briefe an obama das porträt einer nation

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Leseprobe Jeanne Marie Laskas Briefe an Obama Das Porträt einer Nation »Ein verrückter, pathetischer Briefroman der Hoffnung.« DER SPIEGEL Bestellen Sie mit einem Klick für 22,00 € Seiten: 544 Erscheinungstermin: 25. März 2019 Lieferstatus: Lieferbar Mehr Informationen zum Buch gibt es auf

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Page 1: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

Leseprobe Jeanne Marie Laskas

Briefe an Obama Das Portraumlt einer Nation

raquoEin verruumlckter pathetischer Briefroman der Hoffnunglaquo DER SPIEGEL

Bestellen Sie mit einem Klick fuumlr 2200 euro

Seiten 544

Erscheinungstermin 25 Maumlrz 2019

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Mehr zum Autor

Zum Buch Zeitgeschichte in Briefen

Was tut ein US-Praumlsident wenn er wissen will wie es um sein Land steht

Er liest Waumlhrend seiner Amtszeit gingen taumlglich Zehntausende Briefe im

Oval Office ein Jeden Abend las Barack Obama zehn ausgewaumlhlte

Schreiben einige beantwortete er persoumlnlich Zu Wort kommen Obama-

Anhaumlnger ebenso wie politische Gegner vom Schulkind bis zum

Kriegsveteranen Was sie bewegt die Folgen der Finanzkrise die geplante

Gesundheitsreform soziale Gerechtigkeit Bildungschancen und Start-up-

Ideen das Schicksal der Soldaten im Auslandseinsatz oder schlicht

Schulaufgaben raquoBriefe an Obamalaquo spiegelt die Lage der Nation in einer

Zeit groszligen Wandels

Autor

Jeanne Marie Laskas Jeanne Marie Laskas ist Journalistin und Autorin

mehrerer Sachbuumlcher Sie schreibt regelmaumlszligig fuumlr

The New York Times Magazine und GQ und

veroumlffentlicht Beitraumlge ua in The New Yorker The

Atlantic und Esquire Laskas ist Professorin fuumlr

Englisch und Gruumlndungsvorstand des Center of

Creativity an der Universitaumlt von Pittsburgh Sie lebt

mit ihrem Mann und zwei Kindern auf einer Farm in

Pennsylvania

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Jeanne Marie Laskas

Briefe an Obama

Das Portraumlt einer Nation

Aus dem amerikanischen Englisch von Nathalie Lemmens und Thorsten Schmidt

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Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel raquoTo Obamalaquo bei Random House einem Imprint der Verlagsgruppe

Penguin Random House LLC New York

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten so uumlbernehmen wir fuumlr deren Inhalte keine Haftung

da wir uns diese nicht zu eigen machen sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveroumlffentlichung verweisen

Dieses Buch ist auch als E-Book erhaumlltlich

Verlagsgruppe Random House FSCreg N001967

1 AuflageCopyright copy 2018 der Originalausgabe

by Jeanne Marie LaskasCopyright copy der deutschsprachigen Ausgabe 2019

by Wilhelm Goldmann Verlag Muumlnchenin der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str 28 81673 MuumlnchenOriginalverlag Random House New York

Umschlaggestaltung UNO Werbeagentur Muumlnchen nach einer Gestaltung von Anna Bauer Carr

(based on the original design by David Mann)Foto Callie ShellAurora Photos

Redaktion Antje SteinhaumluserSatz Uhl + Massopust Aalen

Druck und Bindung GGP Media GmbH PoumlszligneckPrinted in Germany

ISBN 978-3-442-31516-1wwwgoldmann-verlagde

Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

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Fuumlr Anna und Sasha

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INHALT

Briefauswahl 2008ndash2009 9

1 Die Briefe 23 2 Bobby Ingram Oxford Mississippi 38

Briefauswahl 2009ndash2010 47

3 Der Lektuumlreraum 88 4 Thomas und JoAnn Meehan Toms River New Jersey 103 5 Die Idee 114

Briefauswahl 2010ndash2012 129

6 Bill Oliver Geheimer Ort 157 7 Fionas Auswahl der 10LADs 169 8 Marnie Hazelton Freeport New York 188

Briefauswahl 2013ndash2014 201

9 Barack Obama Weiszliges Haus 22710 Marjorie McKinney Boone North Carolina 24611 Die Roten Punkte 260

Briefauswahl 2015 279

12 Die Freunde der Briefe 30613 Shane Darby Killen Alabama 318

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Briefauswahl 2015ndash2016 331

14 Das Schreibteam 36315 Donna Coltharp und Billy Ennis El Paso Texas 37716 Wahltag 394

Briefauswahl 2016 411

17 Vicki Shearer Renton Washington 44118 Obama in Jeans 458

Briefauswahl 2016ndash2017 487

Anhang 521

Nachwort 523Danksagung 534Briefnachweis 537

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Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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1

Gru

ppe

4112008

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

MK

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 2: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Inhalte

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Mehr zum Autor

Zum Buch Zeitgeschichte in Briefen

Was tut ein US-Praumlsident wenn er wissen will wie es um sein Land steht

Er liest Waumlhrend seiner Amtszeit gingen taumlglich Zehntausende Briefe im

Oval Office ein Jeden Abend las Barack Obama zehn ausgewaumlhlte

Schreiben einige beantwortete er persoumlnlich Zu Wort kommen Obama-

Anhaumlnger ebenso wie politische Gegner vom Schulkind bis zum

Kriegsveteranen Was sie bewegt die Folgen der Finanzkrise die geplante

Gesundheitsreform soziale Gerechtigkeit Bildungschancen und Start-up-

Ideen das Schicksal der Soldaten im Auslandseinsatz oder schlicht

Schulaufgaben raquoBriefe an Obamalaquo spiegelt die Lage der Nation in einer

Zeit groszligen Wandels

Autor

Jeanne Marie Laskas Jeanne Marie Laskas ist Journalistin und Autorin

mehrerer Sachbuumlcher Sie schreibt regelmaumlszligig fuumlr

The New York Times Magazine und GQ und

veroumlffentlicht Beitraumlge ua in The New Yorker The

Atlantic und Esquire Laskas ist Professorin fuumlr

Englisch und Gruumlndungsvorstand des Center of

Creativity an der Universitaumlt von Pittsburgh Sie lebt

mit ihrem Mann und zwei Kindern auf einer Farm in

Pennsylvania

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Jeanne Marie Laskas

Briefe an Obama

Das Portraumlt einer Nation

Aus dem amerikanischen Englisch von Nathalie Lemmens und Thorsten Schmidt

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Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel raquoTo Obamalaquo bei Random House einem Imprint der Verlagsgruppe

Penguin Random House LLC New York

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten so uumlbernehmen wir fuumlr deren Inhalte keine Haftung

da wir uns diese nicht zu eigen machen sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveroumlffentlichung verweisen

Dieses Buch ist auch als E-Book erhaumlltlich

Verlagsgruppe Random House FSCreg N001967

1 AuflageCopyright copy 2018 der Originalausgabe

by Jeanne Marie LaskasCopyright copy der deutschsprachigen Ausgabe 2019

by Wilhelm Goldmann Verlag Muumlnchenin der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str 28 81673 MuumlnchenOriginalverlag Random House New York

Umschlaggestaltung UNO Werbeagentur Muumlnchen nach einer Gestaltung von Anna Bauer Carr

(based on the original design by David Mann)Foto Callie ShellAurora Photos

Redaktion Antje SteinhaumluserSatz Uhl + Massopust Aalen

Druck und Bindung GGP Media GmbH PoumlszligneckPrinted in Germany

ISBN 978-3-442-31516-1wwwgoldmann-verlagde

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Fuumlr Anna und Sasha

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INHALT

Briefauswahl 2008ndash2009 9

1 Die Briefe 23 2 Bobby Ingram Oxford Mississippi 38

Briefauswahl 2009ndash2010 47

3 Der Lektuumlreraum 88 4 Thomas und JoAnn Meehan Toms River New Jersey 103 5 Die Idee 114

Briefauswahl 2010ndash2012 129

6 Bill Oliver Geheimer Ort 157 7 Fionas Auswahl der 10LADs 169 8 Marnie Hazelton Freeport New York 188

Briefauswahl 2013ndash2014 201

9 Barack Obama Weiszliges Haus 22710 Marjorie McKinney Boone North Carolina 24611 Die Roten Punkte 260

Briefauswahl 2015 279

12 Die Freunde der Briefe 30613 Shane Darby Killen Alabama 318

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Briefauswahl 2015ndash2016 331

14 Das Schreibteam 36315 Donna Coltharp und Billy Ennis El Paso Texas 37716 Wahltag 394

Briefauswahl 2016 411

17 Vicki Shearer Renton Washington 44118 Obama in Jeans 458

Briefauswahl 2016ndash2017 487

Anhang 521

Nachwort 523Danksagung 534Briefnachweis 537

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Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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1

Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 3: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

veroumlffentlicht Beitraumlge ua in The New Yorker The

Atlantic und Esquire Laskas ist Professorin fuumlr

Englisch und Gruumlndungsvorstand des Center of

Creativity an der Universitaumlt von Pittsburgh Sie lebt

mit ihrem Mann und zwei Kindern auf einer Farm in

Pennsylvania

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Jeanne Marie Laskas

Briefe an Obama

Das Portraumlt einer Nation

Aus dem amerikanischen Englisch von Nathalie Lemmens und Thorsten Schmidt

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Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel raquoTo Obamalaquo bei Random House einem Imprint der Verlagsgruppe

Penguin Random House LLC New York

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten so uumlbernehmen wir fuumlr deren Inhalte keine Haftung

da wir uns diese nicht zu eigen machen sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveroumlffentlichung verweisen

Dieses Buch ist auch als E-Book erhaumlltlich

Verlagsgruppe Random House FSCreg N001967

1 AuflageCopyright copy 2018 der Originalausgabe

by Jeanne Marie LaskasCopyright copy der deutschsprachigen Ausgabe 2019

by Wilhelm Goldmann Verlag Muumlnchenin der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str 28 81673 MuumlnchenOriginalverlag Random House New York

Umschlaggestaltung UNO Werbeagentur Muumlnchen nach einer Gestaltung von Anna Bauer Carr

(based on the original design by David Mann)Foto Callie ShellAurora Photos

Redaktion Antje SteinhaumluserSatz Uhl + Massopust Aalen

Druck und Bindung GGP Media GmbH PoumlszligneckPrinted in Germany

ISBN 978-3-442-31516-1wwwgoldmann-verlagde

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Fuumlr Anna und Sasha

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INHALT

Briefauswahl 2008ndash2009 9

1 Die Briefe 23 2 Bobby Ingram Oxford Mississippi 38

Briefauswahl 2009ndash2010 47

3 Der Lektuumlreraum 88 4 Thomas und JoAnn Meehan Toms River New Jersey 103 5 Die Idee 114

Briefauswahl 2010ndash2012 129

6 Bill Oliver Geheimer Ort 157 7 Fionas Auswahl der 10LADs 169 8 Marnie Hazelton Freeport New York 188

Briefauswahl 2013ndash2014 201

9 Barack Obama Weiszliges Haus 22710 Marjorie McKinney Boone North Carolina 24611 Die Roten Punkte 260

Briefauswahl 2015 279

12 Die Freunde der Briefe 30613 Shane Darby Killen Alabama 318

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Briefauswahl 2015ndash2016 331

14 Das Schreibteam 36315 Donna Coltharp und Billy Ennis El Paso Texas 37716 Wahltag 394

Briefauswahl 2016 411

17 Vicki Shearer Renton Washington 44118 Obama in Jeans 458

Briefauswahl 2016ndash2017 487

Anhang 521

Nachwort 523Danksagung 534Briefnachweis 537

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Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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1

Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 4: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Jeanne Marie Laskas

Briefe an Obama

Das Portraumlt einer Nation

Aus dem amerikanischen Englisch von Nathalie Lemmens und Thorsten Schmidt

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Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel raquoTo Obamalaquo bei Random House einem Imprint der Verlagsgruppe

Penguin Random House LLC New York

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da wir uns diese nicht zu eigen machen sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveroumlffentlichung verweisen

Dieses Buch ist auch als E-Book erhaumlltlich

Verlagsgruppe Random House FSCreg N001967

1 AuflageCopyright copy 2018 der Originalausgabe

by Jeanne Marie LaskasCopyright copy der deutschsprachigen Ausgabe 2019

by Wilhelm Goldmann Verlag Muumlnchenin der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str 28 81673 MuumlnchenOriginalverlag Random House New York

Umschlaggestaltung UNO Werbeagentur Muumlnchen nach einer Gestaltung von Anna Bauer Carr

(based on the original design by David Mann)Foto Callie ShellAurora Photos

Redaktion Antje SteinhaumluserSatz Uhl + Massopust Aalen

Druck und Bindung GGP Media GmbH PoumlszligneckPrinted in Germany

ISBN 978-3-442-31516-1wwwgoldmann-verlagde

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Fuumlr Anna und Sasha

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INHALT

Briefauswahl 2008ndash2009 9

1 Die Briefe 23 2 Bobby Ingram Oxford Mississippi 38

Briefauswahl 2009ndash2010 47

3 Der Lektuumlreraum 88 4 Thomas und JoAnn Meehan Toms River New Jersey 103 5 Die Idee 114

Briefauswahl 2010ndash2012 129

6 Bill Oliver Geheimer Ort 157 7 Fionas Auswahl der 10LADs 169 8 Marnie Hazelton Freeport New York 188

Briefauswahl 2013ndash2014 201

9 Barack Obama Weiszliges Haus 22710 Marjorie McKinney Boone North Carolina 24611 Die Roten Punkte 260

Briefauswahl 2015 279

12 Die Freunde der Briefe 30613 Shane Darby Killen Alabama 318

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Briefauswahl 2015ndash2016 331

14 Das Schreibteam 36315 Donna Coltharp und Billy Ennis El Paso Texas 37716 Wahltag 394

Briefauswahl 2016 411

17 Vicki Shearer Renton Washington 44118 Obama in Jeans 458

Briefauswahl 2016ndash2017 487

Anhang 521

Nachwort 523Danksagung 534Briefnachweis 537

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Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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1

Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 5: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

Jeanne Marie Laskas

Briefe an Obama

Das Portraumlt einer Nation

Aus dem amerikanischen Englisch von Nathalie Lemmens und Thorsten Schmidt

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Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel raquoTo Obamalaquo bei Random House einem Imprint der Verlagsgruppe

Penguin Random House LLC New York

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da wir uns diese nicht zu eigen machen sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveroumlffentlichung verweisen

Dieses Buch ist auch als E-Book erhaumlltlich

Verlagsgruppe Random House FSCreg N001967

1 AuflageCopyright copy 2018 der Originalausgabe

by Jeanne Marie LaskasCopyright copy der deutschsprachigen Ausgabe 2019

by Wilhelm Goldmann Verlag Muumlnchenin der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str 28 81673 MuumlnchenOriginalverlag Random House New York

Umschlaggestaltung UNO Werbeagentur Muumlnchen nach einer Gestaltung von Anna Bauer Carr

(based on the original design by David Mann)Foto Callie ShellAurora Photos

Redaktion Antje SteinhaumluserSatz Uhl + Massopust Aalen

Druck und Bindung GGP Media GmbH PoumlszligneckPrinted in Germany

ISBN 978-3-442-31516-1wwwgoldmann-verlagde

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Fuumlr Anna und Sasha

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INHALT

Briefauswahl 2008ndash2009 9

1 Die Briefe 23 2 Bobby Ingram Oxford Mississippi 38

Briefauswahl 2009ndash2010 47

3 Der Lektuumlreraum 88 4 Thomas und JoAnn Meehan Toms River New Jersey 103 5 Die Idee 114

Briefauswahl 2010ndash2012 129

6 Bill Oliver Geheimer Ort 157 7 Fionas Auswahl der 10LADs 169 8 Marnie Hazelton Freeport New York 188

Briefauswahl 2013ndash2014 201

9 Barack Obama Weiszliges Haus 22710 Marjorie McKinney Boone North Carolina 24611 Die Roten Punkte 260

Briefauswahl 2015 279

12 Die Freunde der Briefe 30613 Shane Darby Killen Alabama 318

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Briefauswahl 2015ndash2016 331

14 Das Schreibteam 36315 Donna Coltharp und Billy Ennis El Paso Texas 37716 Wahltag 394

Briefauswahl 2016 411

17 Vicki Shearer Renton Washington 44118 Obama in Jeans 458

Briefauswahl 2016ndash2017 487

Anhang 521

Nachwort 523Danksagung 534Briefnachweis 537

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Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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1

Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 6: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel raquoTo Obamalaquo bei Random House einem Imprint der Verlagsgruppe

Penguin Random House LLC New York

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten so uumlbernehmen wir fuumlr deren Inhalte keine Haftung

da wir uns diese nicht zu eigen machen sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveroumlffentlichung verweisen

Dieses Buch ist auch als E-Book erhaumlltlich

Verlagsgruppe Random House FSCreg N001967

1 AuflageCopyright copy 2018 der Originalausgabe

by Jeanne Marie LaskasCopyright copy der deutschsprachigen Ausgabe 2019

by Wilhelm Goldmann Verlag Muumlnchenin der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str 28 81673 MuumlnchenOriginalverlag Random House New York

Umschlaggestaltung UNO Werbeagentur Muumlnchen nach einer Gestaltung von Anna Bauer Carr

(based on the original design by David Mann)Foto Callie ShellAurora Photos

Redaktion Antje SteinhaumluserSatz Uhl + Massopust Aalen

Druck und Bindung GGP Media GmbH PoumlszligneckPrinted in Germany

ISBN 978-3-442-31516-1wwwgoldmann-verlagde

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Fuumlr Anna und Sasha

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INHALT

Briefauswahl 2008ndash2009 9

1 Die Briefe 23 2 Bobby Ingram Oxford Mississippi 38

Briefauswahl 2009ndash2010 47

3 Der Lektuumlreraum 88 4 Thomas und JoAnn Meehan Toms River New Jersey 103 5 Die Idee 114

Briefauswahl 2010ndash2012 129

6 Bill Oliver Geheimer Ort 157 7 Fionas Auswahl der 10LADs 169 8 Marnie Hazelton Freeport New York 188

Briefauswahl 2013ndash2014 201

9 Barack Obama Weiszliges Haus 22710 Marjorie McKinney Boone North Carolina 24611 Die Roten Punkte 260

Briefauswahl 2015 279

12 Die Freunde der Briefe 30613 Shane Darby Killen Alabama 318

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Briefauswahl 2015ndash2016 331

14 Das Schreibteam 36315 Donna Coltharp und Billy Ennis El Paso Texas 37716 Wahltag 394

Briefauswahl 2016 411

17 Vicki Shearer Renton Washington 44118 Obama in Jeans 458

Briefauswahl 2016ndash2017 487

Anhang 521

Nachwort 523Danksagung 534Briefnachweis 537

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Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 7: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

Fuumlr Anna und Sasha

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INHALT

Briefauswahl 2008ndash2009 9

1 Die Briefe 23 2 Bobby Ingram Oxford Mississippi 38

Briefauswahl 2009ndash2010 47

3 Der Lektuumlreraum 88 4 Thomas und JoAnn Meehan Toms River New Jersey 103 5 Die Idee 114

Briefauswahl 2010ndash2012 129

6 Bill Oliver Geheimer Ort 157 7 Fionas Auswahl der 10LADs 169 8 Marnie Hazelton Freeport New York 188

Briefauswahl 2013ndash2014 201

9 Barack Obama Weiszliges Haus 22710 Marjorie McKinney Boone North Carolina 24611 Die Roten Punkte 260

Briefauswahl 2015 279

12 Die Freunde der Briefe 30613 Shane Darby Killen Alabama 318

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Briefauswahl 2015ndash2016 331

14 Das Schreibteam 36315 Donna Coltharp und Billy Ennis El Paso Texas 37716 Wahltag 394

Briefauswahl 2016 411

17 Vicki Shearer Renton Washington 44118 Obama in Jeans 458

Briefauswahl 2016ndash2017 487

Anhang 521

Nachwort 523Danksagung 534Briefnachweis 537

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Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 8: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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INHALT

Briefauswahl 2008ndash2009 9

1 Die Briefe 23 2 Bobby Ingram Oxford Mississippi 38

Briefauswahl 2009ndash2010 47

3 Der Lektuumlreraum 88 4 Thomas und JoAnn Meehan Toms River New Jersey 103 5 Die Idee 114

Briefauswahl 2010ndash2012 129

6 Bill Oliver Geheimer Ort 157 7 Fionas Auswahl der 10LADs 169 8 Marnie Hazelton Freeport New York 188

Briefauswahl 2013ndash2014 201

9 Barack Obama Weiszliges Haus 22710 Marjorie McKinney Boone North Carolina 24611 Die Roten Punkte 260

Briefauswahl 2015 279

12 Die Freunde der Briefe 30613 Shane Darby Killen Alabama 318

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Briefauswahl 2015ndash2016 331

14 Das Schreibteam 36315 Donna Coltharp und Billy Ennis El Paso Texas 37716 Wahltag 394

Briefauswahl 2016 411

17 Vicki Shearer Renton Washington 44118 Obama in Jeans 458

Briefauswahl 2016ndash2017 487

Anhang 521

Nachwort 523Danksagung 534Briefnachweis 537

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Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 9: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

Briefauswahl 2015ndash2016 331

14 Das Schreibteam 36315 Donna Coltharp und Billy Ennis El Paso Texas 37716 Wahltag 394

Briefauswahl 2016 411

17 Vicki Shearer Renton Washington 44118 Obama in Jeans 458

Briefauswahl 2016ndash2017 487

Anhang 521

Nachwort 523Danksagung 534Briefnachweis 537

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Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 10: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

Briefauswahl 2008ndash2009

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 11: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Wenn Sie das tun werde ich wissen dass ich die richtige Entschei-dung getroffen habeMit freundlichen Gruumlszligen

Benjamin Durrett

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 12: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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3 Juni 2009Sehr geehrter Herr Praumlsident Obamaich habe einen Bericht gesehen demzufolge Sie jeden Tag zehn zufaumlllig ausgewaumlhlte Briefe lesen und diese dann auch beantworten Ich hoffe meiner gehoumlrt dazu denn ich brauche dringend eine Antwort von IhnenDas Land das ich gekannt und von ganzem Herzen geliebt habe verschwindet immer mehr Das Kapital das ich und Generationen vor mir angesammelt haben wird verschleudert Ich habe mich immer an die Regeln gehalten und dachte meine Familie und ich brauchten uns keine Sorgen zu machen Ich dachte unsere Alters-vorsorge waumlre sicher in einem Land das auch weiterhin Werte wie Integritaumlt (man steht zu seinem Wort) Fairness (jeder erntet was er saumlt) Eigenverantwortung und Disziplin (Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten von langfristigem Ertrag) hochhaumllt Doch all das geht verloren Diese Entwicklung hat schon vor Ihrem Amts-antritt begonnen aber unter Ihrer Regierung beschleunigt sie sich Und das macht mich traurigLassen Sie mich Ihnen erklaumlren warum ich das so sehe Genau wie Sie wurde ich von einer alleinerziehenden Mutter in sehr beschei-denen finanziellen Verhaumlltnissen aufgezogen Mein Vater starb bei einem Flugzeugabsturz als ich elf war Meine Mutter hatte genug gespart um mir die erste Zeit auf dem College zu finanzieren Den groumlszligten Teil davon habe ich jedoch selbst bezahlt genau wie mein gesamtes MBA-Studium das ich abschloss nachdem ich als Offi-zier in der US Army gedient hatte Ich habe achtundzwanzig Jahre bei ATampTLucent gearbeitet mit viel Disziplin (siehe Definition oben) das Bachelorstudium zweier Toumlchter finanziert und sie auch bei ihrem Master in Sozialer Arbeit unterstuumltzt Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet Ich habe keine Schulden abgesehen von einer Hypothek Ich habe ein Amt in unserer Kirchengemeinde bekleidet war Vorsitzender meiner nationalen Studentenverbindung und bin jetzt Tutor ich fuumlhre ein Unternehmen berate als SCORE-Mentor

38AUSWAHL

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 13: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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unentgeltlich Kleinunternehmer und sitze im Vorstand einer gemein nuumltzigen Organisation Kurzum ich habe meine Pflicht als patriotischer Amerikaner erfuumlllt und gleichzeitig fuumlr mein Alter vorgesorgt ohne meinen Landsleuten zur Last zu fallen All das ohne jede Unterstuumltzung durch den Staat abgesehen von dem Wenigen was mir nach meinem Ausscheiden aus der Army fuumlr eine Uumlbergangszeit zustand Leider stellt sich jetzt heraus dass ich ein Trottel gewesen bin Ich koumlnnte staatliche Beihilfen beziehen weil ich verantwortungslos war dh zu hohe Kredite aufgenommen haumltte um mir luxurioumlse Annehmlichkeiten und extravagante Urlaube zu leisten oder weil ich schwache Menschen dahingehend manipuliert haumltte dass sie Verpflichtungen eingehen die ihre Moumlglichkeiten uumlbersteigen Ich haumltte mich vor der Army druumlcken koumlnnen Ich haumltte das College-Geld meiner Kinder fuumlr mich selbst ausgeben koumlnnen Stattdessen belohne ich solches Verhalten heute durch meine Steuergelder und Ihre Entscheidungen Daruumlber hinaus glaube ich dass der Dollar durch Ihre verschwenderische Ausgabenpolitik und die Transfer-zahlungen an die unproduktivsten Mitglieder unserer Gesellschaft einbrechen wird Meine Ersparnisse werden wertlos sein Meine ganzen Muumlhen und Opfer waren umsonst Das gesamte uumlber Gene-rationen aufgebaute (moralische und finanzielle) amerikanische Kapital wird aufgezehrt Und das Schlimmste ist dass Sie all diese Entscheidungen in dem Wissen treffen dass Sie selbst und Ihre Familie niemals davon betroffen sein werden Sie werden Schutz genieszligen wenn soziale Unruhen und Niedergang uns andere in den Abgrund reiszligen Hier meine Bitte an Sie Belohnen Sie Integritaumlt (Menschen die zu ihrem Wort stehen) lassen Sie jeden ernten was er gesaumlt hat (sowohl das Gute als auch das Schmerzliche) erkennen Sie an wenn Buumlrger sich eigenverantwortlich verhalten haben und be wah-ren Sie das System das ihnen dies ermoumlglicht hat beweisen Sie Disziplin und verlangen Sie diese auch von anderen Und zuletzt noch ein persoumlnlicher Rat Huumlten Sie sich vor Hybris Mensch zu sein bedeutet anfaumlllig zu sein fuumlr diesen Wesenszug In

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

MK

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 14: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Brian Williamsrsquo Reportage uumlber das Weiszlige Haus und Ihrer Ent-scheidung von meinen Steuergeldern einen privaten Ausflug nach New York zu machen erkenne ich Anzeichen dafuumlr dass Sie bereits von ihr erfasst wurden Ich halte Sie fuumlr einen anstaumlndigen Men-schen aber sogar Sie koumlnnen durch Hybris zerstoumlrt werdenIch verbleibe als loyaler Amerikaner der zumindest einen Brief geschrieben hat

Beantworten

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

MK

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 15: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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5 November 2008

An den designierten Praumlsidenten Barack Obama

Beantworten

John C Kluczynski Federal Building230 South Dearborn StSuite 3900 (39 Etage)Chicago Illinois 60604

Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident Obamaich weiszlig nicht genau wieso ich Ihnen schreibe aber irgendwie habe ich das Gefuumlhl ich muumlsste es tun ndash also los Ich bin eine raquowasch-echtelaquo Republikanerin Ich habe Sie nicht gewaumlhlt und ich war aus tiefstem Herzen davon uumlberzeugt dass Sie diese Wahl verlieren sollten (nicht gerade der beste Einstieg fuumlr einen Brief ndash grins)

ABER mein Land war anderer Meinung und darum werden Sie der 44 Praumlsident hellip mein Praumlsident dieser groszligartigen Vereinigten Staaten sein Seit gestern Nacht um zwoumllf Uhr haben sich meine Gefuumlhle geaumlndert Ich moumlchte Ihnen sagen dass ich Ihnen obwohl ich nicht fuumlr Sie gestimmt habe Respekt zolle fuumlr den Wahlkampf den Sie gefuumlhrt haben dass ich mich von heute an zu Ihnen bekenne und dass ich jeden einzelnen Tag fuumlr Sie und Ihre Praumlsi-dentschaft beten werde

Ich waumlhle seit meinem achtzehnten Lebensjahr (die letzten acht Wahlen) und in all den Jahren habe ich nie so etwas versprochen oder gar einen Brief an einen Praumlsidenten geschrieben aber ndash wie gesagt ndash irgendwie habe ich diesmal das Gefuumlhl ich muumlsste es tun Die Rede die Sie nach Ihrem Wahlsieg gehalten haben war groszlig-herzig und zeigt dass Sie das Zeug zu einem wahren Anfuumlhrer haben Ich bin wie so viele andere Teil dieses Landes und als solche werden Sie mich vertreten Ich bin jeden einzelnen Tag stolz darauf Amerikanerin zu sein und ich bin stolz darauf dass wir ein ordent-liches Verfahren haben das unmissverstaumlndlich deutlich gemacht

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

MK

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 16: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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hat dass Amerika Senator Barack Obama als unseren neuen Praumlsi-denten haben will

Mir ist klar dass Sie diesen Brief vielleicht nie bekommen wer-den aber ich hoffe es trotzdem Ich hoffe Sie wissen dass es Waumlh-ler gibt die wie Sie letzte Nacht sagten raquonicht fuumlr Sie gestimmt haben ndash aber Sie werden auch unser Praumlsident seinlaquo Ich habe keine Millionen fuumlr Ihren Wahlkampf gespendet ich habe Sie vorher nicht unterstuumltzt aber von heute an verpflichte ich mich Ihnen als Buumlrgerin zu dienen und jeden Tag fuumlr Sie zu beten Ich kann nur hoffen dass es Millionen andere gibt wie mich ndash die Ihnen dieses Versprechen geben

Danke fuumlr Ihren ehrlichen Wahlkampf und wie Sie gestern Nacht sagten Gott schuumltze die Vereinigten Staaten von AmerikaMit freundlichen Gruumlszligen

Jeri L Harris

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Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 17: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Gru

ppe

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Sehr geehrter Herr designierter Praumlsident

ich werde Sie unterstuumltzen solange ich lebe

Gott segne Sie und die Ihren

Hochachtungsvoll

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

MK

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 18: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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6 April 2009PeggySpring TX

Sehr geehrter Herr Praumlsidentich bin eine ganz normale Amerikanerin Ich bin fuumlnfundfuumlnfzig Jahre alt Ehefrau Mutter und Groszligmutter von zwei huumlbschen kleinen Maumldchen von sieben und elf Jahren Ich liebe meine Heimat (die Vereinigten Staaten von Amerika) und das wofuumlr sie stehtMein Mann und ich arbeiten beide sehr hart fuumlr unseren Lebens-unterhalt Jeden Monat bezahlen wir unsere Hypothekenraten Rechnungen STEUERN kaufen unser Essen und kuumlmmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten Wir sind gesegnet denn daruumlber hinaus sind wir auch noch in der Lage unsere oumlrtliche Kirche und verschiedene andere Organisationen zu unterstuumltzen die die Hungrigen speisen den Duumlrstenden zu trinken geben und die Nackten kleiden (jene einfachen Dinge die Gott von uns erwar-tet) Bitte machen Sie uns das nicht schwerer indem Sie unsere Steuerabzuumlge erhoumlhen Sie sollen wissen dass das Leben fuumlr mich nicht immer so einfach war Ich war einige Jahre alleinerziehend In dieser Zeit war es oft schwer aber Gott hat fuumlr mich gesorgt sodass ich immer hatte was ich brauchte und der Staat mir nie raquoaus der Klemme helfenlaquo mussteHerr Praumlsident Sie sollen die Menschen dieses Landes vertreten Und ich kann aus tiefstem Herzen sagen dass ich mich von Ihnen NICHT vertreten fuumlhle Ich bin so enttaumluscht und wuumltend daruumlber dass Sie und viele der aktuellen Mitglieder des Repraumlsentanten-hauses versuchen unsere Nation in den Sozialismus zu treiben Das Beispiel anderer Laumlnder mit sozialistischen Regierungen sollte Ihnen gezeigt haben dass das nicht funktioniert und in den Ver-einigten Staaten nicht funktionieren wird

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 19: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Als Teil des raquoWIRlaquo in raquoWIR DAS VOLKlaquo sage ich Ihnen HOumlREN SIE AUF mit diesen entsetzlichen Schulden die wir Ihnen zufolge anhaumlufen sollen Das ist nicht die Zukunft die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen moumlchte Herr Praumlsident als ganz normale Buumlrgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fordere ich Sie auf UNVERZUumlGLICH AUF ZU-HOumlREN mit dem was Sie tun Gestehen Sie ein dass Sie auf dem falschen Weg sind und regieren Sie unser Land von nun an in seinem urspruumlnglichen Sinn und auf gottgefaumlllige WeiseIch weiszlig dass Sie sehr beschaumlftigt sind Sir aber wenn Sie seit Laumlngerem nicht mehr dazu gekommen sind sollten Sie noch ein-mal die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die ersten zehn Zusatzartikel lesen wie mir scheint Bitte vergessen Sie nicht dass dies eine Regierung fuumlr das Volk und durch das Volk sein sollDanke dass Sie meinen Brief gelesen habenMit freundlichen Gruumlszligen

Beantworten

Moumlgen wir nie vergessen welchen

Preis es gekostet hat ndash welche Opfer

erbracht wurden um Freiheit fuumlr

unser Land zu erlangen

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 20: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Liebe Peggy

vielen Dank fuumlr Ihren Brief Ich moumlchte Ihnen gerne kurz darauf antworten Erstens Niemand ruumlckt das Land in Richtung Sozia-lismus Ich habe versucht einer beispiellosen oumlkonomischen Krise entgegenzuwirken indem ich die staatlichen Investitionen in Straszligen Bruumlcken Schulen und sonstige Infrastruktur erhoumlht habe um die Schaffung neuer Arbeitsplaumltze anzukurbeln bis die Unternehmen im privaten Sektor sich wieder gefangen haben

Zweitens Statt die Steuern zu erhoumlhen wie Sie sagen habe ich in Wirklichkeit fuumlr 95 Prozent der arbeitenden Familien die Steuern gesenkt

Ich habe vorgeschlagen die Steuern auf Einkommen uumlber 250 000 $ pro Jahr zu erhoumlhen um so die Steuererleichterungen fuumlr alle anderen zu finanzieren aber diese Erhoumlhungen treten erst 2010 in Kraft und selbst dann werden die Steuersaumltze immer noch niedriger sein als unter Ronald Reagan

Langfristig muumlssen wir die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen und ich habe alle meine Mitarbeiter angewiesen herauszufinden wo wir Verschwendung Betrug und Missbrauch abstellen koumlnnen Und bitte seien Sie versichert dass ich meinen Eid die Verfassung zu schuumltzen ernst nehme

Mit freundlichen Gruumlszligen

28 APR 2009

ARCHIV-KOPIE

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 21: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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KAPITEL 1

Die Briefe

Es klang beinahe wie ein Geheimnis als Shailagh mir von den Briefen erzaumlhlte Ich sollte begreifen wie wichtig sie waren und sie wirkte frustriert oder vielleicht auch nur erschoumlpft wie ein Soldat der in einem letzten Akt der Kapitulation die Schluumls-sel zum Koumlnigreich wegwirft kurz bevor das Dorf in die Luft fliegt

Das war im Oktober 2016 Der Hurrikan Matthew war ge-rade wieder aufs Meer hinausgezogen Samsung-Handys fingen unversehens Feuer der republikanische Praumlsidentschaftskandi-dat Donald Trump twitterte ndash raquoMit keiner dieser Frauen ist je etwas gewesen Alles Unsinn der erfunden wurde um uns die Wahl zu stehlen Niemand respektiert Frauen mehr als ichlaquo ndash und ich vermute Shailagh war ebenso wehmuumltig gestimmt wie alle anderen die sich mehr und mehr des radikalen kulturellen Wandels in den Vereinigten Staaten bewusst wurden

Seit sechs Jahren arbeitete sie fuumlr die Regierung Obama in den beiden letzten Jahren als hochrangige Beraterin und wir saszligen in ihrem Buumlro im Westfluumlgel des Weiszligen Hauses Sie griff in ein Regal das mit dicken Aktenordnern gefuumlllt war Diese Ordner enthielten Briefe an Obama von denen die ersten noch aus den Anfaumlngen seiner Regierungszeit stammten Die Absender waren Waumlhler Ganz gewoumlhnliche Amerikaner die ihrem Praumlsidenten schrieben raquoMit der Zeit sind sie hier zu einer Art Leben spen-den der Kraft gewordenlaquo sagte Shailagh Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und sich einen Wollpullover um die Schultern gelegt und mit ihrer rauen Stimme und ihrer bodenstaumlndigen irischen Art wuumlrde man diese Frau eher hinter der Theke eines Dubliner

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 22: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Pubs erwarten als in einem bequemen Buumlro gleich gegenuumlber dem Oval Office

Zu diesem Zeitpunkt hatte Hillary Clinton in den landeswei-ten Umfragen noch einen zweistelligen Vorsprung vor ihrem Konkurrenten und das Undenkbare war nach wie vor undenk-bar Doch waumlhrend Clintons Wahlkampfmitarbeiter sich fuumlr einen Posten in der sich abzeichnenden neuen Regierung in Stel-lung brachten hegte Shailagh keinerlei Absicht ein Teil davon zu werden ndash zwei Amtszeiten im Weiszligen Haus waren genug Ihre Aufgabe in der Kommunikationsstrategie der Regierung be-stand darin als Tuumlrwaumlchterin zwischen Obama und den Jour-nalisten zu fungieren die uumlber ihn schrieben und diese Arbeit schien ihren Tribut gefordert zu haben raquoIch werde die Jungs nicht vermissenlaquo sagte sie Wenige Monate vor dem Ende von Obamas zweiter Amtszeit kannte die Dreistigkeit der Reporter keine Grenzen mehr Sie wollten Abschiedsinterviews sie woll-ten sie jetzt jeder wollte der Erste der Groumlszligte der Lauteste sein Shailagh war diese aufgeblasenen Egos leid die immer glei-chen Fragen die Fantasielosigkeit Und Trump twitterte und es schien als drehte die Welt allmaumlhlich durch

Die Briefe boumlten ihr eine Atempause in dem ganzen Trubel sagte sie und fragte ob ich ein paar davon lesen wolle Sie ent-schied sich fuumlr einen marineblauen Ordner zog ihn aus dem Regal oumlffnete ihn und blaumltterte in den Briefen Manche da-von waren in Schreibschrift auf persoumlnlichem Briefpapier ge-schrieben andere in Blockbuchstaben auf Notizzetteln und mit Stickern verziert es gab Geschaumlftsbriefe E-Mails Faxe und Schnappschuumlsse von Familien Soldaten und Haustieren raquoDie Leute haben keine Ahnung von diesem Dialog den er mit dem Land fuumlhrt weiszligt dulaquo sagte sie und meinte damit Obamas acht Jahre waumlhrende Gewohnheit per Brief mit der amerikanischen Oumlffentlichkeit zu kommunizieren raquoZusammengenommen erge-ben diese Briefe praktisch ein Gesamtbild der amerikanischen Gesellschaftlaquo

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

12709

MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 23: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Bei seinem Amtsantritt hatte Obama sich vorgenommen je-den Tag zehn Briefe zu lesen wodurch er zum ersten Praumlsiden-ten wurde der sich derart bewusst mit den Briefen seiner Waumlhler auseinandersetzte Jeden Nachmittag wurde gegen siebzehn Uhr eine Auswahl aus dem Lektuumlreraum ins Oval Office geschickt Die raquo10LADslaquo wie sie mit der Zeit genannt wurden ndash fuumlr ten letters a day oder raquozehn Briefe pro Taglaquo ndash machten unter hoch-rangigen Mitarbeitern die Runde bis der Stapel schlieszliglich hin-ten in die Briefing-Mappe gelegt wurde die der Praumlsident jeden Abend mit in seine Privatraumlume nahm Einige der Briefe beant-wortete er handschriftlich selbst auf andere notierte er Anwei-sungen fuumlr das Schreibteam das sie beantworten sollte und auf manche kritzelte er raquoAUFBEWAHRENlaquo

Alle leitenden Mitarbeiter des Praumlsidenten wussten um die Be-deutung der Briefe aber Shailagh interessierte sich vor allem fuumlr das groszlige Panorama fuumlr das was sie in ihrer Gesamtheit uumlber das Land und ihren Chef aussagten Manchmal erzaumlhlte sie mir lege sie einfach die Fuumlszlige hoch und vertiefe sich in die Briefe als seien sie Teil eines Geschichtsprojekts und sie eine Studentin die sich einen Uumlberblick uumlber das Thema verschaffen wollte

raquoDer hier ist vom 23 Januar 2009 gleich nach Obamas Amts an trittlaquo sagte sie wobei sie aufs Geratewohl einen Brief aus dem Ordner nahm raquoIch bin dreiundsiebzig Jahre alt und Inhaberin eines Fabrikationsbetriebes Mein Mann und ich ha-ben mit nichts angefangen hellip jeden Cent wieder in das Geschaumlft gesteckt Seit drei Monaten hatten wir keine Bestellungen oder Anfragen mehr hellip immer noch nicht wieder ganz auf den Bei-nen nach einer Operation am offenen Herzen hellip Wir haben ein Haus Die Kreditrate betraumlgt neunhundertneunundsiebzig Dol-lar und einundsiebzig Cent Wir haben immer noch einhundert-zwanzigtausend Dollar Schulden Was sollen wir tun hellip Das meine ichlaquo fuhr sie fort raquoDiese ersten Anzeichen Denn damals war es ja noch nicht so offensichtlich Der Abbau von Arbeits-plaumltzen hatte noch nicht in dem Maszlige eingesetzt In diesen Brie-

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 24: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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fen findest du unzaumlhlige Menschen die ihrem Aumlrger uumlber die Groszligbanken Luft machen Und das ist der andere Aspekt weiszligt du Du siehst die Wut Die Angst Die Verwundbarkeit dieser Menschen die weit uumlber das hinausging was die allgemeine Stimmung zu jener Zeit erkennen lieszlig Und so houmlrte Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiszlige Haus schon alle moumlgli-chen Stimmen ndash er houmlrte Leute wie Larry Summers zum Beispiel den Vorsitzenden seines Nationalen Wirtschaftsrats und dann weiszligt du houmlrte er direkt im Anschluss Francis und seine Frau Collette aus Idaho Es ist so eine Art ununterbrochener Dialog mit dem amerikanischen Volk weiszligt dulaquo

raquoWeiszligt dulaquo Shailagh sagte es beinahe beschwoumlrend als wollte sie dass ich wirklich begriff was sie meinte

Ja das taumlte ich antwortete ich zumindest versuchte ich es raquoHabe ich dir schon von diesem Brief von dem Mann aus

Mississippi erzaumlhltlaquo fragte sieNein hatte sie nicht raquoO mein Gott helliplaquoSie stand auf ging zuruumlck an das Buumlcherregal und nahm einen

anderen Ordner heraus raquoWarte bis du den gelesen hastlaquo

Im Lauf der Jahre haben die verschiedenen Praumlsidenten ihren je-weils eigenen Umgang mit der Waumlhlerpost entwickelt Anfangs war alles noch recht einfach George Washington oumlffnete seine Briefe und beantwortete sie Damals wurde die Post noch zu Fuszlig auf dem Pferderuumlcken oder per Postkutsche befoumlrdert und er erhielt etwa fuumlnf Briefe pro Tag ndash nicht gerade gewaltige Men-gen Dann kamen die Dampfschiffe danach die Eisenbahn und ein modernisiertes Postsystem und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlieszliglich sah sich Praumlsident William McKinley auszligerstande der Flut noch Herr zu werden Einhundert Briefe pro Tag Er stellte jemanden ein der ihm dabei helfen sollte diesen Ansturm zu bewaumlltigen und das war der Ursprung des Office of Presidential Correspondence der Korrespondenzabtei-

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 25: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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lung des Praumlsidenten Doch erst waumlhrend der groszligen Depression lief die Sache wirklich aus dem Ruder Mit seinen Radioan-sprachen den sogenannten raquoKamingespraumlchenlaquo begruumlndete Franklin D Roosevelt die Tradition sich direkt an die Bevoumll-kerung zu wenden und er forderte die Menschen auf ihm zu schreiben und ihm von ihren Problemen zu berichten Innerhalb einer Woche trafen etwa eine halbe Million Briefe ein und in der Poststelle des Weiszligen Hauses herrschte akute Brandgefahr Seit jener Zeit schwoll der Umfang der Waumlhlerpost kontinuierlich an und jeder Praumlsident pflegte eine andere Beziehung dazu Ni-xon beispielsweise weigerte sich am Ende seiner Praumlsidentschaft irgendetwas Negatives uumlber sich zu lesen Reagan beantwortete an den Wochenenden Dutzende Schreiben schaute hin und wie-der in der Poststelle vorbei und las gern die Briefe von Kindern Clinton lieszlig sich alle paar Wochen eine repraumlsentative Auswahl zeigen Und George W Bush legte man gelegentlich einen Sta-pel mit zehn bereits beantworteten Schreiben vor Doch das sind bloszlig Anekdoten Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Weiszligen Hauses Es gibt kaum belastbare Informationen uumlber den Umgang fruumlherer Regierungen mit der Waumlhlerpost Histori-ker interessieren sich nicht dafuumlr Praumlsidentenbibliotheken sam-meln sie nicht und der weitaus groumlszligte Teil davon wurde laumlngst vernichtet

Obama war der erste Praumlsident der systematisch zehn Briefe pro Tag lesen wollte Wann immer er zu Hause im Weiszligen Haus war las er Waumlhlerbriefe (auf Reisen sah er keine Post durch) jeder wusste das und es wurden Mechanismen geschaffen um sicherzustellen dass sie ihn tatsaumlchlich erreichten Die Briefe zirkulierten unter den Mitarbeitern Einige nannten sie raquodas konspirative Briefnetzwerklaquo Ab 2010 wurden alle per Post ein-gegangenen Schreiben eingescannt und gespeichert Ab 2011 floss jedes Wort aus jeder E-Mail in die Erstellung einer taumlgli-chen Schlagwort-Wolke ein die anschlieszligend im Weiszligen Haus verteilt wurde sodass politische Entscheider und Mitarbeiter an-

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 26: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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hand dieser Darstellung eine Vorstellung davon bekamen wel-che Themen und Gedanken die Buumlrger bewegten

2009 schrieb Natoma Canfield aus Medina Ohio die eine Krebserkrankung uumlberstanden hatte von ihren schwindelerre-gen den Krankenversicherungspraumlmien Obama lieszlig ihren Brief einrahmen und in einem Flur zwischen seinem privaten Arbeits-zimmer und dem Oval Office aufhaumlngen raquoIch brauche Ihre Gesundheitsreform so dringend Ich kann mir meine Gesund-heitsversorgung nicht mehr laumlnger leistenlaquo Dieser Brief stand beispielhaft fuumlr Zehntausende weitere die ihn allein zum Thema Gesundheitsversorgung erreichten Nach einschneidenden Er-eignissen wie den Amoklaumlufen in Newton Connecticut und Charleston South Carolina den Terroranschlaumlgen in Paris dem government shutdown oder dem Anschlag auf das amerikani-sche Konsulat in Bengasi kamen uumlberdurchschnittlich viele Briefe zu bestimmten Themen Solche Ausschlaumlge nach oben waren auch aus den Schlagwort-Wolken abzulesen Eine Zeitlang nah-men darin beispielsweise Begriffe wie raquoArbeitsplaumltzelaquo raquoSyrienlaquo oder raquoTrayvonlaquo immer groumlszligere Dimensionen an oder auch Mus-ter wie raquoFamilie-Kinder-Angstlaquo raquoArbeit-Studium-Kreditlaquo oder raquoISIS-Geld-Krieglaquo Und all das gruppierte sich um ein riesiges raquoHILFElaquo ndash jenes Wort das in saumlmtlichen Briefen am haumlufigs-ten vorkam Nachdem ein Schuumltze 2016 in Dallas das Feuer auf Polizeibeamte eroumlffnet hatte schwoll das Wort raquoPolizeilaquo an um-ringt von raquoGott-Waffen-Schwarzes Amerikalaquo dazu ein winziges raquoFriedenlaquo und ein noch winzigeres raquoKongresslaquo

Irgendwann waumlhrend meines Besuchs in Shailaghs Buumlro an jenem Tag houmlrten wir drauszligen im Flur einen Tumult und ich folgte ihr zur Buumlrotuumlr um zu sehen was los war

raquoHallo Wie gehtrsquoslaquoraquoHey JungelaquoraquoJetzt schaut euch den an Wie laumluftrsquos denn solaquoraquoDa sind Sie ja Wie geht es Ihnenlaquo

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 27: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Es war Biden Flankiert von ernst dreinblickenden Maumlnnern in schwarzen Anzuumlgen rauschte der Vizepraumlsident durch den Westfluumlgel des Weiszligen Hauses auf uns zu raquoHey wie geht es Ihnenlaquo begruumlszligte er mich auf seine typische Joe-Biden-Art Er schuumlttelte mir die Hand auf seine typische Joe-Biden-Art die je-des Mal so wirkt als sei man ein Nachbar der gerade ein wich-tiges Bowling-Turnier gewonnen habe und er freue sich ja so unglaublich daruumlber Er umarmte Shailagh kurz und rauschte weiter

raquoJa ich weiszliglaquo sagte Shailagh als wir wieder in ihrem Buumlro waren Keine von uns brauchte es auszusprechen Biden mochte sich zwar verhalten haben wie hellip Biden aber er sah nicht mehr aus wie der Mann den wir kannten Er wirkte abgemagert Zer-brechlich Blass und muumlde Ich fragte mich ob dieses Aussehen vielleicht normal war fuumlr einen Dreiundsiebzigjaumlhrigen der be-schlossen hatte seinen groszligen Traum vom Praumlsidentenamt end-guumlltig zu begraben

raquoIch wuumlrde sagen es ist komplizierterlaquo entgegnete Shailagh und fuumlr einen Moment versanken wir beide in Erinnerungen

Biden war der Anlass dafuumlr gewesen dass Shailagh und ich uns angefreundet hatten Als ich 2013 fuumlr ein Magazin ein Por-traumlt uumlber ihn schrieb war sie seine Kommunikationsleiterin und stellvertretende Stabschefin Sie lud mich ein ihn an Bord der Air Force Two zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu be-gleiten wo sie ich und eine Schar geduldiger Reporter Biden dabei zusahen wie er seine verspiegelte Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plauderte Ich war dankbar fuumlr diese Gelegenheit aber im Nachhinein erzaumlhlte ich Shailagh dass ich eigentlich nichts anderes daruumlber zu schreiben haumltte als So fuumlhlt es sich an inmitten einer Schar geduldiger Reporter Biden dabei zuzusehen wie er seine Pilotenbrille auf der Nase mit den Maumlchtigen der Welt plaudert Denn so funktionieren diese Presse reisen Ein Seil trennt die Maumlchtigen auf der einen von den Neugierigen auf der anderen Seite und alle laumlcheln und

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 28: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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winken Man gewinnt keinen Zugang zu ihren Gedanken er-faumlhrt nicht was ihnen Albtraumlume bereitet welche privaten Mo-mente sie schaumltzen auf welche sie besonderen Wert legen Man kommt ihnen nicht nahe

Shailagh dachte daruumlber nach raquoWir sollten nach Wilmington fahrenlaquo sagte sie schlieszliglich raquoIch frage den Vizepraumlsidentenlaquo

Und genau das taten wir dann Zu dritt streiften wir froumlh-lich durch Bidens Heimatstadt in Delaware wo er in Kindheits-erinnerungen schwelgte raquoZiemlich matschig hier drauszligenlaquo sagte er als er auf der Suche nach dem Teich in dem er fruumlher immer schwimmen war durch den Wald stapfte waumlhrend sich die Maumlnner vom Secret Service bemuumlhten mit uns Schritt zu halten raquoShailagh das glaubst du nichtlaquo ndash raquoShailagh komm her Davon habe ich dir doch erzaumlhlt oderlaquo Er zeigte uns wo seine erste Freundin gewohnt hatte wo seine zweite Freundin gewohnt hatte wo seine Lieblingsfreundin gewohnt hatte wir machten halt in seiner alten Highschool und an seinem gelieb-ten Sandwichladen und wir saszligen nebeneinander auf dem Bord-stein wo er sich als Kind Steine in den Mund gesteckt hatte um sein laumlstiges Stottern zu kurieren Wir besuchten den Friedhof auf dem seine erste Frau Neilia und ihr Baby Naomi lagen ndash an das Grab wollte er nicht zu nah heran ndash und wir spaumlhten durch das Vorderfenster des Hauses in dem er aufgewachsen war um einen Blick auf das Esszimmerbuffet zu werfen in dem sich seine Schwester Valerie immer versteckt hatte raquoSiehst du was ich meine Shailagh Schade dass die Leute nicht zu Hause sind sonst koumlnnte ich euch mein Zimmer zeigenlaquo Den ganzen Tag uumlber lachten und kabbelten sich die beiden wie Vater und Tochter es war ein Privileg Zeuge dieses liebevollen Umgangs miteinander zu werden und eine erste Ahnung davon zu bekom-men dass ein Weiszliges Haus beinahe wie eine Familie funktionie-ren konnte Zumindest dieser Teil jenes Weiszligen Hauses

Ich weiszlig noch wie ich Shailagh damals fragte ob sich Biden womoumlglich 2016 als Praumlsidentschaftskandidat bewerben wuumlrde

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 29: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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raquoOh er wuumlrde sich Hillary niemals in den Weg stellenlaquo ent-gegnete sie und damit war alles gesagt Die Sache war erledigt Ich fand es irgendwie traurig dass dieser Mann der sein gan-zes Leben darauf hingearbeitet hatte Praumlsident zu werden sich jetzt so kurz vor dem Ziel der Pflicht beugte und sich zuruumlck-nahm um dem Land nicht die Chance zu nehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau regiert zu werden

Nachdem wir Biden an jenem Tag den Flur hatten entlangrau-schen sehen erzaumlhlte mir Shailagh in ihrem Buumlro wie schmerz-voll Beau Bidens Hirntumor fuumlr sie alle gewesen sei Der Sohn des Vizepraumlsidenten hatte den Kampf gegen den Krebs verloren und war am 30 Mai 2015 im Alter von sechsundvierzig Jahren gestorben Das sei der Grund warum Biden so aussehe sagte Shailagh und sie fuumlgte hinzu dass diejenigen die ihn waumlhrend seiner Trauerphase gedraumlngt hatten sich als Praumlsidentschafts-kandidat zu bewerben ndash manche sogar noch waumlhrend der ge-samten Vorwahlen 2016 ndash ihn entweder nicht kannten oder nicht liebten

Sie lieszlig es dabei bewenden so wie man es auch tun wuumlrde wenn es sich um das Leid des eigenen Vaters handelte

raquoGott diese fruumlhen Sachenlaquo sagte sie sich wieder den Brie-fen zuwendend Sie blaumltterte durch einen roten Ordner raquoO ja an diese Frau kann ich mich noch erinnern Wir haben sie schlieszliglich zu einer seiner Reden eingeladenlaquo

Ich vermute Nostalgie war der Hauptgrund warum Shailagh mir an jenem Tag einige der Briefe zeigen wollte Obamas Re-gierungszeit endete seine Mitarbeiter bereiteten sich darauf vor ihre Sachen zu packen und das Weiszlige Haus zu verlassen und all diese Briefe blieben zuruumlck Was wuumlrde mit ihnen geschehen Geschichte ist hellip umfassend Geschichte hat das groszlige Ganze im Blick Sie richtet ihr Augenmerk auf folgenschwere Ereignisse nicht auf die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge

raquoDas hier sind die Stimmen im Kopf des Praumlsidentenlaquo sagte

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

12709

MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 30: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Shailagh Und das traf wohl den Kern der Sache raquoEr verinner-licht diese Worte diese Themen Manche Briefe traumlgt er mit sich herum und gruumlbelt daruumlber nach Vor allem bei den kriti-schen Das ist ein privater Ruumlckzugsraum den er sich bewahren konnte Und das genieszligt er weiszligt dulaquo

Mich beschlich das Gefuumlhl dass diese Briefe gleichsam Oba-mas Wilmington sein koumlnnten Eine Moumlglichkeit ihn besser zu verstehen Eine sich oumlffnende Hintertuumlr Hier bot sich die Ge-legenheit Obama auf eine Weise kennenzulernen wie sie den meisten Menschen bisher verborgen geblieben war Die winzigen Geschichten die in seinem Gedaumlchtnis haften blieben Die rufen-den Stimmen Die Schreie und das Gebruumlll jenes Volkes dem zu dienen er geschworen hatte Hier war das Rohmaterial der Ideen die seine Gedanken bevoumllkerten waumlhrend er seine Tage mit Kabinettssitzungen bilateralen Gipfeln Spendenveranstal-tungen oder im Lagezentrum des Weiszligen Hauses zubrachte bis er sie abends mit ins Bett nahm

raquoZwangsvollstreckung Zwangsvollstreckung Zwangsvoll-streckunglaquo kommentierte Shailagh waumlhrend sie durch einige der fruumlhen Briefe blaumltterte raquoHier kann man den Ausbruch der Immobilienkrise geradezu in Echtzeit nachvollziehen Die Men-schen sahen sich ploumltzlich mit den gewaltigen Schlussraten von Ballonhypotheken konfrontiert von denen sie nicht einmal wussten dass sie sie abgeschlossen hatten Man sieht das Zu-sammentreffen von Wirtschaftskrise und Gesundheitskrise Den allgemeinen Vertrauensverlust der Menschen Die Banken bre-chen zusammen die Katholische Kirche wankt Sie haben das Gefuumlhl all diese Institutionen lieszligen sie im Stich Und dann ist da dieser neue Praumlsident der von seinen Waumlhlern das Mandat erhalten hat einen Wandel herbeizufuumlhren Das hat eine Verbin-dung zu ihnen geschaffenlaquo

Einige der Absender erlangten regelrechten Heldenstatus unter den Mitarbeitern erzaumlhlte mir Shailagh ihre Geschichten wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Ansprachen und Re-

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 31: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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den zur Lage der Nation raquoIm Lauf der Zeit luden wir haumlufig die Verfasser solcher Briefe zu Veranstaltungen ein oft sprachen sie ein paar Worte um den Praumlsidenten einzufuumlhren Wenn er bei seinen Reisen durch das Land in ihre Stadt kam traf er sich mit Briefschreibern zum Mittagessen Ich meine wir wollten keine billige Show daraus machen Es war hellip wir versuchten diese Be-gegnungen respektvoll zu handhaben Denn im Grunde war es ja eine private Beziehung die er zu diesen Menschen hatte Und ich glaube das ist auch der Grund warum sie eine so nachhal-tige Wirkung auf ihn ausuumlbten Der private Charakter die Ver-letzlichkeit dieser Menschenlaquo

Mit einem Ruck nahm sie ihre Brille ab steckte sie sich ins Haar und stand auf um einen weiteren Ordner zu holen raquoDen Brief von diesem Mann aus Mississippi muss ich dir unbedingt zeigenlaquo sagte sie raquoEr schrieb uumlber die Schwielen an seinen Haumln-den Wie die Entwicklung seiner Haumlnde eigentlich die ganze Ent-wicklung des Landes zu jener Zeit widerspiegelt Warte ich habe ihn gleich hellip Diese Briefe sind frei von dem uumlblichen Zynismus weiszligt du Von diesem dystopischen Blick auf die Regierung an den wir uns so gewoumlhnt haben Sie wirken beinahe wie aus der Zeit gefallen wie Unterhaltungen aus einer fruumlheren Epoche in der die Menschen sich nicht an die Regierung und ihre An-fuumlhrer wandten weil sie irgendwas von ihnen erwarteten oder bloszlig ihrem Aumlrger Luft machen wollten sondern weil sie woll-ten dass der Praumlsident ihre Probleme tatsaumlchlich verstand Weil sie wollten dass er tatsaumlchlich begriff wie ihr Leben aussah Und darum sind sie so hellip Weiszligt du bei dieser ganzen Polarisie-rung diesem Zynismus all dem Negativen und dem heftigen Gegenwind dem wir im Weiszligen Haus Tag fuumlr Tag ausgesetzt sind erinnern uns die Briefe immer wieder daran dass manche Menschen die Regierung im Wesentlichen doch als eine positive Kraft sehen Oder zumindest wollen dass sie eine positive Kraft ist dass sie besser wird in dem was sie tut Sie wollen dass sie sich besser um die Veteranen kuumlmmert dass sie eine bessere Ge-

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 32: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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sundheitsvorsorge liefert Das war fuumlr uns geradezu spirituell erhebend Wirklich Vor allem vor dem Hintergrund dieses du weiszligt schon dieses brutalen taumlglichen Kampfslaquo

Ich fragte sie ob sie glaube dass die Briefe fuumlr Obama einen vergleichbaren Zweck erfuumlllten

raquoIch glaube Briefe passen einfach zu ihmlaquo sagte sie raquoIch meine in dieser Hinsicht sind die Obamas den Reagans und den Bushs sehr aumlhnlich Sie sind wie soll ich sagen von Natur aus konservative normale traditionsbewusste Menschen nicht wahr Sie fuumlllen dieses Amt aus Sie sind genauso groszlig wie das Amt Sie passen hinein Verstehst du was ich meine Wie ein Anzug der passtlaquo

Und dazu passen auch die Briefe Wie Mottenkugeln eine gerade Haltung gepflegte Tischmanieren und eine ordentliche Ausdrucksweise ohne zu fluchen raquoDiese Briefe haben so etwas Weltfernes an sich sie scheinen nicht in unsere Zeit zu gehoumlrenlaquo sagte sie raquoobwohl das was diese Menschen schreiben absolut aktuell ist Aber das Format kommt mir so entruumlckt vor So alt-modisch hellip Es hatte fuumlr mich immer etwas von Evelyn Waughlaquo

Wie der Brief von diesem Mann aus Mississippi nach dem sie immer noch suchte Mittlerweile blaumltterte sie in einem gruumlnen Ordner herum raquoIch weiszlig dass er hier irgendwo ist hellip Er war so gut geschrieben Wie eine Seite aus einem Roman Es ist fas-zinierend dass sich die Leute uumlberhaupt die Zeit dafuumlr nehmen Was hat ihn dazu bewogen diesen Brief zu schreiben diese eine perfekt formulierte Seitelaquo

Dieselbe Frage stellte ich mir auch Wer schreibt dem Praumlsiden-ten Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte waumlre mir so etwas nie in den Sinn gekommen Wer waren diese Men-schen Was hatten sie davon Daruumlber hinaus hatte der Vorgang an sich meine Neugier geweckt Wessen Idee war es gewesen dass Obama zehn Briefe pro Tag lesen solle Ich fragte mich welche Bedeutung diese Briefe fuumlr ihn hatten und ob ndash und wenn ja auf welche Weise ndash sie seine Praumlsidentschaft beeinflusst hatten

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 33: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Mein urspruumlnglicher Gedanke war einige der Absender zu treffen und ihre Geschichten aus erster Hand zu houmlren Und das tat ich auch doch womit ich nicht gerechnet hatte war die Reise in den Lektuumlreraum selbst Zu den Menschen die die Ma-schine am Laufen hielten Ich konnte von den einen nicht ohne die anderen erzaumlhlen erst im Zusammenspiel ihrer Geschich-ten entfaltete sich das Panorama der Obama-Regierung aus der Sicht der Menschen die ihm schrieben

Shailagh fand den Brief nach dem sie suchte an jenem Tag nicht mehr Doch sie versprach ihn mir spaumlter zu zeigen Millio-nen Schreiben erreichten das Weiszlige Haus und die Ordner in ihrem Buumlro enthielten nur eine winzige Auswahl davon ein paar Tausend ihrer Lieblingsbriefe die sie ab und zu gerne wieder las raquoUm die ganze Wirkung zu spuumlren solltest du in den Lek-tuumlreraum gehenlaquo riet sie mir raquoSetz dich einfach hin und lies Dann verstehst du was ich meinelaquo

Ich fragte sie wo der Lektuumlreraum sei Sie lehnte sich zuruumlck und dachte eine Weile nach raquoEs gibt da eine Frau die die Abtei-lung leitet Ihr Name ist Fiona An der musst du vorbeilaquo

Ich fragte ob sie mich ihr vielleicht vorstellen koumlnne Sie nickte wenn auch nicht sonderlich uumlberzeugend eher so als schmiedete sie in Gedanken einen Plan

Wenn sie es geschafft hatte mir einen Platz an Bord der Air Force Two zu verschaffen um mit dem Vizepraumlsidenten zum Amtsantritt des Papstes nach Rom zu fliegen argumentierte ich dann duumlrfte es doch sicher kein Problem sein einen Besuch im Lektuumlreraum zu arrangieren

raquoDu kennst Fiona nichtlaquo entgegnete sie

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 35: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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Beantworten

Bobby IngramOxford MS16 April 2009

Sehr geehrter Mister Obama mein Praumlsident2007 war ich stolz auf meine Haumlnde Wo meine Handflaumlchen auf die Finger trafen hatten sich Schwielen gebildet Schnitte und Kratzer waren nie schlimm Splitter und Blasen stoumlrten mich kaum Meine Haumlnde konnten zupacken wie ein Schraub-stock sie waren agil und gegen Hitze und Kaumllte gefeit Geschickt bewegten sie sich beim Schnitzen oder Schaumlrfen einer Axt Meine Handflaumlche frottierte wie eine Massage-buumlrste wenn meiner Frau der Ruumlcken juckte oder der Kater einen Buckel machte um gestreichelt zu werden Meine Naumlgel waren meist schmutzig nach getaner Arbeit sie waren staumlrker als heute hatten keine Risse waren selten manikuumlrt Meine Haumlnde definierten meine Arbeit meine Leidenschaften mein Leben

Dreiundzwanzig Jahre habe ich als Landvermesser gear-beitet seit fast zwei Jahren bin ich nun arbeitslos Ich ver-misse meine fruumlhere Arbeit und meine fruumlheren Haumlnde Naumlchtelang liege ich auf den Knien falte neue Haumlnde und bete darum dass wir alle wiederfinden moumlgen was verloren scheint Moumlge Gott Ihre Haumlnde leiten dass sie unsere Zukunft gestaltenIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren

und verbleibe

RMB

Notlage

Auswahl

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MK

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 36: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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KAPITEL 2

Bobby Ingram 16 April 2009 Oxford Mississippi

Die letzte Zeile und die Schlussformel dieses Briefs sind wichtig Ist Ihnen der Zeilenwechsel aufgefallen Das war Absicht Im Englischen lautet der letzte Satz

raquoThank you for listening to the CitizenI amlaquoOhne den Zeilenwechsel haumltte man den Satz auch als raquoThank

you for listening to the Citizen that I amlaquo lesen koumlnnen ndash raquoIch danke Ihnen dafuumlr dass Sie dem Buumlrger zuhoumlren der ich binlaquo wodurch alles eine ganz andere Bedeutung bekommen haumltte Denn so hat er es nicht gemeint Er wollte dem Praumlsidenten nicht dafuumlr danken dass er bloszlig ihm Bobby Ingram aus Oxford Mis-sissippi zuhoumlrt Er hat Citizen mit einem groszligen C geschrieben weil er den Buumlrger im Allgemeinen meinte das Kollektiv gewis-sermaszligen ndash saumlmtliche Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika ndash und er war der Ansicht dass nur ein groszliges C das deutlich machen koumlnne Aber ist das grammatikalisch uumlberhaupt korrekt Daruumlber hat er sich viele Gedanken gemacht waumlhrend er in seinem Arbeitszimmer vor dem alten PC saszlig (und wir re-den hier noch von einem Modell mit Diskettenlaufwerk) in dem alten Lehnstuhl Babbitt den Kater auf dem Schoszlig Wahr-scheinlich nicht dachte er Wahrsche inlich ist das grammatika-lisch nicht korrekt Man kann sich kaum vorstellen wie viele Entwuumlrfe er zu diesem Brief verfasst hat Wie wichtig es ihm war dass alles ganz genau passte Das war 2009 und er war auf

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 37: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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dem Tiefpunkt angelangt Ja man kann durchaus sagen dass er ganz unten angekommen war Er war froh dass Obama ge-waumlhlt worden war Vielleicht wuumlrde das etwas zum Besseren aumln-dern Obama wuumlrde ein Praumlsident sein der dem Buumlrger zuhoumlrte Bobby wollte den Praumlsidenten wissen lassen dass er das glaubte (Das tat er wirklich) Als er zum ersten Mal auf die Idee gekom-men war Obama zu schreiben hatte er eigentlich geplant dass sein Brief der erste sein sollte den Obama erhielt wenn er am 21 Januar 2009 um 8 Uhr 35 zur Arbeit erschien Obama sollte wissen Hey da drauszligen gab es einen Kerl der nicht so war wie er kein Absolvent einer Eliteuni nicht aus Chicago kein Afro ame ri ka ner Hey da gab es einen mageren weiszligen Kerl aus einer Kleinstadt in Mississippi ohne superbeeindruckende Aus-bildung dessen Leben im Moment ziemlich mies lief Da drau-szligen gab es diesen Kerl gewissermaszligen das letzte Kind in der Klasse von dem man erwarten wuumlrde dass es die Hand hob und sich meldete aber er hatte die Hand gehoben und sie sollte dem Praumlsidenten sagen raquoHey Mann ich mag dich Und ich moumlchte dass du deine Sache gut machstlaquo

Zwischen den einzelnen Entwuumlrfen (eine Phase die mehrere Monate in Anspruch nahm) und manchmal auch einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen tuumlftelte Bobby den Weg aus den sein Brief wahrscheinlich nehmen wuumlrde Er strich die Tage im Kalender aus und feilte an einem Zeitplan damit er seinen Brief genau dann abschicken konnte wenn er die groumlszlig-ten Chancen hatte das Erste zu sein was Obama zu Gesicht bekam wenn er sich an seinem Schreibtisch niederlieszlig Nun natuumlrlich tuumlftelte er den Weg des Briefes aus Wir reden hier schlieszliglich von Bobby Ingram Einem Mann der von allem ein wenig Ahnung hat Genauer gesagt der von allem ziemlich viel Ahnung hat Denn das hatte ihm sein Groszligvater auf dem Ster-bebett geraten als er nacheinander seine Enkel zu sich gerufen hatte um jedem von ihnen ein paar persoumlnliche Abschieds-worte mit auf den Weg zu geben raquoProbiere alles auslaquo hatte er

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Page 38: Briefe an Obama Das Porträt einer Nation

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zu Bobby gesagt raquoBeschaumlftige dich sechs Monate damit Und wenn es dir gefaumlllt mach weiterlaquo

Wie auch immer da bleibt dieses grammatikalische Prob-lem Das groszlige C Meistens hat seine Frau Martha das letzte Wort Sie besprechen fast alles miteinander Ethische Zwickmuumlh-len und solche Sachen Zum Gluumlck ist sie ziemlich locker Nicht wie ihre Mutter Atomic Betty Martha versteht dass eine un-korrekte Ausdrucksweise an sich nicht unbedingt schlecht sein muss Bestes Beispiel dafuumlr Michaels grauenhafte Grammatik Michael ist Bobbys juumlngerer Bruder ein Fernfahrer der meistens schreibt waumlhrend er bei Pilot oder Flying J an der Tankstelle auf eine freie Dusche wartet Seine Briefe Seine Briefe sollten Sie mal sehen Houmlchst merkwuumlrdige Syntax und alles voller Recht-schreibfehler Aber diese Fehler verleihen seinen Saumltzen einen be-sonderen Ton Michaels ganz eigenen Ton sodass man auf den Seiten seine Gegenwart regelrecht spuumlrt raquoEs flieszligt Marthalaquo sagt Bobby oft wenn er wieder einmal daruumlber staunt wie Michaels Briefe einen beruumlhren Daruumlber wie er Gefuumlhle aufs Papier bringt raquoJetzt flieszligt es richtig gut Marthalaquo Bobby weiszlig dass er niemals so gut schreiben wird wie Michael Aber das ist okay Wirklich okay

Briefe sind wichtig im Leben eines Mannes findet Bobby Er schreibt auch seiner Schwester seinem Vater seinem Freund Brian der im Gefaumlngnis sitzt und einer Familie von Briefmar-kensammlern ndash gute Leute sind das Briefe sind auf Papier gebannte Emotionen Briefe sind ein Geschenk Wenn man je-mandem schreibt und derjenige schreibt zuruumlck dann schafft man eine Verbindung Es validiert beide Seiten Er streut gern Fremdwoumlrter in seine Saumltze ein aber nur wenn sie schoumln klin-gen Wie in seinem Brief an den Praumlsidenten etwa als er von seinen raquoagilenlaquo Haumlnden schrieb Bis heute ist sich Bobby nicht sicher ob er das richtig hingekriegt hat Ein Mensch kann agil sein aber Haumlnde Haumltte er vielleicht lieber raquoflinklaquo schreiben sol-len Aber das waumlre ja nicht das Gleiche gewesen nicht wahr Er

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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brauchte etwas Eindrucksvolleres Den Klang raquoLass gut seinlaquo sagte Martha raquoMach dir nicht so viele Gedankenlaquo Bobbys Lieblingsfremdwort ist uumlbrigens raquoeacuteclaircissementlaquo Das bedeu-tet raquoAufklaumlrunglaquo raquoErleuchtunglaquo Erkennen Sie den Wortstamm raquoklarlaquo Was fuumlr ein wunderschoumlnes Wort

Seine ersten Briefe hat Bobby an Michael geschrieben Sie haben vor ungefaumlhr fuumlnfzig Jahren damit angefangen als Bobby zur Grundausbildung ging Wissen Sie wie kompliziert es ist als Quaumlker in die Army einzutreten Die ganzen Formulare die ganzen Diskrepanzen Bei einem Quaumlker vermuten sie von vornherein er lehne den Kriegsdienst aus Gewissensgruumlnden ab und wolle die Truppe von innen heraus zersetzen Doch das war nicht Bobbys Absicht Er wollte mehr uumlber die Konzepte erfah-ren gegen die er zusammen mit den Aumlltesten seiner Kirche bei Antikriegsdemonstrationen protestiert hatte Es fuumlhlte sich zu-nehmend falsch an gegen etwas zu protestieren was andere taten waumlhrend man selbst es nicht einmal probiert hatte Er be-gann sich fuumlr Krieg und Politik zu interessieren ndash genau wie fuumlr Kaumlfer Spinnen Voumlgel Schildkroumlten Gebaumlrdensprache Old-timer Gedichte Kilts Bambus Bruumlcken und Forstwirtschaft Alles Probiere alles aus

Die Army schickte ihn nach Muumlnchen wo er lernte Rotoren auf Hubschrauber zu montieren und er schrieb Michael um ihm davon zu erzaumlhlen Michael schrieb zuruumlck und berichtete ihm von dem Volkswagen den er zu einem Strandbuggy um-baute Danach hatten sie nie wieder mit dem Schreiben aufge-houmlrt

Ein Brief bedeutet Bruderschaft Einer streckt als Erster die Hand aus Und genau das hat Bobby mit dem Praumlsidenten getan Ganz woumlrtlich Er saszlig vor seinem Computer Babbitt auf dem Schoszlig streckte die Hand aus und sah wie erschreckend weich sie geworden war Und er verspuumlrte das Beduumlrfnis zu erklaumlren wieso Nicht weil er uumlbertrieben dramatisch klingen wollte das nicht aber tatsaumlchlich spiegelte sich der Zusammenbruch seines

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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ganzen Lebens seiner Psyche seiner Identitaumlt seines Koumlrpers und seiner Seele in diesem Bild seiner schwielenlosen Haumlnde

Womoumlglich kommen einem nicht gleich Schwielen in den Sinn wenn man an einen Landvermesser denkt Die wenigsten wissen etwas von dem dreieinhalb Kilo schweren Vorschlagham-mer und davon wie er herumgeschwungen wird immer wie-der und wieder baumlm baumlm genau so um den Pfahl fuumlnfzehn Zentimeter tief in den Boden zu treiben Der Vorschlagham-mer ist sein zweitliebstes Werkzeug Er hat ihn 1983 gekauft Sein Lieblingswerkzeug ist die Kultursichel Auch hier wieder diese schwingende Bewegung wenn man einen Schritt zuruumlck-tritt zeigt er es einem Und dann das Senkblei Man haumllt es so und wenn es zu schwingen aufhoumlrt zeigt es direkt auf den Mit-telpunkt der Erde Den Mittelpunkt der Erde Es ist ein altes Werkzeug Bloszlig sein Senkblei Alles in allem schleppte er jeden Tag uumlber fuumlnfunddreiszligig Kilo Ausruumlstung mit sich herum Zu Fuszlig durch Waumllder Moore jegliches Gelaumlnde Er tat dasselbe wie einst George Washington Er tat dasselbe wie Lewis und Clark auf ihrer Expedition vor uumlber zweihundert Jahren Die Arbeit als Landvermesser verband einen mit Menschen aus laumlngst vergan-genen Zeiten Man musste herausfinden was die Landbesitzer gemeint hatten Die Uumlbertragungsurkunden interpretieren Sie lesen und entsprechend befolgen Wie das eine Mal als er die Eigentumsverhaumlltnisse bis zu einer Landschenkung durch Koumlnig George zuruumlckverfolgt hatte raquoAusgehend von dem Pfahl auf dem ersten Huumlgelkamm hinter dem Uferlaquo Schoumln und gut aber welches Ufer Welcher Pfahl raquoVier Tagesritte auf einem Maul-tier zur naumlchsten Ecke dann weiter in noumlrdliche Richtung zwei Tagesritte auf dem Maultier die Sonne auf der Wangelaquo Schoumln und gut aber wie schnell laumluft ein Maultier Er musste heraus-finden welches Tempo ein Maultier von der Groumlszlige wie sie zu Zeiten von Koumlnig George verfuumlgbar waren erreichen konnte Ganz zu schweigen von den Wetterverhaumlltnissen in der Zeit als die Grenzen abgesteckt wurden Er fand es heraus Es waren

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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mir ist Vielfaltlaquo sagte Walt Whitman Vergessen Sie das nicht Mr President Vielfalt

Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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hundertsiebenundsiebzig Kilometer Zwei Stunden Autofahrt Und er fand den zweiten Pfahl O ja er hat ihn gefunden Da-nach war es bloszlig noch eine Frage der Mathematik die Grenzen des Stuumlcks Land zu bestimmen Problem geloumlst Reine Mathe-matik Dabei lief in seinen Anfangszeiten alles noch mit dem Rechenschieber Tangente Kosinustabellen Man suchte den Kosinus eines Winkels heraus Dies multipliziert mit jenem er-gab dann diese Tangentenlaumlnge und so kam man wiederum zu dem Winkel den man berechnen musste um jenes Dreieck zu berechnen Fantastisch Einfach fantastisch Pi bis fuumlnf Stellen hinter dem Komma das Ganze noch einmal anhand des Bogen-radius uumlberpruumlft So etwas passte einfach zu ihm Er stapfte mit seinem Rechenschieber durch die Suumlmpfe rechnete vor sich hin und fand hundert Jahre alte Robinienpfaumlhle Und waumlhrenddes-sen dachte er daruumlber nach dass die Aumlgypter die das alles he-rausgefunden hatten natuumlrlich ein mystisches Volk gewesen sein mussten

So herrlich war das Landvermessen Einfach herrlichAber jetzt fragt man sich sicher gerade was das fuumlr ein Ge-

raumlusch ist Dieses Blaffen Und gleich darauf ein Triller Das ist ein Helmspecht Dryocopus pileatus Der groumlszligte Specht im Staat Mississippi Fuumlnfundvierzig Zentimeter groszlig Waff-waff-waff waff-waff-waff dann tuu-tuu-tuu-tuu-tuu Sein Lieblings-vogel ist die Sommertangare Sein Lieblingsbaum ist der Seiden-baum auch Seidenakazie genannt Martha hasst den Bambus da hinten Auszligerdem hat sie panische Angst vor Spinnen Und trotzdem duldet sie sein Spinnenhabitat da drauszligen Das ist Liebe Das Netz der Riesenkrabbenspinne ist groumlszliger als Bobbys Kuumlchen tisch Auch die Gewoumlhnliche Dosenschildkroumlte ist eine wichtige Spezies die etwas Unterstuumltzung verdient Die Schild-kroumlte auf dem Stein da heiszligt BooHiss Zu den Schlangenarten die Bobby unterstuumltzt gehoumlren die Oumlstliche Hakennasennatter die Suumldliche Hakennasennatter und die Gesprenkelte Kettennat-ter Eidech sen natuumlrlich auch Der ganze Garten ist so angelegt

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dass sich bestimmte Arten dort wohlfuumlhlen Spigelia marilan-dica eine mehrjaumlhrige wild wachsende Staude Wird unter-stuumltzt Genau wie Sumpfschwertlilien Schnittlauch Lilien Dis-teln und Knoblauch

Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Einen Groszligteil dieses Wissens verdankt er seinem Beruf als Landvermesser Tagein tagaus ist man drauszligen in der Natur

Bis sie einem dann irgendwann sagen man koumlnne nach Hause gehen Als im Dezember 2007 die Rezession einsetzte verloren Menschen in ganz Amerika ihre Arbeit Der Bausektor gehoumlrte zu den Branchen die es am haumlrtesten getroffen hatte Es wurden keine Haumluser mehr gebaut keine Grundstuumlcke mehr erworben und verkauft es gab keine Grundbesitzstreitigkeiten und keine Landvermessung mehr

Bobby war raus Martha arbeitete in der Verwaltung der Uni-versitaumlt sie wuumlrden also noch eine Weile uumlber die Runden kom-men aber darum ging es nicht

Er hatte seinen Lebensinhalt verloren Trauerte wie bei einem Todesfall Oder einer Scheidung Einem jener heftigen Schlaumlge die einem die Luft aus der Lunge pressen bis man vornuumlber-klappt Zwei Jahre lang vornuumlbergeklappt Zwei Jahre Er be-warb sich uumlberall bot sogar an nach Texas umzuziehen Er war zweiundfuumlnfzig Jahre alt Niemand brauchte ihn

Er verfolgte die Nachrichten Barack Obama gefiel ihm Diese hoffnungsvolle Botschaft Aber was er vor allem sah war Wow der Kerl erbt einen verdammten Saustall Dieses Land steckt bis zum Hals im Schlamassel Er brauchte Hilfe Jeder braucht Hilfe So was wie Lassen Sie uns das zusammen anpacken So ungefaumlhr hatte sich Bobby den Anfang seines Briefs gedacht

Er streckte die Hand aus Das war sein Gruszlig Das hieszlig Hallo ich binrsquos Der Kerl der fruumlher Schwielen an den Haumlnden hatte Mittel- bis Arbeiterklasse Keine besondere Ausbildung Der Kerl Aber auch hellip der andere Neugierig alles hinterfragend ein universal gebildeter Autodidakt Ein Raumltsel Ein Wider-spruch in sich Ich bin beide Maumlnner zugleich raquoIch bin groszlig in

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Bobby verpasste die Gelegenheit dem Praumlsidenten seinen Brief am 21 Januar 2009 zukommen zu lassen Er war erst im April mit dem Schreiben fertig

Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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Als endlich alle Formulierungen saszligen lehnte er sich zuruumlck atmete tief aus verscheuchte den Kater und griff nach einem Blatt Papier Den Brief mit der Hand zu schreiben war das Wich-tigste Ein Brief ist ein Teil von einem selbst Er sollte auf eine Seite passen genau auf eine Seite Und es mussten Druckbuch-staben sein Er brauchte viele Anlaumlufe (In seinem Arbeitszimmer gibt es fuumlnf Abfalleimer) Dann schickte er ihn ab Und vergaszlig ihn Den Brief abzuschicken war das worauf es ankam Er hatte gesagt was er zu sagen hatte In dieser Hinsicht war dieser Brief wie alle anderen die er je geschrieben hat Ein Brief ist ein Ge-bet

Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte rappelte er sich aus seiner Depression wieder hoch Als haumltte jemand einen Schal-ter umgelegt Ich kann so nicht leben Einfach den Schalter um-gelegt Martha brauchte ihn Atomic Betty lag im Sterben was einfach unvorstellbar war Eine Frau von solcher Lebenskraft Er konnte gut mit ihr umgehen Hielt einfach nur ihre Hand in all den Tagen in denen kein anderer es ertragen konnte Dann begann er mit seinen LOLs Den Little Old Ladies die Hilfe im Alltag brauchten Sie brauchten ihn Er ist gut darin Menschen zu beruhigen (Katzen bringt er innerhalb von Sekunden zum Einschlafen) Und dann waren da ja natuumlrlich noch BooHiss und die ganzen Habitate drauszligen im Garten Mein Gott allein die Voumlgel Kurz darauf rief Jeff an Er brauchte Hilfe bei der Restau-rierung eines Bootes Alle brauchen Hilfe Er und Jeff arbeiten mittlerweile zusammen Jeff uumlbernimmt das Reden Bobby traumlgt in bruumltender Hitze sechs Kanthoumllzer gleichzeitig die Leiter hoch

Er ist der Kerl im Hintergrund der mit dem Bandana dem der Schweiszlig in Stroumlmen uumlbers Gesicht laumluft Sie kennen die Sorte

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