und Großeltern kennenlernen. Strenge Selbstkontrolle und absolute Disziplin wurden damals, unter reichlicher Anwendung von erzieherischer Gewalt, bereits kleinen Kindern aufgezwungen . Den Abschluss dieser Erziehung bildete bei den Männern das Militär. Freundlichkeit und Zärtlichkeit wurden als Gefühlsduselei gering geschätzt, genussvolle Sexualität radikal unterdrückt. Nur Selbstkontrolle und Disziplin galten als Kennzeichen eines anständigen Lebens. Sie standen im Dienste des Ge-horsams gegenüber der Obrigkeit, erzeugten Konformismus, hatten -wie Sigmund Freud und andere erkannten- massenha� psychische Störungen zur Folge und leisteten einen entscheidenden Beitrag zu zwei Weltkrie-gen. Unter derartigen Vorzeichen herangewachsene Menschen waren seelisch beschädigt, weil ihrer emotionalen Seiten beraubt, nicht selten waren sie traumatisiert. Wie diese Epoche, die von vielen Älteren in der Kindheit noch leidvoll selbst erlebt wurde, überdeutlich gezeigt hat, kann man die Selbstkontrolle ad absurdum führen. Es war vor allem die unmenschlich gewordene Vorstellung von Disziplin und Selbstkontrolle, die in den 1960er und 1970er Jahren bei den seinerzeit Jüngeren zum Ausgangspunkt für eine -zunächst durchaus heilsame- Gegenbewegung wurde. Zu den vielen und durchaus heterogenen Zielen, die sich die sogenann-te 1968er-Generation auf die Fahnen geschrieben hatte, gehörte vor allem die Befreiung der Gefühle, die Legitimierung von Zärtlichkeit, Liebe und Sexualität. Der Verklärung des Krieges wurde der Pazi� smus, dem Konformismus der Alten eine bewusst gelebte Disziplinlosigkeit entgegengesetzt, aus der alsbald allerdings neue Formen von Konformismus hervorgingen. Die seinerzeit he� ige Welle dieser Bewegung ist nur scheinbar abgeebbt. Ihr Wasser wurde auf die Mühlen einer gewaltigen Konsum- und Medienindustrie umgeleitet, welche die einst von den 1968ern propagierten Slogans kurzerhand zu Werbeslogans ihrer Produkte machte. Just do it. Alles ist möglich. Die Herrscha� der A� ekte und das Diktat spontaner Impulse � nden ihren Ausdruck nun nicht mehr im kulturellen Milieu studentischer Wohngemeinscha� en, sondern in der durch die neuen Medien hervorgebrachten Schwemme von Signalen, Angeboten und impulsgesteuerter Absonderungen wie sie sich vor allem im Internet und in den Programmen privater Fernsehsender � nden. Wer unter dem Vorzei-chen weitgehend ungebremster Impulsivität und ungehemmten A� ektausdrucks heranwächst, wird einen Mangel der Fähigkeit zur Selbstkontrolle erleiden und als Folge davon vorzugsweise Suchttendenzen oder nar-zisstische Störungen entwickeln. Diese Entwicklung hat auf breiter Front bereits begonnen. Selbststeuerung bedeutet nicht genussfeindliche Selbstkontrolle, nicht menschenverachtend überdrehte Disziplin, ebenso wenig aber hat sie eine ungebremste Herrscha� von A� ekten oder Impulsen im Sinn. A� ekte und Impulse sind ein Teil des menschlichen Wesens, sie sind nichts Schlechtes. Doch ebenso gehört zum Menschsein auch die Fä-higkeit zur Selbstkontrolle. Selbststeuerung ist ganzheitliche Selbstfürsorge und besteht in der Kunst, beide Komponenten -a� ektive Impulse und ihre Kontrolle- miteinander zu verbinden. Beide Komponenten lassen sich auch neurobiologisch beschreiben. Hirnforscher und Psychologen unterscheiden im menschlichen Gehirn zwei Fundamentalsysteme, ein triebha� es, sozusagen von unten her -Bottom-up- agierendes Trieb- oder Basissystem und ein darauf au� auendes, zweites System. Dieses Au� ausystem hat seinen Sitz im Stirnhirn, dem sogenannten Präfrontalen Cortex. Es wirkt umgekehrt nach unten -top-down- zurück und kann, wenn es hinreichend gut entwickelt ist, das Basissystem kontrollieren. Das übergeordnete System ermöglicht, was Hirnforscher und Psychologen als Selbstkontrolle -im Englischen Self Control- bezeichnen. Wie schon erwähnt, schließt Selbststeuerung -im Gegensatz zur Selbstkontrolle- die Fürsorge für beide Fundamentalsysteme, also auch für das Trieb- oder Basissystem, mit ein. Der Mensch sollte mit allen seinen inneren Anteilen in Frieden leben. Askese um ihrer selbst willen ist kein sinnsti� endes Projekt. Mit Selbststeuerung lässt sich, wie eingangs erwähnt, im Leben vieles erreichen. Sie ö� net die Türen zu guten Beziehungen mit anderen Menschen, zu beru� ichem Erfolg und zur Erhaltung -oder Wiedergewinnung- der eigenen Gesundheit. Wer den Geheimnissen der Selbststeuerung auf die Spur gekommen ist, wird daraus nicht nur für sich selbst, sondern auch im Umgang mit anderen Menschen Vorteile ziehen können. Besonders hilfreich kann das Wissen um ihre Geheimnisse bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen sein, deren Selbststeuerung meistens noch zu wün-schen übrig lässt. Diesen Mangel können wir den Jungen allerdings nicht verübeln, denn eine funktionierende Selbststeuerung ist keine angeborene Eigenscha� . Angeboren ist lediglich die Fähigkeit sie zu erwerben. Bei diesem Erwerb spielen wir Erwachsenen eine entscheidende Rolle, der wir allerdings seit einiger Zeit nicht mehr hinreichend nachkommen. Allen, die sich danach sehnen, die eigene Selbststeuerung oder die ihrer

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Page 37: Blessing Vorschau Frühjahr 2015

Im Bus nach Florida wollte Diane nicht Chics Hand halten, die wie ein toter Fisch auf seinem Knie lag. Sie würdigte sie keines Blickes und stellte sich schlafend. Dann gab sie es auf und starrte wütend auf den Hut des Mannes vor ihnen. Dabei war sie sonst überhaupt nicht so. Während des letzten Monats hatte sie die ganze Zeit wie ein Wasserfall über ihre bevorstehende Hochzeitsreise geredet – das müssen wir unbedingt machen, und jenes müssen wir unbedingt machen, das auch und das noch und das sowieso –, und jetzt, wo es so weit war, knirschte sie so laut mit den Zähnen, dass er es hören konnte. Bei einer Pause in Kentucky fragte er sie, ob sie eine Limo- nade oder etwas zum Knabbern wolle. Sie starrte bloß schmol- lend aus dem Busfenster. Im Tankstellenladen kau� e er sich am Automaten eine Flasche Coca-Cola, dann beobachtete er durch die Flie-gentür ein paar Navy-Leute, wie sie einen kleinen Hund mit einem Stock triezten. Plötzlich musste er an Lijy denken, die Frau seines Bruders. Was sollte diese Rückenmassage bei der Feier? Der alte Mann an der Kasse meinte: »Dieser Truman gehört nicht nach Washington.Wallace, ja, den hätte ich gewählt. Das heißt, wenn ich jemanden gefunden hätte, der auf meinen La- den aufpasst, damit ich wählen gehen kann.« Chic nahm einen Schluck von der Coca-Cola. »Aber keine Chance. Mein Sohn will nichts damit zu tun haben. Und meine Frau, die sitzt den ganzen Tag an der Näh- maschine.« »Die tun dem Hund noch weh«, sagte Chic. »Ach wo. Der Hund ist zäh. Einmal hat ihn ein Laster an- gefahren, und er ist einfach aufgestanden und hat weitergebellt. Wie dieser Hund sind wir alle.Wir bellen immer weiter.« Chic kramte ein Zehncentstück aus der Tasche. Er hatte Lust auf Käse� ips. »Hey, wohin fährt der Bus?«, fragte der Alte. »Nach Florida. Danach, weiß ich nicht. Zurück wahr- scheinlich.« »Wissen Sie, was ich in Florida machen würde? Das Flo- rida Wildlife Institute besuchen. Hab gehört, da gibt’s Albino- krokodile.« »Glaub nicht, dass das meiner Frau gefallen würde.« »Sie sind verheiratet?« »Ja, Sir.« Chic legte sein Geld auf die � eke. »Trotzdem, ich würde mir das Wildlife Insti-tute ansehen an Ihrer Stelle.Wegen einer Frau lässt man sich doch kein Albino- krokodil entgehen.« »Haben Sie schon mal eins gesehen?« »Nur davon gehört.« Auf der Weiterfahrt stop� e sich Chic Käse� ips in den Mund. Er dachte an dieses Albinokrokodil. Er hatte noch nie einen Albino gesehen. Mit ihm war ein Junge in die Grundschule ge- gangen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte. Er hatte hellblondes Haar, und alle sagten, er sei ein Albino. Aber das stimmte nicht. Albinos hatten rosa Augen, und die des Jungen waren blau. Später zog er weg. Was wohl aus ihm geworden war? Wahrscheinlich hatte er irgendwo die High- school besucht, geheiratet und sich eine Arbeit gesucht. »Manchmal begreife ich dich einfach nicht, Chic Wald- beeser.« Er sah seine frisch angetraute Ehefrau an. Der Zorn in ihr arbeitete sichtbar wie ein rotierender Bohrer. »Du hast seit …« Er schaute auf seine Uhr. »Seit zwölf Stun- den kein Wort mit mir geredet. Und auf einmal erzählst du mir, dass ich nicht zu begreifen bin.Was ist denn los mit dir?« Sie wandte sich ab und starrte wieder zum Fenster hinaus. Der Bus kam an einem Plakat vorbei, auf dem stand: »Fahren Sie vorsichtig. Das Leben, das Sie retten, könnte Ihr eigenes sein.« Ihm war klar, dass er sich jetzt wirklich anstrengen musste. Also hielt er ihr einen Käse� ip unter die Nase. »Willst du einen? Die sind gut.« Sie legte den Kopf an die Scheibe und tat, als würde sie schlafen. Chic aß den Flip selbst. Zweimal stieß er sie leicht mit dem Ellbogen an. Dann bohr-te er ihr den Zeige� nger in den Arm. Nach ungefähr einer Minute schlug sie die Augen auf und sagte: »Hörst du bitte auf damit.« »Warum bist du so sauer?« »Das weißt du ganz genau.« Sie schloss die Augen. Wieder stieß er leicht ihren Arm an – einmal, zweimal, drei- mal, viermal. »Wenn du nicht damit au� örst, schreie ich.« Er aß seine Flips auf und schaute sich nach den anderen Fahrgästen um. Die Navy-Leute saßen ganz hinten und unter- hielten sich � üsternd. Eine Erdnuss � og durch den Gang und landete auf der Frau gegenüber von Chic. Chic drehte sich um und sah, dass die Navy-Leute kicherten. Einer hielt sich sogar die Hand vor den Mund. Die Frau wischte sich den Arm ab. Sie war in Carbondale eingestiegen und hatte dem Fahrer erzählt, dass sie ihre Granny in Pensacola besuchen wollte. Er schielte hinüber zu Diane, um zu erkennen, ob sie noch schlief. Ihre Augen waren geschlossen. In der Highschool hatte Chic nie eine Freundin gehabt. Immer wenn er sich einem Mädchen näherte, erstarrte er, und seine Zunge fühlte sich an wie ein Schwamm. Dabei war er gar nicht unattraktiv mit seiner Bürstenfrisur, der umgeschlagenen Levi’s und dem gestärkten weißen T-Shirt, doch wegen seiner verwirrten Miene wirkte er leicht zurückgeblieben. Wenn er ein Zimmer betrat, war er sich nicht sicher, wo er hinsollte, also blieb er im Türrahmen stehen und löste einen Stau aus. Bei den Lehrern und anderen Erwachsenen war er beliebt. Er lä- chelte viel, schnitt sich regelmäßig die Fingernägel, sagte im- mer »Bitte« und »Danke« und sprach Frauen mit »Ma’am« an. Im November, als er bei einem Footballspiel in Middleville auf der Tribüne saß, kam Diane auf ihn zu und erklärte ihm, dass sie erwarte, von ihm, Chic Waldbeeser, nach dem Spiel in die Milchbar eingeladen zu werden. Er war mit einer Gruppe an- derer Jungen da, Jungen wie er, kaum der Rede wert, die auf einen Schlag verstummten und mit gereckten Hälsen zu Di-ane au� lickten. Diane von Schmidt kannten alle. Ihr Vater war Mathematiklehrer, aber sie benahm sich nicht wie die Tochter eines Mathematiklehrers. Zu den Schulbällen erschien sie in Pumps. Zwei Jahre lang war sie fest mit Randy Rugaard zu- sammen gewesen, der im Sportunterricht damit geprahlt hatte, dass sie ein heißer Feger war. Damit meinte er, dass sie eine Wildkatze war. Und damit meinte er, dass sie ihm einiges ab- ver-langte. Nach einem gemeinsamen Eis saßen sie auf den Vordersit- zen des viertürigen Plymouth von Chics Mutter, und Diane drückte ihren Mund auf Chics Lippen. Kichernd löste sie sich nach einigen Sekunden von ihm und wischte sich den Mund ab. Dann fragte sie: »Was wünschst du dir mehr als alles andere auf der ganzen, weiten Welt?« Ihre Stimme klang so selbstbe- wusst, dass Chic ganz unsicher wurde. »Einen großen Hund«, sagte Chic. »Nein, ich meine vom Leben.« Darüber musste er nachdenken. Mit einem großen Hund würde alles ein bisschen besser werden. Große Hunde mach- ten Familien glücklich, und seine Familie war seit zehn Jahren nur noch ein Scherbenhaufen. Als er acht war, war sein Vater hinter die Scheune gegangen und hatte sich in den Schnee ge- setzt, um zu erfrieren. Ungelogen. Diane wusste davon. Alle wussten es. Und alle schau-ten Chic deswegen ein wenig schief von der Seite an. Die meiste Zeit dachte er lieber nicht so viel darüber nach. Er dachte nur daran, dass er eines Tages seine eigene Familie haben würde – und diesen großen Hund. An- scheinend war das die brauchbarste Art, mit solchen Dingen umzugehen: immer weiter voranzugehen und nicht zurückzu- schauen. So hatte es seine Mutter gemacht. Einen Tag nach der Beerdigung seines Vaters stieg sie in Tom McNeeleys Dodge und fuhr mit ihm herum. Also, was wünschte er – Chic Wald- beeser – sich mehr als alles andere? Eigentlich war die Antwort darauf ziemlich einfach, auch wenn er sie tief in sich verbarg, weit hinten in seinem Kopf, dort, wo Spinnweben hingen und ständig ein Wasserhahn trop� e. Aber weil sie gefragt hatte und Diane von Schmidt war, die Tochter eines Mathematiklehrers und ein heißer Feger, verriet er es ihr. »Ich wünsche mir eine normale Familie.« »Wie bitte?« »Eine normale Familie. Ein ganz normales Leben.« Ein knappes Jahr später richtete Dianes Vater eine große Hochzeit aus. In der katholischen Kirche von Middleville dräng- ten sich DianesTanten, Onkel, Cousins und Cousinen und deren Kinder. Chics Mutter schickte einen Obstkorb mit einer Karte, in der sie schrieb, dass sie nicht kommen konnte, weil sie in Florida war und Tennis spielen lernte.Am Tag nach Chics High- school-Abschluss war sie mit Tom McNeeley dorthin gezogen. Der einzige Geladene von der Waldbeeser-Seite war Kenneth Waxman, ein Freund von Chics Vater. Mr.Waxman saß zusam- mengequetscht hinten in der Kirche neben Dianes Cousine dritten Grades Mary Lou aus Junction City, Kansas, und ihren sieben Kindern. Ein älterer Onkel Dianes, der schon lange in Middleville lebte, beugte sich zu seiner Frau und fragte: »Was genau hat der alte Waldbeeser gemacht?« »Selbstmord«, antwortete sie. »Vor zehn Jahren oder so.« »Ja, ja … das weiß ich. Ich meine, was hat er gemacht.« Sie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich in der Konserven- fabrik gearbeitet.« Chics Bruder Buddy stand mit dem Ring in der Tasche vor dem Altar neben Chic. Erst vor Kurzem war er von irgendwo im Osten oder Westen zurückgekehrt. Er war nicht besonders mitteilsam. Auf jeden Fall kam er rechtzeitig zu Chics Hoch- zeit und hatte seine indische Ehefrau dabei, die, weil sie einen Sari trug und in Sandalen ihre Zehen zeigte, bei den Klein- stadtbewohnern Getuschel auslöste. Buddy war lang und dünn wie eine Bohnenstange. In einem überfüllten Zimmer sah man ihn als Ersten, doch ansonsten konnte man nicht behaupten, dass er die anderen überragte. Seine Standardnote an der High- school war »Ausreichend« gewesen. Und er war schüchtern. Bei der Feier im Gemeindesaal genehmigte er sich zu viel von dem starken Punsch und schwafelte während seiner Rede als Trauzeuge endlos von seinem Vater, vom Vater seines Vaters und von dessen Vater, Bascom Waldbeeser, der aus Deutschland eingewandert und zusammen mit seiner Frau Kiki und ihrem gemeinsamen Sohn Bascom junior aus New Orleans hierher- gekommen war, um Middleville zu gründen. Die Gäste auf ihren Klappstühlen schauten einander an. Jeder Einwohner der Kleinstadt wusste, dass Middleville und die Konser-venfabrik in den Achtzehnhundertachtzigern von R.S. Archerbach und seinen Söhnen gegründet worden war. Es gab sogar ein Buch, Middleville, Illinois: Unsere Stadt, unser Leben, unsere Geschichte, das Mrs. Ruth Van Eatton verfasst hatte, eine Englischlehrerin an der Highschool. Das Buch zeigte auf Schwarz-Weiß-Fotos die Familie Archerbach und andere füh- rende Familien des Orts, dazu den Holzbau der Kürbiskon- serven-fabrik (inzwischen ein Nationaldenkmal) an der Main Street um 1884 und die Eisenbahnstation an der Je� erson und First Street, die Middleville mit dem dreißig Kilometer nörd- lich gelegenen Peoria verband. Diane beugte sich vor und fragte Chic, warum sein Bruder behauptete, dass die Familie Waldbeeser für die Konservenfabrik verantwortlich war.Ach- selzuckend tat Chic, als hätte er keine Ahnung, worauf sein Bruder hinaus-wollte. Dabei wusste er es ganz genau. Das hatte ihnen ihr Großvater erzählt, als sie noch klein waren, ein Mär- chen, das Buddy und Chic dazu bewegen sollte, sich in der großen, weiten Welt zu behaupten und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. So interpretierte Chic zumindest die Geschichte. Nach einer Viertelstunde knipste ein zehnjähriger Cousin das Licht aus, und im ganzen Saal wurde es stockdunkel.Tan- ten und andere Frauen ächzten erschrocken. Jemand � üsterte: »Gott sei Dank.« Als es wieder hell wurde, stand Buddy leicht schwankend mitten auf der Tanz� äche. Sichtlich betrunken, hob er sein Glas. »Herzlichen Glück…« Er rülpste. »Herzlichen Glück- wunsch.« Dianes Vater führte ihn durch eine Seitentür hinaus auf den Parkplatz, und jemand warf die Musikbox an: Patti Page sang »All My Love«. Als sich das Durcheinander wieder gelegt hatte und die Leute nach den Händen ihrer Liebsten gri� en, um sie aufs Tanzparkett zu zerren, fand sich Chic auf einmal hinter Bud- dys Frau Lijy wieder. Sie zup� e sich gerade Fussel von ihrem Sari. Während der gesamten Feier hatte er beobachtet, wie sich Tanten und Onkel anstießen und hinter vorgehaltener Hand über Lijy redeten. Mit Ausnahme von Bildern in Bü- chern war sie die erste Inderin, die die Leute in Middle-ville je zu Gesicht bekommen hatten. Wenn sie auf der Main Street ins Kau� aus Witzig gegenüber der Milchbar trat, bremsten kreischend die Buick Roadmasters, auf deren Rücksitzen achtjährige Knirpse saßen und die Fenster herunterkurbelten, um mit dem Finger auf sie zu zeigen.Als er nun am Rand der Tanz� äche stand, drängte sich Chic so nah an sie heran, dass er ihr Haar riechen konnte. Es roch seltsam, aber gut – erdig und würzig, nach Moschus vielleicht. Sie erinnerte ihn an eine Puppe. Plötzlich drehte sie sich um und räusperte sich. Sofort bemerkte Chic die Wölbung ihrer Brüste unter dem Sari. Das war ihm bisher nicht aufgefallen. Doch da waren sie – ungefähr so groß wie Grapefruits. »Ich …« Schnell senkte er den Blick zu seinen Schuhspitzen und drückte die Augen ganz fest zu. Sie hatte es gesehen, sie hatte gesehen, wie er auf ihren Busen gestarrt hatte. »Entschuldigung«, murmelte er. Doch sie beachtete ihn gar nicht. Ihr Blick zielte an ihm vorbei zu der Seitentür, durch die Buddy auf den Parkplatz hinaus verschwunden war. Chic schaute über seine Schulter und m Mit Selbststeuerung lässt sich im Leben vieles, ohne sie nichts erreichen. Ihre wahre Bedeutung liegt jedoch nicht in der Ansteuerung hehrer oder spektakulärer Ziele. Ihr tiefer Sinn liegt darin, unser ganz eigenes, wahres Leben zu leben und zu uns selbst, zu unserer jeweils ureigenen Identität zu � nden. Wer -wie es ein Kleinkind tut- nur seinen spontanen Impulsen nachgibt oder unvermittelt und ohne Sinn und Verstand nach allem grei� , sich alles einverleibt oder alles haben muss, was ihm hingehalten wird, hat kein Selbst. Die Weisheit unserer Sprache verrät es: Wir können uns selbst verlieren. Wir können uns nicht nur an unsere Impulse und A� ekte verlieren, sondern auch an Dinge, Waren und an die auf uns einwirkenden Reize. Ein Selbst, auch das kann man am sich entwickelnden Kleinkind beobachten, entsteht erst dann, wenn wir etwas Abstand zu unseren Emotionen, zu den Objekten und den Reizen der uns umgebenden Welt halten können, wenn wir damit beginnen innezuhalten und darüber nachzudenken, was wir eigentlich wirklich wollen. Zum Selbst gehört also, einen Plan zu haben und auf dieser Grundlage etwas besonders Beglückendes zu tun, nämlich für sich eine eigene, ganz individuelle Zukun� zu entwerfen. Ich werde nicht nur zeigen, dass Menschen -entgegen dem, was uns immer wieder weisgemacht werden soll- einen freien Willen haben, mit dem wir uns steuern und unser individuelles Selbst leben können. Ich möchte auch den heilsamen Ein� uss deutlich machen, der von einer intakten Selbststeuerung auf unsere Gesundheit ausgeht. Wo kein Selbst ist, kann es auch keine Selbststeuerung geben. Das Glück, ein Selbst zu fühlen, ist fast jedem Menschen widerfahren, auch wenn sich manche gar nicht mehr erinnern. Wann war es, als wir erstmals im Leben ein großes Gefühl von Selbst-Sein und der damit verbundenen Freiheit verspürten? Die frühesten derartigen Momente, an die wir uns erinnern können, beschreiben meist Situationen von großer Einfachheit und Natürlichkeit, Situationen jedenfalls, in denen Konsumartikel aus dem Warenarsenal unserer Wohlstandsgesellscha� en kaum eine Rolle spielen. Manche erin-nern einen ersten derartigen Moment schon für ihr Kindesalter, etwa beim ersten freien Gehen. Die meisten datieren das Gefühl eines ersten tief erlebten Selbst-Seins aber in die Zeit am Ende der Adoleszenz. O� werden erste Reisen erinnert, die typischerweise mit geringsten � nanziellen Mitteln bestritten werden mussten. Häu� g ist es auch der Auszug von zuhause, das erste bescheidene eigene Zimmer, die erste sexuelle Begegnung oder ein tiefgehendes Naturerlebnis, welches wir mit einer ersten Erfahrung der Selbststeuerung verbinden. Interessanterweise war es für viele Menschen ein bewusstes Handeln gegen die Konvention oder ein absichtsvoll herbeigeführtes Verzichtserlebnis, welches mit einem erstmaligen tiefen Gefühl der Selbstbestimmung verbunden war. Selbst sein heißt auch: Anders sein als die anderen. Doch was ist aus uns geworden, was hat das Leben mit uns gemacht, was haben wir -durch das Leben- mit uns machen lassen? Viel häu� ger als uns bewusst ist folgt unser Verhalten im Alltag nicht dem, für was wir mit unserer Identität tatsächlich stehen, also dem, was wir wirklich gerne tun würden oder für richtig halten. Stattdessen leben wir weitgehend in Routine. Unser Verhalten folgt in großem Umfang dem Druck der Anpassung an das, was andere tun oder den Automatis-men zwischen Reiz und Reaktion. Inwieweit geht unser Leben über den Mini-Horizont wirklich noch hinaus, der vom Signalton aus einem unserer vielen medialen Gadgets zu unserer sofortigen Antwortreaktion reicht, oder vom kostenlos angebotenen Snack zum sofortigen Konsum desselben? Zur Über� utung mit Reizen und Waren hinzu kommt die Hetze. Der Umstand, dass über sieben Milliarden Menschen ihren Anteil an den begrenzten Ressourcen unserer Erde suchen, zwingt uns zur Arbeit, was viele wenig beein� ussbare Abhängigkeiten nach sich zieht. Die Notwendigkeit zu arbeiten beschert uns einen Zustand fortwährender Geschä� ig-keit, den wir Stress nennen. Auch an diesen Zustand haben sich -ähnlich wie an den Zustand des Konformismus und des andauernden Konsums- viele aber schon so gewöhnt, dass sie auch dann, wenn es möglich wäre, nicht aus ihm aussteigen können. Möglichkeiten zur Selbstbestimmung werden uns nicht nur genommen, wir nehmen sie uns auch selbst. Weit mehr als erforderlich, unterwerfen wir uns dem Druck des Konformismus und der Anpassung an die vermuteten Erwartungen anderer. Der Über� uss und die allgegenwärtige Verfügbarkeit von billigen, o� minderwertigen und ungesunden Nahrungs- und Genussmitteln haben viele zu Ab-hängigen, beinahe zu Süchtigen werden lassen. Die an sich phantastischen Möglichkeiten, die uns Computer, Smartphones und soziale Netzwerke bieten, haben begonnen unsere Freiheit und Selbstbestimmung fast sklavenartig einzuengen. Mehr als vier Fün� el sind, Umfragen aus den USA zufolge, zum Abspannen und Nachdenken gar nicht mehr in der Lage. Unverho� e Gelegenheiten zum Innehalten -und erst Recht zur Muße- bringen manche Zeitgenossen paradoxer Weise in große Schwierigkeiten. So versetzten sich zahlreiche Teilnehmer eines wissenscha� lichen Experiments während einer ihnen gewährten 15-minütigen Auszeit lieber freiwillig kurze Stromstöße mit einem zufällig bereitstehenden Gerät anstatt einfach nichts zu tun, nur um keine Langeweile mit sich selbst zu erleben. Wer kein Selbst hat, möchte diese missliche Tatsache lieber gar nicht erst entdecken. Wie � nden wir den Weg aus einer von Selbst-Verlust, verlorener Selbstbestimmung und Stress gekennzeichneten Situation? Angesichts vieler Abhängigkeiten und Zwänge, in die wir uns hineinbe-geben haben, wünschen sich viele Menschen die Möglichkeit zu einem Befreiungsschlag. Doch diese Option würde nichts zum Besseren wenden. Lebensgewohnheiten und Verhaltensmuster sind in Netzwerken unseres Gehirns festgeschrieben und lassen sich nur im Laufe eines längeren Lern- und Übungsprozesses verändern. In welche Richtung sollte dieser Prozess gehen? Das Ziel sollte sein, Freiheitsgrade zu erhöhen, Selbstbestim-mung zu stärken und wieder etwas von dem Glück spürbar zu machen, das aus den erinnerten Episoden sprach, von denen eingangs die Rede war. Dieses Glück war, wie wir sahen, kein durch die Warenwelt einlösbares, konsumatorisches Glück, kein Fast-Food-Glück mit der rein hedonischen Befriedigung unserer vielen, o� suchtartigen Abhängigkeiten. Es ist ein tieferes, eudaimonisches Glück, bei dem es darum geht, sich größere, längerfristige Ziele zu setzen, tiefe und sinnha� e Erfahrungen zu machen, aufzubrechen, einen eigenen Weg zu gehen und persönlich zu wachsen. Wer den Verdacht haben sollte, hier begegne uns Gutmenschen-Gerede, liegt daneben. Menschen, die sich dem eudaimonischen Glück verschrieben haben, zeigen ein ganz besonderes Aktivitätsmuster ihrer Gene, das die Bewahrung der Gesundheit begünstigt. Wer nur das hedonische Glück vor Augen hat, das sich in schnellen, konsumatorischen Befriedigungen erschöp� , aktiviert in seinem Körper demgegenüber ein Genaktivitätsmuster, das Herz-, Krebs- und Demenzerkrankungen begünstigt und die Anfälligkeit für Virusinfekte erhöht. So stoßen wir am Ende dieser ersten Betrachtung auf eine dialektische Beziehung: Die Fähigkeit, sich dem sinnlosen Konsum und ständigen Reizen zu verweigern, sich stattdessen bewusst zu beschränken, auch Verzicht ertragen zu können, kann zu einem Zugewinn von Freiheit und Selbststeuerungsfähigkeit führen, sie kann unsere Handlungsoptionen erweitern und uns größere, lohnenswertere Ziele erreichen lassen. Was ist Selbststeuerung? Vor allem: In welchem Verhältnis steht sie zur Selbstkontrolle und zur Disziplin, die in Deutschland von etwa 1870 bis Ende der 1950er Jahre als oberste Tugenden galten? Wer seine Kinderjahre kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, konnte die letzten Vertreter der damals lebenden Generationen noch als Eltern und Großeltern kennenlernen. Strenge Selbstkontrolle und absolute Disziplin wurden damals, unter reichlicher Anwendung von erzieherischer Gewalt, bereits kleinen Kindern aufgezwungen . Den Abschluss dieser Erziehung bildete bei den Männern das Militär. Freundlichkeit und Zärtlichkeit wurden als Gefühlsduselei gering geschätzt, genussvolle Sexualität radikal unterdrückt. Nur Selbstkontrolle und Disziplin galten als Kennzeichen eines anständigen Lebens. Sie standen im Dienste des Ge-horsams gegenüber der Obrigkeit, erzeugten Konformismus, hatten -wie Sigmund Freud und andere erkannten- massenha� psychische Störungen zur Folge und leisteten einen entscheidenden Beitrag zu zwei Weltkrie-gen. Unter derartigen Vorzeichen herangewachsene Menschen waren seelisch beschädigt, weil ihrer emotionalen Seiten beraubt, nicht selten waren sie traumatisiert. Wie diese Epoche, die von vielen Älteren in der Kindheit noch leidvoll selbst erlebt wurde, überdeutlich gezeigt hat, kann man die Selbstkontrolle ad absurdum führen. Es war vor allem die unmenschlich gewordene Vorstellung von Disziplin und Selbstkontrolle, die in den 1960er und 1970er Jahren bei den seinerzeit Jüngeren zum Ausgangspunkt für eine -zunächst durchaus heilsame- Gegenbewegung wurde. Zu den vielen und durchaus heterogenen Zielen, die sich die sogenann-te 1968er-Generation auf die Fahnen geschrieben hatte, gehörte vor allem die Befreiung der Gefühle, die Legitimierung von Zärtlichkeit, Liebe und Sexualität. Der Verklärung des Krieges wurde der Pazi� smus, dem Konformismus der Alten eine bewusst gelebte Disziplinlosigkeit entgegengesetzt, aus der alsbald allerdings neue Formen von Konformismus hervorgingen. Die seinerzeit he� ige Welle dieser Bewegung ist nur scheinbar abgeebbt. Ihr Wasser wurde auf die Mühlen einer gewaltigen Konsum- und Medienindustrie umgeleitet, welche die einst von den 1968ern propagierten Slogans kurzerhand zu Werbeslogans ihrer Produkte machte. Just do it. Alles ist möglich. Die Herrscha� der A� ekte und das Diktat spontaner Impulse � nden ihren Ausdruck nun nicht mehr im kulturellen Milieu studentischer Wohngemeinscha� en, sondern in der durch die neuen Medien hervorgebrachten Schwemme von Signalen, Angeboten und impulsgesteuerter Absonderungen wie sie sich vor allem im Internet und in den Programmen privater Fernsehsender � nden. Wer unter dem Vorzei-chen weitgehend ungebremster Impulsivität und ungehemmten A� ektausdrucks heranwächst, wird einen Mangel der Fähigkeit zur Selbstkontrolle erleiden und als Folge davon vorzugsweise Suchttendenzen oder nar-zisstische Störungen entwickeln. Diese Entwicklung hat auf breiter Front bereits begonnen. Selbststeuerung bedeutet nicht genussfeindliche Selbstkontrolle, nicht menschenverachtend überdrehte Disziplin, ebenso wenig aber hat sie eine ungebremste Herrscha� von A� ekten oder Impulsen im Sinn. A� ekte und Impulse sind ein Teil des menschlichen Wesens, sie sind nichts Schlechtes. Doch ebenso gehört zum Menschsein auch die Fä-higkeit zur Selbstkontrolle. Selbststeuerung ist ganzheitliche Selbstfürsorge und besteht in der Kunst, beide Komponenten -a� ektive Impulse und ihre Kontrolle- miteinander zu verbinden. Beide Komponenten lassen sich auch neurobiologisch beschreiben. Hirnforscher und Psychologen unterscheiden im menschlichen Gehirn zwei Fundamentalsysteme, ein triebha� es, sozusagen von unten her -Bottom-up- agierendes Trieb- oder Basissystem und ein darauf au� auendes, zweites System. Dieses Au� ausystem hat seinen Sitz im Stirnhirn, dem sogenannten Präfrontalen Cortex. Es wirkt umgekehrt nach unten -top-down- zurück und kann, wenn es hinreichend gut entwickelt ist, das Basissystem kontrollieren. Das übergeordnete System ermöglicht, was Hirnforscher und Psychologen als Selbstkontrolle -im Englischen Self Control- bezeichnen. Wie schon erwähnt, schließt Selbststeuerung -im Gegensatz zur Selbstkontrolle- die Fürsorge für beide Fundamentalsysteme, also auch für das Trieb- oder Basissystem, mit ein. Der Mensch sollte mit allen seinen inneren Anteilen in Frieden leben. Askese um ihrer selbst willen ist kein sinnsti� endes Projekt. Mit Selbststeuerung lässt sich, wie eingangs erwähnt, im Leben vieles erreichen. Sie ö� net die Türen zu guten Beziehungen mit anderen Menschen, zu beru� ichem Erfolg und zur Erhaltung -oder Wiedergewinnung- der eigenen Gesundheit. Wer den Geheimnissen der Selbststeuerung auf die Spur gekommen ist, wird daraus nicht nur für sich selbst, sondern auch im Umgang mit anderen Menschen Vorteile ziehen können. Besonders hilfreich kann das Wissen um ihre Geheimnisse bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen sein, deren Selbststeuerung meistens noch zu wün-schen übrig lässt. Diesen Mangel können wir den Jungen allerdings nicht verübeln, denn eine funktionierende Selbststeuerung ist keine angeborene Eigenscha� . Angeboren ist lediglich die Fähigkeit sie zu erwerben. Bei diesem Erwerb spielen wir Erwachsenen eine entscheidende Rolle, der wir allerdings seit einiger Zeit nicht mehr hinreichend nachkommen. Allen, die sich danach sehnen, die eigene Selbststeuerung oder die ihrer

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