bürger unter bürgern sollst du sein, mit gleichen rechten...
TRANSCRIPT
2. Traum von der Ferne
Bürger unter Bürgern sollst du sein,mit gleichen Rechten, wie die anderen,die hier geboren sind.
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Besetzung
Oedipus
Christian Schulz
Antigone
Monika Wiedemer
Ismene
Ute Baggeröhr
Kreon
Klaus Cofalka-Adami
Theseus
Björn Bonn
Oedipus auf KolonosSophokles / Walter Jens
* 20.01.07
Heidelberger Fassung
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Ein Bürger von Kolonos /
Chorführer / Ein Bote
Alexander Peutz
Chor der Bürgerinnen und Bürger
Kerrin Ossa Beth, Sabrina Czink,
Michaela Knapp, Christiane Kuck,
Inga Kunz, Sina Poussett,
Fransiska Wittmann;
Bernhard Gutfl eisch, Jürgen Graf,
Bernd Hillgärtner, Christopher Kuck,
Rainer Kühnlein, Lukas Lück,
Arno Rüble, Michael Schlosser
Besetzung Videofi lm
Kreon
Klaus Cofalka-Adami
König Oedipus
Christian Schulz
Jokaste
Annette Wunsch
Antigone
Noemi von der Linde
Ismene
Daria Schlotmann
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Inszenierungsteam
Regie
Corinna Bethge
Bühne & Kostüme
Vinzenz Gertler
Dramaturgie
Axel Preuß
Video
Rachel Seitz
Regieassistenz
Catja Baumann
Ausstattungsassistenz
Anja Koch
Dramaturgieassistenz
Alexandra Krell
Regiehospitanz
Franziska Bonn & Michael Deeg
Inspizienz
Silvia Edvesi
Souffl age
Miguel Wegerich
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Technik und Werkstätten
Technische Leitung
Ivica Fulir
Technische Einrichtung
Tobias Helferich
Leiter der Abteilung Beleuchtung
Steff Flächsenhaar
Lichtgestaltung
Steff Flächsenhaar
Ton
Magali Deschamps,
Andreas Legnar, Wolfgang Freymüller
Leiterin Kostümabteilung
Viola Schütze, Maria Schneider (Stv.)
Gewandmeisterinnen
Dagmar Gröver, Alexandra Partzsch
Leiterin Maske
Kerstin Geiger, Anja Dehn (Stv.)
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Leiterin Requisite
Esther Hilkert
Leiter Malsaal
Dietmar Lechner
Dekorationswerkstatt
Markus Rothmund
Leiter Schlosserei
Karl-Heinz Weis
Leiter Schreinerei
Klaus Volpp
Dank
Unser herzlicher Dank gilt
Luitgard Mayer und Hermann Weiß
vom Badischen Blinden- und Seh-
behindertenverein, für die Möglichkeit,
dass Christian Schulz erfahren konnte,
wie blinde Menschen sich im Alltag
bewegen!
Ein großes Dankeschön auch an
Rahel Seitz für den Videodreh sowie
die freundliche Produktionsbegleitung.
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Oedipus auf Kolonos wurde im Jahre 401 v. Chr. uraufgeführt. Sophokles
lässt das Stück an seinem Geburtsort spielen. Der Dichter erlebte die Urauf-
führung jedoch nicht mehr. Er war schon 406 v. Chr. gestorben. Die Griechen
müssen das Stück als politisches Vermächtnis eines großen, vielbewunderten
und hochverehrten Zeitgenossen wahrgenommen haben, der noch die gol-
denen Zeiten des politischen, militärischen und wirtschaftlichen Einfl usses
Athens kennen gelernt und geprägt hatte.
Die Tragödie erzählt die Geschichte, die mit König Oedipus begann, zu Ende.
Oedipus, einst strahlender Machthaber über Theben, streift seit zehn Jahren
Oedipus auf Kolonos
Zum Stück
G
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mittellos durch die Lande. Aus Theben wurde er verstoßen nachdem bekannt
wurde, dass er seinen eigenen Vater getötet und seine Mutter geehelicht
hatte. Obwohl Oedipus diese schrecklichen Taten unwissentlich verübt hatte,
blendete er sich zur Strafe selbst und überließ sich dem neuen Machthaber
Thebens, seinem Schwager Kreon. Dieser verstieß ihn schließlich. Seither
durchwandert der blinde Oedipus Griechenland als Vogelfreier, lediglich
beschützt und geleitet von seiner Tochter Antigone. Einem Orakelspruch
der Götter folgend, suchen die beiden einen heiligen Hain, in dem Oedipus
seinen Frieden, seine letzte Ruhe und auch Vergebung bei den Göttern fi nden
könne. Das Stück beginnt damit, dass Oedipus und Antigone tatsächlich einen
heiligen Hain fi nden. Sehr schnell fi nden sie heraus, dass der Hain bei Kolo-
nos liegt, einem Vorort Athens. Doch mit dem Auftreten des ersten Bürgers
wird deutlich, dass die Bewohner von Kolonos nicht ohne weiteres gewillt
sind, einen Fremden zu sich zu nehmen. Die Angst vor dem Anderen, hier
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dem göttlich Verfl uchten, grassiert. Nachdem zunächst Theseus, der prag-
matische Herrscher Athens, Oedipus mit einem Bleiberecht ausgestattet hat,
tritt jedoch Kreon auf, Oedipus‚ Schwager. Mit allen Mitteln und sogar unter
Androhung eines Angriffskrieges gegen Kolonos / Athen versucht er Oedipus
zur Rückkehr nach Theben zu bewegen. Denn dort hat ein tödlicher Macht-
kampf zwischen Oedipus‚ Söhnen Eteokles und Polyneikes begonnen. Beide
begehren die Krone, beide rüsten dafür zum Bruderkrieg. Oedipus‚ Leben
und zukünftiger Leichnam ist zum Politikum geworden. Denn ein neuerliches
Orakel besagt nun, dass derjenige siegreich bleiben werde, der Oedipus – tot
oder lebendig – in seiner Obhut habe. Mithilfe von Theseus, seinen Bürgern,
und seinen Soldaten gelingt es Oedipus schließlich, in Kolonos zu bleiben.
Von den Göttern durch mächtige Donnerschlägen gerufen, betritt Oedipus
den heiligen Hain der Schicksalsgöttinnen (Eumeniden), um dort zu in Frie-
den und mit den Göttern versöhnt zu sterben.
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Sophokles wird 497/96 v. Chr. in Kolonos als Sohn einer vornehmen Familie
geboren (in Kolonos, d.i.: Colonos Hippius bei Athen, spielt auch unser Stück!).
Sein Vater Sophillos bezieht sein Einkommen unter anderem aus der Produk-
tion von Waffen. Das 5. Jahrhundert gilt als politische und kulturelle Blütezeit
Athens. Der Stadtstaat gewinnt in dieser Zeit eine machtpolitische Vormacht-
stellung in der Region und behält sie bis 404 v. Chr. Das europäische Theater,
wie wir es heute kennen, hat in diesem so genannten Goldenen Zeitalter seinen
Ursprung. Sophokles, dessen Lebensspanne nahezu in identisch mit diesem
Jahrhundert ist, gehört neben Aischylos (525/24 - 456/55) und Euripides (485/84
Sophokles
Zu den Autoren
R
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- 406) zu den großen Dramatikern dieser Zeit. 123 Dramen werden dem Tragö-
diendichter zugeschrieben, der neben seiner Tätigkeit als Dramatiker noch di-
verse gesellschaftliche und politische Ämter ausübte. Bereits mit 16 Jahren soll
ihm die Ehre zuteil geworden sein, den Chor bei den Festlichkeiten anlässlich
des attischen Sieges über die Perser in der Schlacht bei Salamis (480 v. Chr.)
anzuführen. „In den Jahren 443/42 war Sophokles Schatzmeister des delisch-
attischen Seebundes, im Jahre 441/440 war er Stratege im Samischen Krieg.1
Dieses Amt hatte er noch einmal 428 inne, in der ersten Phase des Peloponne-
sischen Krieges. Sophokles gehörte zeitweilig (413/12) dem obersten Rat der
zehn Probulen an, einer dem Rat (Bulé) vorgeschalteten Kommission, die nach
der Niederlage der Athener auf Sizilien, als man die demokratischen Instituti-
onen in ihrer Befugnis beschränkte, die politischen Geschicke Athens maßgeb-
lich bestimmte.“2 Darüber hinaus war Sophokles als Priester sowie als Berater
des Strategen Perikles (um 495 - 429 v. Chr.) tätig, unter dessen
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Staatsführung sich die attische Demokratie weiter entwickelte. Perikles starb
429 im Zuge des Peloponnesischen Krieges an den Folgen der Pest. Zwischen
429 und 425 soll Sophokles‚ König Oedipus entstanden und uraufgeführt wor-
den sein. Ob Perikles‚ Pesttod (und die damit verbundene Krise) unmittelbaren
Eingang in den König Oedipus gefunden hat, ist nicht belegbar. Tatsache ist,
dass die Tragödie damit beginnt, dass eine Stadt von der Pest heimgesucht und
dadurch vernichtet zu werden droht. Die Fortsetzung Oedipus auf Kolonos
entstand vor dem historischen Hintergrund, dass Athens Stern untergegangen
und der Stadtstaat durch die Spartaner besetzt worden war. Athens Demokratie
war zerstört, seine militärische Stärke zerschlagen. Mit Oedipus auf Kolonos
hinterließ Sophokles den Athenern wohl sein politisches Vermächtnis.
Sophokles selbst starb, von der Bevölkerung geachtet und verehrt, im Jahre
406 v. Chr. Von seinen 123 Stücken sind lediglich sieben Tragödien vollständig
der Nachwelt überliefert3:
Aias F UA vor 450
Die Trachinnerinnen F UA um 448 oder 442/441
Antigone F UA 442
König Oedipus F UA zwischen 429 und 425
Elektra F UA um 413
Philoktet F UA 409
Oedipus auf Kolonos F UA 401
1 Die 10 Phylen Athens stellten jeweils ein Kontingent für das Fußvolk des Heeres. An der Spitze
dieser Phylentruppen stand der Stratege.
2 Bernd Matzkowski, Sophokles, König Oedipus, Hollfeld 2002, S. 12.
3 Ort der genannten Uraufführungen (UA) war jeweils das attische Dionysos-Theater, Anlass
grundsätzlich der Dramatikerwettstreit (griech.: Agon) im Rahmen der Großen Dionysien; jeder
Dramatiker brachte an nur einem Tag drei Tragödien und ein Satyrspiel auf die Bühne.
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Walter Jens
b
„Walter Jens, geboren am 8. März 1923 in Hamburg als Sohn eines Bankdirek-
tors (unteren Ranges) und einer Volksschullehrerin, tut - dies als erstes - gut
daran zu bedenken, dass seine Altersgenossen in Russland »Angehörige
eines 2%-Jahrgangs« genannt werden: 98% sind umgekommen, während des
Krieges: »gefallen« (also: elendig krepiert) im Kampf gegen die Invasoren aus
Deutschland“, schreibt Jens eingangs seiner autobiographischen Skizze Ver-
gangenheit gegenwärtig1. In diesem Anfang steckt der Keim eines kritischen
Intellekts, dessen Lebensweg als Schriftsteller, Wissenschaftler, Kritiker und
Protestant von unermüdlicher Arbeit gekennzeichnet ist: Schulzeit in Ham-
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burg, Studium der Germanistik und Klassischen Philologie in Hamburg und
Freiburg i. Br. (unter anderem bei Bruno Snell und Martin Heidegger) sowie
Promotion mit einer Arbeit über die Stichomythie in Sophokles‚ Tragödien,
ab 1945 wissenschaftlicher Assistent in Hamburg und Tübingen, 1950 Habi-
litation in Tübingen mit Tacitus und die Freiheit. Im selben Jahr Eintritt in
die Gruppe 47, dem Zusammenschluss so bedeutender Literaten wie Heinrich
Böll und Günter Grass, sowie Erscheinen seines Romans Nein. Die Welt der
Angeklagten. Ein Jahr später Heirat mit Inge Puttfarcken. 1956 Antritt der
außerordentlichen Professur für Klassische Philologie an der Universität
Tübingen, 1962 ebendort Professor für Klassische Philologie und Allgemeine
Rhetorik. Von 1947 bis 1955 erscheinen zahlreiche Werke mit antifaschi-
stischen Themen, mit denen sich Walter Jens gegen die restaurative Politik
der Bundesrepublik wendet. In der bewegten Zeit Ende der sechziger Jahre
äußert sich Jens mit radikaldemokratischem Engagement zur Entwicklung
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Deutschlands. Von 1963 bis 1985 schreibt er unter dem Pseudonym Momos
Fernsehkritiken für die Wochenzeitung Die Zeit. Neben seiner wissenschaft-
lichen Arbeit publiziert Jens Erzählungen (Der Blinde, 1951), Romane (Der
Mann, der nicht alt werden wollte, 1955), Hörspiele (Der Besuch des Frem-
den, 1952), Essays (Statt einer Literaturgeschichte, 1957) sowie Übertra-
gungen antiker Tragödien (Antigone, 1958). Von 1976 bis 1982 und - nach
dem Tode Martin Gregor Dellins - von 1988 bis 1989 ist Jens Präsident des
PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Nach seiner Emeritierung
wirkt Jens zwischen 1989 und 1997 als Präsident der Akademie der Künste in
Berlin, wobei sich unter seiner Leitung die Vereinigung der Akademien Ost
und West vollzieht.
Sophokles‚ Tragödie Oedipus auf Kolonos übertrug Jens Anfang der 60er
Jahre und wird in einer neuen Bearbeitung erstmals am Theater und Philhar-
monischen Orchester der Stadt Heidelberg gezeigt.
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Antigone F 1958 Staatstheater Karlsruhe
Die Orestie F 1960 Landestheater Hannover
König Oedipus F 1963 Schloßtheater Celle
Alkestis F 1963 Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Ajas F 1966 Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Die Verschwörung F UA 1973 Theater Baden-Baden
Der Untergang (nach den Troerinnen des Euripides) F 1983 Hamburger Kammerspiele
Die Friedensfrau (nach der Lysistrate des Aristophanes) F 1985 Hamburger Kammerspiele
Roccos Erzählung F UA 1988 Staatstheater Mainz
Der Fall Judas F UA 1990 Volkstheater Rostock
Ein Jud aus Hechingen F UA 1992 Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen
Der Fall Oedipus F 1993 Städtische Bühnen Münster
1 Inge Jens/Walter Jens: Vergangenheit gegenwärtig. Biographische Skizzen, Stuttgart 1994, S. 53.
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Zur Inszenierung
K
Die Fassung von Walter Jens ist eine freie Bearbeitung. Sie folgt der my-
thischen Geschichte des Sophokles, lässt jedoch den Auftritt des Sohnes Po-
lyneikes fort und konzentriert den Handlungsverlauf auf die Begegnung der
drei Herrschergestalten Oedipus, Kreon und Theseus. Durch diese Konzen-
tration werden die Herrschergestalten klar gegeneinander gestellt und stark
konturiert. Während Oedipus für den vom Schicksal geschlagenen Herrscher
steht, den die eigene Hybris zu Fall brachte, repräsentiert Kreon den Typus
des amoralischen Politikers, der seine Machtgelüste auf jede erdenkliche
Weise durchzusetzen versucht. Diesem Typus erteilen Sophokles und Jens
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eine klare Absage. Beide heben deutlich hervor, dass zu einem gelingenden
Staats- und Gesellschaftswesen ein Machthaber vom Schlage eines Theseus
gehört. Dieser ist intelligent und pragmatisch genug, das Rechte zu tun, weil
es ihm perspektivisch das Überleben des Staates und der Gesellschaft sichert.
Beide Autoren ziehen eine interessante Bilanz. Während sie im König Oedi-
pus darauf hinwiesen, dass es den politischen und persönlichen Anstand des
Machthabers braucht, um von der Bevölkerung anerkannt und somit legiti-
miert zu werden, bestehen sie nun im Oedipus auf Kolonos darauf, dass es
den guten Herrscher braucht, um ein zweifelndes und – wie in diesem Falle
– fremdenfeindliches Volk zur Vernunft zu bringen!
Assoziative Gedanken an die Politik- und Demokratieverdrossenheit weiter
Bevölkerungskreise drängen sich hier auf. Offenkundig bedarf es irgendwann
einer ideellen Revolution von oben, d. h. einer vernünftigen und tatkräftigen
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Regierung, die den Bürgern ein neues Vertrauen in die Demokratie schenkt
und damit zurück an die Wahlurnen führt. Und nur so, mit einem Bewusst-
seinsmarsch zurück in die Welt der verfassungsmäßigen Demokratie, wäre
deren Fortbestand dauerhaft zu gewährleisten.
Das Bühnenbild von Vinzenz Gertler beschreibt in abstrahierender Weise
im Hintergrund den heiligen Hain sowie den Platz davor, der für die Bürger
von Kolonos zum Ort der öffentlichen Diskussion wird. Demokratische und
moralische Fragen werden live verhandelt. Dieser Ort öffnet und verlängert
sich vermittels einer Treppe in den Zuschauerraum, so dass dieser selbst zum
Teil der vorgeführten öffentlichen Diskussionen wird. In diesem Sinne einer
öffentlich geführten Diskussion wird der zehnköpfi ge Chor des Stückes von
Heidelberger Bürgerinnen und Bürgern gespielt, allesamt Laien, die für diese
Inszenierung viel Zeit und Herzblut investiert haben.
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Den aktuellen Gehalten und Assoziationsräumen des Stückes gemäss, sind die
Kostüme von Vinzenz Gertler zeitgenössisch gehalten. Kaum ein historischer
Abstand trennt uns von den politischen und moralischen Fragen, die Sopho-
kles vor rund 2500 Jahren aufwarf.
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Regie
Corinna Bethge
Die gebürtige Düsseldorferin assistierte nach einem Studium der Germanistik, Philoso-
phie und Soziologie am Staatstheater Mainz und am Hamburger Schauspielhaus. Seit
1996 arbeitet sie als freie Regisseurin mit Inszenierungen u. a. am Schauspielhaus Ham-
burg, am Nationaltheater Mannheim, am Volkstheater Rostock, am Theater Gießen, am
Theater Lübeck und am Landestheater Württemberg-Hohenzollern (Leben des Galilei,
Nomaden, Dantons Tod). Nach der erfolgreichen Inszenierung von König Oedipus und
auf ausdrücklichen Wunsch von Walter Jens ist Oedipus auf Kolonos ihre zweite Arbeit
am Theater und Philharmonischen Orchester der Stadt Heidelberg.
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Bühne & Kostüme
Vinzenz Gertler
Vinzenz Gertler ist seit 1992 als Bühnenbildner an deutschen und internationalen
Häusern tätig. Am Berliner Ensemble begann er seine Laufbahn als Bühnenbildner. Er
arbeitet regelmäßig mit Elisabeth Gabriel, Sabine Löw und Carlos Manuel. Bühnen- und
Kostümbilder entwirft er für das Landestheater Linz, das Stadttheater Konstanz, das
Deutsche Nationaltheater Weimar, das Schauspielhaus Graz und das Hans-Otto-Thea-
ter Potsdam. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn mit der polnischen Regisseurin
Grazyna Kania. In dieser Spielzeit arbeitete Vinzenz Gertler bereits bei der Produktion
Alte Freunde mit Corinna Bethge. Oedipus auf Kolonos ist seine erste Arbeit für das
Theater und Philharmonische Orchester der Stadt Heidelberg.
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Antigone
Christian Schulz (*1963) 1985-1989 Schauspielausbildung an der
Otto-Falckenberg-Schule, München; 89-93 Engagement an den Vereinigten
Städtischen Bühnen Krefeld/Mönchengladbach; 93-00 Theater Lübeck;
00-05 Theater Aachen. In Der Sturm und Effi Briest als Gast, seit 2006 fest
am Theater und Philharmonischen Orchester der Stadt Heidelberg.
Monika Wiedemer (*1980) in Offenburg geboren; von 2002 bis 2006
Schauspielstudium am Max-Reinhardt-Seminar in Wien; seit der Spielzeit
06_07 im Festengagement am Theater und Philharmonischen Orchesters
der Stadt Heidelberg.
Oedipus
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Kreon
Ute Baggeröhr, Studium an der Hochschule für Musik und Theater Fe-
lix Mendelssohn-Bartholdy, Studio Chemnitz; Engagements u. a. am Thalia
Theater Hamburg, Theater Freiburg, Theaterhaus Jena, schauspielfrank-
furt, bat-Studiotheater, den Spohiensaelen in Berlin, am TIF Dresden und
am Landestheater Württemberg-Hohenzollern. Seit der Spielzeit 05_06 fest
in Heidelberg. Nominierung zur Nachwuchsschauspielerin 2006.
Klaus Cofalka-Adami (*1953) Ausbildung zum Bankkaufmann. 80-84
Städtische Bühnen Dortmund; 84-89 Kinder- und Jugendtheater des Lan-
destheaters Württemberg-Hohenzollern; 90-92 Kinder- und Jugendtheater
am Nationaltheater Mannheim; 92-05 Landestheater Württemberg-Hohen-
zollern. Seit 05_06 Ensemblemitglied in Heidelberg.
Ismene
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Ein Bürger von Kolonos / Chorführer / Ein Bote
Björn Bonn (*1978) 00-04 Schauspielstudium an der Folkwang
Hochschule Essen, Studiengang Schauspiel Bochum. Gast an den Wup-
pertaler Bühnen und am Schauspielhaus Bochum. 04/05 Engagement am
Landestheater Württemberg-Hohenzollern. Seit 05_06 Ensemblemitglied
in Heidelberg.
Alexander Peutz (*1971) 91-94 Studium an der Akademie für So-
zialarbeit, Wien, von 1995 bis 1999 an der Hochschule für Theater, Bern.
1999 bis 2001 war er in Peter Steins „Faust-Inszenierung“ zu sehen. 02-04
Ensemblemitglied am luzernertheater, 04/05 am Landestheater Württem-
berg-Hohenzollern. Seit 05_06 Ensemblemitglied in Heidelberg.
Theseus
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Das ist revolutionär!
Soll ich denn ein Schlechtmensch werden?
I
A. Reimann im Interview mit Walter Jens (2003)
Warum führen Menschen Krieg, Herr
Jens?
„Der Grund kann nur irrational sein. Und
zwar um des eigenen Vorteils und des
Nachteils von anderen willen.“
Muss ein Christ Pazifi st sein?
„Für mich muss ein Christ Pazifi st sein.
Ein Christ kann nicht hinnehmen, dass
Unschuldige ermordet werden. Dass
Frauen, Kinder, Greise, Zivilisten als
Kollateralschäden eingestuft werden. Ich
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glaube, dass die Worte des Neuen Testa-
ments da sehr eindeutig sind.“
Gibt es nicht auch einen dummen Pa-
zifi smus, einen, der größeres Unheil
verursacht, weil er die Konfrontation
scheut?
„Pazifi st ist ja heute ein Schimpfwort. Der
Pazifi st gehört ja zu den so genannten
Gutmenschen. Ich frage mich immer: Soll
ich Schlechtmensch werden? Was erwar-
tet man von mir? Der wahre Pazifi smus
im Sinne der Bergpredigt kann nicht tö-
richt sein. Es gibt Wegläufer, Menschen,
die dem Schrecken nicht ins Auge sehen
wollen. Aber ich denke, der aufrechte
Pazifi st kann nicht töricht sein.“
Und was ist mit Auschwitz?
„Auschwitz hätte es nicht ohne den Krieg
gegeben. Der Krieg war der Auslöser, der
Krieg ermöglichte alles. Der Ansatzpunkt
für ein Bedenken von Auschwitz ist
Hitlers Angriffskrieg. Von da an konnten
die Deutschen tun, was sie wollten. Und
daran muss man zuerst denken.“
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Wie soll man einem Diktator Wider-
stand leisten?
„Ich bin zwar ein konsequenter, aber kein
absoluter Pazifi st. Deshalb denke ich zum
Beispiel, dass, als Hitler das Rheinland be-
setzte, eine harte Reaktion durch Frank-
reich hätte erfolgen sollen. Aber selbst
da hätte eine entschiedene Androhung
polizeilicher Maßnahmen wahrscheinlich
genügt, um den Diktator und Massenmör-
der in Deutschland zur Ordnung zu rufen.
So hätten ohne große Verluste Millionen
von Menschen gerettet werden können.“
Aber das wäre doch genau so eine Art
Drohung mit einem Präventivschlag
gewesen, wie sie (...) von der ame-
rikanischen Regierung im Fall Irak
vertreten wird.
„Davon kann im Irak überhaupt keine
Rede sein. Die Situation ist eine ganz
andere.“
Wie also droht man einem Diktator
richtig?
„Nun, man muss glaubwürdig drohen,
aber dies braucht nicht verbunden zu
sein mit einem Aufmarsch von gewaltigen
39
Militärkräften, der nur zeigt: Ihr könnt
machen, was ihr wollt – wir schlagen auf
jeden Fall zu. Heute hat man im Irak ja
nicht die geringste Chance: Man kann Zu-
geständnisse um Zugeständnisse machen
– ,the game is over‘, hat er gesagt, der
US-Präsident. Was sollten die Iraker da
noch tun?“
Warum ist Walter Jens ein so vehe-
menter Friedensmensch? Rührt Ihre
Haltung aus den eigenen Kriegserleb-
nissen?
„Ja. Bei mir war das der Angriff auf Frei-
burg, den ich in der dortigen Universitäts-
klinik erlebte. Das war eine Stunde, in
der ich leibhaftig verstand, was Krieg ist.
Damals ging die Schwester Oberin durch
die Gänge und betete: ,Steh uns bei, Herr,
jetzt und in der Stunde unseres Todes.‘
Sie legte den wimmernden Schwestern,
den weinenden Patienten die Hand auf
die Stirn: ,Seien Sie gefasst, Bruder,
ich bete für Sie.‘ Aufrecht, inmitten des
Infernos. Später las ich dann einmal die
Neue Züricher Zeitung vom gleichen
Tag über einen Ball der Studierenden im
Tessin, ein großes Ereignis, und dass der
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Wochenmarkt da und da ist. Was für ein
Gegensatz!“
... zwischen Krieg und Frieden?
„Das war wie bei Grimmelshausen: Da
ist das Kriegsland und da ist das freund-
liche, friedliche, das andere Land. Nur
ein paar Kilometer weiter. Und es tritt
eine humane Region ins Blickfeld, wie
sie vielleicht am schönsten im 21. Kapitel
der Apokalypse beschrieben worden ist.
Das selige Jerusalem, leuchtend im Glanz
Gottes. So wie damals in Freiburg ist
Krieg und so wie im Tessin kann Frieden
sein, Frieden als Inbegriff der Seligprei-
sung. Das ist mir damals klar geworden,
und da hab ich mich mit dem Frieden
immer intensiver beschäftigt.“
Wie würden Sie Menschen trösten,
die heute Angst vor einem Krieg
haben?
„Ich glaube, man muss so sprechen wie
Geistliche vor Jahrhunderten einmal am
Grabe der Menschen gesprochen haben.
Nicht: Sei nicht verzagt! Sondern: Ich
habe auch Angst. Ich habe die Angst mit
dir zusammen. Und in diesem Augenblick
41
kann ich nichts anderes tun, als mit dir
diese Angst auszuhalten, hoffend, dass
wir sie in nicht allzu ferner Zeit überwin-
den. Weiter käme ich nicht.“
Fürchten wir uns hier in Deutschland
nicht zu sehr?
„Angst ist auch ein Erkenntnismittel.
Solange Ödipus Angst hat, ist er gefeit.
Erst wenn er der Hybris verfällt, ist er
dem göttlichen Verderben ausgesetzt.
Ich wünschte, viele Mächtige dieser Welt
stellten mehr Fragen und hätten weniger
rasche Antworten parat und hätten mehr
Angst als inhumane Selbstgewissheit.“
Wie sieht das bei Bundeskanzler
Schröder aus?
„Schröder hat zumindest bei der Fra-
ge von Krieg oder Frieden das einzig
Vernünftige getan und wird dafür von
Millionen von Menschen in aller Welt
hoch geachtet.“
Saddam Hussein?
„Über Saddam Hussein brauchen wir we-
nig zu sagen. Wir wissen, wie er gemordet
hat. Ein großes, diplomatisches, gemein-
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sames Vorgehen ist das einzig Vernünf-
tige, um mit ihm fertig zu werden.“
Präsident Bush?
„Bush – das ist der Ayatollah. Ein Mann,
der auf ,christlicher‘ Basis einen heiligen
Krieg zu führen sucht. Der die Realität
hier auf Erden vollkommen mit einer
von Gott gegebenen Mission identifi ziert.
Bush ist eigentlich für mich die provo-
zierendste Gestalt, einer, der das Jesua-
nische und das dem Entgegenstehende,
das Rüd-Militaristische, miteinander
gleichsetzt. Angeblich betet er ja jeden
Morgen und fragt: Was tut Jesus? Da
sollte man vielleicht mal sagen: Jesus
tötet keine Kinder.“
Gibt es so etwas wie einen latenten
Antiamerikanismus in der deutschen
Friedensbewegung?
„Es ist ärgerlich, dass ich mich, wenn ich
scharf gegen die inhumanen Praktiken
der texanischen Oilconnection prote-
stiere, des Vorwurfs erwehren muss,
ich sei Antiamerikaner. Das ist eine
der kuriosesten Behauptungen. Diese
Behauptung wehre ich am liebsten mit
einigen Sätzen des berühmten einstigen
US-Senators William Fulbright ab. Es gibt
nämlich zwei Amerikas. Ich zitiere: ,Das
Amerika Lincolns und Adlai Stevensons
ist das eine, und das andere Amerika
Teddy Roosevelts und der modernen
Superpatrioten. Das eine ist großzügig
und human, das andere engherzig und
egoistisch. Das eine ist selbstkritisch,
das andere selbstgerecht. Das eine ist
vernünftig, das andere romantisch. Das
eine hat Humor, das andere ist feierlich.
Das eine ist suchend, das andere autorita-
tiv. Das eine ist gemäßigt, das andere von
leidenschaftlicher Heftigkeit. Das eine
ist einsichtig, das andere im Gebrauch
großer Macht arrogant.‘“
Also würden Sie sich nur als partiell
antiamerikanisch sehen?
„Wie gesagt: Es gibt zwei Amerikas. Und
wir stehen auf der Seite des einen. Wir
haben Friedensfreunde auch in Amerika.
Die arrogante Macht, die nichts anderes
als die These verbreiten kann: Wer nicht
für uns ist, ist unser Feind, diesem Ame-
rika stehen wir – um es ganz behutsam
zu sagen –, dem stehen wir skeptisch
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gegenüber. Da drücke ich mich nicht auf
Rumsfeld-Niveau aus.“
Apropos Mister Rumsfeld: Was halten
Sie denn als Rhetoriker von den
Äußerungen des US-Verteidigungsmi-
nisters?
„Rhetorisch sind das Provokationen, die
sich in der Zone des Irreseins bewegen.
Anders kann man das nicht ausdrücken.
Das ist Provokation um der Provokation
willen.“
Wie funktioniert eigentlich Kriegsr-
hetorik?
„Zunächst einmal ist die Kriegsrhetorik
gekennzeichnet durch das Ausschlie-
ßen aller Fragen, aller Bedenken, aller
möglichen Gegenargumente. Auffällig
ist zudem der Verzicht darauf, die Welt
von unten nach oben zu betrachten, so
wie Jesus Christus es getan hat. Alles zu
betrachten aus der Perspektive der Opfer,
derer, die die Zeche zu zahlen haben.
,Was wird denn aus den Kindern?‘ ,Und
stell dir vor, es wäre dein Kind, das jetzt
stürbe!‘ Das Ausfallen der Dimension des
45
Opfers – das ist charakteristisch für diese
moderne Kriegsrhetorik.“
Außenpolitisch ist Deutschland durch
seinen kompromisslosen Antikriegs-
kurs isoliert.
„Man kann sich auf zweierlei Weise iso-
lieren: Indem man das Unrechte oder das
Rechte tut. Wir tun das einzig Rechte, das
einzig Vernünftige. Denn wir wissen, was
Krieg ist. Gerade zurzeit werden im Fern-
sehen sehr viele Bilder aus dem Zweiten
Weltkrieg gezeigt. Brennende deutsche
Städte. Dann erschrecken wir. Ich halte
es für pervers, diese Bilder zu sehen, und
dann geht man ruhig zur Tagesordnung
über und es wird über Zigtausende von
Menschen befunden, denen es wie bald
genauso gehen wird wie denen damals in
Hamburg oder Dresden.“
Wie unterscheidet sich die heutige
Friedensbewegung von der früherer
Jahre?
„Sie ist sehr viel bescheidener. Die Men-
schen sind vereinzelt. Damals gab es stär-
kere Gruppen zur Zeit von Mutlangen, als
Heinrich Böll und ich noch Texte vorlasen.“
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Wie würden Sie Minister Rumsfeld
und Präsident Bush vermitteln, wofür
Sie – als Vertreter des so genannten
Alten Europas – stehen?
„Ich würde den Herren, wohl wissend,
dass sie es kaum verstehen werden, ein
Stück aus der Antigone zitieren: ,Unge-
heuer ist viel, aber ungeheurer nichts als
der Mensch.‘ Das Wesen des Menschen
liegt in seiner Doppelheit. Perfekt im
Technischen und ein Zwerg, was seine
Moralität angeht. Die Moral ist der tech-
nischen Omnipotenz nicht nachgekom-
men. Es heißt in der Antigone: ,Weit über
Erwarten begabt, schreitet der Mensch
einmal zum Guten, einmal zum Bösen.‘ Er
kann beides tun. Ich würde Bush diesen
Text aus der Antigone, einer Grundschrift
in europäischer Gesittung, vorlesen,
vielleicht hört er mir ja so lange zu. Und
dann würde ich ihm das Kapitel 25 aus
dem Matthäus-Evangelium vorlesen:
,Ich war hungrig und durstig und ihr habt
mich gepfl egt, ihr habt mich umsorgt, ihr
seid zu mir gekommen. Hier zu mir auf
die eine Seite, die Guten. Und auf der
anderen Seite, die, die mich preisgegeben
haben.‘ Und dann würde er vielleicht mit
47
einigen alttestamentlichen Zitaten mich
zu widerlegen versuchen, und darüber
käme man nach einem gemeinsamen
Besuch der Slum-Viertel in aller Welt zu
einem tiefergehenden Gespräch. Eine
freundliche Utopie.“
Daraus spricht ja ein ungeheurer
Glaube in die Verständigkeit von
Menschen, ein aufklärerischer Idea-
lismus!
„Selbstverständlich. Es ist auch zu
erwarten, dass wir uns nicht durchsetzen
werden.“
Und dann erzählt Walter Jens von
Lessing und seinem Nathan und wie
das Stück 13 Jahre lang nicht aufge-
führt werden konnte und dann doch.
Und davon, warum die Juden später
nicht glauben konnten, dass so etwas
Schreckliches wie der Holocaust in
Deutschland, dem Lande Lessings,
geschehen könnte. Leise ist da die
Stimme des Gastgebers. Manchmal
blickt er zur Bücherwand zu seiner
Rechten – und schaut doch nur ins
Leere.
Hier liegt sie, die Hoffnung des
48
Herrn Jens, niedergestreckt von
der Chronik menschlichen Irrsinns:
jene Hoffnung in die Einsichtsfähig-
keit der Menschen, in das Gute und
Vernünftige. So denkt der Besucher
und beginnt zu ahnen, was für eine
Traurigkeit es ist, die sich jetzt in
den Augen des Gastgebers zeigt.
„Wahrscheinlich werden wir – in der
typischen Haltung der Intellektuellen, die
zwischen allen Fronten stehen – unter-
liegen. Man muss dann eher verlieren
können als sich anzupassen.“
Der Intellektuelle also als tragischer
Held, als Warner ohne Hoffnung?
„Das Wort Held gehört nicht zu meinem
Wortschatz, darum geht es auch gar nicht.
Sondern nüchtern seine Pfl icht zu tun,
sich um Menschen zu kümmern, die in
Not sind. Sachlich und ruhig und ohne
große Emphase, nicht pathetisch oder gar
mit Schaum vorm Mund. Das Vernünftige
zu tun im Sinne der heute weniger denn
je preiszugebenden Aufklärung. Auch
die Gebote der Aufklärung sind neu zu
durchdenken. Immer unter der Perspek-
tive, dass die Aufklärung auch im Gefolge
49
immer größerer Rationalisierung bis zum
wahren Schrecken führen kann.“
Sie gelten als „streitbarer Christ“.
Sind Sie immer überzeugt, dass Sie
richtig liegen?
„Sie merken vielleicht, dass ich bei all
meinen Überlegungen eher aus der Posi-
tion des Angefochtenen und Beirrbaren
komme. Jesus hatte Angst, er wusste, was
Furcht ist. Und eine letzte Angst wird ihn
erfasst haben, als er den gerammten Pfahl
auf der Schädelstätte sah, zu dem er den
Querbalken hintrug. Auch wenn ich sehr
konsequent spreche, ist mir Recht-habe-
rei unangenehm. Ich versuche, Fragen
zu verschärfen. Fragen zu verdeutlichen.
Nicht rasche Antwort zu geben.“
Welche Rolle spielt Versöhnung für
Sie?
„Ich kann mir eine menschliche Welt, in
der Versöhnung kein Zentralbegriff ist,
nicht vorstellen. Man muss sich im Sinne
der jesuanischen Botschaft miteinander
versöhnen können. Es fällt gegenüber un-
refl ektierten Tollköpfen, gegenüber rüden
Tätern und vor allem gegenüber Denun-
50
zianten – die sind für mich das Verächt-
lichste – sehr, sehr schwer. Die Aufgabe,
daran zu arbeiten, ist ungewöhnlich
schwierig, und niemand kann von sich
sagen, er hätte den Spruch ,Liebe deine
Feinde‘ ein Leben lang ins Zentrum sei-
nes Denkens gerückt. Ich ganz bestimmt
nicht. Nein.“
Was sind die Bedingungen für Versöh-
nung?
„Konkrete Empathie. Sich hineinverset-
zen in die Lage von Mühseligen und Belei-
digten. Von Elenden und Benachteiligten.
Und ein ständiges Umkreisen des Satzes
,Denn die einen sind im Dunkeln und die
andern sind im Licht‘. Ein bisschen mehr
Helligkeit ins Dunkel zu geben. Das alles
klingt pathetisch, und ist doch beschei-
den und nüchtern und präzise gemeint.
Das täte uns ganz gut"
Die Liebe ist stärker als der Tod
– können Sie das glauben?
„Ich glaube dieses. Und ich glaube auch
an den meines Erachtens nie genug
bedachten Satz aus den Korintherbriefen:
,Glaube, Liebe, Hoffnung – diese drei, das
51
bleibt. Aber die Liebe ist die größte unter
ihnen.‘ Paulus – höchst überraschend!
Die Liebe vor den Glauben setzend! Die
Liebe ist größer als der Glaube! Das ist
revolutionär, das wird nicht genügend
bedacht.“
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Corinna Bethge zum Begriff „Heimat“
G
Heimat ist für mich ein zentraler Begriff dieses Stückes, weil sich in ihm die
private und die politische Tragödie verbinden. Was ist Oedipus’ wahre Hei-
mat? Korinth, wo er bei seinen Pfl egeeltern aufwuchs? Theben, wo er viele
Jahre glücklich regierte und mit Jokaste vier Kinder zeugte? Kolonos, wo er
- vertreiben aus Theben und fern von Korinth - Versöhnung fi ndet? Vielleicht
ist seine wahre Heimat der Tod selbst, nach dem er sich so sehnt, und von
dem er sich endlich Ruhe und Frieden erhofft?
Und was macht einen Staat, der erst mal nur ein abstraktes politisches
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Gebilde ist, zu etwas so emotional aufgeladenem und persönlichem wie es die
Heimat für jeden Menschen ist?
Der Lobpreis des demokratischen Rechtsstaats ist das Vermächtnis von
Sophokles. Als er das Stück schrieb, war der berühmte attische Demokratie-
versuch bereits gescheitert und der 90-jährige Dichter erinnerte das Volk mit
dieser Tragödie an die alten, bereits verlorengegangenen Ideale. Was unsere
politischen Ideale sind, wodurch sie bedroht werden und was wir für ihre
Verteidigung tun würden, fragt das Stück uns.
54
Revolutionen von unten
Wolfram Siebeck über Deutsche
i
Haben Kochen und Essen etwas mit Politik zu tun?
Selbstverständlich. Sie haben mit dem Erkennen von Qualität zu tun. Das
geht ja nur, indem man kritisch ist gegenüber allem, was nicht gut ist. Das ist
genau die Attitüde, die ein demokratischer Mensch haben muss. Die Politi-
ker müllen einen zu mit Sprüchen, und wenn man nicht aufpasst, wird man
stumpfsinnig und lässt sich alles gefallen. Beim Kochen ist es auch so. Keiner
kann sich darauf herausreden, dass sein Metzger schlecht wäre, dass es keine
guten Sachen mehr gäbe. Es gibt sie schon. Man muss sie nur suchen und
darf sich nicht von jedem abspeisen lassen.
55
Wenn man Ihren kulturkritischen Äußerungen folgt, mangelt es uns
Deutschen genau an dieser Haltung: Die Deutschen lassen sich alles
vorsetzen und haben kein Bewusstsein für Qualität.
Vor allem sind sie notorisch geizig. Elf Prozent ihres Einkommens geben sie
für Lebensmittel aus, das ist beispiellos wenig. Über deutsche Köche und
deutsche Gastronomie wird viel geschrieben, aber im Alltag merkt man davon
nichts. Die Spitzenköche reüssieren, aber unten tut sich kaum etwas. Das
passt zur deutschen Geschichte. Revolutionen von unten sind nicht unsere
Sache.
56
Impressum
Herausgeber: Theater und Philharmonisches
Orchester der Stadt Heidelberg
Intendant: Peter Spuhler
Verwaltungsleiterin: Andrea Bopp
Redaktion: Axel Preuß., Alexandra Krell
Gestaltung: Danica Schlosser
Herstellung: abcdruck GmbH, Heidelberg
Anzeigen: Greilich / Neutard
Nachweise
Fotos: Klaus Zwangsleitner: Offi cial por-
traits. Berlin 2004.
Texte: Arno Makowsky: Wolfram Siebeck
über Deutsche. Interview. Süddeutsche
Zeitung Nr. 296, 23./24./25./26.12.2006.
Axel Reimann: Krieg und Frieden. Soll ich denn ein
Schlechtmensch werden? Chrismon 3/2003.
Nicht gekennzeichnete Texte sind Originalbeiträge
von Axel Preuß & Alexandra Krell.
Wenn wir trotz unserer Bemühungen Rechteinhaber
übersehen haben sollten, bitten wir um Nachricht.
Internet: www.theaterheidelberg.de
Theater und Philharmonisches Orchester
der Stadt Heidelberg
2006_07, Programmheft Nr. 10
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Dr. Klaus ZimmermannWirtschafts- u. Technologierecht
Gesellschaftsrecht
Eberhard GretzVertragsrecht, Technologierecht
Bau-, Immobilien- u. Mietrecht
Gerda Trautmann-DadniaFachanwältin für Familienrecht
a. Erb-, Miet- u. Int. Privatrecht
Tim Bäuerle, LL. M.Int. u. Nat. VertragsrechtProdukthaftungs- u. Gesellschaftsrecht
Tel 50 25 60 · Fax 50 25 610www.zimmermann-kollegen.deWeberstr. 2 69120 · Heidelberg
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ich auch auf die Kurven vorbereitet.“
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Felix Krämer, Fernmeldetechniker,
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