das mediale panoptikum - moderne formen der selbstkontrolle

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Eine Hausarbeit von 2006, später zum Internetprojekt umgearbeitet, über die unscheinbare Überwachung, die uns zur Selbstkontrolle bewegt. Basiert auf Michel Foucault und Jeremy Bentham und bezieht sich primär auf moderne Medien.

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Das mediale Panoptikum moderne Formen der Selbstkontrollevon Jens Holze Studiengang Medienbildung MB 04 3. Semester 10/02/2006

Medienbildung I Prof. Dr. Winfried Marotzki Otto-von-Guericke Universitt Magdeburg

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Inhaltsverzeichnis1. Einfhrung.......................................................................................................................................3 2. Ursprnge........................................................................................................................................3 2.1 Michel Foucault Entwicklung des Gefngnisses...................................................................3 1.1 Das Panoptikum nach Jeremy Bentham...................................................................................4 3. Neue Techniken zur berwachung und Kontrolle..........................................................................5 1.2 Fernsehen als Taktgeber...........................................................................................................5 1.3 Mobilfunk berwachung ohne Lokalisierung.......................................................................7 1.4 Universelle berwachung und vernetzte Kontrolle..................................................................9

2

1. EinfhrungKein anderes Fahrzeug in der Nhe. Im Moment kommt auch kein Fugnger vorbei und es wre augenscheinlich vollkommen ungefhrlich die rote Ampel einfach zu berfahren. Trotzdem bleibt man stehen und wartet bis die Ampel die Fahrt frei gibt. Es ist niemand da, der uns den Regelversto ankreiden knnte und trotzdem verstoen Menschen in der modernen Gesellschaft eher selten gegen die etablierten Regeln. Warum? Mglicherweise verstehen sie den Sinn hinter der Regel und befrworten daher ein bestimmtes, richtiges Verhalten? Aber wenn man niemandem schaden kann, warum dann trotzdem die Regel befolgen? Diese Art der Selbstkontrolle ist fr Menschen offenbar nicht selbstverstndlich, sie scheint sogar kulturell bedingt, denn nicht berall auf der Welt wrden sich Autofahrer so verhalten. Wir kontrollieren uns selbst, weil wir glauben, kontrolliert zu werden. Mglicherweise fhrt genau in dem Moment, in dem wir die rote Ampel kreuzen ein Streifenwagen der Polizei vorbei. Mglicherweise. Doch die moderne Maschinerie ist noch ausgeklgelter. Es sind nicht lnger Menschen ntig um diese Kontrollfunktion zu erfllen oder zumindest immer weniger. Kameras und Datenerfassungssysteme, die vollkommen autark und automatisch ihre Funktion erfllen und teilweise sogar schon grobe Filter besitzen um richtiges von falschem Verhalten zu trennen (z.B. die sogenannten Starenksten) bernehmen immer mehr die Funktion unsere Selbstkontrolle zu beeinflussen. Michel Foucault hat das Phnomen der sich selbst auferlegten Kontrolle und der institutionalisierten Disziplinierung von Krper und Geist intensiv untersucht. Fast zeitgleich erfand Jeremy Bentham das Panoptikum, ein Gebude, das fr unterschiedlichste Zwecke die (Selbst-)Kontrolle der in ihm beheimateten Menschen ermglicht. Diese hchst interessante kulturelle Entwicklung, die unsere moderne Gesellschaft bis heute geradezu durchdrungen, ermglicht in weiten Teilen unser Verstndnis von Zivilisation. Im Folgenden sollen einige zeitgenssische Beispiele fr die perfektionierte Funktionsweise des Panoptikums zeigen, dass die Idee Benthams nicht auf sein Gebude beschrnkt ist sondern schon durch gezielten Medieneinsatz ermglicht wird. Dieses mediale Panoptikum, in dem wir uns alle befinden, kann bisweilen sogar nahezu unsichtbar sein.

2. Ursprnge2.1 Michel Foucault Entwicklung des Gefngnisses

In seinem Buch berwachen und Strafen stellt Foucault sehr eindeutige Beobachtungen bzgl. der

2. Ursprnge 3

Wandlung des Krper- und des menschlichen Selbstbildes an, die zu einer institutionalisierten Disziplin fhren, welche in zahlreiche Lebensbereiche eindringt. Zunchst betrachtet er den militrischen Bereich. Noch im 17. Jahrhundert beschreibt man die Idealfigur eines Soldaten so: [..] der Soldat ist zunchst jemand, der von weitem zu erkennen ist. [..] sein Krper ist das Wappen seiner Strke und seiner Tapferkeit. Zwar mu er das Waffenhandwerk [..] erlernen, doch sind Manver wie das Marschieren oder Haltungen wie die Kopfhaltung zu einem guten Teil Elemente einer krperlichen Rhetorik der Ehre. ([2] S.173) Etwa 150 Jahre spter ist der Soldat ein Massenprodukt geworden: Aus einem formlosen Teig, aus einem untauglichen Krper macht man die Maschine, deren man bedarf; Schritt fr Schritt hat man die Haltungen zurecht gerichtet, bis ein kalkulierter Zwang jeden Krperteil durchzieht und bemeistert, den gesamten Krper zusammenhlt und verfgbar macht[..]. ([2] S.173) Der Krper wandelt sich also von einem Bildnis prchtiger und sehenswrdiger Selbstdarstellung zu einem simplen, massengefertigten Werkzeug, dessen bloe Anzahl und Gefgigkeit ausschlaggebend ist. Die Individualitt ist nicht nur untergeordnet, je weniger individuell der Krper ist, desto leichter ist er in standardisierter Form zu befehligen. Diese grundlegende Vernderung setzt sich auch in anderen Lebensbereichen durch. In einer Zeit, als der Mensch sich scheinbar die Maschine Untertan macht wird der arbeitende Mensch selbst zu einer Maschine. Im Zeitalter der Industrialisierung mu sich die Menschenmaschine auf Arbeitsschritte einstellen, wird am Flieband immer derselbe technische Vorgang von austauschbaren Arbeitern durchgefhrt. Aber es geht nicht nur um die massenweise uniforme Kontrolle, nein die Kontrolle dringt in dieser Zeit bis ins kleinste Detail vor. Der Zwang ist wohl dosiert und richtet sich nicht nur nach einem Ziel aus sondern bestimmt auch den Weg, auf dem dieses Ziel erreicht wird. Der Krpermechanismus wird vollends durchdrungen und jede Haltung und Bewegung ist Teil einer koordinierten bung. Man steigert die konomische Ntzlichkeit des Krpers, schwcht aber die Freiheit in der krperlichen Vielfalt und bringt sie so unter Kontrolle, erwirkt seine Unterwerfung. Diese Entwicklung geschah natrlich nicht schlagartig und demnach ist sie auch niemals als abgeschlossen zu betrachten gewesen. In der Tat wird es im zweiten Teil der Arbeit darum gehen, wie diese schleichende Steigerung der bis ins Detail fokussierten Kontrolle sich im Zeitalter der Medien vollzieht und welche Auswirkungen sie auf unser heutiges Selbstverstndnis hat. 1.1 Das Panoptikum nach Jeremy Bentham

Jeremy Bentham war Philosoph und als solcher Begrnder des Utilitarismus. Seine Idee war es jede Aktion nach ihrer Ntzlichkeit fr die Gemeinschaft zu bewerten. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass er auch fr die folgende Idee zu einer neuen Form von Gefngnis2. Ursprnge 4

verantwortlich zeichnet. Foucault greift diese Idee als Beispiel in seinem Buch auf da sich seine Gedanken zur Selbstkontrolle ganz offenbar darin wiederfinden lassen. Der Entwurf des Panoptikums von Bentham zeigt eine neue Form von Gefngnis, die ganz klar die Insassen rumlich nicht nur von der Auenwelt trennt sondern auch von einander fernhlt. Die Idee ist, dass jeder Insasse in einer Zelle sitzt, die idealer Weise schalldicht sind so, da man nicht mit dem Nachbarn kommunizieren kann. Es gibt keine erreichbaren Fenster und man kann lediglich durch Gitter blicken. Da die Zellen in dem runden Gebude im ueren Ring angebracht sind, kann man als Gefangener lediglich ins Zentrum des Gebudes blicken, ein Fenster nach auen sorgt aber dafr, dass die Zelle hell erleuchtet ist. In diesem Zentrum befindet sich ein Wachturm von dem aus man rundherum in alle Zellen blicken kann whrend es den Gefangenen nicht mglich ist zu sehen, ob sich jemand im Wachturm befindet. Das Gebude kann im Grunde beliebig hoch sein, solange der Turm hoch genug ist um alle Zellen zu beobachten. Da die Gefangenen nicht untereinander kommunizieren knnen sollte jeder Insasse auf sich selbst fokussiert sein. Die Wrter wiederum knnen aber das Verhalten jedes einzelnen kontrollieren und maregeln, tatschlich kann sogar ein einziger Wrter gengen, denn der Gefangene wei nicht wann er beobachtet wird. Idealerweise entsteht daraus eine Fgsamkeit, die selbst dann anhlt, wenn der Gefangene nicht kontrolliert wird. Natrlich mu dieses Prinzip nicht auf Gefngnisse begrenzt werden, genauso gut knnt es sich um eine Fabrik, ein Krankenhaus oder eine Schule handeln. Jeder Kfig ist ein kleines Theater, in dem jeder Akteur allein ist, vollkommen individualisiert und stndig sichtbar.[..] Die Sichtbarkeit ist eine Falle. ([2] S.257) Die Insassen, seien es Gefangene, Verrckte oder Kranke knnen nicht miteinander in Kontakt treten, also nicht konspirieren und gemeinsam planen, sich gegenseitig verletzen oder anstecken whrend sie doch alle kontrolliert werden. Die Ordnung bleibt erhalten und es gibt keinen Kollektiveffekt, der die Produktivitt, Sicherheit oder Kontrolle behindern knnte. Die Macht, die hier ausgebt wird, geht nicht von einer Person aus sondern lediglich von der Anordnung einiger Gegenstnde und der Rumlichkeiten. Die Person kann, sobald die Insassen an die Kontrolle gewhnt sind, theoretisch sogar weggelassen werden, denn das Kontrollprinzip trgt sich weitgehend selbst und die Macht geht dann von den Beobachteten aus, die sich selbst maregeln aus Angst vor einer Kontrollinstanz die rein virtuell sein kann. Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies wei, bernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhltnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt;[..]. ([2] S.260) Whrend Bentham und Foucault diese Feststellung zu ihrer Zeit noch als Neuerung begreifen mssen wir mit Blick auf die heutige Wirklichkeit feststellen, dass die Funktion des Panoptikums fr uns ein essentielles Werkzeug geworden ist, denn whrend die Kontrolle ber eine stndig wachsende Menschenmasse immer strker und gezielter geworden ist, wie ich im Folgenden darlegen werde, ist der Aufwand2. Ursprnge 5

nicht zwangslufig im Verhltnis dazu gewachsen. Die Selbstkontrolle ist so tief in uns verwurzelt, dass eine kontrollierte Gesellschaft wie wir sie im westlichen Europa oder Amerika vorfinden immer leichter und ohne steigenden Aufwand kontrollierbar geworden ist. Dabei hat auch der Detailreichtum, wie ihn Foucault offengelegt hat noch zugenommen und erfasst nahezu alle Lebensbereiche. Darberhinaus hat man es sogar geschafft, dass uns diese Kontrolle nicht einmal mehr unmittelbar bewut ist bzw. wir die Kontrolle nicht mehr als solche wahrnehmen.

3. Neue Techniken zur berwachung und Kontrolle

1.2 Fernsehen als Taktgeber

Das Fernsehen hat sich ber die letzten zwei Jahrzehnte zu einem beraus dominanten Massenmedium entwickelt. Mit dem Aufkommen der Privatsender Ende der 1980'er Jahre stieg das Angebot an verschiedenen Programmen schlagartig an und nahezu jede Bevlkerungsschicht konnte von den auf die Einschaltquoten angewiesenen Fernsehunternehmen an das Medium gebunden werden. In dem durchaus hart umkmpften Markt ist es immer noch notwendig, mglichst alle potentiellen Zuschauer zu erreichen. Dieser harte Wettbewerb und der damit verbundene Anstieg im Angebot hat zu gravierenden Vernderungen im tglichen Leben gefhrt. In einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28. April 2005 wird diese Entwicklung zunchst durch Zahlen sehr deutlich, die im Rahmen einer Langzeitstudie der Gesellschaft fr Konsum-, Markt- und Absatzforschung (GfK) erhoben wurden: Die tgliche Sehdauer hat sich von 167 Minuten (1994) auf heute 210 Minuten (2004) erhht. Das entspricht einem Anstieg von 25,8 Prozent. [..] Vor allem Erwachsene ab vierzehn Jahren, die in Ein-Personen-Haushalten leben, sehen mehr fern: Saen sie im Jahr 1994 noch 233 Minuten vor dem Bildschirm, so waren es im vergangenen Jahr 311 Minuten. Mit einem Anstieg um 33,1 Prozent sind sie die grte Nutzergruppe. ([1]) Ferner lt sich aus der Studie entnehmen, dass Frauen im Durchschnitt tglich 25 Minuten lnger fernsehen als Mnner. Der Fernsehkonsum bei Kinder zwischen drei und 13 ist allerdings nahezu gleich geblieben auch wenn z.B. der Spartensender KiKa seinen Marktanteil ausbauen konnte. ber die sozialen Auswirkungen lt sich aus den Zahlen freilich wenig ableiten. Der Artikel benennt hier lediglich das Phnomen des Cocooning. Das bedeutet, dass ein Groteil der Deutschen offenbar in ihren Wohnungen verbleibt und dort (beispielsweise vor dem Fernseher) ganze Wochenenden verbringt. Gingen vor zwlf Jahren noch 17 Prozent abends aus, sind es heute nur noch 5,9 Prozent. 'Der Fernseher ist zum Taktgeber geworden', sagt3. Neue Techniken zur berwachung und Kontrolle 6

Daniel

Haberfeld,

Leiter

der

Medienforschung

von

Seven

One

Media,

der

Vermarktungsgesellschaft der Sender der Pro Sieben Sat.1.([1]). Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich allerdings eine wesentliche Umwlzung. So ist es vollkommen blich geworden den eigenen Tagesablauf auch vorrangig nach dem Fernsehprogramm auszurichten und z.B. pnktlich zu einer Lieblingssendung nach Hause zu fahren. Hierzu erschien im Nachrichtenmagazin Stern in der 35. Ausgabe vom 25.08.2005 ein Artikel, in dem zahlreiche Fallbeispiele vorgestellt wurden, in denen ehemalige Fernsehzuschauer, die nun auf das Medium verzichten, erklren, wie sich ihr Leben dadurch verndert hat. Ein hufiger Effekt des Taktgebers Fernsehen spielt sich in den Abendstunden ab: Frher bestimmten ARD und RTL, wann die Familie zu Abend a: zwischen Marienhof und GZSZ. Und in der Tat ist dies durchaus ein verbreitetes Phnomen. Hufig beginnt der tgliche Fernsehabend auch mit der Tagesschau oder den unterhaltsameren Nachrichtensendungen der Privaten. Kinder stehen an Wochenenden teilweise frher auf als unter der Woche, um nicht die entsprechend ausgestalteten Vormittagsprogramme zu verpassen. Mit tglichen Serien und etablierten Sendepltzen hat das Medium Fernsehen eine unheimliche Wirkung auf die Portionierung unserer Zeit, ohne das die Zuschauer wirklich wahrnehmen, dass ihr Alltagsrhythmus bestimmt wird. Durch die Vollzeitprogramme der meisten Sender hlt diese Wirkung auch konsequent an, spezielle Spartenkanle wie Neun Live oder der Einkaufskanal QVC, deren Programm immer nach demselben Schema verluft und bei denen sich das Nachmittagsprogramm inhaltlich nicht vom Abendprogramm unterscheidet, machen die tatschliche Zeiteinteilung sogar unerheblich. Und dabei wird jede sozialen Gruppe, jede Gehaltsklasse und jeder IQ durch eine extra fr ihn ausbalancierte Sendung bedacht. Kultureller Anspruch auf Arte, fleischgewordene Groschenromane, die sogenannten Daily Soaps oder neuerdings auch die Telenovelas, auf den Privaten und ffentlich-Rechtlichen Sendern in jeder Form und Ausprgung. Anspruchsvolle Satire (Scheibenwischer, Harald Schmidt, Mitternachtspitzen), die mediale Selbsthilfe (Supernanny, Domain, Lebe dein Leben), Fkalhumor, RealityTV (Big Brother, Das perfekte Dinner, Die Burg) oder jede Art von Spielfilm, Fernsehen ist das kalte Buffet, an dem jeder satt wird. Nicht umsonst ist das Thema Unterschichten-Fernsehen so breit diskutiert worden: Soziologen sagen, dass das Fernsehen von heute die Gesellschaft spalte und nicht, wie frher, vereine. Die Klugen werden klger, die Dummen dmmer. ([3]) Und sie macht die Taktgeberfunktion des Fernsehens erst mglich. In vielen Science-Fiction Romanen wie 1984 oder Trumen Roboter von elektrischen Schafen aber auch in Filmen wir Running Man ist die Funktion des Fernsehens daher eine berspitzte Vorreiterrolle in der Beeinflussung und Kontrolle der Massen. Wenn in Benthams Panoptikum noch ein Wchter ntig war, um sicherzustellen, dass man die Kontrolle ber die Gefangenen behlt dann gengt offenbar heute ein breites Fernsehprogramm um3. Neue Techniken zur berwachung und Kontrolle 7

die Menschen von jeglicher anderen Beschftigung abzuhalten. Auch wenn man sich sptestens am nchsten Morgen doch wundert, wo die Zeit geblieben ist, das Fernsehen wrde man so leicht nicht mit dem Zeitdiebstahl in Verbindung bringen.

1.3 Mobilfunk berwachung ohne Lokalisierung

Ein weiteres interessantes Medium im Verbund des medialen Panoptikums ist das Mobiltelefon. Whrend das ursprnglich Telefon immer lokal an einer bestimmten Stelle verweilte und man den Besitzer folglich nur dann erreichte, wenn er sich in unmittelbarer Nhe zum Telefon befand, ist es heute vollkommen unabhngig und damit jederzeit verfgbar. Genau das passiert aber auch mit seinem Besitzer: Er wird jederzeit verfgbar oder noch drastischer, hat jederzeit verfgbar zu sein. Egal ob im Kino oder in der Bar, whrend einer privaten oder beruflichen Situation, ob zu Hause oder im Urlaub in der Karibik, jederzeit kann ein Anrufer unserer habhaft werden ohne auch nur wissen zu mssen, was wir gerade tun oder wo wir gerade sind. Trotzdem sind das immer noch die ersten Fragen, mit denen sich ein Mobiltelefonierer konfrontiert sieht. Wollen wir nicht erreichbar sein, schalten wir das Handy aus, nehmen es nicht mit oder gehen einfach nicht ran. Damit bewirkt man aber auch all zu oft Unbehagen, Unsicherheit und Mitrauen beim Anrufer, der sich mglicherweise ausgesperrt fhlt. Denn das Argument, man htte das Telefon ja nicht erreichen knnen gilt so nicht mehr als berzeugend, die technische Ausrede, die als Puffer gegen unerwnschte Kommunikation verwendet werden konnte, ist wirkungslos. Natrlich kann das Mobiltelefon auch als Werkzeug fr eine neue Generation von Netzwerkern und damit positiv genutzt werden. Doch dieser Aspekt soll hier nicht eingehend betrachtet werden. Vielmehr geht es eben um den Kontrollmechanismus, den das Handy auslst und der mglicherweise dazu fhrt, dass man sich unbemerkt einer nicht offensichtlichen berwachung freiwillig aussetzt. Die Autoren des Buches 'Die neue Moral der Netzwerkkinder' sind folgend den Ergebnissen einer Studie zu der Erkenntnis gelangt, dass in der heutigen Generation Nicht-Erreichbarsein zum Luxus geworden ist, den sich allenfalls besonders wichtige Menschen leisten knnen. Sie konnten feststellen, dass beispielsweise aufgrund erhhter gesellschaftlicher Mobilitt und geringerer Frustrationstoleranz Beziehungen immer brchiger zu werden scheinen. Die junge Generation hat sich an diesen Umstand insofern angepasst als dass sie permanent den Kontakt zu den jeweiligen Bezugspersonen sucht. Deshalb kann das permanente Simsen als notwendige Gegenwehr zum Inseldasein interpretiert werden; denn wer nicht mehr erreichbar ist, ist drauen. (Das Handy ein typisches Modernisierungsphnomen?, S.10)

3. Neue Techniken zur berwachung und Kontrolle 8

So scheint also das Verhltnis zur neuen Technologie von einer Notwendigkeit der Kommunikation geprgt zu sein, die uns aber gleichzeitig in besagtes Kontrollsystem einbindet. Doch das nehmen wir offenbar bewut in Kauf. Um das Bild von Benthams Panoptikum nicht aus den Augen zu verlieren: Wir begeben uns freiwillig und durchaus nicht unbewut in einen Raum des Panoptikums wohl wissend, dass wir dort der Kontrolle ausgeliefert sind, aber in der Annahme und Hoffnung, dass dort ebenfalls dieser sichere Kommunikationskanal zur Verfgung steht, den wir anders nicht mehr zu finden in der Lage sind. Mglicherweise beschreibt dies sogar das allgemeine Verhltnis des modernen Menschen zu Kommunikationstechnologie. Whrend die Welt und die Gesellschaft immer unsicherer, schneller und wankelmtiger werden ermglichen uns die neuen Technologien durch Aufgabe eines gewissen Teils unserer Unabhngigkeit wieder ein Stck Sicherheit und Verbindlichkeit wiederzufinden. Damit wird klar, dass wir es nicht mit einer grundstzlich schlechten Entwicklung zu tun haben sondern vielmehr mit einer grundlegenden Verschiebung von Werten und Umgangsformen, um als Menschen in einer sich neu konstituierenden Welt ohne feste Bindung an Ort und Zeit weiter bestehen zu knnen. Dieser Anpassungsprozess spiegelt sich mglicherweise in vielen Bereichen, in denen moderne Technologien Einzug gehalten haben, wider. Andererseits laufen wir meiner Meinung nach auch Gefahr unbemerkt zum vielzitierten glsernen Menschen zu werden, der aufgrund seiner Involvierung in derart zahlreiche gesellschaftliche Kontrollmechanismen jegliche Individualitt aufgibt und offenlegt. Es scheint paradox diese Gefahr in einer Zeit zu vermuten, die Individualismus doch scheinbar so stark in den Mittelpunkt stellt wie die unsere. Trotzdem mu bei nherem Betrachten doch festgestellt werden, dass Individualitt heute auffallend hufig nur noch in Form der Wahl aus (mglichst zahlreichen) vordefinierten Mglichkeiten besteht. Die Anzahl an Lebensmodellen scheint gro, aber der individuelle Spielraum in diesen Modellen hat in der Kommunikations- und Wissensgesellschaft zugunsten einer besseren Steuerbarkeit der Masse deutlich abgenommen.

1.4 Universelle berwachung und vernetzte Kontrolle

Neben diesen doch eher offensichtlichen und auch fr die Mehrzahl der Menschen vielleicht eher noch durchschaubaren Methoden des medialen Panoptikums gibt es auch noch einige Techniken und Technologien, die aufgrund ihrer Komplexitt beziehungsweise ihres undurchsichtigen Systems aber auch weil sie sich stark der individuellen Kontrolle entziehen als Mittel der Kontrolle nicht so prsent sind. Ich will an dieser Stelle nur einige moderne Phnomene nennen, die fr sich genommen schon einen sehr deutlichen Einblick in individuelle Lebensweisen konkreter Personen3. Neue Techniken zur berwachung und Kontrolle 9

liefern. Das Internet hat in den letzten 10 Jahren stark an Popularitt gewonnen und nahezu alle Industrienationen und zahlreiche Lnder, die auf dem Weg dahin sind, wurden flchendeckend mit dem Netz ausgestattet. Die heutige Generation von Nutzern ist aber durchaus nicht ausreichend mit der Funktionsweise dieses Werkzeuges vertraut. Populre Websites wie Amazon, Google und eBay sammeln ber die Benutzung ihrer Services Daten ber den Benutzer. Whrend Cookies in der Regel nur in der Lage sind das Verhalten innerhalb einer Browsersoftware an einem Computer zu markieren, kann man durch personalisierte Accounts das Nutzerverhalten direkt auf eine reale Person abbilden. Bei Amazon und Google werden diese Daten konkret in eine Form von Empfehlung umgewandelt, bei Amazon fr die entsprechenden Produkte, die den Nutzer mglicherweise interessieren, bei Google fr Suchergebnisse und auf Werbung, die die Interessen des Nutzers ansprechen. Natrlich ist es zunchst schwierig und auch gar nicht beabsichtigt diese Daten einer konkreten Person in der realen Welt zuzuordnen, aber je strker das Netz in unseren Alltag eingebunden wird, desto weniger wird dies letztendlich berhaupt ntig sein. Besonders Google sammelt darberhinaus auch Daten ber Nutzerdateien zum Zwecke der Indizierung mit seinen diversen Services wie Gmail oder Google Desktop. Selbst wenn diese Daten nur fr die genannten Zwecke verwendet werden, so erzeugt diese externe Kontrolle ber Persnliches doch auch einen interessanten Ansatzpunkt fr das mediale Panoptikum. Auch an anderen -realen- Stellen werden Daten gesammelt: So erhebt z.B. die SCHUFA im gesamten Bundesgebiet untersttzt durch nahezu alle Banken, Kreditund Finanzdienstleister, Handelsunternehmen, Energieversorgern etc. Daten ber die finanzielle Situation und Historie der Bundesbrger. Dabei sind 62 Millionen Bundesbrger durch die Schufa erfasst. Auch wenn in Vertrgen auf die Datenweitergabe an die Schufa hingewiesen wird, so sind sich doch nicht alle Kunden darber klar, was das fr sie bedeutet und sie werden auch nicht zwangslufig darauf hingewiesen oder nur auf Nachfrage. Letztendlich liegt auch bei der Schufa nur ein Teil der Informationen ber einzelne Menschen (nmlich ihre finanziellen Handlungen) vor und damit kein umfassendes Profil aber diese Informationen gengen um eine Entscheidung fr Kreditwrdigkeit zu begrnden, damit signifikanten Einflu auf das Leben der Person zu nehmen und letztendlich geht davon eine deutliche Kontrollfunktion, derer man sich auch nicht entziehen an. Eine letzte, sehr direkte Art der Beobachtung durch unbekannt ist erst in den letzten Jahren zu grerer Verbreitung gekommen. Mit Hilfe von Videokameras, die nach Privatgebuden nun auch immer hufiger in ffentlichen Verkehrsmitteln und an ffentlichen Pltzen vorzufinden sind, werden wir stndig und zumeist unbemerkt beobachtet. Auch wenn Warnschilder auf diesen Umstand hinweisen oder die Kameras sehr deutlich sichtbar sind, so knnen wir doch nie wirklich3. Neue Techniken zur berwachung und Kontrolle 10

sicher sein, wann und ob jemand das aufgezeichnete Bild tatschlich betrachtet. Hier wird ganz offensiv auf die Wirkung des Panoptikums gesetzt, denn genau dieser Effekt soll zu einer gesteigerten Sicherheit an den observierten Orten fhren. Es soll auf keinen Fall der Eindruck erweckt werden, diese Mglichkeiten der berwachung wren grundstzlich nachteilig, in vielen Fllen und durch verantwortungsvollen Einsatz tragen sie sicher ihren Teil zu unserer aller Sicherheit bei. Durch die Perfektionierung der Techniken des Panoptikum ist es mglich den Aufwand immer weiter zu reduzieren und offenbar ist es auch gelungen, dass wir uns nicht wirklich unangenehm beobachtet fhlen, denn viele nehmen diese Kontrollfunktionen ja gar nicht wahr. Letztendlich aber sollten wir uns bewut machen, dass das mediale Panoptikum sehr mchtig ist und genauso leicht gegen das allgemeine Interesse eingesetzt werden knnte. Und wir sollten dies im Hinterkopf behalten, wenn es in der Zukunft um hnliche neue Techniken geht. Alle diese Beispiele haben die Funktion des Panoptikums. Das Wissen um unsere Erfassung bei der Schufa soll uns nicht zuletzt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit unseren Finanzen motivieren. Strkere berwachung mit Kameras soll eine abschreckende Wirkung entfalten, die Verbrechen unterschiedlichster Art verhindert. Die deutliche Identifizierung als Person im Netz soll der gefhlten Freiheit der Anonymitt entgegenwirken, damit man eben nicht machen kann, was man will. Diese Funktion ist freilich nur unzureichend erfllt, wenn der Beobachtete nicht wei, dass er beobachtet wird, weshalb auch immer darauf hingewiesen wird (in AGBs, Privacy Statements, Kleingedrucktem und durch Warnschilder Dieser Zug wird mit Kameras berwacht). All diese Synonyme fr Big Brother is watching you erfllen diese Funktion und schon allein dadurch sind diese Techniken fr unsere Gesellschaft unverzichtbar. Dabei ist keinesfalls so, dass diese Entwicklung versteckt oder von der ffentlichkeit unbemerkt stattfindet. Tatschlich spielte schon George Orwell in seinem Roman 1984 aus dem Jahre 1949 mit der Idee des groen Bruders und zahlreiche Interessengruppen begutachten stetig die Entwicklung der berwachungsvorgnge. Sogar Soziologen untersuchen diese Zusammenhnge vermehrt, so lautet beispielsweise eine These von David Lyon im vierten Kapitel seines Buches The Electronic Eye: The Rise of Surveillance Society, dass Orwells Geschichte, wenngleich sie technisch seit langem berholt ist, auch heute immer noch in einigen Punkten relevant ist. Trotzdem ist Orwells Vision wesentlich eingeschrnkter als die Wirklichkeit, die sich uns heute prsentiert. So liegt die Macht zur berwachung lngst nicht ausschlielich in staatlicher Hand sondern eben sehr viel strker in der privaten Wirtschaft (Beispiel Schufa), eine Entwicklung die Orwell nicht voraus ahnte. Es lieen sich noch viele andere Bezge herstellen, doch das wrde den Rahmen dieser Arbeit zu sehr ausweiten. Fest steht, dass viele dieser berwachungsmechanismen durchaus bedeutend sind fr

3. Neue Techniken zur berwachung und Kontrolle 11

das Funktionieren unserer Gesellschaft und darum akzeptiert werden mssen, aber ebenso ist auch festzustellen, dass es negative Seiten der berwachung gibt, die wir nicht ignorieren knnen.

Fazit Ich habe versucht anhand von Beispielen aus dem tglichen Leben zu zeigen, dass die Funktionsweise des Panoptikums wie sie von Bentham entwickelt wurde sich nicht nur bis heute erhalten hat, sondern dass sie sogar durch die verschiedenen Entwicklungen medientechnischer Art perfektioniert und damit viel mchtiger geworden ist als das, was die ursprngliche Gebudeform zu leisten vermochte. Die Umwlzungen, die zu einer neuen Selbstkontrolle des Mensch gefhrt haben und die von Foucault beobachtet worden sind, haben sich weiter entwickelt und bilden heute eine wichtige kulturelle Grundlage oder gar Bedingung fr das Zusammenleben. Nichtsdestotrotz finden wir auch einen Effekt der Entfremdung von der Selbstkontrolle vor, der dazu fhrt, dass die Menschen sich nicht mehr ihre Selbstkontrolle bewut sind und die Kontrollinstanz extern vermuten und dadurch die Kontrolle gleichsam aufgeben. Wir sollten uns aber bewut machen, dass wir nicht willenlos dem medialen Panoptikum ausgeliefert sind und die Regeln fr das Zusammenleben noch selbst bestimmen knnen. Und auch wenn es ntig ist, diese Methoden anzuwenden um die Ordnung aufrechtzuerhalten so gilt es zu hinterfragen welche Art von Ordnung wir letztendlich vorfinden wollen. Letztendlich haben wir es mit einer potentiell viel mchtigeren Art von berwachung zu tun, als sie Orwell in seinem Roman beschrieben hat und als sie teilweise von gesellschaftlichen Gruppen angeprangert wird, denn es scheint keineswegs der 'berwachungsstaat' zu sein, der uns unter Kontrolle bringen will sondern viel mehr beobachten wir uns selbst und auch wir uns gegenseitig. Mobiltelefone knnen zwar auch benutzt werden um Verbrecher zu lokalisieren aber viel strker ist doch ihre Wirkung dadurch, dass jeder jeden ausfindig machen kann und darin besteht auch ihre hufigste Anwendung. Eltern kaufen ihren Kindern diese Gerte um sie jederzeit erreichen zu knnen; Chefs versorgen ihre Mitarbeiter, damit sie deren Arbeitsleistung erhhen oder besser lenken knnen. Firmen sichern sich gegen schlechte Zahlungsmoral ab, indem sie die Schufa befragen oder Schwarze Listen fhren. Kunden scheinen sich dieser Kontrolle gar nicht bewut zu sein, bedenkt man den ffentlichen Aufschrei, den die Angaben zur finanziellen Situation fr ALG II-Antrge auslsten. Autohndler oder Versandhuser knnen schon seit langem ganz hnliche Informationen abrufen. Diese neuen, privaten Formen der berwachung sind teilweise sogar dezentral organisiert und unzureichend gegen bswilligen Mibrauch gesichert. Die Kontrolle geht also letztendlich wie bei Bentham von Wchtern aus, die man nicht sehen kann aber jeder kann dabei heutzutage auch 'Wchter' sein. Die Macht, die das mediale Panoptikum seinen Wchtern verleiht, sollte durchaus selbst unter Kontrolle gestellt3. Neue Techniken zur berwachung und Kontrolle 12

sein.

Literaturverzeichnis1. Iskandar, Katharina; Hanfeld, Michael: "Willkommen in der Unterschicht", 2005, http://www.faz.net/s/Rub8A25A66CA9514B9892E0074EDE4E5AFA/Doc~EEDDEA9099258 45D49C132E154BBDDA87~ATpl~Ecommon~Scontent.html 2. Michel Foucault: "berwachen und Strafen - Die Geburt des Gefngnisses", Suhrkamp Verlag (Frankfurt am Main), 1975, ISBN: 3-518-38771-5 3. von Blow, Ulrike; Khn, Alexander: "Glotze aus!", aus: Stern (35/2005), 2005

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JHE 2006

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