daffür berlin - perspektiven für deutsch als fremd- und
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Universitaumltsdrucke GoumlttingenISBN 978-3-86395-412-3eISSN 2566-9281
Universitaumltsdrucke Goumlttingen
101
Band 101Materialien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Unter dem Motto bdquoDaFFuumlr Berlin ndash Perspektiven fuumlr Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Schule Beruf und Wissenschaftldquo fand Ende Maumlrz und Anfang April 2017 die 44 Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Technischen Universitaumlt Berlin statt Kaum eine andere Stadt in Deutschland zeichnet sich durch eine groumlszligere sprachliche Vielfalt aus als Berlin mit seinen rund dreieinhalb Millionen Buumlrgerinnen und Buumlrgern aus vielerlei Laumlndern und Kulturen Das verbindende Glied dieses Ganzen ist die deutsche Sprache denn sie bringt die berufl iche kulturelle und sprachliche Vielfalt der Metropole zusammen Vor diesem Hintergrund war die 44 Jahrestagung des FaDaF an der TU Berlin ein ideales Forum vielfaumlltige Bemuumlhungen im Bereich des Deutschen als einer fremden Sprache vorzustellen und zu diskutieren Die produktive Verbindung von Theorie und Praxis von Wissenschaft und Lehre wurde auf dieser Tagung einmal mehr und in besonderem Maszlige deutlichDer vorliegende Band enthaumllt ausgewaumlhlte Beitraumlge aus der Nachwuchstagung sowie zu den vier Themenschwerpunkten und zwei Praxisforen 1 Lehren und Lernen mit digitalen Medien 2 Sprache in der wissenschaftlichen Lehre 3 Berufsbezogenes Deutsch Deutsch fuumlr den Beruf 4 Deutsch lernen in Vorbereitungsklassen A Unterricht B Beruf und Qualifi zierung
Anna Gryszko Christoph Lammers Kristina Pelikan Thorsten Roelcke (Hg)DaFFuumlr Berlin ndash Perspektiven fuumlr Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Schule Beruf und Wissenschaft44 Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Technischen Universitaumlt Berlin 2017
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Anna Gryszko Christoph Lammers Kristina Pelikan Thorsten Roelcke (Hg)
DaFFuumlr Berlin ndash Perspektiven fuumlr Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Schule Beruf und Wissenschaft
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons
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erschienen als Band 101 in der Reihe bdquoMaterialien Deutsch als Fremd- und Zweitspracheldquo in den Universitaumltsdrucken im Universitaumltsverlag Goumlttingen 2020
Anna Gryszko Christoph Lammers Kristina Pelikan Thorsten Roelcke (Hg)
DaFFuumlr Berlin ndash Perspektiven fuumlr Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Schule Beruf und Wissenschaft
44 Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Technischen Universitaumlt Berlin 2017
Materialien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Band 101
Universitaumltsverlag Goumlttingen 2020
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie detaillierte bibliographische Daten sind im Internet uumlber lthttpdnbdnbde gt abrufbar
Die bdquoMaterialien Deutsch als Fremd- und Zweitspracheldquo sind eine Reihe des Fachverbands Deutsch als Fremd- und Zweitsprache e V (FaDaF) in der Tagungsergebnisse Dissertationen und andere wichtige Einzeldarstellungen aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache veroumlffentlicht werden httpwwwfadafdedepublikationenmat_daf
Reihenherausgeberin Dr Annegret Middeke Schriftleiterin Annett Eichstaedt Wissenschaftlicher Beirat Prof Dr Michael Dobstadt PD Dr Roger Fornoff
Prof Dr Zeynep Kalkavan-Aydın Dieses Buch ist nach einer Schutzfrist auch als freie Onlineversion uumlber die Homepage des Verlags sowie uumlber den Goumlttinger Universitaumltskatalog (GUK) bei der Niedersaumlchsischen Staats- und Universitaumltsbibliothek Goumlttingen (httpswwwsubuni-goettingende) erreichbar Es gelten die Lizenzbestimmungen der Onlineversion Satz und Layout Christoph Lammers Kristina Pelikan Titelabbildung Lichthof mit Nike-Statue im Hauptgebaumlude der Technischen Universitaumlt Berlin (Foto Andreas Kraft) Umschlaggestaltung Jutta Pabst copy 2020 Universitaumltsverlag Goumlttingen httpsuniverlaguni-goettingende ISBN 978-3-86395-412-3 DOI httpsdoiorg1017875gup2019-1171 eISSN 2566-9281
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Anna Gryszko Christoph Lammers Kristina Pelikan amp Thorsten Roelcke (alle Berlin) 1
Die Nachwuchstagung
Tagungsbericht 11
Die Besonderheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts Olga Averina (Berlin) 15
Das Konzept des problemorientierten Lernens in der fachdidaktischen DaF-DaZ-LehrerInnenbildung (KopoLD) Theres Werner (Jena) 33
Themenschwerpunkt 1 Lehren und Lernen mit digitalen Medien
Sektionsbericht 57
Digital gepraumlgt aber auch digital literate Nutzungsverhalten von digitalen Lerntechnologien fuumlr das selbststaumlndige Wortschatzlernen Susanne Krauszlig (Essex) 61
Grundwortschatz Deutsch Empirische Basis datengeleitete Modellierung und Praumlsentation Atsushi Haraguchi (Tokio) Willi Lange (Tokio) Saburo Okamura (Tokio) amp Joachim Scharloth (Dresden) 81
Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz Makiko Hoshii (Tokio) amp Nicole Schumacher (Berlin) 103
II Inhaltsverzeichnis
Themenschwerpunkt 2 Sprache in der wissenschaftlichen Lehre
Sektionsbericht 127
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen zu Formen der Wissensverarbeitung an der Hochschule Ulrike Arras (Bochum) amp Tanja Fohr (Kassel) 131
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre Uumlber die Ausbildung eines mentalen Vorstellungsraums fuumlr die Wissensvermittlung Friederike Hinzmann (Chemnitz) 151
Machtausuumlbung durch einsprachiges Schreiben Zwei Stufen kommunikativer Effizienz Kristina Pelikan (BaselBerlin) amp Thorsten Roelcke (Berlin) 175
Themenschwerpunkt 3 Berufsbezogenes DeutschDeutsch fuumlr den Beruf
Sektionsbericht 193
Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf ndash Erkenntnisse soziokulturell fundierter empirischer Zweitsprachenerwerbsforschung Andrea Daase (Bielefeld) 197
Integriertes Fach- und Sprachlernen (IFSL) als Anforderung an berufliche Weiterbildung Jana Laxczkowiak (Hamburg) 215
Themenschwerpunkt 4 Deutsch lernen in Vorbereitungsklassen
Sektionsbericht 235
Berufsintegrationsklassen Arbeit in interdisziplinaumlren Teams Maria Simml (Muumlnchen) amp Barbara Thiel (Muumlnchen) 237
Inhaltsverzeichnis III
Praxisforum A Unterricht
Sektionsbericht 263
Heterogenitaumlt im Klassenzimmer anders handhaben ndash ein Praxisbeispiel Judith Baszlige (Ettlingen) 265
Formfokussierend inszenieren Dramagrammatisch zu konzessiven Konnektoren Doreen Bryant (Tuumlbingen) 277
Praxisforum B Beruf und Qualifizierung
Sektionsbericht 303
Moumlglichkeiten der DaZ-DaF-Fortbildung ndash Zwei Beispiele aus Goumlttingen und Freiburg Marion Clemens (Goumlttingen) amp Dennis Stroumlmsdoumlrfer (Freiburg) 305
Die freiberufliche Taumltigkeit als DaZ-Lehrkraft als Existenzgrundlage Eine unternehmerische Einschaumltzung Ralf Niediek (Bielefeld) 327
Vorwort
Die 44 Jahrestagung des Fachverbands Deutsch als Fremd- und Zweitsprache fand im Jahr 2017 vom 30 Maumlrz bis zum 1 April an der Technischen Universitaumlt Berlin statt Sie stand dieses Mal unter dem Motto bdquoDaFFuumlr Berlin ndash Perspektiven fuumlr Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Schule Beruf und Wissenschaftldquo Kaum eine andere Stadt in Deutschland zeichnet sich durch eine groumlszligere sprachliche Viel-falt aus als Berlin mit seinen rund dreieinhalb Millionen Buumlrgerinnen und Buumlrgern aus vielerlei Laumlndern und Kulturen Dies houmlrt und liest man uumlberall wenn man sich durch Berlin bewegt ndash sei es auf den Straszligen und Plaumltzen am naumlchsten Kiosk oder in einem der zahlreichen Geschaumlfte in Cafeacutes und Restaurants in den Bussen und Bahnen oder auch auf den Flughaumlfen Das verbindende Glied dieses Ganzen ist die deutsche Sprache denn sie bringt die berufliche kulturelle und sprachliche Vielfalt unserer Stadt zusammen
An der Technischen Universitaumlt Berlin studieren heute uumlber 34000 Studierende darunter uumlber 7000 aus dem Ausland sie beschaumlftigt uumlber 8000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darunter 340 Professorinnen und Professoren an sieben groszligen Fa-kultaumlten Zur Fakultaumlt fuumlr Geistes- und Bildungswissenschaften gehoumlren unter ande-rem 25 Fachgebiete sie ist Heimat von knapp 2400 Studierenden die in uumlber 30 Studiengaumlnge immatrikuliert sind Einer dieser Studiengaumlnge ist unser Masterstudi-engang bdquoDeutsch als Fremd- und Fachspracheldquo dessen Besonderheit in einer star-ken Orientierung an sprachlichen Kenntnissen und kommunikativen Kompetenzen in Wissenschaft und Technik aber auch in anderen beruflichen Bereichen liegt Hier studieren derzeit etwa 150 Personen aus aller Welt die spaumlter in der Wissenschaft oder als Beratende in Institutionen oder Unternehmen oder als DaF-Lehrende taumltig sind
Das Fachgebiet Deutsch als Fremd- und Fachsprache der Technischen Univer-sitaumlt Berlin buumlndelt zahlreiche Interessen in Forschung und Entwicklung die dem
2 Vorwort
Deutschen als Fremd- oder als Fachsprache gewidmet sind Hierzu zaumlhlen unter an-derem die Entwicklung von fachfremdsprachlichen Curricula sowie Lehr- und Lern-materialien in Zusammenarbeit mit der bdquoZentraleinrichtung Moderne Sprachenldquo (ZEMS) der TU Berlin und mit Foumlrderung des bdquoDeutschen Akademischen Aus-tauschdienstsldquo (DAAD) und vielfaumlltige Projekte und Studien zur Theorie und Praxis fachsprachlicher Kommunikation (auch im Rahmen zahlreicher Promotionen) ei-nen besonderen Hinweis verdient hier das gemeinsam mit der Humboldt-Universi-taumlt und der Freien Universitaumlt durchgefuumlhrte Projekt bdquoSprachen ndash Bilden ndash Chan-cenldquo welches soeben abgeschlossen und von der Mercator-Stiftung gefoumlrdert wurde
Die Jahrestagungen des FaDaF zeichnen sich stets durch eine produktive Ver-bindung von Theorie und Praxis von Wissenschaft und Lehre aus sie sind immer wieder eine Plattform fuumlr den Austausch aller die mit Deutsch als fremder Sprache beruflich zu tun haben Dabei spiegelt sich die fachkommunikative Orientierung von Deutsch als Fremdsprache an der Technischen Universitaumlt Berlin letztlich in den diversen thematischen Schwerpunkten der 44 FaDaF-Jahrestagung wider In dem vorliegenden Band sind ausgewaumlhlte Vortraumlge der Nachwuchtagung der vier The-menschwerpunkte und der beiden Praxisforen in uumlberarbeiteter Schriftfassung zu-sammengestellt Die Auswahl und die Redaktion der Beitraumlge gehen jeweils auf die Koordinatorinnen und Koordinatoren dieser einzelnen Sektionen zuruumlck dies gilt auch fuumlr die Sektionsberichte im weiteren Verlauf des Bandes (in welchen auch all diejenigen Vortraumlge gewuumlrdigt werden die hier nicht in schriftlicher Fassung erschei-nen) Leider koumlnnen hier indessen nicht saumlmtliche Beitraumlge abgedruckt werden die jeweils in die Auswahl fielen Der Grund hierfuumlr liegt wiederholt in der zunehmen-den Neigung wissenschaftliche Beitraumlge eher in Fachzeitschriften als in Sammelbaumln-den zu publizieren da dies an vielen Hochschulen zu einem besseren Evaluations-ergebnis beitraumlgt (eine Tendenz die wissenschaftlicher Vielfalt eher abtraumlglich er-scheint) Im Folgenden werden die Nachwuchstagung die Themenschwerpunkte und die Praxisforen sowie deren Beitraumlge (zum Teil unter Ruumlckgriff auf die Calls und Abstracts) kurz vorgestellt
Die Nachwuchstagung
Koordination Anna Gryszko Christoph Lammers Marlene Schierozek amp Katharina Seydel
Neben dem Austausch uumlber neue Erkenntnisse und Errungenschaften der DaF-DaZ-Gemeinde sollte die Nachwuchsfoumlrderung eine der groszligen Zielsetzungen einer jeden Jahrestagung des FaDaF sein Aus diesem Grund hat es sich das Fachgebiet Deutsch als Fremd- und Fachsprache der Technischen Universitaumlt Berlin nicht neh-men lassen dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine Plattform zu bieten und seine Ergebnisse in einer gesonderten Veranstaltung zu praumlsentieren
Vorwort 3
Nach dem Eroumlffnungsvortrag von Olga Averina (Berlin) in dem sie die Beson-derheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts erlaumlutert und damit einen Einblick in diesen wichtigen Forschungsschwerpunkt am Fachgebiet Deutsch als Fremd- und Fachsprache bietet gaben sechs junge Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftler aus Deutschland und dem Ausland die Ergebnisse ihrer Bachelor- Mas-ter und Promotionsarbeiten zum Besten So wurden Themen zu Aussprache-unter-richt Bezeichnungen fuumlr Menschen mit Fluchterfahrung Mehr(heits)sprachlichem Wiederstand in DaZ-Unterricht Satzwiedergabe und Textkompetenz (alphabetische Auswahl) in Kurzpraumlsentationen vorgestellt und im anschlieszligenden Wissenscafeacute mit den Anwesenden diskutiert Exemplarisch fuumlr das Engagement der Referenten und die hohe Qualitaumlt der Beitraumlge ist der Vortrag von Theres Werner (Jena) zum Konzept des problemorientierten Lernens in der DaF-DaZ-LehrerInnenausbildung in die-sen Band aufgenommen worden
Themenschwerpunkt 1 Lehren und Lernen mit digitalen Medien
Koordination Olaf Baumlrenfaumlnger amp Andreas Kraft
Digitale Medien sind aus dem modernen Fremdsprachenunterricht kaum mehr weg-zudenken das Spektrum an spezifischen Anwendungen und Einsatzmoumlglichkeiten erweitert sich mit einer enormen Geschwindigkeit Digitale Medien unterstuumltzen Lehrende beispielsweise bei der Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien oder bei der Darbietung von Audios Videos und Praumlsentationen Lernende koumlnnen ferner in Eigeninitiative interaktive Uumlbungen durchfuumlhren oder mit anderen Lernenden kom-munizieren Elektronische Plattformen wie Moodle erlauben es Lernprozesse zu strukturieren Lernmaterialien zu distribuieren Kommunikation zu strukturieren und die Ergebnisse von Lernprozessen zu evaluieren Zentrale Fragen hierbei sind unter anderem Welche digitalen Formate und Anwendungen versprechen beson-dere Potenziale fuumlr das Lernen von Fremdsprachen Welche empirischen Befunde liegen zur Wirksamkeit und Akzeptanz einzelner digitaler Medien vor Wie lassen sich digitale Medien strategisch in Kurscurricula integrieren und worin besteht der spezifische Mehrwert digitaler Medien Oder In welcher Weise muumlsste die Aus- und Weiterbildung von Lehrenden den spezifischen Anforderungen und Gegebenheiten digitaler Medien Rechnung tragen
Vor diesem Hintergrund beschaumlftigt sich Susanne Krauszlig (Essex) mit der Nutzung von digitalen Lerntechnologien im Rahmen des selbststaumlndigen Erlernens von Wortschatz dabei geht sie zunaumlchst auf das Potential und anschlieszligend (am Beispiel britischer Studierender der Germanistik) auf die tatsaumlchliche Nutzung solcher Tech-nologien ein Mit dem Einsatz von Videokonferenzen beschaumlftigen sich dann Hoshii
4 Vorwort
Makiko (Tokio) und Nicole Schumacher (Berlin) sie analysieren die Interaktion zwi-schen DaF-Lernenden in Tokio und angehenden DaF-Lehrenden in Berlin und in-teressieren sich dabei insbesondere fuumlr Fragen der Verstaumlndnissicherung In dem letzten Beitrag des Themenschwerpunktes praumlsentieren Willi Lange (Tokio) Saburo Okamura (Tokio) und Joachim Scharloth (Dresden) die Datengrundlage und die Be-rechnung eines deutschen Grundwortschatzes sowie ein Konzept zu dessen Praumlsen-tation in Form eines Hypertextes
Themenschwerpunkt 2 Sprache in der wissenschaftlichen Lehre
Koordination Kristina Pelikan Thorsten Roelcke amp Winfried Thielmann
Die Bedeutung die der Sprache im Allgemeinen und einer Fremdsprache im Beson-deren als Medium in der wissenschaftlichen Lehre zukommt ist in den vergangenen Jahren immer staumlrker ins Bewusstsein geruumlckt Dabei stehen bislang uumlberwiegend pragmatische und didaktische Gesichtspunkte im Vordergrund die es kuumlnftig um systematische und theoretische Aspekte zu ergaumlnzen gilt Dabei steht eine ganze Reihe an Fragen im Vordergrund ndash so etwa Welcher Bedarf besteht an der deut-schen Sprache in der wissenschaftlichen Lehre Welche Charakteristika zeigt die deutsche Sprache in der muumlndlichen und der schriftlichen Kommunikation der wis-senschaftlichen Lehre Welche neuen oder bekannten Modelle der Fachsprachendi-daktik lassen sich im Bereich der wissenschaftlichen Lehre implementieren oder adaptieren Und nicht zuletzt auch Welche spezifischen Materialien und Curricula fuumlr eine sprachbezogene oder eine sprachsensible wissenschaftliche Lehre liegen vor
Ulrike Arras (Bochum) und Tanja Fohr (Kassel) heben in ihrem Beitrag zunaumlchst den Stellenwert der Sprachhandlung Mitschreiben im Kontext der Hochschullehre hervor und skizzieren dann einige didaktische und methodische Moumlglichkeiten der Foumlrderung entsprechender Kompetenzen Modalitaumlt ist innerhalb von Fachspra-chenlinguistik und -didaktik ein verhaumlltnismaumlszligig neues Thema Der Aufsatz von Frie-derike Hinzmann (Chemnitz) behandelt dabei den Konjunktiv II in der wissenschaft-lichen Lehre und dessen Beitrag zur Ausbildung eines mentalen Vorstellungsraums fuumlr die Wissensvermittlung Der Machtausuumlbung durch einsprachiges Schreiben widmen sich schlieszliglich Kristina Pelikan (BaselBerlin) und Thorsten Roelcke (Berlin) in ihrem Beitrag werden zwei Stufen kommunikativer Effizienz unterschieden ndash des Wissenstransfers und der Wissensgenese
Vorwort 5
Themenschwerpunkt 3 Berufsbezogenes DeutschDeutsch fuumlr den Beruf
Koordination See-Young Cho Annette Friedland Matthias Jung amp Annegret Middeke
Die Frage was unter bdquoDeutsch fuumlr den Berufldquo genau zu verstehen ist scheint in den deutschsprachigen Laumlndern aktueller denn je Dies gilt insbesondere angesichts des verstaumlrkten Fokus auf die sprachliche Integration am Arbeitsplatz und der intensi-vierten Foumlrderung von Sprachkursen oberhalb der allgemeinsprachlichen B1-Schwelle in den aktuellen Ausschreibungen des BAMF aber auch auszligerhalb des deutschsprachigen Raumes beruht die Motivation Deutsch in den Hochschulen bzw der Erwachsenenbildung allgemein zu lernen fast ausschlieszliglich auf einem er-warteten beruflichen Nutzen Dabei oumlffnen sich unter anderem die folgenden Prob-lemfelder Abgrenzung und Diskussion der Konzepte Fachsprache Berufssprache bzw berufsbezogene Sprache Bildungssprache Allgemeinsprache usw Definition und Diskussion berufsspezifischer Kompetenzen im Sinne des GER Vermittlung allgemeiner be-ruflicher und interkultureller Kompetenzen und Themenfelder im Gegensatz zu Kursen fuumlr spezifische Berufe Unterscheidungen zwischen berufsbegleitendem und berufsvorbereitendem Unterricht Zweit- und Fremdsprache (neue) Konzepte der Integration von gesteuertem Lernen im Unterricht und autonomem bzw ungesteu-ertem Lernen im Zweitspracherwerb am Arbeitsplatz
Andrea Daase (Bielefeld) ergaumlnzt in ihrem Beitrag gaumlngige Konzepte der Zweit-sprachenaneignung fuumlr den Beruf aus Sicht einer soziokulturell fundierten Zweit-spracherwerbsforschung um eine Subjekt- und Prozessperspektive und leitet hieraus Konsequenzen fuumlr die Planung und Gestaltung institutioneller Angebote zum Er-werb des Deutschen fuumlr den Beruf ab Jana Laxczowiak (Hamburg) erlaumlutert im An-schluss warum integriertes Fach- und Sprachenlernen als wesentliche Anforderung an berufliche Weiterbildung gilt vor dem Hintergrund spezieller Anforderungen werden dabei einzelne Kompetenzen gewichtet fachliches und sprachliches Lernen miteinander verzahnt und eine interdisziplinaumlre Lernplanung entworfen
Themenschwerpunkt 4 Deutsch lernen in Vorbereitungsklassen
Koordination Gabriele Kniffka Julia Schallenberg amp Kerstin Zimmermann
Der Erwerb des Deutschen in Vorbereitungsklassen ist nicht zuletzt der aktuellen politischen und sozialen Entwicklungen in der Bundesrepublik zu einem ganz zent-ralen Gegenstand der sprachdidaktischen Diskussion geworden Gegenstand des
6 Vorwort
Themenschwerpunkts ist die schulische Erstintegration von neu zugewanderten Schuumllerinnen und Schuumllern Im Einzelnen stellen sich dabei unter anderem folgende Fragen Wie sehen schulische Integrationskonzepte aus welche Lehr- und Lernkon-zepte haben sich als zielfuumlhrend erwiesen und wie wird der Uumlbergang in die Regel-klasse gestaltet Wie sehen schulische Integrationskonzepte aus und welche Lehr- und Lernkonzepte haben sich als zielfuumlhrend erwiesen Wie wird der Uumlbergang in die Regelklasse gestaltet Welche (wissenschaftlichen) Erkenntnisse gibt es in Bezug auf (Zweit-)Alphabetisierung von Schuumllerinnen und Schuumllern und welche Maszlignah-men werden durchgefuumlhrt Welche spezifischen Materialien werden benoumltigt wel-che Materialien existieren und welche (spezifischen oder nicht spezifischen) Materi-alien werden tatsaumlchlich genutzt Welche Altersstruktur zeigt die Schuumllerschaft in Vorbereitungsklassen aus welchen Herkunftslaumlndern kommen die Schuumllerinnen und Schuumller wie ist deren Alphabetisierungsstand und welche durchschnittliche Aufenthaltsdauer laumlsst sich vermerken Und last but not least Uumlber welche Qualifi-kationen muumlssen Lehrerinnen und Lehrer verfuumlgen die in Vorbereitungsklassen un-terrichten welche Aus- Fort- und Weiterbildungsmodelle existieren in den einzel-nen Bundeslaumlndern in welchen Bereichen besteht Entwicklungsbedarf
Maria Simml und Barbara Thiel (beide Muumlnchen) stellen in diesem Themen-schwerpunkt zunaumlchst das Beschulungssystem von neu Zugewanderten an bayeri-schen Berufsschulen vor und stellen daraufhin vier einschlaumlgige Projekte zur paumlda-gogischen Arbeit mit dieser Personengruppe vor
Praxisforum A Unterricht
Koordination Alexis Feldmeier amp Felicitas Tesch
Das Praxisforum Unterricht dient wie immer als Plattform fuumlr die Vorstellung und Diskussion von Konzepten die sich bereits im Unterricht bewaumlhrt haben oder der-zeit in Entwicklung sind Im Sinne von bdquoBest Practiceldquo werden hier die besten Kon-zepte vorgestellt und diskutiert Vor diesem Hintergrund seien im Folgenden in Aus-wahl einige Aspekte genannt die von besonderer Bedeutung fuumlr die aktuelle Diskus-sion erscheinen (in alphabetischer Reihenfolge) Abnahme der Trennschaumlrfe zwi-schen DaZ und DaF in KiTa- und Schulalltag Einbindung lernbiographischer Vor-erfahrungen von Gefluumlchteten fachliche und didaktische Evaluation von Curricula und Materialien Foumlrderung allgemeiner Fachsprachenkompetenz an Schulen und Hochschulen Foumlrderung literaler Kompetenz Herausforderungen angesichts zu-nehmender Heterogenitaumlt im Klassenzimmer interkulturelles Lernen durch Einsatz dramapaumldagogischer u a Elemente Konzepte fuumlr eine erfolgreiche Alphabetisie-rung (insbesondere Gefluumlchteter) Moumlglichkeiten einer Binnendifferenzierung im DaF-Unterricht schulspezifische Foumlrdermoumlglichkeiten im sprachsensiblen Fachun-
Vorwort 7
terricht Sprachlehr- und -lernangebote fuumlr Kindertagesstaumltten universitaumlre Ange-bote fuumlr DaF in Naturwissenschaft und Technik Unterstuumltzung fuumlr sprachdidakti-sche Laien diverser Integrationsangebote
In dem Beitrag von Doreen Bryant (Tuumlbingen) werden Einsatzmoumlglichkeiten des dramapaumldagogischen Phasenmodells im Rahmen der Grammatikvermittlung disku-tiert dabei werden Moumlglichkeiten und Grenzen von verschiedenen Einsatzmoumlglich-keiten wie Theater-Camps und -AGs oder sprachsensiblen Fachunterrichts ausgelo-tet Eine alternative Vorgehensweise angesichts der Heterogenitaumlt im Klassenzim-mer schlaumlgt Judith Basse (Ettlingen) vor indem sie fuumlr eine nachrangige Beruumlcksich-tigung von Deutschkenntnissen im Unterricht plaumldiert
Praxisforum B Beruf und Qualifizierung
Koordination Diana Boumlbe Matthias Jung Simone Knab amp Annegret Middeke
Das Forum zu Beruf und Qualifizierung versteht sich als Angebot zur Weiterquali-fikation von DaF-DaZ-Absolventinnen und -absolventen seien sie nun als Lehre-rinnen und Lehrer als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder in anderen DaF-DaZ-relevanten Arbeitsfeldern beschaumlftigt Im Zuge dieser Zielsetzung wurde sich zu folgenden Themen besonders intensiv ausgetauscht (in alphabetischer Reihenfolge) Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven im Berufsfeld der Deutsch-lehrkraumlfte Assessmentcentertraining das stipendienbasierte Praktikumsprogramm SCHULWAumlRTS der DAAD und die Deutsche Sprache im Ausland kooperatives Lernen Publizieren in Fachzeitschriften Zusatzqualifikationen fuumlr Lehramtsstudie-rende im Bereich DaFDaZ an der paumldagogischen Hochschule Freiburg und der Universitaumlt Goumlttingen
Dennis Stroumlmsdoumlrfer (Freiburg) und Marian Clemens (Goumlttingen) stellen in diesem Rahmen das Freiburger Hochschulzertifikat bdquoDeutsch als Zweitspracheldquo und die Goumlttinger Zusatzqualifikation bdquoInterkulturalitaumlt und Mehrsprachigkeit DaFDaZldquo vor und thematisieren dabei Erfahrungen und Erfahrungsaustausch waumlhrend Ralf Niediek eine unternehmerische Einschaumltzung gibt inwieweit die freiberufliche Taumltig-keit als DaZ-Lehrkraft eine Existenzgrunglage bilden kann
Weitere Houmlhepunkte fuumlr die uumlber 650 nationalen und internationalen Gaumlste die der 44 Jahrestagung Deutsch als Fremd- und Zweitsprache einen neuen Publikums-rekord beschert hatten bildeten drei Plenarvortraumlge und eine Podiumsdiskussion Matthias Jung (FaDaF) eroumlffnete die Veranstaltung mit einem Vortrag zu bdquoSprache und Integration Kontinuitaumlten und Diskontinuitaumlten der institutionellen Sprachfoumlr-derung und Konsequenzen fuumlr das Fach DaFDaZldquo Die Tagungsgaumlste wurden hier uumlber die Entwicklung der oumlffentlich gefoumlrderten Deutschkurse sowie die damit ein-hergehenden Neuerungen fuumlr den Fachbereich informiert waumlhrend Nicola Wuumlrffel mit ihrem Beitrag bdquoHausaufgaben im DaF-DaZ-Unterricht Ein vernachlaumlssigtes
8 Vorwort
Thema neu denkenldquo selbst zu neuen Entwicklungen animieren mochte Den Ein-stieg in den letzten Tagungstag gestaltete Winfried Thielmann zum Thema bdquoGenuin wissenschaftssprachliche Strukturenldquo Das Abschlusspanel unter dem Motto bdquoDaFDaZ unterrichten als Beruf Ausbildung Probleme Perspektivenldquo mode-rierte Uwe Koreik (FaDaF)
Neben den wissenschaftlichen Houmlhepunkten wurden im Rahmen der Tagung einige weitere wichtige und schoumlne Akzente gesetzt Sabrina Erdmann (FaDaF) be-treute Ausstellerpraumlsentationen und zahlreichen Verlage praumlsentierten ein reiches Angebot an Fachliteratur sowie an Lehr- und Lernwerken Und sollte der erste Abend noch fuumlr ein geselliges Beisammensein aller Tagungsgaumlste im Max und Moritz einem denkmahlgeschuumltzten Wirtshaus im Herzen Berlins genutzt werden stand am folgenden Abend die traditionelle Mitgliederversammlung des Fachverbands Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und ihr anschlieszligender Stammtisch an
Gesamt kann die 44 Jahrestagung Deutsch als Fremd- und Zweitsprache als ein voller Erfolg gesehen werden Erkenntnisse wurden praumlsentiert Ergebnisse disku-tiert und viele neue Einsichten gewonnen Probleme konnten angegangen Anregun-gen eingefangen und Erfahrungen ausgetauscht werden Die DaF-DaZ-Gemeinde ist ein weiteres Mal zusammengekommen um die Wege der anderen zu begleiten und voneinander zu lernen Aus dieser Perspektive war die Tagung nicht allein fuumlr die Gaumlste sondern auch fuumlr die Technische Universitaumlt Berlin als Gastgeber ein gro-szliger Gewinn Zwischen den naturwissenschaftlich und technisch versierten Studien-gaumlngen an unserem Hause konnte erneut ein wichtiger Akzent auf sprachliche Sen-sibilisierung und interkulturelle Arbeit gesetzt werden Wir bedanken uns daher nicht nur in unserem sondern auch im Namen der gesamten Technischen Universitaumlt Berlin ganz herzlich bei allen Mitgliedern des Organisationsteams sowie allen Vor-tragenden und Teilnehmenden die zum Gelingen der 44 Jahrestagung Deutsch als Fremd- und Zweitsprache unter dem Motto bdquoDaFFuumlr Berlin ndash Perspektiven fuumlr Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Schule Beruf und Wissenschaftldquo und nicht zuletzt auch dieses Tagungsbandes beigetragen haben
Berlin im Sommer 2018 Die Herausgebenden
Die Nachwuchstagung
Tagungsbericht
Sercan Sever (Berlin)
Als Zusatzangebot zur 44 FaDaF Jahrestagung gestalteten die Ausrichter des Fach-gebiets Deutsch als Fremd- und Fachsprache der Technischen Universitaumlt Berlin eine eintaumlgige DaF-DaZ-Nachwuchstagung Konzipiert und veranstaltet wurde diese von Christoph Lammers Anna Gryszko Marlene Schierozek und Katharina Seydel
Nach der Begruumlszligung durch den Fachgebietsleiter Thorsten Roelcke und dem Eroumlffnungsvortrag von Olga Averina (Berlin) zu den bdquoBesonderheiten des fach-sprachlichen DaF-DaZ-Unterrichtsldquo uumlberlieszlig man dem Nachwuchs das Feld Hier-bei kamen in Vortraumlgen und Posterpraumlsentationen Bachelor- Master- sowie Promo-tionsstudierende zu ganz unterschiedlichen Themen ndash dadurch implizit das Spekt-rum des Forschungszweigs DaFDaZ aufzeigend ndash zu Wort
Am Vormittag ergriff zunaumlchst Promovendin Theres Werner (Jena) die Gelegen-heit und bot ihren Vortrag bdquoDas Konzept des problemorientierten Lernens in der DaF-DaZ-LehrerInnenausbildung (KoPoLD)ldquo dem interessierten (Fach-)Publi-kum im Hauptgebaumlude der TU Berlin an Mit KoPoLD lasse sich eine staumlrkere bdquoVer-zahnung von Theorie und Praxisldquo ermoumlglichen die die bdquoangehenden LehrerInnen in der ersten Phase ihrer Ausbildung mit theoretisch und wissenschaftlich fundier-tem Wissen handlungskompetent auf die zweite Phase vorbereitetldquo Gerade das die-ses Konzept kennzeichnende bdquoLernen an praxisnahen Problemen mit Realitaumltsbe-zug das die Lernenden auf Handlungssituationen vorbereitet und damit transferier-bares Wissen schafftldquo sei mit dessen konstruktivistischer Verstaumlndnisbasis fruchtbar in der DaF-DaZ-Lehrerinnenausbildung
Sercan Sever 12
Im Anschluss bot Marlene Schierozek (Berlin) einen Beitrag zu bdquoFluumlchtling Ge-fluumlchtete_r Fluumlchtende_r Eine Diskussion der Angemessenheit von Bezeichnun-gen fuumlr Menschen mit Fluchterfahrungldquo und beleuchtete damit eine seit der soge-nannten Fluumlchtlingskrise 2015 anhaltende Auseinandersetzung um (un)moumlgliche Be-zeichnungen fuumlr jene Menschen im Kontext der Politischen Korrektheit Anschau-lich wurden grammatische semantische und pragmatische Besonderheiten und Ver-wendungen der Bezeichnungen vorgestellt und auf Entstehungskontexte verwiesen darunter auch auf solche die medial nicht mehr praumlsent sind1
Den letzten Beitrag am Vormittag lieferte schlieszliglich Ricarda Theobald (Leipzig) die die Ergebnisse ihrer Bachelorarbeit zum Thema bdquoDie DaZ-Vorbereitungsklasse als Schutz- und Schonraum Mehr(heits)sprachlicher Widerstand gegen die Mono-lingualitaumlt im DaZ-Unterrichtldquo vorstellte Demnach sei der im saumlchsischen Lehrplan vorgesehene bdquoSchutz- und Schonraumldquo durch Realisierung einer DaZ-Klasse zwar moumlglich aber nur unter steter Beruumlcksichtigung der von Seiten der Schuumllerinnen und Schuumller selbst initiierten Verwendung der Erstsprache die bdquoeinen exklusiven bewer-tungsfreien Raumldquo und somit erst den Schutz- und Schonraum konstituiere ein-sprachig konzipierte Schulmodelle stellten dagegen durch damit einhergehende bdquoSchlechterstellungsmechanismenldquo vielmehr eine bdquoSegregationsmaszlignahmeldquo dar
Anschlieszligend wurde in Wissenscafeacutes Gaumlsten wie Referentinnen die Gelegen-heit geboten die Praumlsentationsinhalte bei einem vom Fachgebiet ausgerichteten Ca-tering zu vertiefen Der gelassene und zwanglose Austausch unter den anwesenden Nachwuchswissenschaftlerinnen lieszlig neuartige Synthesen und horizonterweiternde Reflexionen zu die noch allzu lebhaft in die Mittagspause getragen wurden
Am Nachmittag fanden sich schlieszliglich alle wieder im Haupttagungsraum zu-sammen und Elisabeth Moumlckel (Erfurt) gelang es sogleich die Aufmerksamkeit durch ihren Beitrag bdquoBedeutung und Moumlglichkeit des integrierten Ausspracheunterrichtsldquo zu fokussieren Die professionelle Sprecherin und Redakteurin wies praxisorientierte Fertigkeiten und ihre integrative Nutzbarmachung fuumlr den DaF-Unterricht aus und schlug damit neue Wege des Ausspracheunterrichts vor
Nishant K Narayanan (Neu-Delhi) stellte den Zuhoumlrerinnen sein Dissertations-vorhaben bdquoDie Bewertung von Textkompetenz im DaF-Unterricht Grenzen und Moumlglichkeitenldquo vor In der Untersuchung stehen mehrsprachige Lerngruppen im DaF-Studium an indischen Universitaumlten im Vordergrund Neben Mehrsprachigkeit gelten auch heterogene Lehr- und Lernkontexte der jeweiligen Regionen als aus-schlaggebend fuumlr eine unterschiedliche Gewichtung und Profession der fremd-sprachlichen Teilfertigkeiten Eine staumlrkere Beruumlcksichtigung von regional abhaumlngi-gen Faktoren wie bdquoSchulabschluss Unterrichtsmedium in der Schule Lerntradition
1 Darunter zum Beispiel der Begriff bdquoAsylantldquo eine abwertende Konstruktion die medial ihren groumlszlig-
ten Aufschwung mit der sogenannten Einwanderungswelle insbesondere politischer tuumlrkischer Asylbewerberinnen im Jahr 1980 nach einem Militaumlrputsch verzeichnete In unmittelbarer Naumlhe des Tagungsortes stuumlrzte sich 1983 ein solcher aus dem Fenster des Verwaltungsgerichts aus Angst vor Abschiebung Ein Gedenkstein des Bezirks vor dem Fachgebiet erinnert heute noch daran
Tagungsbericht 13
und Lernerprofile angemessene Lese- und Schreibkompetenzldquo koumlnnten hiernach dazu beitragen sinnvolle regionalspezifische Lehrmaterialien zu entwickeln
Den abschlieszligenden Vortrag bdquoSatzwiedergabe in der Erst- und Zweitsprache Deutschldquo der Nachwuchstagung trug Almut Ketzer-Noumlltge (Leipzig) vor In ihrer Dis-sertation ging sie der Frage nach inwiefern durch die Aufgabenstellung Saumltze woumlrt-lich wiederzugeben Verzerrungen bei der Einschaumltzung der Sprachkompetenz von L1- und L2-Sprecherinnen entstehen Den Ergebnissen nach liege die Annahme nahe bdquodass die hohe Belastung der Aufmerksamkeitsressource bei der woumlrtlichen Satzwiedergabe in der L2 durch eine Selbstbestimmung der Lesezeit kompensiert werden kannldquo Eine so gestaltete Aufgabenstellung sei letztlich auch in der Lage eine genauere Bestimmung und Erfassung der Kompetenzstufe zu ermoumlglichen
Alsdann schloss sich an die zweite Vortragsreihe ndash wie bereits am Vormittag auch ndash das Wissenscafeacute zur Vertiefung der Vortragsinhalte an in dem die Referentinnen des Nachmittagsblocks den Gaumlsten tiefere Einblicke in ihre Arbeiten gewaumlhr-ten
Diesem Stil entsprechend folgte die Science Gallery Das Format nutzten viele Nachwuchswissenschaftlerinnen um ihre aktuellen Forschungsprojekte in Form von Postern auszustellen und den jeweils aktuellen Stand der Arbeit im individuellen Austausch zu praumlsentieren und zu diskutieren Die Poster waren wie die gesamte Tagung selbst aumluszligerst divers sie reichten vom fremdsprachlichen Fokus beispiels-weise durch Nastassia Rozums bdquoKulturvermittlung im DaF-Unterricht aus Lehren-denperspektive Eine Interviewstudieldquo bis hin zum fachsprachlichen zum Beispiel durch Yafei Pans bdquoDie linguistischen Anforderungen der Sprache des Architekturstu-diumsldquo deckten damit zumindest inhaltlich die Bandbreite des ausrichtenden Fach-gebiets Deutsch als Fremd- und Fachsprache der Technischen Universitaumlt Berlin zufriedenstellend ab und stimmten die Gaumlste fundiert und ihr Interesse weckend auf die Haupttagung ein
Die Besonderheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts
Olga Averina (Berlin)
1 Einleitung
Obwohl der fachsprachliche DaF-DaZ-Unterricht eine lange Tradition hat und zahlreiche Darstellungen zur Didaktik verschiedener Fachsprachen vorliegen herr-schen unter Fachleuten Lernern und Fachsprachenlehrern immer noch recht diffuse Vorstellungen von diesem Phaumlnomen (Fluck 1997 151 BuhlmannFearns 2000 81 Zalipyatskikh 2017 66f)
Oft wird in der Unterrichtspraxis in der beruflichen Bildung und im akademi-schen Kontext davon ausgegangen dass der Erwerb von Fachwissen und von der einschlaumlgigen Fachsprache parallel stattfindet undoder dass gute allgemeinsprach-liche Kenntnisse automatisch zu einer erfolgreichen Teilnahme am fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterricht und somit zu einem kompetenten Umgang mit Fachsprache fuumlhren
In den beinahe unuumlberschaubaren Praxisberichten zu Einzelfragen des fachbe-zogenen DaF-DaZ-Unterrichts wird jedoch thematisiert dass der Erwerb fach-sprachlicher Kompetenzen nicht selbstverstaumlndlich ist und einer kompetenten und zielgerichteten Vermittlung bedarf
Aus diesem Grund werden im vorliegenden Beitrag sowohl die didaktischen As-pekte als auch die linguistischen Besonderheiten der Fachsprachen und die sich da-raus ergebenden Konsequenzen fuumlr die Planung und Gestaltung des fachsprachli-chen DaF-DaZ-Unterrichts einer naumlheren Betrachtung unterzogen
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2 Fach- und allgemeinsprachlicher DaF-DaZ-Unterricht eine kontrastive Darstellung
Obwohl es sich bei den beiden Unterrichtstypen um die Sprachvermittlung handelt weisen der fachsprachliche und der allgemeinsprachliche DaF-DaZ-Unterricht deutliche Unterschiede im Hinblick auf ihre Ziele Aufgaben und Inhalte Lehr-Lernmaterialien sowie Rolle der Lerner und der Lehrer auf
21 Lernziele Aufgaben Inhalte
Lernen wird als ein aktiver eigenverantwortlicher und ganzheitlicher Prozess ange-sehen bei dem sich die Lerner die Welt durch gemeinsames praktisches Handeln und Erfahren aneignen Daher ist Handlungsorientierung eines der wichtigsten Prin-zipien sowohl des allgemein- als auch des fachsprachlichen Fremdsprachenunter-richts das deren Ziele Aufgaben Inhalte und Methoden sowie die Rolle des Leh-rersLerners praumlgt (JankMeyer 1994 354 Rahmencurriculum fuumlr DaF 2002 2 Linthout 2004 27) Als uumlbergeordnetes Ziel des handlungsorientierten Sprachunter-richts wird im Gemeinsamen Europaumlischen Referenzrahmen fuumlr Sprachen (GER) die sprachliche Handlungsfaumlhigkeit der Lerner definiert d h die Faumlhigkeit bei der Ausfuumlhrung kommunikativer Aufgaben die spezifischen Kompetenzen strategisch einzusetzen um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen (TrimNorthCosteSheils 2001 21)
Der Begriff der Handlungsfaumlhigkeit soll in Bezug auf die Beduumlrfnisse der Lerner konkretisiert werden Waumlhrend der allgemeinsprachliche Unterricht primaumlr auf Kommunikationsfaumlhigkeit in Alltagssituationen ausgerichtet ist wird der Bedarf im Fachsprachenunterricht durch die Berufs- bzw Aus- und Fortbildungsziele der Ler-ner bestimmt Daraus resultiert dass fachsprachlich orientierte Kurse bei der The-menauswahl und bei der Festlegung der Progression auf die Faumlcher der bestimmten Lernergruppe Bezug nehmen sollen Das uumlbergeordnete Lernziel ist dabei die sprach-liche Handlungsfaumlhigkeit im Fach Darunter wird die Faumlhigkeit des Lerners verstanden in seinem Fachbereich seiner Berufs- oder Ausbildungssituation entsprechend ange-messen zu kommunizieren Die Angemessenheit der Verstaumlndigung soll daran ge-messen werden dass der Lerner sich auf der bestimmten Wissensstufe eindeutig und sachlich ausreichend differenziert aumluszligern kann (Hoffmann 1976 31 Fluck 1997 155 BuhlmannFearns 2000 9)
Die Kommunikation im Fach ist gebunden an die fachlichen Denk- und Mittei-lungsstrukturen die durch das Forschungsinteresse und die Methoden des Faches bestimmt sind Die Aneignung dieser Strukturen wird durch die Art und den Grad der Sozialisation der Lerner im Fach beeinflusst wobei kulturell gepraumlgten Lern- und Verhaltensgewohnheiten eine groszlige Bedeutung zukommt (BuhlmannFearns 2000 12f)
Die Besonderheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts 17
Das oben Gesagte hat eine unmittelbare Auswirkung auf die Prioritaumlten die bei der Entwicklung von Sprachfertigkeiten gesetzt werden Im Gegensatz zum allge-meinsprachlichen DaF-DaZ-Unterricht ist im Fachsprachenunterricht das gleich-maumlszligige Einuumlben von allen vier Fertigkeiten aus pragmatischen Gruumlnden nicht sinn-voll Je nach Bedarf der Lerner werden bestimmte rezeptive undoder produktive Fertigkeiten trainiert
Diese Akzentsetzung ist entscheidend fuumlr die Foumlrderung der aufzubauenden Strategien zur Textrezeption und -produktion die Vermittlung von Kommunikati-onsverfahren sowie den Einsatz von Lehr-Lernmaterialien (Texten spracharmen und auszligersprachlichen Informationstraumlgern) (Fluck 1997 155f BuhlmannFearns 2000 81f Hammrich 2014 70f)
Im Unterschied zu allgemeinsprachlichen Texten sind Fachtexte durch deutliche Strukturierungsmuster gekennzeichnet deren Kenntnis die Informationsentnahme erleichtern kann Im produktiven Bereich wird verstaumlrkt auf die Gliederung und eine ausreichende Differenziertheit sowie auf die klare Textorganisation geachtet Auszliger-dem spielen in den fachbezogenen Kontexten bestimmte Kommunikationsverfah-ren (z B Definieren Klassifizieren etc) eine wichtige Rolle die fuumlr die Alltagskom-munikation irrelevant sind
Erhebliche Unterschiede sind im Bereich der Lehr-Lernmaterialien zu be-obachten Im allgemeinsprachlichen Unterricht wird hauptsaumlchlich didaktisiertes Material verwendet wobei Abbildungen als Kommunikationsanlaumlsse fungieren mit deren Hilfe die Lerner sich spontan und kreativ in der Zielsprache aumluszligern sollen Im fachlichen Diskurs werden authentische Texte aus dem jeweiligen Fach als Arbeits-grundlage eingesetzt Spracharme und auszligersprachliche Informationstraumlger (Abbil-dungen Diagramme Tabellen Formeln etc) sollen genau interpretiert werden in-dem die versprachlichten Informationen in den gesamten Kontext hierarchisch an-gemessen einzuordnen sind
22 Lerner und Lehrer
221 Ausgangszustand der Lerner
Fuumlr die Festlegung der pragmatisch sinnvollen Lernziele Inhalte und Methoden so-wohl des allgemeinsprachlichen als auch fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts muss eine moumlglichst genaue Bedarfsanalyse durchgefuumlhrt werden Dabei wird der Ausgangszustand der Lerner ermittelt der Sprachkenntnisse Lerngewohnheiten Lernerwartungen und Lernprobleme umfasst (Steinmuumlller 1990 17 Fluck 1997 155 BuhlmannFearns 2000 87 Roche 2013 36f)
Im sprachlichen Bereich sind das Niveau der Kenntnisse der Zielsprache sowie die Entwicklungsstufe der einzelnen Fertigkeiten zu bestimmen Auszligerdem muss festgestellt werden ob der Lerner uumlber andere Fremdsprachenkenntnisse verfuumlgt
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Daruumlber hinaus muss auf das sprachliche Umfeld der Lerner eingegangen wer-den welches die Progression und die Arbeit mit den einzelnen Fertigkeitsbereichen beeinflusst Dabei ist zu beruumlcksichtigen ob der Unterricht im Land der Zielsprache oder im Land der Muttersprache stattfindet (BuhlmannFearns 2000 100f) In die-sem Zusammenhang wird der Unterschied zwischen dem DaF- und DaZ-Unterricht deutlich
Da der Lerner im Zielsprachenland nicht an die Klassensituation gebunden ist und auch im Alltag sprachlich handeln muss sind im DaZ-Unterricht eine steilere Progression und die Vermittlung in der Zielsprache durchaus denkbar was systema-tische Uumlbungen in benoumltigten Kommunikationsverfahren und in der fachspezifi-schen Lexik ermoumlglicht
Im Land der Muttersprache gilt die Zielsprache als kein natuumlrliches Verstaumlndi-gungsmittel und wird (fast) ausschlieszliglich im Unterrichtskontext eingesetzt In die-sem Fall muss der Lehrer entscheiden ob die Zielsprache unter Zuhilfenahme der Muttersprache vermittelt wird Der Einsatz der Muttersprache ist im Anfaumlngerun-terricht besonders effizient und kann in die methodischen Konzepte der fachsprach-lichen DaF-Kurse einbezogen werden Der erwaumlhnte Ansatz widerspricht der auf dem GER basierten konventionellen Meinung dass die Vermittlung der Fachspra-chen erst ab dem B2-Niveau sinnvoll ist (Trim et al 2001 35 44 Prikoszovits 2017 159) Es handelt sich um die systematische Vermittlung der fachsprachlichen Phauml-nomene auf den niedrigeren Niveaustufen (A1-B1) wobei der Transfer des mutter-sprachlich kodierten Wissens bei der Auseinandersetzung mit Fachtexten geschieht der zu einer schnelleren Erschlieszligung der Sprachstrukturen beitraumlgt sowie Strategien zur Textrezeption und -produktion aufbauen laumlsst Dies fuumlhrt zur Erhoumlhung der Lernmotivation und zur Intensivierung des Lern- und Entscheidungsprozesses (Steinmuumlller 1990 22 FearnsBuhlmannBaumerNemtschenko 2005 VIII Roumlss-lerReimann 2013 15 Averina 2015)
Der Ausgangszustand der Lerner im fachbezogenen Kontext wird auch durch das Fachwissen und den Spezialisierungsgrad der Lerner wesentlich beeinflusst wobei das Fachwissen vorausgesetzt und ausgebaut wird (Fluck 1997 150)
Bei der Analyse des fachlichen Ausganszustandes wird zwischen zwei Gruppen unterschieden
Lerner die bereits Fachleute auf ihrem Gebiet sind (eine abgeschlossene Aus-bildung in Hochschule Industrie oder Handwerk) und
Lerner die noch nicht kompetent oder teilkompetent sind (angehende Stu-dierende Lehrlinge Auszubildende)
Fachkompetente Lerner verfuumlgen bereits uumlber fachliche Denk- Mitteilungsstruktu-ren und Arbeitsstrategien und muumlssen befaumlhigt werden diese bei der Rezeption und Produktion der zielsprachigen Texte einzusetzen Bei nicht bzw teilkompetenten Lernern muumlssen die Strategien zur Auseinandersetzung mit Fachinhalten in fachspe-zifischen Praumlsentationsformen (Diagramme u a) Strategien zu einer funktionalen Textrezeption und -produktion (Lesestrategien study skills) sowie Strategien zur
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Nutzung des wissenschaftlichen Diskurses im Fach und der Textbauplaumlne als Ver-stehenshilfe erst aufgebaut werden (BuhlmannFearns 2000 89f)
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal des Fachsprachenunterrichts ist die He-terogenitaumlt der Lerngruppen sowohl auf der sprachlichen als auch auf der fachlichen Ebene (Fluck 1992 181) Vor diesem Hintergrund erweist sich die Binnendifferen-zierung als problematisch wobei sie im allgemeinsprachlichen Unterricht relativ gut moumlglich ist (Hammrich 2014 71)
In den Fremdsprachenunterricht bringen die Lerner gewisse Lern- und Verhal-tensgewohnheiten mit die durch die in ihrer Kultur bestehende Lerntradition bestimmt sind Dazu gehoumlren die Einstellung gegenuumlber der Schule die auf bisherige schuli-sche Erfahrungen zuruumlckzufuumlhren ist sowie das Verhalten im Unterricht Beim letz-teren sind drei Elemente in Betracht zu ziehen Reproduktionsorientierung Mittei-lungsstil und Autoritaumltsbezug die fuumlr den Fachsprachenunterricht von besonderer Bedeutung sind (BuhlmannFearns 2000 106f Roche 2013 39)
Wenn die Lerner an reine Reproduktion des Gelernten ohne dessen Reflexion gewohnt sind verfuumlgen sie uumlber keine Strategien zur Textrezeption und -pro-duk-tion Beim Lesen tendieren sie zum datengeleiteten Dekodieren der Texte und bear-beiten diese linear Wort fuumlr Wort wobei spracharme und auszligersprachliche Infor-mationstraumlger bzw Problemloumlsestrategien nicht benutzt werden
Die Lerngewohnheiten haumlngen nicht nur mit Strategien der Informationsverar-beitung zusammen sondern auch mit anderen Wahrnehmungs- und Mitteilungs-strukturen die fuumlr ein anderes Denksystem typisch sind In diesem Fall zeichnet sich der Mitteilungsstil durch Addition Assoziation und Kumulation aus wobei in der Fachkommunikation Praumlzision Oumlkonomie Eindeutigkeit Differenziertheit und Er-wartbarkeit vorherrschen
Auszligerdem sind die Lerner oft durch autoritaumltsorientierte Lerntraditionen ge-praumlgt die sich in der Konzentration auf die Lehrkraft undoder auf das Lehrwerk manifestieren
Die Konzentration auf den Lehrer als Autoritaumltsperson ist im Fachsprachenun-terricht besonders problematisch denn dieser verfuumlgt uumlber die allgemeinsprachliche und nicht uumlber die fachliche Kompetenz (Ickler 1997 137f BuhlmannFearns 2000 115)
Da das Angebot an zielgruppenorientierten Lehrmaterialien im fachsprachlichen Bereich bei weitem nicht ausreichend ist birgt die Fixierung auf das Lehrwerk eben-falls die Gefahr in sich dass auf die relevanten Zusatzmaterialien nicht genug Wert gelegt wird und dass deren Einsatz nicht effizient genug ist
Aus dem Obigen wird ersichtlich dass die Lern- und Verhaltensgewohnheiten in starkem Maszlige den Lernprozess beeinflussen Daher muss die Lehrperson diese Faktoren bei der Kursplanung beruumlcksichtigen und den Lernern die Moumlglichkeit ge-ben ihre Verhaltensweisen zu aumlndern Das ist zu erreichen durch die Sensibilisierung der Lerner fuumlr Handlungskontexte wo die Reproduktionstechnik erwuumlnscht bzw
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erforderlich ist durch das Einuumlben einer differenzierten Verwendung der Kommu-nikationsverfahren sowie durch die Schaffung eines die Autoritaumlt relativierenden Problembewusstseins (BuhlmannFearns 2000 108)
222 Situation und Rolle des Lehrers
Wie in 221 bereits angesprochen arbeiten im Fachsprachenunterricht in der Regel Sprachlehrer die kein Fachwissen im jeweiligen Fach besitzen und daher nicht die zentrale unterrichtsbestimmende Funktion ausuumlben koumlnnen Da die Lerner dafuumlr als Traumlger der Fachkompetenz auftreten ist die Verschiebung des Unterrichtskonzepts von der Lehrerzentriertheit auf die Lernerzentriertheit notwendig (BuhlmannFearns 2000 118)
Der lernerzentrierte Sprachunterricht ist durch Erkennung und Beruumlcksichti-gung der Beduumlrfnisse und Interessen der Lerner gekennzeichnet was im fachbezo-genen Kontext von primaumlrer Bedeutung ist Die Steuerung und Kontrolle seitens der Lehrperson sollen reduziert werden wobei den Lernern die Moumlglichkeiten ge-boten werden die fachsprachlichen Aufgaben eigenstaumlndig und selbstverantwortlich u a in Partner- und Gruppenarbeit zu bewaumlltigen
Die Aufgabe des Lehrers besteht dann hauptsaumlchlich darin das authentische fachliche Material didaktisch aufzubereiten und bei der Erfuumlllung der fachsprachli-chen Aufgaben Hilfestellung zu geben
Auch wenn in der Fachliteratur behauptet wird dass ein Traumlger der Fachkom-petenz (Lerner und angemessene Lehrmaterialien) im Unterricht ausreichend sei (BuhlmannFearns 2000 115) bedeutet das nicht dass sich die Lehrperson in fach-liche Themen des jeweiligen Fachs nicht einarbeiten soll Erforderlich ist ein sorg-faumlltiger und bewusster Umgang nicht nur mit vorhandenen Lehrmaterialien sondern auch mit den Fachinhalten selbst Der Lehrer muss sich im Klaren sein dass diese Inhalte nicht beliebig ausgewaumlhlt kombiniert oder veraumlndert werden koumlnnen Daher ist es unerlaumlsslich sich einen Eindruck uumlber Forschungsinteresse Methoden und Darstellungsformen des Faches zu verschaffen Nur in diesem Fall laumlsst sich die Forderung erfuumlllen dass die Vermittlung der Fachsprache an der Progression im Fach orientieren muss
Die Hinwendung zu Lernerinteressen traumlgt zum gegenseitigen Motivationseffekt bei einerseits fuumlhlen sich die Lerner ernstgenommen andererseits laumlsst sich der Leh-rer von fachlicher Kompetenz der Lerner motivieren
Die Besonderheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts 21
3 Linguistische Besonderheiten der Fachsprachen und didaktische Konsequenzen
Fachsprachen weisen ihre Spezifik auf der morphologischen Ebene im lexikalischen und syntaktischen Bestand sowie auf der textuellen Ebene auf Die in den genannten Bereichen angesiedelten sprachlichen Phaumlnomene dienen zur Realisierung der wich-tigsten Funktionen fachsprachlicher Kommunikation zu denen Deutlichkeit Ver-staumlndlichkeit Oumlkonomie und Anonymitaumlt gehoumlren (Roelcke 2010 24f) Im Folgen-den werden diese Besonderheiten im Hinblick auf ihre didaktische Relevanz fuumlr den fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterricht behandelt
31 Grammatische Besonderheiten
Zwischen der allgemeinsprachlichen Grammatik und der fachsprachlichen Gram-matik sind generell nicht qualitative sondern quantitative Unterschiede festzustellen Diese beziehen sich auf die Frequenz mit der morphologische und syntaktische Mit-tel in geschriebenen und gesprochenen Texten vorkommen (Roelcke 2010 78) In der Morphologie sind zwei Komponenten besonders wichtig ndash die Formbildung und die Wortbildung ndash die zunaumlchst diskutiert werden sollen
311 Flexionsmorphologie
Die formbildende Funktion des Morphems besteht in der Explikation der Bezie-hungen zwischen den einzelnen Satzgliedern (Hoffmann 1976 227)
Die fachsprachlichen Textsorten lassen eine starke Reduktion bei der Konjuga-tion im verbalen und bei der Deklination im nominalen Bereich erkennen Bei den Verben sind Besonderheiten in den Kategorien Person Numerus Modus Tempus und Genus zu beobachten die einer stilistisch geforderten Anonymisierung dienen (BuhlmannFearns 2000 16 Roelcke 2010 83) Fuumlr die Unterrichtspraxis bedeutet es dass bei der Vermittlung der Verbformen der Schwerpunkt vor allem auf 3 Per-son SingularPlural Indikativ Praumlsens AktivPassiv liegen soll Da die Passivkon-struktionen in den Fachtexten eine groszlige Vorkommenshaumlufigkeit zeigen muss dem Passiv und dessen Ersatzformen (Fuumlgungen mit man als Subjekt Funktionsverbge-fuumlge (eine Verfestigung erfahren Anwendung finden zum Nachweis dienen) sowie Infinitiv-konstruktionen (sein + zu + Infinitiv lassen + sich + Infinitiv)) fruumlhzeitig Aufmerksam-keit geschenkt werden (Koumlhler 1981 246 Chen 1995 34 Fluck 1997 92f) Im no-minalen Bereich zeichnen sich die Fachtexte durch einen haumlufigen Gebrauch der Genitive in der attributiven Funktion die zur Praumlzisierung und Differenzierung der Aussage beitragen Daher ist es aus der didaktischen Sicht wichtig den Genitiv moumlg-lichst fruumlh einzufuumlhren damit die Lerner sich auch an Kettenbildungen gewoumlhnen koumlnnten (BuhlmannFearns 2000 24 OhmKuhnFunk 2007 167) Als Besonder-
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heiten der Numeruskennzeichnung sind das Vorherrschen des Singulars und spezi-fische Pluralformen zu nennen die fuumlr die Allgemeinsprache nicht typisch sind (z B Salze Muttern) (Ickeler 1997124 Roelcke 2010 84)
312 Wortbildungsmorphologie
Das Morphem kann nicht nur eine grammatische Funktion erfuumlllen sondern auch als lexikalisches Phaumlnomen auftreten Im letzteren Fall kommt es dem Morphem eine wichtige Rolle als Mittel zur Bildung neuer Lexeme und somit zur Deckung des groszligen terminologischen Bedarfs der Fachsprachen zu
Die Wortbildung umfasst zwei produktive Bereiche die Wortableitung (Deriva-tion) und die Wortzusammensetzung (Komposition) die fuumlr den fachsprachlichen DaF-Unterricht aumluszligerst relevant sind Bei der Vermittlung der Moumlglichkeiten der Wortableitung und -zusammensetzung stellt sich primaumlr die Frage wie man diese Kenntnisse zur Bedeutungserschlieszligung der lexikalischen Einheiten nutzen kann
Durch die Wortableitung wird eine Wortart in eine andere uumlberfuumlhrt wobei viel-fache Bildungstypen moumlglich sind Aus Platzgruumlnden werden in der folgenden Ab-bildung nur wenige Beispiele angefuumlhrt
Verb Substantiv Adjektiv
Substantiv rarr Verb
Oxyd rarr oxydieren
Verb rarr Substantiv
erwaumlrmen rarr Erwaumlrmung
Substantiv rarr Adjektiv
Zelle rarr zellulaumlr
Adjektiv rarr Verb
rein rarr reinigen
Adjektiv rarr Substantiv
fest rarr Festigkeit
Verb rarr Adjektiv
brennen rarr brennbar
Abbildung 1 Wortableitung (BuhlmannFearns 2000 24)
Wie diese Beispiele zeigen findet die Uumlberfuumlhrung einer Wortart in die andere durch Suffigierung statt wobei -ung -er -ig und -keit zu den haumlufigsten Suffixen zaumlhlen (Fluck 1997 54)
Die morphologischen Mittel dienen auch der Bedeutungsabwandlung oder auch der Neubildung von Woumlrtern was durch Praumlfigierung geschieht (z B amorph ndash allo-morph ndash polymorph Inkreis ndash Umkreis kristallisieren ndash auskristallisieren ndash rekristallisieren (BuhlmannFearns 2000 24-26)
Obwohl zahlreichen Suffixen und Praumlfixen bestimmte Bedeutungen zugeschrie-ben werden (z B -ung dient zum Ausdruck fuumlr ablaufende bzw fuumlr abgeschlossene Vorgaumlnge -bar zum Ausdruck fuumlr Moumlglichkeit sich faumlhig zu etwas zu machen er-
Die Besonderheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts 23
deutet auf einen beginnenden verlaufenden oder vollendeten Vorgang) geht es da-bei nur um Empfehlungen fuumlr moumlgliche Neubildungen aber nicht um ein Inventar verlaumlsslicher Entschluumlsselungsstrategien (Fluck 1997 55 58 BuhlmannFearns 2000 29) Die Vermittlung der vielfaumlltigen Ableitungsmoumlglichkeiten kann im Unter-richt also kein Lernziel sein Jedoch sind Grundkenntnisse der Wortableitung unver-zichtbar vor allem bezuumlglich der Mittel der Uumlberfuumlhrung einer Wortart in die andere
Wie die Wortableitung ist die Wortzusammensetzung ebenso aus sprachoumlkonomi-schen Gruumlnden in Fachsprachen besonders haumlufig Obgleich diverse Muster der Komposition unterschieden werden geht es hierbei generell um die Zusammenset-zung von Konstituenten mit oder ohne Fugenzeichen (-s- -es- -en- -er- -e-)
Als Produkt der Wortzusammensetzungen treten Substantive Verben und Ad-jektive auf wobei Substantive als wichtigste Elemente der Komposita gelten Es handelt sich um die Zusammensetzung der folgenden Einzelelemente
Substantiv + Substantiv (Barometerrohr)
Verbstamm + Substantiv (Drehkondensator)
Adjektiv + Substantiv (Leichtmetall)
Adverb + Substantiv (Auszligenantenne)
Zahlwort + Substantiv (Dreieck)
Abkuumlrzung + Substantiv (UHF-Gebiet) (Fluck 1997 62f)
Die Wortzusammensetzung dient nicht nur einer syntaktischen Komprimierung (Untersuchungstechnik Technik der Untersuchung) sondern auch wirkt motivierend-de-terminierend indem das Ausgangswort durch die vorangestellte Konstituente diffe-renziert wird (Sauerstoff Tierzelle) Daruumlber hinaus uumlbt die Wortzusammensetzung eine praumlzisierende Funktion aus indem die nachgestellte Konstituente das Aus-gangswort konkretisiert (Zellwand Zellkern) (ReinhardtKoumlhlerNeubert 1992 19-22)
Die genannten Funktionen und Beispiele machen deutlich dass der Unterschied zwischen Grund- und Bestimmungswort fuumlr die Entschluumlsselung der Bedeutung der Wortzusammensetzungen entscheidend ist und mittels einschlaumlgiger Uumlbungen im fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterricht thematisiert werden soll (Ohm et al 2007 151)
Neben der Wortableitung und -zusammensetzung dienen der sprachlichen Oumlko-nomie auch Verfahren bei denen die sprachlichen Ausdrucksformen verkuumlrzt wer-den und zahlreiche Wortkuumlrzungen entstehen Dabei sind Kuumlrzungen am Wortanfang (Lok rarr Lokomotive) Kuumlrzungen am Wortende (Bus rarr Autobus) Kuumlrzungen in der Wortmitte (Krad rarr Kraftrad) sowie Akronyme (DIN rarr Deutsches Institut fuumlr Normung) zu unterscheiden (Roelke 2010 81) Da die Durchsichtigkeit der Wortkuumlrzungen gering ist ist es im Fachsprachenunterricht erforderlich die Bedeutung der fuumlr die bestimmte Fachsprache relevanten Wortkuumlrzungen zu klaumlren
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313 Syntax
Wie in 31 erwaumlhnt liegen spezifische grammatische Eigenschaften der deutschen Fachsprachen nicht nur auf der Ebene der Flexions- und Wortbildungsmorphologie sondern auch im Bereich der Syntax Zu den syntaktischen Besonderheiten gehoumlren Satzarten Attributreihungen Nominalisierungen und Funktionsverbgefuumlge (Ro-elcke 2010 86f)
Obgleich die Fachsprachen eine generelle Tendenz zum Hauptsatz als Aus-drucksmittel der Oumlkonomie und Uumlbersichtlichkeit bei einer differenzierten Aussage aufweisen und uumlber syntaktisch komprimierende Konstruktionen (z B praumlpositio-nale Wortgruppen) verfuumlgen sind die Satzgefuumlge jedoch stark vertreten Das erklaumlrt sich dadurch dass Nebensaumltze als Mittel der Explizitheit logischer Folgerichtigkeit und Optimierung von Darstellung fungieren Zu den haumlufigsten Nebensatzarten zaumlh-len Relativ- Konditional- Kausalsaumltze Modalsaumltze mit indem Nebensaumltze mit waumlh-rend Proportionalsaumltze mit je - desto Konsekutiv- und Finalsaumltze (Fluck 1997 83 BuhlmannFearns 2000 49f Roelcke 2010 86)
In der Fachliteratur wird zwar betont dass die meisten wichtigen Nebensatzar-ten aus dem allgemeinsprachlichen DaF-Unterricht bekannt sein sollten zeigt die Unterrichtspraxis dass die Erfassung der inhaltlichen Zusammenhaumlnge komplexer Satzgefuumlge weiterhin Uumlbung benoumltigt Zusaumltzlich muumlssen die fuumlr den wissenschaft-lichen Diskurs charakteristischen subjunktionslosen Konditionalsaumltze sowie Kau-salsaumltze mit da behandelt werden
Fachtexte zeichnen sich durch die haumlufige Verwendung von Attributen aus da diese eine praumlzise Bestimmung sowie differenzierte Charakterisierung der fachlichen Sachverhalte ermoumlglichen (Fluck 1997 107f Roelcke 2010 87 Niederhaus 2011 212) Dabei sind die folgenden Attributarten zu unterscheiden
Adjektivattribute (einzelne Biomolekuumlle)
Partizipialattribute (die steigende Tendenz das erwaumlhnte Phaumlnomen)
Praumlpositionalattribute (das Konzept von genetischen Informationseinheiten)
Genitivattribute (die Vorgaumlnge des Lebens eine Darstellung der Haupttypen der Ver-mehrungsstrategien)
erweiterte Attribute (die den elektrischen Strom leitende Fluumlssigkeit)
Im Vermittlungskontext rufen besonders erweiterte Attribute erhebliche Identifika-tions- und Dekodierungsschwierigkeiten hervor Daher ist es wichtig die Lerner mit diesem Phaumlnomen relativ fruumlhzeitig vertraut zu machen und ihnen ein Instrumenta-rium fuumlr dessen Ermittlung und Bedeutungserschlieszligung zur Verfuumlgung zu stellen (Bernstein 1990 85f Averina 2017 61f)
Waumlhrend mittels der Attribuierungen die Praumlzision der Sachverhalte erreicht wird tragen Nominalisierungen und Funktionsverbgefuumlge zur Anonymitaumlt der sprachli-chen Aumluszligerungen bei Die ersten stellen Ableitungen von Nomen aus anderen Wort-arten dar (z B reagieren ndash Reaktion) die letzteren bestehen aus einem abstrakten Ver-balnomen dessen Praumldikatsfunktion von einem bedeutungsarmen Stellvertreterverb
Die Besonderheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts 25
uumlbernommen wird (eine Untersuchung durchfuumlhren ndash untersuchen) Die beiden Phaumlnomene bedingen eine Abstraktion von den Personen oder Gegenstaumlnden die mit der jewei-ligen sprachlichen Aumluszligerung thematisiert werden (Roelcke 2010 87)
Da verschiedene Fachtextsorten durch den Nominalstil gepraumlgt sind ist erfor-derlich die Lerner moumlglichst fruumlh mit Nominalisierungen vertraut zu machen und einschlaumlgige Uumlbungen zur Uumlberfuumlhrung der Verben in Substantive und umgekehrt anzubieten Die Vermittlung der Funktionsverbgefuumlge als Ausdruck der fachsprach-lichen Varietaumlt ist besonders fuumlr houmlhere Niveaustufen unerlaumlsslich
Abschlieszligend ist zu bemerken dass trotz des Bestrebens der Fachkommunika-tion nach Deutlichkeit und Oumlkonomie wird die Komplexitaumlt auf der Satzebene so-wohl durch die zunehmende Textkompression als auch durch eine hohe semanti-sche Dichte und Satzlaumlnge wesentlich erhoumlht (Groeben 1978 143 Hoffmann 1987 205 Kretzenbacher 1990 134) Diese Aspekte erschweren die Verstaumlndlichkeit von Fachtexten und stellen eine wesentliche Herausforderung fuumlr den Fachsprachenun-terricht dar
32 Lexikalische Besonderheiten
Die fachliche Kommunikation ist durch den Gebrauch von Termini (Fachwoumlrtern) gekennzeichnet die als Traumlger der Hauptinformationen auftreten Sie verfuumlgen uumlber eine Reihe von Merkmalen die sie von der allgemeinsprachlichen Lexik unterschei-den (Hoffmann 1976 308f Fluck 1997 36f BuhlmannFearns 2000 34 Roelcke 2010 68f)
Fachbezogenheit heiszligt dass der Terminus zu einer Fachsprache und ihrem ter-minologischen System gehoumlrt
Begrifflichkeit meint dass der Terminus als sprachliches Zeichen fuumlr ein Ele-ment des rationalen Denkens ndash einen Begriff ndash fungiert und in das Begriffs-system einer Fachsprache eingebunden ist
Selbstdeutigkeit (Kontextautonomie) laumlsst den Terminus ohne Kontext verstehen
Exaktheit bedeutet dass Bedeutung des Terminus moumlglichst genau festgelegt ist wodurch der Terminus gegen andere Termini abgegrenzt ist
Eindeutigkeit heiszligt dass der Terminus einen bestimmten Begriff bezeichnet
Eineindeutigkeit meint dass der Terminus als Bezeichnung nur eines Begriffs auftritt und umgekehrt ndash der Begriff hat nur den einschlaumlgigen Terminus als Bezeichnung
Knappheit korreliert mit der Ausdrucksoumlkonomie und mit dem Bestreben nach formaler Kuumlrze
Stilistische Neutralitaumlt weist auf das Fehlen der aumlsthetischen expressiven und modalen Aspekte der Fachlexik hin
Die fachbezogenen Inhalte des Terminus werden in seiner Definition repraumlsentiert Beispielsweise wird Unbedingter Reflex definiert als bdquoEine Reaktion die von einem
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bestimmten Reiz ausgeloumlst wird und in der Regel immer gleich ablaumluft Im einfachs-ten Fall benoumltigt ein solcher Reflex nur zwei Nervenzellen naumlmlich ein sensorisches und ein motorisches Neuronldquo (Probst 2008 143)
Die einschlaumlgige Definition legt die Bedeutung des Terminus in einem bestimm-ten Kommunikationskontext fest und grenzt ihn eindeutig von anderen Termini ab Fuumlr die Lerner bedeutet es dass die Termini mit ihrer exakten Definition gelernt und dieser Definition entsprechend verwendet werden muumlssen (Ohm et al 2007 149)
Auf eine fachspezifische Verwendung der Termini ist besonders bei Terminologi-sierungen zu achten d h bei Fachwoumlrtern die aus der Allgemeinsprache uumlbernom-men und mit einer fachbezogenen Bedeutung versehen wurden (z B Arbeit Leistung Spannung Fluss Bruumlcke usw) Dabei koumlnnen einem Wort in verschiedenen Fachspra-chen andere Begriffe zugewiesen werden (Leistung ist in der Physik der Quotient aus Arbeit und Zeit in der Elektrotechnik ist sie das Produkt aus Spannung und Strom-staumlrke) (Fluck 1997 47 BuhlmannFearns 2000 35f)
Neben Terminologisierungen stellen Entlehnungen eine weitere Moumlglichkeit der Bildung der neuen Termini dar und sind in den Fachsprachen stark vertreten Dabei wird ein Fachwort aus einer fremden Sprache unter mehr oder weniger starker An-passung an das morphologisch-phonologische System in die deutsche Sprache uumlber-nommen (z B Zelle aus lat cellula) (Fluck 1997 53 BuhlmannFearns 2000 32) Bei der Wortschatzvermittlung muss die Kenntnis der internationalen Wortbildungsele-mente (vor allem lateinischer und griechischer Herkunft) unbedingt beruumlcksichtigt werden da diese eine wichtige Voraussetzung fuumlr die Entschluumlsselung der Bedeu-tung der neuen Lexeme ist
Auszligerdem ist zu beachten dass in Fachsprachen die Faumllle verbreitet sind wo mindestens zwei syntaktisch verbundene Woumlrter fachsprachliche Bedeutungseinhei-ten bilden und dadurch einen Terminuscharakter bekommen Diese Wortgruppen koumlnnen in verschiedenen Formen auftreten die den Lernern zu vermitteln sind (Fluck 1997 65f)
Adjektiv + Substantiv (spezifische Abwehr)
Partizip + Substantiv (stoumlrendes Geraumlusch)
Substantiv + praumlpositionale Fuumlgung (Uumlbertragungsgeschwindigkeit von Informatio-nen)
flektierte Eigennamen + Substantiv (Faradayscher Kaumlfig)
Genitiverweiterung des Hauptwortes (Unterdruckhoumlhe des unterirdischen Wassers)
Insbesondere bei der Wortschatzarbeit im Bereich NaturwissenschaftenTechnik ist zu beachten dass eine starke begriffliche Verflechtung zwischen den technischen Fachsprachen und den grundlegenden naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Ma-thematik Physik und Chemie besteht So dienen die Termini aus der Arithmetik
Die Besonderheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts 27
dazu die Forschungsergebnisse in eine eindeutige Form zu bringen und allgemein-guumlltig zu formulieren (der Dielektrizitaumltsfaktor ist Quotient aus Flussdichte und Feld-staumlrke) Die Termini aus der Geometrie ermoumlglichen eine exakte Beschreibung von Formen Figuren und Koumlrpern (zylindrisch Kugellager) Technische Disziplinen grei-fen auch auf verschiedene Bereiche der Physik (z B Kernphysik Elektrizitaumltslehre Statik Dynamik Waumlrme- und Stroumlmungslehre) zuruumlck Dabei werden sowohl die physikalischen Grundbegriffe verwendet (Kraft Kraftweg bzw Reibung Reibungszahl) als auch Zusammensetzungen (Kraftmaschine Kraftschluss bzw Reibbelag Reibschluss) Auch die Terminologie der Chemie ist in andere Fachsprachen (Werkstoffkunde Textil- Papier- Lebensmitteltechnik Landwirtschaft Biologie Medizin Pharmazie u a) integriert und dient zur Bezeichnung der Stoffe ihrer Eigenschaften und ihrer Verwendungsmoumlglichkeiten Aus diesen Gruumlnden sollen im Fachsprachenunterricht die fuumlr die jeweilige Fachsprache relevanten Begriffe der mathematisch-naturwissen-schaftlichen Grunddisziplinen vermittelt werden (Fluck 1985 83 BuhlmannFearns 2000 38-40)
Obwohl die Terminologien von Fachsprachen Mischterminologien sind haumlngen ihre lexikalischen Bestaumlnde jedoch stark vom Inhaltsbereich dem Spezialisierungs-grad und der Textsorte ab Daher muss bei der Wortschatzarbeit das qualitative Prin-zip befolgt werden nach dem die Auswahl der zu behandelnden Fachwoumlrter auf-grund ihrer Wichtigkeit als Informationstraumlger fuumlr die fachliche Kommunikation stattzufinden hat Auszligerdem ist die systematische Vermittlung der Termini wichtig die sich an der Progression im Fach orientiert mit den Grundbegriffen beginnt und zu komplexeren Begriffen uumlbergeht (BuhlmannFearns 2000 44f)
33 Besonderheiten auf der Textebene
Da der Wortschatz der jeweiligen Fachsprache textsortenabhaumlngig ist (siehe 32) ist fuumlr die Kursplanung von besonderer Relevanz die Fachtexte auszuwaumlhlen die die gesetzten Lernziele erreichbar machen Dabei ist die Spezifik von geschriebenen und gesprochenen Fachtexten im Auge zu behalten in erster Linie ihre Funktion bdquoeine eindeutige effektive und situativ adaumlquate Kommunikation uumlber fachliche Gegen-staumlnde zu gewaumlhrleistenldquo (Glaumlser 1990 6)
331 Textbauplaumlne
Fachtexte zeichnen sich durch eine bestimmte Abfolge und Praumlsentationsweise von Informationen aus die durch den wissenschaftlichen Diskurs festgelegt sind Der letztere soll als der textbestimmende Faktor betrachtet werden der eine charakteris-tische Textstrukturierung erzeugt bestimmte Kommunikationsverfahren bevorzugt und Auswirkungen auf die Auswahl der sprachlichen Mittel hat (BuhlmannFearns 2000 64)
Bei der Textgestaltung uumlbt der wissenschaftliche Diskurs eine normierende Funktion aus indem er Textbauplaumlne erzeugt unter denen die konventionalisierte
28 Olga Averina
Auswahl und Anordnung von Informationen (Teiltextpositionen) verstanden wird (Beier 1980 83 BuhlmannFearns 2000 58 Roelke 2010 93)
Textbauplaumlne sind von der Disziplin und der Textsorte abhaumlngig (Lehr- Hand-buchtext Laborbericht wissenschaftlicher Aufsatz Lexikonartikel Bedienungsan-leitung Versuchsprotokoll etc) So beinhaltet z B ein Laborbericht im Fach Physik folgende Segmente die Zusammenfassung die Voraussetzungen des Versuchs die Aufgabenstellung den Versuchsablauf eine Geraumlteliste die tabellarisch dargelegten Messergebnisse und das Endergebnis (BuhlmannFearns 2000 64)
Die Gebundenheit an konventionalisierte Struktur gestattet eine kontrollierte Rezeption und Produktion sowohl geschriebener als auch gesprochener Texte Die Kenntnis der Textbauplaumlne erleichtert die Informationsentnahme indem bestimmte Leseerwartungen durch die vorhersehbare Gestaltung entstehen Auch bei der Text-produktion bekommen die Lerner durch die Textbauplaumlne eine Orientierung bezuumlg-lich der eigenen Vorgehensweise
Aus diesem Grund muumlssen die Lerner im fachsprachlichen DaF-DaZ-Unter-richt fuumlr die Strukturierung von geschriebenen und gesprochenen Texten sensibili-siert werden Dafuumlr sind die authentischen Fachtexte nach dem Kriterium der Re-praumlsentativitaumlt zu selegieren Das bedeutet dass das Textbeispiel die Merkmale der Textsorte deutlich erkennen laumlsst indem es den charakteristischen Textbauplan auf-weist so gestaltet ist dass sich Leseerwartungen aufbauen lassen sowie die fuumlr die Textsorte typischen Informationstraumlger enthaumllt (BuhlmannFearns 2000 68)
Die Strukturierung durch die Textbauplaumlne wird durch typo- und topographi-sche Mittel noch deutlicher gemacht Die Verwendung unterschiedlicher Schriftar-ten Schriftgroumlszligen des Fett- bzw Kursivdrucks sowie der Einsatz von Abschnittbil-dung Einruumlckung etc tragen zur Verbesserung optischer Gestaltung und somit zur Steigerung der Verstaumlndlichkeit der Texte bei (BuhlmannFearns 2000 64) Der Ge-brauch der genannten Mittel muss im fachsprachlichen DaF-DaZ-Unter-richt ebenfalls beim Training der rezeptiven und produktiven Fertigkeiten thematisiert werden
332 Kommunikationsverfahren
Im wissenschaftlichen Diskurs eines Faches ist eine bestimmte Anzahl von Kom-munikationsverfahren repraumlsentiert zu denen das Definieren Klassifizieren Be-schreiben Referieren Vergleichen Folgern Erklaumlren Argumentieren Kommentie-ren Beurteilen etc zaumlhlen Diese Kommunikationsverfahren kommen mit unter-schiedlicher Frequenz vor die von der Textsorte und dem Spezialisierungsgrad des Textes abhaumlngt In Lehrbuchtexten dominieren z B Beschreibungen in Laborbe-richten hingegen referierende Textsegmente (Stoumlckl 1978 257 BuhlmannFearns 2000 52)
Zu beachten ist dass fachspezifische Kommunikationsverfahren sowohl sprachlich als auch spracharm bzw auszligersprachlich realisiert werden d h durch
Die Besonderheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts 29
informierende Bilder wie Abbilder (Fotos Zeichnungen grafische Symbole) logi-sche Bilder (Diagramme) und schematische Bilder (Schaltplaumlne Landkarten) (Wei-denmann 1994 9f)
Unterschiedliche Formen der Realisierung des wissenschaftlichen Diskurses sind nicht nur fuumlr geschriebene sondern auch fuumlr gesprochene Fachtexte typisch Vor allem in naturwissenschaftlich-technischen Fachsprachen bekommen gespro-chene Texte (z B Vorlesungen oder Uumlbungen) besonders haumlufig eine visuelle Un-terstuumltzung die als zweiter Informationskanal benutzt wird (BuhlmannFearns 2000 65) So geht es hier um Houmlr-Seh-Texte wo spracharme und auszligersprachliche Informationstraumlger mit sprachlichen gleichberechtigt sind und die Erschlieszligung und Verarbeitung der Textinhalte foumlrdern
Angesichts dessen sind im fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterricht Unter-schiede zwischen verschiedenen fachspezifischen Kommunikationsverfahren zu klaumlren und deren sprachliche Realisierung zu behandeln (vgl Rahmencurriculum fuumlr Deutsch als Fremdsprache 2002 36) Auszligerdem muss den Lernern die Funktion der auszligersprachlichen und spracharmen Informationstraumlger bewusst gemacht werden Daher ist es wichtig fachspezifische Arbeitsstrategien im Fachsprachenunterricht systematisch auszubauen Dazu zaumlhlt vor allem die Faumlhigkeit Illustrationen For-meln Tabellen etc als Ausgangspunkt der Lektuumlre Verstaumlndnishilfe und Traumlger we-sentlicher Informationen zu nutzen (BuhlmannFearns 2000 284 Averina 2015 151 Averina 2016 269f)
4 Fazit
Die dargelegten Besonderheiten des fachsprachlichen DaF-DaZ-Unterrichts zei-gen deutlich dass dieser weit uumlber die Spracharbeit im Sinne vom Einuumlben der Fach-terminologie oder grammatischen Strukturen hinausgeht Eine eingehende und sys-tematische Beschaumlftigung mit sprachlichen Phaumlnomenen auf der morphologischen lexikalischen und syntaktischen Ebene liefert das unverzichtbare Instrumentarium fuumlr die Arbeit zum wissenschaftlichen Diskurs des jeweiligen Faches Damit wird eine konsequente Auseinandersetzung mit den fuumlr das Fach charakteristischen Denk- und Mitteilungsstrukturen die sich in fachspezifischen Textsorten und Kom-munikationsverfahren manifestieren sowie mit Strategien zur Textrezeption und -produktion gemeint
Die Arbeit zum Wissenschaftsdiskurs und zur Fachkommunikation im weiteren Sinne kann nur bei der konzeptuellen Verschiebung auf den lernerzentrierten Fach-sprachenunterricht effizient sein der die Voraussetzungen und Beduumlrfnisse der Ler-ner beruumlcksichtigt und sie im Fach sprachlich und interkulturell handlungsfaumlhig macht
30 Olga Averina
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Das Konzept des problemorientierten Lernens in der fachdidaktischen DaF-DaZ-LehrerInnenbil-dung (KopoLD)
Theres Werner (Jena)
1 Einleitung
In dem vorliegenden Beitrag wird das Dissertationsvorhaben vorgestellt welches unter dem Titel bdquoDas Konzept des problemorientierten Lernens in der fachdidakti-schen DaF-DaZ-LehrerInnenbildung (KopoLD)ldquo am 29032017 auf der DaF-DaZ-Nachwuchstagung im Rahmen der 44 Jahrestagung Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Technischen Universitaumlt Berlin praumlsentiert wurde
Im Fokus steht das hochschuldidaktische Konzept des problemorientierten Ler-nens das in der fachdidaktischen DaF-DaZ-LehrerInnenbildung Anwendung fin-den soll und einen Beitrag zur Theorie-Praxis-Verzahnung leisten kann Ziel dieses Artikels ist eine Verortung des problemorientierten Lernens und die Weiterentwick-lung von Uumlberlegungen zum Forschungsvorhaben
Der Artikel gliedert sich im Anschluss an die Einleitung in ein Kapitel zum the-oretischen Hintergrund (2) Hier werden die Schwerpunkte sowohl auf die bildungs-politischen Zielstellungen in der LehrerInnenbildung (21) als auch auf den Studien-gang Drittfach Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Friedrich-Schiller-Uni-versitaumlt Jena (22) gelegt Dem folgt eine Darstellung zu Problemen als Ausgangs-punkt fuumlr das Lernen (3) In diesem Kapitel wird eine Begriffsdefinition aus etymo-logischer und philosophischer Perspektive (31) vorgenommen mit einer weiterfuumlh-renden lernpsychologischen Verortung (32) Im 4 Kapitel schlieszligt eine Einordnung
34 Theres Werner
des problemorientierten Lernens an (41) und es werden verwandte Ansaumltze didak-tischer Lernarrangements skizziert (42) Der Beitrag endet mit einem Ausblick (5) Es sei darauf verwiesen dass der Forschungsstand und die Desiderata jeweils in die einzelnen Kapitel eingearbeitet sind
2 Theoretischer Hintergrund
Fuumlr eine erste Einordnung in den theoretischen Hintergrund werden in diesem Ka-pitel zuerst die bildungspolitischen Zielstellungen im Bereich der LehrerInnenbil-dung in Deutschland dargelegt Anschlieszligend erfolgt eine Darstellung des Drittfach-studiums Deutsch als Zweit- und Fremdsprache (DaZDaF) an der Friedrich-Schil-ler-Universitaumlt Jena Beide Betrachtungen werden unter der Perspektive des Theorie-Praxis-Bezugs vorgenommen
21 Bildungspolitische Hintergruumlnde
Im Jahr 2012 wurde vom Bundestag der Antrag zur bdquoInitiative fuumlr die Staumlrkung der Exzellenz in der Lehrerausbildungldquo gestellt (Bundestag 2012 1) Darin wird betont dass sich Deutschland im internationalen Wettbewerb um die Qualitaumlt des Bildungs-systems kontinuierlich weiterentwickeln muss und dass LehrerInnen dabei eine Schluumlsselrolle zukommt (Bundestag 2012 1) Gefordert wird daher neben einer an-gemessenen fachdidaktischen und paumldagogischen Berufsvorbereitung der Lehr-kraumlfte die Qualitaumltsverbesserung in allen Phasen der Ausbildung sowie eine staumlrkere Verknuumlpfung von erster und zweiter Phase der LehrerInnenbildung (Bundestag 2012 1f) Um diese Forderungen zu realisieren wurde von der Bundesregierung im Jahr 2013 die bdquoQualitaumltsoffensive Lehrerbildungldquo (QL) initiiert die vom Bundesmi-nisterium fuumlr Bildung und Forschung gefoumlrdert wird (BLV QL 2013) In der Bund-Laumlnder-Vereinbarung (BLV) uumlber das gemeinsame Programm der bdquoQualitaumltsoffen-sive Lehrerbildungldquo wird neben fuumlnf weiteren Programmzielen auch die unter sect1 (1) b) genannte bdquoQualitaumltsverbesserung des Praxisbezugs in der Lehrerbildungldquo (BLV QL 2013 2) aufgefuumlhrt Diese Zielsetzungen gelten in erster Linie fuumlr die an der bdquoQualitaumltsoffensive Lehrerbildungldquo beteiligten Projekte weisen jedoch auch zukuumlnf-tige Perspektiven fuumlr die LehrerInnenbildung auf Mit den genannten Zielen erhaumllt der unter anderem bereits 1999 von Graumlsel und Mandl postulierte Paradigmenwech-sel in der LehrerInnenbildung weg vom bdquotraumlgen Wissenldquo hin zu einem anwendungs-bezogenen Praxiswissen der Lehrkraumlfte auf bildungspolitischer Ebene nun Kontur (GraumlselMandl 1999 372)
Die Forderung nach der Qualitaumltsverbesserung im Praxisbezug zieht sich bis auf die Ebene der Fachdidaktiken die in dem Beschluss bdquoLaumlndergemeinsame inhaltliche Anforderungen fuumlr die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbil-dungldquo der KMK von 2008 deutlich wird Von StudienabsolventInnen wird verlangt dass sie uumlber bdquoanschlussfaumlhiges fachdidaktisches Wissen verfuumlgenldquo (KMK 2008 4)
Problemorientiertes Lernen in der DaF-DaZ-LehrerInnenbildung 35
Im hochschuldidaktischen Diskurs zeichnet sich ebenso eine praxisorientierte und konstruktivistisch-motivierte Ausrichtung ab (MerktWetzelSchaper 2016) die unter den Prinzipien bdquoShift from Teaching to Learningldquo und bdquoConstructive A-lignmentldquo diskutiert wird (WelbersGaus 2005)1 Nach neuem Verstaumlndnis der Hochschullehre verlagert sich laut Bachmann der Fokus weg vom Lehren hin zu der Optimierung von Lernprozessen sodass daher der traditionelle Vorlesungsstil nur noch bedingt Guumlltigkeit hat (Bachmann 2014 16) Lernen gelingt unter anderem dann wenn es an das Vorwissen der Lernenden anknuumlpft (learner and assessment centered approach) Wissen vernetzt wird (knowledge management learning com-munities) Aufgaben zum Problemloumlsen anregen (problem based learning simula-tion games) Inhalte und Fakten selbst entdeckt werden (discovery learning coope-rative learning) und das eigene Lernen (meta cognition) zum Thema gemacht wird (Bachmann 2014 16f)
Um dem Spannungsfeld zwischen Wissenschaftlichkeit und Berufspraxis ge-recht zu werden welches nach Villiger ein unerschoumlpfliches Themengebiet im Be-reich berufspraktisch ausgerichteten Studiengaumlngen darstellt (Villiger 2015 9) lassen sich in der universitaumlren LehrerInnenbildung verschiedene Ansaumltze zu dieser haumlufig antagonistisch wahrgenommenen Gegenuumlberstellung finden Eingesetzt werden bei-spielsweise Nachbesprechungen von Unterrichtsversuchen (Arnold 2015 PatryRoither 2015) oder der Wechsel zwischen Theorie- Reflexion- und Praxis-phasen mithilfe des PIT-Modells welches fuumlr bdquoPraxis in der Theorieldquo steht (Aszligbeck 2016) Auch die Nutzung von Videosequenzen (Groumlschner 2007) sowie videoba-sierter Reflektion zur Professionalisierung im Lehramtsstudium (GroumlschnerSchindlerHolzbergerAllesSeidel 2018) und videobasiertem Peer-Coaching (GroumlschnerKlaszligDehne 2018) findet Anwendung Das im Studium integrierte Pra-xissemester (Kleinespel 2014) und dessen parallel durchgefuumlhrte Begleitseminare (DreerKaumlmpfe-HargraveSamuTaskinenKracke 2014) bietet eine weitere Moumlg-lichkeit Einen Beitrag zu der geforderten Verbesserung des Praxisbezugs kann auch das problemorientierte Lernen leisten welches unter 41 naumlher erlaumlutert wird
22 Hintergruumlnde zum Lehramtsstudium DaZDaF an der Friedrich-Schiller-Universitaumlt Jena
Seit dem Wintersemester 20152016 besteht an der Friedrich-Schiller-Universitaumlt Jena die Moumlglichkeit im Lehramtsstudium nach dem bdquoJenaer Modell der Lehrerbil-dungldquo2 zusaumltzlich zu den ersten beiden Faumlchern das Drittfach bdquoDeutsch als Zweit- und Fremdspracheldquo fuumlr das Lehramt Regelschule oder Gymnasium zu studieren Die Lehramtsstudierenden schlieszligen den Studiengang mit der Erweiterungspruumlfung ab und erhalten damit die wissenschaftliche Befaumlhigung fuumlr das Schulfach Deutsch
1 Dass jedoch eine kritische Auseinandersetzung mit den Prinzipien bdquoShift from Teaching to Learn-
ingldquo und bdquoConstructive Alignmentldquo notwendig ist zeigt Reinmann (2018) auf 2 Ausfuumlhrliche Darlegung zum bdquoJenaer Modell der Lehrerbildungldquo in Luumltgert (2008)
36 Theres Werner
als Zweitsprache im Land Thuumlringen (ThuumlrEStPLGymVO 2008 sect27 (1) ThuumlrESt-PLRSVO 2008 sect27 (1))
Mit dem Drittfachstudium wird das Ziel verfolgt Studierende bdquozu einem wis-senschaftlich fundierten theoretischen wie praktischen Umgang mit der deutschen Sprache als Lerngegenstand und Lernwerkzeug in Bildungskontexten unter Beruumlck-sichtigung sprachlich kultureller Vielfalt zu befaumlhigenldquo (OSTPGym 2015 172 OST-PRS 2015 235)
Die Studieninhalte beziehen sich auf die Bereiche des Zweit- und Fremdspra-chenerwerbs Vermittlung des Deutschen als Zweit- und Fremdsprache Sprach-standserhebungsverfahren Planung von Sprachfoumlrderung bzw -unterricht Umgang mit Interkulturalitaumlt und Heterogenitaumlt Kenntnisse zu Ansaumltzen und Befunden der Unterrichtsforschung Sprache im Fachunterricht sowie auf das Auslandsschulwe-sen (vgl OSTPGym 2015 172 OSTPRS 2015 235)
Aufgebaut ist das Studium in drei fachwissenschaftliche (30 ECTS) und ein fach-didaktisches Pflichtmodul (10 ECTS) Hinzu kommen fuumlr den Studiengang Regel-schule ein Wahlpflichtmodul (5 ECTS) fuumlr Gymnasium drei Wahlpflichtmodule (15 ECTS) Am Ende des Drittfachstudiums werden drei Vorbereitungsmodule fuumlr die Erweiterungspruumlfung (15 ECTS) belegt die in drei Staatspruumlfungen muumlnden (vgl OSTPGym 2015 172f OSTPRS 2015 235f)3
Die Zulassungsbedingungen fuumlr ein Drittfachstudium setzen voraus dass min-destens 170 ECTS einschlieszliglich des Praxissemesters absolviert wurden sodass das Eingangspraktikum und das Praxissemester entfallen (OSTPGym 2015 sect2 (6) OST-PRS 2015 sect2 (6))
Doch vor allem das Praxissemester bietet Moumlglichkeiten der Theorie-Praxis-Verknuumlpfung Dieses Potential wird im bdquoJenaer Modell der Lehrerbildungldquo in Ko-operationsseminaren genutzt die im Praxissemester erworbenen Erfahrungen mit Studieninhalten in der Fachdidaktik und Fachwissenschaft in Seminaren nach dem absolvierten Praxissemester zu verknuumlpfen (FreudenbergWinklerGallmannvon Petersdorff 2014) Erste Umsetzungen der Kooperationsseminare erfolgten bereits im Jahr 2007 im Fach Deutsch weitere in den Faumlchern Geschichte und Geographie (ZuumlhlsdorfPettigReinhardtWinkle 2018) Module wie bdquoLiteraturwissenschaft und Schuleldquo bdquoGrammatik und Schuleldquo sowie bdquoOrthographie und Schuleldquo verweisen auf den Praxisbezug und ermoumlglichen einen Praxistransfer (ZuumlhlsdorfWinkler 2018) Doch die strukturellen Vorgaben erfordern im Drittfachstudium keine Pflichtpraktika sodass andere Wege gefunden werden muumlssen die in den KMK-Standards aufgefuumlhrte Verzahnung von Theorie und Praxis in universitaumlren Lernset-tings umzusetzen
Abschlieszligend soll die fremdsprachendidaktische LehrerInnenbildung in den Blick genommen werden Laut Koumlnigs ist es an der Zeit nachdem die Lernenden in
3 Weitere Informationen zum Studium des Drittfachs Deutsch als Zweit- und Fremdsprache Lehr-
amt Regelschule und Gymnasium an der Friedrich-Schiller-Universitaumlt Jena unter [httpwwwdafdazuni-jenadeStudiumStudiengC3A4ngeLehramthtml letzter Zugriff 04042018]
Problemorientiertes Lernen in der DaF-DaZ-LehrerInnenbildung 37
den letzten drei Jahrzehnten im Zuge der Lernendenorientierung im Fokus der For-schung standen sich auf die Fremdsprachenlehrenden zu fokussieren da bdquoviele Vor-gaumlnge fremdsprachlichen Lernens letztlich nicht ohne eine angemessene Beruumlcksich-tigung des Fremdsprachenlehrers [hellip] zu erfassen [hellip] sindldquo (Koumlnigs 2014 4) Auch Trautmann verweist auf eine groszlige Luumlcke der Professionsforschung4 im Bereich der Fremdsprachendidaktik (Trautmann 2013 346) Einige erste Studien liegen bereits vor wie die zum Erfahrungswissen von Gymnasiallehrkraumlften (Appel 2000) zu sub-jektiven Theorien von Lehrenden (Caspari 2003) oder auch mit dem Fokus auf das LehrerInnenwissen und -handeln wie beispielsweise bei Demmig (2007) die das pro-fessionelle Handlungswissen von DaZ-Lehrenden in der Erwachsenenbildung am Beispiel der Binnendifferenzierung untersuchte Einen Fokus auf die Kompetenz-standards im Bereich der fremdsprachendidaktischen LehrerInnenbildung legt Wip-perfurth (2009) Sie entwickelt auf der Basis der KMK-Standards fuumlr Fachwissen-schaften und Fachdidaktiken (KMK 2008) erste Vorschlaumlge fuumlr Kompetenzformu-lierungen und nimmt dies am Beispiel von drei Ziel- und Handlungsbereichen des Fremdsprachenunterrichts vor 1 LehrerInnensprache 2 Mehrsprachigkeit und 3 interkulturelle Kompetenz (Wipperfurth 2009 8) Auf internationaler Ebene beste-hen Bestrebungen einheitliche Kompetenzanforderungen fuumlr die Professionalisie-rung in der Aus- Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrenden zu schaffen sodass Instrumente wie das Europaumlische Profilraster fuumlr Sprachlehrende (EPR)European Profiling Grid (EPG) (2013) und das Europaumlische Portfolio fuumlr Sprachlehrende in Ausbildung (EPOSA)European Portfolio for Student Teachers of Languages (EPOSTL) (2007) erarbeitet wurden
Roters und Trautmann (2014) heben die DaZKom-Studie hervor in der profes-sionelle und fachunterrichtsrelevante Kompetenzen von angehenden Lehrpersonen im Bereich Deutsch als Zweitsprache erhoben werden Sie verdeutlichen jedoch dass eine Diskussion uumlber Fragen bdquowelches Ausbildungswissen als Mindeststandard angenommen wird [und] welche Implikationen dies fuumlr die Veraumlnderungen von Cur-ricula haben koumlnnteldquo (RotersTrautmann 2014 62) noch aussteht und plaumldieren fuumlr empirische Studien die Aufschluss uumlber die Entwicklung des fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Wissens geben (RotersTrautmann 2014 62) Auf die Modell-funktion der Hochschullehre weisen Legutke und Schart (2016) hin Hochschulen sind bdquoals Lernorte zur Professionalisierung [hellip] praumldestiniertldquo (LegutkeSchart 2016 36) und sie konstatieren dass Prinzipien wie sie beispielsweise Funk (2010) nennt und Konzepte wie handlungsorientiertes aufgabenbasiertes und problemlouml-sendes Lernen die fuumlr den Fremdsprachenunterricht gefordert werden in der Aus-
4 Im Bereich der Erforschung professioneller Kompetenzen von Lehrpersonen sei an dieser Stelle
auf die DESI-Studie (2008) und die COACTIV-Studie (2011) verwiesen Mit der DESI-Studie in der vordergruumlndig sprachliche Faumlhigkeiten von Lernenden im Englischunterricht untersucht wur-den liegen auch erste Ergebnisse zu den Aspekten des Denkens und Handelns von Englischlehr-kraumlften vor Es konnte ein positiver Einfluss der Expertise von Lehrkraumlften auf die Kompetenz-entwicklung von Schuumllerinnen und Schuumllern nachgewiesen werden (DESI-Konsortium 2008) In der COACTIV-Studie (KunterBaumertBlumKlusmannKraussNeubrand 2011) wurden pro-fessionelle Kompetenzen von Mathematiklehrkraumlften untersucht
38 Theres Werner
und Fortbildung von Fremdsprachenlehrenden sich beginnen durchzusetzen (Le-gutkeSchart 2016 38) Erste Untersuchungen zu Lehrkompetenzen bei Studieren-den im Fachbereich Deutsch als Zweitsprache erfolgten im Projekt ProDaZ an der Universitaumlt Duisburg-Essen (Grieszlighaber 2017 96) Neben deklarativem Wissen wurde auch das Handlungswissen untersucht und Grieszlighaber weist in den Ergeb-nissen darauf hin dass neben der Vermittlung von elementarlinguistischen Grund-kenntnissen Moumlglichkeiten zum Erwerb von Handlungswissen notwendig sind (Grieszlighaber 2017 97ff) Eine erste praxisorientierte Handreichung zur hochschul-didaktischen Umsetzung bietet der Band bdquoDas DaZ-Modul in der Lehrerausbil-dungldquo (EberhardtNiederhaus 2017)
Resuumlmierend ist festzuhalten dass die fremdsprachendidaktische Forschung zur Professionalisierung von Lehrenden und in der LehrerInnenbildung bereits erste Be-funde liefern kann jedoch weiterhin vertieft werden muss
3 Probleme als Ausgangspunkt fuumlr das Lernen
In seinem 1991 gehaltenen Vortrag vertritt der Philosoph Karl R Popper die An-sicht dass alles Leben Problemloumlsen ist und er bezieht sich auch auf Fehler und deren Potentiale (Popper 1999 257) Popper bezeichnet die Fehlerkorrektur als
die wichtigste Methode der Technologie und des Lernens uumlberhaupt In der biologischen Evolution scheint sie die einzige Methode des Fortschritts zu sein Man spricht mit Recht von der Methode von Versuch und Irrtum aber man unterschaumltzt dabei die Wichtigkeit des Irrtums oder des Fehlers ndash des fehlerhaften Versuches [hellip] Alle Organismen sind Erfinder und Techniker gute oder weniger gute erfolgreich oder weniger erfolgreich im Loumlsen von technischen Problemen So ist es bei den Tieren zum Beispiel den Spinnen Die menschliche Technik loumlst menschliche Probleme etwa Kanalisierung Wasser- oder Nahrungsmittelbeschaffung und Speicherung wie es zum Bei-spiel schon die Bienen tun (Popper 1999 256f)
Am Beispiel der Technik legt Popper dar dass der fehlerhafte Versuch und die Feh-lerkorrektur fuumlr das Weiterentwickeln notwendig wenn nicht sogar essentiell sind Um diesen Schritt gehen zu koumlnnen bedarf es erstens einer Reihe von Problemen die uns zum Handeln veranlassen Zweitens sollten diese Problemsituationen derart komplex und anspruchsvoll sein dass sie die Moumlglichkeit enthalten Fehler machen zu koumlnnen Und drittens ist eine positive Fehlerkultur die notwendige Vorausset-zung dafuumlr aus Fehlern lernen zu koumlnnen
Aus Poppers Annahme laumlsst sich schlieszligen dass Probleme als Ausgang fuumlr das Fehlermachen ein didaktisches Lernpotential enthalten sodass folgende These auf-gestellt wird Probleme enthalten didaktisches Potential Diese wird im folgenden
Problemorientiertes Lernen in der DaF-DaZ-LehrerInnenbildung 39
Kapitel untermauert indem der Problembegriff etymologisch valenztheoretisch so-wie philosophisch betrachtet wird Anschlieszligend werden diese Gedanken um die psychologische Perspektive ergaumlnzt und lernpsychologisch verortet
31 Der Begriff des bdquoProblemsldquo
Aus etymologischer Perspektive betrachtet stammt der Begriff des bdquoProblemsldquo aus dem Griechischen von πρόβλημα (proacuteblēma) bzw von προβάλλειν (probaacutellein) ab und bedeutet bdquodas Vorgelegteldquo bzw bdquovorwerfenldquo bdquovorhaltenldquo (Kluge 2015 563) Wird bdquoVorgelegtesldquo in der Form des Verbs bdquovorlegenldquo im Sinne von bdquoetwas vor jemanden zur Ansicht Begutachtung Bearbeitung o Auml hinlegenldquo (Duden 2018 o A) verstanden und unter dem Gesichtspunkt der Verbvalenz betrachtet ist eine Dreiwertigkeit festzustellen ein Subjekt (1) legt einem Gegenuumlber (2) ein Objekt (3) vor Hier wird deutlich dass zwei verschiedene Akteure sowie ein Gegenstand in-volviert sind Entsprechend der oben genannten These kann diese Dreiwertigkeit auf didaktische Kontexte wie folgt uumlbertragen werden Eine Lehrperson (1) legt ei-nemeiner Lernenden (2) einen Lerngegenstand (3) vor Die Dreiteilung von Lehr-kraft Lernenden und Lerninhalt bilden das Grundmodell des didaktischen Dreiecks (Boumlnsch 2006 149) welches nach Schroumlder bdquodas Zusammenspiel der drei wichtigs-ten Faktoren didaktischer Prozesse des Unterrichtsldquo (Schroumlder 2001 75) darstellt und in der folgenden Abbildung visualisiert wird
Abbildung 1 Valenz des Begriffs bdquoProblemldquo im didaktischen Dreieck (eigene Dar-stellung orientiert an Reusser (2005 167))
40 Theres Werner
Die etymologische und valenztheoretische Auseinandersetzung veranschaulicht dass der Begriff des Problems an sich bereits didaktisches Potential enthaumllt
Aus philosophischer Sicht stellt Holzhey fest dass dieser Begriff gegenwaumlrtig ausufernd gebraucht wird und einer Nivellierung unterliegt (Holzhey 2018 o S) Er definiert ein Problem einerseits als bdquoeine beliebige Schwierigkeit Aufgabe oder Frage [hellip] die es zu loumlsen bzw zu beantworten giltldquo (Holzhey 2018 o S) andererseits als bdquoeine bereits elaborierte in einem wissenschaftlichen Kontext gestellte Aufgabe mit einem gewissen Schwierigkeitsgradldquo (Holzhey 2018 o S) Beide Definitionsansaumltze verdeutlichen dass das Problem als eine Art Aufgabe mit einer graduellen Abstufung von Anforderungen verstanden werden kann Aufgaben an sich sind bereits ein di-daktisches Potential immanent denn sie lassen sich fuumlr Lerngelegenheiten einsetzen Die verschiedenen Schwierigkeitsgrade koumlnnen einerseits mit dem Konzept der Pro-gression in Beziehung gesetzt werden andererseits mit der Differenzierung bei he-terogenen Lernendengruppen So stuumltzt auch die philosophische Auffassung des Problembegriffs die oben aufgestellte These Problemen haftet didaktisches Poten-tial an
Anhand der etymologischen und valenztheoretischen sowie philosophischen Herangehensweisen konnte aufgezeigt werden dass dem Problembegriff per se di-daktisches Potential immanent ist
32 Psychologische Betrachtung und lernpsychologische Verortung
Zieht man die psychologische Betrachtungsweise des Problembegriffs nach Wirtz heran kommt ein weiterer wesentlicher Aspekt der der Bestandteile hinzu Ein Problem ist
eine Art der Denkanforderung die im Unterschied zu den Aufgaben i e S durch drei Komponenten gekennzeichnet sein soll (1) unerwuumlnschter An-fangszustand (2) erwuumlnschter Endzustand (3) Barriere die die Transforma-tion von (1) in (2) zunaumlchst verhindert Aufgaben sind von Problemen als geistige Anforderungen dadurch abgegrenzt dass fuumlr ihre Bewaumlltigung Me-thoden bekannt sind (Wirtz 2014 1222)
Deutlich wird hier die Abgrenzung von Problemen zu Aufgaben mit der Unterschei-dung dass zur Loumlsung einer Aufgabe Methoden bekannt sind Fuumlr Probleme sind sie scheinbar zunaumlchst unbekannt Beiden gemeinsam ist eine kognitive Anforde-rung
Hervorzuheben sind die Aufteilung in Ist- und Sollzustand sowie der Uumlbergang zwischen ihnen Im Lernkontext kann der Istzustand als derzeitiger Lern- oder Wis-sensstand des Lernenden und der Sollzustand als Lernziel betrachtet werden Die Barriere die es zu uumlberwinden gilt stellt den Lernbedarf dar und kann mit einem Wissen- bzw Kompetenzzuwachs und damit dem Lernen gleichgesetzt werden So-wohl die beschriebene Transformation als auch die kognitive Leistung sind fuumlr Lern-
Problemorientiertes Lernen in der DaF-DaZ-LehrerInnenbildung 41
prozesse charakteristisch sodass deutlich wird dass auch im psychologischen Ver-staumlndnis vom Problembegriff die Uumlbertragbarkeit auf didaktische Kontexte moumlglich ist
Mit der Betrachtung aus psychologischer Sicht wird der prozesshafte Charakter beim Problemloumlsen deutlich den auch Oumlllinger und Spada deutlichen machen es wird stets eine Loumlsung angestrebt das heiszligt es ist ein bdquoUumlbergang vom Ausgangszu-stand zum Ziel zu findenldquo (OumlllingerSpada 2014 1223) Den Prozess stellt Dewey in Denkakten dar die sich in fuumlnf Schritten vollziehen
I Man begegnet einer Schwierigkeit II sie wird lokalisiert und praumlzisiert III Ansatz einer moumlglichen Loumlsung IV logische Entwicklungen der Kon-sequenzen des Ansatzes V weitere Beobachtungen und experimentelles Vorgehen fuumlhren zur Annahme oder Ablehnung das heiszligt der Denkprozeszlig findet seinen Abschluszlig indem man sich fuumlr oder wider die bedingt ange-nommene Loumlsung entscheidet (Dewey 1965 118)
Das Vorgehen in Schritten beim Problemloumlseprozess wird in Kapitel 41 wieder auf-gegriffen
Fuumlr die Uumlberwindung der Barriere vom Ist- zum Sollzustand ist es notwendig dass die Lernenden das Beduumlrfnis haben das Problem zu loumlsen Hier sind die extrin-sische und intrinsische Motivation von Bedeutung Die extrinsische Motivation kann durch viele Faktoren beeinflusst werden neben der Lernumgebung der Lerngruppe die zur Verfuumlgung stehenden Materialien die Lernbegleitung durch Betreuende wie Tutoren oder Lehrende sowie die Ziele muss auch das vorzulegende Problem derart gestaltet sein dass die Lernenden herausgefordert sind es zu loumlsen Andererseits muss vorausgesetzt werden dass die Lernenden intrinsisch motiviert sind Probleme zu loumlsen Diese Annahme wird in der Organisationstheorie mit der Theorie X und Theorie Y beschrieben (Adlhart 2013 162) Der Theorie X liegt ein Menschenbild zu Grunde dass von einem Menschen ausgeht der arbeitsscheu ohne Ehrgeiz und traumlge ist (Adlhart 2013 163) Von einem idealistischen Menschenbild wird in der Theorie Y ausgegangen bei der der Mensch motiviert und verantwortungsbewusst ist solange ihm Handlungsspielraumlume gegeben werden und ihm das eigenstaumlndige Setzen von Zielen zugetraut wird (Adlhart 2013 163)
Verortet werden kann das problemloumlsende Denken nach Funke in verschiede-nen Teilgebieten der Psychologie Im Assoziationismus wird beim Problemloumlsen von einer Umschichtung von Reaktionshierarchien ausgegangen (Funke 2003 44f) In der Gestalttheorie wird Problemloumlsen verstanden als Suche nach einer guten Ge-stalt (Funke 2003 45ff) Die Psychoanalyse versteht Problemloumlsen als Bewusstma-chung unbewusster Inhalte (Funke 2003 57ff) Problemloumlsen als Informationsver-arbeitung ist charakteristisch im Funktionalismus (Funke 2003 60ff) Zudem kann das Problemloumlsen auch handlungstheoretischen und evolutionspsychologischen An-saumltzen zugeordnet werden (Funke 2003 95ff) Es wird deutlich dass das Problem-loumlsen verschiedenen psychologischen Teildisziplinen mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt zugeordnet werden kann
42 Theres Werner
Ergaumlnzend wird darauf verwiesen dass das Problemloumlsen nach Gasser zwei Di-mensionen umfasst neben einer globalen Dimension ndash auf die auch Popper verweist ndash wie beispielsweise Hungersnoumlte Abfall und Kriminalitaumlt steht eine individuelle Dimension des Problemloumlsens (Gasser 2000 301) Diese zweite Komponente ver-standen als Problemloumlsefaumlhigkeit gilt als zentraler Auftrag von Bildungsinstitutionen und wird als Schluumlsselqualifikation bezeichnet (Gasser 2000 301) Sie findet sich in den KMK-Standards fuumlr die Lehrerbildung in den Bildungswissenschaften wieder und gilt dort als ein moumlglicher didaktisch-methodischer Ansatz zur Vermittlung von bildungswissenschaftlichen Inhalten (KMK 2004 5)
4 Problemorientiertes Lernen
Im ersten Teil dieses Kapitels erfolgt die Einordnung und Darstellung des problem-orientierten Lernens ergaumlnzt mit einem Blick auf den Forschungsstand Da der Ein-satz von Problemen eine breite Anwendung in vielfaumlltigen Lernsettings findet erge-ben sich zahlreiche Schnittmengen vor allem mit offenen und selbstgesteuerten Lernformen wie dem situativen Lernen Projektlernen und Lernsettings die einer Handlungsorientierung folgen Auch bestehen Parallelen zur Fallarbeit bzw Kasu-istik Diese Ansaumltze werden in einem Exkurs uumlberblicksartig skizziert
41 Einordnung und Konzept
Problemorientiertes Lernen (POL) haumlufig auch als Problem-based Learning be-zeichnet wird verstanden als das Lernen anhand authentischer Probleme (Zum-bachWeberOlsowski 2007 9) und bdquoist eine Lehr- und Lernform situierter gehirn-gerechter und problemorientierter Didaktikldquo (Weber 2007b 15) Dem POL liegt ein Lernverstaumlndnis zu Grunde das als aktiver konstruktiver selbstgesteuerter sozialer und problemorientierter Prozess verstanden wird (Weber 2007b 15)
Sowohl in schulischen als auch in hochschuldidaktischen Lernkontexten findet es breiten Einsatz und wird im Bereich der Hochschuldidaktik unter anderem in der Medizin in den Ingenieurs- und Rechtswissenschaften und in LehrerInnenbildung eingesetzt (MairBrezowarOlsowskiZumbach 2012 Zumbach et al 2007 Muumlller Werder 2013)
Die Urspruumlnge von POL lassen sich an der kanadischen McMaster-University finden an der in den 60er Jahren im Studium der Medizin ein mangelnder Transfer von erworbenem Wissen auf Situationen im Arbeitsalltag festgestellt wurde sodass weg vom klassischen Format der Frontalvermittlung nach einer praxisorientierteren Form des Lehrens und Lernens gesucht wurde (Zumbach 2003 19) Dieser Grund-gedanke entspricht im Bereich der Hochschuldidaktik der Debatte bdquoThe Shift from Teaching to Learningldquo die bereits oben in Kapitel 21 erlaumlutert wurde (Wel-bersGaus 2005 Bachmann 2014) und die Welbers als Paradigmenwechsel bezeich-
Problemorientiertes Lernen in der DaF-DaZ-LehrerInnenbildung 43
net (Welbers 2005 357) In Europa wurden an den Universitaumlten in Maastricht (Uni-versitaumlt Maastricht 2018) und Aalborg (KolmosFinkKrogh 2004) als erstes prob-lembasierte Curricula eingesetzt
Der Forschungsstand zu Wirksamkeit von POL zeichnet kein einheitliches Bild Kirschner Sweller und Clark (2006) heben hervor dass instruktionsbasierte Lernar-rangements gegenuumlber problemorientierten nachweislich besser zum Lernerfolg fuumlhren In der aus dem Kontext des Medizinstudiums stammenden Studie weisen Albanese und Mitchell (1993) nach dass POL zum einen die Lernmotivation steigert und zum anderen die Faumlhigkeit zum selbstgesteuerten Lernen foumlrdert Den Erfolg vom problemorientierten Lernen in der universitaumlren LehrerInnenbildung weisen die Studien von Wagner Stark Daudbasic Klein Krause und Herzmann (2013) so-wie Foumllling-Albers Hartinger und Moumlrtl-Hafizović (2004) nach Wagner et al kom-men zu dem Ergebnis dass Studierende der problemorientierten Lernumgebung be-zuumlglich des konzeptuellen Wissens bdquoklar im Vorteilldquo sind was sie auf bdquodie systema-tische Integration instruktionaler Elemente in [hellip] [ihrer] Konzeption problemori-entierten Lernensldquo (Wagner et al 2013 134) zuruumlckfuumlhren Ebenso profitierten die Studierenden der problemorientierten Lernumgebung bei dem Erwerb anwendba-ren Wissens was sie unter anderem auch auf den Einsatz von kooperativen Lern-settings zuruumlckfuumlhren (Wagner et al 2013 134) In ihrer empirischen Vergleichsstu-die zum situierten Lernen erhoben Foumllling-Albers Hartinger und Moumlrtl-Hafizović (2004) Daten von 100 Studierenden des Grundschullehramts in Lehrveranstaltungen zum Schriftspracherwerb und legten den Fokus auf die Anwendbarkeit des Wissens das Faktenwissen und die lernbegleitenden Prozesse (Foumllling-Albers et al 2004 732f) Die Ergebnisse zeigen dass Studierende der Experimentalgruppe im Ver-gleich zu denen der Kontrollgruppe ihr Wissen in Anwendungssituationen besser nutzen konnten und diese im Vergleich zu der Gruppe ohne Intervention beim Er-werb des Faktenwissens nicht unterliegen (Foumllling-Albers et al 2004 743) Schlieszlig-lich resuumlmieren Strobel und van Barnefeld (2009) in ihrer Meta-Synthese eine quali-tativ-quantitativ durchgefuumlhrte Analyse von Metaanalysen zur Wirksamkeit von POL gegenuumlber konventionellen Lernarrangements dass die Wirksamkeit von POL nachgewiesen sei bdquoespecially for workplace learning with a focus on skills and long-term retentionldquo (Strobelvan Barnefeld 2009 55) Sie weisen jedoch darauf hin dass die Forschung vorangetrieben werden soll im Bereich der bdquoeffectiveness of support structures to find optimal scaffolding coaching and modeling strategies for succes-sful facilitation of PBLldquo (Strobelvan Barnefeld 2009 55)
Zumbach nennt orientiert an Barrows vier zentrale Ziele von POL
1 Das zu erwerbende Wissen soll strukturiert fuumlr den Gebrauch in einem klinischen Kontext vermittelt werden 2 Lernende sollen eine effektive kli-nische Problemloumlsekompetenz erwerben 3 Wissenserwerbsprozesse sollen auch den Erwerb an Kompetenzen im Bereich des selbstgesteuerten Ler-nens beinhalten 4 Die Motivation beim Lernen soll gesteigert werden (Zu-mbach 2003 19)
44 Theres Werner
Wesentliche Komponenten beim POL sind nach Zumbach neben der Problemauf-gabe auch die Kleingruppen und die Tutoren sowie weitere Lernressourcen die ne-ben den Materialien auch die Kompetenzen der Lehrenden einbeziehen (Zumbach 2003 20) Bei Weber werden folgende Komponenten aufgefuumlhrt Problemaufgaben die Faumlhigkeiten der Lernenden und Lehrenden sowie die Organisation und curricu-laren Strukturen (Weber 2007a 41ff) Die Konstruktion von Problemaufgaben als ein zentraler Baustein beim POL sollte sich an Lernzielen orientieren und kann dem-entsprechend unterschiedlich gestaltet sein als Studienaufgabe klassische Problem-aufgabe Anwendungsaufgabe Diskussionsaufgabe oder Strategieaufgabe (Weber 2007a 84) Die Bearbeitung von POL-Aufgaben gliedert sich nach Weber (2007b 23ff) in sieben Schritte die wie folgt untergliedert werden
Abbildung 2 Der Siebensprung beim POL (eigene Darstellung orientiert an Weber (2007b 30))
Das Vorgehen in sieben Schritten kann jedoch variieren Wie oben unter (32) auf-gefuumlhrt untergliedert Dewey (1965) den Denkakt in fuumlnf Schritte Guilbert (1987) geht von zehn Stufen aus Dahingegen arbeiten Wilhelm und Brovelli (2009) mit einem Drei-Phasen-Ansatz Braszligler und Dettmers (2016) nutzen ein Modell beste-hend aus acht Stufen In einer Studie im Rahmen von Hospitality Management Edu-cation befragten Zwaal und Otting (2014) Lernende zu einem siebenstufigen Vor-gehen welches sich in den juumlngeren Semestern bewaumlhrte bei den erfahrenen Ler-nenden als eher hinderlich galt und das selbstgesteuerte Lernen einschraumlnkte Sie schlagen in einer Studie ein Dreiphasenmodell vor (ZwaalOtting 2016) Die ge-nannten unterschiedlichen Vorgehensweisen setzen an der oben aufgefuumlhrten Defi-nition des Problembegriffs aus psychologischer Sicht an Und die Barriere die vom Ausgangszustand (Problemaufgabe) zum Endzustand (Wissenszuwachs durch Louml-sung des Problems) uumlberwunden werden muss spiegelt sich in den verschiedenen Stufen wider
Problemorientiertes Lernen in der DaF-DaZ-LehrerInnenbildung 45
42 Verwandte Ansaumltze in didaktischen Lernarrangements
Grundsaumltzlich ist problemorientiertes Lernen von der Kasuistik bzw Fallarbeit ab-zugrenzen jedoch sind die Uumlbergaumlnge flieszligend Ein Fall ist laut Hempel bdquoeine Kon-struktion von Wirklichkeit mit der eine Beziehung zwischen Besonderem und All-gemeinem hergestellt wirdldquo (Hempel 2006 8) Steiner schlaumlgt vor Kasuistik und Fallarbeit synonym zu verwenden und bezeichnet sie als bdquoeine an Faumlllen orientierte Vorgehensweise des Lernens Lehrens Untersuchens und Forschens die auf Erzie-hungs- und Bildungsprozesse im Kontext von Schule und Unterricht fokussiert istldquo (Steiner 2014 8)
In der Kasuistik bzw Fallarbeit koumlnnen die Faumllle auf der Grundlage von Fallge-schichten Situationsbeschreibungen Simulationsspiele oder Unterrichtsprotokollen basieren sodass eigene aber auch fremde Faumllle aus der Praxis genutzt werden (BeckHelsperHeuerStelmaszykUllrich 2000 16) Was konkret der Fall ist so Pieper bdquohaumlngt von der jeweils spezifischen disziplinaumlr und methodisch oderund handlungspraktisch bestimmten Perspektive abldquo (Pieper 2014 10) sodass eine ab-schlieszligende Definition nicht gegeben werden kann In dem Band von Pieper Frei Hauenschild und Schmidt-Thieme (2014) wird dieser Frage aus verschiedenen Per-spektiven nachgegangen
Dass unscharfe Grenzen zwischen den Konzepten bestehen wird auch bei Schwenk Klier und Spanger (2010) deutlich Sie nutzen Begrifflichkeiten aus der Kasuistik bzw der Fallorientierung und dem problemorientierten Lernen und ver-weisen explizit darauf dass sie sich an dem Vorgehen des 7-Sprungs orientieren (Schwenk et al 2010 2f 72ff)
Gemeinsam ist allen Zugaumlngen zweierlei erstens die Analyse der Ausgangssitu-ation bzw des Falls oder des Problems Hier wird die Parallele zur psychologischen Begriffsdefinition erkennbar Und zweitens das Ziel einer staumlrkeren Theorie-Praxis-Verzahnung Jedoch ist die Forderung von mehr Praxisbezug im Rahmen kasuisti-schen Lernens nicht unumstritten wie der kritische Beitrag von Dzengel (2017) auf-zeigt
Im Folgenden werden aumlhnliche Lernsettings zum problemorientierten Lernen im Umfeld von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache skizziert
In dem Kontext interkultureller Kommunikation werden vor allem bei interkul-turellen Trainings sogenannte bdquocritical incidentsldquo eingesetzt Unter bdquocritical inci-dentsldquo versteht Flanagan bdquoany observable human activity that is sufficiently com-plete in itself to permit inferences and predictions to be made about the person per-forming the actldquo (Flanagan 1954 327) Verwendet werden sie als Analyse- und Lern-material fuumlr interkulturelle Probleme da sie der Illustration in andere Diskussions-zusammenhaumlnge aber auch zu theoretischen Wissensvermittlung uumlber eine Kultur und ebenfalls zum Abbau von Vorurteilen dienen (Heringer 2017 228) Juumlngst wird dieser Begriff im Fachdiskurs auf Grund der Foumlrderung von Stereotypenbildung und daraus resultierenden Homogenitaumltspraumlmissen durch bdquopositive incidentsldquo ersetzt (Bolten 2016 82)
46 Theres Werner
Im berufsbezogenen Unterricht Deutsch als Zweitsprache findet die bdquoSzenario-methodeldquo ihren Einsatz (Eilert-EbkeSass 2014) Szenarien setzen im fremdsprach-didaktischen Kontext an der kommunikativen Wende an und ruumlcken Sprachhand-lungen und Kommunikationsfaumlhigkeit als Lernziel in den Fokus die sich vor allem durch die Arbeiten von Piepho im deutschen Sprachraum etabliert haben (Krumm 2003 118) Und sie ermoumlglichen bdquoauthentisches kommunikatives Handeln in au-thentischen Kontexten und haben folglich eine groumlszligere Naumlhe zur sprachlichen Wirk-lichkeit als beispielsweise isolierte Sprachintentionenldquo (Krumm 2003 118) Ziel der Szenariomethode ist es Lerner anhand von Handlungsabfolgen die der konkreten Arbeitswelt entnommen sind sprachlich auf diese vorzubereiten (Eilert-EbkeSass 2014 7)
Ein weiterer Blick in die Fremdsprachendidaktik zeigt Parallelen zum Task-Ba-sed-Language Learning und Teaching (TBLT) auf im Deutschen auch als Aufga-benorientierung bekannt welches eines der didaktisch-methodischen Prinzipien des Fremdsprachenunterrichts darstellt (Funk 2010 943) Nach Van den Branden ist task bdquogenerally described as an activity in which people engage to attain an objective and which involves the meaningful use of languageldquo (van den Branden zitiert nach Muumlller-HartmannSchocker-von Ditfurth 2011 22) Grundlage sind verschiedene Aufgabenformen mit denen das Ziel des sprachlichen Handelns kombiniert mit der Orientierung an den Lernbedarfen der Lernenden verfolgt wird (Muumlller-Hart-mannSchocker-von Ditfurth 2016 325) Je nach Anpassung an die Lernbedarfe wird auch von Task-Supported Language Teaching (TSLT) gesprochen (Muumlller-HartmannSchocker-von Ditfurth 2016 326)
5 Ausblick
Das oben theoretisch verortete Forschungsvorhaben zum problemorientierten Ler-nen soll in der fachdidaktischen DaF-DaZ-LehrerInnenbildung unter folgenden moumlglichen Fragestellungen empirisch untersucht werden Was nehmen Lehramts-studierende als Ist- und Sollzustand in der Auseinandersetzung mit Problemaufga-ben wahr Was wird als zu uumlberwindende Barriere die den Lernbedarf umfasst wahrgenommen In welchen Schritten erfolgt der Bearbeitungsprozess der Prob-lemaufgaben Und inwieweit lassen sich Parallelen bzw Unterschiede zu den oben genannten Stufenmodellen der verschiedenen Autoren bei der Problembearbeitung feststellen Orientiert an Popper ergibt sich die Frage inwieweit das problemorien-tierte Lernen aus Sicht der Studierenden fuumlr den Wissenserwerb eignet ist Und aus lerntheoretischer Sicht inwieweit es aus Studierendenperspektive fuumlr eine Theorie-Praxis-Verknuumlpfung nuumltzlich ist Diese Fragen sollen mittels eines qualitativen For-schungsdesigns welches es auszuarbeiten gilt beantwortet werden
Problemorientiertes Lernen in der DaF-DaZ-LehrerInnenbildung 47
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Themenschwerpunkt 1 Lehren und Lernen mit digitalen Medien
Sektionsbericht
Koordination Olaf Baumlrenfaumlnger amp Andreas Kraft
Digitale Medien sind mittlerweile aus dem modernen Fremdsprachenunterricht kaum mehr wegzudenken Das Spektrum an Anwendungen und Einsatzmoumlglichkei-ten erweitert sich mit enormer Geschwindigkeit sodass digitale Medien Lehrende beispielsweise bei der Erstellung attraktiver Lehr- und Lernmaterialien oder bei der Darbietung von Audios Videos und Praumlsentationen unterstuumltzen Lernende koumlnnen ferner in eigener Initiative an interaktiven Uumlbungen teilnehmen oder mit anderen Lernenden kommunizieren Elektronische Plattformen wie Moodle erlauben es Lernprozesse zu gliedern Lernmaterialien zu distribuieren Kommunikation zu strukturieren und die Ergebnisse von Lernprozessen zu evaluieren
Vor diesem Hintergrund wurden im Themenschwerpunkt 1 sowohl das zweifel-los groszlige Potenzial als auch die Grenzen digitaler Medien im Fremdsprachenunter-richt diskutiert Die im Vorfeld aufgeworfenen zentralen Fragestellungen waren u a
Welche digitalen Formate und Anwendungen versprechen besondere Poten-ziale fuumlr das Lernen von Fremdsprachen
Welche Lerneffekte lassen sich mit digitalen Medien erzielen
Welche empirischen Befunde liegen zur Wirksamkeit und Akzeptanz einzel-ner digitaler Medien vor
Wie lassen sich digitale Medien strategisch in Kurscurricula integrieren
Worin besteht der spezifische Mehrwert digitaler Medien
58 Sektionsbericht TSP 1
Wie lassen sich digitale Medien zur Bewertung der Leistungen von Lernenden einsetzen (E-Assessment)
In welcher Weise muumlsste die Aus- und Weiterbildung von Lehrenden den spezifischen Anforderungen und Gegebenheiten digitaler Medien Rechnung tragen
Ruumldiger Riechert (Duumlsseldorf) eroumlffnete den Themenschwerpukt 1 mit dem Vortrag bdquoHybrides Lernen mit Tablets Smartphones Apps und Webanwendungen digitale Medien als Ergaumlnzung zum analogen Unterrichtldquo Der praxisorientierte Beitrag the-matisierte die Vor- und Nachteile der Anschaffung eigener Tablets fuumlr Institutionen indem uumlber Erfahrungen aus dem unterrichtlichen Einsatz von Tablets in verschie-denen Kursniveaus in Sprachkursen und in Pruumlfungsvorbereitungskursen berichtet wurde Daruumlber hinaus wurden in der Praxis erprobte Fortbildungsdesigns zum Un-terricht mit digitalen Medien und Webanwendungen diskutiert Durch die praxis-nahe Darstellung von methodisch sinnvollen webbasierten Anwendungen und Apps wurden digitale Werkzeuge vorgestellt die einen besonderen didaktischen Mehrwert versprechen Dieser liegt allerdings nicht darin den analogen Unterricht zu ersetzen sondern in dessen sinnvolle Bereicherung und Ergaumlnzung
Susanne Krauszlig (Essex) diskutierte in ihrem Vortrag bdquoDigital native aber auch di-gital literate Nutzungsverhalten von digitalen Lerntechnologien fuumlr das selbststaumln-dige Wortschatzlernenldquo die Rolle digitaler Medien und Lerntechnologien fuumlr den Fremdsprachenlerner Ausgehend von einem Beispiel zum selbststaumlndigen Wort-schatzlernen fortgeschrittener Deutsch-als-Fremdsprache-Lerner ging sie auf das Potenzial digitaler Medien ein und praumlsentierte daraufhin erste Ergebnisse aus einer Studie an britischen Germanistikstudenten zur Nutzung von Lerntechnologien fuumlr das Wortschatzlernen
Im dritten Vortrag mit dem Titel bdquoGibt es noch mehr von dieser Grammatik DaF-Lernende lernen Grammatik mit einer interaktiven Lernsoftwareldquo stellte Tamara Zeyer (Gieszligen) das Konzept der interaktiv animierten Grammatik vor Diese enthaumllt sowohl die Praumlsentation des grammatischen Phaumlnomens in einem Kontext Moumlglichkeiten des entdeckenden Lernens der Regeln als auch Uumlbungen Besonderer Fokus liegt dabei auf der Interaktivitaumlt wodurch eine Differenzierung der Vermitt-lung der grammatischen Phaumlnomene bezogen auf unterschiedliche Lernertypen er-reicht wird In ihrer Studie untersuchte sie den Umgang verschiedener Lerner mit der interaktiven Grammatik sowie Faktoren die den Einsatz bestimmter Strategien bei der Aufgabenbearbeitung beeinflussen
Diana Feick (Wien) praumlsentierte in ihrem Vortrag bdquoMobiles Lernen im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitspracheldquo erste Ergebnisse einer explorativen Stu-die zum mobilen Lernen in der Sekundarstufe I in DaF-DaZ-Lernsettings Beson-derer Fokus lag hierbei auf das Mobile Assisted Language Learning (MALL) dessen Sprachlernpotenzial sowie innovative Interaktionsformen und Wissenskonstruktio-nen Dabei wurde auch das Potenzial des informellen und beilaumlufigen Sprachenler-nens thematisiert sowohl innerhalb als auch auszligerhalb des Unterrichts
Sektionsbericht TSP 1 59
bdquoFoumlrderung interaktiver Kompetenz per Videokonferenzldquo lautete der Titel des gemeinsamen Vortrags von Hoshii Makiko (Tokyo) und Nicole Schumacher (Berlin) In ihrem Beitrag wurde u a die Frage zur Diskussion gestellt inwiefern durch den Einsatz von Videokonferenzen authentische Kommunikationssituationen in einem institutionalisierten Unterrichtssetting geschaffen werden koumlnnen Hierzu wurden Videokonferenzen zwischen japanischen und deutschen Studierenden untersucht Um Antworten auf aufgeworfene Fragestellungen zur Verstaumlndnissicherung zur Produktionshilfe sowie zu Interaktionsmuster der Beteiligten geben zu koumlnnen wur-den sowohl quantitative als auch qualitative Methoden herangezogen Die Ergeb-nisse der Analyse zeigten dass solche Methodenkombinationen dazu beitragen koumln-nen die Prozesse kommunikativer Unterrichtsinteraktion per Videokonferenz in ih-rer Mehrdimensionalitaumlt zu erfassen
Hans-Joachim Schulze (Helsinki) stellte in seinem Vortrag bdquoDeutsch situativ ndash ef-fektive Kommunikation fuumlrs Berufslebenldquo muumlndlich orientierte Kurse vor die nach dem Prinzip des Flipped Learnings konzipiert sind Studierende sollen so auf die Anforderungen im spaumlteren Berufsleben vorbereitet werden sodass sie in der Lage sind anspruchsvolle Situationen im internationalen Geschaumlftsleben zu bewaumlltigen Die Materialien zum Selbststudium werden auf einer E-Learning-Plattform zur Ver-fuumlgung gestellt Zur Diskussion wurde u a der Mehrwert des Einsatzes solcher Plattformen im Fremdsprachenunterricht gestellt
Der abschlieszligende Vortrag im Themenschwerpunkt 1 mit dem Titel bdquoGrund-wortschatz als Hypertext Datengeleitete Methoden zur Modellierung lernerrelevan-ter Aspekte des mentalen Lexikonsldquo von Willi Lange (Tokyo) Saburo Okamura (To-kyo) und Joachim Scharloth (Dresden) beschaumlftigte sich mit der Berechnung eines da-tengeleiteten Grundwortschatzes Im Rahmen des Forschungsprojekts bdquoWort-schatzerwerb und Sprachgebrauch Empirische Grundlagen fuumlr kognitive Erwerbs-modelle des Grundwortschatzes Deutschldquo wurden mithilfe datengeleiteter korpus-linguistischer Methoden und lexikographischer Ressourcen Strukturen des deut-schen Kernwortschatzes und des mentalen Lexikons berechnet Die Ergebnisse wurden genutzt um die Grundlage fuumlr die Aufbereitung des Wortschatzes als Hy-pertext zu bilden was im Rahmen ihres Vortrags zur Diskussion gestellt wurde
Digital gepraumlgt aber auch digital literate Nutzungsverhalten von digitalen Lerntechnologien fuumlr das selbststaumlndige Wortschatzlernen
Susanne Krauszlig (Essex)
1 Einleitung
Digitale Medien und Ressourcen bieten zweifelsohne fuumlr Fremdsprachenlerner di-verse Moumlglichkeiten den Lernprozess zu unterstuumltzen und zu bereichern sei es in Bezug auf Interaktivitaumlt Multimedialitaumlt Authentizitaumlt oder Autonomie Bezuumlglich dieses in der Lehr-Lernforschung diskutierten didaktisch-methodischen Nutzens und der tatsaumlchlichen Nutzung von Lernern1 besteht jedoch eine Diskrepanz bdquoThere appears to be a gap or disconnect between what students are actually doing and where research directions in CALL are taking usldquo (SteelLevy 2013 319)
Aber welche Rolle spielen digitale Medien und Lerntechnologien eigentlich fuumlr Fremdsprachenlerner In diesem Beitrag soll diese Frage am Beispiel des selbststaumln-digen Wortschatzlernens fortgeschrittener Deutsch-als-Fremdsprache-Lerner be-sprochen werden Dabei wird zunaumlchst auf das Problem der digital literacy sowie dem Potenzial von digitalen Medien im Bereich des selbststaumlndigen Wortschatzlernens eingegangen und danach erste Ergebnisse aus einer Studie mit britischen Germanis-
1 Im Folgenden werden aus Gruumlnden der Lesbarkeit maumlnnliche Personenbezeichnungen fuumlr beide
Geschlechter benutzt Dabei sind soweit nicht anders angegeben in jedem Falle maumlnnliche und weibliche Lerner Nutzer Studierende etc gemeint
62 Susanne Krauszlig
tikstudenten vorgestellt welche Lerntechnologien sie fuumlr das Wortschatzlernen nut-zen Anschlieszligend werden Faktoren aufgelistet die bezuumlglich der Wahl fuumlr oder ge-gen bestimmte Ressourcen aus den Daten ersichtlich wurden
2 Digital Literacy ndash Definitionen und Literaturuumlberblick
Die Internetbeauftragte der Bundesregierung Gesche Joost beschreibt Digital literacy als bdquodie Alphabetisierung fuumlr alles Digitaleldquo2 und bdquodigitale Kenntnisseldquo rund um Smartphones Computer soziale Netzwerke und persoumlnliche Daten Es geht also bei einem weit gefassten Verstaumlndnis von digital literacy darum eine allgemeine Teilhabe in der digitalen Gesellschaft zu ermoumlglichen ndash sei es bzgl der zunehmenden Digita-lisierung des Alltags der Arbeitswelt oder eben auch des Bildungssektors Genauer betrachtet basiert digital literacy aus weit mehr als nur funktionalen IT-Kenntnissen (JISC 2014 o S) Das Joint Information System Committee (JISC) eine Organisa-tion die britische Bildungs- und Forschungstraumlger bezuumlglich digitaler Loumlsungen un-terstuumltzt und beraumlt basiert digital literacy auf folgenden sieben Faumlhigkeiten (JISC 2014 o S)3
media literacy
communications amp collaboration
career amp identity management
information literacy
digital scholarship
ICT literacy
learning skills
Auf diesen learning skills den Faumlhigkeiten effektiv in technikreichen formellen und informellen Settings zu lernen soll im Folgenden der Fokus liegen
Die Komplexitaumlt von digital literacy bzw digital competence4 zeigt sich auch im drei-stufigen Framework von Martin und Grudziecki (2006) zur Ausbildung von digital literacy Digital competence stellt hierbei die Basisstufe dar (Level I) und besteht aus dem Wissen den Fertigkeiten und Einstellungen bzgl eines kompetenten Umgangs mit Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) Dies kann auf unterschied-lichen Kompetenzniveaus geschehen z B als aspirant (niedrigstes Kompetenzni-veau) practitioner oder consultant (houmlchstes Kompetenzniveau) (MartinGrudziecki 2006 257) Als zentrales und wichtigstes Level bezeichnen die Autoren jedoch digital
2 [httpswwwyoutubecomwatchv=ILQFh_PUwVQ letzter Zugriff 20092017] 3 [httpswwwjiscacukguidesdeveloping-digital-litera cies letzter Zugriff 29092017] 4 In der Forschungsliteratur ist digital literacy verbreiteter als digital competence Des Weiteren werden
beide Begriffe oft zunehmend synonym verwendet Im Deutschen z B hat sich daruumlber hinaus der Begriff digitale Kompetenz durchgesetzt Im Rahmen dieses Artikels wird digital literacy benutzt aber als das komplexe Geflecht verstanden wie in Kapitel 2 besprochen
Digital gepraumlgt aber auch digital literate 63
usage (Level II) was sie als Anwendung der digitalen Kompetenz in spezifischen be-ruflichen oder anderen Domaumlnen beschreiben
Each user brings to this exercise hisher own history and personalprofes-sional development Digital usages are thus shaped by the requirements of the situation The drawing upon digital competence is determined by the individualrsquos existing digital literacy and the requirements of the problem or task (MartinGrudziecki 2006 257)
Hier wird bereits deutlich dass digital literacy zum einen nicht nur aus einem digitalen kompetenten Umgang besteht sondern auch situationsspezifisch zu verstehen ist (JISC 2014 o S) und demnach zwischen (Lern-)Situationen im privaten und schu-lischen bzw universitaumlren Bereich unterschieden werden muss Wie die Autoren an-merken stellt die letzte ultimative Stufe der Transformation5 (Level III) keine not-wendige Voraussetzung fuumlr digital literacy dar bdquoActivity at the level of appropriate and informed usage would be sufficient to describe as digitally literateldquo (Mar-tinGrudziecki 2006 259) Eine allgemeine digitale Kompetenz (egal auf welchem Niveau) bedeutet daher noch nicht dass diese auch fuumlr fachspezifische Situationen ndash z B das fremdsprachliche Wortschatzlernen ndash zutrifft Das European Framework for Digital Competence nennt z B als Problemloumlse-Kompetenz das Vermoumlgen sich priva-ter Bedarfe an z B Ressourcen Werkzeugen oder Weiterqualifikation bewusst zu sein und dafuumlr geeignete kritisch ausgewaumlhlte technische Loumlsungen zu finden (Fer-rari 2013 6) Es ist anzunehmen dass dies fuumlr private alltaumlgliche Probleme einfacher zu bewerkstelligen ist als fuumlr fachspezifische
21 Auf der Suche nach der Net Generation
Seit der Jahrtausendwende finden sich in den Medien mit Begriffen wie bdquoNet Gene-rationldquo (Tapscott 1997) bdquoMillenialsldquo (HoweStrauss 2000) bzw bdquoGeneration Yldquo und bdquodigital nativesldquo (Prensky 2001a) haumlufig Verweise auf die sogenannte bdquodigitale Generationldquo Der Digital Native wird dabei als eine Person beschrieben bdquodie mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und in ihrer Benutzung geuumlbt istldquo (Duden6) und umfasst alle die nach 1980 (PalfreyGasser 2008) bzw 1982 (HoweScott 2000) und der Jahrtausendwende geboren wurden
5 Die letzte ultimative Stufe digital transformation (Level III) ist erreicht bdquowhen the digital usages
which have been developed enable innovation and creativity and stimulate significant change witi-hin the professional or knowledge domainldquo (MartinGrudziecki 2006 259)
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64 Susanne Krauszlig
The proponents of this idea claim that not only does this generation have sophisticated skills7 in using digital technologies but also that through their exposure to these technologies they have developed radically new cognitive capacities and learning styles (Margaryan et al 2011 429)
Diese Entwicklung ist jedoch aus zwei Gruumlnden problematisch zum einen wird durch den Generationenbegriff angenommen dass alle Betroffenen eine universale und gleichermaszligen technische Erziehung genossen haben (KennedyJuddChur-wardGrayKrause 2008 109) zum anderen fehlt es diesen Annahmen uumlber veraumln-derte kognitive Faumlhigkeiten an einer wissenschaftlichen Grundlage (Schulmeister 2009 6) dennoch uumlben sie einen gewissen Einfluss auf das Bildungssystem und da-mit verbundene Entwicklungen aus Kirschner und Bruyckere (2017) widerlegen jedoch anhand zahlreicher wissenschaftlicher Studien die Mythen um Multitasking und sog digital natives und kommen zu dem Ergebnis bdquothat there is no such thing as a digital native who is information-skilled simply because (s)he has never known a world that was not digital [and] the ability to multitask does not exist and that de-signing education that assumes the presence of this ability hinders rather than helps learningldquo (Kirschnerde Bruyckere 2017 135)
Ein Vergleich der Statistiken der letzten beiden Jahre fuumlr Deutschland und das Vereinigte Koumlnigreich zeigen dass die Internetnutzung in beiden Laumlndern mit 84-89 sehr hoch und insbesondere die mobile Nutzung im Vergleich zu vergangenen Jahren stark angestiegen ist8 Waumlhrend also davon ausgegangen werden kann dass der Zugang zu Online-Ressourcen in den meisten europaumlischen Laumlndern in der Re-gel gegeben ist und regelmaumlszligig genutzt wird so darf mit Bezug auf die (Fremdspra-chen-)Didaktik nicht aus den Augen verloren werden um welche Technologien und Nutzungsweisen es sich dabei handelt und inwieweit diese ndash wenn uumlberhaupt ndash zum (selbststaumlndigen) Lernen genutzt werden oder dafuumlr hilfreich sind
22 Digital kompetent ndash was bedeutet das fuumlr (Fremdsprachen-)Lerner
Studien die das Mediennutzungsverhalten von Studierenden untersucht haben zei-gen dass Studierende durchaus im Sinne von Martin und Grudziecki (2006) digital kompetent sind (NewmanBeetham 2017 HendersonSelwynFingerAston 2015
7 Zu diesen Eigenschaften zaumlhlen z B ein muumlheloser Umgang mit diversen Medien und Wertschaumlt-
zung dieser fuumlr die Kommunikationsformen Aktivitaumlten etc die sie ermoumlglichen ein Verstaumlndnis von Lernen als kollektiver und kollaborativer statt individueller Prozess eine schnelle Infor-matsonsbeschaffung eine Praumlferenz fuumlr aktives erfahrungsbezogenes Lernen statt passives Ler-nen ein Angewiesensein auf Kommunikationstechnologien fuumlr die Informationsbeschaffung und soziale und professionelle Interaktion (MargaryanLittlejohnVojt 2011 KennedyJuddChur-wardGrayKrause 2008)
8 Siehe ARDZDF Online Studie [httpwwward-zdf-onlinestudiedefileadminOnlinestudie_2016Kern-Ergebnisse_ARDZDF-Onlinestudie_2016pdf letzter Zugriff 29092017] und Office for National Statistics UK [httpswwwonsgovukbusinessindustryandtradeitandinternetin-dustrybulletinsinternetusers2017pdf letzter Zugriff 29092017]
Digital gepraumlgt aber auch digital literate 65
GosperMcKenziePizzicaMalfroyAshford-Rowe 2014 SteelLevy 2013 Mar-garyan et al 2011 ConoleAlevizou 2010 Conolede LaatDillonDarby 2008 Kennedy et al 2008 de Florio-Hansen 2004) Der Zugriff auf und die Nutzung von digitalen Ressourcen wird nicht nur fuumlr die private Nutzung sondern auch fuumlr Stu-dienzwecke durchgehend als hoch beschrieben wenn auch das Kompetenzniveau durchaus variiert (Henderson et al 2015) allerdings handelt es sich dabei in erster Linie um bdquokonventionelleldquo Technologien wie Internetrecherche und Informations-beschaffung Nutzung von Lernplattformen und Programmen wie Email Textver-arbeitung und Praumlsentationssoftware (Kirschnerde Bruyckere 2017 NewmanBeetham 2017 Henderson et al 20159 Gosper et al 2014 Margaryan et al 2011 ConoleAlevizou 2010 Kennedy et al 2008) Auffaumlllig ist dass daruumlber hinaus fach-spezifische Technologien nahezu fehlen Selbst in Untersuchungen die auf Studie-rende der Sprach- und Kulturwissenschaften explizit eingehen (Conole et al 2008) bzw auf Fremdsprachenlerner ausgerichtet waren (SteelLevy 2013 de Florio-Han-sen 200410) werden als fachspezifische Technologien in erster Linie Woumlrterbuumlcher und Online-Uumlbersetzer genannt Nur in Steels und Levys (2013) Studie wurden dar-uumlber hinaus noch Konjugationswebseiten Online Sprachspiele (nicht naumlher ausge-fuumlhrt) und Online Karteikarten genannt Die Angaben zur Nutzung dieser drei Res-sourcen bewegten sich zwischen 43 und 56 (im Vergleich zu 82 und 85 Online-Uumlbersetzer und Online-Woumlrterbuumlcher) Es kann also beobachtet werden dass Studierende zwar bdquokonventionelleldquo Technologien regelmaumlszligig nutzen fachspe-zifische Technologien ihnen aber zahlenmaumlszligig unterlegen sind
Wie Computer Smartphones diverse Apps undoder (Autoren-)Programme im Unterricht eingesetzt werden koumlnnen ist bereits fester Bestandteil in der Lehrerfort- und -ausbildung (siehe z B DLL-Band 5 bdquoLehrmaterialien und Medienldquo11) Und Lehrpersonen stellen ohne Zweifel eine wichtige Informationsquelle dar um Ler-nende an verschiedene Nutzungsmoumlglichkeiten digitaler Angebote heranzufuumlhren Aber nicht alle Ressourcen die eingesetzt werden koumlnnen um den Unterricht effek-tiver wirklichkeitsbezogener undoder kommunikativer zu gestalten und die Lerner zu aktivieren eignen sich auch fuumlr das selbststaumlndige Lernen Waumlhrend durchaus einige aus dem Unterricht bekannte Ressourcen in das Arbeiten auszligerhalb des Klas-senzimmers verlagert werden koumlnnen (z B angeleitetes kooperatives Arbeiten in und mit Chats Mindmaps Wikis etc sowie lehrwerkgebundene automatisch korri-gierte Zusatzmaterialien) so kann es fuumlr Lerner schwierig sein daruumlber hinaus selbst adaumlquate Ressourcen fuumlr individuelle Bedarfe zu finden
9 In der Studie von Henderson et al (2015) nahmen zwar 113 Studierende aus dem Bereich Geistes-
Sprachwissenschaften und Bibliothekswesen teil auf diese wurde aber in der Auswertung nicht gesondert eingegangen
10 De Florio-Hansens Studie zum Wortschatzlernverhalten von Anglistik- und Romanistikstudieren-den ging jedoch nicht explizit auf verwendete Ressourcen ein Diese wurden unter bdquocomputerge-stuumltzte Angeboteldquo zusammengefasst und auch nur von 9 Personen (n=72) genannt
11 Roumlsler DietmarWuumlrffel Nicola (2014) Lernmaterialien und Medien Muumlnchen Klett-Langenscheidt
66 Susanne Krauszlig
3 Digitale Technologien fuumlr das Wortschatzlernen
Ein Mehrwert digitaler Technologien der nicht nur beim Thema m-learning eine Rolle spielt ist die Flexibilitaumlt die sie erlauben ndash z B bezuumlglich eines vereinfachten Zugriffs auf Inhalte oder der Distribution und Aumlnderung dieser Des Weiteren koumln-nen Multimedialitaumlt Authentizitaumlt Autonomie und Interaktivitaumlt eine Rolle spielen Diese Begriffe sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Auslegbarkeit nicht unproble-matisch Der Uumlbersichtlichkeit halber werden sie hier nur kurz zusammengefasst und fuumlr eine tiefergreifende Beschaumlftigung auf die Stichworte und Literaturangaben verwiesen
Multimedialitaumlt die vorteilhafte Aufnahme von textuellen und bildlichen In-formationen (Weidenmann 2002 Kognitive Theorie multimedialen Lernens Mayer 2009)
Authentizitaumlt der Zugriff auf authentische Inhalte (kommunikativer und in-terkultureller Ansatz Input-Hypothese Krashen 1985)
Autonomie Selbststeuerung des Lerners sowie Selbstverantwortung und Re-flexion (Schmenk 2008 Little 1991)
Interaktivitaumlt technisch-funktionale Interaktivitaumlt sowie didaktische Interak-tion z B Fremdsteuerung des Lernprozesses Ruumlckmeldung durch das Sys-tem etc (ZeyerStuhlmannJones 2016 Krauszlig 2016)
Fuumlr das Wortschatzlernen koumlnnen Ressourcen im Rahmen des Selbstlernens grob in Wortschatz entdecken und Wortschatz festigen eingeteilt werden Die folgende Auflistung zeigt eine Auswahl an moumlglichen Ressourcen fuumlr diese beiden Bereiche Fuumlr eine ausfuumlhrliche Besprechung inkl Links zu den mit a1 und a2 bezeichneten Ressourcen siehe Krauszlig 2015 (a1) und Krauszlig 2016 (a2)
Wortschatz entdecken
Buumlcher Zeitungen Musik YouTube Mediatheken Filme und DVDs Pod-casts etc
didaktisierte Angebote (z B vom Goethe-Institut [Lern Deutsch Die Stadt der Woumlrtera1] oder der Deutschen Welle [Deutsch Interaktiva1] Duolingoa1)
Woumlrterbuumlcher Nachschlagewerke Glossen Thesauri (z B Dudendea2 Canooa2)
Kommunikationssoftware (Audio-Videochat Twitter Facebook etc)
Wortschatz festigen
Digital gepraumlgt aber auch digital literate 67
Spiele z B off the shelf12-Computerspiele serious games13 vom Goethe-Institut (Das Geheimnis der Himmelsscheibe Ein raumltselhafter Auftrag) Kreuzwortraumltsel (z B Schwedenraumltsel Gratisa1 PixWordsa1) Zuordnungs-spiele (z B WortKettenReaktiona1) Wortsuche (z B Galgenmaumlnnchen 4 Bilder1 Worta1 Ruzzlea1)
Karteikarten-Software (z B Anki Quizleta1) oder in Online-Woumlrter-buumlchern bzw Lehrwerken integrierte Vokabeltrainer (z B Ponsa1 dictcca1 Cornel-sen Vokabeltrainer etc)
Mindmapping-Software zum Organisieren von Wortschatz (z B Mindomo coggle etc)
Kommunikationssoftware (z B Audio-Videochat Twitter Facebook Hel-loTalk HiNative Tandem)
Die Zuordnung dieser Ressourcen zu den beiden Bereichen ist nicht immer eindeu-tig zu treffen Diverse Ressourcen wie z B Twitter Facebook Duolingo koumlnnen sowohl zum Entdecken als auch zum Festigen benutzt werden Spannend sind aus wort-schatzdidaktischer Sicht insbesondere solche Ressourcen die a) uumlber eine wortform-fokussierte Beschaumlftigung mit Wortschatz hinausgehen (z B die auf dem Tandem-lernprinzip basierenden Apps HelloTalk und Tandem) die b) auf Gestaltungsprinzi-pien des mentalen Lexikons eingehen (z B WortKettenReaktion wo Wortschatz spie-lerisch nach SynonymAntonym Komposita Kollokation etc zugeordnet werden muss oder die Duden-Suche die haumlufige Kollokationen zu einem Suchwort in einer Art Wortwolke darstellt) oder die c) Wortbildungsregeln darstellen und so bei der Bedeutungserschlieszligung undoder auch dem potenziellen Wortschatz hilfreich sein koumlnnen (z B Canoo bei dem die Wortbildungsanalyse eines Suchwortes angezeigt werden kann) Die Vorteile liegen bei diesen Ressourcen darin dass bei a) eine au-thentische Kontexteinbindung gefoumlrdert wird und bei b) und c) durch die Praumlsenta-tion bzw das Uumlben von verschiedenen bdquoGedaumlchtnisankernldquo das Behalten und Erin-nern positiv beeinflusst werden kann
Die sehr knappe Besprechung soll zeigen welche Moumlglichkeiten fuumlr die Nutzung digitaler Ressourcen beim selbststaumlndigen Wortschatzlernen vorhanden sind wenn sich auch nicht alle fuumlr jedes Niveau oder in der Tat jeden Lerner eignen entweder weil es der automatischen Ruumlckmeldung oft an Erklaumlrungen fehlt oder auch weil die Wortschatzauswahl nicht immer selbst gesteuert werden kann
Insgesamt besteht hier noch erheblicher Entwicklungsbedarf und zwar ers-tens in Bezug auf die medial sinnvoll gestuumltzte Foumlrderung des reflexiven in Teilen sprachenuumlbergreifenden Wortschatzlernens zweitens hinsichtlich
12 Bei off the shelf-Computerspielen handelt es sich nicht um Spiele die nicht fuumlr eine bestimmte Ziel-
gruppe undoder Lernbeduumlrfnisse erstellt wurden sondern sich an Muttersprachler richten 13 Als serious games werden Spiele bezeichnet die uumlber ein bloszliges Unterhaltungsziel hinausgehen
Ihnen liegt zum Beispiel ein Bildungsziel zugrunde sie sind also auf bestimmte Anwendergruppen und deren Beduumlrfnisse ausgerichtet
68 Susanne Krauszlig
der uumlber das Einzelwortlernen hinausgehenden Gestaltung von Uumlbungen Lern- und Testaufgaben sowie drittens in Bezug auf die Verknuumlpfung des lexikalisch-konzeptuellen mit dem interkulturell-kommu-nikativen Lernen (Kurtz 2016 446)
Diese Feststellung ist aus Sicht von Didaktikern durchaus angemessen Im Vergleich zu Print- bzw Verlagsmaterial obliegt die Qualitaumltssicherung hier den Rezipienten (Roumlsler 2010 1208) Inwieweit jedoch Lerner als bdquoEndbenutzerldquo diese Qualitaumltskri-terien teilen und eventuell fuumlr oder gegen die Wahl einer bestimmten Ressource nut-zen ist unklar Allen voran steht die Frage ob o a Ressourcen uumlberhaupt im Rah-men des selbstgesteuerten Lernens genutzt werden
4 Das selbststaumlndige Wortschatzlernen von DaF-Lernern
Wie in Kapitel 22 erlaumlutert fehlt es an Studien die das (digitale) selbststaumlndige Wort-schatzlernen von Deutsch-als-Fremdsprache-Studierenden auszligerhalb des Unter-richts dahingehend untersuchen welche Ressourcen sie tatsaumlchlich freiwillig fuumlr das Wortschatzlernen nutzen Im Folgenden sollen erste Ergebnisse vorgestellt werden die diesbezuumlglich von DaF-Lernern an einer englischen Universitaumlt erhoben wurden
Fuumlr die Untersuchung14 wurden uumlber das gesamte Studienjahr 20112012 BA-Studierende an der University of Kent UK befragt die Germanistik bzw Deutsch studierten An der Befragung nahmen insgesamt 87 Lerner aus drei verschiedenen Jahrgangsstufen teil (1 Studienjahr=35 2 Studienjahr=35 4 Studienjahr=17) Fuumlr die Erhebung wurden Fragebogen Lerntagebuumlcher (LTB) und Interviews genutzt Zu Beginn des Studienjahrs wurde ein Fragebogen ausgeteilt der nebst biographi-schen Angaben die allgemeine Vorgehensweise beim Wortschatzlernen erfragte (n=87) Diejenigen Lerner die daruumlber hinaus an der weiteren Studie teilgenommen haben wurden gebeten Lerntagebuumlcher auszufuumlllen (insg 4 Stuumlck im Abstand von 7-8 Wochen uumlber das Studienjahr verteilt) und zu Interviews vor und nach der LTB-Phase eingeladen und die so gewonnenen Angaben zur Datenexplikation und -veri-fizierung genutzt Das Sampling belief sich in dieser Phase auf Lerner die alle vier LTB ausgefuumlllt hatten (n=16)
Abbildung 1 zeigt einen Uumlberblick uumlber die Ressourcen die im Rahmen der Un-tersuchung genannt wurden Die Prozentangaben sind dabei als Richtwerte zu ver-stehen Da die Befragung aus offenen Fragen bestand kann eine Nicht-Nennung hier nicht automatisch mit einer Nicht-Nutzung gleichgesetzt werden Dennoch lie-fert die prozentuale Verteilung einen ersten Eindruck bzgl der Haumlufigkeit des Nut-zungsverhaltens
14 Die Untersuchung stellt Teil meiner Promotionsarbeit dar
Digital gepraumlgt aber auch digital literate 69
Abbildung 1 Uumlberblick der Ressourcen-Nennungen
Die Einteilung in Medien (authentische adaptierte und methodisierte) und Werk-zeuge (authentische adaptierte und methodisierte) wurde von Wuumlrffel 2010 uumlber-nommen (Mitschian 2004) Die Kategorien werden im Folgenden kurz erklaumlrt und anschlieszligend in den entsprechenden Unterkapiteln Angaben zu den Bereichen naumlher diskutiert
authentische Medien15 (nicht fuumlr das Sprachenlernen angepasste z B Filme Musik Literatur Computerspiele etc)
adaptierte Medien (auf das Sprachenlernen angepasste oder didaktisierte z B Woumlrterbuumlcher Sprachkorpora Sprachlernportale oder Podcasts etc)
methodisierte Medien (mit einem Lernverfahren verknuumlpfte Medien die den Sprachlernprozess durch Korrektur Ruumlckmeldung etc unterstuumltzen z B Lernsoftware Uumlbungssammlungen oder fremderstellte Vokabeltrainer16)
authentische Werkzeuge (Werkzeuge zum Kommunizieren [E-Mail Audio- oder Video-Chat] oder Organisieren [Mind-Mapping Software] Programme zum Produzieren von Podcasts etc)
adaptierte Werkzeuge (Werkzeuge fuumlr einen bestimmten Lernzweck17)
15 Medien werden von Wuumlrffel als eine Ressource bezeichnet die bereits mit Inhalt versehen ist Im
Vergleich dazu dienen Werkzeuge dazu etwas mit Inhalt zu fuumlllen (Wuumlrffel 2010 1228) 16 Wuumlrffel bezeichnet Vokabeltrainer als adaptierte und methodisierte Medien bzw Werkzeuge Da
unter Vokabeltrainern hier Programme verstanden werden die auf dem Karteikartenprinzip basie-ren und somit die Lernmethode im Vordergrund steht wurden sie ausschlieszliglich den methodisie-ren Medien bzw Werkzeugen zugeordnet
17 Wuumlrffel nennt hier als Beispiel fuumlr das Sprachenlernen Lernmanagement-Systeme wie z B Moodle Diese spielen allerdings fuumlr das Wortschatzlernen eine eher untergeordnete Rolle ndash auch wenn im Rahmen der Studie saumlmtliches Kursmaterial uumlber Moodle bereitgestellt wurde Werkzeuge wie Chat oder Foren koumlnnen zwar fuumlr das Wortschatzlernen relevant sein wurden aber in den Kursen nicht eingesetzt und wuumlrden dann ohnehin unter authentischen Werkzeugen genannt werden
70 Susanne Krauszlig
methodisierte Werkzeuge (Werkzeuge mit denen Material erstellt werden kann das auf einem bestimmten Lernverfahren basiert z B Autorenpro-gramme zum Erstellen von Uumlbungsmaterial selbsterstellte Vokabeltrainer)
Auffaumlllig ist an Abbildung 1 dass weder authentische noch adaptierte Werkzeuge von den Probanden genannt wurden Betrachtet man jedoch die o a moumlglichen Ressourcen die unter diese Kategorien fallen uumlberrascht es nicht dass diese fuumlr das selbststaumlndige Wortschatzlernen nicht benutzt werden Denkbar waumlre bei den au-thentischen Werkzeugen noch die Nutzung einer Mindmap-Software mittels derer Wortschatz netzwerkartig organisiert und visuell dargestellt werden kann (Neveling 2004) undoder die Nutzung der Thesaurus-Funktion in Textverarbeitungspro-grammen Thesauri wurden vereinzelt als eigenstaumlndige Medien benutzt (n=6) ndash z B mittels openthesaurus oder uumlber Synonym-Angaben in monolingualen Woumlrterbuuml-chern (Duden) Auch Social Software wie Twitter und Facebook koumlnnten als authen-tische Werkzeuge relevant sein sofern sie benutzt werden um Wortschatz in der Zielsprache nicht nur rezeptiv sondern auch produktiv anzuwenden Da die zwei einzigen Nennungen hierzu jedoch eine rezeptive Nutzung andeuteten wurden beide zu den authentischen Medien gezaumlhlt Auszligerdem wurde noch Kursmaterial als Ressource genannt (von 13 Personen [15 ]) Da dieses Material jedoch sowohl authentisch als auch adaptiert sein kann und zudem fremdbestimmt ist wird hier nicht naumlher darauf eingegangen
41 Authentische Medien
Unter den authentischen Medien wurden am haumlufigsten Ressourcen genannt die sich auf das Lesen beziehen (n=35) Allen voran rangieren Zeitungen und Nachrich-ten18 (n=12) die fast ausschlieszliglich online genutzt werden Nur eine Person gab an nicht-digitale Quellen zu bevorzugen eine andere nutzte bdquoDie Zeitldquo sowohl als Pa-piervariante in der Bibliothek als auch online Weiteres Lesematerial waren Buumlcher (z B Harry Potter) aber auch Twitter und Facebook wurde von einer Person ge-nannt die Tweets von Uumlbersetzungsfirmen verfolgt oder Angebote wie das bdquoWort der Wocheldquo von der Deutschen Welle fuumlr das Wortschatzlernen nutzte
Die zweithaumlufigste Kategorie stellte mit dem Houmlr-Sehverstehen die Nutzung von Fernsehen (z B Nachrichten) Videos (z B die Seifenoper bdquoBerlin Berlinldquo) undoder Filmen (OmU) dar (n=10) Als Nutzung authentischer Medien zum Houmlr-verstehen (n=6) wurden z B Podcasts (Bayern Radio Deutsche Welle) deutsche Musik oder von einer Person auch ein Houmlrbuch (Harry Potter) genannt
Es zeigt sich dass der Umfang der Ressourcen groszlig ist und von individuellen Praumlferenzen abhaumlngt Uumlberraschend ist dass deutsche Musik nur von 2 Personen genannt wurde handelt es sich doch um eine Art bdquoFreizeitldquo-Nutzung
18 Konkret genannt wurden bdquoDie Zeitldquo bdquoDie Weltldquo bdquoSuumlddeutsche Zeitungldquo bdquoTagesschauldquo und
bdquoDeutsche Welleldquo
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42 Adaptierte Medien
Die adaptierten Medien sind fast ausschlieszliglich auf die Woumlrterbuchnutzung be-schraumlnkt (n=15) Abbildung 2 zeigt die Verteilung von bilingualen Online- und Pa-pierwoumlrterbuumlchern sowie die Nutzung von monolingualen Woumlrterbuumlchern und ma-schineller Uumlbersetzungssoftware (Google Translate) diesbezuumlglich Es ist zu sehen dass die allgemeine Woumlrterbuchnutzung von den ersten beiden zum letzten Studi-enjahr prozentual zunimmt Insbesondere bei fortgeschrittenen Lernern waumlre dies wahrscheinlich umgekehrt zu erwarten da mit zunehmender Sprachkompetenz auf intelligentes Raten ausgewichen werden kann Die Angaben koumlnnen hier aber mit den Kurs-Anforderungen erklaumlrt werden denn alle drei Jahrgaumlnge muumlssen als Pruuml-fungsleistung Texte uumlbersetzen ndash im 2 und 4 Studienjahr sogar in beide Sprachrich-tungen
Abbildung 2 Woumlrterbuchnutzung
Im Vergleich zu den in Kapitel 41 genannten authentischen Medien ist die Nutzung digitaler und nicht-digitaler Ressourcen hier relativ ausgeglichen Von den 10 Papier-woumlrterbuchnutzern nutzen 7 auch zusaumltzliche digitale Woumlrterbuumlcher ndash 5 davon sogar mehrere gleichzeitig (z B dictcc LEO Beolingus WordReference Pons) Die Nutzung von maschineller Uumlbersetzungssoftware nimmt mit zunehmendem Studienjahr ab im Vergleich dazu steigt die Nutzung von monolingualen Woumlrterbuumlchern die insge-samt jedoch relativ wenig benutzt werden ndash als Grund wird haumlufig eine fehlende Sprachsicherheit genannt Weitere Gruumlnde die fuumlr die Nutzung von Nachschlage-werken genannt werden koumlnnen mit Komfort Ausfuumlhrlichkeit und Verlaumlsslichkeit zusammengefasst werden Komfort bezieht sich dabei in erster Linie auf digitale
72 Susanne Krauszlig
Woumlrterbuumlcher deren Zeitersparnis beim Nachschlagen sowie allgemeine Verfuumlgbar-keit und Gewicht im Vergleich zu umfassenden Papier-Woumlrterbuumlchern Bezuumlglich der Ausfuumlhrlichkeit werden sowohl digitale als auch Papierwoumlrterbuumlcher (teilweise widerspruumlchlich) positiv bewertet zum einen wird den Online-Woumlrterbuumlchern eine groumlszligere Detailliertheit nachgesagt zum anderen wird Papierwoumlrterbuumlchern gutge-heiszligen dass sie den Kontext besser erklaumlren Diese Einschaumltzung haumlngt wahrschein-lich sowohl vom Wissen um adaumlquate Ressourcen ab als auch davon welche Medien miteinander verglichen werden (wenn man z B nur ein Taschenwoumlrterbuch besitzt sind Online-Woumlrterbuumlcher im Vergleich dazu fuumlr universitaumlre Anforderungen geeig-neter) Diese unterschiedlichen Auffassungen bestaumltigen jedoch auch noch einmal das von Roumlsler in Kapitel 3 angesprochene Problem der Qualitaumltssicherung In Tei-len wird die Wahl des Woumlrterbuchs allein uumlber den ersten Eintrag in der Suchma-schine getroffen und beschraumlnkt sich oft auf wenige Internetseiten (Nied Curcio 2015 450) Das Kriterium der Verlaumlsslichkeit scheint abhaumlngig vom jeweiligen Nut-zungsverhalten zu sein Digitale Nachschlagewerke stellen fuumlr viele Lerner zwar den ersten Ausgangspunkt dar aber einige gehen dabei auch sehr kritisch vor z B in-dem dem Papier-Woumlrterbuch immer noch mehr getraut wird undoder andere Quel-len konsultiert werden wenn das Ergebnis der Online-Suche nicht den eigenen Hy-pothesen entspricht
Neben der Nutzung von Nachschlagewerken wurden von jeweils 4 Personen noch Lernwortschatz-Sammlungen und digitales Uumlbungsmaterial genannt Ersteres faumlllt jedoch kaum ins Gewicht da nur zwei der genannten Ressourcen fuumlr die jewei-ligen Niveaus relevant waren (Hodders Wort fuumlr Wort ndash Advanced German Vocabulary und Huebers Groszliger Lernwortschatz Deutsch als Fremdsprache) Huebers Lernwortschatz war jedoch auch erst am Ende der Studie bekannt und wurde dementsprechend noch nicht ausfuumlhrlich genutzt Zum digitalen Uumlbungsmaterial wurden von 3 der 4 Personen die Deutsche Welle genannt aber nicht naumlher ausgefuumlhrt Die vierte Per-son machte keine genaueren Angaben zur Quelle des Materials
43 Methodisierte Medien
Nur 3 Personen nannten mit fremderstellten Karteikarten (Vokabelcom FlashCards Free19 Flashcardexchange20) Ressourcen die den methodisierten Medien zugeordnet werden koumlnnen merkten jedoch auch teilweise an dass der Wortschatz entweder nicht oder nur teilweise fuumlr ihre Bedarfe relevant war
44 Methodisierte Werkzeuge
Mehr Nennungen gab es hingegen bzgl Vokabeltrainer-Programmen bei denen Wortschatz selbst ausgewaumlhlt undoder neu hinzugefuumlgt werden kann (n=10) was
19 Inzwischen nicht mehr verfuumlgbar 20 Jetzt unter Cram gefuumlhrt
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fuumlr die Bedarfe der fortgeschrittenen Lerner sicher auch sinnvoller ist da sich vor-gefertigte Wortschatzsammlungen meist nur auf Grundwortschatz beschraumlnken Diese koumlnnen unterteilt werden in Trainer die in Online-Woumlrterbuumlchern integriert sind (z B dictcc Beolingus LEO n=9) und diejenigen mit denen selbst Karteikarten erstellt werden koumlnnen (Anki gFlash+ Mnemosyne n=3) Der Vorteil der in Woumlrter-buumlchern integrierten Trainer liegt darin dass gesuchtes Vokabular per Mausklick dem persoumlnlichen Trainer hinzugefuumlgt werden kann und vertont ist Allerdings merkten Lerner auch selbst an dass sie beim Abfragen auf die Bedeutung angewie-sen sind die sie hinzugefuumlgt haben Da die Trainer auf einem starren Zuordnungs-mechanismus basieren koumlnnen sie mit Polysemie nicht umgehen Antworten die also theoretisch durchaus korrekt sind werden dann als falsch gewertet Bei selbst-erstellten Vokabeltrainern hingegen entscheidet der Lerner selbst ob die eigene Louml-sung korrekt ist Die Erstellung ist hier jedoch zeitaufwaumlndiger
45 Smartphone-Nutzung
Die Nutzung von Smartphones fuumlr das Wortschatzlernen wurde in der Studie nicht explizit erhoben aber in den Interviews erfragt Die folgenden Angaben beziehen sich daher nicht auf die in Kapitel 4 angefuumlhrte Stichprobe sondern entstammen aller Nennungen bzgl Smartphones (n=16) Aufgenommen wurden diese Angaben um einen Eindruck zu erhalten ob und inwieweit die mobile digitale Nutzung beim selbststaumlndigen Wortschatzlernen eine Rolle spielt Smartphones werden zwar all-tagssprachlich als Medium (Kommunikationsmittel) bezeichnet in das unter Kapitel 4 angesprochene Raster koumlnnen sie aber hier nicht eingeordnet werden da sie je nach Nutzungsverhalten und ggf verfuumlgbaren Apps ndash aumlhnlich wie ein Computer ndash praktisch alle angesprochenen Nutzungen erlauben und damit eine Unterscheidung wie das Geraumlt zum Lernen eingesetzt wird schwierig machen
Von den 16 Personen besaszligen 15 ein Smartphone Von ihnen nutzten 11 das Smartphone auch als Lernwerkzeug (als Woumlrterbuch als Vokabeltrainer zum Lesen von Nachrichten und Twitter-Facebook-Posts sowie um SMS in der Zielsprache zu schreiben ndash Abbildung 3)
74 Susanne Krauszlig
Abbildung 3 Smartphone-Nutzung
Insgesamt 11 Lerner aumluszligerten Interesse daruumlber das Smartphone als Lernwerkzeug zu nutzen unabhaumlngig davon ob sie dies bereits taten oder nicht Haumlufig war unklar wie eine solche Nutzung uumlberhaupt aussehen kann Teilweise wurde die Nutzung nur auf Apps bezogen Smartphones aber auch zum Nachschlagen von Wortschatz auf Internetseiten genutzt und daher mit aufgenommen Zwei Lerner nutzten au-szligerdem das Handy um SMS in der Zielsprache zu versenden stuften dies aber of-fensichtlich nicht unter bdquoLernenldquo ein Bei 3 weiteren Lernern wurde die Nicht-Nut-zung mit fehlendem Wissen uumlber geeignete Nutzungsmoumlglichkeiten begruumlndet Nachdem jedoch Vorschlaumlge unterbreitet wurden nutzten sie im Laufe der Studie auch das Smartphone (als Woumlrterbuch Karteikarten-Trainer undoder zum Le-senAnschauen von Nachrichten in der Zielsprache)
Auch wenn anzunehmen ist dass die Smartphone-Nutzung inzwischen deutlich ausgepraumlgter sein koumlnnte (als Gruumlnde fuumlr die Nicht-Nutzung des Smartphones wur-den u a geringes Datenvolumen und -geschwindigkeit genannt) so sind diese Er-gebnisse dahingehend interessant dass die private Nutzung eben nicht automatisch eine Nutzung als Lernwerkzeug bedingt Allein die Tatsache dass Vokabeltrainer-Apps nur von 3 Personen genutzt wurden zeigt dass Vokabeltrainer hauptsaumlchlich am PC aber nicht mobil genutzt wurden
5 Fazit und Ausblick
Die Angaben bezuumlglich verwendeter Ressourcen lassen deutlich werden dass die Mehrheit der Lerner Medien zum selbststaumlndigen Lernen nutzt Werkzeuge werden nur von einer Minderheit eingesetzt Damit konzentriert sich das Nutzungsverhalten
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hauptsaumlchlich auf rezeptives und inzidentelles Lernen Nachschlagewerke stellen im-mer noch das Hauptmedium von Fremdsprachenlernern dar sind aber gefolgt von authentischen Medien die zum Entdecken von Wortschatz im Sinne eines kontex-tualisierten Lernens verwendet werden Werkzeuge mittels derer Wortschatz aktiv erarbeitet undoder gefestigt werden kann wurden nur von wenigen Lernern ge-nannt Bei Vokabeltrainern scheint einfache und schnelle Handhabung die Nutzung zu bestimmen Hierbei ist jedoch anzumerken dass das Testen und Festigen von Wortschatz nicht ausschlieszliglich mit digitalen Ressourcen erfolgen muss Insgesamt 32 der 87 TN gaben z B an Wortschatz ndash meist in Listenform ndash auf Papier zu testen
Zusammenfassend kann man sagen dass digitale Ressourcen beim selbststaumlndi-gen Wortschatzlernen eine Rolle spielen deren Nutzungsart und Auswahl jedoch stark variieren und abhaumlngig sind von
individuellen Praumlferenzen Lernstilen und Interessen (Zeitfaktor Komfort Verfuumlgbarkeit)
dem Lernziel (Wortschatz entdeckeninzidentelles Lernen versus Wortschatz festigen undoder anwenden)
dem Wissen um geeignete Ressourcen und Vergleichsmoumlglichkeiten bzgl ei-ner adaumlquaten Qualitaumltsanalyse
Rahmenbedingungen und institutionellen Vorgaben (z B der Rolle von Uumlbersetzungskursen oder allg der Art wie Wortschatz in Pruumlfungen getestet wird)
Die teilweise geringe Nennung einiger Ressourcen kann zum einen mit der Schwie-rigkeit einhergehen sich das eigene Nutzungsverhalten bewusst zu machen aber zum anderen auch mit einem unklaren Verstaumlndnis zusammenhaumlngen was es be-deutet Wortschatz zu lernen Bezuumlglich bdquoWortschatzldquo geht es hier z B um das Ler-nen auf der Wortebene (insb das Vokabellernen) versus der Sprachanwendung Be-zuumlglich des Konstruktes bdquoLernenldquo wurden mit der Verwendung von study learn re-vise cram use oder expose to unterschiedliche Auffassungen von Wissensaneignung deutlich die das eigene Vorgehen beeinflussen koumlnnen Diese Punkte sollten daher mehr thematisiert werden und mit der ndash z B zunaumlchst durch Lehrpersonen o auml gesteuerten ndash Bekanntmachung von geeigneten Ressourcen und Lernverfahren das zur Verfuumlgung stehende Repertoire fuumlr Lerner erweitert und die damit verbundene Qualitaumltsanalyse geschaumlrft werden
Our digital native students may be able to use technologies but that does not mean they can learn from them Being able to read and write never meant you could therefore learn from books Learners need teachers As learners we cannot know what it is possible to know or how to make that journey to what we want to become (Laurillard 2013 XVII)
76 Susanne Krauszlig
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Das Geheimnis der Himmelsscheibe
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Ein raumltselhafter Auftrag
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Digital gepraumlgt aber auch digital literate 79
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Grundwortschatz Deutsch Empirische Basis datengeleitete Modellierung und Praumlsentation
Atsushi Haraguchi (Tokio) Willi Lange (Tokio) Saburo Okamura (Tokio) amp Joachim Scharloth (Dresden)
1 Einleitung
Der Grundwortschatz ist ein bdquolinguistisch ungeloumlstes und vielleicht im absoluten Sinne nicht loumlsbares Problemldquo befand Hans-Heinrich Plickat (1980 10f) schon zu Beginn der 1980er Jahre Nicht nur die Vielfalt der Verwendungszwecke und der potentiellen Adressaten von Grundwortschaumltzen sondern auch die groszlige Zahl po-tentieller empirischer Grundlagen machten es seiner Ansicht nach unmoumlglich den lexikalischen Kernbestand einer Sprache einheitlich zu bestimmen An diesem grundsaumltzlichen Befund hat sich zwar auch fast 40 Jahre spaumlter wenig geaumlndert Die Digitalisierung und Fortschritte in der Computertechnologie haben allerdings dafuumlr gesorgt dass der Linguistik immer groumlszligere Sprachdatenmengen aus immer mehr unterschiedlichen Domaumlnen zur Verfuumlgung stehen und dass diese sprachlichen Mas-sendaten auch mit uumlberschaubarem Aufwand analysierbar sind
Wir wollen im Folgenden zeigen dass diese Entwicklung dazu genutzt werden kann zumindest einen Teil der Probleme des Grundwortschatzes zu loumlsen Wir grei-fen dabei auf die Ergebnisse zweier drittmittelfinanzierter Forschungsprojekte1 zu-ruumlck in deren Rahmen wir einen Grundwortschatz des Deutschen erstellt und unter
1 Die vorgestellten Ergebnisse wurden im Rahmen zweier Forschungsprojekte erarbeitet die durch
den Grant-in-Aid for Scientific Research der apanese Society for the Promotion of Science (JSPS) gefoumlrdert wurden bdquoBasic German Vocabulary for Foreign Language Learners A data-driven Approachldquo
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einer Creative Commons Lizenz (CC BY-SA 40 Attribution-ShareAlike 40 Inter-national) auf der Plattform basic-germancom veroumlffentlicht haben
In den folgenden Kapiteln werden wir zunaumlchst den Begriff des Grundwort-schatzes bestimmen und gaumlngige Methoden bei Zusammenstellung von Grundwort-schaumltzen fuumlr Lernerinnen und Lerner diskutieren ehe wir unseren frequenzbasier-ten datengeleiteten Ansatz vorstellen (Kapitel 2) Im Anschluss wenden wir uns der Frage zu ob die datengeleitete Analyse die These von der Existenz eines Kernwort-schatzes der fuumlr die Zusammenstellung von Grundwortschaumltzen als Orientierungs-hilfe dienen kann erhaumlrtet (Kapitel 3) Darauf stellen wir datengeleitete Methoden vor die dabei helfen die zu einem Grundwortschatz gehoumlrenden Lexeme so zu kon-textualisieren dass sie den Strukturen des mentalen Lexikons adaumlquat sind ehe wir hypertextuelle Moumlglichkeiten der Praumlsentation des Grundwortschatzes vorstellen die einerseits den digitalen Moumlglichkeiten vor allem aber kognitiven Erwerbstheo-rien gerecht werden (Kapitel 4)
2 Datengeleiteter Grundwortschatz Deutsch
Unter dem Begriff bdquoGrundwortschatzldquo verstehen wir eine Teilmenge des Gesamt-wortschatzes einer (Standard-)Sprache die von Lernerinnen und Lernern einer Fremdsprache zuerst gelernt werden soll Es handelt sich also um eine zu didakti-schen Zwecken getroffene Auswahl die auf unterschiedliche Art begruumlndet werden kann Die mit der Idee eines Grundwortschatzes verknuumlpfte Vorstellung laumlsst sich dabei stets wie folgt explizieren Es gibt einen Kernbestand an lexikalischen Einhei-ten mit dessen Hilfe es moumlglich ist in einer Sprachgemeinschaft die Traumlgerin der zu erlernenden Fremdsprache ist sprachlich zu handeln und ggf mangelndes lexi-kalisches Wissen selbst zu erschlieszligen bzw sich im Kommunikationsprozess anzu-eignen Die Idee eines Grundwortschatzes fuumlr Fremdsprachenlerner fuszligt damit auf der Annahme eines Kernwortschatzes in der zu erlernenden Sprache der in allen Kommunikationssituationen zur Anwendung kommt und eine grundlegende Ver-staumlndigung sichert
21 Methoden der Bestimmung des Kernwortschatzes
Die Kriterien zur Bestimmung des Kernwortschatzes einer Sprache beruhen groumlszlig-tenteils auf einer oft nur implizit formulierten Korrespondenzhypothese wie im Fall des Lernwortschatzes Deutsch von Diethard Luumlbke Er motiviert die Auswahl aus dem Gesamtwortschatz damit dass die betreffende Teilmenge bdquonur die deutschen Woumlrterldquo umfasse bdquodie zum modernen Deutsch gehoumlren das jedermann verwendetldquo (Luumlbke 2008 4) Der Grundwortschatz ist in seiner Darstellung damit eine Abstrak-
(Kaken-B 23320120 2011-2014) und bdquoLanguage Usage and Vocabulary Acquisition Empirical Foundations for Cognitive Models of Language Learningldquo (Kaken-C 15K02734 2015-2018)
Grundwortschatz Deutsch 83
tion des tatsaumlchlichen Sprachgebrauchs und zwar nicht des Sprachgebrauchs in ein-zelnen Domaumlnen Medien oder einzelner Gruppen sondern jener Anteile des Sprachgebrauchs jedes Einzelnen die sich bei allen anderen auch finden mithin die Schnittmenge Doch wie kann man bestimmen welche Woumlrter tatsaumlchlich im Sprachgebrauch von bdquojedermannldquo vorkommen In der bisherigen Forschung lassen sich drei Ansaumltze unterscheiden
Der kommunikativ-pragmatische Ansatz geht von in Sprachgemeinschaften typi-schen kommunikativen Situationen und Sprechintentionen aus denen dann die sprachlichen Mittel ndash und somit auch der Wortschatz ndash zugeordnet werden koumlnnen Peter Kuumlhn (1980 232) hat die bei der Selektion leitende Frage wie folgt formuliert bdquoWelches lexikalische Material [hellip] benoumltigt ein SprecherSchreiber [hellip] um in der Situation [hellip] uumlber das Thema [hellip] in der Rolle [hellip] die kommunikative Intention [hellip] mithilfe des Kommunikationsmodus [hellip] erfolgreich durchzufuumlhrenldquo Fuumlr das Deutsche bilden Zertifikat Deutsch als Fremdsprache (Deutscher Volkshochschulver-bandGoethe-Institut 1992) Kontaktschwelle Deutsch (BaldeggerMuumlllerSchneider 1980) und die deutsche Ausarbeitung des europaumlischen Referenzrahmens in Profile (GlaboniatMuumlllerRuschSchmitzWertenschlag 2005) Meilensteine des kommu-nikativ-pragmatischen Ansatzes Insbesondere Profile hat sich zu einem Quasi-Stan-dard fuumlr Lehrbuumlcher entwickelt So plausibel dieser Ansatz auch erscheint so wenig empirisch fundiert ist er Er beruht nicht auf einer Erhebung oder gar Quantifizie-rung des Sprachgebrauchs in typischen Alltagssituationen Der Situationsbegriff ist theoretisch ebenso wenig hinreichend bestimmt wie das Alltagskonzept Zudem sind die sprachlichen Selektionsverfahren intransparent
Der frequenzorientierte Ansatz bestimmt die Wahrscheinlichkeit mit der man mit einem Wort einer Fremdsprache konfrontiert wird indem er groszlige Korpora auf die Haumlufigkeit des Auftretens von Lexemen hin untersucht Fuumlr das Deutsche sind ne-ben fruumlhen Ausarbeitungen von Pfeffer (1970) und Rosengren (19721977) in juumln-gerer Zeit mit Jones und Tschirner (2006) sowie Tschirner (2008) neue frequenzba-sierte Versuche der Bestimmung eines Grundwortschatzes getreten In ihnen ist die Haumlufigkeit eines Wortes das Hauptkriterium der Selektion Zwar geht dieser Ansatz empirisch vor allerdings ist die Wahl des Korpus bzw dessen Zusammenstellung und Umfang von entscheidender Bedeutung fuumlr das Ergebnis Die vorhandenen Korpora freilich sind meist sehr selektiv im Hinblick auf die von ihnen abgedeckten Kommunikationsbereiche und bilden die gesprochene Sprache nur aumluszligerst fragmen-tarisch ab Zudem kann man am frequenzorientierten Ansatz kritisieren dass Haumlu-figkeit und Wichtigkeit von Lexemen verkuumlrzend gleichgesetzt wird und dass wegen der starken Formbezogenheit Bedeutungsgesichtspunkte und die kommunikative Funktion von Woumlrtern generell vernachlaumlssigt wird Gleichwohl haben frequenzori-entierte Ansaumltze den Vorteil dass sie uumlberhaupt eine empirische Grundlage haben ihre Ergebnisse reproduzierbar sind und somit die Moumlglichkeit eroumlffnen intersub-jektiv nachvollziehbare Maszligstaumlbe in die Wortschatz-selektion einzubringen
Der lexikographische Ansatz schlieszliglich nimmt eine Metaperspektive ein Auf der Basis von vorhandenen Woumlrterbuumlchern oder Wortschatzsammlungen wird versucht
84 Atsushi Haraguchi Willi Lange Saburo Okamura amp Joachim Scharloth
einen Kern bzw ein Zentrum herauszudestillieren Repraumlsentanten dieses Ansatzes sind Schnoumlrch (2002) und Haderlein (2008)
Nicht immer werden zentrale Wortschaumltze aber konsequent einem der Ansaumltze folgend konstruiert Haumlufig werden die Ansaumltze gemischt wie im Fall des Basic Ger-man Vocabulary von James und James
Langenscheidtrsquos Basic Vocabulary selects the most important words for a student to learn and use The Basic Vocabulary is based on evaluation of numerous lists of basic German vocabulary published in Germany Austria Switzerland and other countries All the important sources of information on word frequency in written and spoken German were considered [hellip] The choice of words was not based only on frequency Factors such as how familiar and useful a word is in everyday conversation were also considered Langenscheidtrsquos experience in producing dictionaries and teaching materials also helped (JamesJames 1991 VII)
Das Vermischen unterschiedlicher Ansaumltze ist nicht grundsaumltzlich zu kritisieren Problematisch ist in diesem Fall (und analog in anderen Faumlllen) jedoch dass intrans-parent bleibt wann und mit welcher Begruumlndung von der Frequenzorientierung Ab-stand genommen und wie die Gebraumluchlichkeit und Nuumltzlichkeit eines Wortes in der Alltagskonversation jenseits der Intuition der Lexikographen bestimmt wurden
22 Frequenzbasierte Selektionskriterien und Berechnungsmethoden
Im Forschungsprojekt bdquoDatengeleiteter Grund- und Aufbauwortschatz Deutschldquo verfolgen wir einen frequenzorientierten Ansatz Dieser ermoumlglicht es die Entschei-dung warum ein Wort zum Kernwortschatz des Deutschen gehoumlrt und deshalb in einen Grundwortschatz fuumlr Lernende aufgenommen werden sollte methodisch transparent und damit nachvollziehbar zu machen Wir vertreten dabei aumlhnlich wie Tschirner (2008) einen radikal frequenzorientierten Ansatz d h dass wir distributi-onelle Informationen nicht nur in Zweifelsfaumlllen als Entscheidungshilfe heranzie-hen sondern sie uumlberhaupt zur Grundlage der Bestimmung des Kernwortschatzes machen
Datengeleitet ist unser Ansatz insofern als fuumlr uns Korpora weit mehr als bdquoBe-legsammlungen oder Zettelkaumlsten in elektronischer Formldquo sind Sie ermoumlglichen vielmehr eine eigene bdquokorpuslinguistische Perspektiveldquo (PerkuhnBelica 2006 2) die aus den Daten heraus selbst neue Hypothesen oder sogar Analysekategorien bil-den will Dies geschieht dadurch dass uumlber unterschiedliche Verfahren der statisti-schen Analyse induktiv rekurrente Muster bestimmter linguistischer Einheiten sys-tematisch berechnet werden Der oder datengeleitete (bdquocorpus-drivenldquo) Zugang zu di-gitalen Korpora zeigt dass Korpuslinguistik weniger eine Methode als vielmehr ein Denkstil ist Neue korpuslinguistische Methoden dienen (nicht nur) dem Beantwor-ten von alten Fragen mit neuen Mitteln sondern ermoumlglichen neue Zugaumlnge zu Sprache und den Kategorien ihrer Beschreibung (Tognini-Bonelli 2001)
Grundwortschatz Deutsch 85
Unser Ansatz stellt insofern eine Neuorientierung in der frequenzbasierten Grundwortschatzforschung dar als wir Frequenzbasierung nicht gleichsetzen mit der Berechnung der Rangfolge der relativen Frequenzen von Lexemen in einem Korpus Wir verstehen bdquofrequenzorientiertldquo allgemeiner im Sinn der Distribution von Lexemenlexikalischen Morphemen betreffend und differenzieren den Fre-quenzaspekt in die Dimensionen (1) Haumlufigkeit (2) Stabilitaumlt und (3) Produktivitaumlt
Zum Kernwortschatz zaumlhlen wir demnach jene Lexeme die (1) haumlufig vorkom-men die (2a) uumlber einen laumlngeren Zeitraum gleichmaumlszligig haumlufig auftreten (also keine Modewoumlrter sind) (2b) nicht bzw kaum themenaffin sind (d h in Texten unter-schiedlicher thematischer Praumlgung gleichmaumlszligig distribuiert sind) die (3a) als lexika-lische Morpheme in vielen Ableitungen und Zusammensetzungen (Types) die (3b) als Lexeme selbst haumlufig sind (Tokens) auftreten die (3c) vergleichsweise viele Ab-leitungen und Komposita mit einer niedrigen Haumlufigkeitsklasse haben und die (3d) als lexikalische Morpheme haumlufiger als Zweitglied in Komposita verwendet werden Die Frequenzdimensionen wurden mittels der in Tabelle 1 dargestellten Werte ope-rationalisiert
Tabelle 1 Uumlbersicht uumlber die Operationalisierung der Frequenzdimensionen
Dimension Spezifizierung Berechnungs-
basis Wert
Gewich-tung
Haumlufigkeit Frequenz gesamtes Korpus
Haumlufigkeitsklasse (PerkuhnKeibelKupietz 2012 80-82)
3
Stabilitaumlt temporale Stabilitaumlt
jahress-pezifische Subkorpora
Griesrsquo DP (Gries 2008)
2
thematische Stabilitaumlt
Rubriken Teilforen als Subkorpora
Griesrsquo DP 2
Produktivi-taumlt
Anzahl unter-schiedlicher Ableitungen und Komposita
Types absolute Frequenz
1
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Dimension Spezifizierung Berechnungs-
basis Wert
Gewich-tung
Frequenz des Auftretens der Ableitungen und Komposita
Token absolute Frequenz
1
Anzahl von Ab-leitungen und Komposita in niedrigen Haumlu-figkeits-klassen
Distribution der Ableitungen und Komposita uumlber die Haumlufig-keitsklassen
Entropie 1
Frequenz in Funktion als Determinatum
auf der Basis der Types
relative Frequenz
1
Fuumlr jedes Lexem im Korpus wurden saumlmtliche Werte berechnet normalisiert teil-weise logarithmiert und gewichtet Fuumlr die so entstandenen Werte-Vektoren aller Lexeme wurde dann die euklidische Distanz zum Idealvektor (gebildet aus den je-weils houmlchsten Werten fuumlr alle Frequenz- Stabilitaumlts- und Produktivitaumltsdimensio-nen) im 7-dimensionalen Vektorraum gemessen Schlieszliglich wurde auf der Basis der Vektordistanzen eine Rangfolge der Lexeme erstellt
23 Korpora
Aus unserer Sicht ist der Versuch ein Textkorpus zusammenzustellen das saumlmtliche alltagsweltlich relevante kommunikative Gattungen Register und Stile abbildet so-wie hinsichtlich regionaler und altersmaumlszligiger Verteilung der Autorinnen und Auto-ren ausgewogen ist zum Scheitern verurteilt Zwar waren beispielsweise Jones und Tschirner sehr sorgfaumlltig bei der Zusammenstellung ihres LeipzigBYU Corpus of Contemporary German uumlber das sie schreiben
It is a balanced structured and integrated corpus meaning that it was care-fully planned to achieve representation of genre register style geography and age group It consists of one million words each of spoken language literature newspapers and academic texts and 200000 words of instruc-tional language (JonesTschirner 2006 2)
Doch sind die Annahmen daruumlber welche kommunikativen Gattungen Register und Stile fuumlr das Gegenwartsdeutsch relevant sind spekulativ denn hierzu gibt es
Grundwortschatz Deutsch 87
keine empirisch gesaumlttigten linguistischen Untersuchungen Wenn aber die Grund-gesamtheit unbekannt ist dann ist auch Repraumlsentativitaumlt im Sinne einer strukturel-len Analogie zwischen Sample und Grundgesamtheit nicht erreichbar
Bei der Zusammenstellung des Textkorpus auf dessen Basis der Kernwort-schatz berechnet wurde gingen wir daher von zwei kommunikativen Grundkon-stellationen aus Einerseits mehrfachadressierende und konzeptionell schriftliche Texte andererseits aber auch Texte die persoumlnlich adressierend und konzeptionell muumlndlich sind Um diachrone Stabilitaumlt messen zu koumlnnen sollte das Korpus zudem mehrere Jahre abdecken Zur validen Messung von Stabilitaumlt und Produktivitaumlt war zudem ein umfangreiches Korpus mit einer gewissen historischen Tiefe notwendig Fuumlr mehrfachadressierende und konzeptionell schriftliche Texte griffen wir auf Zei-tungs- bzw Zeitschriftentexte (Print und Online) zuruumlck fuumlr persoumlnlich adressie-rende und konzeptionell muumlndliche Texte auf Diskussionsforen aus dem Internet weil nur in ihnen zeitlich hinreichend ruumlcklaumlufige Massendaten zur Verfuumlgung ste-hen Insgesamt umfasst unser Korpus rund 845 Millionen Woumlrter aus Online-Dis-kussionsforen aus den Jahren 1998 bis 2012 rund 475 Millionen laufende Wortfor-men (Tabelle 2) und aus Zeitungstexten der Jahre 1990 bis 2012 370 Millionen lau-fende Wortformen (Tabelle 3)
Tabelle 2 Uumlbersicht uumlber das Foren-Teilkorpus (persoumlnlich adressiert und kon-zeptionell muumlndlich)
Beitraumlge Woumlrter
seniorentreffde 1005159 68514967
bfriendsbrigittede 1719564 141686509
politikforennet 3260363 263866105
Gesamt Foren 5985086 474067581
Tabelle 3 Uumlbersicht uumlber das Zeitungs-Teilkorpus (mehrfachadressiert konzeptio-nell schriftlich)
Beitraumlge Woumlrter
SPON 374253 151852627
Spiegel Print 1990-2011 139578 87156665
ZEIT 1995-2011 114109 86915216
FOCUS 1993-2012 106400 43349229
Gesamt Zeitungen 734340 369273737
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Die Korpora wurden mit dem TreeTagger (Schmid 1994 1995) lemmatisiert und mit Part-of-Speech-Informationen annotiert Fuumlr die morphologische Analyse kam Mor-phisto der auf dem SFST-Toolkit beruht mit der morphologischen Komponente SMOR (SchmidFitschenHeid 2004) zum Einsatz Alle anderen Berechnungen wurden mit eigenen Softwareentwicklungen realisiert Der Kernwortschatz wurde sowohl fuumlr das gesamte Korpus als auch fuumlr die beiden Kommunikationsbereiche getrennt berechnet
3 Gibt es einen abgrenzbaren Kernwortschatz
Aus der Perspektive der Frage ob es ein datengeleitetes Kriterium fuumlr die Abgren-zung eines lexikalischen Kerns des Wortschatzes des Deutschen gibt sollen im Fol-genden einige Ergebnisse unserer frequenzbasierten Studie dargestellt werden
31 Vektordistanzen
Abbildung 1 zeigt die nach Groumlszligen geordnete Distribution der Vektordistanzen (schwarze Kurve linke y-Achse) und die Differenzen der Vektordistanzen zwischen in der Rangfolge benachbarten Lexemen (graue Punkte rechte Sekundaumlrachse lo-garithmiert) Sie illustriert dass die Distanzen zunaumlchst groszlig sind immer kleiner werden und sich schlieszliglich bei einem Wert annaumlhernd zu stabilisieren scheinen
Abbildung 1 Aufsteigend geordnete Vektordistanzen der 60000 Lexeme mit der geringsten euklidischen Distanz zum Idealvektor (schwarz Primaumlrachse) und Diffe-renzen der Vektordistanzen zwischen aufeinander folgenden Lexemen (graue Punkte logarithmierte Sekundaumlrachse)
Grundwortschatz Deutsch 89
Diese Verteilung laumlsst sich nur so interpretieren dass es kein datengeleitetes Krite-rium fuumlr die Abgrenzung eines Kernwortschatzes von einem bildungs- oder fach-sprachlichen Wortschatz gibt Keine Wendepunkte keine anderen Veraumlnderungen der Kurve erlauben eine Grenzziehung In der Konsequenz bedeutet dies dass der Umfang von Grundwortschaumltzen fuumlr Deutsch als Fremdsprache sich guten Gewis-sens ausschlieszliglich nach didaktischen Kriterien richten kann
32 Schnittmengen
Zum Konzept des Grundwortschatzes gehoumlrt wie eingangs beschrieben die Vorstel-lung dass alle Domaumlnen und Kommunikationsbereiche gleichermaszligen von ihm durchdrungen sind und die betreffenden Lexeme uumlberall die Verstaumlndigung sichern Mit der Idee des Kernwortschatzes einher geht also die Vorstellung seiner Kommu-nikationszweck- und Kontextabstraktheit Doch wie homogen sind die Ergebnisse von datengeleiteten Grundwortschatzanalysen wenn man sie auf Korpora aus un-terschiedlichen Kommunikationsbereichen mit unterschiedlichen Kommunikati-onszwecken anwendet
Um diese Frage zu beantworten wurde das Ranking der Vektordistanzen nicht nur fuumlr das Gesamtkorpus sondern fuumlr die beiden unterschiedlichen Kommunika-tionskonstellationen repraumlsentierenden Teilkorpora (massenmediale konzeptionell schriftliche vs persoumlnlich adressierende konzeptionell muumlndliche Kommunikation vgl Tabelle 2 und 3) berechnet Um die Homogenitaumlt der Grundwortschaumltze zu messen wurde gemessen wie groszlig der Anteil gemeinsamer Lexeme bei Woumlrtern mit dem Rang von 1 bis n in den unterschiedlichen Vektordistanz-Rankings ist Wie die gestrichelte Linie in Abbildung 2 zeigt variiert die Schnittmengengroumlszlige fuumlr unter-schiedliche n
Die Schnittmenge des Foren- und Zeitungskorpus waumlchst zunaumlchst auf etwas uumlber 70 an nimmt dann aber ab Rang 18000 leicht ab In den grundwortschatz-relevanten Bereichen bis Rang 6000 liegt das gemeinsame Vokabular bei nur 60 Dies ist ein weiteres Indiz dafuumlr dass der Grundwortschatz keine homogene Einheit darstellt sondern mit der Kommunikationskonstellation stark variiert
90 Atsushi Haraguchi Willi Lange Saburo Okamura amp Joachim Scharloth
Abbildung 2 Groumlszlige der Schnittmenge in den ersten n Woumlrtern in den Rankings von Foren- und Zeitungskorpus (gestrichelte Linie) sowie Foren- Zeitungs- und Kinderbuchkorpus (durchgehende Linie)
Um diese These weiter zu fundieren wurde mit einem Kinderbuch-Korpus eine weitere Kommunikationskonstellation (narrativ-fiktional) in die Analyse einbezo-gen Kinderbuumlcher koumlnnen sowohl im Hinblick auf Wortlaumlnge als auch im Hinblick auf die Differenziertheit des Wortschatzes als Repraumlsentanten fuumlr Texte mit ver-gleichsweise einfacher Sprache gelten Das Kinderbuch-Korpus bestand aus 1067 Kinder- und Jugendbuumlchern (Originalwerke und Uumlbersetzungen) aus dem 20 und 21 Jahrhundert mit zusammen 39460099 Wortformen Auch fuumlr dieses Korpus wurde eine nach Vektordistanzen geordnete Liste berechnet um die Schnittmenge aus drei Kommunikationsbereichen bilden zu koumlnnen Erwartungsgemaumlszlig wird die Schnittmenge bei allen n kleiner (durchgehende Linie) dies jedoch unerwartet deut-lich auf Werte zwischen 36 und 48
Wenn der gemeinsame Wortschatz unterschiedlicher Kommunikationsbereiche lediglich zwischen 60 und 70 liegt und bei Hinzuziehung eines weiteren Kommu-nikationsbereichs (fiktional-narrativ) signifikant auf unter 50 sinkt dann ist frag-wuumlrdig ob diese Schnittmenge als Kernwortschatz angesehen werden kann Viel-mehr ist davon auszugehen dass die Schnittmenge sich bei Hinzuziehung weiterer Kommunikationsbereiche weiter signifikant verkleinert und sich damit auch der ver-meintliche Kernbestand des Wortschatzes weiter verfluumlchtigt Daruumlber hinaus ist die Schnittmenge insbesondere bei den fuumlr den Grundwortschatz fuumlr Fremdsprachen-lerner relevanten n besonders klein und liegt lediglich zwischen 36 und 40 wenn man alle drei Rankings in die Analyse einbezieht Dabei waumlren im unteren Bereich
Grundwortschatz Deutsch 91
der Rankings also im Bereich der frequentesten produktivsten und stabilsten Le-xeme eigentlich die houmlchsten Uumlbereinstimmungen zu erwarten wenn sich im Sprachgebrauch ein Kernwortschatz manifestieren wuumlrde Dies ist jedoch nicht der Fall
33 Fazit
Die dem lexikographischen Ansatz folgenden Analysen dieses Kapitels deuten dem-nach insgesamt darauf hin dass es keinen vom Kommunikationszweck unabhaumlngi-gen Kernwortschatz gibt sieht man einmal vom hochfrequenten Funktionswort-schatz ab Der Wortschatz diversifiziert sich vielmehr schon im Bereich der hoch-frequenten produktiven und stabilen Lexeme Der Wortschatz ist weniger ein Baum dessen Krone (spezielle Wortschaumltze) auf einem Stamm (Kernwortschatz) ruht sondern eher ein Busch der sich nahe am Boden verzweigt
4 Empirische Grundlagen fuumlr kognitive Erwerbsmodelle des Grundwortschatzes
Mit der Berechnung einer Liste der frequentesten stabilsten und produktivsten Le-xeme ist das Potenzial datengeleiteter frequenzorientierter Ansaumltze fuumlr die Grund-wortschatzerstellung jedoch noch nicht erschoumlpft Vielmehr koumlnnen diese Metho-den auch dazu eingesetzt werden jene internen Strukturen des Wortschatzes zu er-mitteln die fuumlr seine mentale Verarbeitung relevant sind um den Wortschatzerwerb fuumlr Lernende zu erleichtern
Denn eine nach Frequenzkriterien geordnete Liste ist eher eine Wissensbasis fuumlr die Wortschatzarbeit denn ein Vokabellernportal das bdquoselbstgesteuertes Lernen le-xikalischer Einheitenldquo (Stork 2003) ermoumlglicht Von den vier Hauptformen der Lemmaanordnung in Grundwortschatzsammlungen (alphabetisch nach dem Fre-quenzrang nach Sachgruppen nach SprechanlaumlssenKommunikationssituationen) sind zwar die alphabetische Reihenfolge und die Anordnung nach dem Rang nach-vollziehbare Verfahren jedoch fuumlr Lernerinnen und Lerner nur bedingt hilfreich Umgekehrt ist die Einteilung nach Themen und Kommunikationssituationen fuumlr das Lernen sicher nuumltzlicher eigene Schnittmengenuntersuchungen haben allerdings er-geben dass bei der Anordnung nach Sachgruppen die Wahl von Kategorien und Subkategorien zum groumlszligeren Teil nach stark divergierenden Kriterien vorgenom-men wird und auch die Zuordnung von Lemmata bei weitem nicht einheitlich erfolgt (BubenhoferLangeOkamuraScharloth 2015)
Uumlberhaupt verdanken sich die Grundtypen der Lemmaanordnung einerseits be-stimmten Lerntraditionen andererseits aber auch den begrenzten Moumlglichkeiten ge-druckter Medien Auch die Prinzipien der Anordnung der Lemmata oder allgemei-ner des Zugangs zum Grundwortschatz kann im Zuge der Digitalisierung uumlberdacht und aus neueren Theorien des Wortschatzerwerbs hergeleitet werden
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41 Mentales Lexikon und Wortschatzerwerb
Neuere kognitive Modelle des mentalen Lexikons (Aitchison 2003) und Theorien des Wortschatzerwerbs (Kersten 2010) zeigen dass traditionelle Lehrbuumlcher fuumlr die Vermittlung lexikalischen Wissens ihren Gegenstand in Formen praumlsentieren die nicht lernergerecht sind Das Lernen mit Listen und der Abdeckmethode das bdquoPaa-rassoziationslernenldquo (Scherfer 1999 201 Aszligbeck 2002) wird von Lernenden nicht nur als monoton empfunden es wird auch der Art und Weise wie Woumlrter in unse-rem Gehirn gespeichert werden nicht gerecht Woumlrter sind naumlmlich nicht atomis-tisch sondern als Elemente in verschiedenen Ordnungsklassen repraumlsentiert (Ne-veling 2004) die wiederum miteinander vernetzt sind
Wir beziehen uns in unserer Forschung auf Theorien des mentalen Lexikons als bdquohuman word-storeldquo in dem lexikalisches Wissen variabel angeordnet als Netzwerk repraumlsentiert und eine gelungene Verbindung zwischen deklarativem und prozedura-lem Wissen hergestellt ist und das als Interface zwischen kognitiven Konzepten und der realen Welt fungiert (Wolff 2002) Im mentalen Lexikon sind unterschiedliche Dimensionen des Wortwissens von der Form eines Wortes (geschrieben gespro-chen Bestandteile) uumlber die Bedeutung (Beziehung zwischen Form und Bedeutung Konzepte und Referenten Assoziationen) bis hin zum Gebrauch (grammatische Funktionen Kollokationen Gebrauchsbeschraumlnkungen) enthalten (Nation 2001) Das mentale Lexikon als Netzwerk in dem die Woumlrter auf vielfaumlltige Weise mitei-nander verknuumlpft sind ist nach mehreren Verknuumlpfungsprinzipien geordnet For-male Verknuumlpfungsprinzipien (phonologische morphologische syntaktische Kom-ponente) verbinden Woumlrter von aumlhnlicher Gestalt semantische Verknuumlpfungsprin-zipien (konzeptuelle Komponente) verknuumlpfen inhaltlich aumlhnlich strukturierte Woumlr-ter zu Begriffsnetzen Sachnetzen oder Wortfamilien affektive Verknuumlpfungsprin-zipien verbinden Woumlrter die verwandte Gefuumlhle wachrufen (Neveling 2004) Ein-zelne Woumlrter sind gleichzeitig Elemente verschiedener Teilnetze Neue Woumlrter ler-nen heiszligt sie in bereits bestehende Ordnung einzufuumlgen Auch wenn das Verhaumlltnis der Lexika von L1 und L2 noch nicht geklaumlrt ist ist doch unzweifelhaft dass die Verknuumlpfungen der L1 zunaumlchst auch die Konnektivitaumlt der erworbenen L2-Inhalte beeinflusst
Die Forschung zu Lernstrategien hat fuumlnf Gruppen von Strategien identifiziert (Schmitt 1997) Wortanalyse und Nutzung des Kontextes zur Entdeckung der Be-deutung eines neuen Wortes (determination) Nutzung der sozialen Interaktion um das Sprachenlernen zu verbessern (social strategies) Verfahren der Wiederholung und mechanische Mittel fuumlr das Wortschatzlernen (cognitive strategies) Kontrolle des Lern-prozesses (metacognitive strategies) und die Verfahren zur Herstellung von Verbindung zu bestehenden Wissensbestaumlnden uumlber lautlichebildlichekoumlrperliche Assoziation Herstellung von paradigmatischen und syntagmatischen Beziehungen Gruppierung von Woumlrtern (memory strategies) Im Folgenden legen wir dar wie wir angelehnt an die Theorie des mentalen Lexikons lexikalische Informationen im weiteren Sinn mittels
Grundwortschatz Deutsch 93
datengeleiteter Methoden so anordnen dass sie das Lernen mit memory strategies un-terstuumltzen
42 Empirie und Repraumlsentation
So relevant Modelle des mentalen Lexikons fuumlr den Fremdsprachenerwerb auch sind so muss doch eingestanden werden dass die Uumlbersetzung kognitiver Theorien in Anwendungen fuumlr Lernende haumlufig im Exemplarischen stecken bleibt2 Dies hat einerseits seine Ursache darin dass es an soliden empirischen Grundlagen dafuumlr fehlt wie solche Netze strukturiert sind und welche Anordnungsmoumlglichkeiten der Typizitaumlt des Sprachgebrauchs gerecht werden Andererseits sind gedruckte Medien nur maumlszligig geeignet die vielfaumlltige Vernetzung des Wortschatzes abzubilden Lem-madarstellungen in Grundwortschaumltzen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwi-schen einfachen Vokabelgleichungen und ausfuumlhrlichen lexikografischen Beschrei-bungen Angesichts des inkrementellen Charakters des Wortschatzlernens das sich entlang der Dimensionen Breite (Anzahl unterschiedlicher Woumlrter) und Tiefe (Di-mensionen des Wortwissens) vollzieht ist fragwuumlrdig ob uumlberhaupt eine statische Darstellung des Grundwortschatzes den zahlreichen denkbaren Aneignungsprozes-sen gemaumlszlig ist
Fuumlr einen Grundwortschatz der lexikalische Daten an Modellen des mentalen Lexikons geschult lernergerecht aufbereitet praumlsentieren will bedeutet dies dass ne-ben der traditionellen Listenansicht und Woumlrterbuchdarstellung der Wortschatz auch uumlber Klangnetze semantische Netze und funktionale Netze erschlieszligbar sein muss und dass diese Netze mittels induktiver Methoden aus den Daten selbst gene-riert worden sein muumlssen Dies haben wir im Rahmen der eingangs genannten For-schungsprojekte auf der Plattform basic-germancom umgesetzt
Um einzelne Dimensionen der Vernetzung von Woumlrtern empirisch greifbar zu machen haben wir auf unterschiedliche korpus- und computerlinguistische Verfah-ren zuruumlckgegriffen die wir im Folgenden kurz darstellen sollen
43 Klangnetze
Klangnetze haben wir anhand der Levenshtein-Distanz (Damerau 1964) zwischen den IPA-Transkripten aller moumlglichen Wortpaare berechnet wobei wir die Uumlberein-stimmung zwischen Endsilben staumlrker gewichtet haben Das Ergebnis haben wir als ungerichteten force-based Graphen (KaufmannWagner 2001) visualisiert
2 Ein Beispiel ist das onomasiologisch geordnete Woumlrterbuch Multilingual onomasiological Lexicon
(MoLeX) das von Barcena und Read (1997) in den 90er Jahren als Prototyp eines elektronischen Woumlrterbuchs entwickelt wurde ein weiteres das elektronische Lernwoumlrterbuch Deutsch-Italienisch ELDIT (AbelWeber 2000)
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Abbildung 3 Ausschnitt aus dem Klangnetz
Der Graph ermoumlglicht das Auffinden aumlhnlich klingender Woumlrter und erlaubt es durch Klick auf die jeweiligen Knoten detaillierte lexikographische Beschreibungen der jeweiligen Lemmata einzusehen
44 Semantische Netze Thematische Netze und Wortfamilien
Waumlhrend bei der Bestimmung von Wortfamilien auf die Kompositions- und Deri-vationsanalyse zuruumlckgegriffen werden konnte die bereits bei den Produktivitaumltsbe-rechnungen im Rahmen der Erstellung des frequenzbasierten Rankings mit Hilfe der Software Morphisto (Schmid et al 2004) bewerkstelligt wurde war die Bestimmung thematischer Netzwerke im Grundwortschatz methodisch erheblich schwieriger
Wir haben die Themenaffinitaumlt von Woumlrtern mittels topic modelling berechnet To-pic Models sind Algorithmen zur Aufdeckung thematischer Strukturen in Texten (SteyversGriffiths 2007) Sie gewichten und messen die Affinitaumlt von Inhaltswoumlr-tern in Textexemplaren eines Korpus Haumlufig miteinander auftretende Woumlrter die eine hohe Themenspezifizitaumlt aufweisen werden als bdquoTopicsldquo interpretiert Diese Lexemcluster haben keine Namen ihre Benennung ist ein Akt der Interpretation Ebenso erfolgt die Ermittlung der Anzahl der Topics in den Standardverfahren nicht datengeleitet Wir haben bei unserer Berechnung den Latent Dirichlet Allocation Algo-rithmus mit Hilfe des Topic Modelling Tool3 bei einer Topic-Tiefe von 200 Woumlrtern verwendet Allerdings haben wir nur die ersten 4000 Woumlrter in unserer Rangfolge in die Analyse einbezogen Die Analyse ergab 51 sinnvoll interpretierbare Topics das heiszligt Listen von Woumlrtern die thematisch kohaumlrent waren Etwas mehr als die Haumllfte
3 [httpscodegooglecomptopic-modeling-tool letzter Zugriff 13112018]
Grundwortschatz Deutsch 95
der Lemmata wurde nur einem einzigen Topic zugeordnet der Rest fand sich in zwei oder mehr Topics Abgesehen von hochfrequenten und semantisch variablen Lexemen wie bdquostehenldquo oder bdquolassenldquo waren die Mehrfachzuordnungen immer sinn-voll So wurde das Lexem bdquospielenldquo beispielsweise den Topics bdquoFamilie Entwick-lungldquo bdquoSpiel Sportldquo bdquoMensch Gefuumlhleldquo bdquoDiskussionldquo bdquoMusikldquo und bdquoFilm Thea-terldquo zugeordnet
Um eine zusaumltzliche Orientierung fuumlr Lerner zu geben welche Topics miteinan-der verwandt sind haben wir daruumlber hinaus auch Topic-Kollokationen berechnet die das gemeinsame Auftreten von Themen in Texten modellieren
Abbildung 4 Der Topic-Kollokationsgraph bildet das typische gemeinsame Auf-treten von Topics in Texten ab der fuumlr das jeweilige Topic spezifische Wortschatz ist durch Klick auf ein Topic zugaumlnglich
Der Graph ermoumlglicht damit einen thematischen Einstieg in den Grundwortschatz Ausgehend von einem spezifischen thematischen Interesse koumlnnen Lernerinnen und Lerner sich einerseits gezielt themenspezifischen Wortschatz aneignen zugleich aber auf die Lektuumlre thematisch einschlaumlgiger Texte vorbereiten indem sie den Wort-schatz anderer Themen studieren die gemeinsam mit dem gewaumlhlten Thema ver-handelt werden
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43 Funktionale Netze
Funktionale Netze haben wir mittels Kollokations- (Evert 2009) und N-Gramm-Analyse (BaldwinKim 2010) berechnet Dies soll am Beispiel des Substantivs bdquoUr-sacheldquo illustriert werden Einerseits wurden zum Lexem typische linke Adjektivkol-lokationen berechnet und in Form einer interaktiv rotierenden Trommel (bdquoKarrus-sellldquo) visualisiert
Abbildung 5 Adjektivkollokationen zum Nomen bdquoUrsacheldquo
Weil die Kollokationen allerdings mit lemmatisierten Daten berechnet wurden blei-ben die Gebrauchsweisen im Satzkontext fuumlr die Lernenden zunaumlchst unsichtbar Um dem abzuhelfen werden auf basic-germancom zusaumltzlich die haumlufigsten Nomi-nalphrasen mit dem Lexem bdquoUrsacheldquo als Kopf aufgelistet
Tabelle 4 Typische Nominalphrasen mit bdquoUrsacheldquo als Kopf
die eigentliche Ursache
eine wesentliche
die wichtigste
die tiefere
eine andere
die sozialen Ursachen
die sozialen und psychischen
gesellschaftliche
aus verschiedenen
psychische
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Waumlhlt man nun eine der gelisteten Bestandteile der Phrasen durch Klicken aus im Beispiel bdquoeine wesentlicheldquo so oumlffnet sich ein Kollokationsgraph der andere typi-sche Verbindungen von bdquoeine wesentlicheldquo zeigt naumlmlich bdquoBedingungldquo bdquoVerbesse-rungldquo und bdquoFrageldquo sowie deren typische Begleiter (Abbildung 61 und 62) Auch hier kann man durch Klicken auf weitere Knoten im paradigmatischen Geflecht ty-pischer Gebrauchsweisen navigieren
Abbildung 61 Navigation in paradigmatischen Gebrauchsweisen I
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Abbildung 62 Navigation in paradigmatischen Gebrauchsweisen II
44 Vernetzung Der Grundwortschatz als Hypertext
Die Grundstruktur des Hypertexts kommt dem was bisher uumlber die Organisation des mentalen Lexikons bekannt ist sehr nahe Typisch ist seine nicht-lineare Orga-nisationsform (das heiszligt einzelne Informationen koumlnnen bdquoin beliebiger Abfolge auf-gerufen und partiell rezipiert werdenldquo) (Storrer 2001 54) Ferner ist ein Hypertext aumlhnlich einem Woumlrterbuch das u a aus mehreren Woumlrterbuchartikeln besteht bdquoaus einer Menge von Modulen (auch bdquoKnotenldquo oder bdquoinformationelle Einheitenldquo ge-nannt)ldquo zusammengesetzt (ebd) die durch Hyperlinks miteinander verbunden sind Mit ihrer Hilfe kann eine vielfaumlltige Vernetzung simuliert werden wie sie auch im menschlichen Gedaumlchtnis vorzufinden ist
Entsprechend bilden auf basic-germancom nicht nur einzelne Visualisierungen Netze sondern der gesamte Grundwortschatz verfuumlgt in unterschiedlichen Modulen uumlber weitverzweigte Verweisstrukturen zu Darstellungsformen unterschiedlicher Breite und Tiefe (Abbildung 7)
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Abbildung 7 Navigation in paradigmatischen Gebrauchsweisen
5 Fazit
Die Ausfuumlhrungen dieses Beitrags zeigen welchen Beitrag die steigende Verfuumlgbar-keit von Sprachdaten im Zuge der Digitalisierung und die immer maumlchtiger werden-den Methoden der Computerlinguistik und der Korpuslinguistik zur Frage der Zu-sammenstellung und Praumlsentation von Grundwortschaumltzen leisten koumlnnen So konn-ten unsere datengeleiteten Analysen zeigen dass das gegenwaumlrtige Deutsch wohl uumlber keinen abgrenzbaren Kernwortschatz verfuumlgt der sich als die natuumlrliche Basis fuumlr die Grundwortschatz-Lexikographie aufdraumlngt Gleichwohl machen es datenge-leitete Verfahren moumlglich reproduzierbare Kriterien fuumlr die Lemmaselektion bereit-zustellen und dies auch fuumlr unterschiedliche kommunikative Grundkonstellationen oder Kommunikationsbereiche Dies macht eine gezielte Zusammenstellung von Grundwortschaumltzen fuumlr bestimmte kommunikative Zwecke moumlglich
Wir haben zugleich am Beispiel der Plattform basic-germancom gezeigt dass da-tengeleitete Methoden auch fuumlr die Strukturierung von Grundwortschatzdaten und damit als Grundlage fuumlr die Praumlsentation von lexikalischem Wissen verwendet wer-den koumlnnen Dabei haben wir uns auf Praumlsentationsformen fokussiert die den effi-zienten Einsatz von memory strategies dadurch unterstuumltzen dass sie lexikalisches Wis-sen in einer Form darstellen die den Strukturen des mentalen Lexikons adaumlquat ist
Die Frage des Grundwortschatzes bleibt angesichts seiner notwendigen empiri-schen Unterbestimmtheit ein um es mit Plickat (1980 10f) zu sagen bdquoim absoluten Sinne nicht loumlsbares Problemldquo dieser Beitrag sollte jedoch zeigen dass in Einzelfra-gen mittels innovativer Methoden die Linguistik durchaus Loumlsungen erarbeiten kann
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Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz1
Makiko Hoshii (Tokio) amp Nicole Schumacher (Berlin)
1 Einleitung
In der Zweitspracherwerbsforschung und der Fremdsprachendidaktik werden die Kompetenzen die Lernende und Lehrende von Fremdsprachen zu erwerben haben oftmals in verschiedenen Forschungsdiskussionen behandelt Einerseits wird er-forscht wie sich Lernersprachen entwickeln welche produktiven und rezeptiven Kompetenzen Lernende im Rahmen ihres Fremdsprachenerwerbs aufbauen und welche Einflussfaktoren hierbei relevant sind (Ortega 2009) Andererseits wird im Rahmen der Diskussion um professionelle Handlungskompetenz von Lehrenden thematisiert inwiefern das Lehrerhandeln insbesondere auch das sprachliche Leh-rerhandeln spracherwerbsfoumlrderlich ist und in der Lehreraus- und fortbildung fo-kussiert werden sollte (Kleinschmidt 2016) Beide Diskussionen werden im vorlie-genden Beitrag zusammengefuumlhrt
Bei der fuumlr Lernende zu erwerbenden (produktiv-)muumlndlichen Fertigkeit handelt es sich bdquonicht nur um eine kommunikativ-funktionale Fertigkeit sondern um eine
1 Dieser Beitrag ist Teilergebnis des Forschungsprojektes das durch den Waseda University Grant
for Special Research Projects (Projektnummer 2016K-026 2017K-026) gefoumlrdert wurde Wir dan-ken dem DLC und CCDL Support Office der Waseda Universitaumlt Tokio und dem CMS der Hum-boldt-Universitaumlt zu Berlin fuumlr die technische Unterstuumltzung Christoph Gube fuumlr die Transkripti-onen und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an unseren Videokonferenzen fuumlr ihr groszliges Engagement und die freundliche Zustimmung zur Verwendung saumlmtlicher Daten inkl der Video-aufnahmen fuumlr Forschungszwecke
104 Makiko Hoshii amp Nicole Schumacher
komplexe interaktionale Kompetenz in der Fremdspracheldquo (Luumltge 2013 294) Diese umfasst u a
strategische Kompetenz kompensatorische Faumlhig- und Fertigkeiten die Specherinnen in die Lage versetzen fehlende sprachliche Mittel zu erset-zen Luumlcken zu uumlberbruumlcken zu umschreiben usw mit Hilfe strategischer Kompetenz koumlnnen Schwierigkeiten in der Kommunikation gemeistert wer-den (Schmenk 2013 136 zu Kompensationsstrategien Schramm 2009)
Im Gemeinsamen Europaumlischen Referenzrahmen fuumlr Sprache (GER) werden fuumlnf qualitative Aspekte des muumlndlichen Sprachgebrauchs (Spektrum Korrektheit Fluumls-sigkeit Interaktion und Kohaumlrenz) aufgefuumlhrt Zur Interaktion werden folgende Merkmale genannt
Mittel der Intonation und nichtsprachliche Mittel verwenden eigene Rede-beitraumlge ins Gespraumlch einflechten natuumlrlich das Wort ergreifen auf etwas Be-zug nehmen (C2)
die eigenen Beitraumlge mit denen anderer Personen verbinden (C1)
Gespraumlche beginnen die Sprecherrolle uumlbernehmen zum Fortgang des Ge-spraumlchs beitragen das Verstehen bestaumltigen andere zum Sprechen auffordern (B2)
Teile von dem was jemand gesagt hat wiederholen um das gegenseitige Ver-stehen zu sichern (B1)
Fragen stellen und Fragen beantworten sowie auf einfache Feststellungen re-agieren (A2)
Fragen zur Person stellen und auf entsprechende Fragen Antwort geben sich auf einfache Art verstaumlndigen (A1)
Auf allen Niveaustufen ist es notwendig dass die Lernenden mit anderen Personen interagieren und am Gespraumlch teilnehmen Dies bedeutet fuumlr die Lernenden dass sie bdquostatt einsam an der Uumlberwindung ihrer L2-Sprachdefizite zu arbeiten [hellip] in der Interaktion als selbstbewusste Gespraumlchspartner(innen) im Sinne ihrer Handlungs-initiative bzw bdquoagencyldquo mit anderen [kollaborieren muumlssen]ldquo (HoshiiSchramm 2017 199) Den (angehenden) Lehrenden kommt hierbei die Aufgabe zu die ge-nannten Aspekte des muumlndlichen Sprachgebrauchs zu beruumlcksichtigen und bdquodie Ge-spraumlchskultur des DaF-Klassenzimmers auf die kollaborative Erarbeitung von Aumlu-szligerungen hin auszurichtenldquo (HoshiiSchramm 2017 199) Interaktionale Kompe-tenz spielt also bei allen am gesteuerten Fremdsprachenerwerb beteiligten Akteuren eine zentrale Rolle sowohl bei Lernenden als auch bei angehenden Lehrenden
Unser Begriff von interaktionaler Kompetenz beinhaltet sowohl kompensatori-sche als auch kollaborative Dimensionen Wir verstehen unter interaktionaler Kom-petenz die Faumlhigkeit zur erfolgreichen kollaborativen Beteiligung am Gespraumlch Diese umfasst die Umsetzung eigener Sprechintentionen in authentischer Kommu-
Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz 105
nikation das Initiieren von Bedeutungsaushandlungen im Rahmen von Verstaumlnd-nissicherung sowie die Unterstuumltzung von Gespraumlchspartnern bei Rezeptions- und Produktionsschwierigkeiten im Sinne von Scaffolding und kollaborativem Aumluszlige-rungsaufbau Wie wir in HoshiiSchumacher (2016 2017a 2017b) gezeigt haben laumlsst sich eine so verstandene interaktionale Kompetenz in einem Distanzklassen-zimmer mit Gruppensetting per Videokonferenz sowohl fuumlr Lernende als auch fuumlr angehende Lehrende von Fremdsprachen foumlrdern2 Im Folgenden moumlchten wir in Ergaumlnzung zu unseren durch eine Auszligenperspektive gewonnenen Analyseergebnis-sen zu verstaumlndnissichernder Interaktion und kollaborativem Aumluszligerungsaufbau die Binnenperspektiven der an den Videokonferenzen Beteiligten praumlsentieren Unser Beitrag ist wie folgt aufgebaut Nach einer kurzen Beschreibung unseres Settings und der Datenerhebung (Kapitel 2) folgen die Ausfuumlhrungen zu den Perspektiven der Lernenden (Kapitel 3) der angehenden Lehrenden (Kapitel 4) sowie eine resuumlmie-rende Diskussion (Kapitel 5)
2 Setting und Datenerhebung
Unsere Daten sind im Rahmen gemeinsamer Lehrveranstaltungen entstanden die zwischen 2004 und 2014 an der Waseda-Universitaumlt in Tokio und an der Humboldt-Universitaumlt zu Berlin durchgefuumlhrt wurden (vgl auch HoshiiSchumacher 2010 2012 2016 2017a 2017b) Diese einsemestrigen Veranstaltungen fanden an beiden Standorten statt und wurden jeweils zur Haumllfte als gemeinsame Videokonferenzen und als gruppeninterne offline-Sitzungen durchgefuumlhrt in denen die Konferenzen vor- und nachbereitet wurden Die erste gemeinsame Videokonferenz im Semester diente dem Kennenlernen und dem gemeinsamen Festlegen der drei Schwerpunkt-themen die sodann waumlhrend des Semesters in jeweils zwei Konferenzen diskutiert wurden Die Verantwortung fuumlr die Moderation der Videokonferenzen war ausba-lanciert jeweils eine Konferenz zu einem Thema wurde von den Studierenden in Tokio bzw in Berlin mit einer Kurzpraumlsentation3 eingeleitet und dann moderiert
In Tokio nahmen Studierende verschiedener Faumlcher an der dort bdquoVideokonfe-renz auf Deutschldquo genannten Veranstaltung teil um ihre Deutschkenntnisse parallel zu ihren Hauptfaumlchern zu vertiefen Ihr Sprachniveau lag zwischen B1 und B2 Die Ziele der Lehrveranstaltung bestanden darin neben dem kulturellen Austausch die muumlndlichen Fertigkeiten in natuumlrlichen Kommunikationssituationen sowie fuumlr Prauml-sentationen und Diskussionen in der Zielsprache zu foumlrdern und die interkulturelle kommunikative Kompetenz (weiter) zu entwickeln In den offline-Sitzungen wur-den die Praumlsentationen und Diskussionen vor- und nachbereitet
In Berlin nahmen Studierende des Masterstudiengangs bdquoDeutsch als Fremdspra-cheldquo an der dort bdquoUnterricht per Videokonferenzldquo genannten Lehrveranstaltung teil
2 Vgl fuumlr die Potenziale des Einsatzes von Videokonferenzen und telecollaboration im Fremdspra-
chenunterricht BahloPaulTopajSteckbauer 2014 und Lewis 2017 3 Die Praumlsentationen dauerten jeweils 10-15 Minuten innerhalb von 70-80-minuumltigen Konferenzen
106 Makiko Hoshii amp Nicole Schumacher
um ihre Handlungskompetenz als angehende Lehrende zu professionalisieren Alle hatten im Rahmen ihres Studiums bereits Unterrichtserfahrungen in Praktika im In- und Ausland gesammelt Die Ziele der Lehrveranstaltung bestanden neben dem kul-turellen Austausch in der Vertiefung der eigenen sprachlichen Handlungskompetenz zur Foumlrderung der Sprechfertigkeit im kommunikativen Unterricht per Videokonfe-renz In den offline-Sitzungen wurde das eigene sprachliche Handeln reflektiert
Zur Foumlrderung der interaktionalen Kompetenz sowohl der DaF-Lernenden in Tokio als auch der angehenden DaF-Lehrenden in Berlin wurden die jeweils spezi-fischen offline-Sitzungen zwischen den Videokonferenzen wie folgt gestaltet Die Vorbereitung der Konferenzen erfolgte in Tokio durch die gemeinsame Konkreti-sierung des jeweiligen Diskussionsthemas auf der Grundlage von Recherchen der Studierenden durch die Vorbereitung der Kurzpraumlsentationen und die Vermittlung von Redemitteln fuumlr die Moderationen und Diskussionen In Berlin wurden die Stu-dierenden primaumlr auf die Reflexion des eigenen sprachlichen Handelns vorbereitet Hierfuumlr wurden Grundlagen der Interaktionsanalyse vermittelt wobei sowohl kog-nitivistische als auch soziokulturelle Ansaumltze Beruumlcksichtigung fanden Zudem wurde die Interaktion in videographierten Sequenzen aus Konferenzen der jeweils vorangegangenen Semester gemeinsam analysiert
Die Nachbereitung der Konferenzen umfasste an beiden Standorten sowohl muumlndliche als auch schriftliche Reflexionsphasen In Tokio erfolgte jeweils direkt im Anschluss an die Konferenzen eine gemeinsame muumlndliche Reflexion im Plenum Zudem beschrieben und evaluierten die Studierenden ihre (Lern-) Erfahrungen im Laufe des Semesters in insgesamt sechs Kurzessays Die Studierenden in Berlin transkribierten ausgewaumlhlte Sequenzen aus einer aktuellen Konferenz und analysier-ten das eigene Interaktionsverhalten auf der Grundlage der behandelten kognitivis-tisch und soziokulturell fundierten Ansaumltze Die Interaktionsanalysen wurden im Plenum praumlsentiert und diskutiert Die Studierenden in Berlin verfassten ebenfalls sechs Kurzessays in denen sie die Videokonferenzen beschrieben und evaluierten Die Kommunikation zwischen den Tokioter und den Berliner Teilnehmenden wurde zudem durch Austauschmoumlglichkeiten uumlber die e-learning-Plattform Moodle ergaumlnzt Diese wurde beispielsweise dafuumlr genutzt um einander Fragen zum jeweili-gen Themenkomplex zu nennen so dass die Praumlsentationen schon mit Blick auf das Interesse der jeweils anderen Seite hin gestaltet werden konnten
Datengrundlage des vorliegenden Beitrags sind die genannten Kurzessays der Studierenden aus einem Videokonferenzkurs im Sommersemester 2014 Teilgenom-men haben fuumlnf Studierende (fortgeschrittene DaF-Lernende) der Waseda-Univer-sitaumlt in Tokio und sechs Studierende (angehende DaF-Lehrende) der Humboldt-Universitaumlt zu Berlin In der ersten Videokonferenz wurden als Themen (1) Schule und Ausbildung (2) Migration und (3) Fukushima und die Medien vereinbart Alle Studierenden hatten die Aufgabe insgesamt sechs Essays zu scheiben
vor Beginn des Kurses (Impuls Was erwarten Sie von den Videokonferen-zen)
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zur Beschreibung und Evaluation der jeweiligen Konferenzen (Impuls Bitte beschreiben und evaluieren Sie die erste Konferenzdie Konferenzen zum Thema (1) bzw (2) bzw (3))
zur Evaluation nach Abschluss des Kurses (Impuls Bitte evaluieren Sie die Videokonferenzen)
Die Laumlnge der Essays variiert zwischen einer halben und drei Seiten In Tokio dien-ten die Essays sowohl als Reflexionsmoumlglichkeit als auch als Schreibaufgaben die jeweils in zwei Phasen mit verschiedenen Feedbacktypen korrigiert und von den Studierenden selbst uumlberarbeitet wurden4
In den naumlchsten Kapiteln praumlsentieren wir anhand von Auszuumlgen aus ausgewaumlhl-ten Essays die Binnenperspektive der Beteiligten Unsere Analyse ist explorativ und insofern kategoriengenerierend als wir in den Daten nach Aussagen mit Merkmalen und Dimensionen interaktionaler Kompetenz im oben beschriebenen Sinne gesucht und daraus Kategorien ndash Motive ndash gebildet haben Hierbei orientierten wir uns an den folgenden Leitfragen Welche Motivation und Erwartungen bringen die Teil-nehmenden zum interaktionalen Austausch mit Inwiefern entwickelt sich die Mo-tivation inwiefern werden die Erwartungen erfuumlllt Foumlrdert eine Lernumgebung mit Gruppensetting per Videokonferenz die interaktionale Kompetenz von Fremdspra-chenlernenden und -lehrenden in ihrer eigenen Wahrnehmung
3 Perspektiven der Lernenden
Die Erfahrungen mit authentischer Kommunikation und Interaktion in der deut-schen Sprache und in der Fremdsprache waren bei den Lernenden recht unter-schiedlich wie Tabelle 1 zu entnehmen ist Drei von den insgesamt fuumlnf Teilneh-menden (Yoko Kenji Yasu)5 verfuumlgten bereits uumlber Aufenthaltserfahrungen in deutschsprachigen Laumlndern Kenji und Yasu hatten im Rahmen von Austauschpro-grammen zwei Semester an einer deutschen Universitaumlt studiert wobei Kenji in ei-nem englischsprachigen Programm gewesen war Yoko hatte als Kind vier Jahre in Wien gelebt und war auf eine internationale Schule gegangen Die anderen beiden Teilnehmenden (Shin und Hiro) hatten vor den Videokonferenzen noch keine laumln-gere Zeit im deutschsprachigen Raum verbracht planten jedoch spaumlter in Deutsch-land zu studieren Shin war waumlhrend seiner Schulzeit im Rahmen eines Austausch-programms ein Jahr in Italien gewesen Dort hatte er in einer deutsch-italienischen Familie gelebt und etwas Deutsch gelernt Wir sehen dass die Teilnehmenden sehr
4 Sie wurden in der ersten Phase durch die Angabe des Fehlertyps jedoch ohne die Zielform vorzu-
geben in der zweiten Phase direkt durch die Vorgabe der Zielform korrigiert Die Frage ob und inwiefern diese Art der Fehlerkorrektur Effekte auf Uumlberarbeitungsprozesse Sprachbewusstsein oder auch interaktionale Kompetenz hat wuumlrde den Rahmen dieses Beitrags sprengen Vgl zur Wirksamkeit von Fehlerkorrektur beim fremdsprachlichen Schreiben Ohta (2015)
5 Die Namen der Beteiligten sind Pseudonyme
108 Makiko Hoshii amp Nicole Schumacher
unterschiedliche Erfahrungen mit der authentischen Kommunikation und Interak-tion in einer Fremdsprache mitbringen und dass die Gruppe sich folglich in Bezug auf die interaktive Kompetenz als recht heterogen charakterisieren laumlsst
Tabelle 1 Lernbiographien der japanischen Teilnehmenden (Auslandsaufenthalte Kontakt mit der deutschen Sprache auszligerhalb des Unterrichts)
Name Aufenthalt in einem deutsch-
sprachigen Land (1 Jahr +)
Aufenthalt im Ausland (auszliger-halb von deutsch-sprachigen
Laumlndern) (1 Jahr +)
Yoko Ja
(SchulzeitWien 4 Jahre) Ja
(SchulzeitLondon 2 Jahre)
Kenji Ja
(StudiumBerlin 1 Jahr) Ja
(SchulzeitSingapur 3 Jahre)
Shin Nein Ja
(SchulzeitItalien 1 Jahr)
Hiro Nein Nein
Yasu Ja
(StudiumLeipzig 1 J) Nein
31 Motivation und Erwartungen
Die Lehrveranstaltung bdquoVideokonferenz auf Deutschldquo an der Waseda-Universitaumlt ist kein Pflichtkurs sondern ein rein fakultatives Angebot dementsprechend brin-gen die Teilnehmenden generell eine sehr hohe Motivation zum Deutschlernen mit Aus den Aussagen in den vor Beginn der Konferenz geschriebenen Essays zu Mo-tivation und Erwartungen lassen sich vor allem folgende vier Motive festhalten bdquoDeutsch sprechen und Deutschkenntnisse erweiternldquo bdquoStudierende in Deutsch-land kennen lernenldquo bdquoDeutsche Kultur kennen lernenldquo und bdquoUnsicherheit mit der Spracheldquo Zwar ist der Fokus der einzelnen Lernenden etwas unterschiedlich ver-teilt wie den Zitaten6 unten zu entnehmen ist aber sie alle teilen den Wunsch ihre
6 Die Zitate der japanischen Teilnehmenden stammen aus den zweimalig in der oben beschriebenen
Weise korrigierten Endversionen der Essays
Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz 109
Deutschkenntnisse zu erweitern Daruumlber hinaus war es fuumlr die japanischen Studie-renden auch ein groszliger Reiz Studierende in Berlin kennen zu lernen mit ihnen zu diskutieren und die Kultur in Deutschland kennen zu lernen
(1) bdquoIch will in Berlin Linguistik studieren deshalb muss ich gut Deutsch sprechen koumlnnen [hellip] In Japan habe ich fast keine Chance Deutsch zu spre-chen und deutsche Studenten kennen zu lernenldquo (Shin Essay 1)
(2) bdquoIn diesen Konferenzen moumlchte ich mit deutschen Studenten [hellip] spre-chen und Unterschiede zwischen Japan und Deutschland verstehenldquo (Yasu Essay 1)
Den Wunsch mit Studierenden in Deutschland zu diskutieren teilen alle Studieren-den Auch Kenji der ein Jahr in Berlin studiert hat moumlchte das und meint dass er waumlhrend seines Aufenthalts in Berlin kaum deutsche Studierende kennen lernen konnte
(3) bdquoMeine Erwartung an die Videokonferenz ist dass ich mehr Studenten der Humboldt-Universitaumlt kennen lernen moumlchte Letztes Jahr habe ich an der Humboldt-Universitaumlt Volkswissenschaft studiert aber damals hatte ich leider keine deutschen Freundeldquo (Kenji Essay 1)
Den uumlber die Distanz hinaus technisch-vermittelten Austausch nehmen die Lernen-den als eine reale und direkte Moumlglichkeit zum kulturellen und persoumlnlichen Aus-tausch wahr wie auch Yoko schreibt
(4) bdquoIch will dass die deutschen Studenten die japanische Kultur kennenler-nen und deshalb muss ich die eigene Kultur studieren Mein Ziel in dieser Klasse ist dass ich alle Namen der Studenten in Berlin behalten und mein Sprechen verbessern kannldquo (Yoko Essay 1)
Die Unsicherheit mit der Sprache wird vor Beginn der Konferenzen nicht haumlufig angesprochen Dies mag auf die vorherigen Erfahrungen der Beteiligten mit der Kommunikation in der Fremdsprache zuruumlckzufuumlhren sein denn auszliger Hiro hatten alle bereits einen laumlngeren Aufenthalt in einer fremdsprachlichen Umgebung erlebt Nur Shin der zwar waumlhrend seines Auslandsjahrs in Italien etwas Deutsch gelernt hatte aber ansonsten ausschlieszliglich im Rahmen von Unterricht Kontakt mit dem Deutschen hatte benennt auch Unsicherheiten mit der Sprache7
(5) bdquoDieser Unterricht scheint ganz schwer fuumlr mich zu sein weil ich wenig verstand was die Professorin sagteldquo (Shin Essay 1)
7 Der zweite Student ohne vorige Aufenthaltserfahrungen in den deutschsprachigen Laumlndern Hiro
ist erst spaumlter als nicht-registrierter Zuhoumlrer in den Kurs eingestiegen Daher fehlt von ihm der erste Essay
110 Makiko Hoshii amp Nicole Schumacher
Insgesamt koumlnnen wir festhalten dass die hier beteiligten Lernenden hohe Erwar-tung an die Konferenzen haben um sich sprachlich kulturell und persoumlnlich auszu-tauschen Dies zeigt dass das Lernsetting bdquoVideokonferenzenldquo fuumlr sie eine Lernum-gebung darstellt in der sie in der Zielsprache authentisch kommunizieren und sich mit Sprechern der Zielsprache vor allem mit Studierenden austauschen koumlnnen was in einem herkoumlmmlichen Unterrichtssetting nicht der Fall ist
In den Essays zwischen den Konferenzen und nach dem Abschluss der Konfe-renzen werden neben den inhaltlichen Kommentaren vor allem drei Motive ange-sprochen bdquoKommunikation in den Konferenzenldquo bdquoDas eigene Sprachverhaltenldquo sowie bdquoMotivation zum Weiterlernenldquo Im Folgenden moumlchten wir diese Motive et-was genauer vorstellen
32 Kommunikation in den Konferenzen
In den Essays reflektieren die Lernenden die Kommunikation waumlhrend der Konfe-renzen kritisch Primaumlr bewerten sie sie als positiv weil sie viel zum Nachfragen und zum Sprechen kamen Dies laumlsst sich bereits in den Essays nach der ersten Konfe-renz erkennen in der die Studierenden einander kennen lernten und gemeinsam die Themen fuumlr die Videokonferenzen festlegten wie beispielsweise Yoko schreibt
(6) bdquoPositiv an der letzten Videokonferenz war dass die Atmosphaumlre zwi-schen den japanischen und deutschen Studenten sehr gut war und dass wir viel nachgefragt haben als wir die Berliner Studenten nicht verstehen konn-tenldquo (Yoko Essay 2)
Yasu schreibt in seinem dritten Essay positiv daruumlber dass die Berliner Studierenden viele Fragen gestellt haben
(7) bdquoSie haben an den allen Themen ein paar Fragen an uns gestellt Das war eine sehr gute Methode um viele Chance fuumlr Diskussion zu erstellenldquo (Yasu Essay 3)
In einem spaumlteren Essay stellt er insbesondere die Moumlglichkeit zu Nachfragen her-aus
(8) bdquoWir konnten fragen was wir nicht verstehen und Berliner antworten [hellip] Diese Konferenz war eine gute Chance fuumlr unsldquo (Yasu Essay 5)
Diese Aussagen lassen sich einerseits als eine Bestaumltigung unserer Analyseergebnisse zu dem hohen Anteil der lernerseitigen Nachfragen und zur Symmetrie der Interak-tion (HoshiiSchumacher 2017a 71ff) andererseits als Indizien fuumlr die Erfuumlllung der lernerseitigen Erwartungen an die Diskussion mit der Partnergruppe interpretie-ren Chancen zum Nachfragen koumlnnen bei den Lernenden moumlglicherweise das Ge-fuumlhl der Involviertheit und der gleichberechtigten Teilhabe an der Kommunikation erhoumlhen Zudem lassen sich diese Ausfuumlhrungen der japanischen Studierenden mit einigen der genannten qualitativen Aspekte des muumlndlichen Sprachgebrauchs in der
Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz 111
Interaktion nach dem GER verbinden Die hier aus der Binnenperspektive als lern-foumlrdernd eingestuften Moumlglichkeiten fuumlr Nachfragen sind ja in Interaktionen einge-bettet in der man natuumlrlich das Wort ergreifen (C2) die eigenen Beitraumlge mit denen anderer Personen verbinden (C1) zum Fortgang des Gespraumlchs beitragen das Ver-stehen bestaumltigen und andere zum Sprechen auffordern kann (B2)
33 Das eigene Sprachverhalten
Direkt verbunden mit der kritischen Reflexion uumlber die Kommunikation ist die Re-flexion uumlber das eigene Sprachverhalten Die Lernenden formulieren oft Unsicher-heiten beim Sprachgebrauch Nach der ersten Konferenz zum Kennenlernen be-schreiben die Studierenden ihre Unsicherheiten in der folgenden Weise
(9) bdquoIch war ein bisschen nervoumls weil ich so lange Zeit nicht mehr mit Deut-schen gesprochen hatteldquo (Kenji Essay 2)
(10) bdquoIch hatte Angst vor der ersten Videokonferenz ob ich mit den deut-schen Studenten durch das Internet auf Deutsch sprechen kannldquo (Shin Es-say 2)
Auch Yoko die im ersten Essay nur positiv uumlber ihre Erwartungen und Motivation aber nichts uumlber ihre Unsicherheit geschrieben hatte kommentiert im letzten Eva-luationstext dass sie mit der Zeit von ihrer anfaumlnglichen Nervositaumlt loumlsen konnte
(11) bdquoDie Studenten aus Berlin waren alle sehr nett und freundlich und sie haben mir Freude geschenkt Zuerst war ich sehr nervoumls aber in der letzten Videokonferenz war ich komplett entspanntldquo (Yoko Essay 6)
Hiro der vor den Konferenzen keine laumlngeren Auslandserfahrungen gesammelt hatte nannte das Motiv bdquoUnsicherheit mit der Spracheldquo durchgehend bis zum letz-ten Essay
(12) bdquoIch konnte nicht voumlllig verstehen was sie gesagt haben deshalb konnte ich nicht genau verstehen wovon die Rede war Deswegen konnte ich nicht auf mich vertrauen wenn ich zu sprechen angefangen habeldquo (Hiro Essay 6)
Diese Unsicherheit fuumlhrte allerdings nicht zu einer negativen Einstellung in Bezug auf die Teilnahme Vielmehr fuumlhrte sie zur kritischen Reflexion uumlber das eigene Sprachverhalten und vor allem zur Motivation zum Weiterlernen
Hiro reflektiert bereits nach der ersten Konferenz kritisch uumlber seine eigenen Sprachkenntnisse vor allem uumlber die Luumlcken in seinem Wortschatz
(13) bdquoMein groumlszligtes Problem ist dass ich einen kleinen Wortschatz habe Deshalb konnte ich nicht verstehen was sie gesagt haben und auch nicht viel sprechen [hellip] Mein zweites Problem ist dass ich die Unterhaltung auf Deutsch nicht gewohnt binldquo (Hiro Essay 2)
112 Makiko Hoshii amp Nicole Schumacher
Die Herausforderungen mit denen er waumlhrend der Konferenzen konfrontiert war erkennt er durchaus bewusst und wiederholt auch im letzten Evaluationstext dass er mit dem Wortschatz und dem Houmlrverstaumlndnis Schwierigkeiten hat Diese kriti-schen Reflexionen uumlber die eigenen Probleme fuumlhren bei Hiro zur weiteren Motiva-tion zum Weiterlernen wie wir unten sehen
Kenji schreibt am Ende positiv uumlber die Entwicklung seiner Sprechfaumlhigkeiten wobei er gleichzeitig auch seine Probleme beim Houmlrverstehen und beim Sprechen nennt
(14) bdquoDas war sehr schwer zu verstehen was die HU-Studenten gesagt ha-ben und zu erklaumlren was ich sagen wollteldquo (Kenji Essay 6)
Shin nennt in seinem letzten Essay zentrale Merkmale interaktionaler Kompetenz Dabei stellt er sowohl Herausforderungen als auch Loumlsungen heraus
(15) bdquoWas schwierig bei der Konferenz war war die Notwendigkeit auf die unerwarteten Fragen zu antworten und zu verstehen was andere sagen [hellip] Wir konnten aber uns mit dem Woumlrterbuch oder mit der Hilfe der Anderen verstehenldquo (Shin Essay 6)
Er reflektiert hier uumlber authentische spontane Kommunikation und verweist dezi-diert auf die gegenseitige Unterstuumltzung die zu der erfolgreichen Kommunikation beitraumlgt Dies laumlsst sich als lernerseitiges Indiz fuumlr unsere Analysen der kollaborativen Aumluszligerungs- und Wissenskonstruktionen in der Interaktion interpretieren (HoshiiSchumacher 2017b 85ff)
Insgesamt sehen wir dass die Videokonferenzen aus der Perspektive der Ler-nenden gute Gelegenheiten dafuumlr boten eigene Sprechintentionen im authentischen Gespraumlch mit den Redebeitraumlgen der anderen Beteiligten zu verbinden in der Inter-aktion zu realisieren und nicht nur zu uumlben sondern auch kritisch zu reflektieren Dies fuumlhrt zur Motivation zum Weiterlernen
34 Motivation zum Weiterlernen
Die Essays zeigen dass die Gelegenheit zur Realisierung eigener Sprechintentionen in authentischen Gespraumlchen die Lernenden die Luumlcken in der eigenen Lernerspra-che erkennen lassen (noticing the hole Swain (1998) DoughtyWilliams (1998)) was insbesondere in Bezug auf den Wortschatz mehrfach thematisiert wird Gerade diese Herausforderung mit eigenen Defiziten konfrontiert zu werden scheint die betei-ligten Lernenden zum Weiterlernen zu motivieren So reflektiert beispielsweise Yoko die durchaus mit ihren Lernergebnissen zufrieden war dass sie ihre Motiva-tion zum Erlernen neuer Vokabeln erhoumlhte
(16) bdquoWeil ich in dieser Videokonferenz sprechen musste hat meine Moti-vation neue Vokabeln zu lernen zugenommen [hellip] das Gefuumlhl dass sich mein Deutsch verbessert hat ist immer gutldquo (Yoko Essay 6)
Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz 113
Auch Hiro der bis zum Ende kein Vertrauen in sein eigenes Sprachverhalten auf-baut betont erneut die Wichtigkeit zum Vokabellernen und zur Verbesserung seines Houmlrverstehens
(17) bdquoDas wichtigste Problem fuumlr mich ist dass ich einen kleinen Wortschatz habe und dass ich nicht am Houmlrverstehen gewoumlhnt bin [hellip] Deshalb will und muss ich meinen aktiven Wortschatz vergroumlszligern und die Erfahrungen im Houmlrverstehen sammelnldquo (Hiro Essay 6)
Die exemplarischen Auszuumlge aus den Essays der Lernenden zeigen eine durchaus selbstkritische Haltung der eigenen Lernersprache gegenuumlber die sie zum Teil als defizitaumlr wahrnehmen eine aber insgesamt aumluszligerst positive Evaluierung der Kom-munikation fuumlr die eigenen Lernerfahrungen Die Lernenden empfinden nicht nur Freude am kulturellen Austausch sondern reflektieren gleichzeitig ihre Fertigkeiten in der zu erlernenden Sprache ernsthaft und entwickeln ihre Motivation zum Wei-terlernen Das Setting Videokonferenz in dem die Beteiligten gemeinsam miteinan-der interagieren birgt somit ein lernfoumlrderndes Potenzial wie Shin in seinem Ab-schlussessay beschreibt
(18) bdquoIch denke dass die Konferenzen dieses Semesters erfolgreich beendet worden sind obwohl ich kein Selbstvertrauen vorher hatte Einer der Gruumlnde ist dass jeder in der Klasse hoch motiviert war und unsere deut-schen Kameraden uns mit der Sprache geholfen habenldquo (Shin Essay 6)
4 Perspektive der angehenden Lehrenden
Die Berliner Studierenden hatten im Rahmen ihres Masterstudiengangs Deutsch als Fremdsprache alle bereits Lehrerfahrungen durch ein Hospitations- und Unter-richtspraktikum am Sprachenzentrum der Humboldt-Universitaumlt gesammelt und standen direkt vor einem weiteren Unterrichtspraktikum an einer auslaumlndischen Uni-versitaumlt (vier Studierende) oder vor weiteren DaF-Taumltigkeiten (zwei Studierende) Eine Studentin hatte schon Lehrerfahrungen im Ausland gesammelt zwei Studie-rende verfuumlgten uumlber Japanischkenntnisse (auf Niveau A1 bzw B1)
Alle waren durch ihr Studium in linguistischen spracherwerbsbezogenen didak-tischen und interkulturellen Fragen vorgebildet und durch die einfuumlhrenden offline-Sitzungen der Videokonferenz-Lehrveranstaltung mit Hintergruumlnden Begriffen und Verfahren der Interaktionsanalyse vertraut Ihre Essays zeigen sowohl ihre persoumln-lichen Erwartungen Emotionen und Eindruumlcke als auch die vor dem Hintergrund ihrer Fachkenntnisse reflektierten Einschaumltzungen des Lernpotenzials des spezifi-schen Settings fuumlr die japanischen Lernenden und fuumlr sie selbst als angehende Leh-rende
114 Makiko Hoshii amp Nicole Schumacher
41 Motivation und Erwartungen
Vor den Konferenzen wird mehrfach die Hoffnung auf einen authentischen fuumlr alle interessanten Austausch geaumluszligert der vertiefte Kenntnisse uumlber die japanische Kul-tur und interkulturelle Kompetenzen foumlrdert
(19) bdquoMein Wunsch [hellip] ist in erster Linie dass es zu einem moumlglichst un-gezwungenen Austausch kommt bei dem inhaltliche Themen im Zentrum stehen die alle Teilnehmenden interessierenldquo (Jule Essay 1)
(20) bdquoDabei erhoffe ich mir interkulturelle Vergleiche ziehen zu koumlnnen und bei bestimmten Aumluszligerungen Stereotype [hellip] zu hinterfragenldquo (Juliana Es-say 1)
Der Wunsch nach einem bdquoungezwungenen Austauschldquo laumlsst sich mit schon fruumlh formulierten Plaumldoyer fuumlr eine bdquooffene und gleichberechtigte [hellip] Qualitaumlt des Mit-einanders im Klassenzimmerldquo (Roumlsler 1983 297) verbinden das im Gegensatz zu traditionellen Interaktionsformen wie beispielsweise IRF-Sequenzen steht Dass das Spannungsfeld zwischen authentischer und gleichberechtigter Kommunikation ei-nerseits und herkoumlmmlichem Lehrerhandeln andererseits nach wie vor aktuell ist (HoshiiSchramm 2017 Hoffmann 2017) zeigt sich auch in den Reflexionen der angehenden Lehrenden in Berlin
So reflektieren sie das Lernfoumlrderpotenzial der erhofften authentischen Kom-munikation fuumlr Lernende (vgl 21) sowie auch ihr eigenes sprachliches Handeln bei-spielsweise in Bezug auf klassische Lehrerhandlungen wie Fehlerkorrekturen in dem spezifischen Setting (vgl 22)
(21) bdquoNach meiner Erfahrung zu urteilen wuumlrde ich behaupten dass die aus eigener Motivation und Interesse entstehenden Gespraumlche im Fremdspra-chenunterricht das Lernen an sich beschleunigen und neuer Input intensiver verarbeitet werden kannldquo (Lia Essay 1)
(22) bdquo[Es] wuumlrde sich [hellip] z B reaktive Formfokussierung anbieten (inter-aktionales Feedback Bedeutungsaushandlungen Reformulierung) da zum einen dieser Technik ein lernwirksames Potenzial zugesprochen wird und zugleich die interaktive Kommunikation nicht erheblich gestoumlrt wirdldquo (Mar-lin Essay 1)
Das genannte Spannungsfeld laumlsst sich insbesondere an der immer wiederkehren-den Frage der Berliner Studierenden erkennen welche Rolle sie selbst in den Inter-aktionen per Videokonferenz einnehmen die von Lehrenden oder von Gespraumlchs-partnern
(23) bdquoUumlberhaupt ist noch nicht ganz klar wie die Kursteilnehmer_innen ihreunsere Rolle waumlhrend der Videokonferenzen verstehen Sind wir in Berlin in erster Linie Gespraumlchspartner_innen zugleich (ein bisschen) Leh-rer_innen Oder gar nichtldquo (Jule Essay 1)
Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz 115
Die Teilnehmenden in Berlin reflektieren daruumlber hinaus die Moumlglichkeit die eigene Sprache durch Videoaufnahmen analysieren zu koumlnnen
(24) bdquo[J]ede Sitzung des Videokonferenzkurses [wird] aufgezeichnet und steht in Video und Audio zur Verfuumlgung [hellip] Dadurch wuumlrde ich interes-sante Beobachtungen erwarten die es ermoumlglichen auf bestimmte Aspekte des eigenen Auftretens zu achten und diese vielleicht zu veraumlndernldquo (Chris Essay 1)
Auch Kommunikationsschwierigkeiten werden von den Berliner Studierenden vor Beginn der Videokonferenzen thematisiert Hierbei finden sich sowohl von Skepsis gegenuumlber der Distanzkommunikation gepraumlgte Meinungen (vgl 25) als auch solche die methodische und inhaltliche Dimensionen von Interaktionsanalysen als interes-sante Herausforderungen bewerten (vgl 26)
(25) bdquo[hellip] denke ich dass besonders die Uumlberwindung von kommunikativen bdquoStolpersteinenldquo eine groszlige Huumlrde in diesen Videokonferenzen darstellt [hellip] Hier stelle ich mir die Kommunikation fuumlr die Lerner und auch fuumlr uns doch recht stressig vorldquo (Juliana Essay 1)
(26) bdquoVon den Analysen und Transkriptionen der Videokonferenzen er-warte ich mir auch interessante Einblicke in die Interaktion der beiden Gruppen miteinander [hellip] Insbesondere an Stellen an denen Missverstaumlnd-nisse auftreten die Kommunikation aus anderen Gruumlnden gestoumlrt ist oder das Gespraumlch vielleicht kurzzeitig ganz abbricht verdienen in diesem Zu-sammenhang besondere Aufmerksamkeitldquo (Chris Essay 1)
Aus den Essays vor den Videokonferenzen lassen sich drei fuumlr den Bereich der in-teraktionalen Kompetenz zentrale Motive herauskristallisieren uumlber die die Berliner Studierenden primaumlr reflektieren bdquoKommunikation in den Konferenzenldquo bdquoDie ei-gene Rolleldquo und bdquoMotivation zur Professionalisierung des eigenen sprachlichen Ver-haltens als zukuumlnftige Lehrpersonldquo Diese werden in den Essays zwischen und nach den Konferenzen weiter spezifiziert und entwickelt was nun genauer ausgefuumlhrt wird
42 Kommunikation in den Konferenzen
Einen Schwerpunkt in den Essays der Berliner Studierenden zur Kommunikation waumlhrend der Konferenzen bildet weiterhin die Reflexion uumlber die Authentizitaumlt den bdquoungezwungenen Austauschldquo Hinzu kommen Beobachtungen und Eindruumlcke zur Interaktion zwischen den Lernenden
Bereits in den Essays nach der ersten Videokonferenz in der die Studierenden in Tokio und Berlin einander kennen lernten und gemeinsam die drei Themen und die Zustaumlndigkeiten fuumlr die Moderationen vereinbarten wird die Kommunikation
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zwischen beiden Gruppen als bdquoechtldquo und positiv bewertet Die angehenden Lehren-den schildern dass sich eine anfaumlngliche Nervositaumlt und Furcht vor unangenehmer Stille waumlhrend dieser Konferenz schnell aufloumlste und einer Gespraumlchsatmosphaumlre wich die durch gemeinsame Interessen den Wunsch die Gespraumlchspartner kennen zu lernen und Humor gepraumlgt war
(27) bdquo[hellip] dass im Gespraumlch die anfaumlngliche Unsicherheit immer mehr wich so konnte auch bereits gemeinsam gelacht und gescherzt werdenldquo (Marlin Essay 2)
(28) bdquoFuumlr mich verdichteten sich [hellip] die Namen und Gesichter der Studie-renden zu Persoumlnlichkeiten die ich sehr gern besser kennenlernen wuumlrdeldquo (Chris Essay 2)
Auch in den weiteren Essays wird die Kommunikation als authentisch bewertet und auf die durch persoumlnliche Sympathie und groszliges Interesse aneinander gepraumlgte At-mosphaumlre zwischen den Teilnehmenden (vgl 29) sowie auch auf die Brisanz der Themen bdquoMigrationldquo und bdquoFukushimaldquo (vgl 30) zuruumlckgefuumlhrt
(29) bdquoIch finde dass waumlhrend dieser Sitzung sehr schoumlne Gespraumlche ent-standen und daruumlber freue ich mich sehr [hellip] ich habe das Gefuumlhl dass wir uns so viel zu erzaumlhlen habenldquo (Lia Essay 3)
(30) bdquoDie politisch brisanten Themen der Konferenz und die uumlberaus inte-ressanten Einblicke in die japanische Gesellschaft aus erster Hand lieszligen mich streckenweise vergessen dass es sich um eine Videokonferenz han-deltldquo (Chris Essay 4)
Die Kommunikation wird auch in den Abschlussevaluationen insgesamt als positiv bewertet und in Bezug auf das Lernfoumlrderpotenzial fuumlr die japanischen Lernenden reflektiert
(31) bdquoInsgesamt verliefen sie viel lockerer angenehmer und ungezwungener als ich es fuumlr diese Form der Kommunikation erwartet haumltteldquo (Mara Essay 6)
(32) bdquoIch denke dass dies besonders fuumlr die japanischen Studierenden eine gute Uumlbung darstellte um auf sie auf echte authentische Kommunikation vorzubereitenldquo (Jule Essay 6)
Mehrfach tauchen in den Essays Beobachtungen zu Interaktionen zwischen den Lernenden auf die die Berliner Studierenden beschaumlftigen und z T verunsichern
(33) bdquo[hellip] auffaumlllig dass Feedback vor allem innerhalb der japanischen Gruppe gegeben wurde Auch einige Bedeutungsaushandlungen fanden aus-schlieszliglich auf japanischer Seite stattldquo (Chris Essay 4)
Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz 117
(34) bdquoVokabelfragen wurden uumlberwiegend innerhalb der japanischen Gruppe verhandelt [hellip] Eventuell muumlssten wir dort mehr Initiative zeigen um Input zu liefernldquo (Mara Essay 4)
Ausfuumlhrungen wie diese lassen darauf schlieszligen dass die angehenden Lehrenden vertraut sind mit primaumlr steuernden Handlungsmustern von Lehrpersonen zu de-nen beispielsweise IRF-Sequenzen display questions oder formfokussierendes Feedback8 gehoumlren (Walsh 2003 Hoffmann 2017) Auch wenn ihnen ndash gerade auch durch die Teilnahme am Videokonferenzkurs ndash bewusst ist dass authentische bdquoun-gezwungeneldquo Kommunikation lernfoumlrdernd ist und sich in dem gesamten Datensatz der muumlndlichen Interaktion per Videokonferenz beispielsweise keine display questi-ons finden lassen (HoshiiSchumacher 2017a) so verunsichert sie doch die peer interaction zwischen den japanischen Lernenden Die kollaborativen Interaktions-strukturen im Aumluszligerungsaufbau die sich von auszligen gerade in diesem spezifischen Gruppensetting finden lassen (HoshiiSchumacher 2017b) sind fuumlr die Berliner Stu-dierenden offenbar (noch) nicht salient Bevor wir dieses naumlher beleuchten moumlchten wir zunaumlchst noch auf die beiden weiteren Motive eingehen die verschiedene Facet-ten der Selbstwahrnehmung der Berliner Studierenden betreffen das Motiv der ei-genen Rolle und das der Motivation fuumlr die Professionalisierung des eigenen sprach-lichen Verhaltens als zukuumlnftige Lehrperson
43 Die eigene Rolle
Das Motiv der eigenen Rolle als Gespraumlchspartner und Kommilitone einerseits und als angehende Lehrperson andererseits zieht sich durch saumlmtliche Essays der Berli-ner Studierenden Es entwickelt sich bei allen von einer anfaumlnglichen Unsicherheit bzgl einer Doppelrolle immer staumlrker hin zur Wahrnehmung der eigenen Rolle als Gespraumlchspartner und Kommilitone
(35) bdquo[Ich] fuumlhlte [hellip] mich den KommilitonInnen die am bdquoEnde der Weltldquo zu sitzen scheinen uumlberhaupt nicht fern und trat zudem vollkommen aus der Lehrerrolle die in den vergangenen Sitzungen spuumlrbar an mir hafteteldquo (Lia Essay 4)
(36) bdquoWaumlhrend der Videokonferenzen geriet bei mir die Rolle als angehende DaF-Lehrkraft uumlber weite Strecken voumlllig ins Hintertreffen Ich sah die ja-panische und deutsche Seite der Videokonferenz eher als Kommilitonen [hellip] diese Sichtweise sorgte sicherlich fuumlr eine entspannte und angenehme Diskussionsatmosphaumlre und eine Begegnung auf Augenhoumlheldquo (Chris Essay 6)
8 Vgl zur Reflexion uumlber Feedback auch Beispiel (22)
118 Makiko Hoshii amp Nicole Schumacher
Die Berliner Teilnehmer formulieren hier ndash anders als in ihren Ausfuumlhrungen zur peer interaction zwischen den japanischen Studierenden ndash die Basis fuumlr die im Ver-gleich zu einem herkoumlmmlichen Klassenzimmer symmetrische Interaktionsstruktur die wir an anderer Stelle in Bezug auf die Verteilung der refokussierenden Fragen (HoshiiSchumacher 2017a) und in Bezug auf kollaborativen Aumluszligerungs- und Wis-sensaufbau (HoshiiSchumacher 2017b) betrachtet haben Es laumlsst sich wiederum eine Bruumlcke zu Roumlslers (1983) gleichberechtigter Qualitaumlt des Miteinanders im Klas-senzimmer schlagen in (36) durch die Metapher der bdquoBegegnung auf Augenhoumlheldquo pointiert Indem die Berliner Studierenden sich als Kommilitonen und Gespraumlchs-partner wahrnehmen benennen sie sich im Grunde als Peers der japanischen Teil-nehmer und bewerten dies als positiv fuumlr die Atmosphaumlre und den eigenen kulturel-len Wissenszuwachs Gleichwohl behalten sie auch stets ihre Rolle als zukuumlnftige Lehrperson im Blick wie im Folgenden gezeigt wird
44 Motivation zur Professionalisierung des eigenen sprachlichen Handelns als zukuumlnftige Lehrperson
Insbesondere da die Berliner Studierenden nicht nur ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen und Beobachtungen waumlhrend der Konferenzen uumlber die Kommunika-tion in dem spezifischen technisch vermittelten Gruppensetting reflektieren son-dern als weiteren Ausgangspunkt die Videoaufnahmen ihre selbst erstellten Tran-skriptionen und Analysen des eigenen sprachlichen Verhaltens heranziehen koumlnnen beinhalten ihre Reflexionen auch vertiefte lern- und lehrbezogene Dimensionen Diese betreffen das Spracherwerbspotenzial der Interaktion fuumlr die japanischen Ler-nenden sowie vor allem auch das Lernpotenzial fuumlr sie selbst als zukuumlnftige Lehr-personen
Sie empfinden einen Kenntniszuwachs in Bezug auf die Effekte spezifischer In-teraktionsmuster durch die Transkriptionen
(37) bdquoAls ich das erste Mal einen Ausschnitt einer Sitzung transkribierte war ich sehr uumlberrascht dass ich vieles waumlhrend unserer Sitzungen nicht wahr-nehme Beispielsweise fiel mir beim Transkribieren der Skripte auf dass Be-deutungsaushandlungen durchaus Lerneffekte erzielen koumlnnen So be-merkte ich dass u a semantisierte Woumlrter und Redemittel von den japani-schen Studenten waumlhrend einer Konferenz wiederaufgenommen bzw pro-duziert wurdenldquo (Lia Essay 3)
In diesem Zitat wird eine fuumlr den Bereich von Erwerb und Vermittlung von Fremd-sprachen zentrale Bruumlcke deutlich Der durch das Transkribieren forcierte genaue Blick auf echte Klassenzimmerinteraktion ermoumlglicht es dass theoretische Kon-zepte aus der Interaktionsforschung ndash hier Bedeutungsaushandlungen ndash in tatsaumlch-licher Interaktion identifiziert und ndash da maximal kontextualisiert ndash sogar in Bezug
Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz 119
auf mittelfristige Effekte9 beobachtet werden koumlnnen Diese Bruumlcke von der Inter-aktionsforschung in die Unterrichtspraxis bietet angehenden Lehrenden somit Ein-blicke in das Lernpotenzial von Interaktion fuumlr Lernende
In den folgenden Zitaten erkennen wir eine zweite Bruumlcke die von den ange-henden Lehrenden in den Essays selbst geschlagen wird Ausgehend von den detail-lierten Analysen der Interaktion an der sie selbst teilhaben reflektieren sie das eigene sprachliche Verhalten in Bezug auf ihre interaktionale Kompetenz als zukuumlnftige Lehrende Sie benennen beispielsweise die zentrale Funktion der Hilfestellung von Feedback die sie verstaumlrken moumlchten (vgl 38) oder nehmen sich vor Signale zu Verstaumlndnisproblemen bei Lernenden staumlrker als bisher wahrnehmen zu wollen (vgl 39)
(38) bdquoBetreffend des Feedbacks habe ich mir vorgenommen in der Zukunft mehr Hilfestellungen zu geben da diese in einigen Faumlllen doch staumlrker be-noumltigt werdenldquo (Marlin Essay 4)
(39) bdquoMein Fazit fuumlr mich ist sich auch bei authentischen Gespraumlchen sprachlich an das Niveau der Lerner anzupassen [hellip] man [sollte] auch dazu angehalten sein die Signale der Gespraumlchspartner im Auge zu behalten und gegebenenfalls nachfragen ob es Verstaumlndnisprobleme gibtldquo (Lia Essay 4)
Beide Ausfuumlhrungen beinhalten die Idee kollaborativer unterstuumltzender Interaktion im Sinne von Scaffolding die wir in den Interaktionsdaten auch bereits identifizieren konnten (vgl HoshiiSchumacher 2017b) Zudem lassen sich Reflexionen finden die verdeutlichen dass die angehenden Lehrenden ihr sprachliches Verhalten als Lehrpersonen zukuumlnftig konkret an spezifischen Punkten der eigenen Lehrersprache ndash wie etwa Pausen fuumlr Lernende oder praumlzise Fragestellungen ndash professionalisieren moumlchten
(40) bdquoMir ist [hellip] bewusst geworden wie wichtig es ist den Lernenden Pau-sen einzuraumlumen [hellip] Abermals wurde mir durch die Konferenzen aber auch durch die Analyse einiger Sequenzen deutlich was fuumlr einen hohen Stellenwert klare Fragestellungen haben In der Zukunft werde ich vor allem darauf achten meine Frage- und Aufgabenstellungen moumlglichst praumlzise zu formulierenldquo (Marlin Essay 6)
Die Teilnahme am Kurs bdquoUnterricht per Videokonferenzldquo hat die Berliner Studie-renden dazu motiviert ihr eigenes sprachliches Handeln und ihre interaktionale Kompetenz als zukuumlnftige Lehrperson professionalisieren zu wollen Gerade die
9 Ohne auf die Diskussion um Erwerbsbegriffe eingehen zu wollen verstehen wir unter mittelfristi-
gen Effekten in Anlehnung an Henrici (1995 25) und Aguado (2010 819) dass die zielsprachliche Loumlsung von waumlhrend des Unterrichts auftretenden sprachlichen Problemen im weiteren Verlauf des Unterrichts von Lernenden erneut kontextuell angemessen produziert wird
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durch die Transkriptionen und Analysen der Videoaufnahmen ermoumlglichten vertief-ten Einblicke in die spezifischen Interaktionen haben sie zu einer Selbstre-flexion angeregt die fuumlr ihre berufliche Zukunft als DaF-Lehrende zentral ist
5 Fazit
In diesem Beitrag haben wir gezeigt dass interaktionale Kompetenz als Faumlhigkeit zur erfolgreichen kollaborativen Beteiligung am Gespraumlch fuumlr alle am Fremdspra-chenerwerb beteiligten Akteure von zentraler Bedeutung ist Auf der Grundlage von subjektiv-evaluierenden Essays der an einem DaF-Kurs mit Gruppensetting per Vi-deokonferenz beteiligten Lernenden in Tokio und angehenden Lehrenden in Berlin sind wir den folgenden Fragen nachgegangen Welche Motivation und Erwartungen bringen die Teilnehmenden zum interaktionalen Austausch mit Inwiefern entwi-ckelt sich die Motivation inwiefern werden die Erwartungen erfuumlllt Foumlrdert eine Lernumgebung per Videokonferenz die interaktionale Kompetenz von Fremdspra-chenlernenden und -lehrenden in ihrer eigenen Wahrnehmung
Die Motivation und Erwartungen der Beteiligten variieren durch ihre unter-schiedlichen Rollen als Deutschlernende einerseits und angehende Lehrende ande-rerseits Waumlhrend die japanischen Studierenden von den Konferenzen vor allem die Moumlglichkeiten zum Deutschsprechen und die Erweiterung ihrer Deutschkenntnisse erwarten haben die Beteiligten in Berlin im Auge authentische Gespraumlche zu fuumlhren und ihr eigenes Feedbackverhalten zu professionalisieren Diesen unterschiedlichen Erwartungen entsprechend gibt es auch unterschiedliche Gefuumlhle der Unsicherheit Auf der Tokioter Seite wird vor allem Unsicherheit mit der Kommunikation in der zu erlernenden Sprache genannt waumlhrend auf der Berliner Seite Unsicherheit in Be-zug auf stockende Kommunikation und die eigene Doppelrolle vorherrschend sind Beide Seiten erwarten einen persoumlnlichen und interkulturellen Austausch
Sowohl die Studierenden in Tokio als auch die in Berlin reflektieren intensiv uumlber die Kommunikation in den Konferenzen Beide Seiten betonen die gute Atmo-sphaumlre die durch ein groszliges persoumlnliches Interesse und den Austausch uumlber fuumlr alle emotional bedeutsame in der ersten Konferenz gemeinsam festgelegte Themen ge-praumlgt war Die DaF-Lernenden betonen hierbei insbesondere die Verstaumlndnissiche-rung und bewerten die vielen Moumlglichkeiten fuumlr Nachfragen waumlhrend der Konferen-zen als aumluszligerst positiv Die angehenden Lehrenden betonen vor allem die Authenti-zitaumlt der Kommunikation Aus den Essays geht interessanterweise auch hervor dass sowohl die DaF-Lernenden als auch die angehenden DaF-Lehrenden (noch) von einem herkoumlmmlichen Modell des Spracherwerbs als individuelle Uumlberwindung von L2-Sprachdefiziten gepraumlgt sind Die Aufmerksamkeit der Lernenden richtet sich an mehreren Stellen auf die Luumlcken in ihrer Lernersprache und die angehenden Leh-renden fuumlhlen sich vom gemeinsamen Aumluszligerungsaufbau unter den Lernenden ver-unsichert Das aus soziokulturellen Ansaumltzen stammende Plaumldoyer fuumlr kollaboratives Lernen verlangt von allen am Fremdsprachenunterricht beteiligten Akteuren eine
Foumlrderung interaktionaler Kompetenz per Videokonferenz 121
grundsaumltzliche Umorientierung von einem Konzept des Lernens als individuellem primaumlr kognitiv verstandenen Prozess hin zu einem gemeinsamen sozialen Prozess
Was die Entwicklung der Motivation zur Teilnahme an den Videokonferenzen und die Erfuumlllung der urspruumlnglichen Erwartungen angeht so sehen die japanischen Lernenden insgesamt eine positive Entwicklung ihrer Sprechfertigkeiten die mit ei-ner immer groumlszligeren Sicherheit in der fremdsprachlichen Kommunikation einher-geht Dies fuumlhren sie auf die authentische Kommunikation und die Unterstuumltzung durch die Berliner Studierenden zuruumlck Bei diesen wiederum entwickelt sich die Wahrnehmung der eigenen Rolle von der genannten Doppelrolle hin zu der von Gespraumlchspartnern wodurch sie sich als Peers der japanischen Studierenden positi-onieren
Beide Seiten werden durch die Teilnahme an den Videokonferenzen zum Wei-terlernen motiviert Bei den japanischen Studierenden fuumlhrt u a auch der bereits erwaumlhnte selbstkritische Blick auf Schwierigkeiten beim L2-Gebrauch zu einer ho-hen Motivation weiterhin Deutsch zu lernen gemeinsam mit der positiven Erfah-rung des authentischen Austausches Bei den deutschen Studierenden fuumlhrt insbe-sondere die Moumlglichkeit neben den Erfahrungen in den Konferenzen auch ausge-hend von den Transkriptionen und Analysen das eigene sprachliche Verhalten re-flektieren zu koumlnnen zu einer hohen Motivation ihre interaktionale Kompetenz als zukuumlnftige Lehrperson zu professionalisieren
Insgesamt geben die Aussagen aus den Essays einen guten Einblick in die Bin-nenperspektiven der Beteiligten und zeigen dass die Lernumgebung Videokonfe-renz im Distanzklassenzimmer mit Gruppensetting sowohl fuumlr DaF-Lernende als auch fuumlr angehende DaF-Lehrende gute Potenziale zur Foumlrderung interaktionaler Kompetenz in authentischen Sprachverwendungssituationen bietet
Wenn sich Lernende die im GER beschriebenen Aspekte des muumlndlichen Sprachgebrauchs aneignen sollen ist es erforderlich dass sie bereits in der Lernsitu-ation die Moumlglichkeit haben diese zu uumlben Mittel der Intonation und nichtsprach-liche Mittel verwenden eigene Redebeitraumlge ins Gespraumlch einflechten natuumlrlich das Wort ergreifen auf etwas Bezug nehmen die eigenen Beitraumlge mit denen anderer Personen verbinden und damit zum Fortgang des Gespraumlchs beitragen das Verste-hen bestaumltigen andere zum Sprechen auffordern indem sie Teile von dem was je-mand gesagt hat wiederholen um das gegenseitige Verstehen zu sichern Dies be-deutet fuumlr Lehrende dass sie Kommunikations- und Sprachverwendungssituationen im Klassenzimmer schaffen muumlssen in denen die Lernenden die genannten Aspekte einsetzen koumlnnen und zudem die Moumlglichkeit haben dies zu reflektieren Dafuumlr ist die Gespraumlchskultur im Klassenzimmer die Roumlsler (1983) als bdquoeine bestimmte of-fene und gleichberechtigte emotionale Interaktion zulassende Qualitaumlt des Mitei-nanders im Klassenzimmerldquo charakterisiert unentbehrlich Unseres Erachtens birgt das Setting Videokonferenz im Distanzklassenzimmer mit Gruppensetting das Po-tenzial dass Lernende und (angehende) Lehrende in balancierter Weise aktiv und initiativ mit eigenen Sprechintentionen verstaumlndnissichernd und vor allem kollabo-rativ die Kommunikation gestalten und somit ihre interaktive Kompetenz staumlrken
122 Makiko Hoshii amp Nicole Schumacher
Das Setting weist in die Richtung einer Gespraumlchskultur im institutionalisierten Fremdsprachenlernsetting dessen wesentliches Merkmal ein sozial orientiertes Mit-einander darstellt bei dem wie die Beteiligten unserer Videokonferenzen selbst schreiben einander bdquoauf Augenhoumlheldquo begegnet wird und man einander bdquoFreude schenktldquo
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Themenschwerpunkt 2 Sprache in der wissenschaftlichen Lehre
Sektionsbericht
Koordination Kristina Pelikan Thorsten Roelcke amp Winfried Thielmann
Die Bedeutung die der Sprache im Allgemeinen und einer Fremdsprache im Beson-deren als Medium in der wissenschaftlichen Lehre zukommt ist in den vergangenen Jahren immer staumlrker ins Bewusstsein geruumlckt Dabei stehen bislang uumlberwiegend pragmatische und didaktische Gesichtspunkte im Vordergrund die es um systema-tische und theoretische Aspekte zu ergaumlnzen gilt Dies geschah in dem Tagungs-schwerpunkt unter besonderer Beruumlcksichtigung des Deutschen als wissenschaftli-cher Fremdsprache wobei im Vorfeld insbesondere die folgenden Fragestellungen aufgeworfen wurden
Welcher Bedarf besteht an der deutschen Sprache in der Wissenschaftlichen Lehre Zu fragen ist hier nach dem Bedarf in verschiedenen Faumlchern (etwa in den Natur- Gesellschafts- oder Geisteswissenschaften) in laumlnderspezifischen Kontexten (zum Beispiel in der Europaumlischen Gemeinschaft in China oder in Suumldamerika) oder in unterschiedlichen Stadien bzw Abschnitten des Stu-diums (BA MA Promotion) Dabei ist auch der Gebrauch des Deutschen in Abgrenzung von oder in Verbindung mit dem Englischen und anderen Spra-chen zu betrachten
Welche Charakteristika zeigt die deutsche Sprache in der muumlndlichen und der schriftlichen Kommunikation der Wissenschaftlichen Lehre Solche Charak-teristika koumlnnen auf verschiedenen Beschreibungsebenen wie Wort- und Formbildung Satzbau Wortschatz oder Text (einschlieszliglich Textsorten) so-wie im Hinblick auf bestimmte fachkommunikative Funktionen wie sprachli-che Oumlkonomie oder Textverstaumlndlichkeit erfasst und beschrieben werden
128 Sektionsbericht TSP 2
Dabei ist auch und gerade ein Vergleich zur Wissenschaftlichen Lehre in an-deren Sprachen von Interesse
Welche neuen oder bekannten Modelle der Fachsprachendidaktik lassen sich im Bereich der Wissenschaftlichen Lehre implementieren oder adaptieren Inwiefern koumlnnen also Modelle wie beispielsweise SIOP oder Scaffolding die fuumlr den Bereich der Schule entwickelt wurden im Bereich der Wissenschaft-lichen Lehre nutzbar gemacht werden Und welches Potential (welche Chan-cen und Risiken) kommt hierbei dem Einsatz von elektronischen Medien (einschlieszliglich mobilen Geraumlten wie Smartphones oder Tablets) sowie dem sog Blended Learning Inverted Classroom MOOC und anderen Formaten zu
Welche spezifischen Materialien und Curricula fuumlr eine sprachbezogene oder eine sprachsensible Wissenschaftliche Lehre liegen vor In diesem Zusam-menhang stellt sich auch die Frage nach angemessenen Kriterien zu einer be-darfsgerechten Entwicklung oder Evaluation solcher Materialien oder Curri-cula Im Weiteren spielt hier auch das sprachliche bzw fremdsprachliche Be-wusstsein innerhalb verschiedener Faumlcherkulturen eine Rolle insbesondere im Hinblick auf die Dominanz des Englischen oder eine gezielte Mehrspra-chigkeit
Wie bereits angedeutet wird das Verhaumlltnis zwischen dem Deutschen als Fremdsprache und dem Englischen als internationaler Wissenschaftssprache unter diversen Aspekten zu diskutieren sein ndash insbesondere auch in der Wis-senschaftlichen Lehre Dabei stellt sich auch die Frage inwieweit und inwie-fern der Erwerb des Deutschen als nachfolgender Fremdsprache von moumlg-licherweise bereits bestehenden Kenntnissen und Kompetenzen im Engli-schen als einer vorangehenden Fremdsprache im Bereich der Wissenschaftli-chen Lehre profitieren kann
Im Folgenden werden die Vortraumlge des Themenschwerpunkts kurz vorgestellt Ulrike Arras (Bochum) und Tanja Fohr (Kassel) eroumlffneten den Themenschwer-
punkt mit ihrem Vortrag zum Thema bdquoMitschreiben als grundlegende wissensverar-beitende Arbeitsform im akademischen Kontext Stellenwert und praxisorientierte didaktische Ansaumltze auf den hochschulrelevanten Niveaus B2 und C1ldquo Sie verdeut-lichten zunaumlchst die Bedeutung der akademischen Sprachhandlung des Mitschrei-bens im Rahmen wissenschaftlicher Kommunikation ndash insbesondere unter Studie-renden ndash und erlaumluterten daraufhin einige didaktische und methodische Ansaumltze fuumlr eine studienbegleitende Foumlrderung entsprechender Kompetenzen deutscher Spra-che im Rahmen einer Vorlesungsreihe leitend erwiesen sich dabei die Prinzipien des Scaffolding
Das Thema von Elisabeth Venohr (Sosnowiec) lautete bdquoSchreibkompetenz(en) in der (fremden) Wissenschaftssprache Deutsch vermitteln hochschuldidaktische Konsequenzen fuumlr die Lehre im In- und Auslandldquo Von der Uumlberlegung ausgehend dass die Foumlrderung von akademischer Mehrsprachigkeit die ausgangssprachlichen
Sektionsbericht TSP 2 129
Schreibkulturen der Lernenden aufgreifen und fuumlr deren sprachliche Progression in der Zielsprache nutzbar gemacht werden koumlnnen diskutierte sie Beispiele aus fran-zoumlsischen und polnischen Lernertexten von Germanistikstudierenden Dabei wur-den sowohl verschiedenartige Transferprozesse aus der ausgangssprachlichen Text-sozialisation herausgearbeitet als auch entsprechende Konsequenzen fuumlr eine faumlcher-uumlbergreifende Schreibdidaktik eroumlrtert
Unter dem Titel bdquoDer Konjunktiv II in der wissenschaftlichen Lehre Uumlber die Ausbildung eines mentalen Vorstellungsraums fuumlr die Wissensvermittlungldquo refe-rierte Friederike Hinzmann (Chemnitz) spezifische sprachliche Verfahren zur Herstel-lung mentaler Vorstellungen von Zustaumlnden und Handlungen die Gegenstand von akademischen Lehrveranstaltungen sind Sie zeigte dass hierbei der Konjunktiv II nicht allein als sog bdquoHoumlflichkeitsmodusldquo sowie zum Ausdruck von Bedingungen und von Irrealem Verwendung findet sondern auch als Mittel zur Konstitution mentaler Vorstellungsraumlume innerhalb von Lehrveranstaltungen Hinzmann machte in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung von entsprechenden didaktischen Konsequenzen aufmerksam
Mit ihrem Vortrag zum Thema bdquoBedeutungserklaumlrung von bdquosich lassenldquo-Kon-struktionen mit unbelebtem Subjekt in wissenschaftlichen Textenldquo wandte sich Mi-Young Lee (Soul) ebenfalls dem Bereich wissenschaftssprachlicher Modalitaumlt zu Sie zeigte dass solche Konstruktionen vorwiegend auf analysierende Handlungen von Autorinnen und Autoren in einem erklaumlrenden Zusammenhang bezogen werden Im Gegensatz hierzu wuumlrden bdquokoumlnnen werdenldquo-Konstruktionen nicht aumlquivalent zu bdquosich lassenldquo-Konstruktionen gebraucht wie oft in der sprachwissenschaftlichen wie -didaktischen Literatur behauptet sondern dienten vielmehr der Kennzeichnung von Behauptungen oder dem Aufzeigen von Handlungsmoumlglichkeiten
Franziska Wallner und Codula Meiszligner (beide Leipzig) beschaumlftigten sich mit der Aufgabe den interfachlichen also den fachuumlbergreifend gebrauchten Wortschatz der Geisteswissenschaften mit korpuslinguistischen Methoden zu erschlieszligen In ih-rem Vortrag bdquoDer fachuumlbergreifende Wortschatz in den Geisteswissenschaften Er-mittlung ndash Analyse ndash Anwendungldquo stellten sie zunaumlchst ihre methodische Vorge-hensweise vor und erlaumluterten daraufhin die Zusammensetzung dieses gemeinsamen Inventars Zum Schluss wurde die Bedeutung der Vermittlung von einem interfach-lichen Wortschatz fuumlr eine gelungene Studienvorbereitung und -begleitung heraus-gestellt
bdquoBachelorarbeiten der Germanistikstudenten auf dem Pruumlfstein ndash Einige Bemer-kungen zur wissenschaftlichen Kompetenz der Bachelorstudenten in Polenldquo lautete das Thema des Vortrags von Joanna Szczek und Marceline Lalasznik (beide Wroclaw) Anhand eines Korpus von Bachelorarbeiten aus den Jahren 2006 bis 2016 stellten sie diverse Probleme von polnischen Germanistikstudierenden bei dem Verfassen schriftlicher Arbeiten dar und leiteten hieraus eine spezifische Typologie von Er-werbsschwierigkeiten ab aus welcher im Weiteren auch didaktische Konsequenzen zu ziehen seien
130 Sektionsbericht TSP 2
Den letzten Vortrag des Themenschwerpunkts hielten Kristina Pelikan (BaselBerlin) und Thorsten Roelcke (Berlin) Unter dem Titel bdquoMachtausuumlbung durch ein-sprachiges Schreiben Zwei Stufen kommunikativer Effizienzldquo wurde zunaumlchst ein allgemeines Modell kommunikativer Effizienz skizziert welches daraufhin auf mehrsprachige Kommunikation im wissenschaftlichen Bereich uumlbertragen wurde Im Anschluss hieran wurden die Ineffektivitaumlt und die Ineffizienz einer wissen-schaftlichen Kommunikation diskutiert welche sich an dem Gebrauch nur einer Sprache wie dem Englischen oder Deutschen orientiert Kommunikative Defizite entstuumlnden hierbei sowohl mit Blick auf den Transfer als auch hinsichtlich der Ge-nese von Wissen
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen zu Formen der Wissensverarbeitung an der Hochschule
Ulrike Arras (Bochum) amp Tanja Fohr (Kassel)
1 Einleitung
Das Mitschreiben ist eine im akademischen Leben ndash aber auch in beruflichen Zu-sammenhaumlngen ndash alltaumlgliche und hochfrequente Sprachhandlung und fuumlr ein erfolg-reiches Studium an einer deutschen Hochschule unverzichtbar Dabei handelt es sich um eine komplexe Sprachhandlung die ein hohes Maszlig nicht nur an sprachli-chen sondern auch an kognitiven Faumlhigkeiten erfordert Diese Faumlhigkeiten bringen Studierende aus ihrer schulischen Sozialisation nicht immer mit insbesondere dann wenn sie in anderen Schulkulturen ihre Bildungssprache erworben haben und Deutsch fuumlr sie eine fremde Wissenschaftssprache ist Eine besondere Herausforde-rung ist deshalb wenn das Mitschreiben in einem fremdsprachlichen mitunter mehrsprachigen Kontext erfolgt Entsprechende Faumlhigkeiten und Strategien muumls-sen somit entweder im Verlauf des Studiums oder aber in einer propaumldeutischen Phase entwickelt bzw ausgebaut werden In diesem Zusammenhang will der vorlie-gende Beitrag folgenden Fragen nachgehen
Welche Funktionen hat die Mitschrift ndash insbesondere im Hochschulkontext
Welche Herausforderungen ergeben sich beim Mitschreiben
Und vor allem Wie kann Mitschreiben systematisch trainiert werden
132 Ulrike Arras amp Tanja Fohr
Auch wenn das Mitschreiben im Hochschulstudium eine zentrale Rolle spielt faumlllt doch auf dass es sich um einen eher vernachlaumlssigten Gegenstand der Studienpro-paumldeutik bzw des DaFZ-Unterrichts generell handelt Auch in studienbegleitenden DaFZ-Kursen stellt das Mitschreiben kein zentrales Anliegen dar und wird selten explizit gefoumlrdert Problematisch dabei ist dass sich diese Faumlhigkeit als Teilaspekt des wissenschaftlichen Arbeitens nicht bdquoeinfach soldquo einstellt Man sollte nicht davon ausgehen dass Studierende seien sie nun in einem deutschsprachigen Kontext oder in einer fremdkulturellen schulischen Tradition sozialisiert im Laufe ihres (Fach-)Studiums bdquoautomatischldquo lernen wie eine Gruppendiskussion im Seminar oder eine Vorlesung zu verarbeiten sind
Ganz im Gegenteil Studierende haben haumlufig Schwierigkeiten effizient das Pen-sum an Input aus den Lehrveranstaltungen zu bewaumlltigen Dies manifestiert sich so-dann auch in ihren eigenen akademischen Texten seien es muumlndlich vorgetragene Referate seien es schriftlich ausgearbeitete Texte Und nicht wenige insbesondere auslaumlndische Studierende fuumlhlen sich mit diesen Schwierigkeiten alleine gelassen zumal nicht geklaumlrt ist wer fuumlr die Vermittlung der Wissenschaftssprache Deutsch und der wissenschaftlichen Arbeitstechniken zustaumlndig ist Sind die FachdozentIn-nen verantwortlich fuumlr die (fach-)sprachliche und wissenschaftliche Entwicklung ih-rer Studierenden Oder obliegt es den SprachdozentInnen den Studierenden aus dem Ausland das sprachlich-fachsprachliche Ruumlstzeug an die Hand zu geben um im Studium effektiv Fachtexte zu rezipieren sowie selbststaumlndig akademische Texte muumlndlich und schriftlich zu produzieren
Der Beitrag wird zunaumlchst die besonderen Anforderungen der wissensverarbei-tenden Handlung Mitschreiben skizzieren und ihre Bedeutung fuumlr das Studium her-vorheben Im zweiten Teil wird exemplarisch aufgezeigt inwieweit die Vermittlung der Kompetenz Mitschreiben studienbegleitend im Rahmen einer Vorlesungsreihe erfolgen kann
Ziel des Beitrags ist es fuumlr die Bedeutung der Sprachhandlung Mitschreiben im Hochschulkontext zu sensibilisieren und Anregungen fuumlr die Vermittlungspraxis ab dem Niveau B2 zur Studienvorbereitung fuumlr studienbegleitende Sprachkurse sowie in das Fachstudium integrierte Sprachbildung zu geben
2 Warum und wozu machen wir Notizen
Mitschreiben (beim Zuhoumlren) ebenso wie das Exzerpieren (beim Lesen) sind text- und wissensverarbeitende Techniken Gehoumlrtes und Gelesenes wird als eine Art Er-innerungsstuumltze notiert Was wir als wichtig und erinnerungswert erachten halten wir in verdichteter Form sozusagen als bdquoHoumlrnotizldquo oder bdquoLesenotizldquo fest (Arras 2015a 2015b) Dazu sind unterschiedliche Faumlhigkeiten erforderlich Dabei muss der Text nicht nur verstanden werden Vielmehr gilt es zu filtern was tatsaumlchlich rele-vant ist Dabei orientieren wir uns an Leitfragen die gerade in akademischen oder beruflichen Zusammenhaumlngen ausschlaggebend sind
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen 133
Etwa in einer Vorlesung
Was an der Vorlesung ist wichtig fuumlr die Pruumlfung naumlchste Woche
Was betont der Professor Wie definiert er x oder y
Welche Literatur gibt er als lesenswert an
Oder in einer Arbeitsbesprechung
Wann genau muss das Projekt fertiggestellt sein
Wer ist fuumlr welchen Teilbereich zustaumlndig
Was sind die naumlchsten Schritte fuumlr die weitere Planung
Wenn wir Informationen aufnehmen kontrollieren wir ob diese Information Be-deutung hat fuumlr unser Anliegen fuumlr unsere Frage Das Gehoumlrte wird also in Bezug auf eine Fragstellung und ein bestimmtes (fachorientiertes) Vorwissen rezipiert Die Fragestellung ist dabei i d R an ein bestimmtes Projekt gebunden etwa eine anzu-fertigende Hausarbeit oder ein Referat das zu halten oder eine Pruumlfung die dem-naumlchst abzulegen ist Deshalb ist eine Mitschrift grundsaumltzlich individuell gestaltet Zwar gibt es bestimmte Leitlinien zur Anfertigung wie sie sich in Ratgebern zum wissenschaftlichen Arbeiten finden Auch gibt es in etlichen Veroumlffentlichungen zum wissenschaftlichen Arbeiten Hinweise wie man eine Mitschrift formell gestal-ten koumlnnte aber solche Vorgaben haben eher den Charakter von Empfehlungen Diese Tipps beziehen sich wie die von Stickel-Wolf und Wolf (2011 73-77) auf die uumlbersichtliche und nachvollziehbare Gestaltung der Mitschrift (ebd 40) Die bdquotran-sitorische teilweise provisorische nicht-dokumentarische und individuelle Charak-teristik der Mitschrift und die Tatsache dass sie in der Regel von keinem Interesse fuumlr Dritte istldquo (Langelahn 2005 8) fuumlhrt dazu dass es kein festes Regelwerk fuumlr diese Textform geben kann Solche Notizen ihre Form ihre Inhalte ihre Laumlnge auch ihr Medium (handschriftlich vs maschinenschriftlich) ist folglich je nach Zielsetzung zu gestalten Die Verwendung des Mitgeschriebenen bestimmt zum einen die Auswahl der Notizen zum anderen die argumentative Einbettung in einen neuen Zusammen-hang Die zu erbringenden Studienleistungen (Referat Pruumlfung Hausarbeit) bestim-men den wissenschaftssprachlichen Diskurs in dem Mitschriften verarbeitet wer-den Diese faumlcheruumlbergreifend zu antizipieren und anhand einer generalisierbaren Beispielsituation zu erarbeiten ist im Rahmen der Studienpropaumldeutik auf den Ni-veaus B2 und C1 in Kursen mit angehenden Studierenden unterschiedlicher Faumlcher allerdings schwierig weil der Fachbezug fehlt und die Wissenschaftssprache im Stu-dium zunehmend fachsprachlich gepraumlgt ist Die Auseinandersetzung mit fachspe-zifischen Kommunikationsformen und der Fachterminologie erfolgt verstaumlrkt erst im Verlauf des Fachstudiums daher ist Fachsprachenunterricht in erster Linie im Fach selbst angesiedelt und bdquorichtet sich an fachlich homogene Gruppenldquo (Fearns 2007 170) Dies moumlgen Gruumlnde dafuumlr sein warum die Mitschrift im Unterricht sel-ten explizit thematisiert wird
134 Ulrike Arras amp Tanja Fohr
Vor diesem Hintergrund kann festgehalten werden dass das Mitschreiben ein hohes Maszlig an Eigenstaumlndigkeit erfordert Denn die Annaumlherung an eine wissen-schaftliche Fragestellung deren Erarbeitung und die kritische Auseinandersetzung mit der einschlaumlgigen Fachliteratur oder mit Fachvortraumlgen zu einem bestimmten Thema verlangen kognitive und intellektuelle aber auch fachkulturelle Faumlhigkeiten die den Studierenden (noch) nicht gelaumlufig sein koumlnnen Sie werden erst im Verlauf der akademischen Sozialisation im Fachgebiet erworben denn ndash so Banzer und Kruse (2012 9) ndash die Verbindung von Schreiben und forschungsorientiertem Ler-nen herzustellen ist naturgemaumlszlig eine Aufgabe die im Fach und nicht in fachuumlber-greifenden Veranstaltungen hergestellt werden muss Somit haumlngt die bdquoEntwicklung von Schreib- und Textkompetenz im Studium [hellip] eng mit der fachlichen und intel-lektuellen Entwicklung zusammenldquo (BanzerKruse 2012 31)
Wissensverarbeitende Handlungen zeichnen sich zudem dadurch aus dass sie sowohl Faumlhigkeiten und Fertigkeiten im rezeptiven als auch im produktiven Bereich verlangen Ob die Studierenden einen Ausgangstext oder einen Vortrag im Sinne der Aufgabenstellung verstanden haben ist jedoch nicht anhand der schriftlichen Pro-dukte wie der Mitschrift oder des Exzerpts messbar Denn diesen individuellen Tex-ten unterliegen wie angemerkt keine einheitlichen inhaltlichen und formellen Stan-dards Insofern verfuumlgen wir kaum uumlber Kriterien anhand derer man das Produkt objektiv beurteilen koumlnnte Was den Inhalt einer Mitschrift betrifft so ist dieser von der individuellen Fragestellung der Studierenden ihrem persoumlnlichen Erkenntnisin-teresse ihrem bisherigen Wissensstand sowie von ihrer Kompetenz abhaumlngig anti-zipieren und abschaumltzen zu koumlnnen inwieweit sie das Gehoumlrte in andere Kontexte transferieren und anwenden koumlnnen Moll (2001 104) betont dass die Auswahl der zu notierenden Elemente z B bei der Mitschrift auf mentalen Einschaumltzungs- und Bewertungsprozessen beruhen die wiederum durch die Zwecksetzung des Mit-schreibens bestimmt sind Um beurteilen zu koumlnnen ob Mitschrift und Exzerpt ge-lungen sind muss also bekannt sein in welches Endprodukt die verarbeiteten Er-kenntnisse aus den Texten eingehen sollen
Nachfolgend wird zunaumlchst der Frage nachgegangen in welchen Situationen Studierende mitschreiben muumlssen und inwieweit studienbegleitend oder propaumldeu-tisch auf diese Situationen vorbereitet werden kann
3 Spezifische Anforderungen beim Mitschreiben
Welche Anforderungen lassen sich also bei der Verarbeitung von Gehoumlrtem oder Gelesenem beobachten Fuumlr das Mitschreiben sind die nachfolgend dargestellten Faumlhigkeiten erforderlich (Arras 2015a ArrasFohr 2017) wobei die einzelnen Schritte in unterschiedlicher Reihenfolge erfolgen koumlnnen weil im Verlauf der Ver-arbeitung immer wieder Ruumlckgriffe zu vorherigen Aktivitaumlten erforderlich werden Diese Arbeitsschritte und Anforderungen beim Mitschreiben sind also nicht linear sondern eher kursorisch angelegt
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen 135
Zunaumlchst geht es beim Mitschreiben um Rezeption und die mentale Verarbeitung des Gehoumlrten
Gehoumlrtes (ggfs anhand von Skript oder kopierten Praumlsentationsfolien1) ist mit schriftlichem ggfs auch visuellem Input abzugleichen (Sedlaczek 2015)
Nonverbale und semiverbale Zeichen muumlssen angemessen verstanden und eingeschaumltzt werden
Operatoren und Sprachfunktionen sowie wissenschaftssprachliche Elemente sind zu erkennen um einschaumltzen zu koumlnnen wann problematisiert wird wann Bezuumlge zu anderen Einschaumltzungen erfolgen wann argumentiert wird eine Distanzierung von anderen Positionen oder aber Zustimmung erfolgt Die angemessene Einschaumltzung unterschiedlicher Operatoren und Sprach-funktionen ist ausschlaggebend fuumlr die Nachvollziehbarkeit des Referenztex-tes So kann z B eine ironisierende Aumluszligerung leicht als Zustimmung miss-verstanden und in der Folge fehlerhaft referiert werden
Schluumlsselwoumlrter sowie wichtige Informationen im Redeverlauf sind zu erken-nen2
Strukturierende Mittel etwa kohaumlsive Elemente zum Aufbau eines Vortrags oder Redebeitrags muumlssen erkannt werden um Hypothesen zu den nachfol-genden Ausfuumlhrungen zu entwickeln
Die Aufmerksamkeit muss kontrolliert werden was das Erkennen von Schluumlsselwoumlrtern und Bezuumlgen sowie das Verstehen impliziter Informationen und Nuancen erforderlich macht
Insbesondere in Diskussionen mit mehreren Personen wie sie in Seminaren oder im Anschluss an Vortraumlge oder Vorlesungen entstehen bleiben kultur-spezifisch gepraumlgte Funktionen wie Ironie Kritik oftmals implizit und sind
1 Praumlsentationsformen wie Power Point-Folien werden haumlufig als Handout oder Thesenpapier in Pa-
pierform oder auf Lernplattformen bereitgestellt auch ist zunehmend zu beobachten dass Studie-rende waumlhrend der Vorlesung diese Folien fotografieren um sie spaumlterhin zu verarbeiten oder le-diglich zu archivieren Beim Zuhoumlren koumlnnen parallel zum Vortrag in die Papierversion hand-schriftlich Notizen oder Ergaumlnzungen gemacht werden Dies erfolgt in zunehmendem Maszlige auch per Tablet Hierbei muss also parallel zum Houmlren zeitgleich der visuelle Input verarbeitet werden es findet ein Abgleich zwischen dem schriftlichenvisuellen und phonetischenauditiven Input statt eine Verknuumlpfung der auditiven mit der visuellen Information in Folie Handout Flieszligtext Fotografie Zeichnung Grafik ggf auch Film Erforscht ist diese visuelle Unterstuumltzung und ihre Auswirkung auf die Verstehensleistung im akademischen Kontext bislang wenig (Demmig 2011 Buck 2001) Allerdings verweisen empirische Befunde (CubiloWinke 2013) auf eine bessere Ver-stehensleistung in Houmlr-Seh-Kontexten i e wenn der auditive Input durch eine filmische Aufzeich-nung flankiert wird (GrotjahnPorschTesch 2010)
2 Rezeptionsunterstuumltzende Elemente in einer Diskussionsrunde sind etwa bdquoWenn ich Ihren Gedan-ken von vorhin noch einmal aufgreifen darfldquo oder bdquoIn einem Punkt muss ich aber widersprechen naumlmlich hellipldquo In einem Vortrag werden textstrukturierende Elemente verwendet wie bdquoWir kommen nun zur Frage inwiefern hellipldquo oder bdquoWie eingangs bereits angedeutet hellipldquo Das Erkennen solcher Mittel und das Wissen um ihre Funktion entlasten den Rezeptionsprozess erheblich Sie sollten daher auch aus hochschuldidaktischen Erwaumlgungen bewusst seitens der Vortragenden eingesetzt werden Zu diesem Schluss kommt Sedlaczeke (2015) in einer empirischen Studie zu den Houmlr-Sehverstehensprozessen in bilingualen Studiengaumlngen (Eggensperger 2014)
136 Ulrike Arras amp Tanja Fohr
gerade aus fremdsprachlicherfremdkultureller Perspektive nicht leicht nach-zuvollziehen
Diskursmarker sowie nonverbale und semiverbale Marker aus Gestik Mimik Stimmlage sind zu erkennen um Positionen und Argumentationsstraumlnge der jeweiligen Person zuzuordnen
Argumentationsstrukturen sind nachzuvollziehen
Sodann erfolgt die eigentliche Auswahl an Informationen und Zusammenhaumlngen
GehoumlrtesVerstandenes muss mit Vorwissen und Hypothesen verknuumlpft und dann hinsichtlich seiner Relevanz gepruumlft werden
GehoumlrtesVerstandenes ist auf das Wesentliche zu reduzieren was eine quan-titative Reduzierung des Referenztextes (Primaumlrtext Ausgangstext) erfordert
Hierbei ist Wichtiges von Unwichtigem Neues von bereits gesicherten Wis-sensbestaumlnden zu unterscheiden Ausschlaggebend ist dabei die Fragestellung die individuell an den Vortrag geknuumlpft wird Das kann ein eigenes Schreib-projekt sein Was aus diesem Vortrag oder aus dieser Diskussion ist fuumlr den Aufsatz oder die Hausarbeit die ich verfassen will relevant Oder eine Pruuml-fung steht an der Inhalt des Vortrags oder des Seminars ist pruumlfungsrelevant und muss entsprechend abrufbar sein
Vor diesem Hintergrund muss eine Auswahl getroffen werden es ist also zu entscheiden was als Notiz festzuhalten ist
Zudem ist zu entscheiden in welcher Sprache die Mitschrift zu realisieren ist in der Sprache des Input Das ist naheliegend weil ein Umweg uumlber die Erst-sprache mental aufwendig ist Oder aber in der Sprache des geplanten Pro-jekts fuumlr das die Notizen gebraucht werden Soll beispielsweise ein Aufsatz in englischer Sprache verfasst werden Dann kann es lohnenswert sein die Informationen aus dem deutschsprachigen Vortrag direkt in englischer Spra-che zu paraphrasieren um sie spaumlterhin als Material fuumlr das Projekt zur Ver-fuumlgung zu haben
Fuumlr Studierende die in anderen Schriftsystemen als dem lateinischen Alpha-bet sozialisiert sind stellt sich zudem die Frage ob die Notizen im Schriftsys-tem der Erstsprache zu notieren sind3
Schlieszliglich erfolgt die eigentliche Mitschrift also die graphische bzw visuelle Fixie-rung der Auswahl
3 Eine Untersuchung zur Frage in welcher Sprache und in welchen Schriftsystemen Mitschriften
verfasst sind und mit welcher Motivation bleibt unseres Wissens Forschungsdesiderat Bei spora-dischen Blicken in die Cahiers internationaler StudentInnen zeigt sich dass mehrsprachig vorge-gangen wird Je nach Zusammenhang Themenbereich und individuellem Mehrsprachigkeitsprofil nutzen Studierende ihre plurilingualen Kompetenzen fuumlr ihre Mitschriften
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen 137
Diese Auswahl muss mental vorbereitet sprachlich kondensiert und para-phrasiert werden nicht zuletzt um zeitoumlkonomisch und effektiv mitzuschrei-ben
Die Auswahl wird unter Zuhilfenahme individueller Abkuumlrzungen Notatio-nen Symbole verschriftlicht
Je nach Situation und Konvention erfolgt diese Verschriftlichung hand-schriftlich oder maschinell Zunehmend beobachten wir dass ausgewaumlhlte Folien oder Tafelbilder direkt abfotografiert werden und so fuumlr eine weitere Verarbeitung konserviert werden Das Foto ersetzt somit die Houmlrnotiz4
Auch Argumentationsstrukturen sind schriftlich festzuhalten Thesen und Antithesen Argumente und Gegenargumente muumlssen nachvollziehbar no-tiert werden
Waumlhrend des Schreibens ist es erforderlich auditiv aufmerksam zu bleiben um den Faden nicht zu verlieren und wichtige Anschlussinformationen nicht zu verpassen Die Notizen werden kontinuierlich kritisch kommentiert ein-zelne Punkte werden in groumlszligere Zusammenhaumlnge eingeordnet mit Querver-weisen versehen Auf dieser Basis werden schlussendlich neue oder weiter-fuumlhrende Fragen entwickelt
Wie nun koumlnnen Studierende auf solche Anforderungen vorbereitet werden Und wie sollten die erforderlichen kognitiv-sprachlichen Faumlhigkeiten im propaumldeutischen oder studienbegleitenden Unterricht entwickelt werden Bei der studienbegleitenden Vorbereitung werden Studierende meist auf die einschlaumlgige Ratgeberliteratur zum wissenschaftlichen Arbeiten verwiesen An vielen Sprachenzentren der Hochschu-len werden aber auch Kurse speziell fuumlr L2-LernerInnen angeboten die studienbe-gleitend auf das wissenschaftliche Arbeiten und Schreiben vorbereiten5
4 Was freilich mit diesen Fotografien geschieht ob und wie sie verarbeitet werden ndash fuumlr die Pruuml-
fungsvorbereitung fuumlr ein Referat oder eine Hausarbeit ndash das ist unseres Wissens unerforscht 5 Viele Sprachenzentren bieten studienbegleitende Kurse fuumlr L2-LernerInnen nach einer bestande-
nen DSH- bzw TestDaF-Pruumlfung an Die Universitaumlt Bielefeld beispielsweise hat im Rahmen ihres Programms bdquoPunktUmldquo jahrelange Erfahrungen auf diesem Gebiet vorzuweisen Diese Angebote sind jedoch weitestgehend nicht fachspezifisch [httpwwwuni-bielfelddeUniversitaetStu-diumStudienbegleitedde20AngebotePunktum010_beratung_training010_baindexhtml letzter Zugriff 15092017] Zum Teil sind diese Einrichtungen auch forschend aktiv so entwi-ckelte etwa die Universitaumlt Kassel in ihrem Kompetenzbereich Deutsche Wissenschaftssprache (KoDeWis) Trainingsmodelle fuumlr auslaumlndische ebenso wie fuumlr deutschsprachige Studierende fuumlr das wissenschaftliche Arbeiten und Schreiben [httpwwwuni-kasseldeeinrichtungenfilead-mindataseinrichtungensclKoDeWisWerbematerialUnterstuetzungsangebote_KoDeWiS_Handoutpdf letzter Zugriff 15092017] Im Bereich der fachspezifischen und integrierten Vorbereitung werden nur vereinzelt Vermittlungsansaumltze fuumlr L2-LernerInnen erprobt Diese stu-dienbegleitenden fachkommunikativen Deutschtrainings sind jedoch nicht in den Studienordnun-gen und Modulkatalogen verankert Im Uumlbrigen hat Ehlich bereits 1981 z B im Hinblick auf das wissensverarbeitende Exzerpieren auf den Mangel an systematischer Vermittlung entsprechender studienrelevanter Faumlhigkeiten hingewiesen ndash gerade auch im Kontext fremde Wissenschaftsspra-che
138 Ulrike Arras amp Tanja Fohr
Daher soll die ausfuumlhrliche Planung einer Unterrichtssequenz zur integrativen Foumlrderung vorgestellt werden Zunaumlchst diskutieren wir die Faumlhigkeit des Mit-schreibens in Bezug auf pruumlfungsrelevante Anforderungen Sodann stellen wir die didaktisch-methodischen Prinzipien der Handlungs- Situations- und Aufgabenori-entierung dar um abschlieszligend auf die konkrete Unterrichtssequenz zur Klausur-vorbereitung auf der Basis von Mitschriften einzugehen
4 Didaktisch-methodische Grundlagen fuumlr die Vermittlung des Mitschreibens in studienrelevanten Situationen
Fuumlr die Unterrichtsplanung zur Vermittlung des Mitschreibens ist entscheidend das Erkenntnisinteresse bzw den Zweck des Lesens Zuhoumlrens und Verarbeitens zu kennen Denn Kriterien zur Beurteilung einer Mitschrift koumlnnen nur bestimmt wer-den wenn die Situation der Wissensverarbeitung durch die Studierenden beruumlck-sichtigt wird Mit anderen Worten ob eine Mitschrift gelungen also hilfreich ist kann nur vor dem Hintergrund beurteilt werden zu welchem Zweck sie angefertigt wurde
Zentral fuumlr die Vermittlung der wissensverarbeitenden Textkompetenz in Form von Mitschriften ist zudem dass das Schreibprodukt eigentlich nicht von Interesse fuumlr Dritte ist Insofern handelt es sich um eine Dokumentation der Prozesse des Rezipierens Verstehens Selektierens Umformulierens und schriftlichen Fixierens Aber diese Darstellung muss nicht den Kriterien der Logik und Nachvollziehbarkeit entsprechen und kann daher auch nicht daran gemessen werden Dementsprechend waumlre eine Unterrichtssequenz mit dem Ziel dass die Studierenden gelungene im Sinne von fuumlr Dritte nachvollziehbare Mitschriften oder Exzerpte anfertigen koumln-nen zu kurz gedacht
Lernen Fremd- und ZweitsprachenlernerInnen im Rahmen eines studienpropauml-deutischen oder -begleitenden Kurses die alltaumlgliche Wissenschaftssprache verste-hen und verwenden dann sollten sie gemaumlszlig der Kommunikations- und Handlungs-orientierung Gelegenheit dazu haben sich schriftlich oder muumlndlich auszutauschen und das Gelernte in hochschulrelevanten also authentischen Situationen zu erpro-ben und zu verwenden Entsprechend des Prinzips der Aufgabenorientierung sollten Aufgaben formuliert werden die primaumlr auf die Realisierung von kommunikativen Absichten ausgerichtet sind (Weskamp 2001 70) So formulierte Aufgaben haben ihren bdquoSitz im Lebenldquo und fuumlhren zur Anwendung der Sprache was in diesem Fall bedeutet dass sie Bezug zum Studienalltag der LernerInnen haben und gezielt auf die Bewaumlltigung von studienrelevanten Situationen vorbereiten Daher sollten vor-bereitende Uumlbungen zum Mitschreiben beispielsweise in Verbindung mit den The-men Klausur oder Seminararbeit durchgefuumlhrt werden Denn erst in diesen Situati-onen und durch diese Produkte fuumlr die Beurteilungskriterien vorliegen zeigt sich ob die Formulierung der Antworten ausgehend von den Mitschriften gelungen ist
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen 139
Zum Beispiel ist die Aufgabe ein Protokoll anzufertigen eine Moumlglichkeit das Mit-schreiben fuumlr die spaumltere Zusammenfassung des Gespraumlchsverlaufs zu uumlben
Weitere entsprechende Aufgaben die einen moumlglichst bdquonaturalistischen Sprach-erwerbldquo (Weskamp 2001 70)6 im Sinne der Situations- Handlungs- und Aufga-benorientierung ermoumlglichen sind an den Anforderungen auszurichten die die Stu-dierenden an der Hochschule zu bewaumlltigen haben Im Gemeinsamen europaumlischen Referenzrahmen (GeR) werden solche Aufgaben wie folgt definiert
Kommunikative Aufgaben im Unterricht [hellip] sind in dem Maszlige kommuni-kativ in dem sie von den Lernenden verlangen Inhalte zu verstehen auszu-handeln und auszudruumlcken um ein kommunikatives Ziel zu erreichen Der Schwerpunkt einer kommunikativen Aufgabe liegt auf ihrer erfolgreichen Bewaumlltigung und im Mittelpunkt steht folglich die inhaltliche Ebene waumlh-rend Lernende ihre kommunikativen Absichten realisieren Im Falle von Aufgaben die speziell fuumlr das Lernen oder Lehren von Sprachen entwickelt wurden geht es bei der Ausfuumlhrung jedoch sowohl um Inhalte als auch um die Art und Weise wie diese verstanden ausgedruumlckt und ausgehandelt wer-den (Europarat 2001 154f)
Diese Ausfuumlhrungen machen deutlich dass die Sprachverwendung und die Inhalte im Unterricht im Vordergrund stehen waumlhrend die sprachliche Form nur insofern Gegenstand ist als dass sie einen Zweck im Rahmen der Aufgabenbewaumlltigung er-fuumlllt Im Falle der Mitschrift einer Diskussion im Kontext einer Besprechung ist bei-spielsweise auf der formalen Ebene zu vermitteln mit welchen sprachlichen Mitteln die Argumente wiedergegeben gegeneinander abgewogen und schlieszliglich abgelehnt oder befuumlrwortet werden koumlnnen Diese sprachlichen Mittel sind u a notwendig zur Bewaumlltigung der Aufgabe z B dem Verfassen einer schriftlichen Wiedergabe und Reflexion einer Podiumsdiskussion Verschiedene grammatische und lexikalische Uumlbungen zum Erlernen dieser Teilkompetenzen finden sich beispielsweise in Grauml-fen und Molls (2011 65-81) Lehr- und Arbeitsbuch zur bdquoWissenschaftssprache Deutsch lesen ndash verstehen ndash schreibenldquo Die zahlreichen Luumlcken- und Umfor-mungsuumlbungen in dem Lehr- und Arbeitsbuch unterscheiden sich jedoch von Auf-gaben entsprechend des Prinzips der Aufgabenorientierung da sie vorrangig Teil-fertigkeiten wie Wortschatz und Grammatik separat und ohne direkten Bezug zu einer studienrelevanten Situation trainieren Anhand von erfolgreich geloumlsten Uumlbun-gen z B zum Training des Wortschatzes oder der Grammatik laumlsst sich allerdings nicht feststellen ob beispielsweise im Falle der Mitschrift nachfolgende Aufgaben kompetent geloumlst werden koumlnnen
6 bdquoNaturalistischldquo meint in diesem Fall dass die sprachliche Handlung so nicht nur im Kursraum
stattfindet sondern auf die Kommunikation im Studienalltag vorbereitet und insofern uumlbertragbar ist (FunkKuhnSkibaSpaniel-WeiseWicke 2014 11)
140 Ulrike Arras amp Tanja Fohr
Protokolle Verlaufs- oder Ergebnisprotokolle anfertigen
Pruumlfungsgespraumlch muumlndlich auf Fachfragen antworten
Klausur schriftliche Antworten auf Fachfragen geben
an einer Diskussion teilhaben in einem Gespraumlch mit KommilitonenInnen Fachwissen argumentativ einsetzen
Am Beispiel einer konkreten Unterrichtsequenz zum Thema bdquoErfolgreiche Pruuml-fungsvorbereitung auf der Basis von Mitschriftenldquo soll dargelegt werden wie die Vermittlung des Mitschreibens unter Voranstellung der Prinzipien der Handlungs- Kompetenz- und Aufgabenorientierung gelingen kann
41 Ziele einer Unterrichtssequenz zur Pruumlfungsvorbereitung auf der Basis von Mitschriften
Die nachfolgende Unterrichtssequenz mit dem Ziel der Pruumlfungsvorbereitung unter Verwendung von Mitschriften ist fuumlr ein bis zwei Sitzungen von jeweils 90 Minuten im Rahmen einer Veranstaltungsreihe konzipiert7 Da im Bereich der Studienvorbe-reitung auf dem Niveau C1 zahlreiche Lehrwerke8 vorliegen die auf die Kompetenz des gezielten Zuhoumlrens bei Vortraumlgen vorbereiten soll hier der Fokus auf die Moumlg-lichkeit der integrierten Vermittlung waumlhrend des Studiums gelegt werden Die vor-gestellte Unterrichtssequenz ist nicht primaumlr fuumlr DaFZ-Studierende konzipiert son-dern kann auch mit heterogenen Studierendengruppen im Rahmen einer Einfuumlh-rungsveranstaltung durchgefuumlhrt werden denn die Verwendung der alltaumlglichen Wissenschaftssprache und die jeweilige Fachsprache bereiten StudienanfaumlngernIn-nen generell Probleme (Esselborn-Krumbiegel 2012 9)9
Die ersten beiden Sitzungen der Veranstaltungsreihe sollten fuumlr eine Hinfuumlhrung zur ausgewaumlhlten Fachthematik genutzt werden sodass sich die Studierenden vor-bereitend mit den fachlichen Inhalten der Veranstaltung auseinandersetzten koumlnnen
7 Anhand des nachfolgenden Verlaufsplans zur Durchfuumlhrung der Unterrichtssequenz koumlnnen die
nun beschriebenen einzelnen Schritte konkret im Zusammenhang nachvollzogen werden 8 Neben den Lehrwerken bdquoMittelpunkt C1 neuldquo (2014) bdquoMittelpunkt B2C1 Intensivtrainer schrift-
licher und muumlndlicher Ausdruck Textsorten fuumlr Studium und Berufldquo (2009) oder bdquoStudio Die Mittelstufe B2ldquo (2014) und bdquoStudio Die Mittelstufe C1ldquo (2015) gibt es auch zahlreiche kostenlose Verlagsmaterialien zum Thema bdquoStudieren in Deutschlandldquo [z B httpwwwcornelsendeerw1c20 54267de letzter Zugriff 23082017] Die Lehrwerke fuumlr diese Niveaustufen bieten Uumlbungen fuumlr das globale selektive und detaillierte Zuhoumlren und Mitschreiben waumlhrend laumlngerer populaumlrwissenschaftlicher Vortraumlge an Unterrichtsvorschlaumlge fuumlr die integrative Vermittlung in den einzelnen Fachgebieten liegen demgegenuumlber bislang nicht vor
9 Das vorliegende Konzept wurde im Rahmen einer Vorlesung aus dem Bereich Germanistik er-probt Der methodische Ansatz laumlsst sich jedoch faumlcheruumlbergreifend anwenden da die Situation in der mitgeschrieben wird im Vordergrund steht Eine inhaltlich logische und nachvollziehbare Darstellung im Rahmen einer Klausur wird zudem i d R von FachdozentenInnen beurteilt die keine sprachdidaktischen Vorkenntnisse haben
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen 141
In der daran anschlieszligenden Sitzung im Umfang von 90 Minuten werden die hier aufgezaumlhlten Ziele verfolgt10
Die Studierenden koumlnnen hellip
entsprechend einer Fragestellung (Houmlrauftrag) gezielt Inhalte zu einem Thema in Stichpunkten im Rahmen einer 45minuumltigen Vorlesung mitschrei-ben
sich mit ihrer Gruppe oder ihremPartnerihrer Partnerin zu einem gewaumlhlten Thema ausgehend von den Mitschriften austauschen
ggfs Zusatztexte zu ihrem Themenbereich recherchieren und Hintergrund-informationen zu dem Themenschwerpunkt entnehmen
mit ihrer Gruppe oder ihrem Partnerihrer Partnerin Klausuraufgaben und Erwartungshorizonte dazu formulieren
die Klausuraufgaben anderen Gruppenmitgliedern vorlegen und die Loumlsun-gen gemeinsam diskutieren (Gruppenpuzzle11)
Pruumlfungsfragen zu einem anderen Themengebiet gemeinsam ausgehend von den eigenen Mitschriften beantworten
Loumlsungen mit den anderen Gruppenmitgliedern diskutieren und ausgehend von dem Erwartungshorizont beurteilen
ggfs im Rahmen eines Tutoriums oder in selbst organisierten Lerngruppen eine Aufgabensammlung mit Loumlsungen erstellen und auf der Lernplattform veroumlffentlichen
Diese Auflistung der Ziele der Veranstaltung mit fachintegrierter Sprachbildung macht deutlich inwiefern die sprachliche und fachliche Handlungs- und Kommuni-kationsfaumlhigkeit der Studierenden miteinander verzahnt sind Daher sollten die fach-lichen Kompetenzen in Verbindung mit den sprachlichen Faumlhigkeiten ausgebaut werden
42 Verlaufsskizze fuumlr eine Unterrichtssequenz zur Pruumlfungsvorbereitung auf der Basis von Mitschriften
Der Verlaufsplan gibt Aufschluss daruumlber wie das Thema Pruumlfungsvorbereitung auf der Basis von Mitschriften in eine 90minuumltige Veranstaltung integriert werden kann Die konkreten Aufgabenstellungen koumlnnen anhand des nachfolgenden Arbeitsblat-tes nachvollzogen werden
10 Vgl Konkrete Verlaufsskizze unter Punkt 42 11 Beim Gruppenpuzzle werden zunaumlchst Gruppen eingeteilt und jeder Gruppe jeweils andere Auf-
gaben gestellt Zu deren Loumlsungen sammeln die Lernenden Informationen und tauschen sich dazu aus um die Aufgaben hier das Erstellen von Klausurfragen ausgehend von den Mitschriften loumlsen zu koumlnnen Die ExpertInnen fuumlr einen Themenbereich und die dazu erstellten Klausuraufgaben stellen nun den anderen Gruppenmitgliedern die Aufgaben und unterstuumltzten sie bei der Loumlsungs-findung
142 Ulrike Arras amp Tanja Fohr
Tabelle 1 Verlaufsplan
Phase Lern- und Lehraktivitaumlten Sozialfor-
men Medien
und Material
Hinfuumlhrung Einstieg
Impuls DozentIn (D) praumlsentiert eine Pruumlfungsaufgabe zum Thema der vorausgehenden Sitzung zur Aktivierung des Vorwissens D praumlsentiert zwei schriftliche Mit-schriftenversionen aus denen man die Loumlsung zur Aufgabe a) besser b) weniger gut und unterschiedliche Kriterien zum Mitschreiben ableiten kann
Plenum Power-Point-Praumlsentation oder Kopien mit Pruumlfungs-aufgabe und Mitschrift
Erarbeitung I
Sensibilisierung fuumlr das Mitschrei-ben seine Bedeutung und seine Funktionen Studierende (ST) diskutieren uumlber die Qualitaumlt der Mitschriften und entscheiden sich fuumlr die eindeuti-gere passendere Notiz und begruumln-den ihre Entscheidung ST formulieren Kriterien zum Mit-schreiben ST formulieren eine schriftliche Louml-sung zu einer Pruumlfungsfrage ausge-hend von der passenden Mitschrift und ihrem Wissen aus der voraus-gehenden Sitzung und praumlsentieren diese D praumlsentiert ggf weitere passende Loumlsung oder Loumlsungshilfen
Plenum PartnerIn-nen-Arbeit
Power-Point-Praumlsentation
Erarbeitung II
D teilt die Gruppen nach Themen-schwerpunkten ein
Gruppen-arbeit ar-beitsteilig
Power-Point-Praumlsentation Handout mit Arbeitsauf-trag Schema
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen 143
Phase Lern- und Lehraktivitaumlten Sozialfor-
men Medien
und Material
D erlaumlutert den Arbeitsauftrag und die Zielsetzung fuumlr die Gruppenar-beit (vgl Arbeitsblatt) Zielsetzung Pruumlfungsaufgaben formulie-ren und beantworten koumlnnen
zur Gruppen-aufteilung ein-blenden
Praumlsenta-tion Vortrag
ST houmlren den Vortrag und schrei-ben mit Fokus auf den gewaumlhlten Themenschwerpunkt mit
Einzelar-beit
Power-Point-Praumlsentation Handout mit Arbeitsauftrag
Erarbeitung III
ExpertInnen-Gruppen ST tau-schen sich zu ihren Mitschriften aus diskutieren und formulieren schriftlich Aufgaben und moumlgliche Antworten (Erwartungshorizont) D beurteilt die Qualitaumlt der Pruuml-fungsaufgaben und -antworten gibt ggfs Hilfestellung beantwortet of-fene Fragen
Gruppen-puzzle Gruppen-arbeit ar-beitsteilig
Power-Point-Praumlsentation Handout mit Arbeitsauftrag
Anwendung 10 min
ExpertInnen-Gruppen loumlsen sich auf und bilden neue Gruppen ST loumlsen schriftlich jeweils die Auf-gabe einer anderen ExpertInnen-Gruppe unter Beruumlcksichtigung der eigenen Mitschriften ST vergleichen und uumlberpruumlfen ihre Loumlsungen mit den Erwartungshori-zonten der ExpertInnen ST diskutieren alternative Loumlsungs-wege D beurteilt die Qualitaumlt der Pruuml-fungsaufgaben und -antworten gibt ggfs Hilfestellung beantwortet of-fene Fragen
Gruppen-puzzle Gruppen-arbeit Ein-zelarbeit
Power-Point-Praumlsentation Handout mit Arbeitsauftrag
144 Ulrike Arras amp Tanja Fohr
Phase Lern- und Lehraktivitaumlten Sozialfor-
men Medien
und Material
Transfer (fakultativ)
D stellt eine uumlbergreifende Trans-feraufgabe als Klausurfrage ST loumlsen die Transferaufgabe
Plenum Gruppen-arbeit
Power-Point-Praumlsentation
Vertiefung Tutorium zu Hause (fakultativ)
D oder TutorIn gibt weiter Pruuml-fungsaufgaben und Erwartungsho-rizonte
ST loumlsen weitere Klausuraufgaben ST uumlberpruumlfen sich selbststaumlndig mit Hilfe der vorliegenden Loumlsun-gen
Einzelar-beit oder Part-nerInnen-Arbeit im Tutorium
Lernplattform
Die nachfolgenden Arbeitsauftraumlge zum gezielten Zuhoumlren und Mitschreiben soll-ten fuumlr alle in Form einer Kopie vorab ausgeteilt und erlaumlutert werden
Aufgaben zur erfolgreichen Pruumlfungsvorbereitung Mitscheiben Aufgaben formulieren diskutieren und beantworten
1 Folgen Sie dem 30-40minuumltigen Vortrag und schreiben Sie mit KonzentrierenSie sich dabei auf Ihr Thema und die dazu passenden Abschnitte und versuchenSie Wesentliches zu erfassen
Gruppenarbeit der ExpertenInnen fuumlr einen Themenschwerpunkt (20 min) 2 Vergleichen Sie Ihre Mitschriften zu dem gewaumlhlten Themenschwerpunkt Er-
gaumlnzen Sie einander Bei Unklarheiten schlagen Sie nach oder fragen Sie IhrenDozentenIhre Dozentin Formulieren Sie ausgehend von Ihren Mitschriftenzwei Pruumlfungsaufgaben und passende Erwartungshorizonte Orientieren Siesich dabei an dem Beispiel zu Beginn der Veranstaltung
4 Uumlberpruumlfen Sie die Eindeutigkeit der Aufgaben und diskutieren Sie moumlglicheLoumlsungen
Gruppenpuzzle 5 Tauschen Sie die Gruppen und stellen Sie eine neue Gruppe mit jeweils einem
Experteneiner Expertin aus einer der anderen Gruppen zusammen
[httpuploadwikimediaorgwikipediacommons550Gruppenpuzzlepng letzter Zugriff 30012020]
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen 145
Pruumlfungssimulation (20 min) 6 Tauschen Sie nun Ihre Aufgaben Loumlsen Sie mindestens eine Aufgabe einer anderen
ExpertInnen-Gruppe mithilfe Ihrer Mitschriften in 5 Minuten Stoppen Sie dazu dieZeit
7 Tauschen Sie nun die Loumlsungen aus und uumlberpruumlfen Sie sich selbst mithilfe des Er-wartungshorizonts Bei Unklarheiten fragen Sie bei dem jeweiligen Expertender Ex-pertin oder der Lehrkraft nach
Vertiefung nach der Sitzung Aufgabensammlung auf der Lernplattform 8 Laden Sie Ihre Aufgaben und die entsprechenden Musterloumlsungen auf die Lernplatt-
form hoch9 Bearbeiten Sie mindestens zwei weitere Aufgaben zu anderen Themenschwer-punk-
ten indem Sie diese herunterladen loumlsen und Ihre Loumlsungen mit den Musterloumlsungenvergleichen
Abbildung 1 Arbeitsauftraumlge
Wie aus der mehrteiligen Aufgabe hervorgeht steht das kooperative Lernen der Stu-dierenden im Vordergrund Die Studierenden sind aktiviert und aufgefordert mitei-nander uumlber die fachlichen Inhalte zu sprechen uumlber Formulierungen nachzudenken und gemeinsam an der fachlichen und sprachlichen Loumlsung einer Aufgabe zu arbei-ten Dabei wird die Arbeit in Lerngruppen zur Klausurvorbereitung im kleinen Rah-men erprobt Die Mitschriften bilden die Ausgangsbasis fuumlr die Aufgabenformulie-rung und die sprachliche Handlung des Mitschreibens erfolgt so sinnhaft und zweck-gebunden in einem relevanten Kontext Durch das Gruppenpuzzle wird der team-organisierte Wissenserwerb gesteigert (Peterszligen 2001 127) Die ExpertInnen-Grup-pen erarbeiten sich ein gemeinsames Wissen zu einem Themenbereich Dabei kann der Dozent bzw die Dozentin helfend eingreifen bei Fragen zur Verfuumlgung stehen und ggfs passende Kurztexte zur Erlaumluterung des Wissensgebietes bereitstellen Im Anschluss wird der Lernstoff in Form von Aufgaben und passenden Loumlsungen an eine andere Gruppe weitergetragen Die Aufgaben werden geloumlst und diskutiert In sowohl fachlich als auch sprachlich heterogenen Studierendengruppen koumlnnen nicht nur Leistungsschwaumlchere durch die Gruppenarbeit profitieren sondern auch die Leistungsstaumlrkeren durch die Vermittlung und Unterstuumltzung ihr neu erworbenes Wissen festigen (Peterszligen 2001 139) Durch die Gruppenarbeit die ihre Fortset-zung in einem Tutorium zur Vertiefung finden kann wird das selbststaumlndige Lernen gefoumlrdert Daruumlber hinaus koumlnnen die Ergebnisse der Gruppen durch das Hochla-den auf die Lernplattform allen zur Verfuumlgung gestellt werden sodass im Anschluss an die Sitzung eine Aufgabensammlung zur Klausurvorbereitung eingerichtet wird
Die so erstellten Klausuraufgaben und Loumlsungen koumlnnen einen Hinweis darauf geben ob das in der Vorlesung erlaumluterte Thema verstanden wurde und inwieweit die Studierenden noch zusaumltzliche Hilfen benoumltigen Durch die arbeitsteilige Vorge-hensweise im Rahmen des Gruppenpuzzles wird die Notwendigkeit des Austauschs gefoumlrdert und die Studierenden haben Gelegenheit die fachlichen Inhalte nicht nur
146 Ulrike Arras amp Tanja Fohr
auf der rezeptiven Ebene zu erfassen sondern durch die Wiedergabe und Uumlbertra-gung auf die Aufgabenformulierung aktiv zu nutzen Die Bedeutung und Funktion der Mitschriften als Ausgangsbasis fuumlr die Formulierung der Klausuraufgaben wird so in einem fuumlr die Studierenden relevanten Kontext behandelt
5 Fazit und Ausblick ndash Ansaumltze zur studienbegleitenden Foumlrderung des Mitschreibens
Wie der konkrete Unterrichtvorschlag zur integrativen Sensibilisierung des Mit-schreibens zum Zweck der Pruumlfungsvorbereitung aufgezeigt hat ist es moumlglich fachintegriert sprachliche Kompetenzen zu foumlrdern und dazu explizit auf das Mit-schreiben einzugehen Die Umsetzung des integrativen Ansatzes zur expliziten Ver-mittlung von fachlichen und sprachlichen Kompetenzen erfordert dabei von den FachdozentInnen keine aufwendige Einarbeitung in die Sprachdidaktik oder in die Besonderheiten der allgemeinen Wissenschaftssprache Deutsch da ausgehend von der Situation konkrete Fragen und Antworten von den Studierenden formuliert wer-den Der Dozent bzw die Dozentin unterstuumltzt die Arbeitsgruppen und beraumlt die Studierenden hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades der Komplexitaumlt der kognitiven Angemessenheit und schlieszliglich der sprachlichen Umsetzung Dabei steht die in-haltlich-fachliche Angemessenheit der Fragen und Antworten im Vordergrund Die sprachliche Angemessenheit wird implizit beurteilt und unpassende Formulierungen werden korrigiert
Wir hoffen mit vorliegendem Beitrag zu einer verstaumlrkten Beruumlcksichtigung von text- und wissensverarbeitenden Sprachhandlungen im Kontext Deutsch als (frem-der) Wissenschaftssprache beizutragen sowohl im studienbegleitenden oder propauml-deutischen Sprachunterricht als auch integriert in die fachliche Ausbildung waumlhrend des Studiums selbst Nicht nur den Lehrkraumlften sondern auch den Studierenden selbst sollte bewusst werden welchen zentralen Stellenwert diese text- und wissens-verarbeitenden Schreibhandlungen fuumlr ein erfolgreiches Studium und fuumlr das akade-mische Berufsfeld generell einnehmen
Gleiches gilt fuumlr das Exzerpieren das ebenfalls eine zentrale Rolle bei der Wis-sensverarbeitung einnimmt Das Exzerpieren (Ehlich 1981) zaumlhlt wie das Mitschrei-ben zu den text- und wissensverarbeitenden Sprachhandlungen und ist somit fuumlr die Bewaumlltigung der Fachliteratur im Studium ebenso wie fuumlr berufliche Zusammen-haumlnge von zentraler Bedeutung (Menne-El SawyEinig 2011 Arras 2015b) Input ndash hier Leseinput in Form von Fachtexten ndash wird verarbeitet indem Wichtiges schrift-lich in Form von bdquoLesenotizenldquo festgehalten wird Freilich scheint auch das Exzer-pieren im DaFZ-Unterricht eine eher vernachlaumlssigte Sprachhandlung zu sein
Die effektive Arbeit mit Mitschriften und Exzerpten erfordert ein intensives Training und die Entwicklung entsprechender kognitiver Faumlhigkeiten Auf dieser Basis sollen die vorgeschlagenen aus der Praxis entstandenen konkreten Arbeits-
Mitschreiben Funktionen und didaktische Uumlberlegungen 147
schritte Anregung sein fuumlr die Integration der Foumlrderung der genannten Sprachhand-lungen in den Unterricht und in das Fachstudium Dabei bietet sich eine Verzahnung von Sprachunterricht und Fachstudium an insbesondere wenn die Studierenden ko-operativ von Sprach- und Fachlehrkraumlften betreut werden um fachspezifische Ar-beitstechniken studienbegleitend zu trainieren
Insgesamt betrachtet mangelt es jedoch nach wie vor an didaktisch-methodi-schen Modellen zur studienbegleitenden integrativen und ggfs auch fachspezifi-schen Foumlrderung der Faumlhigkeiten Mitschreiben und Exzerpieren Solche Konzepte sollten sprach- und fachuumlbergreifend entwickelt werden um gerade auch Studie-rende aus dem Ausland angemessen zu foumlrdern statt zu uumlberfordern
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Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre Uumlber die Ausbildung eines mentalen Vorstellungsraums fuumlr die Wissensvermittlung
Friederike Hinzmann (Chemnitz)
1 Einleitung
Der Modus Konjunktiv II wird gemeinhin als Modus fuumlr Irreales Hypothetisches oder auch Houmlflichkeit verstanden Wie ich im ersten Teil zeigen werde sind solche Oberbegriffe und kategorialen Einordnungen auch in Lehrmaterialien fuumlr studien-vorbereitende Deutschkurse zu finden Daruumlber hinaus sind die meisten Uumlbungen darauf ausgerichtet lediglich Saumltze vom Indikativ in den Konjunktiv zu transformie-ren Es handelt sich hierbei also um eine rein formale Betrachtungsweise des Kon-junktivs II der weder mit dem sprachlichen Handeln selbst in Verbindung gebracht wird noch in solcher Weise in wissenschaftssprachlichen Kontexten vermittelt wird Eine derartige Vermittlung des Konjunktivs II traumlgt seiner tatsaumlchlichen Leistung im sprachlichen Handeln allerdings nicht Rechnung
In diesem Beitrag wird zudem gezeigt dass die Nutzung des Konjunktivs II in der wissenschaftlichen Lehre der sprachlichen Konstituierung von Vorstellungsraumlu-men dient Ein Vorstellungsraum wird vom Sprecher als mentaler Ort zur Be- und Verarbeitung von Wissensstrukturen in der Wissensvermittlung funktionalisiert An-hand empirischen Materials in Form von Transkripten verschiedener Lehrveranstal-tungsformen moumlchte ich versuchen diese Funktionsweise der Terminologie der Funktionalen Pragmatik1 nachzuzeichnen Dabei wird im Kontrast zu den in den
1 Zur funktional-pragmatischen Sprachtheorie siehe Redder (2010)
152 Friederike Hinzmann
DSH-Lehrmaterialien dargestellten Verwendungsweisen dargelegt inwiefern die Ausbildung eines mentalen Vorstellungsraums an die Wissensvermittlung geknuumlpft ist
Auf Grundlage der Analyseergebnisse werde ich am Ende auf Konsequenzen fuumlr die Didaktik studienvorbereitender Deutschkurse eingehen
2 Wissensvermittlung an der Universitaumlt
Wissenschaftliches Wissen unterscheidet sich maszliggeblich von schulischem da es zunaumlchst viel abstrakter ist (Redder 2009a 18) und zudem anderen Bearbeitungsme-chanismen unterliegt bdquoWissenschaftliches Wissen entsteht wesentlich aus einem ge-meinsamen Ringen um Erkenntnis sein Korrektiv ist die Kritikldquo (ThielmannRed-derHeller 2014 7) Wo es um die Gewinnung neuen Wissens und seiner Durchset-zung geht spielt die bdquowissenschaftliche Eristikldquo (nach Ehlich 1993 1999) ndash das wis-senschaftliche Streiten ndash eine entscheidende Rolle Gemeint ist damit die Durchset-zung neuen prinzipiell strittigen Wissens gegenuumlber dem bekannten etablierten Insbesondere in den hermeneutisch angelegten Faumlchern den Geistes- und Sozial-wissenschaften sind solche eristischen Strukturen uumlblich (Thielmann et al 2014 Wiesmann 1999 39ff) In Seminaren der Germanistik beispielsweise sollen Studie-rende Positionen und Annahmen zu einem bestimmten Thema diskutieren Dabei wird ebenso von ihnen erwartet dass sie mithilfe der Fachtexte argumentieren koumln-nen In den Naturwissenschaften wird zumeist ndash aber nicht immer ndash kanonisiertes Wissen (sogenanntes bdquoLehrbuchwissenldquo) welches nicht in dem Sinne strittig ist bzw nicht mehr ist vermittelt (ThielmannKrause 2014 25) Diese sei aber nicht gleich-zusetzen mit der eristischen Struktur betont Redder (vgl ebd)
Vielmehr stellt die diskursive Wissensvermittlung den didaktischen Versuch dar den Lernprozess so weit wie moumlglich durch produktive Nutzung des bei den Lernenden bereits vorhandenen Wissens zu gestalten also Aneig-nungsstrukturen zu aktivieren die durchaus mit dem Problemloumlsungspro-zess des Forschens gemeinsame Elemente aufweisen Den Lernenden wird dabei ein gehoumlriges Maszlig an selbsttaumltigem mentalen und sprachlichen Han-deln zugetraut und zugemutet ndash freilich ohne Preisgabe der Sachautoritaumlt und also auch Bewertungskompetenz des Lehrenden (Redder 2009a 24)
Das bedeutet dass es Vermittlungsverfahren und -handlungen gibt die im Wesent-lichen die houmlrerseitige Wissensvernetzung unterstuumltzen sollen und
dass Dozenten versuchen sowohl die mentalen Prozesse der Studierenden zu antizipieren und zu bearbeiten als auch die Studierenden zu eigenen Re-debeitraumlgen anzuregen so dass das aktuell zu vermittelnde Wissen diskursiv bearbeitet werden kann (Breitsprecherdi MarioKrauseRedderThiel-mann 2015 357)
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 153
Die Studierenden muumlssen also sprachlich in der Lage sein eigene Beitraumlge zum Lehr-Lern-Diskurs zu leisten Dies beruht freilich auf einer vorherigen erfolgreichen Wis-sensprozessierung
Wie ich anhand der Analyse darlegen moumlchte spielt die Konstituierung von mentalen Vorstellungsraumlumen dabei eine wichtige Rolle2 Zunaumlchst moumlchte ich an-hand der Analyse von Lehrmaterial fuumlr studienvorbereitende Deutschkurse heraus-arbeiten wie der Konjunktiv II im Zusammenhang mit seinem Einsatz in der Hoch-schulkommunikation eingefuumlhrt wird
3 Der Konjunktiv II
31 Der Modus Konjunktiv II in DSH-Lehrmaterialien
Der Modus Konjunktiv II dient so die traditionelle Sicht dem Sprecher dazu hy-pothetische oder irreale Aussagen zu treffen bzw houmlflicher zu sein Daruumlber hinaus bekommt man den Eindruck als sei der Konjunktiv II bdquoreine Formsacheldquo da es in den Uumlbungen primaumlr um das Umschreiben von der indikativischen in die konjunk-tivische Form geht Folgende Beispiele aus gegenwaumlrtig verwendeten DSH-Lehrma-terialen spiegeln dies wider In der Aufgabe von Abbildung 1 soll das Formulieren von irrealen Bedingungssaumltzen geuumlbt werden
Abbildung 1 Grammatiktest zum Konjunktiv II (Neutsch 2002 72)
Die Lernenden sollen in dieser Uumlbung irreale Bedingungssaumltze wie im Beispiel for-mulieren Schauen wir uns doch einmal an was genau dafuumlr abverlangt wird Dafuumlr ziehe ich das erste Beispiel aus Abbildung 1 heran
2 Ich moumlchte darauf hinweisen dass Redders (2009b) Bestimmungen zum bdquoWissensraumldquo auch fuumlr
diese Untersuchung fruchtbar gemacht werden koumlnnen Dies kann im Rahmen dieses Beitrags je-doch nicht geleistet werden Der bdquoWissensraumldquo kann nach Redder (2009b) folgendermaszligen be-schrieben werden bdquoDer Wissensraum ist ein von Diskurs-Textraum und Vorstellungsraum ge-schiedener Verweisraum sprachlichen Zeigens der einerseits Propositionales nicht als Versprach-lichtes sondern als bereits mental im Gedaumlchtnis der Interaktanten Verarbeitetes umfasst und an-dererseits all das Wissen das auch einer Extrapolation fuumlr produktive Vorstellungen zugrunde liegtldquo (ebd 187) Diese Bestimmung hat Redder im Rahmen einer Analyse deiktisch basierter Konnektivitaumlt geleistet die sich auf die funktionale Bestimmung vornehmlich paraoperativer Pro-zeduren bezieht
154 Friederike Hinzmann
Der Mann ist mit dem Angebot nicht zufrieden Deshalb hat er den Job abgelehnt
Wir haben zunaumlchst einmal zwei Saumltze die in spezifischer Weise zueinander in Be-ziehung stehen Diese Beziehung wird mittels deshalb (bdquozusammengesetztes Verweis-wortldquo nach Rehbein 1995) konkretisiert3 Die propositionalen Gehalte der Einzels-aumltze stehen also in einer spezifischen Beziehung zueinander Mit der Deixis des- wird der Leser auf ein Element aus dem gemeinsamen Verweisraum refokussiert (ebd 170) In diesem Fall bezieht sich die Refokussierung aber nicht auf einen einzelnen sprachlichen Ausdruck sondern auf die gesamte Proposition Mit -halb so Rehbein (ebd 171) weiter wird die Integration der refokussierten Elemente in die neue Proposition geleistet Rehbein (ebd) bezeichnet solche Ausdruumlcke sodann als bdquorela-tionierendeldquo da sie eine Relation zwischen zwei Propositionen herstellen Wie wir gesehen haben handelt es sich hierbei um komplexe Zusammenhaumlnge die im bdquoIn-dikativsatzldquo zum Ausdruck gebracht werden Diese gilt es dann auch fuumlr die For-mulierung des irrealen Bedingungssatzes zu beruumlcksichtigen wie folgendes Beispiel zeigt
Aber wenn der Mann mit dem Angebot zufrieden waumlre haumltte er den Job nicht abgelehnt
Was ist nun bei der Umformulierung geschehen Zum einen wird die Form des Konjunktivs II fuumlr beide finite Verbformen benoumltigt bdquowaumlreldquo und bdquohaumltteldquo Diese Konstruktionen betreffen zunaumlchst die formal-grammatische Seite die wohl noch gut zu bewaumlltigen sein duumlrfe Diese Aufgabe ist auch insofern vielleicht noch als simpel einzuschaumltzen als die Lernernenden ja lediglich die finiten Verbformen her-aussuchen und die Formen im Konjunktiv II bilden brauchen Dies so vermute ich werden die meisten Lernernden die sich mit dieser Aufgabe auseinanderzusetzen haben auch tun Jedoch wird dann nur auf sprachlicher Oberflaumlche (Aumluszligerungsakt) gearbeitet und spaumltestens beim naumlchsten Satz wuumlrden Probleme auftauchen weil dort kein deshalb sondern die operativen Prozeduren aber wenn in der Kombination stehen Durch aber wenn wird eine zum vorherigen Satz abweichende Proposition eingeleitet und durch den Konjunktiv II als nur mental da von der Wirklichkeit abweichend grammatisch markiert Man sieht also dass die Verwendung des Kon-junktivs II im Zusammenhang mit der Verarbeitung des propositionalen Gehalts steht Dies war zunaumlchst der vorgegebene Beispielsatz Danach sollen die Lernenden selbststaumlndig Saumltze im Konjunktiv II formulieren
Die Arbeitslosigkeit steigt weil zu wenig investiert wird
Auch hier werden ndash aumlhnlich wie im Beispielsatz oben ndash zwei Propositionen mitei-nander verknuumlpft hier uumlber weil Die Ausdruumlcke weil und deshalb haben hinsichtlich
3 Der Terminologie der Funktionalen Pragmatik folgend sind solche Ausdruumlcke als operative Pro-
zeduren aufzufassen (Redder 2010)
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 155
ihrer Funktionalitaumlt gemeinsam dass sie Propositionen derart miteinander verknuumlp-fen als der propositionale Gehalt aus der ersten Aumluszligerung auf spezifische Weise in die Folgeaumluszligerung integriert wird Dabei haben wir es immer mit der Bearbeitung von Wissen zu tun Thielmann (2009b 115) sagt zur Funktionalitaumlt von weil Folgen-des
Durch bdquoweilldquo kategorisiert der Sprecher den propositionalen Gehalt des Ne-bensatzes als ein Wissen das fuumlr ihn im Hinblick auf die im Hauptsatz ent-weder thematisierte Handlung oder durch ihn vollzogene Sprechhandlung entscheidungsrelevant geworden ist
Es geht also um komplexe mentale Wissensbearbeitungsprozesse die in der Form im Zusammenhang mit der Vermittlung des Konjunktivs II nicht problematisiert werden Die Aufgabe aus dem Uumlbungsbuch fuumlr studienvorbereitende Deutsch-kurse repraumlsentiert eine typische Uumlbung in einem Sprachunterricht in dem Sprache um der Sprache Willen produziert wird ndash nicht zur Realisierung von Zwecken Mit Reh-bein (1987 14) ist dabei vom bdquoillokutive[n] Paradoxldquo des Fremdsprachenunter-richtsldquo zu sprechen
In den naumlchsten Aufgaben sollen erneut vorgegebene Satzfragmente reformu-liert werden Auch hier wird von den Lernenden vorausgesetzt dass sie verstanden haben wozu der Konjunktiv II eigentlich im Deutschen gebraucht wird Dies wird aber anhand der Beispielsaumltze oder der Uumlbersichten aus den Lehrwerken die das bloszlige Formeninventar sowie die -bildung darstellen nicht deutlich In der Aufgabe von Abbildung 2 wird das umgekehrte Prozedere gefordert das Umformulieren von Konjunktiv II-Saumltzen in Indikativ-Saumltze Wie bereits fuumlr das erste Beispiel festge-stellt werden auch hier sprachliche Mittel wie weil und deshalb genutzt um dem Houmlrer metakommunikativ die spezifische Verarbeitung der propositionalen Gehalten zu kommunizieren
Abbildung 2 Konjunktiv II Realitaumlt und Irrealitaumlt (Neutsch 2002 75)
156 Friederike Hinzmann
In den vorgegebenen Saumltzen soll die Stellung des Sprechers zum Sachverhalt zum Ausdruck gebracht werden Wie die propositionalen Gehalte der einzelnen Saumltze zu verarbeiten sind wird durch die operativen Prozeduren weil und deshalb (biproze-dural) sowie uumlber die Negation geleistet Dem Houmlrer soll vermittelt werden dass der propositionale Gehalt des Satzes nicht mit dem Wissen des Sprechers vereinbar ist (Zifonun 1997 1731ff) Umgesetzt wird dies mittels konditionalem Nebensatz im Vorfeld (bdquoWenn Erziehung ein Kinderspiel waumlre hellipldquo) und dem darauffolgenden Hauptsatz dessen Finitum ebenfalls im Konjunktiv II steht Positiv hervorzuheben ist dass zumindest auf die Komplexitaumlt der mentalen Bearbreitung von propositio-nalen Gehalten hingewiesen wird
Anhand der nachstehenden Abbildung 3 aus einem DSH-Lehrbuch soll den Lernenden klargemacht werden was der Unterscheid zwischen dem sog Irrealis und sog Potentialis ist
Abbildung 3 Konditionalsaumltze (Lodewick 1999 169)
In diesem Beispiel wird mit fiktiven Bedingungen zur Vermittlung des sogenannten Potentialis gearbeitet Leider fehlt hier ein Kontext der die Bedingung und die Folge fuumlr die Lernenden in einen Zusammenhang bringt Sicherlich ist hier gut zu zeigen dass mittels des Konjunktivs II etwas Nicht-Wirkliches ausgedruumlckt werden kann Dennoch ist die Bermerkung dass der Textzusammenhang notwendig sei insofern nicht hilfreich als dieser Hinweis im ersten Beispiel (im zweiten Beispiel auch nur sehr marginal) selbst nicht beruumlcksichtigt wurde Die unten zu findende Uumlbersicht erweckt erneut den Eindruck der Konjunktiv II waumlre bdquoreine Formsacheldquo
Das naumlchste Beispiel (Abbildung 4) zeigt nur einen Ausschnitt aus einer Uumlber-sicht zu den Verwendungen des Konjunktivs II
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 157
Abbildung 4 Verwendungen des Konjunktivs II (ClamerHeilmannRoumlller 2006 96)
Diese Darstellung zeigt die Vielfaumlltigkeit der Funktionalitaumlt des Konjunktivs II im Deutschen Jedoch duumlrfte diese Darstellungsweise den Lernenden diese funktionale Vielfalt nicht klar werden lassen Daruumlber hinaus handelt es sich nicht um wissen-schaftliche Kontexte in die der Konjunktiv II eingebettet wird Den Lernenden wird nicht verdeutlicht weshalb es so viele unterschiedliche Verwendungsweisen gibt Auszligerdem sind die unterschiedlichen Gebrauchsweisen die hier aufgezeigt werden nie allein auf den Modus zuruumlckzufuumlhren4 Solche isolierten fiktiven Beispielsaumltze koumlnnen mithin nur wenig Aufschluss uumlber die tatsaumlchliche Funktionalitaumlt des Kon-junktivs II geben
Was anhand der ausgewaumlhlten Beispiele aus den Lehrmaterialien fuumlr studienvor-bereitende Deutschkurse ersichtlich wurde ist Folgendes Der Konjunktiv II mar-kiert die propositonalen Gehalte der Beispielsaumltze als nur mental wirklich (nach Red-der 1992) Die im Zusammenhang mit der Vermittlung des Modus aufgefuumlhrten Kategorien wie bdquoHypothetischesldquo bdquoIrrealesldquo oder bdquoHoumlflichkeitldquo sind hinsichtlich der Vermittlung des Deutschen als fremder (Wissensschafts-)Sprache unbefriedi-gend Daruumlber hinaus stehen die hier gegebenen Beispiele sowie Erklaumlrungen ohne jeden Zusammenhang zur deutschen Wissenschaftssprache5 So muumlsste anhand au-
4 Houmlflichkeit wird nicht allein daruumlber generiert dass der propositionale Gehalt nur als mental wirk-
lich markiert wird Anhand des ersten Beispiels aus Abbildung 4 sind vielmehr das bitte und das Modalverb koumlnnen (im Zusammenspiel mit dem Konjunktiv II) dafuumlr zustaumlndig dass die Aussage houmlflich wirkt Dies bleibt dort jedoch unberuumlcksichtigt Ob das Beispiel 2 wirklich einen Wunsch zum Ausdruck bringt ist m E diskutabel Beim Beispiel 3 haumlngt die Vermutung mit der Konjunkiv II-Form von duumlrfen zusammen Es handelt sich hierbei um ein inferentiell (auch epistemisch) ver-wendetes Modalverb (BruumlnnerRedder 1983 46ff) Sie fuumlgen hinzu dass nur die Konjunktiv II-Form von duumlrfen inferentiell verwendbar sei (ebd 49)
5 Dies haumlngt wie Thielmann (2015) bereits kritisiert mit einem falschen Verstaumlndnis von Wissen-schaftssprache zusammen naumlmlich dass Wissenschaftssprache mit Fachsprache gleichzusetzen sei und nur ein bestimmtes Inventar an grammatischen Strukturen hinzukomme (ebd 5) Daher sind Umformungsuumlbungen wie sie in diesem Beitrag problematisiert wurden in solchen Lehrmateria-lien nicht unuumlblich Schaut man auf die Grammatikteile von DSH-Pruumlfungen (Pruumlfungszentren
158 Friederike Hinzmann
thentischen Materials gezeigt werden wofuumlr der Konjunktiv II in der Hochschul-kommunikation verwendet wird Die Lernenden koumlnnen anhand solcher Uumlbungen keinen Einblick in die wissenschaftssprachliche Realitaumlt bekommen Bevor ich den Modus unter funktional-pragmatischer Perspektive noch einmal genauer bestimme soll Folgendes abschlieszligend festgehalten werden
Mit dem Konjunktiv Praumlteritum wird ndash gemaumlszlig der Bedeutung des Praumlteri-tums ndash ein Wirklichkeitsausschnitt des Vorstellungsraums definiert der ndash wie im Beispiel ndash zur sekundaumlrenfiktionalen Wirklichkeit und damit hand-lungsleitend werden kann oder ndash wie beim Volitiv oder beim Potentialis ndash bdquonur vorgestelltldquo ist Die Konsequenz ist dann bdquofiktionalldquo (praumlludischer Konjunktiv) oder ein Teil der gemeinsamen Vorstellung von Sprecher und Houmlrer (Volitiv Potentialis) (BredelToumlpler 2009 842f)
32 Der Modus Konjunktiv II
Wie bereits oben angedeutet wurde tragen Bezeichnungen wie Irrealis Potentialis oder auch Modus der Houmlflichkeit nicht der tatsaumlchlichen Leistung des Konjunktivs II in Text bzw Diskurs Rechnung Fuumlr Lernende des Deutschen ist es zudem nicht einleuchtend was Houmlflichkeit und die Verbalisierung von Nicht-Wirklichem ge-meinsam haben Der Konjunktiv II markiert so wurde bereits angedeutet den propositionalen Gehalt als nur mental wirklich weshalb er weniger bdquodirektldquo und dadurch houmlflicher wirkt Folgende Abbildung 5 (nach EhlichRehbein 1986 96 mit Kennzeichnung der Modi durch Redder 1992 134) soll diesen Sachverhalt veran-schaulichen
Abbildung 5 Die Wirklichkeitsdimensionen des sprachlichen Handelns
stellen diese fuumlr Vorbereitungszwecke online) bekommt man sehr schnell einen guten Eindruck von eben dieser falschen Auffassung von Wissenschaftssprache
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 159
Groszlig P steht fuumlr die auszligersprachliche Wirklichkeit mit ΠS und ΠH ist die Wider-spiegelung der Wirklichkeit im Kopf von Sprecher (S) und Houmlrer (H) dargestellt und klein p steht fuumlr die Verbalisierung durch den Sprecher fuumlr den Houmlrer Wie aus der Abbildung hervorgeht werden hier also drei Dimensionen ndash insbesondere ihr Zu-sammenwirken ndash mit Blick auf die Beteiligung von Sprecher und Houmlrer aufgemacht Weiterhin wird deutlich dass der Konjunktiv II die Dimensionen der sprachlichen sowie mentalen Sphaumlre von S und H umfasst6
Der bdquoModusldquo des bdquoKonjunktiv IIldquo ist funktional betrachtet eine Praumldikati-onsform bei der einer Sache Ausdruck verliehen wird insofern und wie sie im Kopf also mental wirklich ist (Redder 1992 133)
Durch die Beruumlcksichtigung der mentalen Dimension kann nachvollzogen werden weshalb Begrifflichkeiten wie Hypothetisches Irrealis und Potentialis sowie Houmlf-lichkeit im Zusammenhang mit der Vermittlung des Konjunktivs II stehen Einher-gehend mit der Annahme einer mentalen Sphaumlre von S und H (ΠSH) kann auch die Ausbildung von Vorstellungsraumlumen erklaumlrt werden Ein Vorstellungsraum ist von dem Wahrnehmungsraum von S und H insofern zu unterscheiden als ersterer dazu dient Imaginiertes fuumlr S und H verfuumlgbar zu machen das im Sprechzeitraum so nicht verfuumlgbar ist (Ehlich 2007 71)7
Anhand der folgenden Analyse authentischer Hochschulkommunikation moumlchte ich dies noch einmal deutlicher machen
4 Analyse authentischer Hochschuldiskurse
Im Folgenden widme ich mich der Analyse authentischen Datenmaterials Fuumlr die-sen Beitrag nutze ich Transkripte einer Sprachwissenschaftsvorlesung eines Litera-turwissenschaftsseminars sowie einer Mathematikuumlbung Die Transkripte sind dem euroWiss-Korpus8 (zum Projekt siehe Thielmann et al 2014 8ff) entnommen Es sind deutschsprachige Lehrveranstaltungen verschiedenen Typs (Vorlesung Semi-nar Uumlbung usw) sowie unterschiedlicher Fachbereiche (Mathematik Germanistik Maschinenbau usw) transkribiert worden
6 Zu den anderen sogenannten Modi sei in Anlehnung an Redder (1992 132ff) nur dies kurz gesagt Der Indikativ erweist sich als ein Modus der hinsichtlich der Wirklichkeitsdimensionen undiffe-renziert ist Der Konjunktiv I hingegen markiert den propositionalen Gehalt nur als verbal wirklich uumlber den Wahrheitsgehalt der Proposition ist hingegen nichts ausgesagt
7 Buumlhler (1999 [1934] 123) spricht hierbei von der bdquoDeixis am Phantasmaldquo 8 Das von der VolkswagenStiftung gefoumlrderte euroWiss-Projekt (bdquoLinguistische Profilierung einer eu-
ropaumlischen Wissenschaftsbildungldquo) hat das Ziel (sprachliche) Verfahren der Vermittlung Bearbei-tung und Aufnahme von wissenschaftlichem Wissen an Hochschulen zu untersuchen Das Korpus umfasst u a Ton- und Videoaufnahmen (ca 350 Stunden auf Deutsch und Italienisch) von Lehr-veranstaltungen verschiedener Typen (Vorlesung Seminar Uumlbung usw) und Faumlcher (Germanistik Mathematik Physik usw) aus Deutschland und Italien Durch dieses Projekt wird ein Beitrag zur Komparatistik der wissensvermittelnden Hochschulkommunikation geleistet (siehe RedderHel-lerThielmann 2014)
160 Friederike Hinzmann
41 Vorlesung Sprachwissenschaft
In der Vorlesung mit dem Titel bdquoSyntaxldquo geht es zunaumlchst um das Praumlsentieren ver-schiedener Sprachbegriffe und der mit ihnen einhergehenden Bestimmung von syn-taktischen Strukturen Ich moumlchte hier zunaumlchst die Vorgeschichte rekonstruieren Der Dozent (Dm22) gibt zu Beginn der Lehrveranstaltung einen kurzen Uumlberblick uumlber das bisher Erarbeitete Damit kann er Wissensstrukturen als gemeinsam geteilt etablieren um sie spaumlter weiter auszubauen bzw zu bearbeiten Es handelt sich um eine Veranstaltung fuumlr Bachelor-Germanistik-Studierende Thematisch geht es im gegebenen Transkriptausschnitt um verschiedene Syntax-Modelle die auf einem spezifischen Sprachbegriff basieren Anschlieszligend wird die Auffassung Buumlhlers (Sprache als Werkzeug) vorgestellt
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 161
Schauen wir uns zunaumlchst den Konditionalsatz in Aumluumlszligerung 33 etwas genauer an
Wenn Sprache Werkzeug ist dann muumlssten die einzelnen sprachlichen Mit-tel sozusagen auch Werkzeug grammatischer Art und sie muumlssten so in ih-rem Zusammentreten so beschreibbar sein dass man sagen kann wie aus dem Zusammentreten dieser kleinsten Handlungseinheiten eine komplexe sprachliche Handlung sich aufbaut (Aumluszligerung 33)
Diese Aumluszligerung beginnt mit einem durch wenn eingeleiteten konditionalen Neben-satz bdquoWenn Sprache Werkzeug ist [hellip]ldquo Auffaumlllig ist an diesem dass ndash anders als in den Beispielen oben aus den Lehrwerken ndash der konditionale Nebensatz kein Finitum im Konjunktiv II enthaumllt sondern im Indikativ Wie ist dies zu begruumlnden Auf die-ser Annahme basieren die im Hauptsatz realisierte Folge bzw Explikation der An-nahme Diese sind im Modus des Konjunktivs II realisiert da etwas Hypothetisches aus der Annahme abgeleitet wird Ferner sind die propositionalen Gehalte (die An-nahme) mit dem Wissen von S vereinbar Deshalb haben wir es mit einem konditi-onalen Nebensatz im Indikativ zu tun (Zifonun 1997 1746) Dennoch handelt es sich hierbei um hypothetisches Argumentieren wobei aber auf die Wahrscheinlich-keit der Annahme (p) abgehoben wird (ebd) Die Folge die im Konjunktiv II for-muliert ist markiert mental vorhandene Wissenselemente die unter der Bedingung p gelten Mit dem generalisierenden man kann der Dozent also hier einen Ansatz etablieren der in der Nachgeschichte noch relevant sein wird Die Folgeaumluszligerungen sind dann wieder im Indikativ formuliert da es sich hierbei illokutiv um Assertionen handelt die dem Wissenstransfer dienen (Redder 1992 132) Hypothetisches Argu-mentieren dient mithin der Wissensvermittlung Zunaumlchst wurde ein mentaler Vor-stellungsraum eroumlffnet Dieser diente S und H als Grundlage fuumlr die anschlieszligende Aumluszligerung die im Indikativ verfasst wurde Diese Wissensstrukturen werden dann in der Nachgeschichte refokussiert und weiter ausgebaut (Aumluszligerung 34)
Nun soll es um eine studentenseitige Ausbildung eines Vorstellungsraumes aus der-selben Lehrveranstaltung gehen Zu Beginn der Vorlesung ging es wie wir im ersten
[47]
34 Dm22 [v] sprachliche Handlung sich aufbaut bull bull bull Eine solche Syntax kann man aber nicht mehr Dm22 [nv]
[48]
schnell Dm22 [v] von Wortarten machen bull bull weil bull so eine Kategorie wie Substantiv oder Verb ja nicht
- Dm22 [nv]
[49]
35 Dm22 [v] beschreibt wozu so ein sprachliches Mittel gut ist ((14s)) Das heiszligt bull die bull kleinsten bull Dm22 [nv] reibt Daumen und Finger der linken Hand
162 Friederike Hinzmann
Beispiel gesehen haben um die Vermittlung verschiedener Sprachbegriffe und der mit denen einhergehenden Wortartenkategorisierung Ziel war es anhand der kriti-schen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansaumltzen einen neuen und vom Dozenten vertretenen Ansatz der Funktionalen Pragmatik zu vermitteln Der naumlchste Transkriptausschnitt zeigt hier eine Passage in der Dozent Dm22 die No-minalphrase bdquoder Tischldquo aus funktional-pragmatischer Sicht beschreibt Der Dozent Dm22 ist dabei den Studierenden das Verhaumlltnis zwischen Determinator (Artikel) und Substantiv (Symbolfeldausdruck) zu erklaumlren Folgende Abbildung (nach Thiel-mann 2009a 61) entspricht dem als Grundlage der Erklaumlrung dienenden Tafelbild
Abbildung 6 Nominalphrase bdquoder Tischldquo
Der Student Sm1 zeigt nach der Erklaumlrung durch Melden an dass er eine Frage zum vom Dozenten Erklaumlrten hat
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 163
Der Redebeitrag von Sm1 beginnt mit dem operativen aber wodurch der Sprecher eine in Bezug auf das zu verhandelnde Wissen bestehende Diskrepanz signalisiert Bei dem studentischen Beitrag handelt es sich im Allgemeinen um eine Verbalisie-rung komplexer mental stattgefundener Wissensbearbeitungsprozesse die fuumlr eine dozentenseitige Bewertung bzw houmlrerseitige Absicherung praumlsentiert werden Durch das zwar personale aber doch aktantenunspezifische man und die Nutzung des Konjunktivs II von muumlssen werden die propositionalen Gehalte der Aumluszligerung unter Realisierungsbedingungen gestellt9 Mithin ist hier von einem von Sm1 verba-lisierten Vorschlag im geteilten Vorstellungsraum (ΠSH) zu sprechen der der do-zentenseitigen Bewertung bedarf da eine Diskrepanz hinsichtlich des studentischen Wissens zum vorher vermittelten Wissen besteht Die Bewertung durch den Dm22 erfolgt sodann in der Nachgeschichte
9 M E haumlngt dies auch mit der bdquoUnterbrechungldquo des Dozenten waumlhrend der Vorlesung zusammen
Da es ja eigentlich unuumlblich ist dass Studierende waumlhrend einer Vorlesung sich unaufgefordert melden muss der Student nun seinen Beitrag an dieser Stelle bezogen auf die Wissensprozessierung als berechtigt anzeigen
164 Friederike Hinzmann
Die Nachfrage des Studenten erfaumlhrt eine positive Bewertung durch den Dozenten (Aumluszligerungen 265ff) Dm22 nutzt sie daruumlber hinaus zur weiteren Strukturierung und Erarbeitung des bereits vermittelten Wissens und erklaumlrt dass der Student hier einen Aspekt angesprochen hat der bisher vernachlaumlssigt wurde aber durchaus nouml-tig ist (Aumluszligerungen 266f)10 RedderThielmann (2015) haben studentische Fragen mit Blick auf die Wissensaneignung untersucht und festgestellt dass solche Fragen im Zuge der studentischen Aneignung des Wissens sowie dessen Bearbeitung (im ΠH-Bereich) funktionalisiert werden (vgl ebd 345) Durch Nutzung des Konjunk-tivs II wird der Beitrag des Studenten nur unter spezifischen Realisierungsbedingun-gen als wahr markiert Die Verbalisierung seines Wissensbearbeitungsprozesses und des identifizierten Defizits erfolgen somit in einem bdquogeschuumltztenldquo Raum da sie nur als mental wirklich ausgewiesen werden
42 Seminar Literaturwissenschaft
Im folgenden Transkriptausschnitt aus einem Seminar aus der Literaturwissenschaft mit dem Thema DDR-Lyrik zeigt die an ein studentisches Referat anschlieszligende Kritik des Dozenten Zuvor hat eine Referatsgruppe ihre Gedichtinterpretation in Zusammenhang mit historischen Ereignissen gebracht Diesen Loumlsungsversuch der Studierenden nimmt der Dozent Dm19 nun auf
10 Die Berechtigung dieses Beitrags durch den Studenten an dieser Stelle gilt nun als offiziell herge-
stellt bzw bestaumltigt
[146]
143 Dm19 [v] politisch-historische aber auch kulturelle bull Situation bull Sie ham jetzt grade also das ist
[147]
Dm19 [v] mit Sicherheit richtig also das muumlssen wir annehmen wir muumlssen da ne Schnittmenge
[148]
144 Dm19 [v] annehmen bull bull annehmen ne sonst ergibt es einfach keinen Sinn bull ja bull Aumlh wenn also
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 165
Der mentale kollektiv geteilte (wir) Vorstellungsraum wird mittels annehmen verbal aufgemacht (Aumluszligerung 143) und weiter ausgebaut
Betrachten wir nun wieder den Konditionalsatz (Aumluszligerung 144) aus diesem Beleg
Wenn die Literatur immer vollstaumlndig losgeloumlst waumlr von der Sozialge-schichte und das haben ja im ersten Semester gesehen das ist in der Regel nicht der Fall ja dann braumluchten wir auch so etwas wie eben sozialgeschicht-liche Literaturinterpretation nicht ja (Aumluszligerung 144)
Der konditionale Nebensatz gibt eine Annahme des Dozenten wieder Waumlhrend der erste analysierte Konditionalsatz noch im Indikativ formuliert war da der proposi-tionale Gehalt der Aumluszligerung mit dem Sprecher-Wissen vereinbar ist haben wir es in diesem Beispiel mit einem Konditionalsatz im Konjunktiv II zu tun Die Propo-sition ist nun nicht mit dem Wissen des Sprechers (ΠS) vereinbar Die Begruumlndung fuumlr die wissensbezogene Divergenz liefert der Dozent direkt im Anschluss Die Nut-zung des durch den Konjunktiv II markierten Vorstellungsraums hebt auf die spe-zifische Wissensbearbeitung ab Es handelt sich hierbei allerdings nicht (wie noch im ersten Beispiel) um fachliches Wissen sondern um methodisches Wissen Die Studierenden sollen lernen wie sie an literarische Texte analytisch bzw interpretativ herangehen sollen Daruumlber hinaus wird in der Nachgeschichte ein Aspekt vertie-fend wiederaufgegriffen (Aumluszligerung 146)
[148]
144 Dm19 [v] annehmen bull bull annehmen ne sonst ergibt es einfach keinen Sinn bull ja bull Aumlh wenn also
[149]
Dm19 [v] die Literatur immer vollstaumlndig losgeloumlst waumlr von der Sozialgeschichte und das haben wir
[150]
Dm19 [v] ja im ersten Semester gesehen bull dass aumlh ist in der Regel nich der Fall bull ja dann
[151]
Dm19 [v] braumluchten wir auch so etwas wie eben sozialgeschichtliche Literaturinterpretationen
[152]
145 Dm19 [v] nicht ja bull Sie haben jetzt n Argument dafuumlr gegeben warum das hier besonders triftig
166 Friederike Hinzmann
Wie deutlich wurde geht es Dm19 hier weniger um die Vermittlung fachlichen Wis-sens denn um die Vermittlung methodischen Wissens Dafuumlr nutzt er die Phase die an das Referat anschlieszligt die nach Guckelsberger (2005) als bdquoDiskussionsphaseldquo bezeichnet werden kann (ebd 197) Zweck eines muumlndlichen Referats im universi-taumlren Lehr-Lern-Diskurs ist nach Guckelsberger (2005 39) die bdquofachliche und wis-senschaftsmethodische Qualifizierungldquo der Studierenden Hinzu kommt die in der Vorbereitung bdquointensive und eigenstaumlndige Auseinandersetzung mit einem wissen-schaftlichen Themaldquo (ebd) wobei die Studierenden hierbei die wissenschaftlichen Texte einschaumltzen bewerten einordnen etc muumlssen Der im Kollektiv etablierte Vorstellungsraum dient also der Bearbeitung von spezifischen Wissenselementen wodurch ein studentischer Beitrag aus der Vorgeschichte weiterbearbeitet wurde Mithilfe des mentalen Vorstellungsraums sind mithin bestimmte propositionale Ge-halte zum Zweck der Wissensprozessierung bearbeitet worden Denn der Dozent zielt auf die Vermittlung einer zum studentischen Beitrag entge-gengesetzten Positionierung ab Im Folgenden moumlchte ich die bisherigen Uumlberle-gungen zur Nutzung eines Vorstellungsraums fuumlr die Wissensvermittlung auf einen Ausschnitt aus einer Mathematikuumlbung beziehen und vertiefen
43 Uumlbung Mathematik
Der zu untersuchende Transkriptausschnitt zeigt dass eine Studentin die Loumlsung einer Uumlbungsaufgabe an der Tafel vorgibt11 Dies stellt ihren Loumlsungsversuch (Eh-lichRehbein 1986 21ff) dar Diesen stellt sie der Bewertung durch die Dozentin
11 In dem Aufsatz von Krause (2015) ist eine ausfuumlhrliche Analyse des Transkriptausschnittes zu
finden
[152]
145 Dm19 [v] nicht ja bull Sie haben jetzt n Argument dafuumlr gegeben warum das hier besonders triftig
[153]
146 Dm19 [v] sein Fall kann im Fall der DDR Was ist denn dann bei der DDR nach dem Mauerbau
[154]
Dm19 [v] anders als zum Beispiel nehmen wir die Vergleichslaumlnder bull Oumlsterreich oder Schweiz
[155]
147 148 Dm19 [v] bull bull Sind ja auch andere Laumlnder bull bull aber bull bull deutschsprachige Literatur bull Keiner wird
[156]
149 Dm19 [v] sagen dass die DDR-Literatur keine deutschsprachige Literatur waumlre ja bull Aber was ist
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 167
zur Verfuumlgung Die Aufgabe die zuvor gestellt wurde besteht in dem Finden einer Rekursionsformel fuumlr die Berechnung der Formel in (a)
(a) 119868119899(119909) = int119889119909
cos119899 119909 (b) (HA) 119878119899(119909) = int sin119899 119909 119889119909
Die Berechnung von Rekursionsformeln gilt als Uumlbung in Anschluss an die Vorle-sung in der die Berechnung von Rekursionsformeln vermittelt wurde Die Dozentin geht in der Uumlbung interaktiv vor und ruft einzelne Studierende fuumlr die Beantwortung ihrer Fragen auf So kann sie uumlberpruumlfen ob das in der Vorlesung vermittelte Wissen von den Studierenden erworben wurde Mithin wird deutlich dass in der Uumlbung kein curricular neues Wissen vermittelt wird weil sie bereits erworbenes in Anspruch nimmt Krause (2015) hat im Zusammenhang mit der Analyse von Uumlbungen aus dem Fach Mathematik festgestellt dass es um die Vermittlung und den Erwerb von bdquomathematischer Problemloumlsungskompetenzldquo geht Die Dozentin als Sachautoritaumlt mit ihrem spezifischen Dozentenwissen unterstuumltzt das Probehandeln der Studen-ten in der Uumlbung Dennoch muumlssen die Studierenden ihre Loumlsungsversuche verba-lisieren damit eine dozentenseitige Bewertung dieser erfolgen kann (ebd 209)
Zunaumlchst bringt die Dozentin Df17 das zu bearbeitende Wissensthema zur Sprache (Aumluszligerung 16) um anschlieszligend den Studierenden mittels bdquoVorschlaumlgeldquo in 17 di-rekt in die Wissensvermittlung miteinzubeziehen Dabei handelt es sich um eine recht oumlkonomische Variante der Verbalisierung einer Handlungsaufforderung Es ist also davon auszugehen dass den Studierenden dieses diskursive Erarbeiten von Aufgabenstellungen bereits bekannt ist In 18 wird dann der Vorstellungsraum er-oumlffnet Das kollektive wir soll den Aspekt der gemeinsamen Loumlsungserarbeitung her-vorheben denn die Dozentin antizipiert die Prozessierung des Loumlsungswegs12 Der
12 Sie koumlnnte selbstverstaumlndlich sofort die Loumlsung liefern ndash das wuumlrde aber dem Zweck der Vermitt-
lung von Problemloumlsungswissen entgegenwirken Vielmehr so Krause (2015 214) werden die
[12]
15 16
Df17 [v] erinnern bull bull bull Ja Es geht also um ne Rekursionsformel von diesem Ding Df17 [nv] blickt zur Aufgabenstellung waumlhrend sie von einer Seite der Tafel zur anderen geht
[13]
17 18
Df17 [v] ((14s)) Vorschlaumlge Wie koumlnnt mer denn da mal rangehen bull aumlh dass mer Df17 [nv]
[14]
19
Df17 [v] da ne Rekursionsformel kriegen ((11s)) Was koumlnnt mer da versuchen Df17 [nv] blickt ins Plenum blickt zur Tafel
168 Friederike Hinzmann
Konjunktiv II von koumlnnen hebt auf das fachliche Koumlnnen der Studierenden ab Es werden also Loumlsungsvorschlaumlge erbeten die hinsichtlich des Wissensstands der Stu-dierenden bzw der aktuellen Interaktionsbedingungen relativiert werden Durch die sprecherseitige Verwendung des Konjunktivs werden die Loumlsungsversuche zudem als hypothetisch ausgewiesen Damit kann ein (sanktionsfreies) Ausprobieren von Loumlsungsversuchen der Studierenden offeriert werden Dies mindert den Druck auf die Studierenden selbst die dann wohl eher dazu geneigt sind sich zu melden und Vorschlaumlge zu machen Diese Form der dozentenseitig ausgefuumlhrten Einbeziehung der Studierenden ist zum einen auf die Veranstaltungsform Uumlbung selbst zuruumlckzu-fuumlhren zum anderen traumlgt sie auch dem Vermittlungszweck Rechnung Denn es geht hier nicht um erwartete Standardloumlsungen d h Aufgabenloumlsungswissen wie es bei dem Muster Problemloumlsen erwartbar waumlre sondern um ein Ausprobieren von ver-schiedenen Loumlsungswegen zum Zweck des Erwerbs mathematischer Problemlouml-sungskompetenz (vgl Krause 2015 206) Die Dozentin verfuumlgt bereits uumlber das Louml-sungswissen nun geht es ihr darum dass die Studierenden lernen uumlber welche ma-thematischen Wege man zur Loumlsung kommen kann Es handelt sich mithin um die Vermittlung von Problemloumlsungswissen (vgl ebd) Die Ausbildung eines mentalen Vorstellungsraums dient also dem studentischen Probehandeln sowie dem Steuern und Entschleunigen der Wissensbearbeitung
Der naumlchste Transkriptausschnitt aus derselben Veranstaltung zeigt wie die Do-zentin den Vorstellungsraum weiter mit einzelnen Wissenselementen anreichert um die Vermittlung des Problemloumlsungswissens voranzutreiben
mentalen Prozesse durch die Dozentin gesteuert und entschleunigt Durch diese bdquoverbalisierte Ent-schleunigung mentaler Prozesseldquo (ebd) koumlnnen die Studierenden ein Bewusstsein fuumlr diese ausbil-den
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 169
Zunaumlchst wiederholt sie in Aumluszligerung 21 das gemeinsame Handlungsziel und steckt dabei die begrifflichen Gegenstaumlnde ab Der Indikativ markiert hier deutlich dass es sich um ein in der aktuellen Sprechsituation zu verortendes Handlungsziel von Spre-cher und Houmlrer handelt Dies steht ndash sprechhandlungsanalytisch gesprochen ndash in Opposition zur Folgeaumluszligerung in der mithilfe des Konjunktivs II die Folge (bdquodas waumlr dann ne sogenannte Drei-Term-Rekursionldquo) unter Voraussetzung der hypothe-tisch gegebenen Bedingungen (bdquoOder in Abhaumlngigkeit von l n minus ein und l n minus 2ldquo) verbalisiert wird Zudem wird hier deutlich dass durch die Nutzung eines mentalen Vorstellungsraums auch die Beziehung der mathematischen Gegenstaumlnde zueinander dargestellt werden kann Df17 steuert weiter die Loumlsungserarbeitung und antizipiert sogleich den Loumlsungsprozess
Sodann verfaumlhrt Df17 weiter damit Loumlsungsvorschlaumlge der Studierenden in einem bdquogeschuumltztenldquo Raum der qua Konjunktiv II sozusagen eroumlffnet wird einzufordern (Aumluszligerung 24) Auch hier markiert die Opposition zwischen Indikativ und Kon-junktiv II deutlich inwiefern Wissensbestaumlnde zunaumlchst mental erarbeitet werden (Konjunktiv II in Aumluszligerung 24) oder aber praumlsupponiert werden So wird in Aumluszliger-ung 25 auf bereits etabliertes Wissen verwiesen
44 Fazit der Beleganalyse
Wie aus der Analyse von Ausschnitten aus der Germanistik (Vorlesung Seminar) und der Mathematik (Uumlbung) hervorging wird der Modus Konjunktiv II in der dis-kursiven Wissensvermittlung zur Ausbildung von mentalen Vorstellungsraumlumen ge-nutzt In diesen werden die propositionalen Gehalte mittels Konjunktiv II als nur
[19]
23
Df17 [v] Rekursion bull bei der drei Terme eingehen ne bull bull Aumlh das muumlsst mer also Df17 [nv] zeigt mit der rechten Hand drei Finger
[20]
Df17 [v] auszligerdem jetzt auch noch erhalten in in welcher Form die Rekursion
[21]
24
Df17 [v] vorliegt ne ((1s)) Nu(r) welches Integral aumlh bull bull fuumlr welches n waumlr Df17 [nv] zeigt auf n aus 2) schaut
[nn] ((Raumluspern))
[22]
25
Df17 [v] denn ganz einfach ((23s)) (Und) da kenn wir sofort die Stammfunktion Df17 [nv] ins Plenum zeigt auf Sm1
170 Friederike Hinzmann
mental wirklich qualifiziert Sprecher und Houmlrer teilen den mentalen Vorstellungs-raum und bearbeiten hier Wissenskomplexe und -strukturen Beispielsweise dient der mentale Vorstellungsraum Studierenden zur Verbalisierung von Loumlsungsvor-schlaumlgen Insofern zeigt sich hierin ein Verfahren der Umsetzung des Konzepts der diskursiven Wissensvermittlung (Kapitel 2)
Ferner wurde deutlich dass der Konjunktiv II ndash entgegen der in den Lehrmate-rialien der studienvorbereitenden Deutschkurse praumlsentierten Vorstellung ndash zum Zwecke der Wissensvermittlung funktionalisiert ist Daruumlber hinaus wurde seine spezifische Funktionalitaumlt nur mit Einbezug der Vor- sowie Nachgeschichte sicht-bar Das zeigt mithin dass die Einfuumlhrung dieses Modus insbesondere fuumlr die Ver-mittlung des Deutschen als fremder Wissenschaftssprache uumlberdacht werden sollte Die Nutzung von Ergebnissen aus Analysen von authentischer Hochschulkommu-nikation ist hierbei notwendig
5 Konsequenzen fuumlr die Fremdsprachenvermittlung
In diesem Beitrag wurde gezeigt dass die bisherigen Darstellungen zum Konjunktiv II in Lehrmaterial fuumlr studienvorbereitende Deutschkurse der tatsaumlchlichen Leistung dieses Modus nicht Rechnung tragen Mit Bezug auf das oben abgebildete Modell der Wirklichkeitsdimensionen (Abb 5) beim sprachlichen Handeln sei Folgendes festzuhalten
Mithin wird eine recht komplexe Relation von Π (-p) in Opposition zu P kommuniziert bdquoHypothetischeldquo oder bdquokonditionaleldquo Funktionsbestimmun-gen des Konjunktiv II in der Literatur reflektieren einerseits die mentale und ndash im Falle der Hypothese ndash verbale Bindung des Praumldikats verallgemeinern jedoch andererseits begrifflich eine bestimmte Wissensstruktur bzw einen spezifischen Wissenszusammenhang (Redder 1992 133)
Daruumlber hinaus sollten Erkenntnisse aus Analysen der Hochschulkommunikation fuumlr eine Didaktik des Deutschen als fremder Wissenschaftssprache fruchtbar ge-macht werden Das heiszligt auch dass Transkripte oder Videoausschnitte als Grund-lage dienen koumlnnen anhand derer am besten Funktionsweisen im sprachlichen Han-deln selbst auf den Grund zu gehen ist Auf diese Weise bekommen Lernende au-thentischere Eindruumlcke von der Hochschulkommunikation in Deutschland Zudem wird Hochschullehre nicht nur als dozentenseitiger Monolog dargestellt Wie auszliger-dem deutlich wurde sind sowohl Studierende als auch Dozierende an Wissenserar-beitung sowie -vermittlung beteiligt ndash unabhaumlngig von Fach und Lehrveranstaltungs-typ Luumlckentexte oder derartige Einsetzuumlbungen koumlnnen vielleicht der formalen Seite (formale Bildung des Konjunktivs II) nuumltzen zielen jedoch nicht auf die sprachliche Qualifizierung eines Handelnden an der Universitaumlt ab
Der Konjunktiv II in der wissensvermittelnden Lehre 171
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Machtausuumlbung durch einsprachiges Schreiben Zwei Stufen kommunikativer Effizienz
Kristina Pelikan (BaselBerlin) amp Thorsten Roelcke (Berlin)
1 Einleitung
Internationale Zusammenarbeit in Forschung und Lehre ist in der Wissenschaft laumlngst Usus geworden Schriftlichkeit spielt hierbei eine zentrale Rolle zieht sich doch medial schriftliche Kommunikation wie ein roter Faden durch jedes For-schungsprojekt Dabei werden Texte von verschiedenen Projektmitgliedern verfasst sei es in der eigenen Muttersprache oder in einer Fremdsprache ndash einzeln oder ge-meinsam Der vorliegende Beitrag zeigt die unterschiedlichen Formen kollaborati-ven Schreibens auf und arbeitet dabei heraus welchen Einfluss die wechselnde Au-torschaft und die unbewusste bzw bewusste Wahl von Autoren (Jeffery 2014) auf die internen Machtverhaumlltnisse eines Forschungsprojektes haben Machtverhaumlltnisse treten im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit in unterschiedlichen Situ-ationen zutage ndash so insbesondere auch bei der schriftlichen Kommunikation in For-schung und Lehre Mit dem Ziel Wissensvermittlung und Wissenserwerb durch Ge-schriebenes und aktives Schreiben zu unterstuumltzen ist es daher durchaus als eine Strategie der Machtausuumlbung anzusehen in Forschung und Lehre epistemisches Schreiben in einer Fremdsprache zu ermoumlglichen Gibt es eine Synergie zwischen den Machtverhaumlltnissen interner Wissenschaftskommunikation und der in For-schung und Lehre angestrebten kommunikativen Effizienz (Roelcke 2002a 2002b) bzw was ist effiziente Kommunikation in einem solchen Setting Diese Frage soll hier mit einem zweistufigen Model fuumlr effiziente Kommunikation werden (Peli-kanJefferyRoelcke iE)
176 Kristina Pelikan amp Thorsten Roelcke
2 Wissenschaftliche Mehrsprachigkeit
Wissenschaft ist vielsprachig da sie von Menschen in jeder Sprache betrieben wer-den kann und in jeweils eigener Auspraumlgung auch betrieben wird Diese wissen-schaftssprachliche Pluralitaumlt stellt fuumlr die wissenschaftliche Zusammenarbeit uumlber die Grenzen einzelner sprachlicher Gemeinschaften hinaus eine kommunikative Herausforderung dar der auf verschiedene Art und Weise begegnet werden kann (Roelcke 2015a) Neben fachlicher Sprachmittlung durch Uumlbersetzung und Dolmet-schen (Heidrich 2016 Stolze 2009) und echter Mehrsprachigkeit der beteiligten Per-sonen die sich der betreffenden Einzelsprachen in der Produktion und Rezeption von fachlichen Texten gleichermaszligen bedienen bzw bedienen koumlnnen (Roelcke 2016) besteht eine Strategie in der fachkommunikativen Priorisierung des Ge-brauchs einer einzigen oder einiger weniger Einzelsprachen Der Gebrauch einer solchen internationalen neben einer nationalen Wissenschaftssprache hat im euro-paumlischen Raum eine lange Tradition die sich insbesondere in der lateinischen Lingua franca im Mittelalter und in der fruumlhen Neuzeit sowie seit dem Ersten Weltkrieg in der zunehmenden Sprachhegemonie eines mehr oder weniger global verwendeten Englisch zeigt Die oumlffentliche und akademische Diskussion um eine nationale deut-sche und eine internationale lateinische (von Polenz 1994 347ff Roelcke 2014 39ff) bzw englische Wissenschaftssprache (DebusKollmannPoumlrksen 2000 Am-mon 2015) laumlsst deutlich werden dass eine solche priorisierte Mehrsprachigkeit bzw internationale Einsprachigkeit aus pragmatischen politischen und linguistischen Gruumlnden als problematisch empfunden wird (Roelcke 2015b)
Schlagwortartig kann die aktuelle Diskussion um den wissenschaftlichen Ge-brauch der englischen Sprache mit der provokanten Formel bdquoPublish in English or perish in Germanldquo (Gnutzmann 2015) zusammengefasst werden Stellt sich doch fuumlr viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Gegenwart die Frage ob sie im Falle von Veroumlffentlichungen in deutscher Sprache uumlberhaupt noch hinrei-chend wahrgenommen werden und letztlich mit Blick auf ihre internationale Sicht-barkeit nicht auf Veroumlffentlichungen in englischer Sprache angewiesen sind Diese Entwicklung hat in den Natur- und Sozialwissenschaften als weitgehend abgeschlos-sen zu gelten und spiegelt sich letztlich in den einschlaumlgigen Fachzeitschriften und deren Journal Impact Factor (JIF) wider indessen dauert diese Entwicklung im Be-reich der Geisteswissenschaften noch an und wird hier sicher eine andere Entwick-lung nehmen Die mehrsprachliche Situation im Bereich wissenschaftlicher Publika-tionen war bislang wiederholt Gegenstand sprachwissenschaftlicher und wissen-schaftspolitischer Untersuchungen (vgl oben) Mit Blick auf den Bereich internati-onaler wissenschaftlicher Forschungsprojekte ist sie jedoch bislang nicht themati-siert worden obwohl die kommunikativen Verhaumlltnisse hier bisweilen aumluszligerst kom-plex sind (PelikanRoelcke 2017) und mitunter auffaumlllige persoumlnliche fachliche und sprachliche Asymmetrien zeigen (AlnajjarPelikanWassermann 2016) Dabei stellt sich nun die Frage ob oder besser wie solche Asymmetrien die wissenschaftliche Auseinandersetzung beeinflussen indem der Gebrauch einer fremden Sprache als
Machtausuumlbung durch einsprachiges Schreiben 177
internationale Lingua Franca ein Mittel der Ausuumlbung von Macht darstellt und unter Umstaumlnden eine effiziente Kommunikation be- wenn nicht verhindert Um diese Frage zu beantworten wird im Folgenden zunaumlchst ein allgemeines Modell sprach-licher Effizienz (in starker Vereinfachung und aumluszligerungsbezogener Perspektive) vorgestellt (zum gesamten Modell Roelcke 2002a 2002b) um im Anschluss hieran exemplarisch die kommunikativen Verhaumlltnisse innerhalb eines internationalen For-schungsprojektes zu skizzieren
3 Kommunikative Effizienz
Sprachliche Oumlkonomie und kommunikative Effizienz stellen immer wieder zentrale Gegenstaumlnde sprachwissenschaftlicher Forschung dar zu denken ist hier etwa an theoretische Ansaumltze der Sprachstatistik diverse Modelle sprachlichen Wandels oder Konzeptionen des Minimalist Programms und der Optimalitaumltstheorie All diesen Modellen und Konzeptionen ist gemeinsam dass sie von einem kommunikativen Aufwand ausgehen mit dem ein kommunikatives Ergebnis erzielt wird (Roelcke 2002 103ff 2005 781ff) Waumlhrend das Verhaumlltnis von Aufwand und Ergebnis in einer alltagsnahen Vorstellung meist unbestimmt bleibt wird dieses in einem vor-wissenschaftlichen Verstaumlndnis oftmals mit dem Prinzip eines minimalen Aufwands bei einem maximalen Ergebnis erfasst Dieses sog Min-Max-Prinzip erweist sich jedoch als wissenschaftlich nicht haltbar da mit einem geringst moumlglichen Aufwand nicht ein houmlchst moumlgliches Ergebnis erzielt werden kann Aus diesem Grund er-scheint es sinnvoll zur Erfassung sprachlicher Oumlkonomie bzw kommunikativer Ef-fizienz auf eine wirtschaftswissenschaftliche Vorstellung zuruumlckzugreifen der zu Folge entweder ein bestimmtes Ergebnis mit einem Minimum an Aufwand (Auf-wandeffizienz) oder ein bestimmter Aufwand mit einem maximalen Ergebnis (Er-gebniseffizienz) in Verbindung gebracht wird
Dieses Modell laumlsst sich tatsaumlchlich gut auf menschliches Handeln im Allgemei-nen sowie auf sprachliche Kommunikation im Besonderen uumlbertragen (auf eine sys-temlinguistische Interpretation des Modells wird hier verzichtet ndash siehe hierzu Ro-elcke 2002) Als Aufwand sind dabei die sprachlichen Aumluszligerungen selbst anzusetzen deren Quantitaumlt und Qualitaumlt sich aus dem Gebrauch lexikalischer Elemente und syntaktischer Regeln innerhalb eines bestimmten Textes ergeben Das Ergebnis sprachlicher Kommunikation besteht demgegenuumlber in der Bedeutung bzw nach Buumlhler (1934 28) etwa in der Symptom- Symbol- und Appellfunktion die ein sol-cher Text entfaltet Auf der Grundlage dieser einfachen Bestimmungen lassen sich nun Effektivitaumlt und Effizienz sowie Ineffektivitaumlt und Ineffizienz sprachlicher Kommunikation naumlher bestimmen (vgl Abbildung 1)
Effektive Kommunikation besteht dann wenn die Symptom- die Symbol- und die Appellfunktion eines Textes unabhaumlngig von der Quantitaumlt und Qualitaumlt seiner lexikalischen Elemente und syntaktischen Regeln erfuumlllt werden
178 Kristina Pelikan amp Thorsten Roelcke
Effiziente Kommunikation besteht entweder dann wenn eine bestimmte Symp-tom- Symbol- und Appellfunktion eines Textes bei minimaler Quantitaumlt und Qualitaumlt seiner lexikalischen Elemente und syntaktischen Regeln erfuumlllt wer-den (kommunikative Aufwandeffizienz) oder dann wenn eine maximale Symptom- Symbol- und Appellfunktion eines Textes bei bestimmter Quan-titaumlt und Qualitaumlt seiner lexikalischen Elemente und syntaktischen Regeln er-fuumlllt werden (kommunikative Ergebniseffizienz)
Ineffektive Kommunikation besteht dann wenn die Symptom- die Symbol- und die Appellfunktion eines Textes unabhaumlngig von der Quantitaumlt und Qualitaumlt seiner lexikalischen Elemente und syntaktischen Regeln nicht erfuumlllt werden
Ineffiziente Kommunikation besteht dann wenn die Symptom- die Symbol- und die Appellfunktion eines Textes bei nicht minimaler (also einer houmlheren) Quantitaumlt und Qualitaumlt seiner lexikalischen Elemente und syntaktischen Re-geln erfuumlllt werden
Abbildung 1 Effektivitaumlt und Effizienz menschlichen Handelns (nach Roelcke 2007 15)
Mehrsprachige Kommunikation ndash in Projekten oder in anderen Zusammenhaumlngen menschlichen Handelns ndash stellt nun einen besonderen Fall sprachlicher Kommuni-kation dar und kann ebenfalls aus dem Blickwinkel sprachlicher Oumlkonomie bzw
Machtausuumlbung durch einsprachiges Schreiben 179
kommunikativer Effizienz betrachtet werden Den Aufwand bildet hierbei der Ge-brauch verschiedener Sprachen die mehr oder weniger gut gemittelt (uumlbersetzt oder gedolmetscht) oder mehr oder weniger gut beherrscht (produziert und rezipiert) werden Das Ergebnis besteht im schlechteren Falle der kommunikativ in einem vollwertigen Beitrag aller Beteiligten die sich jeweils auf dem eigenen erstsprachli-chen Niveau bewegen (koumlnnen und nicht auf den erschwerenden Gebrauch einer fuumlr sie fremden Sprache ausweichen muumlssen) im besseren Falle daruumlber hinaus in einem kommunikativen Mehrwert der sich aus der Vielfalt der Sprachen sowie der damit verbundenen Sichtweisen auf die Welt ergibt Vor dem Hintergrund dieser Uumlberlegungen lassen sich nun Effektivitaumlt und Effizienz sowie Ineffektivitaumlt und Ineffizienz mehrsprachlicher Kommunikation wie folgt bestimmen
Effektive mehrsprachige Kommunikation besteht dann wenn der kommunikative Beitrag aller Beteiligten unabhaumlngig von dem Aufwand bei Mittlung oder Be-herrschung verschiedener Sprachen geleistet wird
Effiziente mehrsprachige Kommunikation besteht dann wenn ein bestimmter kom-munikativer Beitrag aller Beteiligten mit einem minimalen Aufwand bei Mitt-lung oder Beherrschung verschiedener Sprachen geleistet wird (mehrspra-chige Aufwandeffizienz) oder dann wenn ein maximaler kommunikativer Beitrag aller Beteiligten mit einem bestimmten Aufwand bei Mittlung oder Beherrschung verschiedener Sprachen geleistet wird (mehrsprachige Ergeb-niseffizienz)
Ineffektive mehrsprachige Kommunikation besteht dann wenn ein bestimmter kom-munikativer Beitrag aller Beteiligten unabhaumlngig von dem Aufwand bei Mitt-lung oder Beherrschung verschiedener Sprachen nicht geleistet wird
Ineffiziente mehrsprachige Kommunikation besteht dann wenn ein bestimmter kommunikativer Beitrag aller Beteiligten nicht mit einem minimalen (also ei-nem houmlheren) Aufwand bei Mittlung oder Beherrschung verschiedener Spra-chen geleistet wird
4 Projektkommunikation
Ein Projekt ist ein zeitlich begrenztes Vorhaben das unternommen wird um ein einzigartiges Produkt eine einzigartige Dienstleistung oder ein einzigartiges Ergeb-nis zu erstellen (PMBOK Guide 2013 2) Die Kommunikation in Projekten unter-scheidet sich in Wissenschaft und Wirtschaft somit von der laumlngerfristigen oder gar dauerhaften Interaktion zwischen den verschiedenen Kommunizierenden Dennoch stehen Projekte nicht fuumlr sich sie sind an Unternehmen oder Institute gebunden Daraus folgt dass die Konzeptionen Bedingungen Kontexte etc dieses Umfelds auch fuumlr das Projekt und seine Kommunikation eine sehr groszlige Rolle spielen ndash uumlber-tragen auf einen neuen Kontext (Alnajjar et al 2016 142)
180 Kristina Pelikan amp Thorsten Roelcke
Abbildung 2 Asymmetrien in der Projektkommunikation (nach Alnajjar et al 2016)
Alnajjar Pelikan und Wassermann waumlhlen bdquoAsymmetrienldquo als Kategorie um ver-schiedene Unterschiede zu beschreiben die fuumlr die Projektkommunikation relevant sind Abbildung 2 zeigt auf der linken Seite verschiedene Asymmetrien in Bezug auf den Status der verschiedenen Projektmitglieder Diese sind an die Statusmerkmale der institutionellen Rahmung des Projektes gebunden was im Projektkontext zu projektspezifischen Relationen und Interdependenzen fuumlhrt Beispielsweise kann ein im Institut tiefer gestellter Kollege bei einem Projekt eine leitende Position uumlberneh-men Diese Fuumlhrungsrolle erfuumlllt er dann ausschlieszliglich im Rahmen des Projektes ndash nicht am Institut
Die rechte Seite des Modells zeigt die Asymmetrien auf der Gespraumlchsebene ndash zum Beispiel Turn-Taking-Moumlglichkeiten Redeanteile etc (Alnajjar et al 2016 145) Die statusbezogenen Asymmetrien und die konkreten Gespraumlche beeinflussen sich gegenseitig Die Projektmitglieder muumlssen ihren eigenen Status im Kontext des Pro-jektes richtig einschaumltzen um sich in allen Gespraumlchssituationen adaumlquat verhalten zu koumlnnen Alle Projekte sind in ein Geflecht aus unterschiedlichen Kulturen einge-
Machtausuumlbung durch einsprachiges Schreiben 181
bettet ndash nationale Kulturen Wissenschaftskulturen etc Zusaumltzlich zu den unter-schiedlichen Kulturen die seit Projektbeginn involviert sind kann sich auch eine gemeinsame Projektkultur entwickeln Die in Abbildung 2 dargestellten Asymmet-rien duumlrfen nicht als statisch angesehen werden Projektkommunikation ist durch Dynamik gepraumlgt sie veraumlndert sich im Laufe des Projektes auf unterschiedlichen Ebenen (PelikanRoelcke 2015 PelikanJefferyRoelcke iE)
Der vorliegende Artikel zielt auf die Projektkommunikation global agierender Forschungsprojekte (Damian 2008) Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen und Nationalitaumlten Die Beispiele in dem vorliegenden Artikel stammen von AMASA (Accessing Medicines in Africa and South Asia) ein von der Universitaumlt Edinburgh geleitetes Forschungsprojekt (Pelikan 2019) In der internationalen Forschungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich ist es uumlblich von Nord- und Suumldpartnern zu sprechen Nordpartner sind hier Belgien Groszligbri-tannien (Projektleitung) und die Schweiz ndash Suumldpartner sind Indien Uganda und Suumld-afrika Solche Forschungsprojekte lassen sich durch sehr groszlige geografische Distan-zen virtuelle Kommunikation und die Verwendung verschiedener Mutter- und Fachsprachen charakterisieren (Pelikan 2015a 2015b)
5 Effizienz in der Projektkommunikation
Effizienz ndash im Bereich Kommunikationsoptimierung ist dies bereits zum Buzzword geworden Jeder strebt nach effizienter Kommunikation Hier gilt es jedoch zu spe-zifizieren und zwischen den beiden folgenden Formen von Effizienz bei der Pro-jektkommunikation zu unterscheiden Effizienz des Wissenstransfers und Effizienz der Wissensgenese
51 Effizienz des Wissenstransfers mit dem Ziel des Wissenserwerbs
Stark vereinfacht laumlsst sich sagen durch Kommunikation findet Wissenstransfer statt Informationen werden von Produzent zu Rezipient transferiert Dieser Prozess impliziert den Transfer von Entitaumlten (Wassermann 2019 169) was sich nur durch die enthaltene Transformation (Ballod 2007 146ff) und den semiotischen Charakter der Kommunikation nicht einfach bestimmen laumlsst Im vorliegenden Artikel gehen wir von zwei unterschiedlichen Formen des Wissenstransfers aus in denen es Effi-zienz zu erreichen gilt Wissenstransfer in interner und in externer Form Beide For-men des Wissenstransfers haben das gleiche Ziel Wissenserwerb der Projektmitglie-der Effizienz steht hier fuumlr den bestmoumlglichen Erwerb von Wissen basierend auf Ergebniseffizienz da sich der Aufwand bei einem Projekt nicht unbegrenzt steigern laumlsst sondern mehr oder weniger fix ist
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52 Interner Wissenstransfer
Interner Wissenstransfer soll sich hier auf den Transfer von Wissen innerhalb der Projektmitglieder beziehen Kommunikation in medial und konzeptionell schriftli-cher und muumlndlicher Form
Bevor an der Effizienz von Projektkommunikation gearbeitet werden kann gilt es hier eine effektive Kommunikation zu erreichen Die Informationen muumlssen vom Sender zum Empfaumlnger transferiert werde dort muumlssen sie ankommen und verstan-den werden (Pelikan 2016 94) War dieser Schritt erfolgreich ist das naumlchste Ziel das innerhalb des Projektes erreicht werden soll die Effizienz Projekte muumlssen ei-nem festen und im Projektantrag festgelegten Ablauf folgen und richten sich zudem nach den lokalen Gegebenheiten der Institute an denen sie durchgefuumlhrt werden Daher ist der Aufwand meistens nicht frei festlegbar und Projekte muumlssen sich auf Ergebniseffizienz konzentrieren Bei einem bestimmten Aufwand soll ein moumlglichst gutes Ergebnis erreicht werden Mit diesem Ziel wird die Projektkommunikation entwickelt ndash beginnend mit der internen Kommunikation
Effizienz betrifft jedoch nicht nur die Organisation der Kommunikation und die Wahl der Kommunikationsmedien Effizienz betrifft auch die Wahl der involvierten Sprachen und die Auswahl der Autoren Wie bereits erwaumlhnt ist Authorship (Auto-renschaft von schriftlichen Dokumenten) bei Publikationen ein sehr wichtiges Thema ndash in der internen Projektkommunikation wurde dies bisher weitgehend ver-nachlaumlssigt Fuumlr das Erreichen von effizienter Kommunikation spielt es jedoch eine nicht zu vernachlaumlssigende Rolle von wem die Kommunikation ausgeht und ob sie in dessen Muttersprache erfolgt Tabelle 1 zeigt verschiedene Beispiele schriftlicher Projektkommunikation
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Tabelle 1 Beispiele schriftlicher Projektkommunikation1
Tabelle 1 zeigt in der linken Spalte die jeweilige Konstellation von Sender(n) und Empfaumlnger(n) Kommunikation zwischen Einzelpersonen und Kommunikation vonan mehrere Personen Die mittlere Spalte zeigt unterschiedliche Beispiele fuumlr schriftliche Kommunikation innerhalb des Forschungsprojektes AMASA In der rechten Spalte werden die jeweiligen Autoren genannt nach Nord- und Suumldpartner unterteilt Bei genauerer Betrachtung der Tabelle fallen die Asymmetrien zwischen den Nord- und Suumldpartnern des Projektes auf Die schriftliche interne Kommuni-kation des Projektes geht mehrheitlich von den Nordpartnern aus was besonders in den folgenden vier Bereichen relevante Folgen hat
a) Administratives
Administrative Projektdokumente wurden ausschlieszliglich von den Nordpartnern verfasst ndash ausgehend von der britischen Projektleitung Zusaumltzlich zu den Status- und Gespraumlchsasymmetrien ergeben sich hier Asymmetrien basierend auf den un-terschiedlichen Muttersprachen Nicht alle Projektpartner sprechen Englisch als
1 Die Beispiele stammen aus dem Projekt AMASA (Pelikan 2019)
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Muttersprache daraus ergeben sich Verstaumlndnisschwierigkeiten bei essentiellen Pro-jektdokumenten Dadurch erhalten die Suumldpartner den Eindruck alle richtungswei-senden Dokumente wurden von den Nordpartnern verfasst ndash fuumlr sie nicht immer verstaumlndlich
b) Polyloge Kommunikation
Unter polylogischer Kommunikation verstehen wir den Transfer von Informationen von einem Produzenten an mehrere Rezipienten Auch diese Art der Kommunika-tion wird bei dem hier beschriebenen Projekt mehrheitlich von den Nordpartnern durchgefuumlhrt Beispielsweise schrieben fast ausschlieszliglich Nordpartner E-Mails an die projektinterne Mailingliste die alle Projektpartner erreichte Auch hier zeigt sich die fuumlr alle Projektmitarbeiter relevanten und daher an das ganze Team versendeten Informationen werden von den Nordpartnern verschriftlicht und versandt
c) Metakommunikation
Zur Metakommunikation zaumlhlen zum Beispiel Kommentare in MAXQDA (Soft-ware zur Datenanalyse) mit denen die interne Kommunikation anhand der kollabo-rativen Datenanalyse kommentiert wird Die Datenanalyse wird von Nord- und Suumldpartnern gemeinsam durchgefuumlhrt die metakommunikativen Kommentare wur-den jedoch mehrheitlich von den Nordpartnern eingefuumlgt Dies zeigt auch dass aus-schlieszliglich englischsprachige Kommunikation in MAXQDA stattfand sonst haumltten die Nordpartner diese nicht kommentieren koumlnnen Dies bedeutet auch die Daten-analyse wurde auf Englisch durchgefuumlhrt und nicht in lokalen Sprachen ndash dies kann zu vermindertem Wissenserwerb bei Nicht-Muttersprachlern des Englischen ge-fuumlhrt haben
d) MethodikForschungsinstrumente
Die Entwicklung der Forschungsinstrumente fand zwischen Nord- und Suumldpartnern gemeinsam statt dennoch wurden die entsprechenden Dokumente mehrheitlich von den Nordpartnern verfasst Bei der Anwendung der Forschungsinstrumente beispielsweise der Durchfuumlhrung von Interviews wurden jedoch lokale Sprachen eingesetzt ndash diesen Teil der Kommunikation uumlbernahmen die jeweiligen Suumldpartner Auch hier wurden die wichtigen Dokumente von den Nordpartnern verfasst ndash die Suumldpartner uumlbersetzten sie fuumlr die Anwendung
Wie die Beschreibung dieser Beispiele gezeigt hat wurden die essentiellen Do-kumente mehrheitlich von den Nordpartnern erstellt ndash auf Englisch Englisch wurde als Lingua Franca des Projektes eingesetzt vernachlaumlssigend dass bdquothe community of lingua franca users is thus always a heterogeneous one comprised of individuals from a vast number of different linguistic and cultural backgroundsldquo (Meierkord 2009 199) Die Projektpartner sprechen unterschiedliche Mutter- und Fachspra-chen sie verfuumlgen zudem uumlber unterschiedliche kulturelle Hintergruumlnde Dennoch
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steht der Gebrauch der verschiedenen Sprachen nicht gleichberechtigt nebeneinan-der sondern wird in ganz entscheidendem Maszlige von den sozialen fachlichen usw (Macht-)Positionen der beteiligten Personen bestimmt
53 Externer Wissenstransfer
Waumlhrend der oben beschriebene interne Wissenstransfer sich auf den direkten Transfer zwischen Projektmitgliedern bezieht (asynchrone Kommunikation einge-schlossen) so bezieht sich der externe Wissenstransfer auf den Transfer von Wissen aus externen Quellen in das Projekt Nicht nur bei der Literaturrecherche zu Pro-jektbeginn sondern auch spaumlter im Verlauf des Projektes werden Publikationen ver-schiedener projektexterner Autoren hinzugezogen Durch diese Publikationen wird externes Wissen in das Projekt transferiert ndash falls der externe Wissenstransfer erfolg-reich ist In den Naturwissenschaften und auch zunehmend in den Geisteswissen-schaften werden wissenschaftliche Publikationen auf Englisch verfasst (Ammon 2001) da man bei deutschen Publikationen einen geringeren Erfolg befuumlrchtet (GnutzmannRabe 2012) Der externe Wissenstransfer durch Publikationen pro-jektexterner Autoren findet also mehrheitlich auf Englisch statt was Projektmitglie-der deren Muttersprache nicht Englisch ist benachteiligt
54 Wissensgenese
Zusaumltzlich zu den genannten Formen des Wissenserwerbs durch Wissenstransfer von projektinternen und projektexternen Quellen ist auch der Wissenserwerb durch Wissensgenese zu nennen Hierbei wird Wissen durch eigene Aktivitaumlt erworben nicht durch den Transfer von anderen Personen Eine Form der Wissensgenese ist bdquoEpistemic Writingldquo (Bereiter 1980) das epistemische Schreiben Eigler Jechle Merziger und Winter erlaumlutern dies wie folgt bdquoDas Schreiben kann [hellip] eine episte-mische d h eine Wissen entwickelnde Funktion einnehmenldquo (Eigler et al 1987 383) Sie bezeichnen es weiter als bdquoeine Form des Weiterverarbeitens des eigenen Wissensldquo (ebd) was eine Weiterverarbeitung durch Erweiterung impliziert Schrei-ben als bdquoInstrument des Praumlzisierens Erweiterns ja des Entwickelns von Wissenldquo (ebd) Waumlhrend des Schreibprozesses findet also Wissenserwerb durch Wissensge-nese statt Dieser Schreibprozess kann in unterschiedlichen Situationen des Projek-tes vorkommen ein Beispiel waumlre die Analyse von Forschungsdaten und das Schrei-ben von Publikationen Auch diese Schreibprozesse finden in der internationalen Projektkommunikation mehrheitlich auf Englisch statt ndash mit den entsprechenden Folgen bdquoWe experience the world as we do due to the language we speakldquo (Baker 2015 76) ndash die Sprache die wir sprechen beeinflusst maszliggeblich die Art wie wir die Welt um uns wahrnehmen Die Sprache in der wir uns Wissen erarbeiten und es transferieren legt fest mit welcher Intensitaumlt wir dies tun Durch die Wissensgenese basierend auf englischem Schreiben wird die Intensitaumlt des Wissenserwerbs bei Nichtmuttersprachlern des Englischen tendenziell reduziert
186 Kristina Pelikan amp Thorsten Roelcke
55 Steigerung der Effizienz
Bei internationalen Forschungsprojekten wie dem hier kurz erwaumlhnten AMASA Projekt wird meistes Englisch als Lingua Franca eingesetzt Aus den genannten Gruumlnden werden hierdurch prinzipiell die Projektpartner benachteiligt deren Mut-tersprache nicht Englisch ist Sie haben nicht die Moumlglichkeit mit der gleichen In-tensitaumlt Wissen zu erwerben wie dies englischen Muttersprachlern moumlglich ist Zweitens wird so nicht das Wissen aller Projektpartner in das Projekt transferiert sondern es wird dem Projekt Wissen vorenthalten Der eingeschraumlnkte Wissenser-werb durch den Einsatz einer Lingua Franca kann auch als Ergebnis einer Macht-asymmetrie angesehen werden wenn auch nur selten bewusst eingesetzt Wird be-wusst Wissen (und dessen Erwerb) einzelner Projektmitglieder ausgeschlossen han-delt es sich um einen sogenannten bdquoEpistemicideldquo (Bennett 2015 12) Mit unbe-wusster oder gar bewusster Reduktion von Wissensgenese und Wissenstransfer ist keine effiziente Kommunikation zu erreichen
Angesichts des oben skizzierten Modells der Effizienz mehrsprachiger Kommu-nikation stellt sich hier nun die Frage wie in einem solchen Kontext kommunikative Effizienz erreicht werden kann
Um eine effiziente Kommunikation bei so einem heterogenen Projekt zu errei-chen muumlssen Verstaumlndlichkeit und Umsetzbarkeit aller wichtigen Projektdoku-mente gegeben sein Die Informationen muumlssen nicht nur die jeweiligen Zielgruppen erreichen (das waumlre effektive Kommunikation) sie muumlssen auch verstanden werden und sich in die Arbeit integrieren lassen Hierfuumlr empfiehlt sich eine Aufteilung des Projektes in unterschiedliche Projektphasen ndash in jeder dieser Phasen sollten als Teil des internen Kommunikationskonzeptes auch das interne Authorship und moumlgliche Verstaumlndnisschwierigkeiten ausfuumlhrlich diskutiert werden Welche Autoren verfas-sen welche internen Dokumente und in welcher Sprache Hier spielen auch die oben genannten Asymmetrien eine wesentliche Rolle Authorship bei administrativen Do-kumenten zu beanspruchen impliziert eine gewisse Machtposition innerhalb des Projektes Diese Machtposition zeigt sich auch bei der Auswahl der jeweiligen Ein-zelsprache ndash dies kann Effizienz foumlrdern oder auch verhindern Folgend sollen zwei Vorschlaumlge zur Effizienzsteigerung kurz skizziert werden
56 Projektphasen
Durch den Einsatz mehrerer Sprachen innerhalb des Projektprozesses kann der Wissenserwerb der Projektmitglieder erhoumlht und somit effiziente Kommunikation erreicht werden Ein Forschungsprojekt besteht aus mehreren Projektphasen diese koumlnnten in unterschiedlichen Sprachen durchgefuumlhrt werden Beispielsweise koumlnn-ten die Datenanalyse auch in lokalen Sprachen durchgefuumlhrt und nur die Projekter-gebnisse auf Englisch uumlbersetzt werden Somit wuumlrden die lokalen Projektmitglieder (zum Beispiel in Uganda) bei der Datenanalyse mehr Wissen erwerben (Wissensge-nese) und koumlnnten anschlieszligend auch mehr Wissen weitergeben (Wissenstransfer)
Machtausuumlbung durch einsprachiges Schreiben 187
Hierzu sollte keine Sprache fuumlr das gesamte Projekt eingesetzt werden sondern auf der Basis von verschiedenen Projektphasen jeweils situativ bzw kontextuell ent-schieden werden welche Sprache jeweils verwendet wird Funktionale Mehrspra-chigkeit fuumlr effizientere Projektkommunikation
57 (Trans-)Languaging
bdquoLanguaging as a process of using language to gain knowledge to make sense to articulate onersquos thought and to communicate about using languageldquo (GarciaWei 2014 10) ndash Sprache kann auch ganz gezielt zum persoumlnlichen Wissenserwerb eing-esetzt werden Ein Beispiel hierfuumlr ist Translanguaging bdquoTranslanguaging is the act performed by bilinguals of accessing different linguistic features or various modes of what are described as autonomous languages in order to maximize communica-tive potential [hellip] Translanguaging therefore goes beyond what has been termed code-switching although it includes itldquo (Garciacutea 2009 140)2 Zweisprachige Projekt-mitglieder koumlnnten durch den funktionalen Einsatz ihrer beiden Sprachen ihren Wis-senserwerb zusaumltzlich steigern und hierfuumlr ihre Sprachen einsetzen
6 Ausblick
Nach dem als Effektivitaumlt angesehenen erfolgreichen Transfer von Wissen gilt die Effizienz als naumlchster zu erreichender Schritt Das Erreichen eines maximalen Er-gebnisses bei festgelegtem Aufwand (Ergebniseffizienz) erscheint zunaumlchst als der in der Projektkommunikation umzusetzende Ansatz Die relevanten Informationen muumlssen alle Projektmitglieder nicht nur erreichen sondern von diesen verstanden werden und von diesen umsetzbar sein Gleichzeitig muss die Projektkommunika-tion fuumlr einen intensiven und konstruktiven Austausch zwischen den Projektpartner sorgen Zugleich ist effiziente Projektkommunikation erst dann erreicht wenn auch der Wissenserwerb durch Wissensgenese mit bestmoumlglicher Intensitaumlt stattfinden kann
Dies sind bei einem Forschungsprojekt mit mehrsprachigem Team sehr ambiti-onierte Aufgaben die nicht einfach zu loumlsen sind Zugleich ist die Effizienz bei mehrsprachiger Kommunikation noch nicht ausreichend untersucht Der vorlie-gende Artikel schlaumlgt drei Stufen der Effizienz vor Aktiver Wissenstransfer passiver Wissenstransfer und Wissensgenese Diese drei Stufen moumlgen fuumlr den kurz beschrie-benen fachkommunikativen Einzelfall AMASA dienlich sein haben jedoch nicht den Anspruch auf Vollstaumlndigkeit fuumlr alle fachkommunikativen Situationen Auch die Effizienz an sich und deren Messbarkeit beduumlrfen weiterer und tieferer Untersu-chungen ndash besonders in Bezug auf mehrsprachige Kommunikationssituationen
2 Die Autoren danken Edith Lisz-Caravelli fuumlr diesen Literaturhinweis
188 Kristina Pelikan amp Thorsten Roelcke
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Themenschwerpunkt 3 Berufsbezogenes DeutschDeutsch fuumlr den Beruf
Sektionsbericht
Koordination See-Young Cho Annette Friedland Matthias Jung amp Annegret Middeke
Der Themenschwerpunkt bdquoBerufsbezogenes DeutschDeutsch fuumlr den Berufldquo be-schaumlftigte sich mit der in der DaF-DaZ-Forschung noch ungeklaumlrten Frage was unter bdquoberufsbezogenem Deutschldquo bzw bdquoDeutsch fuumlr den Berufldquo genau zu verste-hen sei Diese Frage ist in den deutschsprachigen Laumlndern aktueller denn je ange-sichts des verstaumlrkten Fokusrsquo auf die sprachliche Integration am Arbeitsplatz und der intensivierten Foumlrderung von Sprachkursen oberhalb der allgemeinsprachlichen B1-Schwelle in den aktuellen Ausschreibungen des BAMF im Auftrag der Bundes-anstalt fuumlr Arbeit die eine durchgehende Foumlrderkette im Rahmen des bdquoGesamtpro-gramms Spracheldquo ergeben sollen Aber auch auszligerhalb des deutschsprachigen Rau-mes beruht die Motivation Deutsch in den Hochschulen bzw der Erwachsenbil-dung allgemein zu lernen in hohem Maszlige auf einem erwarteten beruflichen Nut-zen1 Jenseits von spezialisierten Kursen fuumlr bestimmte Berufsgruppen wie Pflege-kraumlfte Erziehungspersonal oder Techniker ist jedoch meist unklar welche konkre-ten Kompetenzen im Sinne des Gemeinsamen Europaumlischen Referenzrahmens fuumlr Sprachen (GER) im Beruf benoumltigt werden
In diesem Band vertreten sind die verschriftlichten Vortraumlge von Andrea Daase (Bielefeld) und Jana Laxczkowiak (Hamburg) Nicht publizierte Beitraumlge sind nicht notwendigerweise abgelehnt worden sondern werden entweder an anderer Stelle
1 bdquoHier sind wirtschaftliche Aspekte weiterhin die Hauptmotivation fuumlr den Erwerb deutscher
Sprachkenntnisse welche oftmals als attraktive Zusatzqualifikation im Berufsleben wahrgenom-men werdenldquo (StADaF 2015 8)
194 Sektionsbericht TSP 3
bzw spaumlter publiziert oder wurden nicht eingereicht Auch diese Beitraumlge ndash von An-drea Snippe und Birthe Scheffler (beide Hamburg) Ellen Tichy (Hermannstadt) Magdalena Wiazewicz (Berlin) Miriam Feldmann (Muumlnchen) und Wilhelmine Berg (Braunschweig) ndash werden hier in Kuumlrze vorgestellt weil sie das Diskursfeld mit beachtlichen theore-tischen und fachdidaktischen Impulsen aus dem In- und Ausland bereichert haben
Andrea Daases (Bielefeld) Beitrag bdquoZweitsprachaneignung fuumlr den Beruf ndash Ekenntnisse soziokulturell fundierter empirischer Zweitspracherwerbsforschungldquo
beschaumlftigt sich zunaumlchst mit der terminologischen Klaumlrung der (auf einen scheinbar abgrenzbaren Ausschnitt ndash den sog Berufsbereich ndash bezogenen) Konzepte fuumlr die Vermittlung des Deutschen als Zweitsprache Im Mittelpunkt jedoch steht die sozi-ale Konstituierung von Sprache und den Lernenden als handelnden Subjekten und insbesondere deren Zweitsprachsozialisation in den Beruf Daase fordert den (Sprach-)Biographien der Lernenden sowie ihren bewussten wie unbewussten Zie-len im Zusammenhang mit dem DaZ-Erwerb verstaumlrkte Aufmerksamkeit zu wid-men nicht zuletzt weil sonst bdquoFehlschlaumlgeldquo wie Kursabbruumlche oder die Dysfunktion von vermeintlich passgenauen Angeboten u auml nicht verstanden werden koumlnnen
Jana Laxczkowiak (Hamburg) thematisiert in ihrem Beitrag bdquoIntegriertes Fach- und Sprachenlernen (IFSL) als Anforderung an berufliche Weiterbildungldquo die Frage nach den Qualitaumltskriterien fuumlr den berufsbezogenen Deutschunterricht Die IQ Fachstelle bdquoBerufsbezogenes Deutschldquo arbeitet zurzeit an der Entwicklung eines Konzeptes das einen berufs(feld)spezifischen sprachlichen Kompetenzerwerb eng mit berufsfachlichen Lernzielen verzahnt Im Konzept IFSL werden sprachliche Kompetenzen als zentraler Teil beruflicher Handlungsfaumlhigkeit gewichtet und fach-liches und sprachliches Lernen gleichberechtigt miteinander verzahnt Laxczkowiak stellt Formen der Lernorganisation und Instrumente der Umsetzung von IFSL so-wie Praxisbeispiele aus dem IQ Foumlrderprogramm vor
Der Beitrag bdquoSprache als Berufskompetenz eine Terminologiereflexion an-hand des Beispiels der Kommunikationskompetenzen von L2-Sprechenden im Fachbe-reich Medizinldquo von Andrea Snippe und Birthe Scheffler (beide Hamburg) fokussiert auf die Schluumlsselfunktion von Sprache in der Arzt-Patienten-Beziehung Eine funktio-nierende Kommunikation sei die Grundlage fuumlr die Qualitaumlt bei der Versorgung der Patienten Das Training und der Aufbau einer so umfassenden Kommunikations-kompetenz wie sie hier bezogen auf den anspruchsvollen Registerwechsel in einer Experte-Laien-Kommunikation von der Ebene der Fachsprache zur Ebene der Transfersprache beschrieben und gefordert wird birgt neben den didaktisch-metho-dischen Herausforderungen auch terminologische Schwierigkeiten Anstelle zahlrei-cher terminologischer Einzelloumlsungen schlagen Scheffler und Snippe vor die vielen Sprachebenen und Register unter dem Schirmbegriff des in der anglophonen Fach-welt gelaumlufigen Terminus bdquoLanguage for a specific purposeldquo zu fassen
Ellen Tichy (Hermannstadt) berichtete in ihrem Vortrag bdquoGermanistik trifft auf Wirtschaftldquo uumlber die in qualitativen Interviews mit Vorstandsmitgliedern Deutscher Wirtschaftsclubs in Rumaumlnien ermittelten Kompetenzerwartungen der potentiellen
Sektionsbericht TSP 3 195
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in deutschsprachigen Unternehmen in Siebenbuumlr-gen wo mehr als 200 deutschsprachige Unternehmen dem Deutschen Wirtschaft-sclub Siebenbuumlrgen angehoumlren Der Arbeitskraumlftebedarf ist ndash nicht nur in der Pro-duktion sondern auch auf den sprachintensiven Arbeitsplaumltzen im Bereich der Ver-waltung und Vertrieb ndash sehr hoch Die genannten Interviews dienen u a der Kon-zeption neuer Curricula die versuchen den pragmatischen Anforderungen des Ar-beitsmarktes entgegenzukommen und die Beschaumlftigungsfaumlhigkeit ihrer Absolven-ten zu optimieren
Der Vortrag bdquoSprungbrett mit Sprache Entwicklung der kommunikativen Kompetenzen im Fach Deutsch in der Berliner Berufsvorbereitungldquo von Magdalena Wiazewicz (Berlin) fokussierte den gesamten Rahmenlehrplan und insbesondere den Lehrplan fuumlr das Fach Deutsch in der Berliner Berufsvorbereitung Der Lehrplan fuumlr Deutsch orientiert sich mit Blick auf die arbeitsplatzbezogene Kommunikation in Betrieben an den Kompetenzbeschreibungen des GER (Niveau B1-B2) Aus (a) Qualifizierungsbausteinen und (b) Lernfeldern abgeleitete berufsuumlbergreifende Sprachhandlungskompetenzen werden je nach Berufsprofil auf den berufsbezoge-nen Fachunterricht uumlbertragen und gelten als Basiseinheiten fuumlr (a) die Berufsvorbe-reitung und (b) die Berufsausbildung
Um das Spannungsfeld von berufsuumlbergreifenden und berufsspezifischen Kom-petenzen ging es auch in Miriam Feldmanns (Muumlnchen) Vortrag bdquoPotential Fachspra-che Deutsch ndash Erfahrungen aus der Praxis (Business Ingenieure Recht)ldquo Feldmann eroumlrterte die Frage ob es neben einem uumlbergreifenden Register und einer berufsspe-zifischen Varietaumlt auch so etwas wie Zwischenstufen z B Deutsch in der Produk-tionTechnik im Buumlro Verkauf Management etc gibt und stellte anhand von Pra-xiserfahrungen aus dem Bereich Wirtschafts- und Ingenieursdeutsch verschiedene Vermittlungsansaumltze vor
Nicht zuletzt bildet auch die Lernfortschrittsmessung einen interessanten As-pekt in berufsbezogenen Spracherwerbskontexten Wilhelmine Berg (Braunschweig) stellte ein innovatives Modell fuumlr das Berufsfeld PflegeGesundheit vor das bezo-gen auf die Anforderungen des Sozialministeriums in Form von drei Szenarien ent-wickelt wurde die fuumlr die Lernfortschrittsmessung eingesetzt werden koumlnnen In Niedersachsen haben Pflegekraumlfte z B die Moumlglichkeit das fuumlr die Anerkennung ihres im Ausland erworbenen Abschlusses benoumltigte Sprachniveau B2 anhand einer solchen szenariobasierten Pruumlfung nachzuweisen Daruumlber hinaus kann dieses Mo-dell fuumlr Lernfortschrittsmessung auf weitere berufsfachliche Richtungen uumlbertragen werden
Vor knapp zehn Jahren schrieb Petra Szablewski-Ccedilavuş (2008 45) bdquoDie Arbeit an einem Konzept fuumlr berufsbezogenen Deutschunterricht steckt in Deutschland noch in den Anfaumlngen Dies gilt insbesondere fuumlr die Forschung waumlhrend die Praxis [hellip] bereits gegenwaumlrtig gefordert ist notfalls eben auch ohne eine theoretische Fundierung einen auf den Arbeitsplatz auf die Berufstaumltigkeit ausgerichteten Deutschunterricht durchzufuumlhrenldquo Und vor drei Jahren Christian Efing (2014 419) bdquoDoch bis heute
196 Sektionsbericht TSP 3
ist [hellip] nicht einheitlich definiert und geklaumlrt (a) was Berufssprache als Register aus-macht und (b) wie das Verhaumlltnis von Fach- und Berufssprache zu modellieren istldquo Die Beitraumlge aus dem Themenschwerpunkt bdquoBerufsbezogenes DeutschDeutsch fuumlr den Berufldquo tragen mit zur Klaumlrung dieser Fragen bei und liefern aktuell hochre-levante Beispiele guter Praxis fuumlr die theoretische Diskussion
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Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf ndash Erkenntnisse soziokulturell fundierter empirischer Zweitsprachenerwerbsforschung
Andrea Daase (Bielefeld)
1 Einleitung
Unter dem Begriff berufsbezogenes Deutsch Deutsch fuumlr den Beruf oder wahlweise Deutsch fuumlr Mediziner etc konzentrieren sich aktuell Konzepte und Maszlignahmen auf einen scheinbar abgrenzbaren Ausschnitt von Sprache deren Vermittlung (einer bestimm-ten Gruppe von) Menschen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch bei der In-tegration in den Arbeitsmarkt helfen soll Der Fokus der didaktischen Konzepte auf die besondere Auspraumlgung der Sprache bzw der jeweiligen Praktiken im beruflichen Alltag erscheint einerseits logisch und nachvollziehbar beinhaltet aber gleicherma-szligen die Gefahr die lernenden Subjekte die sie umgebenden sozialen Kontexte ihre (Sprach-)Biographien und ihre ndash bewussten und unbewussten ndash Motive und Ziele im Zusammenhang mit der Aneignung der Zweitsprache Deutsch auszliger Acht zu lassen Dies kann zur Folge haben dass auch vermeintlich passgenaue Angebote im Einzelfall nicht zum Erfolg fuumlhren Kursabbruumlche nicht verstanden oder erklaumlrt wer-den koumlnnen etc Haumlufig wird als Ursache die vermeintlich mangelnde Motivation der Lernenden benannt was aber dem komplexen Prozess der Sprachaneignung im Kontext von Migration nicht gerecht wird Zudem wird Motivation in solchen Aus-sagen als rein individueller statischer und vermeintlich beobachtbarer Faktor (miss-)verstanden
198 Andrea Daase
Ausgehend von den gaumlngigen Diskursen rund um Deutsch fuumlr den Beruf (Ka-pitel 2) moumlchte dieser Beitrag basierend auf einer soziokulturellen ndash v a taumltigkeits-theoretischen und poststrukturalistischen ndash Konzeptualisierung von Zweitspra-chenaneignung (Kapitel 3) sowie auf der Basis narrativer Interviews ndash die gaumlngigen Konzepte um die Subjekt- und Prozessperspektive ergaumlnzen und die soziale Konsti-tuierung von Sprache Lernenden und Zweitsprachaneignung hervorheben Im Zentrum steht somit die Zweitsprachsozialisation in den Beruf von soziohistori-schen Individuen vermittelt durch soziale Beziehungen uumlber Taumltigkeitssysteme hin-weg Daraus abgeleitete Konsequenzen fuumlr die Planung und Gestaltung institutio-neller Angebote zur Deutschaneignung fuumlr den Beruf werden im Anschluss zur Dis-kussion gestellt
2 Deutschaneignung fuumlr den Beruf in ihrer soziohistorischen und diskursiven Einbettung
Da gemaumlszlig der Verortung des vorliegenden Beitrages in der Soziokulturellen Theorie der soziohistorische und soziokulturelle Kontext konstitutiv fuumlr die Aneignung einer Zweitsprache sind (Kapitel 3) ist es unerlaumlsslich die historische Entwicklung und die sie begleitenden und durchdringenden Diskurse mit einzubeziehen Zweit-sprachaneignung fuumlr den Beruf (oder auch ganz allgemein gesehen) ist in die gesell-schaftspolitischen Diskurse rund um Migration und Integration eingebettet und kann m E nicht isoliert von diesen verstanden werden weswegen in aller Kuumlrze und damit einem gewissen Reduktionismus darauf eingegangen werden soll
Bei der Thematisierung von Diskursen beziehe ich mich im Folgenden auf Foucaults Verstaumlndnis der Diskurse als bdquoPraktiken [hellip] die systematisch die Ge-genstaumlnde bilden von denen sie sprechenldquo (Foucault 1981 74) bezeichnet Sprache stellt somit kein neutrales Instrument dar welches die Realitaumlt von der gesprochen wird mithilfe arbitraumlr zugewiesener Zeichen lediglich abbildet sondern Realitaumlt wird durch Sprache auch hergestellt Damit dienen Diskurse einerseits der Reproduktion und Beibehaltung von existierenden Macht- und Wissensstrukturen sie ermoumlglichen aber gleichermaszligen ihre Anfechtung und Veraumlnderung (Butler 2013a) Entscheidend ist immer auch die historisch-geographische Einbettung oder Beziehung Aussagen-cluster zu einem bestimmten Thema koumlnnen zu einer bestimmten Zeit in einem be-stimmten Kontext getaumltigt werden und haben in dieser Zeit eine spezifische Aussa-gekraft (McNamara 2012 475) die sie zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort nicht haben So haben beispielsweise die Kategorisierungen Asylant oder Fluumlchtling im Diskurs um Migration und Integration verschiedene Bedeutungswandel durch-laufen
Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf 199
21 Einwanderungs- und integrationspolitische Diskurse
In Deutschland wurde jahre- bzw jahrzehntelang die Tatsache negiert dass die deut-sche Nachkriegsgeschichte auch eine Einwanderungsgeschichte war Dieser Diskurs der Leugnung eines wichtigen Teils unserer Geschichte war ndash und ist nach wie vor ndash in weiten Teilen der Gesellschaft praumlsenter und bedeutungsvoller als die hinlaumlng-lich bekannten Fakten und speist sich aus dem nationalstaatlichen Diskurs ein Land ndash ein Volk ndash eine Sprache welcher auch im Zeitalter der Migration und trotz Globali-sierung und Europaumlisierung nach wie vor wirkmaumlchtig ist Demzufolge wurde in all den Jahrzehnten in denen Deutschland faktisch laumlngst ein Einwanderungsland war (was es uumlbrigens historisch immer schon war) keine Einwanderungs- sondern Aus-laumlnderpolitik betrieben welche eine restriktive Reaktion auf unbeabsichtigte Folgen der nationalen Arbeitsmarktpolitik war Einwanderung war weder geplant noch ge-wollt sie stellte sozusagen eine Nebenwirkung des Rotationsprinzips dar mit dem auf Bedarfe des Arbeitsmarktes reagiert wurde
Auch aktuell ist die Zuwanderungspolitik durch die Bedarfe des Arbeitsmarktes gesteuert Die seit der Jahrtausendwende sukzessiv vorgenommene Abwendung vom Anwerbestopp erfolgte nicht zuletzt aufgrund des Fachkraumlftemangels in diver-sen beruflichen Sparten Die Menschen die zu uns kommen werden in erster Linie unter dem Blick ihrer Verwertbarkeit fuumlr den Arbeitsmarkt als auch fuumlr die Gesell-schaft gesehen und beurteilt Dadurch stehen die Themen Sprache ndash und damit ist im Sinne der Verwertbarkeit fuumlr den Arbeitsmarkt lediglich die deutsche Sprache gemeint ndash und Bildung im Zentrum der staatlichen Unterstuumltzungsbemuumlhungen weswegen Thraumlnhardt (2011 20) von einer Kulturalisierung der Integrationsdebatte spricht Nur ganz verhalten lassen sich auch andere Tendenzen erkennen Der oumlf-fentlich-politische Diskurs der letzten Jahre war und ist stark von der Defizithypo-these gepraumlgt welche die Probleme einseitig bei den Individuen und in ihrem Um-feld verortet Im Fokus stehen dabei vor allem die so genannten Sprachprobleme kul-turelle Differenzen und Qualifizierungsdefizite Waumlhrend Sprachprobleme in Belan-gen beispielsweise der internationalen Kommunikation weder auf eine bestimme Sprache fokussieren noch das Problem einer der beteiligten Parteien zuschreiben rekurriert dieser Terminus im Kontext von Integrationsdiskursen eindeutig auf die Sprache Deutsch und schreibt das Problem den Zugewanderten zu
Nach wie vor wird Integration groumlszligtenteils als einseitige Anpassungsleistung der Migrantinnen verstanden Dem liegt die semantische Vagheit und diffuse Verwen-dung des Begriffs ndash sowohl im gesellschaftspolitischen wie auch im wissenschaftli-chen Diskurs ndash sowie die latente Uumlberschneidung mit dem Begriff der Assimilation zugrunde da die Abgrenzung zwischen beiden Begriffen nicht einheitlich erfolgt (vgl u a Sackmann 2004 Geisen 2010 Heckmann 2014) Diese bdquorhetorische Ver-
200 Andrea Daase
einheitlichungldquo geht einher mit der bdquoEinbettung in einen ordnungspolitischen Kon-textldquo (Mecheril 2011 50) sowie der Zugrundelegung von Negationsnarrativen1 wel-che dem bdquoIntegrationsimperativ seine normative Kraftldquo (ebd) verleihen Mit dem ndash vermeintlich im Sinne der zugewanderten Menschen ndash gefuumlhrten Integrationsdiskurs wird die Differenz zwischen uns und den anderen unter Ruumlckgriff auf bestehende Machtverhaumlltnisse wirkungsvoll zementiert und damit Fremdheit zu- und festge-schrieben was letztlich nicht zu einer Aufhebung von Unterschieden oder der an-gestrebten Angleichung fuumlhrt sondern bdquozu einer Perpetuierung der rechtlichen so-zialen und kulturellen Unterschiedeldquo (Terkessidis 2010 61) bzw zur bdquoparadoxen Form der Integration durch Ausschlussldquo (Geisen 2010 19)
Auch wenn immer wieder darauf hingewiesen wird dass beide Seiten ihren Bei-trag leisten muumlssen ist die Wechselseitigkeit nicht nur ungleichgewichtig sondern auch von ungleichen Macht- und Hierarchieverhaumlltnissen gepraumlgt welche die Grundlage fuumlr das Fordern von Anpassungsleistungen darstellen und als Demonst-ration der vorhandenen Verhaumlltnisse gesehen werden koumlnnen bdquoWas gemeinhin sbquoIn-tegrationlsquo heiszligt ist [hellip] ein Machtspielldquo (Gaumlchter 2007 385) Deutliches Zeichen der Macht ist auch das Vorrecht andere als (nicht) integriert bezeichnen oder die Deutschkenntnisse des Gegenuumlbers beurteilen zu duumlrfen Kaum rezipiert werden hingegen im oumlffentlichen Diskurs Studien zur ethnischen Diskriminierung im Allge-meinen und in Bezug auf den Arbeitsmarkt im Besonderen (vgl Peucker 2010 5ff) Einzig die Untersuchung zur Benachteiligung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt von Menschen aufgrund auslaumlndisch klingender Namen bei ansonsten gleichen Qualifi-kationen wurde von den Medien aufgegriffen (vgl KaasManger 2010)
22 Diskurs Integration durch Sprache
Der Diskurs Integration durch Sprache ergibt sich aus den historischen Entwicklungen und Diskursen zum Thema Migration in Deutschland allerdings ist die Verknuumlp-fung von Integration und Sprache im Sinne von verpflichtenden Kursen zum Erler-nen der Landessprache und Ablegen von Sprachpruumlfungen fuumlr Zugewanderte und als Voraussetzung fuumlr die Einbuumlrgerung bdquoin den meisten europaumlischen Laumlndern we-sentlicher Bestandteil der Zuwanderungspolitikldquo (Plutzar 2010 114) Aus dem Zu-wanderungsgesetz spricht die Gleichsetzung von Integration und dem Erwerb der Landessprache ndash ergaumlnzt durch rechtliche kulturelle und historische Kenntnisse uumlber das Aufnahmeland Die vermeintliche Messbarkeit von Sprachbeherrschung macht sie bdquozum Gradmesser der sozialen Integrationswilligkeit von mehrsprachigen Menschenldquo (Schroeder 2007 6) Damit wird die Bringschuld bei den Migrantinnen gesehen wohingegen die Pflicht des Staates darin besteht fuumlr das entsprechende Kursangebot zu sorgen
1 Beispiele hierfuumlr sind die Diskurse zu Integrationsbedarf Integrationsunwilligkeit oder -unfaumlhig-
keit die aufgrund der Polysemie des Integrationsbegriffs nicht abschlieszligend definiert werden Auch die Grundlage und Berechtigung solcher vermeintlichen Diagnosen welche in erster Linie vorherr-schende Hierarchien zur Darstellung bringen und festigen werden nicht offengelegt
Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf 201
Das Konzept Integration durch Sprache scheint bdquoeine Antwort auf die Frage zu erlauben wie sich Integration organisatorisch ausgestalten laumlsstldquo (Bommes 2006 59) Dass es sich bei dem bdquodurch die Gesetze hergestellten Zusammenhang von Kenntnissen der Landessprache und Integration um ein politisches Konstrukt han-deltldquo (Plutzar 2010 115) ist an den in den einzelnen Laumlndern uneinheitlich festge-legten Sprachniveaus zu erkennen mit denen vermeintlich Integration nachgewiesen werden kann bzw die Integrationspflicht der Zugewanderten erfuumlllt ist
23 Diskurs Deutsch fuumlr den Beruf
Die Auffassung dass sich Migrantinnen gewisse Rechte und Partizipationsmoumlglich-keiten erst durch das Erbringen individueller Leistungen sichern muumlssen (Nieden 2009 126) welche in erster Linie in Form der Aneignung der deutschen Sprache bestehen ist nicht nur in Gesetzen zu Aufenthaltsstatus und Einbuumlrgerung (und da-mit der Moumlglichkeit zur vollen politischen Partizipation) erkennbar In arbeitsmarkt-politischen und arbeitsweltlichen Diskursen sedimentiert sich die Auffassung Integra-tion durch Sprache in besonderer Weise Deutsche Sprachkenntnisse gelten als elemen-tare Grundvoraussetzung fuumlr den Zugang zum Arbeitsmarkt und die Aufnahme ei-ner Berufstaumltigkeit und muumlssen dementsprechend vorab angeeignet werden ndash unge-achtet der Tatsache dass im fachlichen und fachwissenschaftlichen Diskurs die Be-deutung des Lernortes Arbeitsplatz immer wieder betont wird (vgl DaaseGruumln-hage-MonettiOhm 2014) Waumlhrend in der fuumlr Deutschland so typischen Dualen Ausbildung dem Lernort Betrieb oder Arbeitsplatz eine elementare Bedeutung zu-geschrieben wird (vgl Schelten 2004 65) wird erwachsenen Lernenden der Zweit-sprache Deutsch diese Lerngelegenheit nicht zugestanden Der von Gogolin (1994) in Bezug auf die Schule beschriebene monolinguale Habitus zieht sich somit durch das gesamte Bildungssystem (vgl KnappikDirim 2013) und ist auch in weiten Tei-len der Arbeitswelt wirkmaumlchtig Zur besonderen Herausforderung wird dies durch den Umstand dass es nur fuumlr die wenigsten Arbeitsplaumltze oder Berufsbilder ein ein-deutig zugeordnetes oder festgeschriebenes Niveau an Deutschkenntnissen gibt So kann eine Stellenbewerberin das gegen eine Einstellung vom Arbeitgeber vorge-brachte Argument unzureichender Deutschkenntnisse kaum oder nur mit erhebli-chem Aufwand widerlegen bzw findet dafuumlr keine gesetzliche Unterstuumltzung
Neben der bereits angesprochenen Verfestigung von uns und anderen auf der Basis von Herkunft und Staatsangehoumlrigkeit sedimentiert sich in diesem Diskurs auch die Dichotomie von Muttersprachlerinnen und Nicht-Muttersprachlerin-nen Grundlage ist die Annahme dass erstere per se uumlber eine vollstaumlndige oder per-fekte Kompetenz in ihrer L1 verfuumlgen welche das naturgemaumlszlige Ziel der Spracha-neignung von L2-Lernenden darstellt Aktuelle Erkenntnisse in der Sprachwissen-schaft zeigen hingegen dass alle unsere sprachlichen Ressourcen aufgrund ihrer Ver-wicklungen in die jeweilige Biographie sowie der historischen Kontexte der Orte an denen sie entstanden sind immer aus Teilressourcen bestehen (Blommaert 2012
202 Andrea Daase
23) Als native speakerism kritisiert Holliday (2006) diese Uumlberhoumlhung von Spre-cherinnen mit der Zuschreibung Muttersprachlerinnen oder native speaker mit der die Abwertung der als generalisierte Andere konzeptualisierten Nicht-Muttersprach-lerinnen welche die betreffende Sprache als weitere Sprache gelernt haben einher-geht (Holliday 2006 386 DirimKnappik 2013 23)
Diese grundlegende Haltung gegenuumlber Menschen welche nicht mit Deutsch als Erstsprache aufgewachsen sind ist konstitutiv fuumlr die Konzeptualisierung von Angeboten Deutsch fuumlr den Beruf Auch der Fachdiskurs richtet sich aktuell auf die Auspraumlgung der sprachlichen Varietaumlten in diversen Berufsfeldern und an bestimm-ten Arbeitsplaumltzen Dabei ist durchaus zu konstatieren dass mit dem aktuell teilweise zu beobachtenden begrifflichem Wechsel von Berufsbezogenem Deutsch zu Deutsch fuumlr den Beruf Deutsch fuumlr Pflegekraumlfte etc sich ein Paradigmenwechsel zu vollziehen scheint weg von einer fest umrissenen und sich vermeintlich deutlich von jener der Alltags- und auch der Fachsprache abgrenzenden Varietaumlt hin zu einer Konzentration auf die pragmatische Zweckorientierung der Sprachaneignung wie sie bereits seit gerau-mer Zeit im angloamerikanischen Bereich zu finden ist (vgl HutchinsonWaters 1987 7f) Analog zur Fachsprachenforschung ist eine damit einhergehende Fokus-verschiebung von System- zu Verwendungseigenschaften (HoffmannKalverkaumlm-per 1998 358) von Sprache zu Kommunikation festzustellen Ein Beschreibungs-konzept fuumlr Deutsch fuumlr den Beruf das der sozialen Praxis in kontextuell eingebetteten Kommunikationssituationen gerecht wird liefert Dannerer (2008) mit einer prozess-orientierten Darstellung von fachlicher und beruflicher Kommunikation welche die dreifache Einbettung (kulturell institutionell und situational) sprachlichen Handelns im Beruf (ebd 24) verdeutlicht
Weitgehend auszliger Acht gelassen werden ndash abgesehen von einer eher gruppen-bezogenen und damit reduktionistischen Lernerinnenorientierung ndash dennoch nach wie vor die lernenden Subjekte ihre (Sprach-)Biographien die sie aktuell umgeben-den Kontexte und Diskurse und ihre durch diese Faktoren konstituierten ndash bewuss-ten und unbewussten ndash Motive und Ziele im Zusammenhang mit der Aneignung der Zweitsprache Deutsch Die soziale Praxis der beruflichen Kommunikation soll da-her im Folgenden um den ndash ebenso situativ konstituierten ndash Prozess der Aneignung sowie der Perspektive der lernenden Subjekte und ihre in den sozialen Kontext ein-gebetteten Taumltigkeiten ergaumlnzt werden Dafuumlr bieten sich Theorien an die aktuell in der Zweitsprachenerwerbsforschung unter dem Label der Soziokulturellen Ansaumltze firmieren sowie ein forschungsmethodisches Verfahren welches einen Zugang zu den unbewussten Bedeutungen der Handlungen von Zweitsprachenlernenden er-moumlglicht
Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf 203
3 Die Soziokulturelle Theorie in der Zweitsprachenerwerbsforschung
Spaumltestens ab den 1990er Jahren entstanden v a im anglo-amerikanischen Raum Ansaumltze in der Zweitsprachenerwerbsforschung welche die Aneignung von Zweit- und Fremdsprachen nicht ausschlieszliglich unter kognitiven Gesichtspunkten sondern in seiner sozialen Genese untersuchten Der Forschungsbereich hat sich in den letz-ten 25 Jahren erheblich weiterentwickelt und ausdifferenziert Aktuell ist eine unein-heitliche Zuordnung zu und Abgrenzung von theoretischen Herleitungen der ein-zelnen Perspektiven untereinander auszumachen (ZuenglerMiller 2006 SwainDe-ters 2007 MitchellMylesMarsden 2013) Auf Basis der unterschiedlichen theore-tischen Grundlagen aus diversen Disziplinen erscheint mir folgende Unterscheidung sinnvoll (vgl Daase 2018 79ff)
die auf Vygotskijs (1992 2002) kulturhistorischer Schule der Psychologie ba-sierende Soziokulturelle Theorie (vgl LantolfThorne 2006)
die auf Leontrsquoevs (1977) Weiterentwicklung von Vygotskijs Arbeiten und En-gestroumlm (1999) basierende Taumltigkeitstheorie (vgl LantolfThorne 2006 209ff Thorne 2004)
auf anthropologischen Arbeiten und der Ethnographie der Kommunikation basierende Ansaumltze der Sprachsozialisation und des Situierten Lernens (vgl Watson-GegeoNielsen 2003 GarrettBaquedano-Lopez 2002 EckertMcConnell-Ginet 1992)
Poststrukturalistische Ansaumltze (vgl Pavlenko 2002 McNamara 2012)
auf Bachtins Theorie des Dialogs basierende Arbeiten (vgl HallVitanovaMarchenkova 2005 Vitanova 2005 2010)
Trotz ihrer unterschiedlichen theoretischen Grundlagen aus diversen Disziplinen werden Soziokulturelle Ansaumltze aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten ihrer Kompatibi-litaumlt und der Moumlglichkeiten der gegenseitigen sinnvollen Ergaumlnzung haumlufig gegen-uumlber mentalistisch-nativistischen und kognitiv-interaktionistischen Ansaumltzen zusam-menfassend abgegrenzt (Ohm 2007) Allerdings gibt es mittlerweile auch Versuche beide Richtungen miteinander zu verbinden (vgl The Douglas Fir Group 2016)
Im Gegensatz zu interaktionistischen Ansaumltzen steht die Rolle des soziohistori-schen und kulturellen Kontextes fuumlr die Herausbildung houmlherer psychischer Funktio-nen (u a Sprache Denken etc) (Vygotskij 1992) und soziale Taumltigkeit bzw Partizipa-tion an der Ko-Konstruktion von Wissen im Zentrum von Arbeiten im Rahmen der Soziokulturellen Theorie die uumlber die Beachtung der kommunikativen Interaktion zwischen Individuen hinausgehen bdquoMoreover it is heavily focused on the impact of culturally organized and socially enacted meanings on the formation and functioning of mental activityldquo (LantolfThorne 2006 2) Damit wird deutlich dass eine dicho-tome Gegenuumlberstellung soziokultureller und kognitiver Ansaumltze der Komplexitaumlt der
204 Andrea Daase
soziokulturellen Theorie v a jener auf Vygotskij basierender Richtung nicht gerecht wird
Im Folgenden wird die in Kapitel 2 dargestellte Sicht auf Deutsch fuumlr den Beruf dem Verstaumlndnis der sozial konstituierten Zweitsprachsozialisation in den Beruf aus Subjektperspektive gegenuumlbergestellt
4 Ein emischer Zugang zur Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf
Die unten dargestellten Erkenntnisse entstammen einer Studie deren Erkenntnisin-teresse darin bestand
bewusste und unbewusste Erfahrungen und die daraus resultierenden expli-ziten und impliziten Wissensbestaumlnde von erwachsenen nach Deutschland eingewanderten Menschen die sich hier das Deutsche als Zweitsprache in unterschiedlichen Kontexten aneignen in seiner Prozesshaftigkeit einer Analyse zugaumlnglich zu machen um daraus gewonnene Erkenntnisse in die aumluszligere Gestaltung und innere Konzipierung von berufsbezogenen Angebo-ten in Deutsch als Zweitsprache einflieszligen zu lassen (Daase 2018 148)
Es handelte sich somit um ein exploratives Vorgehen welches sich im interpretati-ven Forschungsparadigma (vgl Rosenthal 2011) verortet Dessen Grundannahme besteht darin dass das Handeln von Individuen auf Bedeutungen auf Interpretati-onen der Sozialwelt beruht welche den Subjekten nicht in Gaumlnze als bewusstes the-oretisches Wissen zur Verfuumlgung steht und damit auch nicht erfragt werden kann Entsprechend dieser Annahme und des Forschungsgegenstandes wurde der Zugang uumlber sprachbiographische narrative Interviews2 gewaumlhlt um die prozessuale Ent-wicklung der Zweitsprachaneignung in ihrer kontextuellen Einbettung und in der Perspektive der handelnden und erleidenden Subjekte in den Blick zu nehmen Zur Erfassung des gesamten sprachlichen Repertoires der Forschungssubjekte wurden Sprachenportraumlts als Einstieg gewaumlhlt (vgl Busch 2013) Mittels einer Erzaumlhlauffor-derung wurden Stegreiferzaumlhlungen elizitiert in welchen die Erzaumlhlpersonen das monologische Rederecht hatten und eigene Relevanzsetzungen vornehmen konn-ten Die in Stegreiferzaumlhlungen greifenden Zugzwaumlnge3 des Erzaumlhlens bewirken
2 Die Auswahl der Erzaumlhlpersonen fuumlr die drei Interviews erfolgte ndash soweit moumlglich ndash mittels des
Vorgehens des Theoretical Samplings (vgl GlaserStrauss 2008) in prozessualen Entscheidungen wel-che bdquodurch die im Entstehen begriffene [hellip] Theorie kontrolliertldquo (GlaserStrauss 2008 53) wur-den Allerdings muss betont werden dass eine theoretische Saumlttigung insbesondere durch die in-tensive Konzentration auf die einzelnen Faumllle im Rahmen dieser Studie nicht erreichbar war
3 Kallmeyer und Schuumltze (1977) haben drei Zugzwaumlnge des Erzaumlhlens anhand empirischer Phaumlno-mene herausgearbeitet welche aufgrund der interaktiven Umsetzung der kognitiven Struktur der Erzaumlhlens in Kraft treten (ebd 188) Der Detaillierungszwang bringt die Erzaumlhlperson dazu ihre Erlebnisse in ihrer Abfolge und mit den notwendigen Hintergruumlnden und Zusammenhaumlngen nach-vollziehbar darzustellen der Kondensierungszwang bewirkt eine Verdichtung und Selektion in der
Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf 205
dass auch unbewusste verdraumlngte oder theoretisch ausgeblendete Ereignisbestaumlnde zur Darstellung gebracht werden ohne dass dafuumlr bdquoexmanente aus dem Methoden-zugriff oder den theoretischen Voraussetzungen des Forschers motivierte Interven-tionen und Ausblendungenldquo (Schuumltze 1983 285) noumltig waumlren Erst nach Abschluss der Stegreiferzaumlhlung und den folgenden sogenannten immanenten Fragen welche ebenfalls erzaumlhlgenerierend sind und Andeutungen in der Erzaumlhlung mit der Bitte nach genauerer Darstellung aufgreifen werden exmanente Fragen nach Themen ge-stellt welche bislang nicht vorkamen aber fuumlr die Bearbeitung des Forschungsge-genstandes von Interesse sind
Zur Datenauswertung wurde mit der Narrationsanalyse nach Schuumltze (1983 1987) ein sequenzielles und rekonstruktives Vorgehen gewaumlhlt welches in einer kleinschrittigen Analyse und mit der Logik des Entdeckens dicht an den Daten bleibt und diese nicht fruumlhzeitig aufbricht wie dies z B bei Kodierverfahren der Fall ist sondern den Kontext von Aumluszligerungen immer einbezieht um ihre Bedeutung ver-stehen zu koumlnnen Zudem stellt das staumlndige Vergleichen (Komparation und Kon-trastierung) ein entscheidendes und durchgaumlngiges Element dieses Interpretations-verfahrens dar Bei der Interpretation der Handlungsprozesse werden somit daten-basiert die Moumlglichkeitshorizonte vergleichend herausgearbeitet um auch die Wahl-moumlglichkeiten mit einzubeziehen welche die Handelnden auszliger Acht gelassen ha-ben (Rosenthal 2011 71 Bohnsack 2014 218) Nach einer fuumlnf Schritte umfassen-den fallinternen Analyse werden die Faumllle durch die Strategien des minimalen und maximalen Vergleichens miteinander in Beziehung gesetzt Nur so koumlnnen kollek-tive Erfahrungen die uumlber das individuelle Erleben und den Einzelfall hinausgehen erarbeitet und die Gefahr umgangen werden dass bdquodie Analysen in den fallspezifi-schen Sonderheiten sbquoversinkenlsquoldquo (Bohnsack 2014 217) Die sich aus dem Verglei-chen herauskristallisierenden Elementarkategorien werden im naumlchsten Schritt der Theoriegenese systematisch aufeinander bezogen um die gegenstandsbezogenen Fragestellungen zu beantworten
5 Zweitsprachsozialisation in den Beruf bdquohellip es geht um die Sicherheitldquo
Mit dem oben dargestellten Vorgehen konnten folgende Erkenntnisse in Bezug auf die Zweitsprachsozialisation in den Beruf herausgearbeitet werden
Darstellung des Erlebten und der Gestaltschlieszligungszwang sorgt dafuumlr dass die einzelnen Episoden logisch miteinander verbunden werden und die Gesamterzaumlhlung zu Ende gebracht wird
206 Andrea Daase
51 Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf als dialogischer Prozess zwischen einer soziohistorischen individuellen Subjektivitaumlt und bedeutungsvollen Anderen
Mit Subjektivitaumlt wird in poststrukturalistischen Ansaumltzen der diskursiv konstituier-ten und somit sozial konstruierten kontingenten Natur von Identitaumlt Rechnung ge-tragen und damit eine Gegenposition zur humanistischen Auffassung einer essenz-haften Identitaumlt dargestellt (McNamara 2012 476 Davies 2000 55) welche auch den meisten Kurskonzepten zugrunde liegt Subjektivierung gilt somit als soziale Praxis bei der Diskurse eine maszliggebliche Rolle spielen Nach Butler (2013b) werden wir mit und durch Sprache ndash und gleichsam durch andere ndash in die Existenz gerufen oder gesprochen Waumlhrend poststrukturalistische Ansaumltze aber einen Identitaumltskern negieren und agency4 als bdquofundamentally illusoryldquo (Davies 2000 60) erachten bzw als stark eingeschraumlnkt ansehen der Moumlglichkeit von agency lediglich einen bdquonarrow spaceldquo (McNamara 2012 476) einraumlumen kamen in meinen Daten Lernende nicht nur als soziale Wesen mit ko-konstruierten Subjektivitaumlten zur Darstellung sondern es war ein Persoumlnlichkeitskern erkennbar der mit der Umgebung und bedeutungs-voll Anderen (z B Vorgesetzte Nachbarin Familienmitglieder Lehrkraumlfte) im Austausch steht und sich dadurch innerhalb gewisser Grenzen veraumlndert was als eine eingeschraumlnkte Kontingenz angesehen werden kann
Die Aneignung der Zweitsprache Deutsch wird als dialogischer Prozess einge-bettet in sich veraumlndernden soziohistorischen soziokulturellen und soziooumlkonomi-schen Strukturen dargestellt Die Subjektivitaumlten reagieren auf die sozialen Prozesse mit ihrer ndash in der sozial konstruierten Sprachbiographie konstituierten ndash Persoumlnlich-keit und den damit zusammenhaumlngenden Beduumlrfnissen Gefuumlhle wie Angst oder Stolz wirken ndash beeinflusst durch den Austausch mit anderen ndash als Zwaumlnge oder Be-schraumlnkungen (constraints) oder Bestaumlrkungen auf den Zweitsprachsozialisationspro-zess und lassen sich durch den Dialog mit anderen beeinflussen
52 Zweitsprachsozialisation in den Beruf wird vermittelt durch soziale Beziehungen uumlber die Grenzen von Taumltigkeitssystemen hinweg
Menschen verfuumlgen uumlber die einzigartige Faumlhigkeit ihren Handlungen Bedeutung zuzuschreiben Handlungen von Individuen stellen allerdings keine autonomen Phauml-
4 Der Begriff agency laumlsst sich unter Beibehaltung seiner Bedeutungsvielfalt (Handlungsinitiative
Handlungsmacht Handlungsmoumlglichkeit) schlecht ins Deutsche uumlbersetzen Im Kontext der Sozi-okulturellen Theorie wird agency nicht als Eigentum oder Charakteristikum eines einzelnen Individu-ums verstanden sondern sie stellt eine Beziehung dar welche permanent ko-konstruiert also mit den Menschen der direkten Umgebung innerhalb von Institutionen und Machtstrukturen ausge-handelt bzw uumlber gezielt eingesetzte Artefakte also vom Menschen erschaffene physische und symbolische Werkzeuge wie z B Sprache Kurskonzepte vermittelt ist (LantolfPavlenko 2001 148 Thorne 2004 53) Agency bezieht sich in diesem Sinne auf bdquothe socioculturally mediated ca-pacity to actldquo (Ahearn 2001 112)
Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf 207
nomene dar sondern sie verfuumlgen uumlber einen sozialen Charakter und sind eingebet-tet in groumlszligere Zusammenhaumlnge Aufbauend auf Vygotskijs Konzept der Vermitt-lung welches zielgerichtete und durch Artefakte vermittelte Handlungen von Indi-viduen betrachtete beziehen Leontrsquoev (1977) und nachfolgend Engestroumlm (1999) aus taumltigkeitstheoretischer Perspektive den breiteren kollektiven Kontext von indi-viduellen Handlungen mit ein (Mitchell et al 2013 226) Leontrsquoev unterscheidet mit Taumltigkeit (activity) Handlung (action) und Operation (operation) drei hierarchisch ge-ordnete Ebenen welche als bdquodifferent analytical perspectives on the same eventldquo (LantolfThorne 2006 216) zu sehen sind
Tabelle 1 Hierarchie von Taumltigkeit (nach LantolfThorne 2006 217)
Alltags-be-schreibung
Einheit der Analyse
Ausgerichtet auf Ausgefuumlhrt von Zeitrahmen
Warum etwas geschieht
Taumltigkeit Motiv Transformation des Objekts oder des Gegenstands
Gemeinschaft undoder Gesellschaft
sich wiederholend zyklisch sukzessiv
Was getan wird
Handlung Ziel Individuum oder Gruppe
linear finit
Wie konkret gehandelt wird
Operation Bedingung(en) Individuum aktueller Prozess Moment Ontologie
Auch die Zweitsprachsozialisation in den Beruf wird nicht als Selbstzweck in Angriff genommen ndash es geht um mehr als die Aneignung der deutschen Sprache und die Moumlglichkeit in Deutschland im erlernten Beruf arbeiten zu koumlnnen Aus den Daten konnte die Zweitsprachsozialisation als durch Motive (vgl 53) angetriebene Taumltig-keit oder eine einer solchen ndash den Individuen z T nicht bewusst zugaumlnglichen ndash Taumltigkeit untergeordnete zielorientierte Handlung herausgearbeitet werden Als so-ziale Wesen sind Individuen in verschiedene Taumltigkeitssysteme involviert wie Enge-stroumlm sie mit folgender Grafik darstellt
Abbildung 1 Taumltigkeitssystem in Anlehnung an Engestroumlm (LantolfThorne 2006 222)
208 Andrea Daase
Zweitsprachsozialisation in den Beruf stellt somit keine Handlung einzelner Indivi-duen dar sondern eine soziale Praxis die in diverse Taumltigkeitssysteme eingebunden ist in welchen sie unterschiedliche Auspraumlgungen annehmen kann Wie jeder Lern-prozess erfolgt auch die Zweitsprachsozialisation als vermittelter Prozess bei dem vor allem Beziehungen zu bedeutungsvollen Anderen aber auch die Beziehung zur Gesellschaft oder einzelnen communities of practice als Artefakt der Vermittlung dienen Dabei spielen bei der Zweitsprachsozialisation in den Beruf auch Beziehungen au-szligerhalb des Arbeitsplatzes eine Rolle wie z B zu Personen aus der Nachbarschaft der Familie oder dem weiteren Bekanntenkreis was mit der ganzheitlichen komple-xen und dynamischen sowie sozialen Subjektivitaumlt zusammenhaumlngt
Da den Individuen die Vermittlungsrolle und die Taumltigkeit selbst haumlufig nicht bewusst sind kann es zur Zweitsprachsozialisation in den Beruf im Kampf mit sich selbst kommen So kann sie eine Positionierung gegenuumlber vorgestellten oder vor-handenen Opponenten darstellen der Wiederherstellung der professionellen Sub-jektivitaumlt dienen oder eine Perspektive fuumlr Weiterentwicklung darstellen
53 Zweitsprachsozialisation in den Beruf als Investition in die ontologische Sicherheit der Subjektivitaumlt
In allen Fallanalysen war die Zweitsprachsozialisation in den Beruf in das Taumltigkeits-system der Herstellung der ontologischen Sicherheit der Subjektivitaumlt integriert Da-mit reagieren die Individuen auf das Fremdwerden der eigenen Subjektivitaumlt welches durch das mehr oder weniger stark ausgepraumlgte Empfinden des absoluten Nichtver-stehens und Nichtkoumlnnens als konstituierendes Merkmal von Sprachsozialisations-prozessen im Kontext von Migration ausgeloumlst wird Mit ontologischer Sicherheit bezeichnet Giddens (1991) den Besitz von Antworten auf fundamentale Fragen und die Herstellung einer Balance zwischen Vergangenheit Gegenwart und Zukunft Diese Taumltigkeit ist den Individuen meistens nicht bewusst Ihr liegen individuell un-terschiedliche Motive zugrunde die sich im Laufe der Zeit aumlndern koumlnnen Damit kann die Aneignung der Zweitsprache als die Taumltigkeit dieser Investition verstanden werden sie kann ihr aber auch als Handlung untergeordnet sein Die Bedeutung der ontologischen Sicherheit und ihre Ausrichtung sind aufgrund der historisch-biogra-phischen Erfahrungen und der Persoumlnlichkeiten sehr unterschiedlich ausgepraumlgt und ihnen selbst als solche nicht zwangslaumlufig bewusst
54 Zweitsprachsozialisation in den Beruf bedarf der Perspektive einen sicheren Platz einnehmen zu koumlnnen der sich mit der soziohistorisch individuellen Subjektivitaumlt vereinbaren laumlsst
Menschen als Wesen die ihren Handlungen Bedeutungen zugrunde legen brauchen eine Perspektive und einen sicheren Platz im Leben Dieser muss sich vereinbaren lassen koumlnnen mit ihrem Verstaumlndnis von sich selbst ihrer soziohistorisch individu-
Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf 209
ellen Subjektivitaumlt Als solche haben sie ndash bewusst undoder unbewusst ndash Erwartun-gen und Vorstellungen von dem Weg der sie erwartet und von dem Ziel das am Ende dieses Weges stehen soll Fuumlr die zu taumltigenden Investitionen benoumltigen sie die Sicherheit einer Perspektive nach der sie kohaumlrent handeln koumlnnen Dabei wurde deutlich dass z B die von auszligen (z B von Mitarbeitenden der Jobcenter) eruierten beruflichen Perspektiven nicht zwangslaumlufig auch von den Individuen als solche ge-sehen wurden ndash abhaumlngig davon welche Taumltigkeit sie ausuumlbten (vgl 52)
6 Konsequenzen fuumlr die Planung und Gestaltung von (institutionellen) Angeboten zur Deutschaneignung fuumlr den Beruf
In allen Interviews ist vielfach zur Darstellung gekommen dass institutionell unter-stuumltze Sprachaneignung in der Gesellschaft und ihren Institutionen stattfinden muss nicht ndash oder zumindest nicht ausschlieszliglich ndash in von der Gesellschaft abgetrennten Sprachkursraumlumen Waumlhrend die gesellschaftliche Sicherheit in ihren unterschiedli-chen Auspraumlgungen die Gestaltung von Integrationsangebote ndash offen oder versteckt ndash stark praumlgt werden die subjektivitaumltsbezogenen Sicherheitsbeduumlrfnisse der Indivi-duen die an solchen Angeboten teilnehmen bislang nicht in die Planung und Durchfuumlhrung mit einbezogen Neben Veraumlnderungen institutioneller Angebote muumlsste verstaumlrkt uumlber die Gestaltung von Lerngelegenheiten an anderen Lernorten (z B Arbeitsplatz) nachgedacht werden bzw die Zweitsprachsozialisation als ver-mittelte Partizipation bedarf der Beziehungsarbeit welche eine Lehrkraft nicht fuumlr einen gesamten Kurs alleine leisten kann zumal der Klassenraum nicht der geeignete Ort fuumlr eine solche Vermittlung darstellt Als Herausforderung die einem zugetraut wird brauchen Menschen die sich die Zweitsprache Deutsch fuumlr deren Verwendung u a auch im Beruf aneignen moumlchten eben dort die notwendigen Herausforderun-gen wie auch die Menschen die ihnen diese zutrauen und dennoch bei Bedarf Un-terstuumltzung anbieten Dies koumlnnen alle Kolleginnen Vorgesetzte etc sein aber auch speziell dafuumlr zustaumlndige Mentorinnen Fuumlr die soziale oder gesellschaftliche Integration gibt es bereits viele solcher Projekte im beruflichen Bereich sind sie noch rar gesaumlt Vor allem die Unternehmen und Betriebe muumlssen weitaus mehr als bislang in die Sprachfoumlrderung eingebunden werden
Auch wenn Konzepte und Lehrwerke immer staumlrker an der Lebenswirklichkeit der Lernenden ausgerichtet sind fehlt es noch weitgehend an der expliziten Thema-tisierung der Lernerfahrungen der Menschen im Sinne von Sprachsozialisationser-fahrungen im Unterricht sowie dem Raum fuumlr Austausch daruumlber Dieses Thema sollte ein fester Bestandteil in DaZ-Curricula werden und ein durchgaumlngiges Motiv in den Lehrwerken Geschichten von Lernenden wie z B die dieser Studie zugrun-deliegenden als Diskursfolie in Lehrwerke bzw in die Didaktisierung von DaZ-Un-terricht einzubauen koumlnnte eine Moumlglichkeit darstellen diesem wichtigen Teil der Lebenswirklichkeit der Lernenden in den Kursen gerecht zu werden
210 Andrea Daase
Institutionell unterstuumltzte Zweitsprachaneignung fuumlr den Beruf muss den gan-zen Menschen mit seinen historisch-biographischen Erfahrungen und daraus resul-tierenden Beduumlrfnissen Zielen und Wuumlnschen in den Blick nehmen und darf nicht auf Arbeit und Berufstaumltigkeit beschraumlnkt werden Statt an den Lernenden ausge-richtet zu sein ndash und damit diese auf eine einzige Rolle die der L2-Lernenden die in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen festzulegen ndash sollten sprachliche Unter-stuumltzungsangebote versuchen an den Taumltigkeiten der Individuen anzusetzen und dementsprechend Methoden zu deren Erhebung in den Unterricht zu integrieren Aus taumltigkeitstheoretischer Perspektive gibt es keinen lernerorientierten Sprachun-terricht bdquoagents play various roles and share an orientation to the activityldquo (Thorne 2004 58) Zu wissen mit welchen Taumltigkeiten die Menschen in einem institutionel-len Angebot zur Zweitsprachaneignung im Zusammenhang mit ihrer Zweitsprach-sozialisation gerade beschaumlftigt sind und darauf einzugehen kann grundlegend fuumlr den Erfolg solcher Angebote sein Da den einzelnen Individuen die Taumltigkeiten die sie im Zusammenhang mit der Zweitsprachsozialisation gerade bearbeiten nicht im-mer bewusst sind koumlnnen ergaumlnzende (Sprach-)Lernberatungsangebote sinnvoll sein Ansaumltze dafuumlr sind nicht neu basieren aber bislang auf einer Sicht von Sprache Spracheignung und den Lernenden die eher den traditionellen Ansaumltzen in der Zweitsprachenerwerbsforschung entspricht Daraus resultiert eine Missachtung der diversen sozialen Subjektivitaumlten der Lernenden bzw eine Uumlberfokussierung auf die Identitaumlt der Zweitsprachlernerinnen und eine Beratung die vornehmlich die An-eignung von Lexik und Strukturen im Blick hat Ansaumltze wie das Sprachcoaching (vgl DaaseFerber-BrullKaplinska-ZajontzRomero 2014) stellen eine Moumlglich-keit dar diese Engfuumlhrung zu vermeiden Durch gezielte Fragetechniken Methoden und Bewusstmachungsaktivitaumlten wird auf Basis des vom Individuum dargelegten Anliegens herausgearbeitet was das (haumlufig unbewusste) dahinter liegende Ziel dar-stellt um dann gemeinsam weitere Schritte festzulegen und punktuell Hilfestellung zu leisten ndash oder mit den Worten einer meiner Erzaumlhlpersonen bdquosie zeigt mir nur den Weg und weiter muss ich selber gehenldquo
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Integriertes Fach- und Sprachlernen (IFSL) als Anforderung an berufliche Weiterbildung
Jana Laxczkowiak (Hamburg)
1 Einleitung
Der folgende Beitrag beschaumlftigt sich mit dem Integrierten Fach- und Sprachlernen (IFSL) einem Ansatz des berufsbezogenen Deutschlernens im Kontext (gefoumlrder-ter) beruflicher Weiterbildung
Der Beitrag folgt einem Vortrag auf der 44 Jahrestagung Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 2017 an der Technischen Universitaumlt Berlin1 Es wird den Frage-stellungen nachgegangen wie der Ansatz IFSL im Arbeitsfeld Berufsbezogenes Deutsch entstanden ist und warum es notwendig ist das berufsbezogene Deutsch-lernen direkt in berufliche Bildungsangebote einzubinden Weiterhin werden erste Erfahrungen bei der Umsetzung des Konzeptes aufgezeigt sowie aktuelle Hand-lungsbedarfe genannt die die zukuumlnftige Arbeit bestimmen werden
Die Entwicklung und Erprobung des Ansatzes wird im Rahmen des bundes-weiten Foumlrderprogramms Integration durch Qualifizierung (IQ) durch die Fachstelle Berufsbezogenes Deutsch begleitet2 Der Beitrag erfolgt daher aus der Perspektive
1 Dieser Beitrag orientiert sich teilweise am Aufbau und Inhalt eines Uumlberblicksartikels zum Berufs-
bezogenen Deutsch der 2018 im Handbuch bdquoSprache und Kommunikation in der beruflichen Aus- und Weiterbildungldquo (EfingKiefer 2018) erschienen ist konzentriert sich jedoch staumlrker auf den Ansatz des IFSL und erweitert die Ausfuumlhrungen dazu
2 Das Foumlrderprogramm arbeitet seit 2005 an der Zielsetzung die Arbeitsmarktchancen fuumlr Men-schen mit Migrationshintergrund zu verbessern und wird aus Mitteln des Bundesministeriums fuumlr
216 Jana Laxczkowiak
der IQ Fachstelle deren Aufgaben u a sind bestehende Konzepte und Materialien zu buumlndeln Praxishandreichungen zu publizieren Fortbildungen fuumlr Lehrkraumlfte an-zubieten sowie die bundesweite Fachdiskussion im Arbeitsfeld Berufsbezogenes Deutsch zu koordinieren
2 Instrumente zur Planung und Durchfuumlhrung von berufsbezogenem Unterricht Deutsch als Zweitsprache
Zu den Aufgaben der Fachstelle gehoumlrt es von Beginn an die Qualitaumlt von berufs-bezogenen Deutschlernangeboten fuumlr erwachsene Lernende mit Deutsch als Zweit-sprache (DaZ) zu verbessern In diesem Zusammenhang wurden zentrale Instru-mente zur Planung und Umsetzung solcher Angebote skizziert
Seit 2015 ndash mit den ersten Qualifizierungen im Kontext des Anerkennungsge-setztes3 ndash zeigte sich dann der verstaumlrkte Bedarf nach einem Ansatz des berufsfach-lichen Lernens der gleichzeitig den Aufbau von Sprachkompetenzen unterstuumltzt Dieser Bedarf wird in der beruflichen Weiterbildungslandschaft schon laumlnger artiku-liert und seit ca 10 Jahren entstehen erste Konzepte dazu
Bevor die Entwicklung eines solchen integrativen Ansatzes beschrieben wird (Kapitel 3) erfolgt im naumlchsten Kapitel eine kurze Darstellung der o g Instrumente da sie ebenso beim Deutschlernen im Kontext berufsbezogener Qualifizierungs- und Bildungsangebote eine Rolle spielen
21 Merkmale berufsbezogener Deutschlernangebote
Anders als in allgemeinsprachlichen Kursen die insbesondere auf die Bewaumlltigung allgemeiner Lebenssituationen ausgerichtet sind zielen berufs- und arbeitsplatzbe-zogene Deutschlernangebote auf den Erwerb einer sprachlich-kommunikativen Kompetenz die am Arbeitsplatz oder fuumlr die Teilhabe an beruflicher Aus- und Wei-terbildung notwendig ist (Beckmann-SchulzBethscheider 2013 5 Gruumlnhage-Mo-netti 2010 7 Kuhn 2014 3) Diese Kompetenz soll den Lernenden ermoumlglichen berufstypische Kommunikationssituationen angemessen zu bewaumlltigen und somit beruflich erfolgreich zu handeln
Der Aufbau einer berufsbezogenen sprachlich-kommunikativen Kompetenz umfasst ne-ben der Vermittlung grundlegender sprachlicher Faumlhigkeiten im Sinne einer linearen
Arbeit und Soziales (BMAS) finanziert 2011 wurden im IQ Foumlrderprogramm fuumlnf Fachstellen eingerichtet mit der Aufgabe bestimmte migrationsspezifische Themen zu bearbeiten
3 Das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen (Inkrafttreten 01 April 2012) gibt Fachkraumlften aus dem Ausland das Recht ihren Berufsabschluss auf Gleichwertigkeit mit dem deutschen Referenzberuf uumlberpruumlfen zu lassen Die Richtlinie ESF-Qualifizierung im Kontext Anerkennungsgesetz ist ein Handlungsschwerpunkt im Foumlrderprogramm IQ Laufzeit 2015-2022
Integriertes Fach- und Sprachlernen (IFSL) 217
Sprachvermittlung weitreichendere Kompetenzen die insbesondere auf eine fle-xible eigenstaumlndige Verwendung von Sprache in verschiedenen berufstypischen Kommunikationssituationen zielen In Anlehnung an Efing (2015) verstehen wir diese Kompetenz als Teilkompetenzen einer allgemeinen kommunikativen Kompe-tenz mit berufsbezogener Spezifizierung Dazu gehoumlren Sprachsystemkompetenz (grammatische Kompetenz) soziolinguistische Kompetenz (v a das Beherrschen berufsrelevanter Register sowie der flexible Wechsel zwischen diesen) pragmatische Kompetenz (zur Erreichung eines sprachlichen Handlungsziels) Text- und Diskurs-kompetenz (berufsbezogene Textsorten und Gespraumlchsformen) strategische Kom-petenz und sozialesoziokulturelle Kompetenz (das Erlernen sozialer Werte und Re-geln der Arbeitswelt)4
Um diese Kompetenzen im berufsbezogenen DaZ-Lernen zu vermitteln ist die Bearbeitung von Sprachhandlungen essentiell die notwendig sind fuumlr den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Qualifizierung (z B sich bewerben) zur Informationsgewinnung (z B nachfragen) zur Teilhabe an betrieblichen Prozessen (z B Small Talk fuumlhren sich beschweren) u a (Beckmann-SchulzKleiner 2011 15) Je konkreter DaZ-Kurse auf spezifische Berufe oder Berufsfelder ausgerichtet sind umso berufs- bzw fachspe-zifischer werden auch die zu bearbeitenden Sprachhandlungen (z B Waren bestellen Kunden beraten technische Unterlagen lesen Patienten informieren Behandlungsmoumlglichkeiten er-klaumlren) (SchefflerSnippe 2017 HaberLaxczkowiak 2017 2018)
Die Praxis berufsbezogener Sprachbildung ist durch unterschiedliche Kurstypen und Maszlignahmeformen gepraumlgt Abhaumlngig davon ob Deutschlernangebote berufs-orientierendberufsvorbereitend qualifizierungsbegleitend oder arbeitsplatzbezo-gen konzipiert sind variieren Lernziele und -inhalte (Beckmann-Schulz Kleiner 2013 9ff Kuhn 2007 135 Szablewski-Cavus 2010) sowie berufssprachliche fach-sprachliche und allgemeinsprachliche Anteile
Sowohl fuumlr die Planung und Umsetzung berufsbezogener DaZ-Kurse als auch fuumlr die Gestaltung sprachfoumlrderlicher beruflicher Qualifizierungen heiszligt das relevante Sprachhandlungen als Lernziele zu identifizieren Lehr-Lern-Materialien zu entwickeln bzw authentische Materialien zu didaktisieren sowie geeignete Methoden einzusetzen um berufsbezogene Sprachkompetenzen zielgerichtet aufzubauen
4 Vor dem Hintergrund eines uneinheitlichen Kompetenzbegriffs macht Efing (2015) den Vorschlag
fuumlr ein Modell berufsbezogener kommunikativer Kompetenz im Hinblick auf eine Fremdsprache und schafft damit eine wertvolle theoretische Grundlage Er grenzt berufsweltbezogene kommunikative Kompetenz von fach- und berufsspezifischer Kompetenz ab Erstere zeichne sich bdquovor allem durch die fle-xible Beherrschung des berufsunspezifischen Registers der Berufssprache ausldquo (ebd 42) Efing nennt als zentrale berufsrelevante Register Umgangs- Bildungs- Berufs- und Fachsprache wobei er der Berufssprache als bdquoKern einer berufsweltbezogenen kommunikativen Kompetenzldquo (ebd 34) beson-dere Bedeutung zuschreibt Dieses Register sieht Efing als bdquoPlattform oder Ummantelungldquo fuumlr andere Register z B fuumlr bdquofachsprachliche und berufsspezifische Anteile insbesondere Fachtermi-nologie oder Berufsjargonismenldquo (ebd 38)
218 Jana Laxczkowiak
22 Qualitaumltskriterien zur Umsetzung von berufsbezogenem Unterricht Deutsch als Zweitsprache
Mit der Einfuumlhrung spezieller Kurse zur berufsbezogenen Sprachfoumlrderung durch das ESF-BAMF-Programm 2007 sahen sich DaZ-Lehrkraumlfte vor neue Herausfor-derungen gestellt Um den vielfaumlltigen Aufgaben bei der Umsetzung eines berufsbe-zogenen DaZ-Unterrichts begegnen zu koumlnnen wurden in einem Arbeitskreis der Fachstelle Berufsbezogenes Deutsch Qualitaumltskriterien fuumlr den berufsbezogenen Deutschunterricht diskutiert im Rahmen von Workshops und Fortbildungen mit Lehrkraumlften und Weiterbildungsplanenden weiterentwickelt und dokumentiert (Beckmann-SchulzKleiner 2011) Ziel sollte sein zur Sicherung einer Mindestqua-litaumlt der Kursangebote beizutragen Die Qualitaumltskriterien basieren auf folgenden Prinzipien (ebd 25ff)
Handlungsorientierung Lernende erfahren sich im Unterricht bdquoals sprachlich Handelnde in realitaumltsnahen und moumlglichst authentischen Situationen aus dem Arbeitsalltagldquo
Teilnehmerorientierung Differenzierte Lernangebote orientieren sich an den Be-duumlrfnissen der Teilnehmenden ihren verschiedenen Lernwegen Kompeten-zen Erfahrungen und berufsfachlichen Expertisen
Bedarfsorientierung Die inhaltliche Ausrichtung von berufsbezogenen DaZ-Kursen orientiert sich an den sprachlich-kommunikativen Anforderungen des Berufes der Branche des Betriebes Die jeweiligen konkreten Sprachbedarfe werden im Vorfeld ermittelt
Diese Prinzipien sind durch Fragen aufgeschluumlsselt (ebd 33ff) sodass sie wie Checklisten genutzt und als Leitfaden zur Planung Umsetzung und Evaluation von berufsbezogenen Deutschlernangeboten eingesetzt werden koumlnnen
Im Zuge der Erweiterung der Instrumente zum berufsbezogenen DaZ-Lernen durch den Ansatz des Integrierten Fach- und Sprachlernens (Kapitel 3) stellt sich die Aufgabe diese Prinzipien in einem naumlchsten Schritt dem aktuellen Entwicklungs-stand anzupassen
23 Sprachbedarfsermittlung im Kontext berufsbezogenen Unterrichts Deutsch als Zweitsprache
Fuumlr eine teilnehmer- und bedarfsorientierte Planung und Durchfuumlhrung berufsbe-zogener Daz-Angebote ist es notwendig beruflich relevante Kommunikationssitua-tionen und Sprachhandlungen zu identifizieren und aufgrund der individuellen Be-darfe der Kursteilnehmenden auszuwaumlhlen Das setzt im Vergleich zu allgemein-sprachlichen Deutschkursen eine viel intensivere Auseinandersetzung mit den jewei-ligen Voraussetzungen der Teilnehmenden und beruflichen Anforderungen voraus und macht Sprachbedarfsermittlungen erforderlich
Integriertes Fach- und Sprachlernen (IFSL) 219
Im deutschsprachigen Raum spielten Konzepte der Sprachbedarfsermittlung e-her berufsuumlbergreifend in betrieblichen oder wissenschaftlichen Zusammenhaumlngen eine Rolle (Haider 2008 Szablewski-Cavus 2009 Gruumlnhage-Monetti 2010 Weiszligenberg 2010 im Kontext von Ausbildung Efing 2010) Es fehlen jedoch systematische Kompetenzbeschreibungen berufsspezifischer sprachlich-kommunikativer Anfor-derungen was v a der Vielschichtigkeit beruflicher Abschluumlsse und Taumltigkeiten ge-schuldet ist
Weiszligenberg (2012) hat daher fuumlr die Ermittlung von sprachlich-kommunikati-ven Bedarfen in berufsbezogenem DaZ-Unterricht einen Leitfaden entwickelt mit dem Ziel DaZ-Lehrenden fuumlr die Lernzielplanung und Unterrichtsgestaltung ein handhabbares und flexibles Instrument anzubieten Er beschreibt als geeignete Me-thoden Befragung Recherche Beobachtung und Erkundung
Inzwischen liegen auch erste Untersuchungsergebnisse zu berufsspezifischen An-forderungen vor die in Teilaspekten untersucht wurden Genannt seien hier exemp-larisch Settelmeyer und Widera (2015 2016) die im Kontext von Ausbildung die sprachlich-kommunikativen Anforderungen von drei ausgewaumlhlten Berufen analy-siert haben oder die Untersuchung des Kompetenzbereiches Lesen fuumlr ausgewaumlhlte Bauberufe von Keimes (2014)
Auch erste paumldagogische Konzepte sind auf der Grundlage von Bedarfsanalysen entstanden So hat die IQ Fachstelle Berufsbezogenes Deutsch fuumlr die Durchfuumlh-rung von Berufssprachkursen (BMAS 2016)5 in den Berufsfeldern Akademische Heil-berufe Einzelhandel sowie GewerbeTechnik (SchefflerSnippe 2017 HaberLaxczko-wiak 2017 2018) erste berufsspezifische Kompetenzbeschreibungen vorgelegt
Trotz der beachtlichen Entwicklungsschritte der letzten Jahre handelt es sich immer noch um ein Arbeitsfeld mit vielen Bearbeitungsluumlcken und es besteht nach wie vor ein hoher Bedarf an wissenschaftlich fundierten Sprachbedarfsanalysen und paumldagogischen Rahmenkonzepten
Mit dem Fokus auf eine verstaumlrkte Integration des DaZ-Lernens in berufsfach-liches Lernen veraumlndert sich die Anforderung an eine Sprachbedarfsermittlung Denn Integriertes Fach- und Sprachlernen bedeutet die Verzahnung von fachlichen und sprachlichen Lernzielen d h Fachlehrende und Sprachlehrende arbeiten in ei-nem interdisziplinaumlren Setting zusammen und stimmen fachliche und sprachliche Lernziele fuumlr eine gemeinsame Unterrichtsplanung und -gestaltung miteinander ab Hierfuumlr eignen sich Instrumente die diesen Prozess unterstuumltzen Bspw erprobt die Fachstelle in Fortbildungen zum IFSL ob sich ein Konkretisierungsraster das Tajmel (2011) fuumlr den naturwissenschaftlichen Unterricht in allgemeinbildenden Schulen entwickelt hat auf berufsfachliche Kontexte uumlbertragen laumlsst Das Raster leitet dazu an in der fachlichen Unterrichtsplanung einen konkreten Erwartungshorizont fuumlr
5 Das ESF-BAMF-Programm (2007-2017) wird durch Berufssprachkurse nach der Verordnung uumlber
die berufsbezogene Deutschsprachfoumlrderung (DeuFoumlV Inkrafttreten 01 Juli 2016) abgeloumlst und damit die berufsbezogene Deutschsprachfoumlrderung in ein aus Bundesmitteln (BMAS) finanziertes regelhaf-tes Programm uumlberfuumlhrt Diese Berufssprachkurse werden vom BAMF umgesetzt und dafuumlr pauml-dagogische Konzepte herausgegeben
220 Jana Laxczkowiak
sprachliche Lernziele zu formulieren So koumlnnte auch konkretisiert werden was Ler-nende in spezifischen beruflichen Qualifizierungs- oder Arbeitsplatzsituationen an sprachlich-kommunikativen Kompetenzen benoumltigen um erfolgreich zu handeln
24 Szenario-Methode
Fuumlr die Umsetzung berufsbezogener DaZ-Angebote auf der Grundlage der drei qua-litaumltssichernden Prinzipien eignet sich besonders die Szenario-Methode Eilert-Ebke und Sass (2012) haben das Konzept der Szenario-Methode fuumlr den Einsatz im be-rufsbezogenen DaZ-Unterricht aus der Kurspraxis heraus entwickelt Sie verstehen darunter eine handlungs- und kommunikationsorientierte Methode die zur Planung und Durchfuumlhrung von DaZ-Unterricht sowie zur Lernfortschrittsmessung einge-setzt werden kann
Ein Szenario beschreiben sie als eine Kette von aufeinander aufbauenden Kom-munikationssituationen aus der realen Arbeits- und Lebenswelt der Lernenden Die zur Bewaumlltigung dieser Situationen notwendigen Sprachhandlungen sind als Lern-ziele festgelegt und werden simuliert Im Lernprozess bis zur Bewaumlltigung eines komplexen Szenarios werden Schritt fuumlr Schritt sprachlich-kommunikative Kompe-tenzen aufgebaut indem sprachliche Mittel ((Fach-)Wortschatz Grammatik Rede-mittel) und kommunikative Fertigkeiten (z B Registerbeherrschung Einsatz von Koumlrpersprache Intonation) eingeuumlbt werden
Ob und inwieweit dieses Instrument auf berufliche Lernkontexte uumlbertragbar ist und auch von Fachlehrenden genutzt werden kann muss im Weiteren erprobt wer-den
3 Erweiterung der Instrumente zum berufsbezogenen DaZ-Lernen Der Ansatz des Integrierten Fach- und Sprachlernens (IFSL)
31 Warum brauchen wir einen integrativen Ansatz
Die skizzierten Instrumente fuumlr den berufsbezogenen Deutschunterricht sind nicht nur fuumlr DaZ-Kurse gedacht sondern beziehen sich auf das gesamte Spektrum ar-beitsplatz- und qualifizierungsbezogener Sprachbildung
Solche Angebote fanden (und finden noch) in der Regel aufgrund der geltenden Foumlrdervorgaben meist als additive bzw vorgeschaltete Maszlignahmen statt Obwohl die Teilnahme an Integrations- und berufsbezogenen DaZ-Kursen eine wichtige Voraussetzung fuumlr berufliche Qualifizierungen darstellt zeigen Erfahrungen aus der Weiterbildungspraxis dass die in allgemeinsprachlichen Kursen erworbenen Deutschkenntnisse fuumlr die komplexen sprachlich-kommunikativen Anforderungen in beruflicher Qualifizierung haumlufig nicht ausreichen
Integriertes Fach- und Sprachlernen (IFSL) 221
Dass eine lineare Abfolge von allgemeinsprachlicher Sprachbildung und beruf-licher Qualifizierung fuumlr einen moumlglichst schnellen und zielfuumlhrenden Erwerb be-ruflicher Handlungsfaumlhigkeit nicht realitaumltsgerecht ist wird auch im wissenschaftli-chen Kontext bestaumltigt Ohm (2014) z B weist auf das konstitutive Verhaumlltnis zwi-schen dem Erwerb beruflicher Handlungskompetenz und sprachlich-kommunikati-ver Kompetenz hin Demnach koumlnnen sprachliche Strukturen nicht unabhaumlngig von beruflichen Handlungssituationen erworben werden
Ohm (2014) weist ebenfalls darauf hin dass die Sprachentwicklung und Bil-dungsbiografie eines Menschen untrennbar miteinander verbunden sind Im Verlauf von schulischer und beruflicher Bildung entstehe so ein Zusammenwirken von Sprachlichkeit und Fachlichkeit Bei erwachsenen Migrantinnen und Migranten mit berufsfachlichen Kompetenzen die in Deutschland einwandern erfolgt dann eine Entkopplung dieses Zusammenspiels Aufgrund fehlender Sprachkompetenzen ist ihre berufliche Handlungsfaumlhigkeit eingeschraumlnkt Um diese wiederherzustellen muumlssen sie in vergleichsweiser kurzer Zeit ein bestimmtes allgemeinsprachliches Ni-veau erreichen und auf dieser Basis sprachlich-kommunikative Kompetenzen im je-weiligen Beruf erwerben Hier bietet es sich an so fruumlh wie moumlglich den Aufbau berufsbezogener Kompetenzen mit dem Sprachlernprozess zu verbinden
Eine Untersuchung zur Programmumsetzung und Wirksamkeit der ESF-BAMF-Kurse (ZEW 2014) kommt zwar zu einer positiven Einschaumltzung des Be-rufsbezugs in diesem Kursformat Konstatiert werden hohe Zufriedenheitswerte zum betrieblichen Praktikum und geringe Abbrecherquoten (ebd 111) verbunden mit einem deutlich positiven Effekt bezuumlglich der anschlieszligenden Teilnahme an wei-teren Maszlignahmen (ebd 113)6 Dieses Ergebnis das die Autorinnen und Autoren als Zwischenziel auf dem Weg in eine Beschaumlftigung interpretieren macht aber auch den langen Weg in den Arbeitsmarkt uumlber verschiedene Maszlignahmestationen hinweg deutlich
Mit dem Ziel einer Verkuumlrzung und effektiven Gestaltung des beruflichen In-tegrationsprozesses wird seit ca 10 Jahren an integrativen Ansaumltzen gearbeitet die fachliches und sprachliches Lernen passgenau miteinander verzahnen Die geltenden Rahmenbedingungen wie z B eine meist institutionelle Trennung von Deutschkur-sen und Angeboten beruflicher Weiterbildung die freiberufliche Taumltigkeit sowohl von DaZ- als auch von Fachlehrkraumlften und fehlende Ressourcen fuumlr Planungs- und Abstimmungsprozesse erschweren bisher die systematische Entwicklung und Er-probung solcher Ansaumltze
Im Foumlrderprogramm IQ entstanden nach Inkrafttreten des Ankerkennungsge-setzes Qualifizierungsmaszlignahmen die auf berufliche Anerkennung oder Berufszu-lassung zielen Teilweise ist damit die Anforderung verbunden ein bestimmtes Sprachniveau zu erreichen (z B in Gesundheits- und Pflegeberufen) Die Fachstelle Berufsbezogenes Deutsch uumlbernahm in diesem Zusammenhang eine bundesweite
6 Keine positive Wirkung wurde hinsichtlich der Aufnahme von sozialversicherungspflichtigen Be-
schaumlftigungen festgestellt
222 Jana Laxczkowiak
Unterstuumltzungsfunktion hinsichtlich der Entwicklung eines Konzeptes mit dem fachliches und sprachliches Lernen verknuumlpft werden koumlnnen Das Foumlrderpro-gramm bietet mit seinen zahlreichen Teilprojekten hierfuumlr ein geeignetes Erpro-bungsfeld
In der Praxis zeigt sich eine zunehmende Individualisierung der Lernorte und Lernziele in diesen Qualifizierungsformen (Nach- und Anpassungsqualifizierungen Bruumlckenmaszlignahmen u a) die auf einzelne Teilnehmende oder kleine Gruppen mit speziellen Beduumlrfnissen ausgerichtet werden
Diese besonderen Lernbedarfe werden durch das Konzept des Integrierten Fach- und Sprachlernens (IFSL) aufgegriffen Ziel ist das Deutschlernen mit berufsfachli-chen Inhalten und Lernzielen zu verknuumlpfen Auf diese Weise soll der Spracherwerb so zielgerichtet zeiteffizient und ressourcenschonend wie moumlglich gestaltet die Lernmotivation erhoumlht und die Integration in den Arbeitsmarkt bzw in Aus- und Weiterbildung befoumlrdert werden
32 IFSL ndash Begriffliche Herleitung und verwandte Konzepte
Unter Integriertem Fach- und Sprachlernen (IFSL) verstehen wir ein fachbezogenes Ler-nen dass Sprachkompetenz implizit und explizit foumlrdert IFSL kann auf allen Ebe-nen (z B fachtheoretisch fachpraktisch bildungsbegleitend) in allen Bildungsfor-maten (z B berufsvorbereitend abschlussorientiert beschaumlftigungsbegleitend) und an allen Lernorten (z B Berufsschule Betrieb Bildungstraumlger) stattfinden
Um fachbezogenes und sprachbezogenes Lernen miteinander zu verbinden be-darf es einer besonderen Gestaltung des Lernprozesses (Kapitel 33) sodass
sprachlich-kommunikative Kompetenzen als zentraler Teil der beruflichen Handlungskompetenzen trainiert werden
fachbezogene und sprachbezogene Lernziele miteinander verzahnt werden
Selbstlernkompetenzen aufgebaut werden
Der Begriff IFSL wird von uns aus anderen Bildungskontexten auf die berufliche Qualifizierung uumlbertragen Orientiert haben wir uns dabei insbesondere am Begriff des Content and Language Integrated Learning (CLIL) der im Deutschen als Integriertes Sprach- und Fachlernen (auch Bilinguales Sachfachlernen Sudhoff 2011 1) uumlbersetzt wird Der Begriff steht international als Oberbegriff fuumlr Unterrichtskonzepte die Fremdsprachenunterricht mit Sachunterricht verschraumlnken (Haataja 2007) Waumlh-rend der Ansatz des Integrierten Sprach- und Fachlernens das Fremdsprachenlernen zum Ausgangspunkt fuumlr Ziele und Methodik nimmt zielt Integriertes Fach- und Sprachlernen auf die Bewaumlltigung beruflicher Qualifizierungsanforderungen durch die Einbindung sprachlich-kommunikativer Lernziele
Bilinguale Unterrichtskonzepte wurden auch auf DaZ-Lernkontexte an allgemeinbildenden Schulen uumlbertragen im Sinne einer Sprachfoumlrderung in allen Faumlchern oder eines sprachaufmerksamen (Schmoumllzer-EibingerDornerLanger
Integriertes Fach- und Sprachlernen (IFSL) 223
Melten-Pacher 2013) bzw sprachintensiven Fachunterrichts (KurtzHofmannBiermasBackHaseldiek 2014) Erste Untersuchungen im Kontext von Unterricht an allge-meinbildenden Schulen weisen auf positive Wirkungen dieser integrativen Konzepte zur Foumlrderung bildungssprachlicher Kompetenzen hin (z B RoumlhnerBluumlmerHopfLiHoumlvelbrinks 2009 KlareWassermann 2010 Tajmel 2010 zitiert nach NiederhausHavkicSchulze 2016)
Bei der Uumlbertragung auf berufliche Qualifizierung in der Zweitsprache Deutsch und fuumlr Erwachsene als Lernende muumlssen allerdings besondere Rahmen-bedingungen beruumlcksichtigt werden Schuumllerinnen und Schuumller mit Deutsch als Zweitsprache haben mehrere Jahre Zeit um bildungssprachliche Kompetenzen mit der Sprachaneignung zusammen aufzubauen Erwachsene Zugewanderte haben diese Zeit nicht die Schule bietet Ihr Ziel ist es so schnell wie moumlglich die erforderlichen Qualifikationen fuumlr die Ausuumlbung eines Berufes zu erwerben Umso wichtiger wird fuumlr diese Zielgruppe die Verzahnung von fachlichem und sprach-lichem Lernen und eine Lernumgebung die weniger auf feste Gruppen als auf die Beduumlrfnisse einzelner Lernender ausgerichtet ist
Neben weiteren Konzepten aus dem allgemeinbildenden Kontext (durchgaumlngige Sprachbildung GogolinLange 2011 und Scaffolding Kniffka 2010) orientieren wir uns v a an zwei Ansaumltzen bei der Entwicklung von IFSL
Das Positionspapier Weiterbildungsbegleitende Hilfen (WbH) empfiehlt sprachliche Foumlrderung als Kernaufgabe in der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu verankern (BethscheiderDimplOhmVogt 2010) WbH werden verstanden als ein flankierender sprachsensibler Foumlrderunterricht in Kleingruppen der sich auf fach-liche Inhalte bezieht und individuelle Unterstuumltzungsbedarfe der Teilnehmenden aufgreift
In der beruflichen Weiterbildungspraxis hat sich eher der Begriff der Integrierten Sprachfoumlrderung durchgesetzt der jedoch nicht einheitlich konzeptuell hinterlegt ist Es handelt sich dabei haumlufig um additive Sprachkursangebote die einer fachlichen Qualifizierung entweder vorgeschaltet nachgeschaltet oder begleitend angeboten werden Im Sinne eines integrativen Ansatzes wird auf unterschiedliche Weise ver-sucht diese Angebote mit den fachlichen Lerninhalten zu verknuumlpfen Erfahrungen mit solchen Konzepten sind nur teilweise erfasst7
Der Ansatz eines sprachsensiblen Fachunterrichts (Leisen 2010) wurde urspruumlnglich fuumlr die allgemeinbildende Schule entwickelt und fand in den letzten Jahren Eingang
7 PinkertWenkSuumlrigWilmesPott (2012) vergleichen bspw im Rahmen einer Studie sechs Maszlig-
nahmen beruflicher Qualifizierung mit integrierter Sprachfoumlrderung die auf unterschiedliche Art und Weise umgesetzt wird von externen Sprachkursen (Frankfurter Weg zum Berufsabschluss) uumlber Sprachfoumlrdergruppen die auf der Grundlage von Fachinhalten und mit Fachmaterial arbeiten (AiQUa-Arbeitsintegrierte Qualifizierung in der Altenpflege Frankfurt (Main)) bis hin zu einem vorgeschalteten Sprachkurs plus Sprachfoumlrderung waumlhrend des Fachunterrichts und sprachfoumlrderlichen Aufgaben fuumlr die Praxis (Diversity Management fuumlr Migranten in Thuumlringen Apolda) oder einer integrierten Sprachfoumlrderung von 20 der Gesamtqualifizierung die z T sprachliche Lernziele an den fachlichen Inhalten und Anforderungen ausrichtet (QSInova ndash Qualifizierung Sprache Integration Berlin)
224 Jana Laxczkowiak
in die berufliche Weiterbildung Im sprachsensiblen Fachunterricht werden fach-relevante sprachliche Lernziele explizit gefoumlrdert und von entsprechend fortgebil-deten Fachlehrenden umgesetzt (Kapitel 34)
33 Didaktische Prinzipien und Rolle der Lernorganisation
Den Beriff IFSL verstehen wir als Schirmbegriff der alle sprachbezogenen Bil-dungsangebote im Rahmen von beruflichen Qualifizierungen umfasst die auf berufliche Integration zielen Der zentrale Bereich von IFSL ist die Lernorgani-sation die in der Umsetzung zum Teil neue Wege gehen muss Dabei wirken didaktische Prinzipien ein die auch schon fuumlr berufsbezogene DaZ-Kurse benannt und erprobt wurden (Kapitel 22)
Das Prinzip der Bedarfsorientierung im IFSL richtet sich nach der zentralen Frage Was wird im Rahmen einer bestimmten beruflichen Qualifizierung an sprachlichen Kompetenzen gebraucht und wie kann dieser Bedarf effektiv aufgegriffen werden
Die Orientierung an den Lernenden ihren Sprachlernbeduumlrfnissen beruflichen Zie-len Erfahrungen und Voraussetzungen erfordert zusaumltzlich einen differenzierteren Blick auf die Lernprozessgestaltung Fuumlr die Umsetzung bieten sich verschiedene Lernformate an die flexibel individuell und interdisziplinaumlr miteinander kombiniert werden
Additive Angebote z B vorgeschaltete Kurse wie die ESF-BAMF-Kurse o-der Berufssprachkurse (BMAS 2016)
Integrierte Angebote wie Tutorials berufsbegleitende Sprachkurse (z B fuumlr Aumlrztinnen und Aumlrzte an einer bestimmten Klinik) Sprachcoaching (vgl Kaplinska-Zajontz 2015) betriebliches Sprachmentoring oder Sprachpaten-schaften (DimplFeger 2014) digitale Lernangebote
Inklusive Formate wie z B ein sprachsensibler Fachunterricht durch Fach-lehrende oder Team-Teaching von Fach- und Sprachlehrenden (Scheerer-Papp 2015)
Fuumlr ein handlungsorientiertes sprachliches Lernen werden im IFSL Strategien und Aktivitaumlten fokussiert die sowohl ein sprachaufmerksames Lernen befoumlrdern und begleiten sprachliches Handeln anregen und Raum fuumlr Kommunikation schaffen als auch die eigene Sprache (die der Lehrenden und Begleitenden) sprachsensibel gestalten
Integriertes Fach- und Sprachlernen (IFSL) 225
34 Professionalisierung der Lehrkraumlfte
Um den Anforderungen bei der Gestaltung eines integrierten Fach- und Sprach-lernens gerecht werden zu koumlnnen ist die Fortbildung des Lehrpersonals essenziell Die Umsetzung einer flexiblen individuellen und interdisziplinaumlren Lernor-ganisation erfordert zusaumltzliche Kenntnisse und methodisch-didaktische Fertigkei-ten
Sprachlehrende benoumltigen uumlber die Qualifizierung im Bereich DaZ hinaus ggf berufsbezogenes Fachwissen Faumlhigkeiten der Materialerstellung sowie Kompeten-zen bezuumlgl weiterfuumlhrender Instrumente z B zu digitalen Sprachlernangeboten oder zum Sprachcoaching
Die Gruppe der Fachlehrkraumlfte in beruflicher Qualifizierung ist meist heterogener als die der DaZ-Lehrenden Sie umfasst alle Personen bdquodie berufliches Wissen vermitteln in berufliche Taumltigkeiten einfuumlhren bzw anleitend taumltig sindldquo (KimmelmannOhmSchrammBirnbaumDippold-SchenkHirschKupkeSey-farthWernicke 2014 5) Fuumlr sie existiert bisher keine verbindliche Qualifikation zu Deutsch als Zweitsprache wie sie bereits in einigen Bundeslaumlndern fuumlr alle Lehr-amtsstudierenden durchgefuumlhrt wird (ThielBecker-Mrotzek 2014) Es wurden je-doch in den letzten Jahren vereinzelt regional gefoumlrdert Schulungsformate entwi-ckelt Besonders hervorzuheben sind an dieser Stelle die Schulungsmodule zur Sprachsensibilisierung in der beruflichen Bildung vom Amt fuumlr Multikulturelle Angelegen-heiten der Stadt Frankfurt am Main (Sommer 2011)
Kimmelmann et al (2014) haben im Rahmen des Forschungs- und Entwick-lungsprojektes SpraSiBeQ ndash Sprachsensibilisierung fuumlr Fachlehrende in beruflicher Qualifizie-rung ein Rahmencurriculum entwickelt das zehn Kompetenzbereiche beschreibt Ziel war es Kompetenzen von Fachlehrkraumlften zu modellieren die notwendig sind um sprachlich sensibel auf Lernende eingehen zu koumlnnen Der Entwicklung des Curriculums ging eine Bedarfserhebung voraus sodass hiermit eine wichtige wissenschaftliche Grundlagenarbeit fuumlr die Entwicklung von Schulungsangeboten geleistet wurde
In einem naumlchsten Schritt wurden drei Schulungsmodule zur berufsuumlbergrei-fenden Sprachsensibilisierung von Fachlehrkraumlften konzipiert und erbrobt Im Anschlussprojekt Integriertes Fach- und Sprachlernen in beruflicher (Anpassungs-)Qualifi-zierung wurden fuumlr vier ausgewaumlhlte Berufsfelder berufsspezifische Schulungsange-bote sowohl fuumlr DaZ- als auch fuumlr Fachlehrkraumlfte entwickelt (Projektdauer 2015-2017)8
Fuumlr die Verzahnung von Sprachlernangeboten und beruflicher Qualifizierung benoumltigen beide Gruppen von Lehrkraumlften uumlbergreifende Kompetenzen des ko-operativen Arbeitens Gemeinsam geht es darum fachliche und sprachliche Lernziele zu ermitteln curricular zu verknuumlpfen und in enger Abstimmung die methodische Umsetzung zu planen und durchzufuumlhren Scheerer-Papp (2015) weist
8 Informationen zu beiden Projekten finden Sie auf der Homepage der IQ Fachstelle
[httpwwwdeutsch-am-arbeitsplatzde letzter Zugriff 04062018]
226 Jana Laxczkowiak
hierfuumlr auf Ansaumltze in der Schulentwicklung hin z B zu Kooperativer Unterrichtsentwicklung und Multiprofessioneller Teamentwicklung (Philipp 2014 Klinger 2014) die fuumlr den Kontext der beruflichen Qualifizierung adaptiert werden koumlnnten
35 Praxiserfahrungen bei der Umsetzung von IFSL
Parallel zur Entwicklung des Ansatzes bzw in gegenseitiger Anregung von Theorie und Praxis wurden im Netzwerk IQ und daruumlber hinaus innovative und erfolgreiche Projekte umgesetzt die verschiedene Formate des IFSL aufgreifen erproben und anpassen Im folgenden werden ausgewaumlhlte Beispiele dargestellt9
Im IQ Teilprojekt bdquoDeutsch fuumlr Medizinerinnen und Medizinerldquo (2016)10
wurde die Zielgruppe sowohl fachlich als auch sprachlich durch sprachsen-siblen Fachunterricht und Sprachcoaching auf die Approbationspruumlfung vor-bereitet Die Absolventinnen und Absolventen erhielten zu 100 eine zeit-lich befristete Berufszulassung und sind laut Auskunft des JobCenters Saar-bruumlcken deutlich fruumlher (bis zu 11 Monate) in den Arbeitsmarkt integriert als es die bisherige Erfahrung mit dieser Berufsgruppe im Saarland zeigt
Im IQ Teilprojekt bdquoAusgleichsmaszlignahme fuumlr paumldagogische Fachkraumlfteldquo11 in Bremen wird der Anpassungslehrgang durch Sprachcoaching sowie phasen-weises Team-Teaching von Fach- und Sprachlehrkraft flankiert Alle beteilig-ten Fachlehrkraumlfte wurden hinsichtlich eines sprachsensiblen Fachunterrichts fortgebildet Die Nicht-Bestehensquote im Anpassungslehrgang betrug vor 2015 laut Auskunft der Bremer Senatsverwaltung ca 50 Seit Beginn des IFSL-Angebots liegt die Bestehensquote bei 100
Das IQ Landesnetzwerk Thuumlringen bietet das Teilprojekt bdquoMINT-Bruumlckeldquo12 fuumlr Ingenieurinnen und Ingenieure an Hier verzahnen Fachlehrende und Sprachlehrende ihre Inhalte durch phasenweises Team-Teaching Dadurch konnten die Abbruchquoten deutlich reduziert und die Vermittlungszahlen erhoumlht werden (fuumlr 2015 und 2016 73 )
9 Die vorliegenden Ergebnisse und Erfahrungen wurden durch muumlndliche und schriftliche Befra-
gungen der IQ Landesnetzwerke und ihrer Teilprojekte ermittelt Wuumlnschenswert sind in diesem Zusammenhang laumlngerfristig angelegte und systematische Interventionsstudien die im Bereich be-ruflicher Qualifizierung bisher ausstehen
10 [httpnetzwerk-iqsaarlanduploadsfotosDeutsch_Medizin_mit_Einlegerpdf letzter Zugriff 04062018]
11 [httpwwwpbwbremendeindexphperzieher-inanpassungslehrgang-erzieher letzter Zugriff 04062018]
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Integriertes Fach- und Sprachlernen (IFSL) 227
Im Teilprojekt bdquoBruumlckenmaszlignahme fuumlr Ingenieurinnen und Ingenieureldquo13 des IQ Landesnetzwerkes Baden-Wuumlrttemberg werden die Lernenden u a in Blended-Learning-Modulen Online-Kursmodulen Deutsch fuumlr den Beruf und szenarienbasierter Arbeit sowohl fachlich als auch sprachlich auf ihre Be-rufsfelder und den Arbeitsmarkt vorbereitet sowie in der sprachlichen Bear-beitung der fachlichen Inhalte unterstuumltzt 2016 konnten von 21 Teilnehmen-den 18 in ein adaumlquates Beschaumlftigungsverhaumlltnis vermittelt werden
36 Handlungsbedarfe
Trotz wertvoller Entwicklungen und Erfahrungen bedarf der Ansatz des IFSL einer weiteren Ausgestaltung damit Sprachlernen ein integraler Bestandteil der Kompetenzentwicklung in beruflicher Qualifizierung werden kann
Fuumlr die Gestaltung einer offenen Lernorganisation muumlssen die o g Instru-mente weiterentwickelt werden
Zeitliche und finanzielle Ressourcen muumlssen fuumlr interdisziplinaumlres Arbeiten bereitgestellt werden
Fuumlr die Planung und Umsetzung des Ansatzes muumlssen interdisziplinaumlre Teamprozesse eingefuumlhrt und begleitet werden um eine staumlrkere Einbindung von DaZ-Kompetenz als bisher in Qualifizierungstraumlger zu ermoumlglichen und Austauschforen fuumlr alle am Qualifizierungsprozess Beteiligten zu schaffen
Auf der Grundlage vorliegender Handbuumlcher (z B GuumlnterLaxczkowiakNiederhausWittwer 2013) oder Projektdokumentationen (z B Cehak-Behr-mannSchulz 2014) muumlssen weitere berufsspezifische Lehr-Lern-Materialien entwickelt werden
Alle Beteiligten muumlssen durch geeignete Schulungsformate auf ihre Aufgaben vorbereitet und im Prozess unterstuumltzt werden Insbesondere sollten Fortbil-dungen fuumlr Fachlehrende zur sprachlichen Sensibilisierung verbindlich und bundesweit eingefuumlhrt werden z B als Anforderung fachkundiger Stellen o-der in Ausschreibungen entsprechender Maszlignahmeformen
Fuumlr den berufsspezifischen Einsatz des IFSL sind weitere Analysen berufs-spezifischer sprachlich-kommunikativer Anforderungen und darauf aufbau-ender Kompetenzbeschreibungen erforderlich
Das Konzept des IFSL muss in arbeitsmarktpolitische Instrumente verankert werden
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Themenschwerpunkt 4 Deutsch lernen in Vorbereitungsklassen
Sektionsbericht
Koordination Gabriele Kniffka Julia Schallenberg amp Kerstin Zimmermann
Gegenstand dieses Themenschwerpunktes war die schulische Erstintegration von neu zugewanderten Schuumllerinnen und Schuumllern Im Mittelpunkt der Diskussion standen Fragen nach der sprachlichen Vorbereitung von so genannten Seiteneinstei-gerinnen und -einsteigern In sieben Beitraumlgen wurden unterschiedliche Aspekte der schulischen Erstintegration behandelt
Den Auftakt zum Themenschwerpunkt bildete der Beitrag von Yvonne Decker-Ernst (Freiburg) Sie stellte in ihrem Vortrag bdquoDeutsch als Zweitsprache in Vorbe-reitungsklassen ndash eine Bestandsaufnahme in Baden-Wuumlrttembergldquo die Ergebnisse ihrer Untersuchung zur Erstintegration von gefluumlchteten Kindern und Jugendlichen am Beispiel Baden-Wuumlrttembergs vor und unterbreitete Handlungsempfehlungen fuumlr Wissenschaft und Praxis Wie sich in der anschlieszligenden Diskussion zeigte las-sen sich die Befunde auf andere Bundeslaumlnder uumlbertragen
Vasili Bachtsevanidis (Koumlln) diskutierte in seinem Beitrag bdquoAktuelle Unterrichts-materialien zur Zweitalphabetisierung bei Jugendlichen in Vorbereitungsklassenldquo was unter Zweitalphabetisierung zu verstehen ist und warf die Frage auf ob die von Lernenden in einem anderen Schriftsystem erworbene Literacy im Rahmen von Al-phabetisierungsmaszlignahmen hinreichend Beruumlcksichtigung findet
Theresa Birnbaum und Isabel Fuchs (beide Jena) praumlsentierten in ihrem Vortrag bdquoFachliches Lernen in Vorbereitungsklassenldquo Befunde aus dem Projekt bdquoFormative Prozessevaluation in der Sekundarstufeldquo (EVA-Sek) Sie zeigten auf wie die Verbin-dung von fachlichem und sprachlichem Lernen unter bestimmten Rahmenbedin-gungen realisiert werden kann
236 Sektionsbericht TSP 4
Markus Linnemann (Koblenz) zeigte in seinem Beitrag bdquoSprachsensibler Mathe-matikunterricht mit neu zugewanderten Jugendlichenldquo auf wie Mathematikunter-richt sprachsensibel gestaltet werden und damit zur Foumlrderung des Zweitspracher-werbsprozesses und zugleich zur Erweiterung mathematischer Kompetenz beitra-gen kann
Constanze Niederhaus und Eva Blumberg (beide Paderborn) gaben mit ihrem Beitrag bdquoNaturwissenschaftlicher Sachunterricht in der internationalen Vorbereitungsklasse Ein Lehr-Lernprojekt in der universitaumlren Ausbildung zukuumlnftiger Sachunterrichts-lehrkraumlfteldquo Einblicke in ein Projekt an der Universitaumlt Paderborn in dem Lehrkraumlfte der Primarstufe interdisziplinaumlr auf einen sprachsensiblen Fachunterricht vorbereitet werden
Nadja Wulff und Stefan Nessler (beide Heidelberg) zeigten in ihrem Vortrag bdquoNa-turwissenschaftliches Arbeiten und Deutsch als Zweitsprache ndash erste Begegnungen mit der Fachsprache in Vorbereitungsklassen ermoumlglichen und produktive Sprach-kompetenz foumlrdernldquo am Beispiel des Biologieunterrichts wie sich fachliches und sprachliches Lernen schon bei DaZ-Anfaumlngern verbinden lassen
Maria Simml und Barbara Thiel (beide Muumlnchen) machten in ihrem Beitrag bdquoUumlber die Arbeit mit neu Zugewanderten an Berufsschulen in Bayernldquo auf strukturelle und institutionelle Huumlrden bei der schulischen Erstintegration junger Erwachsener auf-merksam
Der Themenschwerpunkt war kontinuierlich sehr gut besucht Es gab angeregte Diskussionen zwischen den Vortragenden und den Teilnehmenden sowie im An-schluss an die Sektionssitzungen fruchtbare Austausche zwischen den Teilnehmen-den
Berufsintegrationsklassen Arbeit in interdisziplinaumlren Teams
Maria Simml (Muumlnchen) amp Barbara Thiel (Muumlnchen)
1 Einleitung
Das berufliche Bildungssystem brachte dem wachsenden Bedarf entsprechend in den letzten Jahren bundesweit Klassen fuumlr junge Neuzugewanderte auf den Weg (Terrasi-HaufeRocheSogl 2017) In Bayern werden diese Klassen an Berufsschu-len als Berufsintegrationsklassen betitelt Als im Schuljahr 201617 die Schuumllerzahl auf den bisherigen Maximalstand von 22000 anstieg startete das von der Stiftung Bil-dungspakt Bayern initiierte Projekt Perspektive Beruf fuumlr Asylbewerber und Fluumlchtlinge1 an welchem 21 Berufsschulen beteiligt sind Darin sollen praktikable Konzepte zur Multiplikation bereitgestellt und Faktoren identifiziert werden die einen erfolgrei-chen Uumlbergang ins Berufsleben beguumlnstigen In diesem Rahmen muss auch den un-terschiedlichen Professionen in den Teams der Berufsintegrationsklassen Aufmerk-samkeit zukommen Dieser Beitrag geht darauf ein inwiefern eine interdisziplinaumlre Zusammenarbeit in Berufsintegrationsklassen von hohem Stellenwert ist was es fuumlr eine effektive Kooperation benoumltigt und welche Fragen in Bezug auf die Arbeit in Berufsintegrationsklassen noch offen sind Vorab wird ein Uumlberblick uumlber das Be-schulungsmodell der Berufsintegrationsklassen und deren konzeptionelle Ausgestal-tung in Bayern gegeben
1 Die qualitative Evaluation des Projekts uumlbernimmt die TU Muumlnchen School of Education
[httpsbildungspakt-bayerndeperspektive-beruf-fuer-asylbewerber-und-fluechtlinge letzter Zugriff 24082017]
238 Maria Simml amp Barbara Thiel
2 Zum beruflichen Schulwesen in Bayern
Das berufliche Schulwesen ist facettenreich und grenzt sich vom allgemeinbildenden Schulwesen (Gymnasien Mittelschulen etc) ab Im folgenden Beitrag steht das bay-erische berufliche Schulwesen im Fokus und wird deshalb vorab im Uumlberblick vor-gestellt (vgl Abbildung 1)
Das berufliche Schulwesen in Bayern setzt sich aus verschiedenen Schularten zusammen welche auf unterschiedliche Schulabschluumlsse bis hin zur (Fach-)Hoch-schulreife vorbereiten Berufsschulen umfassen wiederum diverse Klassenformen und Abschluumlsse Grob kann man die duale Berufsausbildung mit ihren verschiede-nen Fachrichtungen von der Berufsvorbereitung bzw dem Uumlbergangssystem unter-scheiden Das duale System zeichnet sich durch einen Wechsel der Ausbildungspha-sen im Betrieb und an der Schule aus Diese Ausbildungsstruktur bedingt eine enge Zusammenarbeit der Schulen mit den Betrieben Jugendliche die keine Ausbildung bekommen haben werden in berufsvorbereitenden Maszlignahmen an Berufsschulen unterrichtet Fuumlr neu Zugewanderte existieren seit einigen Jahren spezielle Berufsin-tegrationsklassen2 die der Berufsvorbereitung bzw dem Uumlbergangsbereich zuzu-ordnen sind
Berufsschule
Mittlerer
Schulabschluss
Mittelschulabschluss
Fachakademie -
schule
Berufsfachschule
Ausbildungsberuf (+mittlerer Schulabschluss
moumlglich)
(Fach-)
Hochschulreife
Houmlherer
Berufsabschluss (und
Hochschulzugang)
FOS
Wirtschafts-
schule
BOS
Duale Berufsausbildung
verschiedener
FachrichtungenWie zB
bull Elektrotechnik
bull Metalltechnik
bull Gesundheit und
Pflege
bull Ernaumlhrung und
Hauswirtschaft
bull Bautechnik
bull etc
Jugendliche ohne
Ausbildung (JoA) und
Berufsvorbereitende
Maszlignahmen wie das
Berufsvorbereitungsjahr
(BVJ) und die
Berufsintegrations-
klassen (BIK)
Abbildung 1 Einordnung der Berufsintegrationsklassen im beruflichen Schulwesen in Bayern (Bayerisches Staatsministerium fuumlr Bildung und Kultus 2017)
2 Klassen an Berufsschulen fuumlr Gefluumlchtete und neu Zugewanderte gibt es aktuell deutschlandweit
werden jedoch von den Bundeslaumlndern unterschiedlich betitelt und sind unterschiedlich struktu-riert siehe z B Terrasi-HaufeBaumannRiedl 2018
Berufsintegrationsklassen Arbeit in interdisziplinaumlren Teams 239
3 Berufsintegrationsklassen an Berufsschulen in Bayern
Abbildung 2 Ausweitung der Berufsintegrationsklassen an Berufsschulen in Bay-ern seit dem Schuljahr 20102011 (eigene Darstellung)
Im Jahr 201011 wurden an Berufsschulen in Bayern Klassen fuumlr berufsschulpflich-tige3 bdquoAsylbewerber und Fluumlchtlinge und ergaumlnzend andere Berufsschulpflichtige die einen vergleichbaren Sprachfoumlrderbedarf haben (z B neu zugezogene EU-Aus-laumlnder)ldquo eingerichtet (Bayerisches Staatsministerium fuumlr Bildung Kultus Wissen-schaft und Kunst 2016 2) Was damals mit sechs Klassen in einzelnen Ballungszen-tren begann ist mit 1150 Berufsschulklassen mittlerweile eine bayernweite Maszlig-nahme Das Alter und mangelnde deutsche Sprachkenntnisse sind die entscheiden-den Zuweisungskriterien fuumlr die Klassen
Bei Zuzug aus dem Ausland stehen die Berufsintegrationsklassen jungen Menschen zwischen dem 16 und 21 Lebensjahr offen die auf Grund man-gelnder Kenntnis der deutschen Sprache dem Unterricht in regulaumlren Klas-sen der Berufsschule fuumlr Jugendliche ohne Ausbildungsplatz nicht folgen koumlnnen (Bayerisches Staatsministerium fuumlr Bildung Kultus Wissenschaft und Kunst 2016 2)
Grundlage fuumlr die Berufsintegrationsklassen ist dabei die Schulpflicht (unterteilt in Vollzeit- und Berufsschulpflicht) welche in Bayern auch fuumlr neu Zugewanderte un-abhaumlngig vom Aufenthaltsstatus gesetzlich geregelt ist bdquoWer die altersmaumlszligigen Vo-raussetzungen erfuumlllt und in Bayern seinen gewoumlhnlichen Aufenthalt hat [hellip] unter-liegt der Schulpflichtldquo (BayEUG Art 35 Satz 1) Das Gesetz wird noch konkreter indem es heiszligt dass auch schulpflichtig ist wer eine Aufenthaltsgestattung eine
3 Vgl Artikel 35 des Bayerischen Gesetzes uumlber das Erziehungs- und Unterrichtswesen
240 Maria Simml amp Barbara Thiel
Aufenthaltserlaubnis oder eine Duldung besitzt Ebenso gilt die Schulpflicht wenn jemand vollziehbar ausreisepflichtig ist
Die Berufsintegrationsmaszlignahme an Berufsschulen in Bayern ist im Kern ein zweijaumlhriges Modell4
Abbildung 3 Modell der Berufsintegrationsmaszlignahme an Berufsschulen in Bayern (eigene Darstellung)
Das erste Jahr die Berufsintegrationsvorklasse (BIKV) konzentriert sich auf die Vermittlung sprachlicher Kompetenzen in Deutsch5 waumlhrend im zweiten Jahr der Berufsintegrationsklasse (BIK)6 die Berufsorientierung im Vordergrund steht und sich der Unterricht an der Schule mit Praktika-Phasen im Betrieb abwechselt (vgl ISB 2015) Daruumlber hinaus gibt es Sprachintensivklassen sowie ein berufliches Uumlber-gangsjahr Sprachintensivklassen fuumlhren auf die regulaumlre Beschulung in Berufsinteg-rationsvorklassen hin und fokussieren in erster Linie den Spracherwerb Deutsch Das Berufliche Uumlbergangsjahr (BIKUuml) wird vonseiten des Ministeriums als eine Variante der Berufsintegrationsklasse (2 Jahr) verstanden (Bayerisches Staatsminis-terium fuumlr Bildung und Kultus Wissenschaft und Kunst 2016) Allerdings gibt es auch Schulen die das Berufliche Uumlbergangsjahr als drittes Beschulungsjahr einsetzen (RiedlSimml 2016)
4 Zum Beschulungsmodell siehe z B auch HeinrichsKaumlrnerZieglerNeubauer 2016 Streinz 2015
Terrasi-HaufeThiel 2016 5 Und ggf Alphabetisierung 6 Hierbei sei erwaumlhnt dass unter Berufsintegrationsklasse oftmals auch die gesamte Berufsintegrations-
maszlignahme (bestehend aus SIK BIKV BIK und BIKUuml) oder alternativ das Kernstuumlck (beste-hend aus BIKV und BIK) verstanden wird
1 Jahr
Berufs-
integrationsvor-
klasse
(BIKV)
2 Jahr
Berufs-
integrations-
klasse
(BIK)
Sprach-
intensiv-
klasse
(SIK)Berufsausbildung
oder
anderer
AusbildungswegBerufliches
Uumlbergangsjahr
(BIKUuml)
Berufsintegrationsklassen Arbeit in interdisziplinaumlren Teams 241
Inwieweit sich die einzelnen Klassenformen voneinander unterscheiden fasst folgende Tabelle im Uumlberblick zusammen
Tabelle 1 Uumlbersicht zu den Beschulungsangeboten fuumlr gefluumlchtete neu Zugewan-derte an bayerischen Berufsschulen (RiedlSimml 2016 9)
Abkuumlrzung SIK BIKV7 BIK BIKUuml
Bezeich-nung
Sprachintensiv-klasse
Berufsintegra-tionsvorklasse
Berufsintegra-tionsklasse
Berufliches Uumlbergangsjahr
Zielgruppe SuS8 die keine oder kaum Sprachkennt-nisse im Deut-schen besitzen (zur Vorberei-tung auf das BIKV)
SuS die Grundlagen-foumlrderung (v a in den Fauml-chern Deutsch und Mathema-tik) benoumltigen
SuS die im Lernprozess bereits fortge-schritten sind
SuS die be-reits gute Sprachkennt-nisse haben
Inhaltliche Schwer-punkte
Deutsch als Zweitsprache Grundlagen
Deutsch als Zweitsprache Grundlagen Mathematik Grundlagen
Deutsch als Zweitsprache als eigener Lernbereich sowie inte-griert in den fachlichen und allgemeinbil-denden Unter-richt Fachlicher und allgemeinbil-dender Unter-richt Praktika in Be-trieben
Berufssprache Deutsch9 (Berufsschule) Unterricht mit hoher Praxis-relevanz (Ko-operations-partner) Praktika in Be-trieben Intensive Betreuung der Praktika durch sozialpaumldago-gische Fach-kraumlfte
Grundsaumltzlich stehen die Angebote allen schulpflichtigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen
mit entsprechendem Sprachfoumlrderbedarf offen d h nicht nur Gefluumlchteten 7 Die Klassen differenzieren sich nach Leistungsniveau Je nach Vorwissen der Schuumllerschaft gibt es
an manchen Schulen auch eine Alphabetisierungsklasse 8 SuS wird als Abkuumlrzung fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller verwendet 9 Zum Unterrichtsprinzip Berufssprache Deutsch an bayerischen Berufsschulen siehe RocheTerrasi-
Haufe 2017 SoglReichelGeiger 2013 [httpswwwisbbayerndeberufliche-schulenmaterialienbberufssprache-deutsch letzter Zugriff 24082017] [httpswwwisbbayerndedownload13762teil_1_konzeptpdf letzter Zugriff 24082017]
242 Maria Simml amp Barbara Thiel
Abkuumlrzung SIK BIKV7 BIK BIKUuml
Betreuung der Praktika durch sozialpaumlda-go-gische Fach-kraumlfte
Dauer bis zu 4 Monate
1 Jahr 1 Jahr 1 Jahr
Anschluss-moumlglichkei-ten und Ab-schluumlsse
BIKV BIK BIKUuml
BIK BIKUuml BIKUuml Mittelschulab-schluss ggf Teilnahme an der Pruumlfung zum qualifizie-renden Mittel-schulabschluss
BIK Mittelschulab-schluss ggf Teilnahme an der Pruumlfung zum qualifizie-renden Mittel-schulabschluss
Beteiligte Akteure
Berufsschule und Koopera-tionspartner
Berufsschule und Koopera-tionspartner
Berufsschule und Koopera-tionspartner
Auswahl der SuS Bundes-agentur fuumlr Arbeit (und Auslaumlnderbe-houmlrde) Berufsschule und Koopera-tionspartner
Das Beschulungsangebot fuumlr neu Zugewanderte ist ein kooperatives Modell was heiszligt dass die Berufsschulen mit externen Kooperationspartnern10 wie beispiels-weise der VHS oder Kolping zusammenarbeiten Ziel der Klassen ist die jungen Menschen auf eine Berufsausbildung oder eine weiterfuumlhrende Schule vorzuberei-ten Zentrale Lernbereiche sind hierfuumlr der Spracherwerb Deutsch sowie Mathema-tik (Tabelle 1) Daruumlber hinaus transportieren Berufsintegrations(vor)klassen allge-meinbildende fachliche und lebenspraktische Inhalte Denn die jungen Migranten11
10 An einigen wenigen Schulen in Bayern werden vollschulische Berufsintegrationsklassen ohne Zu-
sammenarbeit mit einem externen Kooperationspartner angeboten 11 Aus Gruumlnden der Vereinfachung wird im generischen Maskulin formuliert
Berufsintegrationsklassen Arbeit in interdisziplinaumlren Teams 243
benoumltigen haumlufig Hilfe und Beratung bei alltagspraktischen oder formalen Angele-genheiten Hierzu einige Beispielfragen der Schuumller
An wen muss ich mich wenden wenn ich krank werde Was benoumltige ich dafuumlr
Wie fuumllle ich Formulare richtig aus
Wie verhalte ich mich im Straszligenverkehr Welche Regeln gibt es
Daruumlber hinaus muumlssen Fragen zu berufsspezifischen Inhalten bearbeitet werden denn die Schuumller haben oftmals falsche Vorstellungen von den ein-zelnen Berufsbezeichnungen Die fortgeschrittenen Technologien und Ar-beitsweisen sind fuumlr die meisten neu (RiedlSimml 2016) Deshalb stellen sich Fragen wie
Was steckt hinter den einzelnen Berufsbezeichnungen
Wofuumlr bin ich geeignet Welche Kompetenzen benoumltige ich fuumlr die einzelnen Berufe
Solchen Fragen gibt auch der neu eingefuumlhrte Lehrplan fuumlr Berufsintegrations- und Sprachintensivklassen (SIK BIKV BIK) Raum Welche Lernbereiche der Lehr-plan umfasst erlaumlutert das folgende Kapitel12
31 Lehrplan
Seit dem Schuljahr 20162017 existiert fuumlr die Berufsintegrations- und Sprachinten-sivklassen (SIK BIKV BIK) ein Lehrplan13 der den Spracherwerb Deutsch14 als separate Saumlule ausweist Daruumlber hinaus gibt es die Vorgabe sprachliche Foumlrderung auch als Teil aller anderen Lernbereiche zu begreifen wie folgende Grafik illustriert
12 Zu Fragen der Unterrichtsgestaltung bzw (Sprach-)foumlrderung siehe auch ThielRiedl 2017 ISB
2017d RocheTerrasi-Haufe 2017 SaalTerrasi-Haufe (in Vorb) SchlaU Werkstatt fuumlr Migrati-onspaumldagogik 2016 Weber 2014
13 Zudem gibt es eine Handreichung fuumlr Lehrkraumlfte in Berufsintegrationsklassen (ISB 2015) 14 Fuumlr den Lernbereich Spracherwerb Deutsch existiert wiederum ein eigener Lehrplan der Basislehrplan
Deutsch (ISB 2016)
244 Maria Simml amp Barbara Thiel
Abbildung 4 Lernbereiche und Querschnittsaufgaben im Unterricht Auszug aus dem Lehrplan fuumlr Berufsintegrations- und Sprachintensivklassen (ISB 2017b)
bdquoDer Erwerb der deutschen Sprache findet im Sinne eines handlungsorientierten Sprachunterrichts beziehungsweise sprachsensiblen Fachunterrichts [hellip] statt und ist somit eine Querschnittsaufgabe des Unterrichtsldquo (ISB 2017b 2) Ebenso wie die sprachlichen Kompetenzen sollen sich die Wertebildung und die kulturelle Bildung durch alle Faumlcher ziehen
Weitere Lernbereiche des Lehrplans sind Bildungssystem und Berufswelt Mathematik Ethisches Handeln und Kommunikation sowie Sozialkunde Ein ergaumlnzender optionaler Lernbereich ist Alphabetisierung Der Lehrplan ist so konzipiert dass Lehrkraumlfte fle-xibel hinsichtlich Relevanz und regionalen Gegebenheiten in ihrer paumldagogischen Verantwortung agieren koumlnnen Deshalb legt dieser keine expliziten Methoden oder Inhalte fest Grundsaumltzlich sollen die Schuumller Kompetenzen erwerben die zu ihrer Persoumlnlichkeitsbildung beitragen und ihre Handlungsfaumlhigkeit garantieren Sie sollen bdquomit kulturellen religioumlsen gesellschaftlichen fachlichen und persoumlnlichen Diffe-renzenldquo umgehen lernen damit sie am gesellschaftlichen politischen kulturellen und religioumlsen Leben in Deutschland partizipieren koumlnnen (ISB 2017b 4) Die Lern-bereiche sollen zudem dazu fuumlhren weitgehend die im Rahmen der Berufsausbil-dung noumltigen Kompetenzen zu erwerben In diesem Zusammenhang ist oft von Ausbildungsreife die Rede wobei der Begriff und seine inhaltliche Auslegung umstrit-ten sind (DobischatSchurgatz 2015)
Aufgrund asylrechtlicher Arbeitsverbote und Abschiebebescheide ist es letztlich nicht allen Schuumllern moumlglich (RiedlSimml 2018) eine Ausbildung zu beginnen
Berufsintegrationsklassen Arbeit in interdisziplinaumlren Teams 245
Trotzdem profitieren die Schuumller auf ihrem weiteren Lebensweg hoffentlich von den vermittelten Inhalten in Berufsintegrationsklassen Viele der jungen neu Zugewan-derten haben im Heimatland wenig Schulbildung erfahren Rund zwoumllf Prozent der von Thiel und Riedl Befragten gaben an zuvor nie eine Schule besucht zu haben (ThielRiedl 2016 87)
32 Heterogene Schuumllerschaft
Thiel und Riedl (2016) haben sprach- und bildungsbiographische Personenmerk-male der jungen neu Zugewanderten erhoben und konnten die oft postulierte Hete-rogenitaumlt innerhalb der Schuumllerschaft empiriebasiert belegen Folgende Aspekte spiegeln beispielhaft die enorme Vielfalt der Schuumller (ThielRiedl 2016)
Insgesamt werden 55 Muttersprachen genannt Viele Schuumller sprechen mehr als eine Muttersprache zum Zeitpunkt der Befragung im Durchschnitt 135
Bei der Frage nach weiteren Sprachen welche die Schuumller sprechen verste-hen schreiben oder lesen koumlnnen ergaben sich 64 verschiedene Nennungen Ein konstruierter Durchschnittsschuumller beherrscht dabei in etwa drei Sprachen bdquoFuumlr alle vier Fertigkeiten laumlsst sich sagen dass 50 der Schuumllerinnen und Schuumller zwei bis vier Sprachen 25 bis zu sieben Sprachen koumlnnenldquo (ThielRiedl 2016 73)
Unter den Schuumllern in Berufsintegrationsklassen befinden sich Analphabeten sowie Schuumller die im Heimatland bereits eine akademische Laufbahn einge-schlagen haben (2 ) In der Befragung gaben 6 an ohne jegliche Lese-Schreibkompetenz nach Deutschland gekommen zu sein
Die angegebene Zahl an Schuljahren in der Heimat variiert zwischen null und 17 Jahren Die Daten zeigen mit Blick auf die Hauptherkunftslaumlnder dass die mittlere Schulbesuchsdauer von neu zugewanderten Schuumllern houmlher liegt als es fuumlr das jeweilige Herkunftsland typisch ist (DGVN 2014 Anhang 1)
Die Berufswuumlnsche der Schuumller differenzieren sich mit 78 verschiedenen Nennungen stark aus und orientieren sich mitnichten ausschlieszliglich am der-zeit konstatierten Fachkraumlftemangel (BA 2017)
Abgesehen von sprach- und bildungsbiografischen Merkmalen laumlsst sich auch auf verschiedenen weiteren Ebenen Heterogenitaumlt ausmachen Dazu zaumlhlt z B die Frage inwiefern einzelne Schuumller traumatisiert sind und psychotherapeutische Un-terstuumltzung benoumltigen (wuumlrden) Die Religionszugehoumlrigkeit unterscheidet sich (ISB 2017c) ist teilweise (eine) Fluchtursache und wird hierzulade beispielsweise mit Blick auf Integrationsfragen analysiert und diskutiert15 Wie weiter oben bereits angespro-chen wurde befinden sich in den Klassen Schuumller mit unterschiedlichen Migrations-motiven Bei den meisten von ihnen handelt es sich aktuell um Gefluumlchtete jedoch
15 Siehe HalmSauer 2017
246 Maria Simml amp Barbara Thiel
mit ganz unterschiedlichem Asyl- bzw Aufenthaltsstatus je nachdem ob die Ein-reise im Rahmen des Familiennachzugs stattfand in welchem Bearbeitungsstadium sich der eigene Asylantrag befindet bzw wie letztlich die Entscheidung seitens der deutschen Behoumlrden ausfaumlllt Je nach Asylstatus gelten hinsichtlich des Arbeits-marktzugangs unterschiedliche Bedingungen (BAMF 2017)
33 Markante Anforderungen
Aus der Kombination von ministeriellen Vorgaben fuumlr die Berufsintegrationsklas-sen u a in Form des erwaumlhnten Lehrplans und der stark heterogenen Schuumllerschaft sowie den asylrechtlichen Hintergruumlnden ergeben sich fuumlr die Taumltigkeit der in den Klassen taumltigen Paumldagogen markante Anforderungen wie beispielsweise16
Entwicklung und Durchfuumlhrung von Einstufungstests da das Bildungsniveau der Schuumller stark variiert und oft unklar ist
Bei Bedarf Alphabetisierung bzw Unterstuumltzung beim Zweitschrifterwerb
Sprachfoumlrderung (im Fachunterricht)
Foumlrderung fach-berufssprachlicher Kompetenzen an der Berufsschule so-wie im Praktikumsbetrieb
Vermittlung allgemeinbildender und lebenspraktischer Inhalte
Vermittlung kommunikativer Kompetenzen zur Bewaumlltigung von Alltag und Schule sowie zum Aufbau bzw Ausbau eines sozialen Netzwerks
Berufsvorbereitung
Realitaumltsanpassung da die Schuumller haumlufig uumlberzogene Erwartungen und Vor-stellungen bezuumlglich des Lebens in Deutschland haben
Aufklaumlrung und Beratung von Betrieben und der Schuumller
Vermittlung und Begleitung von Praktika (und Ausbildungsplaumltzen)
Aufbau von Netzwerken (mit Betrieben Kammern Vereinen Auslaumlnderbe-houmlrde Jugendhilfe etc)
Foumlrderung der interkulturellen Oumlffnung der Schule
Wertebildung und kulturelle Bildung
Umgang mit asylrechtlichen Hintergruumlnden da die Schuumller unterschiedliche Bleibewahrscheinlichkeiten und Aufenthaltsstatus haben wodurch sich die Zugangswege in Arbeit unterscheiden
Extremismus-Praumlvention
16 Zu den Anforderungen in Berufsintegrationsklassen siehe auch RiedlSimml 2016 und Terrasi-
HaufeBaumannRiedl 2017 Zur Lehrerbildung siehe z B KimmelmannOhmSchramm Birn-baumDippold-SchenkHirschKupkeSeyfarthWernicke 2014 Terrasi-HaufeRoche Sogl 2017 Wilbers 2016
Berufsintegrationsklassen Arbeit in interdisziplinaumlren Teams 247
Bei der Unterrichtsgestaltung ergeben sich mit herkoumlmmlichen Methoden die selbststaumlndiges Arbeiten voraussetzen und uumlblicherweise der inneren Differenzie-rung dienen oft Schwierigkeiten bdquoIm handlungsorientierten Unterricht sollen vor allem Konzepte und Methoden die das eigenverantwortliche Arbeiten das selbstre-gulierte Lernen [hellip] einfordern besondere Beruumlcksichtigung findenldquo (ISB 2016 5) Lehrkraumlfte berichten allerdings dass Methoden die eigenverantwortliches Lernen voraussetzen teilweise nicht greifen weil ein Groszligteil der Schuumller groszlige Schwierig-keiten mit selbststaumlndigem Arbeiten hat (RiedlSimml 2018) Es muumlssen also erst grundlegende Lern- und Arbeitsstrategien trainiert werden was zusaumltzlich sehr viel Unterrichtszeit benoumltigt
Die dargestellten Anforderungen an Paumldagogen in Berufsintegrationsklassen zei-gen dass es um weit mehr als die Vermittlung sprachlicher oder beruflicher Kom-petenzen geht Um dieser Realitaumlt adaumlquat begegnen zu koumlnnen bietet sich die Ar-beit in interdisziplinaumlren Teams mit einer engen Verzahnung der einzelnen Profes-sionen an
4 Verschiedene Professionen in Berufsintegrationsklassen
Um die groszlige Bandbreite an geschilderten Anforderungen bewaumlltigen zu koumlnnen setzt sich das Team in Berufsintegrationsklassen aus Experten unterschiedlicher Dis-ziplinen zusammen naumlmlich
Berufs- und Wirtschaftspaumldagogen
Experten fuumlr Deutsch als Fremd-Zweitsprache17
Sozialpaumldagogen
teilweise Gymnasiallehrkraumlften
Waumlhrend fuumlr Berufs-Wirtschaftspaumldagogen der Kontext Beruf und Ausbildung nicht neu ist jedoch fuumlr viele die Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache ist dies bei DaF-DaZ-Lehrkraumlften umgekehrt der Fall Die Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache ist ihnen vertraut der Einsatz innerhalb der Berufsintegration an Be-rufsschulen jedoch fuumlr viele neu Das ISB (2017c) vermerkt dass ein Fuumlnftel der Lehrkraumlfte in den Berufsintegrationsklassen18 eine Ausbildung im Bereich DaFDaZ hat Allerdings ist an dieser Stelle nicht klar uumlber welche Qualifikation die besagten Lehrkraumlfte im DaF-DaZ-Bereich konkret verfuumlgen Viele Personen die urspruumlng-lich ein klassisches Lehramt studiert haben machen derzeit Fortbildungen o auml mit
17 Es sind Personen mit Magister- Bachelor- oder Masterabschluss in DaFDaZ ohne grundstaumlndi-
ges Lehramtsstudium gemeint Im Folgenden ist von DaFDaZ die Rede wenn es sich um die unterrichtende Person handelt Geht es um den Unterricht so sprechen wir von DaZ
18 Die Erhebung fand in Berufsintegrations(vor)klassen innerhalb des Modellprojekts bdquoPerspektive Beruf fuumlr Asylbewerber und Fluumlchtlingeldquo statt Daran sind 21 Berufsschulen in Bayern beteiligt
248 Maria Simml amp Barbara Thiel
dem Resultat einer DaF-DaZ-Qualifikation Darunter werden wenige ECTS um-fassende Weiterqualifikationen genauso verstanden wie umfangreiche Aufbaustudi-engaumlnge Ganz unabhaumlngig vom Umfang der DaF-DaZ-Qualifikation bedeuten die vom ISB erhobenen Zahlen dass bdquojeder Klasse im Durchschnitt weniger als eine DaF-DaZ-Lehrkraft zur Verfuumlgungldquo (ebd 4) steht
Innerhalb der Lehrerschaft divergieren die Arbeitsbedingungen Aktuell sind DaF-DaZ-Lehrende in Berufsintegrationsklassen uumlberwiegend auf ein Jahr befris-tet entweder beim Kooperationspartner oder an der Berufsschule angestellt Hinge-gen sind Berufs- und Wirtschaftspaumldagogen an Berufsschulen uumlblicherweise verbe-amtet Die in den Klassen eingesetzten Gymnasiallehrkraumlfte haben aufgrund schlechter Einstellungschancen an den Gymnasien mit bestimmten Faumlcherkombi-nationen teilweise eine Nachqualifizierung absolviert sodass die Verbeamtung an der Berufsschule moumlglich ist Des Weiteren nehmen sozialpaumldagogische Angestellte bezuumlglich der Berufsintegrationsklassen einen wichtigen Stellenwert ein (RiedlSimml 2016) Sie erledigen nicht nur viele organisatorische Aufgaben hinsichtlich der Betreuung der Praktika asylrechtlicher Formalitaumlten o auml sondern sind auch wichtige Ansprechpartner fuumlr die Schuumller
Die in den Berufsintegrationsklassen eingesetzten Berufs- bzw Wirtschaftspauml-dagogen DaF-DaZ-Lehrenden Sozialpaumldagogen sowie Gymnasiallehrkraumlfte ko-operieren zum einen in Form von engen Absprachen abgestimmten paumldagogischen Maszlignahmen gemeinsamen Teamsitzungen etc teilweise aber auch im Rahmen ge-meinsamen Unterrichts Gute Erfahrungen hinsichtlich der inneren Differenzierung wurden an den Schulen mit Teamteaching gemacht (RiedlSimml 2017) Sprachsen-sibler Fachunterricht kann beispielsweise dadurch gefoumlrdert werden dass Berufs-Wirtschaftspaumldagogen und DaF-DaZ-Lehrkraumlfte zusammen in den Klassen un-terrichten
Uumlber die bisher benannten Professionen hinaus spielen auch die Lehrkraumlfte der unterschiedlichen Fachrichtungen in den regulaumlren Fachklassen an Berufsschulen eine wichtige Rolle fuumlr die Berufsintegrationsklassen Nicht nur fuumlr die innerschuli-sche Integration ist eine Zusammenarbeit hier foumlrderlich sondern auch fuumlr den pra-xisnahen Unterricht Je nachdem welche Berufe die Schuumller in Berufsintegrations-klassen anstreben ist es wichtig als Lehrkraft moumlglichst gut uumlber die anschlieszligende Ausbildung informiert zu sein damit im Unterricht relevante und praxisnahe Inhalte fokussiert werden
Berufsintegrationsklassen Arbeit in interdisziplinaumlren Teams 249
5 Interdisziplinaumlre Zusammenarbeit19
Unter interdisziplinaumlrer bzw interprofessioneller Zusammenarbeit wird im vorlie-genden Beitrag die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachwissenschaften bzw Professionen oder Berufen verstanden Die Begriffe interdisziplinaumlr und interpro-fessionell sind als Synonyme zu verstehen
Forschungsliteratur zur Kooperation im interprofessionellen Team findet sich in erster Linie im Gesundheitsbereich (v a der Rehabilitation und Palliativmedizin) und der Produktentwicklung (z B Grabowski 1991 HirsmuumlllerSchroumler 2014 Muumll-lerZimmermannKoumlrner 2014 SteinheiderLegrady 2001) Im schulischen Be-reich ist unter diesem Stichwort nur wenig zu finden Uumlberschneidend damit wird allerdings zur Lehrerkooperation geforscht obwohl dabei nur selten die Zusammen-arbeit unterschiedlicher Professionen in den Fokus ruumlckt sondern vielmehr die in-nerschulische Teamarbeit Kooperationsforschung an Schulen wird vor allem an Gymnasien Ganztagsschulen oder inklusiven Schulen betrieben (Luumltje-KloseMil-lerZiegler 2014 RichterPant 2016 SpeckOlkStimpel 2011) Berufsschulen ste-hen weniger im Forschungsfokus
51 Lehrerkooperation in der Schule
Die Kooperation von Lehrkraumlften stellt sich in mehreren Studien zur Schuleffekti-vitaumlt und Schulqualitaumlt als wichtiges Kriterium heraus (Bauer 2002 Dalin 1999 Fend 1998 ScheerensBosker 1997) bdquoLehrerkooperation als kollegiale Praxis gilt als einer der wichtigsten Prozesse auf Schulebene und somit als Merkmal der Organisations-qualitaumlt das den Unterricht die Lehr- und Lernkultur und die Lernergebnisse von Schuumllerinnen und Schuumllern verbessern kannldquo (SteinertKlieme MaagMerkiDouml-brichHalbheerKunz 2006 188) Richter und Pant (2016) sehen in kooperativen Arbeitsbeziehungen eine Ressource fuumlr Lehrkraumlfte neue Erkenntnisse zu gewinnen und bereits vorhandene zu erweitern bdquoDaruumlber hinaus traumlgt arbeitsteilige Arbeitsor-ganisation dazu bei dass Einzelne in ihrer Arbeit Entlastung und Unterstuumltzung er-fahrenldquo (RichterPant 2016 22) Auffaumlllig ist dass in bdquonachweislich guten Schulen das Ausmaszlig houmlher und vor allem die Art der Kooperation zwischen den Lehrkraumlf-ten anspruchsvoller ist als in weniger erfolgreichen Schulenldquo (TerhartKlieme 2006 163 Hervorhebung im Original)
Kooperation kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen Innerhalb der Forschungsliteratur wird haumlufig auf die organisationspsychologische Einteilung von Kooperation in Austausch Arbeitsteilung und Kokonstruktion20 zuruumlckgegriffen (GraumlselFuszligangelProumlbstel 2006 RichterPant 2016)
19 Kooperation und Zusammenarbeit werden in diesem Beitrag synonym verwendet 20 Kokonstruktion zeichnet sich durch den intensiven Austausch und den damit einhergehenden Wis-
senserwerb in Bezug auf eine Aufgabe oder das gemeinsame Erarbeiten von Problemloumlsungen aus Naumlheres zur Definition und Abgrenzung der Begrifflichkeiten siehe GraumlselFuszligan-gelProumlbstel 2006