d-plan 135 215 cs55.indd 1 19.09.2011 07:51:14 · (opasc how ski 1985, s. 4 ff.): die schaff er...

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Für meine Enkeltochter NOVA (geb. am 31. August 2011)und alle Nachgeborenen

An die Nachgeborenen

»Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! (…) Ihr aber, wenn es so weit sein wird Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist Gedenkt unserer Mit Nachsicht.«Bertolt Brecht (1889–1956)

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Horst W.opascHoWski

DErDEUtscHLaNDpLaNWas iN poLitik UND gEsELLscHaft

gEtaN WErDEN mUss

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Bi blio gra fi sche In for ma ti on der Deut schen Na ti o nal bib li o thekDie Deut sche Na ti o nal bib li o thek ver zeich net die se Pub li ka ti onin der Deut schen Na ti on albi blio gra fie; de tail lier te bi blio gra fi scheDaten sind im In ter net über http://dnb.d-nb.de ab ruf ar.

1. Auf a geCo py right © 2011 by Gü ter slo her Ver lags haus, Gü ters loh,in der Ver lags grup pe Ran dom House GmbH, Mün chenDie ses Werk ein schließ lich al ler sei ner Tei le ist ur he ber recht lich ge schützt. Jede Ver-wer tung au ßer halb der en gen Gren zen des Ur he ber rechts ge set zes ist ohne Zu stim-mung des Ver la ges un zu läs sig und straf ar. Das gilt ins be son de re für Ver viel fäl ti gun-gen, Über set zun gen, Mik ro ver fil mun gen und die Ein spei che rung und Ver ar bei tung in elekt ro ni schen Sys te men.Um schlag mo tiv: © OHR AU GE – Fo to lia.comDruck und Ein band: GGP Me dia GmbH, Pöß neckPrin ted in Germ anyISBN 978-3-579-06671-4www.gtvh.de

Ver lags grup pe Ran dom House FSC-DEU-0100Das für die ses Buch ver wen dete FSC®-zer tifi zier te Pa pier Mun ken Premium Cream lie fert Arc tic Pa per Mun ked als AB, Schwe den.

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inhalt

Vor wort ................................................................................................ 9 »Die Din ge vom Ende her den ken …«

Deutsch land braucht Vi si o nen ........................................................... 9

A. Was pas siert, wenn nichts pas siert ............................................ 13 Die Ri si ko A na ly se ............................................................................... 13

I. Die Post in dust ri a li sie rung ................................................................ 151. Ar bei ten ohne Si cher hei ten

Be fris te te Jobs im Nied rig lohn be reich .............................................. 152. Nie mehr Fei er abend – Ar beits le ben im Dau er stress ...................... 193. Eine Welt des Man gels droht

Be völ ke rungs ex plo si on und Mig ra ti on ............................................. 264. Das Le ben ge rät aus dem Gleich ge wicht

Prob le me des Über gangs..................................................................... 295. Kri sen wer den Nor ma li tät

Le ben mit Un ter gangs-Sze na ri en ....................................................... 31

II. Die Prek ari sie rung ............................................................................. 351. Sich des Wohl stands nicht mehr si cher sein

Angst vor dem Ab stieg ........................................................................ 352. Wohl stands ver lus te für die nächs te Ge ne ra ti on

Ende ei ner Il lu si on .............................................................................. 373. Sin ken de Le bens qua li tät – Der So zi al staat kippt .............................. 394. Das Null-Sze na rio

Zwi schen Null-Wachs tum und Null-Fort schritt .............................. 445. Eine Ket te ohne Ende

Der größ te Schul den berg der Nach kriegs ge schich te ....................... 46

III. Die Bra sili ani sie rung ......................................................................... 511. Kras se Klas sen ge sell schaft

Die Kluft zwi schen Arm und Reich wird im mer grö ßer ................. 512. Ge fähr dung des so zi a len Frie dens

Kri mi na li tät und so zi a le Kon fik te .................................................... 533. Am Le ben vor bei

Ar muts kar ri e ren und pri va te Schul den fal len ................................... 574. Schwarz ar beit im Auf wind – Die Ne ben er werbs quel le ................... 615. Die Schat ten wirt schaft blüht – Ein Mas sen ge schäft ......................... 64

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IV. Die Post de mo kra ti sie rung ................................................................ 681. Zwi schen Bür ger wut und Bür ger mut

Die Fol gen des de mo kra ti schen Wan dels .......................................... 682. So frei und so un ge recht wie nie

Die welt wei te Ver trau ens kri se ............................................................ 693. Bür ger glau ben Po li ti kern nicht mehr

Po li ti ker ver dros sen heit brei tet sich aus ............................................. 714. Mehr Macht ha ber als Wohl tä ter

Jung wäh ler wer den Wahl ver wei ge rer ................................................ 745. Po li ti ker ohne Zu kunfts vi si o nen

Par tei en ver lie ren ihre Ba sis ............................................................... 77

V. Die Cyb eri sie rung .............................................................................. 801. Stän dig un ter Strom

Der ge scannte Mensch ........................................................................ 802. Ein bruch in die Pri vats phä re

Wehr los ge gen Daten dieb stahl ........................................................... 833. Kol lek ti ve Aus spä hung

Le ben mit Vi deo ka me ras .................................................................... 914. Je der Vier te denkt an »In ter net aus stieg«

Per sön li che Re ak ti o nen auf die In ter net kri mi na li tät ....................... 935. Die »Comp uni kat i on« kommt

Mehr vir tu el le als ech te Freun de ........................................................ 100

B. Was ge tan wer den muss ................................................................ 111 Der Deutsch land Plan .......................................................................... 111

I. Ar beits A gen da .................................................................................... 1151. Frau en in Füh rungs po si ti o nen ........................................................... 1152. Die Wirt schaft braucht äl te re Ar beit neh mer .................................... 1173. Aus weg aus der Ren ten fal le

Frei wil lig län ger ar bei ten .................................................................... 119

II. Ge sund heits A gen da ........................................................................... 1221. The ra pi en von Volks krank hei ten ....................................................... 1222. Ver hin de rung von Epi de mi en ............................................................ 1233. Mehr Pfe ge diens te als Pfe ge hei me .................................................... 124

III. Wohn A gen da ...................................................................................... 1281. Ser vice woh nen wich ti ger als be treu tes Woh nen .............................. 1282. Ge ne ra ti o nen häu ser im Trend ........................................................... 1293. Schutz vor Ein brü chen ....................................................................... 130

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IV. Um welt A gen da ................................................................................... 1321. Ge brau chen statt Ver brau chen .......................................................... 1322. Strom er zeu gung durch Müll ver bren nung......................................... 1333. Steu er gut schei ne als An reiz für E-Mo bi le ......................................... 134

V. E ner gie A gen da ................................................................................... 1361. Ruf nach Nied rig-E ner gie häu sern ..................................................... 1382. Wind- und So lar e ner gie ..................................................................... 1393. Vom Was ser bis zur Ge other mie

Su che nach neu en Ener gie quel len ..................................................... 140

VI. Me di en A gen da .................................................................................... 1411. Neue Si che rungs sys te me ge gen Daten dieb stahl .............................. 1412. Schutz der Pri vats phä re ...................................................................... 1423. Ver hin de rung von Cy ber ter ro ris mus ................................................ 145

VII. Bil dungs A gen da ................................................................................. 1471. For de rung nach bun des ein heit li chem Bil dungs sys tem .................. 1472. Ganz tags schu len als Re gel schu len .................................................... 1493. So zi a le Pro jek te in der Schu le ............................................................ 150

VIII. So zi al A gen da ...................................................................................... 1521. För de rung der Ge ne ra ti o nen be zie hun gen ......................................... 1522. Steu er er leich te run gen für so zi a le En ga ge ments ................................ 1533. Hel fer bör sen in Wohn quar tie ren ........................................................ 155

IX. Staats/Po li tik A gen da ......................................................................... 1581. Volks ent schei de und po li ti sche Mit be stim mung ............................. 1582. Bes se re In for ma ti on und Vor sor ge .................................................... 1593. Ver hin de rung von Al ters ar mut ......................................................... 1604. Kein Wachs tum auf Pump .................................................................. 1625. Schul den ab bau statt Steu er sen kung .................................................. 1636. Kei ne neu en Kre di te ........................................................................... 164

X. Ge sell schafts A gen da .......................................................................... 1661. Zu kunfts hoff nung – Le ben in der Fort schritts ge sell schaft ............ 1662. Wann, wenn nicht jetzt – Die nächs te Ge ne ra ti on war tet nicht ..... 1693. Wohl er ge hen für alle – Das neue Leit bild ........................................ 1724. Car pe diem! – Le bens sti le der Zu kunft ............................................. 178

C. Was sich än dert, wenn wir uns än dern Die Zu kunfts Pers pek ti ve .................................................................... 181

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I. Wirt schaft braucht Wer te Die Pro duk ti vi tät des So zi a len .......................................................... 183

II. Vom Kon flikt zum Kon zept Um welt po li tik vor neu en Auf ga ben .................................................. 188

III. Hil fe – Macht – Sinn Er mu ti gung statt Ent mün di gung ...................................................... 195

1. Deutsch land ge hen die Eh ren amt li chen aus Frei wil li ge wol len Aus zeich nung statt Aus beu tung ......................... 195

2. Gut für das Ge mein wohl Die Zu kunft ge hört ei nem neu en Hel fer ty pus ................................. 198

3. Zeit spen den und Punk te kon ten En ga ge ment zwi schen Ge ben und Neh men .................................... 205

IV. Vom Ma cher zum Er mög li cher Ak ti vie ren de Kom mu nal po li tik als Da seins vor sor ge ...................... 213

V. Das so zi a le Netz der Zu kunft Ge ne ra ti o nen be zie hun gen und Ge ne ra ti o nen po li tik ...................... 218

1. Ende des In di vi du a lis mus Un ter wegs zum Zeit al ter des ge mein sa men Le bens ........................ 218

2. Die Zu kunft der Fa mi lie Eine mul ti lo ka le Ge ne ra ti o nen be zie hung ......................................... 220

VI. Von der An spruchs- zur Mit mach ge sell schaft Die Ge mein schaft auf Ge gen sei tig keit .............................................. 233

VII. Deut sche wer den zu kunfts hung rig Je der Zwei te for dert Ge ne ra ti o nen ge rech tig keit .............................. 239

D. Anhang .............................................................................................. 245

I. Grund la gen li te ra tur .......................................................................... 247

II. Me tho de und em pi ri sche Ba sis der Re prä sen ta tiv stu die ............ 256

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Vor wort 9

Vor wort

»Wir le ben in ei ner Zeit, in der wir uns im We sent li chen mit der Rück schau be schäf i gen. Des halb wün sche ich mir, dass wir die Zu kunf als ei nen Raum von Mög lich kei ten ver ste hen. Zu kunf be zieht sich üb ri gens auf die nächs ten drei Mo na te …«An ge la Mer kel, Bun des kanz le rin, auf der Zu kunfts kon fe renz am 18. Mai 2009 in Ber lin

»Die Din ge vom Ende her den ken …« Deutsch land braucht Vi si o nen

Der Au tor hat te ein mal ei nen po li ti schen Traum – vor ei nem Vier-tel jahr hun dert: »Die Ma cher ge hen, die Ins pi ra to ren kom men …« (Opasc how ski 1985, S. 4 ff.): Die Schaff er nach dem Krieg und die Ma-cher in wirt schaft li chen Wohl stands zei ten soll ten durch Vi si o nä re, von de nen ein po si ti ver Ba zil lus aus geht, er setzt wer den, um die He raus for-de run gen der Zu kunft meis tern zu kön nen. Und jede po li ti sche Grup-pie rung müss te ein In te res se da ran ha ben, sich als mo der ne Zu kunfts-par tei zu prä sen tie ren.

Ganz an ders ist es ge kom men. Wir lei den un ter ei ner Ta ges po li tik »auf Zu ruf«, müs sen mit kurz le bi gen Ent schei dun gen le ben und seh nen uns nach ver läss li chen Vi si o nen, die es nicht gibt. Wir wer den in na-her Zu kunft si cher ir gend wie lan den, aber nicht wis sen wo. Die po li-ti schen Ak teu re ver mit teln den Ein druck: »Wir wis sen auch nicht, wo wir hin wol len. Wir wer den aber auf je den Fall als Ers te da sein …« Um es deutlich zu sagen: In ge ni eu re kön nen Imag ina teu re nicht er set zen. Von dem Phi lo so phen und So zi al psy cho lo gen Erich Fromm (1900–1980) ist uns das Wort über lie fert: »Wenn das Le ben kei ne Vi si on hat, nach der man strebt, nach der man sich sehnt, die man ver wirk li chen möch te, dann gibt es auch kein Mo tiv, sich an zu stren gen.« Da ste hen wir heu te: Deutsch land braucht Vi si o nen.

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Die Din ge vom Ende her den ken – und dann han deln! Die ser Satz wird der Phy si ke rin An ge la Mer kel zu ge schrie ben, die zu gleich Po li-ti ke rin ist. Doch in der Po li tik stößt die ses phy si ka li sche Den ken im-mer öft er an sei ne Mach bar keits gren zen. Die Vor aus schau reicht mit-un ter nur für ei nen Zeit raum von drei Mo na ten. Dann ist Um den ken und manch mal auch Um keh ren ge for dert. Und die Bür ger müs sen zur Kennt nis neh men, was ge ra de noch geht – ob wohl sie ei gent lich wis sen wol len, wo hin es geht. In der Be völ ke rung ent steht der Ein druck ei ner Po li tik des Ab war tens und Re a gie rens – von Kri se zu Kri se. Die ak-tuelle Kri se wird be wäl tigt und die nächs te Kri se er war tet.

Es gibt bis her kei ne weit sich ti ge Vi si on für die Zu kunft Deutsch lands. Die Po li tik weiß um die se Schwä che. Auf die Fra ge in der Bun des pres-se kon fe renz, was sie an Hel mut Schmidt am meis ten schät ze, ant wor-te te An ge la Mer kel: »Die Fä hig keit, zwan zig Jah re vor aus zu den ken.« Schmidt ist ei ner der Ers ten ge we sen, der die Fol gen der Glo bali sie-rung früh zei tig er kannt hat te. Wer Zu kunft mensch lich ge stal ten will, muss Vorsorge mit Vor aus schau ver bin den. An dern falls wird die Zu-kunft kom men der Ge ne ra ti o nen aufs Spiel ge setzt.

• Was pas siert, wenn nichts pas siert – wenn wir die Ent wick lung so wei ter lau fen las sen, wie sie läuft, wenn wir die Rich tung nicht än-dern oder ge gen steu ern? Dies wird ein dring lich und an schau lich im ers ten Teil des Bu ches be schrie ben. Das ist die ne ga ti ve Bot-schaft in Form von Ri si ko a na ly sen und Kri sen sze na ri en.

• Was in Po li tik und Ge sell schaf ge tan wer den muss – da mit Deutsch-land eine le bens wer te Zu kunft vor sich hat. Das ist die po si ti ve Aus-sa ge im zwei ten Teil des Bu ches. Denn: Es kann nicht so wei ter ge-hen wie bis her. Die Zeit ist reif für den Deutsch land Plan, für ei nen Pri o ri tä ten ka ta log po li ti schen Han delns von der Wei chen stel lung bis zum Kurs wech sel.

• Was sich än dert, wenn wir uns än dern – zeigt der drit te Teil des Bu-ches auf. Es ist die Zu kunfts Pers pek ti ve mit dem konk re ten Hin-weis: So wol len wir mor gen le ben!

Die Chi ne sen ken nen für Kri se und Chan ce nur ein Schrift zei chen. Und im Grie chi schen hat Kri se die Be deu tung von »Wen dung«, weist

10 Vorwort

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also po si tiv auf den Be ginn von et was Neu em und Er neu er ba rem hin. Die öko no mi sche, tech no lo gi sche und so zi a le Ent wick lung in Deutsch-land hat ei nen Wen de punkt er reicht. Der fol gen de Deutsch land Plan be schreibt den neu en An fang für In ter ven ti o nen von heu te und In-ves ti ti o nen für mor gen. Mar kiert wer den Rich tungs än de run gen und Kehrt wen den von der Ener gie- bis zur Schul den wen de.

Schon vor zwei Jahr zehn ten hat te der Au tor vo raus den ken de Ver ant­wor tung in Po li tik und Ge sell schaf an ge mahnt, wenn die Zu kunft nicht ver spielt oder ver schla fen wer den soll: »Es reicht wohl nicht aus, wenn wir der Ge ne ra ti on nach dem Jahr 2000 ver kün den: Das ha ben wir al-les schon ge wusst! – aber kei ne Ant wort da rauf ge ben kön nen: Wa-rum habt ihr denn nichts da für oder da ge gen ge tan?« (Opasc how ski 1992, S. 3). Der Au tor hält wei ter un be irrt an die sem Grund an lie gen fest – wohl wis send, dass sich man che Ver ant wort li chen in Po li tik, Wirt schaft und Ge sell schaft ge gen die ses Vo raus wis sen sper ren. Der Ein druck ent steht: Ei ni ge wol len gar nicht wis sen, was noch al les auf sie zu kommt …

Un wis sen heit macht blind, wäh rend mit dem Wis sen das Spekt rum der Hand lungs mög lich kei ten wächst und die In no vat i ons- und Zu-kunfts fä hig keit Deutsch lands er hal ten bleibt. Es geht nicht um staat li-chen Ak ti o nis mus. Doch der Deutsch land Plan macht klar: Ohne eine grund le gen de Än de rung der po li ti schen Pri o ri tä ten wer den die Pro-ble me der Zu kunft nicht zu lö sen sein.

Horst W. Opasc how ski

Vor wort 11

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a. Was pas siert, wenn nichts pas siert

Die Ri si ko A na ly se

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Die post in dust ri a li sie rung 15

i. Die post in dust ri a li sie rung

1. Ar bei ten ohne Si cher hei ten Be fris te te Jobs im Nied rig lohn be reich

Als Al dous Hux ley 1931 sei nen Zu kunfts ro man »Bra ve New World« schrieb, war er da von über zeugt, dass wir bis zum 6. oder 7. Jahr hun-dert »nach Ford« noch viel Zeit hät ten: Von der stän di gen Ab len kung durch Un ter hal tungs an ge bo te des Sports und der Mu si cals über die Ve rabr ei chung ei ner phar ma ko lo gisch her vor ge ru fe nen Glück se lig-keit bis zur Ab schaff ung der Fa mi lie reich te der Span nungs bo gen sei-nes eben so phan ta sie vol len wie zy ni schen Bil des ei ner neu en Ge sell-schaft. Doch schon knapp drei Jahr zehn te spä ter (Hux ley 1959) muss te Hux ley ein ge ste hen: »Die Pro phe zei un gen von 1931 wer den viel frü her wahr, als ich dach te.«

Wei te re Jahr zehn te spä ter wag te der ame ri ka ni sche So zi o lo ge Da ni el Bell eine ers te Vor aus schau in Rich tung Zu kunft (»A Ven ture in So cial Fo-reca sting«). Sei ne Prog no se (Bell 1973) lau te te: Wir wer den in den nächs­ten drei ßig bis fünf zig Jah ren das Auf om men der post in dust ri el len Ge sell­schaf (»The Com ing of Post-In dus tri al Soci ety«) er le ben. In zwi schen wird Bells Kon zept ei ner post in dust ri el len Ge sell schaft zu neh mend Wirk lich keit, wozu ins be son de re der Über gang von der gü ter pro du zie-ren den Wirt schaft zur Dienst leis tungs ge sell schaft ge hört. Bell sag te sei-ner zeit vo raus, dass mit dem Auf om men ei ner neu en Ge sell schaft die Ver tei lung von Reich tum, Macht und Sta tus in fra ge ge stellt wer de.

Der post in dust ri a lis mus (»post-indu stri alism«) ver än dert die so zi al-struk tu ren grund le gend. Die in for ma ti on tritt an die stel le der roh-stof fe in der vor in dust ri el len Zeit und es kommt zu ein schnei den den Än de run gen in der Be rufs struk tur.

In die sem Zeit al ter der Post in dust ri a li sie rung wächst bei den Men-schen die Angst, »den Bil dungs lif zu ver pas sen und da mit von den so-

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16 Die ri si ko a na ly se

zi al pri vi le gier ten Plät zen aus ge schlos sen zu wer den« (S. 303). Eine Dis-kri mi nie rung von Min der hei ten droht und Aus bil dung, Ein kom men und Sta tus wer den zu den zent ra len The men der ge sell schafts po li ti-schen Aus ei nan der set zung auf rü cken. Eine »Neu de fi ni ti on der Gleich-heit« (S. 314) wird zwin gend er for der lich, da mit der Kon kur renz kampf der Ver lie rer und Ge win ner, der Ver sa ger und Er folg rei chen nicht un-barm her zig wird. Die ser Wett be werb ist in vol lem Gan ge. In Deutsch-land und der ge sam ten Welt wächst die Un gleich heit.

Die post in dust ri a li sie rung gleicht ei ner De-in dust ri a li sie rung: Hun dert-tau sen de von in dust rie ar beits plät zen ge hen ver lo ren. in dust rie bra-chen brei ten sich in den städ ten und Bal lungs zent ren aus oder ste hen un ter Denk mal schutz. Und eine re-in dust ri a li sie rung ist nicht in sicht.

Zwi schen Früh in dust ri a li sie rung und Post in dust ri a li sie rung lie gen ge ra de ein mal 120 Jah re. Die ser ge sell schaft li che Pro zess Früh in dus­tria li sie rung/In dust ri a li sie rung/Post in dust ri a li sie rung und sei ne so zia-len Fol gen lässt sich sehr an schau lich und konk ret am Bei spiel der Stadt Duis burg-Ham born auf zei gen. Ham born, ehe mals eine Ab tei, ein Kirch spiel und ein Zu sam men schluss ver schie de ner Bau ern schaf-ten, hat eine Ent wick lung hin ter sich, die dem Auf stieg und Nie der-gang ame ri ka ni scher Gold grä ber städ te gleicht:• Zu Be ginn der Früh in dust ri a li sie rung zähl te die Ge mein de im Jah re

1890 ge ra de ein mal 7983 Ein woh ner. Als sich dann Au gust Thys sen dort nie der ließ und in ame ri ka ni schem Tem po Berg bau und Hüt-ten in dust rie aus dem Bo den stampft e, ex plo dier te die Be völ ke rungs-ent wick lung (1900: 29 875 Ein woh ner – 1904: 52 668).

• In der Hoch pha se der In dust ri a li sie rung war das Re ser vo ir der Ar-beits kräft e in Ham born und den an gren zen den Ge mein den bald er schöpft. Das In dust rie un ter neh men be gann nun mit der sys te-ma ti schen An wer bung von Ar beits kräft en im Aus land (Po len, Sie-ben bür gen, Kro a ti en, Slowe nien, Nie der lan de, Ita li en u. a.). Be reits 1905 war jede vier te Ar beits kraft ein Aus län der (da run ter 17 000 Po len). Zur Sied lungs po li tik des Un ter neh mens ge hör te es, die Be-leg schaft en in un mit tel ba rer Nähe der Ar beits stät ten an zu sie deln – ab zu le sen an der Be völ ke rungs ex plo si on Ham borns (1908: 81 891 – 1911: 102 800 – 1914: 119 347 – 1928: 132 547).

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Die post in dust ri a li sie rung 17

• In den sieb zi ger Jah ren des 20. Jahr hun derts setz te plötz lich die Pha-se der Post in dust ri a li sie rung ein mit der Fol ge von Mas sen ent las-sun gen und Ab wan de rungs wel len: 1975 hat te Ham born nur noch 113 000 Ein woh ner. 2011 er reich te die Ein woh ner zahl gar ei nen Tief stand von 71 000. Eine Berg- und Tal fahrt oh ne glei chen.

Die so zi a len Fol gen blei ben nicht aus: In den sieb zi ger Jah ren hat te das ehe ma li ge In dust rie zent rum Ham born die höchs te Ar beits lo sig keit (ins be son de re Ju gend ar beits lo sig keit) in Deutsch land (vgl. Opasc how-ski 1976, S. 10). Je der drit te bis vier te Ar beits lo se war ein Ju gend li cher ohne Zu kunfts chan cen und -pers pek ti ven. Die Stadt hat te den Post in-dust ri a li sie rungs schub in al ler Här te zu spü ren be kom men.

Der un auf alt sa me tech no lo gisch-struk tu rel le Wan del von der In dus-tri a li sie rung zur Post in dust ri a li sie rung gleicht ei ner erd rut schar ti gen de mo gra fi schen Re vo lu ti on in nicht ein mal 120 Jah ren (1890: 7983 Ein woh ner – 1929: 132 547 – 2011: 71 000). Die Al ters prä si den tin des deut schen Reichs ta ges Clara Zet kin (1857–1933) hat die Ham bor ner Be völ ke rung ein mal »das reifs te Pro le ta ri at der Welt« ge nannt. In der Tat: Nir gend wo wa ren und sind die so zi a len Fol gen der Post in dust ri a li-sie rung so dras tisch spür bar wie in der so ge nann ten Ham borni sie rung. Eine frü he Prog no se (Opasc how ski 1976, S. 31) wird Wirk lich keit: »Dem un auf alt sa men Auf stieg Ham borns vom Dorf zur Groß stadt folgt ver mut lich eine lan ge Pe ri o de so zi a len Siech tums.«

Die post in dust ri a li sie rung ent lässt ihre kin der – in schlech ter be zahl-te ser vice jobs. Über acht zig pro zent der Be völ ke rung in den west li-chen EU-Län dern ar bei ten heu te nicht mehr in in dust rie und Land-wirt schaft. Vie le sind als so ge nann te nied rig pro duk ti ve ar beit neh mer be schäf tigt. Wäh rend die in dust rie ar bei ter tra di ti o nell durch ta rif-ver trä ge gut ab ge si chert sind, do mi nie ren im neu en Dienst leis tungs-sek tor Nied rig lohn jobs mit nur we nig si cher heit.

Deutsch land im 21. Jahr hun dert: Auf schwung. Wachs tum. Re kord be-schäft i gung. So sieht auf den ers ten Blick die Zu kunft der Wirt schafts- und Ar beits welt aus. Auf den zwei ten Blick ist fest stell bar: wach sen de Schul den ber ge im öff ent li chen und pri va ten Be reich. Im mer mehr Be-

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18 Die ri si ko a na ly se

schäft ig te ha ben zwei Jobs, nicht nur An- und Un ge lern te, auch Land-wir te, Fri seu re und Fach kräft e im So zi al be reich, Künst ler, Wis sen-schaft ler und Ju ris ten.

In der sich ver än dern den Wirt schaft er in nern man che Nied rig löh ne an Hun ger löh ne frü he rer Zei ten (vgl. Gid dens 2007, S. 26). Die Ein kom-mens kluft zwi schen ein zel nen Be schäft ig ten wird grö ßer. Und die Ver-lie rer die ser Ent wick lung sind die Ge ring ver die ner und Nied rig löh ner. Da für spricht auch, dass nur mehr knapp ein Drit tel der Be völ ke rung (27 Mio) ei ner so zi al ver si che rungs pfich ti gen Be schäft i gung nach geht.

AR bEi tEn ohnE Si chER hEi tEnDie Postindustrialisierung und ihre Fol gen

Von je 100 Be frag ten nen nen als Zu kunfts prob lem:»Die In dust rie ge sell schaft wan delt sich zur Dienst leis tungs ge sell schaft mit be fris te ten Jobs im Nied rig lohn be reich und schlech te ren be ruf i­chen Ab si che run gen.«

Ge samt be völ ke rung 46 14- bis 34-Jäh ri ge 40frau en 45 35- bis 54-Jäh ri ge 52män ner 47 55-Jäh ri ge und äl ter 45

Der Wan del von der In dust rie- zur Dienst leis tungs ge sell schaft ist fol-gen reich: Be fris te te Jobs, Zweit jobs und Ar bei ten ohne Si cher hei ten brei ten sich aus. Fast je der zwei te Bun des bür ger (46 %) und 51 Pro zent der Be rufs tä ti gen be fürch ten für die Zu kunft das Ende des Nor mal­arbeits ver hält nis ses: Aty pi sche Be schäf i gungs ver hält nis se wer den im­mer ty pi scher. Mi ni jobs und Leih ar bei ten, Zeit- und Teil zeit ar bei ten, be fris te te und ge ring fü gig Be schäft ig te wei sen zwei stel li ge Zu wachs-ra ten auf (z. B. 2010: +32,5 % im Ver gleich zum Vor jahr/Sta tis ti sches Bun des amt 2011).

»Deutsch land, wann ist Fei er abend?« Mit die ser Fra ge lei te te der Au tor 1994 eine Pro blem stu die ein, in der die Wohl stands ent wick lung der letz ten drei ßig Jah re kri tisch hin ter fragt wur de. Mit dem Über gang

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von der In dust rie- zur post in dust ri el len Ge sell schaft wür de – so die ei ge ne Prog no se – der »So zi al- und Wohl fahrts staat an sei ne Gren-zen sto ßen.« In den Groß städ ten und Bal lungs zent ren brei te sich eine »Neue Ar mut« aus. Zwi schen »Wohl stands fal le« und »Wohl stands il lu-si on« hin- und her ge ris sen ste he dann die So zi al­ und Um welt ver träg­lich keit der Wohl stands ent wick lung auf dem Spiel: »Ver lie ren Staat und Ge sell schaft ihre so zi a le Kont rol le?« (Opasc how ski 1994, S. 16). Tief grei fen de Ver än de run gen im So zi al- und Wer te sys tem der Ge sell schaft sei en zu er war ten – wenn nicht ge han delt wer de.

Jetzt ist es so weit. Die Post in dust ri a li sie rungs pha se ver schärft die Min-dest lohn-De bat te in Deutsch land. Ab wann ist ein Nied rig lohn sit-ten wid rig: Wenn ein Hartz-IV-Emp fän ger fast ge nau so viel er hält wie ein Er werbs tä ti ger? Im Dienst leis tungs be reich (z. B. Post diens te, Be wa-chungs diens te, Ein zel han del) be steht die Ge fahr, dass die Löh ne ten-den zi ell ab ge senkt wer den, wenn es nicht zur Fest le gung von So ckel­ein kom men oder Lohn un ter gren zen kommt.

2. nie mehr Fei er abend ar beits le ben im Dau er stress

Vor über ein hun dert Jah ren kam es in den nord öst li chen Bun des staa-ten Bra si li ens un ter Füh rung des Wan der pre di gers Ibiap ina zu ei nem Bau ern auf stand ge gen das De zi mal sys tem. Die Bau ern über fie len Ge-schäft e und La ger räu me und zer schlu gen die neu en Ki lo ge wich te und Me ter ma ße, wel che die Mo nar chie ein ge führt hat te, um das bra si li a-ni sche Sys tem an die üb ri ge Welt an zu schlie ßen und den welt wei ten Han del zu er leich tern. Der Auf stand der so ge nann ten Ki lo bre cher ge-gen die Glo bali sie rung schei ter te kläg lich. Das Rad der Zeit war ein-fach nicht mehr auf zu hal ten.

Die heu ti gen »Ki lo bre cher« hei ßen Glo bali sie rungs kri ti ker oder -geg-ner. Ih nen geht es al ler dings we ni ger um den Wi der stand ge gen ge sell-schaft li che Neu e run gen, als viel mehr um die Fra ge nach der so zi a len Ge rech tig keit, viel leicht auch um die Uto pie ei ner ge rech ten und so li-da ri schen Ge sell schaft. Die Angst wächst, dass sich durch die Glo bali-sie rung die Sche re zwi schen Arm und Reich in der Welt wei ter öff net.

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20 Die ri si ko a na ly se

Die Al ter na ti ve für vie le Län der lau te te bis her nur: An pas sung an die west li che Welt oder Aus gren zung. An pas sung aber konn te Selbst ver-leug nung mit teil wei se er nied ri gen den Ne ben wir kun gen be deu ten. So sprie ßen bei spiels wei se die Call-Cen ter in In di en wie Pil ze aus dem Bo-den. Da sit zen dann in di sche Frau en, de nen ein ame ri ka ni scher Ak-zent an trai niert wird. »Am Te le fon müs sen sie sich Susi und Jen ny nen-nen und so tun, als sä ßen sie ir gend wo in Ame ri ka« (Roy 2001, S. 32).

Nicht die glo bali sie rung ist und wird ein pro blem, son dern der grad der Un gleich heit und die sub jek tiv wahr ge nom me ne un ge rech te Ver-tei lung der fol gen der glo bali sie rung zwi schen ge win nern und Ver-lie rern. Die Bür ger ha ben Zwei fel, ob die Ver tei lung so zi al ge recht und fair ist.

Glo bali sie rung ist ein Schlüs sel wort des 21. Jahr hun derts ge wor den und löst bei den Men schen höchst wi der sprüch li che Ge füh le aus: Ein Drit tel der Eu ro pä er sieht sich als Ge win ner (33 %), ja emp fin det die Glo bali sie rung ge ra de zu als Be frei ung von all zu en gen und längst über-hol ten Gren zen. Je der fünft e Eu ro pä er schätzt sich da ge gen als Ver lie-rer (21 %) ein.

In ei nem sind sich Eu ro pä er ei nig: Der Pro zess der Glo bali sie rung kann nicht mehr zu rück ge dreht wer den (Opasc how ski/Rein hardt 2008). In-ner halb der ein zel nen eu ro pä i schen Staa ten sind die Aus wir kun gen der Glo bali sie rung höchst un ter schied lich spür bar: Je der zwei te Fin ne (51 %) zählt sich zu den Ge win nern. Ähn lich po si tiv bli cken die Schwei-zer (43 %), Bel gi er (43 %) und Bri ten (39 %) in die Zu kunft. An ders sieht es da ge gen bei den Deut schen und den Un garn aus (je weils nur 19 %).

Glo bal Player und Glo bal Figh ter ste hen sich der zeit fast un ver söhn-lich ge gen über: Die ei nen prei sen den welt wei ten frei en Han del, mehr Wohl stand und Reich tum. Die an de ren kri ti sie ren, dass durch die Glo-bali sie rung die Kluft zwi schen den Rei chen und den Ar men der Welt noch grö ßer ge wor den sei. Ein Fünft el der Welt be völ ke rung be sitzt fast 80-mal mehr Ka pi tal als der Rest der Welt. Vor fünf zig Jah ren war das Ver hält nis noch 30:1. Die UNO muss da her fest stel len, dass der größ-te Teil der Mensch heit in Ar mut lebt und un zu rei chend er nährt ist.

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Der pro zess der glo bali sie rung hat die west li che Welt un ver gleich-lich wohl ha ben der ge macht und gleich zei tig vie le Län der in der Drit-ten Welt in noch grö ße re ar mut ge stürzt. Es sind der ge gen satz von Wohl stand und Elend so wie die wach sen de Un gleich heit in der Welt, die den glo ba len pro test aus ge löst ha ben.

Man muss also zu Recht fra gen: »Ist die se Ver tei lung fair oder we nigs­tens ak zep ta bel und nicht nur, ob alle Par tei en ir gend ei nen Ge winn aus der Ko o pe ra ti on zie hen« (Sen 2001, S. 9). Es ist die Un gleich ge wich-tig keit der Ge winn- und Wohl stands ver tei lung, die welt wei te Fol gen hat: Denn mit mehr wirt schaft li cher Macht geht auch mehr po li ti sche und so zi a le Macht ein her.

Der Tur bo ka pi ta lis mus wan delt sich zum Glo bal ka pi ta lis mus, in dem Glo bal Player mehr Macht und Ein fuss be kom men als na ti o na le Volks wirt schaft en. Wenn z. B. die Um sät ze von Ge ne ral Mo tors hö her sind als das ge sam te Brut to so zi al pro dukt von Dä ne mark – dann wird deut lich, wie schnell die wirt schaft li che Macht der ei nen die po li ti sche Ohn macht der an de ren nach sich zieht.

In Zu kunft kann eine wei te re ext rem un glei che Ver tei lung der Wohl-fahrts ge win ne zu ei ner »Be dro hung der po li ti schen und so zi a len Sta bi li­tät in ei ni gen Schwel len- und Ent wick lungs län dern füh ren. Schon ein zeit wei li ges Kon junk tur tief welt weit kann die Ver schul dung oder gar Zah lungs un fä hig keit ein zel ner Län der zur Fol ge ha ben« – so die Prog-no se des Au tors aus dem Jahr 2002 (Opasc how ski 2002, S. 50), die Wirk lich keit wur de (vgl. Grie chen land, Is land u. a.).

Im Kern sind die Glo bali sie rungs kri ti ker nicht ge gen Ka pi ta lis mus und frei en Welt han del ein ge stellt. Eher ist es die »Wut über die ei ge­ne Macht lo sig keit, das Ge fühl, von be deu ten den po li ti schen Ent schei-dun gen aus ge schlos sen zu sein und Po li tik und Wirt schaft nicht mehr kont rol lie ren zu kön nen« (Opasc how ski 2002, S. 51). Die »Wut bür ger« (Wort des Jah res 2010) wäh rend der Stutt gart-21-De mons t ra ti o nen wa ren die un aus weich li che Fol ge. Über neue For men der Bür ger betei-li gung muss nach ge dacht wer den, um eine glaub wür di ge Zu kunfs­vision von Wohl stand und Frei heit zu bie ten.

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»Mit Aus nah me der Atom bom be ist der Ka pi ta lis mus die er folg reichs te Er fin dung der Mensch heit« (Lut twak 1999, S. 11). Mit die ser pro vo kan-ten The se er öff net der Ame ri ka ner Ed ward Lut twak sei ne Ab hand lung über den »Tur bo-Ka pi ta lis mus« von heu te. Die For mel die ses neu en Ka-pi ta lis mus zur Jahr tau send wen de lau tet: Glo bali sie rung + Pri va ti sie rung + De re gu lie rung = wach sen der Wohl stand. Hin ter die ser For mel ver birgt sich ein rast lo ser eu ro pä i scher Drang zu ent de cken und zu er o bern, der sich auf der gan zen Welt aus brei tet. Tra di ti o nel le Wirt schafts sys te me, ge schlos se ne Wirt schafts krei se oder kom mu nis ti sche Plan wirt schaft en könn ten nur noch in ab ge le ge nen Ge bie ten über le ben oder wür den ein-fach bei sei te ge fegt. An sons ten wer den Pfüt zen, Tei che, Seen und Mee-re dörf i cher, pro vin zi el ler, re gi o na ler und na ti o na ler Märk te zu ei nem ein zi gen Wirt schafts o ze an (= »Glo bali sie rung«) ver ei nigt.

Glo bali sie rung gilt nach wie vor als das am meis ten ge brauch te und miss brauch te, das miss ver ständ lichs te und ne bu lös es te und zu gleich am sel tens ten de fi nier te »Schlag- und Streit-Wort« (Beck 1997, S. 42). Die ei nen mei nen mit Glo bali sie rung die wach sen de In ter na ti o na li-sie rung, an de re ha ben fast aus schließ lich den Ar beits platz-Ab bau bzw. den Ar beits platz-Ex port im Blick.

niE mEhR FEi ER AbEnDDie Postindustrialisierung und ihre Fol gen

Von je 100 Be frag ten nen nen als Zu kunfts prob lem:»Es gibt in Zu kunft im mer we ni ger Voll zeit be schäf tig te und im mer mehr Zweit­ und Ne ben jobs.«

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Na tür lich gibt es für alle ge nug zu tun. Und be schäft i gen kann sich je-der. Nur: »Voll be schäft i gung« in dem Sin ne, dass für alle ge nü gend »be zahl te« Ar beit da ist, von der auch alle sor gen frei le ben kön nen – die se Art von Be schäft i gungs ga ran tie gibt es in Zu kunft nicht mehr.

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Ganz nüch tern di ag nos ti zie ren und prog nos ti zie ren 60 Pro zent der Be völ ke rung und 61 Prozent der Be rufs tä ti gen, dass Voll be schäft i gung kei ne Zu kunft mehr hat: »Es gibt in Zu kunft im mer we ni ger Voll zeit-be schäft ig te und im mer mehr Zweit- und Ne ben jobs.«

Vie le men schen kön nen von ih rem Haupt ver dienst nicht mehr le ben. Etwa eine mil li on Er werbs tä ti ge in Deutsch land be zieht nach an ga-ben der Bun des a gen tur für ar beit zu sätz lich zu ih rem Ein kom men ar-beits lo sen geld ii. Die Dis kus si on um min dest- und kom bi lohn mo del le spitzt sich in Zu kunft wei ter zu.

Der ver brei te te Op ti mis mus von Wirt schafts ver bän den und Ar beits-a gen tu ren täuscht: Die Be schäf i gung wächst, aber die Zahl der Voll­zeit stel len sinkt. Voll be schäft i gung heißt nicht Voll zeit be schäft i gung. Der Trend zur Teil zeit ar beit ist un auf alt sam: Im Jahr 2030 wird je der Zwei te kei ne Voll zeit stel le mehr ha ben (1997: 22 % – 2009: 34 % – 2020: 42 % – 2030: 50 %). Im Ver lauf von vier Jahr zehn ten wird sich der An­teil der Teil zeit be schäf ig ten ver dop peln. Teil zeit be schäft ig te sind aus Un ter neh mens sicht pro duk ti ver und fle xib ler ein setz bar.

Zu gleich ste hen im mer we ni ger Voll zeit er werbs tä ti gen im mer mehr Ne ben job ber und Ge le gen heits ar bei ter ge gen über: »Fre elan cer«, »Prak­ti kan ten« und »Sub un ter neh mer« – ohne fes te An stel lung. Die se neu en Job no ma den sind bil lig, wil lig und prob lem los. Seit dem Jahr 2003 sind ge ring fü gi ge Be schäft i gun gen im Ne ben job für Ar beit neh mer ab ga-ben frei. Das macht die se Zweit jobs als Zu ver dienst so at trak tiv.

Im Zeit al ter der Glo bali sie rung muss auch die Fra ge nach der so zi a­len Ge rech tig keit neu ge stellt wer den. Denn die Sche re zwi schen Arm und Reich öff net sich wei ter. Der fran zö si sche So zi o lo ge André Gorz brach te die ses Pro blem schon vor der Jahr hun dert wen de auf den Punkt: »Die Län der der EU sind in den let zen zwan zig Jah ren um 50 bis 70 Pro zent rei cher ge wor den. Die Wirt schaft ist viel schnel ler ge wach sen als die Be völ ke rung. Trotz dem zählt die EU jetzt zwan-zig Mil li o nen Ar beits lo se, fünf zig Mil li o nen Arme und fünf Mil li o-nen Ob dach lo se. Was ist mit dem zu sätz li chen Reich tum ge sche hen?« (Gorz 1997, S. 35).

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Horst W. Opaschowski

Der Deutschland-PlanWas in Politik und Gesellschaft getan werden muss

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 256 Seiten, 13,5 x 21,5 cmISBN: 978-3-579-06671-4

Gütersloher Verlagshaus

Erscheinungstermin: November 2011

Die Weichenstellung für die nahe Zukunft Deutschlands Die Bürger verlieren zunehmend ihr Vertrauen in die Fähigkeit der Politik. Die Sehnsucht nachVorsorge und Verlässlichkeit wächst.Der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski macht in seinem neuen Buch die problematischenund angstbesetzten Szenarien greifbar: Wenn die Politik weiterhin nur reagiert und die Zukunftverschläft, müssen wir mit Wohlstandsverlust, Datendiebstahl im großen Stil, Altersarmut,Überschuldung, sozialer Kälte und sogar mit dem Kollaps der Sozialsysteme rechnen.Eindringlich warnt der Autor vor den Folgen einer Politik ohne Zukunftsverantwortung.Gleichzeitig entwirft er aber auch einen »Deutschland-Plan« als Weichenstellung für dienahe Zukunft. Seine Dringlichkeitsliste sieht Entschuldung, Maß- und Haushalten, Sicherungsozialer Lebensqualität für alle Lebensalter und die Förderung von Innovation, Forschung undEntwicklung in Zukunftsbranchen und Zukunftstechnologien vor. »Wenn einer darüber Auskunft geben kann, wohin sich die deutsche Gesellschaft in dennächsten Jahren entwickelt, dann dieser moderne Seher.« DIE WELT