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Christvesper - Predigt-Gottesdienst am Heiligen Abend 24.12.2013
in der evangelischen Kreuzkirche Reutlingen, Pfarrer Stephan Sigloch
Vorspiel Gruß, Begrüßung Bethlehem
Ein Ort in allen vier Winden, ein Ort mit Tauben und Blinden - Bethlehem. Ein Ort, so arm wie verloren, mit verschlossenen Herzen und Toren - Bethlehem. Ein Ort mit Gassen und Straßen, in denen Flüchtlinge saßen - Bethlehem. Ein Ort mit Spöttern und Frommen, ein Ort, wo wir alle herkommen - Bethlehem. Ein Ort, wo wir alle hingehen, das Kind in der Krippe zu sehen - Bethlehem. Ein Ort, wo wir knien auf der Erden: Gott will unser Bruder werden - Bethlehem. Rudolf Otto Wiemer (EG S. 97)
Lied „Hört der Engel helle Lieder“ (EG 54)
1. Hört, der Engel helle Lieder / klingen das weite Feld entlang, / und die Berge hallen wider / von des Himmels Lobgesang: / Gloria in excelsis Deo. / Gloria in excelsis Deo.
2. Hirten, warum wird gesungen? / Sagt mir doch eures Jubels Grund! / Welch ein Sieg ward denn errungen, / den uns die Chöre machen kund? / Gloria in excelsis Deo. / Gloria in excelsis Deo.
3. Sie verkünden uns mit Schalle, / dass der Erlöser nun erschien, / dankbar singen sie heut alle / an diesem Fest und grüßen ihn. / Gloria in excelsis Deo. / Gloria in excelsis Deo.
Psalmgebet Johannes-Hymnus (EG 763; Gde = Gemeinde) Pfr. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, Gde. und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Pfr. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. Gde. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Pfr. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen. Gde. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Pfr. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben. Gde. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, Pfr. eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, / voller Gnade und Wahrheit. Gde. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Joh 1,1-5.11.12.14.16 Gebet + Stilles Gebet Dreieiniger Gott, wir stehen vor dir in dieser heiligen Nacht,
stehen an deiner Krippe. Du trittst in unser Leben, in unsre Welt – ganz unscheinbar, unerkannt, geheimnisvoll. Von deiner Krippe geht ein Licht aus, und es wird hell, wo Dunkelheit herrscht. Im Licht der Heiligen Nacht sieht die Welt anders aus: Fröhlicher, gerechter, wahrhaftiger und sie bekommt einen besonderen Glanz. Wir bitten dich: Öffne uns Herz, Sinne und Verstand für dein Kommen, für dieses Geheimnis, das unsere Welt verändert. Führe uns ganz zurück an den Anfang, damals im Stall, und erfülle uns mit tiefer, weihnachtlicher Freude. Amen. Miteinander und füreinander beten wir weiter in der Stille: Stilles Gebet Schriftlesung Lukas 2,1-20 ( ______________________) Lied „Ich steh‘ an deiner Krippen hier“ (EG 37)
1. Ich steh an deiner Krippen hier, / o Jesu, du mein Leben; / ich komme, bring und schenke dir, / was du mir hast gegeben. / Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, / Herz, Seel und Mut, nimm alles hin / und lass dir’s wohl gefallen.
2. Da ich noch nicht geboren war, / da bist du mir geboren / und hast mich dir zu eigen gar, / eh ich dich kannt‘, erkoren. / Eh ich durch deine Hand gemacht, / da hast du schon bei dir bedacht, / wie du mein wolltest werden.
3. Ich lag in tiefster Todesnacht, / du warest meine Sonne, / die Sonne, die mir zugebracht / Licht, Leben, Freud und Wonne. / O Sonne, die das werte Licht / des Glaubens in mir zugericht’, / wie schön sind deine Strahlen!
4. Ich sehe dich mit Freuden an / und kann mich nicht satt sehen; / und weil ich nun nichts weiter kann, / bleib ich anbetend stehen. / O dass mein Sinn ein Abgrund wär / und meine Seel ein weites Meer, / dass ich dich möchte fassen!
Predigt
Einleitung und Predigttext
„Wir glauben nur das, was wir sehen. Darum glauben wir alles, seit es
das Fernsehen gibt“ (Dieter Hildebrandt, † 20.11.2013). Glauben wir alles,
was wir sehen? Oder glauben wir am Ende nur noch, was wir im
Fernsehen sehen? Manchmal habe ich den Eindruck, dass für viele
Zeitgenossen das „wahre Leben“ im Fernsehen stattfindet. Aber auch
beim Fernsehen ist die Wirklichkeit nicht vor, sondern hinter der
Kamera und hinter den Kulissen.
Weihnachten ist auf eine bestimmte Art und Weise auch „Fern-
Sehen“ …wir schauen zurück in eine ferne Vergangenheit: In unsere
Kindheit und Weihnachten damals. Vor allem schauen wir in einen
Stall in Bethlehem. Und zugleich in eine Wirklichkeit, die uns ganz
fern zu sein scheint: In Gottes Wirklichkeit.
Denn: Dass auch an Weihnachten „hinter den Kulissen“ mehr passiert
als das, was wir „sehen“, was Lukas in seiner Weihnachtsgeschichte
erzählt, davon singt und das bekennt unser Predigttext, ein alter
Hymnus, der im 1. Timotheusbrief zitiert wird:
„… groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des
Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist,
erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt,
aufgenommen in die Herrlichkeit“.
Er, Jesus Christus, ist „das Geheimnis des Glaubens“. Der Text singt
von ihm, dem Geheimnis, in sechs kurzen, theologisch gefüllten
Sätzen – wobei nicht alles geheimnisvoll ist.
Zeitgeist: „Entschlüsseln“
Dass nicht alles geheimnisvoll ist, kommt uns ja entgegen. Wir
Menschen des 21. Jahrhunderts sind weniger an Geheimnissen
interessiert, als daran, alles zu entschlüsseln, was wir nicht wissen –
bis hin zum Versuch, das Leben zu entschlüsseln, indem wir Gencodes
knacken, die NSA entschlüsselt scheinbar aus Prinzip alles, was
geheim ist, unabhängig vom Informationsgehalt … zwei Beispiele … .
Ist Weihnachten ohne Geheimnis Weihnachten?
Zu Weihnachten gehört immer schon das Geheimnis: Das verschlos-
sene Weihnachtszimmer, die Überraschung beim Auspacken der
Geschenke. Weihnachten ist ohne Geheimnis gar nicht richtig Weih-
nachten. Zunächst allerdings ist Weihnachten nicht ganz so geheim-
nisvoll ist: Ein Kind wird geboren. So weit, so gut. Das eigentliche
Geheimnis der Weihnacht beginnt mit dem Bekenntnis: „Gott wird
Mensch“ und es wird größer, wenn wir mit Paul Gerhardt singen
„Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute“ (EG 36,2).
Was wir sehen
Dass Jesus gelebt hat, ist kein Geheimnis. Daran bestehen auch keine
Zweifel. Deutlich ist weiter: Das Evangelium ist „den Völkern ge-
predigt“ worden – und ist bis zu uns gekommen (darum feiern wir
Weihnachten). Und schließlich ist offensichtlich: Er wurde und wird
„in der Welt geglaubt …“ – das alles beschreibt der alte Text. Und
rückblickend können wir heute nur feststellen: Ja, das ist wahr, kein
Zweifel. Und also kein Geheimnis.
Geheimnisvoll ist das Bekenntnis: Diese Geschichte des Jesus von
Nazareth, die bis in unsere Zeit reicht, spielt sich nicht nur
(sozusagen) „im irdischen Bereich“ ab, sondern zugleich „im
himmlischen, göttlichen Bereich“ – sie ist und bedeutet weit mehr als
das, was wir sehen.
Darin besteht das Geheimnis, dass - eben seit jener Nacht in
Bethlehem – Erde und Himmel verbunden sind, untrennbar verbun-
den sind in der Person und der Geschichte Jesu, der der Christus
Gottes ist.
Singen, Bekennen, Erzählen
Das Geheimnis dieser Geschichte können wir nicht entschlüsseln und
erklären. Sie lässt sich nur singen und bekennen, wie es der alte Text
tut – und: sie lässt sich erzählen, wie wir es vorhin gehört haben.
Was sie bedeutet, können wir im Grunde auch „nur“ singen und
bekennen – oder erzählen.
Eine Geschichte
Darum erzähle ich Ihnen eine Geschichte. Es ist auf den ersten Blick
keine Weihnachtsgeschichte. Kein Glanz, kein Gold … gehört zu
Weihnachten nicht immer auch Gold? Vom Gold heißt es, dass es „im
Feuer gereinigt wird“ und sich darin als echt erweist (1. Petrusbrief 1,7).
Analog dazu erweist sich auch die frohe Botschaft der Weihnacht als
„echt“, wenn sie unseren alltäglichen, oft schmerzlichen Erfahrungen
standhält. Darum diese Geschichte.
Wie gesagt: Beim ersten Hören keine Weihnachtsgeschichte und ich
will sie auch nicht erschrecken oder Sie aus Ihrer Weihnachts-
stimmung reißen, falls die sich bei einigen von Ihnen schon eingestellt
hat.
Aber es ist eine ganz und gar menschliche Geschichte – insofern passt
sie bestens zu Gott, der Mensch wird. Und sie passt zu dem, was
unser Predigttext als Weg Jesu beschreibt. Es ist die Geschichte einer
jungen Frau (Jahrgang 1980), die sie selber in einem Buch erzählt: ehr-
lich und schonungslos und mit – ich warn‘ Sie schon ‘mal vor – mit
einer zum Teil sehr direkten Ausdrucksweise.
Esther Maria Magnis erzählt ihre Geschichte mit Gott, die Geschichte
ihres Glaubens. Die beginnt ‚ganz normal‘, verändert sich aber radikal
durch die Krebserkrankung ihres Vaters. Damit beginnt eine intensive
Zeit des Betens – aber der Tod des Vaters zerstört alle Hoffnung. Sie
ist 15 Jahre alt: „Danach bin ich verstummt. Totenstille die ganze
Welt. Still und kalt. Wie wenn Schnee gefallen ist. Ohne Gott. Ohne
mich. Und keine Regung mehr“ (S. 75).
„Wie kann Gott das zulassen“ – wer kennt die Frage nicht? Und ahnt
zugleich, dass eine Antwort nicht helfen würde: „Die Antwort war mir
scheißegal. Jede Antwort hätte ich als Frechheit empfunden“ (S. 105).
Esther lässt Gott und den Glauben los: „Ich habe ihm gesagt: ‚Ich
glaube nicht mehr an dich. Du bist tot. Ich hasse dich‘“ (S. 108). So
vergehen vier Jahre: „Ich wollte, dass Gott aus meinem Denken ganz
verschwindet, ich wollte sauber aufräumen darin“ (S. 119) - aber die
Frage nach Leben und Tod kann sie damit nicht erledigen.
Die Frage nach Gott begegnet ihr immer wieder: Als Studentin wird
sie in ein Gespräch verwickelt, wer an Gott glaubt. Mit der dementen
Großmutter singt sie das alte Lied „Weißt du wie viel Sternlein stehen“
– in dem es heißt: „Kennt auch dich und hat dich lieb“ (S. 176ff).
Das spricht sie an in einer Zeit, die sie erinnert mit den Worten: „Ich
kämpfte nicht mehr. Ich hatte meinen Namen und damit die
Wirklichkeit verloren und ohne die gibt es keinen Kampf. Und
trotzdem hat es einen Sieg gegeben. Denn es mag still gewesen sein
[…], unerträglich still – Gott war stiller. […] es mag in mir endgültig
geschwiegen haben, […] dass keine Frage mehr jammerte, kein Hass
mehr flüsterte – Gott muss noch leiser gewesen sein als das. Seine
Macht muss in der Stille liegen“ (S. 172f).
Sie ringt mit Bildern und Vorstellungen von Gott. Und merkt nach und
nach, dass „Gott [nicht] bloß ein abstrakter, unsichtbarer, ätherischer
Gedanke ist“ (S. 202). Und das ist gut so, denn – so beschreibt sie, was
für uns alle gilt: „Ich gehöre zur berührbaren Wirklichkeit. Und dass
durch die Wirklichkeit ein Riss geht, dass die Wirklichkeit dieser Welt
auch ganz schön geschrottet und pervers ist, das kann ich nicht
ändern. Auch nicht, indem ich mich distanziere. Ich gehöre dazu“ (S.
203).
Sie spürt: Der Bezug zu Gott braucht den Bezug zur Wirklichkeit des
Lebens. Und vor allem: Ein Gott, der mein Gott sein kann, muss mit
meinem Leben zu tun haben!
Irgendwann begegnet ihr das Buch Hiob – sie findet dort ihre eigene,
alte Wut in Worte gefasst. Und findet darin auch den Gott, dem sie in
ihrem Leid und Leiden immer wieder konfrontiert war. Sie nähert sich
dem Neuen Testament, ist fasziniert davon, dass es vier Evangelien
gibt, nicht nur eine Version. „Das war irgendwie – echt“ (S. 209). Ein
wenig Vertrauen keimt …
Dann wird auch bei ihrem jüngeren Bruder Krebs diagnostiziert. Sie
erinnert sich: „Gott ist schrecklich. So schön er auch ist – so unendlich
tief seine Liebe und Zuneigung zu den Menschen sein mag. Ich
erschrecke vor Gott. Und die Schrecken aus der Zeit damals lassen
mich in meinen Gebeten immer noch humpeln. Und es ist eine Lüge,
die in manchen Kirchengemeinden verbreitet wird, wenn sie sagen:
Wir haben keine Drohbotschaft, wir haben eine Frohbotschaft. Es ist
nicht wahr. Es ist einfach nicht wahr.
Gott hat sich in dieser Welt am Kreuz hinrichten lassen. Das gehört zu
den dreckigsten Todesarten, die es gibt. Und Gott hat zugelassen,
dass mein Bruder sich zu Tode erschrak. Und Gott hat gesagt, dass
jeder sein Kreuz in dieser Welt auf sich nehmen und ihm nachfolgen
soll.
Es war nie die Rede davon, dass es hier witzig wird. Es war nie die
Rede davon, dass uns allen die Sonne aus dem Arsch scheint. Unser
Glaube, der Glaube der Christen, hat einen Schrecken. Unser Glaube
macht „Buh!“ Unser Glaube hat in sich das Wissen um den ganzen
Dreck der Welt. Er hat einen Schrecken. So wie diese Welt.
Und erst dann kommt die Frohe Botschaft. Vorher gibt es keinen
Grund, dumm grinsend auf der Kanzel zu stehen und die Menschen,
die echte Not haben, deren Ehen gerade kaputt gehen, deren Kinder
krank werden, deren Geschwister sterben und Eltern dement werden,
deren Herzen gebrochen werden, deren Stolz verletzt wird, mit einem
weichen gemütlichen Gesäusel und Sozialkitsch einzulullen“ (S. 223f).
Sie spüren es: Wenn wir Gott ganz in unsere Welt, in unser Denken
herein holen, wenn wir ihm einen Platz in unserem Leben zuweisen,
den wir für angemessen halten, wenn wir ihn herausholen aus dem
Geheimnis – dann verlieren wir ihn: Ein uns entsprechender Gott ist
banal und taugt nicht für das Ringen mit dem Leben, zu dem eben
auch das Ringen mit dem Tod gehört.
Die erste Operation bei ihrem Bruder schien erfolgreich zu sein. Dann
kam der Krebs zurück. Was Esther Maria Magnis dann schreibt,
beantwortet die „Heilig-Abend-Frage“, was es bedeutet, dass Gott
Mensch wird:
„… es war in diesen Momenten von Johannes‘ Schmerzattacken, als
ich anfing, meinem Gott dafür zu danken, dass er sich von den
Menschen hat foltern lassen. Dass er selber geschrien hatte. Denn
wäre das nicht so gewesen, ich hätte nicht mehr mit ihm sprechen
können. Ich hätte vielleicht weiter höflich an ihn geglaubt. Aber ich
hätte auch gedacht: ‚Komm erst einmal runter aus deinem Himmel.
Leide erst mal, bevor du von uns den Glauben verlangst‘ – jetzt
konnte ich das nicht mehr sagen“ (S. 231).
Können wir eindrücklicher hören oder sagen, was es für uns
bedeutet, dass Gott Mensch wird - mit allen Konsequenzen? Gerade
als Mensch, der das Leiden erlebt, gerade im menschlichen Leben
und Leiden ist Jesus Christus, ist der dreieinige Gott uns ganz nahe.
Sein Menschsein, sein Leben und Leiden machen ihn glaubwürdig!
Ist das nicht tatsächlich eine frohe Botschaft, dass die Geburt des
Kindes einen Glanz auch auf die dunkelsten Erfahrungen unseres
Lebens fallen lässt?
Geheimnis – verbindet Himmel und Erde
„Gott wird Mensch – und kommt ‚in den Stall‘ unseres Lebens“ – das
ist die Frohbotschaft der Heiligen Nacht. Das besingt unser Predigt-
text: Himmel und Erde sind jetzt untrennbar verbunden. Auch wer
sich in seinen Erfahrungen weit entfernt fühlt von Gott, soll gewiss
sein: Du bist nicht ohne Gott! Das ist tatsächlich ein Geheimnis.
Dieses Geheimnis können wir nicht auflösen. Und wenn wir nach und
nach etwas in dieses Geheimnis eindringen, indem wir dem Weg
dieses Menschen Jesus folgen und ihn als den Christus Gottes
glauben – dann geschieht, was immer geschieht, wenn wir ein
Geheimnis ergründen wollen: Das Geheimnis wird größer. Denn: Je
mehr ich weiß, umso größer werden die Grenzen dahin, wo ich nichts
mehr weiß oder wissen kann.
Aber – ganz unter uns – ein Gott, den ich mit meinem begrenzten
Verstand tatsächlich begreifen könnte: Wollte ich mich dem anver-
trauen? Brauche ich denn einen Gott, der kein Geheimnis trägt, den
ich entschlüsseln und erklären kann? Ich weiß nicht, wie es Ihnen
geht, aber meine Antwort ist: „Nein! Den brauche ich nicht …“.
Darum nehme ich das Geheimnis mit, singe es und danke Gott dafür.
Und bin froh, dass unsere Erde - die ist, wie wir sie gemacht oder
haben werden lassen -, dass unsere Erde nicht ohne Gott bleiben
muss, dass sie ihm nicht gleichgültig geworden ist. Dass er sich seiner
Schöpfung liebevoll verbunden und verpflichtet weiß – und dass er in
der Weihnacht genau das zeigt, sagt und uns ausrichten lässt.
Kein Geheimnis
Das alte Bekenntnis wird im Timotheusbrief zitiert, weil den Christen
damals gesagt werden soll: für die geheimnisvolle Wahrheit, dass
Himmel und Erde in Christus verbunden und dass wir Menschen nicht
ohne Gott sind – für diese geheimnisvolle Wahrheit sollt ihr Christen
ein sichtbares Zeichen sein in der Welt. Ihr seid der Ort, an dem diese
Wahrheit gegenwärtig ist.
Die Gabe Gottes ist also zugleich unsere Aufgabe. Und Befähigung:
Weil eure Welt – geheimnisvoll und doch wahr – nicht ohne Gott ist,
darum könnt ihr „sichtbares Zeichen der Wahrheit Gottes in der Welt
[…] sein“ (J. Roloff, S. 210).
Mit anderen Worten: Gott kommt in die Welt – und er ist in und
durch seine Gemeinde, ist durch uns Christen in der Welt sichtbar
gegenwärtig. „Gott kommt zur Welt, darum wenden wir uns der Welt
zu“ (Zitat Dekan Dr. Jürgen Mohr, 18.12.2013).
Kein Zweifel – und kein Geheimnis: Wir Christen haben vor Gott
Verantwortung! Und zwar nicht nur für uns selber, sondern für die
Welt, dafür, dass der „Friede auf Erden“, den die Engel in der Heiligen
Nacht ankündigen, wahr werden kann: In unseren Ehen und Familien;
in Schulen, Betrieben, Behörden, Vereinen und Kirchen; in Politik und
Gesellschaft; im Umgang mit Not leidenden Menschen und mit
Flüchtlingen. Wir können – als Einzelne, als Gemeinde und Kirche, als
Gesellschaft - etwas beitragen dazu, dass Menschen, dass Gesell-
schaften und Staaten „zu Frieden“ finden. Es beginnt damit, dass wir
in dieser Heiligen Nacht spüren und erkennen: Gott kommt zur Welt
als ganzer, er kommt zu uns allen und nicht nur zu Einzelnen.
Glanz
Am Ende unseres Predigttextes steht „Herrlichkeit“ – so übersetzt
Luther ein Wort, das im Griechischen „Glanz“ bedeutet. In der Zeit,
bevor alle Häuser elektrifiziert waren, haben die Menschen unterm
Christbaum den Glanz der Weihnacht besser gesehen: Wo sonst
meist nur eine Kerze gebrannt und das dunkle Zimmer nur mäßig hell
gemacht hat, leuchteten an Weihnachten viele Kerzen – und es war
heller als je sonst und es lag ein besonderer Glanz auf den Gesichtern
und den Dingen.
Der „Glanz“ Gottes wird an Weihnachten sichtbar. Und es ist an uns,
ihn weiter zu tragen – indem wir einander „zu Frieden“ helfen. Da
kann der Glanz in einem Lächeln aufleuchten, in einer Umarmung
seine Wärme spürbar werden. Das Leben bekommt einen heiligen
Glanz, wo wir einander in schweren Zeiten beistehen. Wo wir – wie
es früher bei Hochzeiten gesagt wurde – darauf achten, „dass eins
den andern mit sich in den Himmel bringe“.
Aber auch, wo wir uns dafür einsetzen, dass unsere Welt, unser Land,
unsre Gesellschaft, unsere Stadt ein Ort ist, an dem die Wahrheit
Gottes sichtbar wird: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Güte – mit
Menschen, die großzügig sind, herzlich, ehrlich, offen. Die
miteinander das Leben teilen und füreinander da sind – gerade für
die Menschen, denen das Leben übel mitspielt.
Auch darin liegt ja ein Geheimnis: Unser Leben bleibt arm, wo wir
alles für uns selber beanspruchen. Und es wird reich, wo wir das mit
anderen teilen, was uns anvertraut ist – Zeit, Liebe, Kraft, Besitz, Geld
… ich kann das heute nur andeuten, und will es darum mit einem
Gedicht zusammen fassen:
„Reichtum der Talente“ (Jacqueline Keune, *1961)
Wir brauchen welche, die ihre Häuser öffnen, die ihre Tische teilen, die ihre Ohren leihen und sich in den Schlaf beten. Wir brauchen welche, die nicht hinnehmen, die nicht wegsehen, die nicht ausweichen und mit Engelsflügeln schlagen. Wir brauchen welche, die sich dem Himmel hinhalten, die sich dem Wind überlassen, die sich der Erde anvertrauen und mit zärtlichen Fingern das Gras kämmen. Wir brauchen welche, die junges Grün säen, die alte Haut streicheln, die heiße Tränen trocknen und ihre Träume hüten. Wir brauchen welche, die Zorn fühlen, die Trauer tragen, die Trost flüstern und die Erde erwärmen.
Dann wird Weihnachten: Darin ist Gott gegenwärtig. Amen.
Lied „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen“ (EG 56,1-5)
Kehrvers Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, / kann unsre Nacht nicht traurig sein!
1. Der immer schon uns nahe war, / stellt sich als Mensch den Menschen dar. / Weil Gott in … (Kehrvers)
2. Bist du der eignen Rätsel müd? / Es kommt, der alles kennt und sieht! / Weil Gott in … (Kehrvers)
3. Er sieht dein Leben unverhüllt, / zeigt dir zugleich dein neues Bild. / Weil Gott in … (Kehrvers)
4. Nimm an des Christus Freundlichkeit, / trag seinen Frieden in die Zeit! / Weil Gott in … (Kehrvers)
5. Schreckt dich der Menschen Widerstand, / bleib ihnen dennoch zugewandt! / Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, / kann unsre Nacht nicht endlos sein!
Fürbittengebet + Vaterunser Gott, der du zu uns kommst: Geh mit uns in diese heilige Nacht. Segne uns - indem wir zur Besinnung auf dein Kommen finden. Segne uns - indem du uns gestaltest nach deinem Bild. Segne uns mit dem Mut, dass wir das Kind in unser Feiern und dann in unseren Alltag hinein nehmen. Segne uns - indem wir in unserem Miteinander deine Nähe und deine Gnade spüren oder wenigstens ahnen. Segne uns - indem wir Vertrauen finden zu dir. Segne alle, die diese Nacht einsam sind - innerlich oder äußerlich. Segne die Menschen in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, die Pflegenden und die Gepflegten. Segne alle, die arbeiten für andere - und segne ihre Familien. Hilf uns, dass wir deiner Gnade auf die Spur kommen - und uns verändern lassen durch das Kind in der Krippe: Hilf uns, dass wir miteinander ein sichtbares Zeichen deiner Wahrheit
werden, dass wir uns der Weit zuwenden und den Menschen, die uns brauchen, die dich brauchen – damit Dein ‚Glanz‘ unsere Welt erhellt, und wir den „Morgenglanz der Ewigkeit“ sehen. Wir beten miteinander .. Lied „Stern über Bethlehem“ (EG 540)
1. Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg, / führ uns zur Krippe hin, zeig, wo sie steht, / leuchte du uns voran, bis wir dort sind, / Stern über Bethlehem, führ uns zum Kind!
2. Stern über Bethlehem, nun bleibst du stehn / und lässt uns alle das Wunder hier sehn, / das da geschehen, was niemand gedacht, / Stern über Bethlehem, in dieser Nacht. 3. Stern über Bethlehem, wir sind am Ziel, / denn dieser arme Stall birgt doch so viel. / Du hast uns hergeführt, wir danken dir, / Stern über Bethlehem, wir bleiben hier!
4. Stern über Bethlehem, kehrn wir zurück, / steht noch dein heller Schein in unserm Blick, / und was uns froh gemacht, teilen wir aus, / Stern über Bethlehem, schein auch zu Haus!
Segen Lied „O du fröhliche“ (EG 44) 1. O du fröhliche, o du selige, / gnadenbringende Weihnachtszeit! / Welt ging verloren, Christ ist geboren: / Freue, freue dich, o Christenheit! 2. O du fröhliche, o du selige, / gnadenbringende Weihnachtszeit! / Christ ist erschienen, uns zu versühnen: / Freue, freue dich, o Christenheit! 3. O du fröhliche, o du selige, / gnadenbringende Weihnachtszeit! / Himmlische Heere jauchzen dir Ehre: / Freue, freue dich, o Christenheit!
Nachspiel