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Das PROMPT-System
Therapeutische Interventionshierarchie
- Ein Systemansatz –(August 1994)
Deborah Hayden, M.A., CCC-SLP, S-LP (C)
The PROMPT InstituteSanta FE, New Mexico, USAToronto, Ontario, Kanada
126 Abschnitt 5
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
DAS PROMPT-SYSTEMTHERAPEUTISCHE INTERVENTIONSHIERARCHIE
- EIN SYSTEMANSATZ -
Das PROMPT-SYSTEM (Prompts for Restructering Oral Muscular Phonetic Targets) wurde in
dem richtungsweisenden Kapitel „The Prompt-System: Theoretical Framework and Application for
Developmental Apraxia of Speech" von Chumpelik (Hayden) im Jahr 1981 zuerst beschrieben. Das
System bedient sich taktiler Signale wie Druck, Position und zeitlicher Abstimmung, die auf wirksame
Weise die neuromuskuläre Innervation und Koordination für das Erlernen und die Integration von
sprechmotorischem Verhalten fördern und verbessern. Im ursprünglichen Kapitel werden die
Parameter für alle Vokale und Konsonanten skizziert und es wird kurz beschrieben, wie das Prompt-
System entweder als eine Gesamtvorlage oder teilweiser Input für die Entwicklung der Produktion
von Phonemen, Worten oder Satzteilen eingesetzt werden kann.
Im vorliegenden Kapitel werden die Interventionshierarchien und Strategien sowie die
zugrunde liegenden Prinzipien einer PROMPT-Intervention eingehender beschrieben. Darüber hinaus
wird das PROMPT zugrunde liegende System beschrieben. Informationen über die eigentlichen
Prompts können in dem ursprünglichen Artikel (Chumpelik, 1980) oder in nachfolgenden Artikeln
(Square-Storer, Hayden, 1989) nachgelesen werden.
Dieses Kapitel ist eine Einführung für den behandelnden Therapeuten, der mit Störungen der
sprechmotorischen Kontrolle und in Bezug auf Übergänge arbeitet, in die Ebenen und Interaktionen
des gesamten sprechmotorischen Systems des Kindes. Wenn alle Teile sowie das Ganze gleichzeitig
betrachtet werden können, erhält der behandelnde Therapeut wichtige Einsichten in die
Schwierigkeiten eines Kindes. Dies ermöglicht es dem behandelnden Therapeuten, die am besten
geeigneten Interventionen auf der am besten geeigneten Ebene einzuleiten. Die meisten
Sprachtherapeuten wurden nicht darin ausgebildet, die Interaktionen zwischen dem linguistischen
und sprechmotorischen Produktionsprozess zu erkennen. Zu häufig beginnen sie eine Therapie auf
einem zu hohen Niveau, ohne die erforderlichen Grundlagen zu schaffen. Dies führt oftmals zur
Frustration des Kindes und des behandelnden Therapeuten bei der Bewältigung von komplexen
sprechmotorischen Problemen.
Die in diesem Kapitel dargelegten Prinzipien können auch im Rahmen anderer
Behandlungssysteme eingesetzt werden. Mit den hier dargelegten wichtigen Prämissen werden
unsere neuesten Erkenntnisse in Bezug auf sprechmotorische Kontrollsysteme (Abbs, 1988, Weismer
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1988) mit praktischen Informationen und Ebenen kombiniert, die bei der Arbeit mit Kindern, die
unter Problemen der Sprechproduktion leiden, berücksichtigt werden sollten.
Kindern mit Problemen bei der Sprechproduktion (Phonologisch, Dysarthrie oder Apraxie
oder Kombinationen dieser Probleme) hilft das Verständnis des PROMPT-SYSTEMs und der
Prinzipien des PROMPT-SYSTEMs, sowie des therapeutischen Interventionsansatzes. Wenn wir zum
Beispiel davon ausgehen, dass sich phonologische Störungen aufgrund linguistischer Probleme
entwickelt haben, werden alle Phoneme letztendlich in motorische Bewegungen übersetzt. Aufgrund
einer phonologischen Störung kann ein Kind Sprache falsch produzieren. Es gewöhnt sich an die
falschen motorischen Muster und widerstrebt Änderungen. Eine motorische Intervention zur
Änderung des Produktionsmusters ist oftmals die effektivste Intervention. Sonstige kleinere
Schwierigkeiten bei der Sprechproduktion, oder sogenannte funktionale Artikulationsfehler wie zum
Beispiel /sch/, /ch/, /ts/,/s/, /l/, /R/ sind unter Umständen ebenfalls nur mit Schwierigkeiten abzustellen.
Während es scheint, dass diese Laute in isolierter Position „fast“ richtig produziert werden, kommt es
oftmals aufgrund eines ungeeigneten Muskelbias bei „Connected Speech“ zum Zusammenbruch der
Produktion auf der Wort- oder Satzgliedebene. Der Therapeut muss erkennen, wie der gesamte
sprachmotorische Mechanismus von Pre-Tuning, vorbereitender Haltungsunterstützung und
Übergänge zusammenwirkt, um die Produktion und damit die Erkennung der geeigneten Stufe(n) des
Sprechprozesses zu ändern, für die eine Intervention entwickelt werden muss.
In den folgenden Abschnitten werden die Grundprinzipien des PROMPT-SYSTEMS für den
behandelnden Therapeuten und das Kind kurz beschrieben. Alle Ebenen oder Stufen der
Interventionshierarchie werden dabei aufgeschlüsselt. Der behandelnde Therapeut kann jeden
Abschnitt getrennt oder das gesamte Kapitel lesen. Die Zusammenfassung am Ende dieses Kapitels
kann, wenn es für ein bestimmtes Kind genutzt wird, dem behandelnden Therapeuten helfen zu
entscheiden, wo mit der Intervention zu beginnen ist und welche Unterschritte dem Kind auf jeder
Ebene zur Verfügung stehen oder nicht.
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Therapeutische Interventionshierarchie
GRUNDSÄTZLICHE BEHANDLUNGSPRINZIPIEN
Die Grundprinzipien des PROMPT-SYSTEMS können in zwei Kategorien aufgeteilt werden:
(1) Prinzipien für das Verhalten des Therapeuten, (2) Grundprinzipien für das Verhalten des
Patienten. Beide Kategorien werden nachstehend erörtert.
Prinzipien für den Therapeuten
Begutachtung
Der behandelnde Therapeut muss das gesamte System des Kindes mit: Körpertonus,
Sprechatmung, Phonationsfähigkeiten und oral-motorische Kompetenz sowie die kognitive
linguistische Domäne beurteilen, bevor geeignete Ebenen und Integrationsstrategien festgelegt
werden können. Für die Bewertung ist ein umfassender interdisziplinärer Austausch
entscheidend für das Verstehen der sprechmotorischen und sprachlichen Prognose.
Erkenntnisse in Bezug auf die motorische Kontrolle
Der Therapeut muss verstehen, wie alle motorischen Variablen, wie zum Beispiel die
Bewegungsebenen und Bewegungsübergänge interagieren. Das Hinzufügen von Variablen
oder erhöhter Schwierigkeit der Interaktion kann zum Zusammenbruch der gesamten
Sprechsequenz führen.
Die Betonung liegt auf dem Erreichen von normaler Bewegung (symmetrisch auf beiden
Gesichtshälften) in Bezug auf Funktion und Erscheinungsbild.
Erkenntnisse in Bezug auf die Behandlungshierarchien
Alle Interventionsprogramme sollten mit kleinen Schritten und unter Betonung der Theorie
und Prinzipien der motorischen Kontrolle aufgebaut werden. Dabei muss möglichst schnell
der funktionale und interaktionale Gebrauch von Sprache einbezogen werden.
Auf niedrigeren Interventionsebenen empfiehlt es sich, die Einbeziehung von nur einer
Variablen/Änderung nach der anderen zu planen.
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Stabilisierung
Neue Variablen (Phoneme oder Änderungen, die das Hinzufügen neuer
Bewegungssequenzen oder -übergänge erfordern), sollten nur gefordert werden, wenn
vorherige Variablen stabilisiert wurden. Der Prompt-Therapeut darf jedoch dem Kind neue
oder unterschiedliche Muster der Sequenz durch „Mapping in“ ohne irgendwelche
Erwartungen an das Kind, die Produktion zu versuchen, vorstellen.
Normalisierte Muskelbewegung
Behandelnde Therapeuten müssen ständig das Zusammenspiel der Subsysteme analysieren
und untersuchen, mit welcher normalisierten Muskelbewegung das Kind am produktivsten
Sprache produzieren kann.
Motorische Kompetenzen als eine Komponente der Kommunikation
Wenn der behandelnde Therapeut Aktivitäten gemäß der therapeutischen PROMPT-
Interventionshierarchien plant, muss er immer bedenken, dass bei seiner Arbeit mit einem
Kind Interventionsverfahren sowie Verhaltens-, kognitive, soziale und neuromotorische
Domänen zu berücksichtigen sind. Dem Kommunikationsprozess und der Interaktion
zwischen Kind und behandelndem Therapeuten ist jederzeit besondere Aufmerksamkeit zu
schenken.
Bei Kindern mit minimaler verbaler oder falscher Zielproduktion sollten Phoneme sowie
wichtige Funktionsworte und -phrasen gelehrt (programmiert) werden. Man sollte sich auf die
Kontrolle auf den niedrigsten Ebenen, d.h. Kontrolle von Phonemen und Übergänge unter
Einhaltung der Präzision, konzentrieren. Gepromptete Funktionsworte oder -phrasen, auf die
das Kind nicht zu reagieren braucht, sollten dazu verwendet werden, um dem Kind zu helfen,
Zielphoneme in das dynamische größere Ganze einzuordnen. Bei diesem Verfahren wird
sowohl in aufsteigender als auch absteigender Hierarchie vorgegangen. Am Ende werden
dem Kind „Einheiten-Maps“ zur Verfügung gestellt, zu denen auch Signale für die zeitliche
Abstimmung und Übergänge zählen.
Spontane Kontrolle
| • Phonem| • Wort| • Satz|
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Prinzipien für den Patienten
Intervention basierend auf motorischen Prinzipien
Der Erwerb von Artikulation mithilfe normaler Entwicklungshierarchien oder phonologischer
Trends muss nicht unbedingt eingehalten werden. In den meisten Fällen wird selbst bei
Entwicklungsapraxie mit anscheinend intakten Grundfunktionen die Entwicklung der
motorischen Kontrolle vorrangig sein.
Neuromuskuläre Intervention und Systementwicklung
Mit der Stimulation des motorischen Systems des Kindes während der PROMPT- Behandlung
und dem Erreichen der Kontrolle auf den unteren Ebenen kann ein besseres Zusammenspiel
der Muskeln auf höheren Ebenen beobachtet werden. Das System des Kindes arbeitet mehr,
während der Therapeut weniger arbeitet.
Individuelle Unterschiede
Je nach Gesichtsstruktur, Muskelgröße und -stärke, neurologischer Interaktion und zuvor
erlernten Mustern wird jedes Kind etwas andere Muskelbewegungen einsetzen, um
Zielpositionen zu erreichen.
Kontrolle, Flexibilität und Präzision
Der unabhängige, flexible und koordinierte Einsatz aller Artikulatoren, d.h. Kiefer von der
Zunge, Lippen von dem Kiefer, unabhängige Lippenkontrolle usw., ist von größter Wichtigkeit
für eine effiziente Sprechproduktion. Dies ist das Endziel für alle Patienten unter
Berücksichtigung der Ebene ihrer neuromuskulären Fähigkeiten.
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
DAS PROMPTSYSTEM
INTERVENTIONSHIERARCHIE
Im folgenden Abschnitt werden die
sieben Stufen des Interventionsprozesses
beschrieben. Jede Stufe hängt von der vorherigen
Rufe ab und steht in einer Wechselbeziehung zu
allen darüber liegenden Stufen. Jede Stufe wird
unter Beachtung des gesamten Systems
berücksichtigt. Allerdings wird Wichtigkeit des
Erwerbs von spontaner motorische Kontrolle
jedes Subsystems betont. Der Therapeut sollte
im Behandlungsprotokoll die Kontrollebene des
Kindes auf jeder Stufe beachten, um
festzustellen, wo der Fokus der Intervention
liegen sollte. Aufgrund der Wechselbeziehungen
im System wird sich der behandelnde Therapeut
nicht nur auf die Intervention auf dieser Ebene
konzentrieren. Vielmehr wird er die Intervention
an dem schwächsten Glied orientieren und
versuchen, alle nachfolgenden Ebenen in den
Prozess zu integrieren. Es folgt eine kurze Beschreibung der Stufen.
STUFE I Allgemeiner Körpertonus zur Kontrolle von Bewegung
STUFE II Unterstützende Sprechfunktion: Atmung und Phonation und Stimme
STUFE III Von Einzelbewegung zur kombinierten Bewegung auf einer Ebene: Stimme und Kiefer
STUFE IV Hinzufügen zusätzlicher Bewegungsebenen
a.Stimme und Kiefer und Kontraktion der Gesichtsmuskeln
b.Stimme und Kiefer und Kontraktion der Gesichtsmuskeln und Rundung
STUFE V Sequenzielle Kontrolle der Bewegung der Gesichtsmuskeln und des MundesStimme und Kiefer und Kontraktion der Gesichtsmuskeln und Rundung und Kontrolle der Zunge
STUFE VI Sequenzielle Bewegung auf mehreren EbenenStimme und Kiefer und Kontraktion der Gesichtsmuskeln und Rundung und Kontrolle der Zunge und zeitliche Abstimmung
STUFE VIIIntonation, Betonung, Verbindung und Sprechgeschwindigkeit in sequenzierten motorischen EbenenStimme und Kiefer und Kontraktion der Gesichtsmuskeln und Rundung und Kontrolle der Zunge und zeitliche Abstimmung und Prosodie
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DAS PROMPTSYSTEM
STUFEN DES INTERVENTIONSPROZESSES
Die zugrundeliegenden Grundsätze des PROMPT-Systems werden in einem Systemansatz zu
Organisation und Zusammenspiel der neurologisch-anatomischen Subsysteme, die Sprechen
unterstützen, dargelegt. Das Verständnis der Funktion jedes Systems und seiner Beziehung zu
anderen Systemen sowie das Zusammenspiel zwischen den Systemen ist bei der Bewertung und bei
der Ebene, auf der Intervention erfolgreich ist, wichtig. Wenn der behandelnde Therapeut nicht
bestimmen kann, auf welcher Ebene die unterstützenden Subsysteme des Kindes entweder nicht
funktionieren, nur teilweise funktionieren, schwach sind oder übermäßig funktionieren, kann er nicht
bestimmen, wie oder in welchem Umfang die Intervention erfolgen muss.
Das Sprechsystem wird von zahlreichen unterschiedlichen neurophysiologischen
Interaktionen unterstützt. Obwohl diese Interaktionen nicht vollständig linear verlaufen, sind
bestimmte Grundlagen erforderlich, um die komplexen, flexiblen Bewegungssequenzen beim
Sprechen aufrechtzuerhalten. Das Vorhandensein dieser Grundlagen bedeutet, dass jede
nachfolgende Stufe von der nächsten abhängt, um ihre Rolle in dem System zu unterstützen. Es
bedeutet auch, dass die Fähigkeit zum Einleiten spontaner Kontrolle auf jeder Ebene für die
Unabhängigkeit späterer Stufen einer integrierten, koordinierten Kontrolle unerlässlich ist.
Eine systematische Untersuchung ist erforderlich, um festzustellen, an welcher Stelle das
sprechmotorische System aus den Fugen gerät oder welche Teile die Auslösung und Funktion der
anderen Teile hemmt. Bei dieser Untersuchung müssen Strukturen (Skelettsysteme), Muskel- und
neurologische Systeme sowie die Interaktion zwischen diesen Systemen berücksichtigt werden. Wenn
der Therapeut diese Systeme und ihre Interaktionen versteht, kann er anfangen zu entscheiden, ob
die Systeme geübt, gestärkt oder ausgelöst werden können oder ob ein System ein anderes,
schwächeres System kompensieren muss. Dann wird der Therapeut auch erkennen, dass die
Kompensation eines Systems immer die Kapazität des gesamten Systems beschränken wird, obwohl
das Kind lernt zu sprechen, bedeutet es immer eine Reduktion der Flexibilität, Koordination oder
Unterstützung der Systeme auf einer höheren Ebene.
In dem folgenden Abschnitt wird die Interventionshierarchie vorgestellt. Der Therapeut muss
diese Subsysteme sowie ihr unterstützendes und notwendiges Zusammenspiel mit anderen
Subsystemen erkennen. Das Skelettsystem sowie grob-neurologische Systeme werden hier nicht
weiter erwähnt, obwohl erwartet wird, dass jeder Therapeut die craniofaciale Struktur, Symmetrie, die
Bissrelation des Unterkiefers sowie die Beziehung des Muskelsystems zu diesen Strukturen und
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Relationen (d.h. die Relation der Zungenposition zur dentalen Okklusion und Funktion) gründlich
untersucht hat. In jedem Abschnitt wird beschrieben, in welcher Beziehung jedes System zu den
anderen Systemen steht, welche Bereiche zu untersuchen sind und auf welcher Ebene interveniert
werden sollte.
Dem Leser wird nahe gelegt, jedes System hinsichtlich seiner Integration mit dem gesamten
Sprechsystem zu betrachten und sein Intervention so zu strukturieren, dass das Kind mit progressiven
und trotzdem funktionalen Schritten durch den Kommunikationsprozess geführt wird.
Stufe I - Allgemeiner Körpertonus für Bewegungsübergänge
Die Fähigkeit des Körpers, sich gegen
die Schwerkraft zu halten und geschmeidige
und koordinierte Bewegungen zusammen mit
anderen Muskelgruppen durchzuführen, hängt
vom Tonus jeder einzelnen Muskelgruppe ab.
Aus physiologischer Sicht wird dieser Bereich
von den Basalganglien sowie den retikulären
Aktivierungssystemen und der unteren HirnR
stammregion gesteuert (Love, 1992). Zu viel
Tonus (Hypertonus) oder zu wenig Tonus
(Hypotonus) beeinträchtigen die Funktion der
Sprechunterstützungssysteme. Die Grundlage
für alle höheren Systeme wird geformt durch die
Tonusqualität des neurologischen Systems, da
es die Muskeln innerviert. Daher muss dieses
System beurteilt werden. Bei einem Kind mit
Dysartrie lassen sich zu einem gewissen Grad
Tonusstörungen erkennen. Bei einem Kind mit „rein“ verbaler Entwicklungsdyspraxie (Developmental
Apraxia of Speech) oder einer phonologischen Störung sollten keine Tonusprobleme vorliegen.
Häufig treten entwicklungsbedingte Sprechschwierigkeiten (mit Beeinträchtigung des
Gesichtsbereichs) und Apraxie gemeinsam auf und Komponenten beider Probleme sind erkennbar.
Daher sollte der Tonus jederzeit bei der Beurteilung und Intervention berücksichtigt werden.
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Vor dem Übergang zu höheren Stufen der therapeutischen Intervention muss der
behandelnde Therapeut zunächst die folgenden Fragen beantworten:
Ist der Körpertonus normal oder liegen Hinweise auf Hypertonus oder Hypotonus in
folgenden Bereichen vor:
1)der gesamte Körper
2)eines Teils des Körpers (Hemiparese usw.)
3)Thoraxraum und Oberkörper
4)Gesichtsstrukturen
5)Zunge
Je nach Ebene und Schweregrad der Tonizität sollten die folgenden Richtlinien in Betracht gezogen
werden:
1. Bei auffälliger Körpertonusabweichung (Hypertonus oder Hypotonus) des gesamten
Körpers wird keine spezifische Intervention, zum Beispiel die ausschließliche
Behandlung des Gesichtsbereichs, zu Änderungen führen. Positionierung, aktive
Bewegung und/oder lösende Bewegungen sind erforderlich, um Bewegungsstörungen
(Tonus) umzustrukturieren. Es empfiehlt sich, dass der Sprachtherapeut mit anderen
Therapeuten zusammenarbeitet, die in der Behandlung des gesamten
Bewegungsapparates geschult sind, da das Prompt-System physiotherapeutische
Intervention weder ersetzen noch duplizieren soll.
2. Bei auffälligem Tonus oder Tension eines Teils des Körpers (zum Beispiel Hemiparese)
treten ungleiche Muskelkontraktionen auf den beiden Gesichtshälften auf. Oftmals
werden andere Gesichtsmuskeln eingesetzt, um den Kontrollverlust bestimmter
Muskeln zu kompensieren. Der Therapeut muss diese auffälligen Muskelbewegungen
analysieren und erkennen, wenn „zu viel Bewegung“ oder „zu wenig Bewegung“ zu
Problemen bei der schnellen Sprechproduktion oder bei Bewegungsübergängen führt.
3. Der behandelnde Therapeut muss falsche Atmungsmuster oder Muskelbewegungen
erkennen, die einer effektiven Sprechatmung (breath support) im Weg stehen. Wenn
der allgemeine Tonus zu schwach (Hypotonus) oder zu stark (Hypertonus) ist,
produzieren der Thoraxraum und die Muskeln Zwerchfellatmung mit flacher, schneller
Atmung. Falls ein derartiger ernstzunehmender Zustand vorliegt und die
Sprechatmung auf diese Weise beschränkt ist, sollten unter Umständen dem Torso und
Gleichgewicht in der Sitzhaltung ebenfalls Aufmerksamkeit geschenkt werden. In
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beiden Bereichen sollte der Sprech-/Sprachtherapeut mit einem Physiotherapeuten
oder Ergotherapeuten zusammenarbeiten, um eine gute Torsohaltung zur
Verbesserung der Sprechatmung, des Gleichgewichts und der Sitzhaltung zu üben.
4. Eine zu intensive Muskelspannung (Hypertonus) im Gesichtsbereich erschwert
Übergänge und zeitliche Abstimmung für die Spreizung und Rundung der
Gesichtsmuskeln. Ein schwerer Hypertonus wirkt sich oftmals auf die Zungenspitze
aus, die heruntergezogen wird und im Dorsalbereich gespreizt ist. Zur Reduzierung
des Tonus eignet sich langsamer, stabilisierender und beständiger Druck. Unter
Umständen müssen sich Muskeln auf einer Reflexebene entspannen oder lösen und
der Streckreflex muss unterbunden werden. In diesen Fällen muss der Sprachtherapeut
bestimmte Muskelgruppen erkennen und wissen, wie diese zu identifizieren,
stimulieren oder entspannen sind. Im Idealfall erfolgen Identifikation und Behandlung
in Zusammenarbeit mit einem geschulten Physiotherapeuten. Ein zu geringer
Muskeltonus (Hypotonus) erschwert oftmals gespannte Kontraktionen (Spreizung) der
Gesichtsmuskeln und beeinträchtigt die Zungenkontrolle. Die Zunge erscheint groß
und weich und ragt oftmals über die vorderen Schneidezähne hinaus und um den
Zahnkamm herum. Die Kontrolle der Zungenspitze beim Anheben ist oftmals
beeinträchtigt, wobei sich die Zunge zusammen mit dem Kiefer bewegt. Die
Kontraktion des hinteren Zungenbereichs (dorsal) ist oftmals minimal. Die Progression
der Innervation der Zunge muss beginnend mit der Zungenspitze (Apex), dem
Zungenblatt (Blade) zum Zungenrücken (Dorsum) berücksichtigt werden. Zur
Erhöhung des Tonus eines bestimmten Muskels oder einer Muskelgruppe sind schnelle
Bewegungen wie zum Beispiel Beklopfen oder Bürsten erforderlich. Insgesamt kann
der Körpertonus mit umfassender Muskelbewegung erhöht werden, bei der die
wichtigsten Hauptmuskelgruppen eingesetzt werden (wie zum Beispiel Laufen oder
Hüpfen).
5. Die Zunge muss getrennt vom Kiefer funktionieren können, um schnelle isolierte
Bewegungen für schnelles Sprechen durchführen zu können. Die Trennung zwischen
Zunge und Kiefer sollte bei Kindern normalerweise im Alter von 3-5 Jahren eintreten.
Stufe II - Unterstützende Sprechfunktionen, Phonation und Atmung
Für andauerndes Sprechen muss ein Kind in der Lage sein, Atemstütze aufrechtzuerhalten
und Kontrolle für die Sprechatmung zu entwickeln. Wie im vorherigen Abschnitt erklärt, führen
Tonusstörungen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der unterstützenden Funktion der Muskeln für
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die Sprechatmung. Zudem muss das Kind in der
Lage sein, subglottischen Druck und
Ventilfunktion zu kontrollieren (Warren, 1989).
Die Luftstromlenkung findet auf der Ebene der
Glottis, des Gaumens, der Zunge und Lippen
statt und wirkt sich auf die gesamte
Lautproduktion aus. Ohne Kontrolle dieser
Funktionen kann das Kind den Luftdruck nicht
aufrechterhalten oder hat zu viel oder zu wenig
Widerstand der Glottis. Daher wird das Kind
Schwierigkeiten haben, stimmhafte Phoneme,
Plosive, Frikative, Affrikative und Zischlaute zu
produzieren und seine Sprechatmung über
längere Zeiträume für die Produktion von
Worten oder Phrasen zu erhalten. Zudem ist es
wichtig, dass das Kind eine kontrollierte
Phonation einleiten und abbrechen kann. Diese
Kontrolle ist die Grundlage für die Produktion von Phonemen und für das spätere Wechselspiel bei
komplexen Produktionen, die komplexe Luftstromlenkung und Druck erfordern (Lindblom und
Letterman, 1986). Unter Berücksichtigung dieser Punkte muss der behandelnde Therapeut die
Fähigkeit des Kindes zur Atmungskontrolle und Phonation beurteilen.
Auf Folgendes ist zu achten:
1.Das Kind kann eine angemessene Sprechatmung für das Sprechen produzieren, wenn
folgendes vorliegt:
eine Kombination von abdominaler und costaler Ausdehnung
kein Hinweis auf klavikuläre Atmung oder flache abdominale Atmung
die Fähigkeit zum schnellen Einatmen und langsamen Ausatmen (ohne Phonation ist dies
für die meisten Kinder schwierig). Der behandelnde Therapeut sollte versuchen, die
Zulänglichkeit der Sprechatmung durch Beobachtung der Atmungsmuster im
Ruhezustand und durch eine Demonstration der Phonation, am besten beim Spielen, zu
beurteilen.
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die Fähigkeit des Kindes, auf Anweisung einen offenen Vokal wie zum Beispiel /:/,ɑ
/:/, /:/ mit beständiger Start-/Stoppproduktion zu produzieren. Bis zum Erreichen derɑ ɑ
Kontrolle der Phonation sollten keine weiteren Schritte unternommen werden. Die Dauer
der Produktion braucht 2 Sekunden nicht zu überschreiten. Allerdings muss die
Produktion kontrolliert werden können. Für Kinder ist diese Kontrolle oftmals schwierig
und sie muss erlernt werden. Der Therapeut kann im Rahmen normaler
Interventionsverfahren Bauklötze einsetzen, um dem Kind das Konzept eines Lautes
verständlich zu machen und dann diese Bauklötze für nachfolgende Laute hinzufügen.
Ebene III - Von Einzelbewegung zu kombinierter Bewegung auf einer einzigen variablen Ebene
Bei sich normal entwickelnden Kindern
ist der Kiefer in einem Alter rund 6 Monaten
einer der ersten Bereiche, der ausschließlich für
die Produktion von Lauten eingesetzt wird
(Newman, Craighead / Secord, 1985)]. Der
Kiefer führt Bewegungen auf einer vertikalen
Ebene durch und erreicht dabei vier wichtige
Ziele: 1) die Mundöffnung kann entweder
geöffnet bleiben, um Vokale ohne viel
Widerstand zu produzieren, 2) oder die
Mundöffnung kann völlig geschlossen werden,
um den Luftstrom nach hinten und nach oben
zu lenken, um nasale Laute zu produzieren, 3)
die Lippen können sich für frühe bilabiale
Produktionen nähern, 4) der vordere Teil der
Zunge wird im geschlossenen Zustand
angehoben, während der hintere Teil der Zunge
im geöffneten Zustand angehoben sind. Das hilft das Kind bei früheren Annäherungen an
Produktionen der beiden Zungenlaute (Blatt– Spitze) /t/, /d/, /n/ und /k/, /g/, /ŋ/, /R/ . Die
unabhängigen Funktionen der Lippenkontrolle und Zungenkontrolle treten später in Erscheinung. Auf
Ebene III ist es wichtig, die Funktion des Kiefers in Kombination mit Sprechatmung und glottischer
Ventilfunktion zu berücksichtigen. Als Grundlage für alle anderen Phonemeeigenschaften muss das
Kind in der Lage sein, Kontraste beim Stimmeinsatz und -absatz mit unterschiedlichen Graden der
Mundöffnung zu produzieren.
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A. Kiefer + Stimme
Diese Stufe beginnt mit der Betrachtung des maximalen Kontrastes innerhalb einer Variablen
(d.h. auf räumlicher Ebene). Bevor fortgefahren wird, muss bewertet werden, ob
Bewegungsübergänge auf der gleichen räumlichen Ebene eingehalten werden können.
Zu diesem Zeitpunkt sollte das Kind in der Lage sein, einen offenen Vokal kontrolliert zu
produzieren.
An dieser Stelle würden wir Folgendes überprüfen:
1.m a (Zeitvariable sollte von einer Sekunde
2.b a auf schnelle Übergänge gekürzt werden)
3.p a
Der Stimmeinsatz ist bei den ersten beiden Kombinationen nachhaltig. Die Lippen brauchen
für die beiden Konsonanten nur minimal versiegelt werden. Der Laut /m/ muss länger zeitlich
abgestimmt werden, um nasalisiert zu klingen.
B. Kontrastkontrolle beim Stimmeinsatz/-absatz
Wenn das Kind unter einer schweren physischen Behinderung oder ernsthafter Hypotonie
leidet, ist die Druckversiegelung für den Laut /p/ unter Umständen unzureichend. Zudem kann der
Stimmabsatz für das Kind schwierig sein. Wenn das Kind nicht zwischen Stimmhaftigkeit und
Stimmlosigkeit unterscheiden kann, ist dies ein guter Ansatzpunkt. Nach erfolgreichen
Stimmeinsatzproduktionen muss der Patient lernen, den Stimmabsatz zu kontrollieren.
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Ebene IV - Hinzufügen einer horizontalen Bewegungsebene
Dies ist eine kritische Stufe, die von
herkömmlichen Methoden fast immer
übersehen wird. Auf dieser Stufe beschäftigen
wir uns mit der Fähigkeit des Kindes,
problemlos und kontrolliert Gesichtsmuskeln zu
kontrahieren wie zum Beispiel bei /i:/ und zu
runden (wie zum Beispiel bei /u:/). Das
Kontrahieren von Gesichtsmuskeln, Rundung
und die Position der Zungenkontraktion
scheinen miteinander verbunden zu sein. Die
Funktion von Spreizung und Rundung beim
Sprechen hilft anscheinend der Zunge bei der
frühen Sprechproduktion. Sie beeinflussen
Position und den Umfang der Kontraktion beim
Formen von frühen Vokalen, zum Beispiel
/i:/, /o:/, /u:/ und später beim Bilden von
Konsonanten /s/, //, /r/ usw.). Dieses Phänomenʃ
scheint mit anderen Dialekten und Sprachen übereinzustimmen. Kleine Kinder erwerben in der Regel
zuerst die gespreizte Position der horizontalen Ebene, wobei dies bis zu einem gewissen Grad vom
jeweiligen Kind abhängt. Der wichtigste Punkt dabei ist, dass alle unteren Ebenen aufrechterhalten
bleiben, während eine weitere Bewegungsebene hinzugefügt wird, und dass die Bewegungen
kontrolliert und problemlos ohne Asymmetrie oder ruckartige Bewegungen erfolgen. Wenn das Kind
Bewegungen auf dieser Ebene gut kontrollieren kann, kann es mit der Produktion von CV- und CVC-
Kombinationen anfangen. Dies entspricht den frühen Fähigkeiten bei der Produktion.
Oftmals haben Kinder mit geringfügiger Dysarthrie oder schwerwiegenden SprechR
verzögerungsproblemen Schwierigkeiten mit der Kontrolle des Kiefers und der Gesichtsbewegungen.
Kleine Kinder im Alter von 3-4 Jahren mit „ausschließlich“ phonologischen Störungen können im
Allgemeinen auf dieser Ebene gut sprechen. Allerdings können an dieser Stelle Störungen aufgrund
von entwicklungsbedingter Apraxie auftreten, da hier der Übergang zwischen den Bewegungsebenen
beginnt.
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
A. Kiefer + Stimme + faciale Kontraktion
Wenn die obigen Aufgaben gemeistert wurden, kann der behandelnde Therapeut eine zweite
Bewegungsebene hinzufügen. Diese zusätzliche Bewegung belastet das System und es
werden andere Muskeln, die bei der Kontraktion der Lippen und des Gesichts eingesetzt
werden, benutzt. Die Kontraktion dieser Muskeln wirkt sich zudem im Allgemeinen auf die
Zungenspannung des anterioren Bereichs der Zunge aus. Die Kontraktion von
Gesichtsmuskeln (Spreizung den Lippenbereich) führt oftmals zur Verspannung des vorderen
Zungenbereichs. Jetzt sollte der behandelnde Therapeut Folgendes versuchen:
1./m/ /i:/2./b/ /i:/3./p/ /i:/
Für Kinder mit mehr Gesichtstonus im Lippen-/Wangenbereich sollten diese Kombinationen
relativ einfach sein. Sehr wahrscheinlich werden Schwierigkeiten auftreten, wenn Übergänge
zwischen den beiden Bewegungsebenen eingeführt werden, wie zum Beispiel:
/m/ - /a/ /m/ - /i:/
/b/ - /a/ /b/ - /i:/
/p/ - /a/ /p/ - /i:/
Wenn diese Serie gemeistert wird, können Vokale und Konsonanten in verschiedenen
Kombinationen und für Koartikulation neu geordnet werden. Zunächst sollte versucht werden,
alle Kombinationen präzise durchzuführen, bevor fortgefahren wird. Zum Beispiel:
/i:/ - /a/
/m/ - /a/
/a/ - /p/
/i:/ - /p/
/a/ - /m/
/m/ - /i:/, usw.
Abschnitt 5 141
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
• Auf dieser Stufe ist es wichtig, Folgendes zu berücksichtigen:
• Die Rundung und Spannung der Gesichtsmuskeln muss beurteilt werden, um festzustellen,
wie einfach oder schwierig schnelle Übergänge bzw. gespreizte oder gespitzte Bewegung
erfolgen.
• Bei Kindern mit Entwicklungsstörungen und/oder neurologischen Problemen sollte versucht
werden, frühe motorische Sequenzen zu kontrollieren, bevor fortgefahren wird. Allerdings ist
es wichtig, dass entweder Annäherungen an richtige Worte oder kurze Worte, in denen
diese Laute kombiniert werden, gebildet und genutzt werden, sobald brauchbare
Lautsequenzen gebildet werden können. Jederzeit sollte versucht werden, den gesamten
Prozess so pragmatisch und kommunikativ wie möglich zu gestalten. Allerdings lässt sich
ständige Wiederholung nicht vermeiden, um motorische Kompetenzen zu üben, die
während einiger Phasen des Interventionsprozesses notwendig sind.
B. Kiefer + Stimme + faciale Kontraktion + Rundung
Wenn Spitzung oder Rundung (Kontraktion) des Musculus orbicularis oris und dazugehöriger
Gesichtsmuskeln problemlos produziert werden kann, kann mit den folgenden Sequenzen
eine Programmierung durchgeführt werden:
(a) /:/ - /:/ ɑ ɑ
/:/ - /u:/ɑ
/:/ - /o:/ɑ
/o:/ Erfordert mehr Spannung und Kontraktion der Oberlippe als /u:/ und Position des
Kiefers ist niedriger für /o:/ als für /u:/.
(b) /o:/ - /u:/
/u:/ - /i:/
/o:/ - /i:/
/i:/ - /u:/
/i:/ - /o:/
Diese Vokalkombinationen (wenn das Kind sie beherrscht) sollten dann in bereits vorhandene
Konsonantensequenzen eingefügt werden. Die Kontrolle des Stimmeinsatzes muss mit der
Sequenzkontrolle Schritt halten, d.h. Vokalproduktion bzw. 3 oder mehr Vokale sollten jetzt präzise
produziert werden können, während frühe CVC- Kombinationen ausprobiert werden.
142 Abschnitt 5
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Jetzt können zum Beispiel die folgenden möglichen Kombinationen geübt werden:
/m/ /:/, /a/, /i:/, /e:/ /o:/, /u:/ɑ /m/
/b/ /b/ (je nach Dialekt)
/p/ /p/
Zum Beispiel „bum!“, „piep“ „Beep, “mam“ „bubu“ (schlafen gehen), bubbubbubb
(Treckergeräusch), „ba“ (eklig) usw.
Abschnitt 5 143
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Ebene V - Sequenzielle Kontrolle der Gesichts- und Mundbewegung
Am Anfang der Intervention auf dieser
Stufe müssen die Kontrolle der Phonation, der
Umfang der Kieferbewegung sowie die
Kontraktion der Gesichtsmuskeln beim Spreizen
und Runden beherrscht werden und spontan
kontrolliert werden können. Wie bereits
erwähnt, wirken alle diese Elemente zusammen
und bilden die Grundlage für die Unterstützung
von Sprechen, Kontraste beim Stimmeinsatz
sowie flexible und unabhängige Bewegung der
Artikulatoren, die für komplexes Sprechen
erforderlich sind. Auf dieser Stufe wird Zunge
endlich als ein unabhängiger und flexibler
Artikulator eingesetzt. Dies bedeutet, dass jetzt
die Zunge unabhängig vom Kiefer eingesetzt
werden kann und dass mit den verschiedenen
Muskelgruppen der Zunge immer komplexere
Bewegungen durchgeführt werden können.
Diese Trennung und die mannigfaltige, flexible Kontrolle geschehen nicht auf einmal und sind ein
langsamer Prozess. Bei sich normal entwickelnden Kindern setzt diese Trennung sowie die komplexe,
integrierte Koordination im Alter von ca. neun Monaten ein. Normalerweise sind sie nach Erreichen
des vierten Lebensjahres abgeschlossen.
Bei Kindern, die Probleme mit der sprechmotorischen Produktion haben, zieht sich diese
Phase in der Regel hinaus. Der Therapeut muss sorgfältig beurteilen, welchen Bereich der Zunge das
Kind kontrollieren kann. Zum Beispiel können einige Kinder den Zungenblattbereich entspannen,
während sich die Spitze nicht entspannen lässt. Bei anderen Kindern ist die Spitze aber nicht der
rückseitig gelegene Bereich entspannt. Manche können das Blatt und die Spitze im gewissen Umfang
einsetzen, haben jedoch nur beschränkte Kontrolle über den mittleren bis rückseitig gelegenen
Bereich. Mit diesem Wissen kann der Therapeut Entscheidungen über den Interventionsfortschritt
treffen und er kann entscheiden, wie die Integration verschiedener Muskelgruppen erleichtert werden
kann.
144 Abschnitt 5
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Kiefer + Stimme + faciale Kontraktion + Rundung + Zungenkontrolle
Wie bereits erwähnt kann sich diese Behandlungsstufe sehr lange hinziehen. Beim
herkömmlichen Ansatz ist dies die Stufe, auf der die meisten behandelnden Therapeuten die
Behandlung aufnehmen. Jetzt kann man wahrscheinlich nachvollziehen, warum dies ein Fehler ist.
Jede zusätzlich dem System hinzugefügte räumliche und motorische Variable führt zu zusätzlichem
Stress. Wenn Probleme mit dem Muskeltonus vorliegen, werden sie jetzt noch offensichtlicher. Der
Übergangszeitraum wird entweder zu schnell und klein oder zu langsam und gross. Das Kind versagt
bei der Sprechatmung und Phonation, wenn mehr verlangt wird, während es bei zuvor isolierten
korrekten Produktionen die Kontrolle verliert. Es ist nicht immer möglich oder realistisch für den
Therapeuten, vom Kind zu erwarten, vor der Arbeit auf einer nächsten Stufe jede zuvor beschriebene
Stufe völlig unter Kontrolle zu haben. Allerdings darf der Therapeut keine der beteiligten Variablen
übersehen. Er muss jederzeit normale Bewegungssequenzen und symmetrische Bewegungen
anstreben.
B. Auf dieser Stufe wird Zungenkontrolle und differenzierte Bewegung eingeführt. In den
meisten Fällen sollte dies mit der Kontrolle der Zungenspitze/des Zungenblatts beginnen und
zur Kontraktion des rückseitig gelegenen Bereichs führen. Allerdings gibt es wie immer
Ausnahmen. Bei Kindern mit verstärktem Gesichtstonus können Bewegungen des hinteren
Bereichs der Zunge zugänglicher sein und sich in einer gespreizten Position befinden. Der
Therapeut muss jederzeit die Situation so gut wie möglich beurteilen und die funktionale
Muskelbewegung des Kindes berücksichtigen, um produktives Sprechen zu entwickeln.
Unter Berücksichtigung der obigen Ausnahme ist im Allgemeinen die folgende Einführung von
Phonemen akzeptabel:
/t/║/d/║/n/
/f/, /v/ ║ mittlere/rückwärtige Vokale Diphtonge
/ç/, // ʃ /s/
/z/ // ʒ
║║║║║
/k/, /g/, /x/, /ŋ/
/l/, /R/
//, /ɪ ɛ/, /ɛ:/ /y:/, /ø:/, /Y/
/I/, /I/, /iɑ ɔ ɛ/
Abschnitt 5 145
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Zu berücksichtigende Punkte:
(a)Jede Kombination aus Konsonanten/Vokalen sollte beim Üben höchstens zwei bis dreimal
nacheinander präsentiert werden. Wenigstens eine Kombination sollte beherrscht werden,
bevor eine neue eingeführt wird.
(b)Mit dem PROMPT-System können Affrikative und Frikative normalerweise problemlos
realisiert werden. Diese können daher früher als in anderen Systemen eingeführt werden.
Phoneme, die nicht häufig vorkommen und nur wenig zur Verständlichkeit der Sprache
beitragen, sollten zuletzt gelehrt werden, es sei denn das Kind kann sie problemlos
produzieren oder möchte sie unbedingt erlernen.
(c)Zungenspannung ist für alle Konsonanten und Vokale wichtig. Allerdings kann sie mit Hilfe
von Prompts des Musculus mylohyoideus eingeführt werden, die die Spannung der
ausgewählten Muskelgruppen erhöhen. Wie bei allen Prompts sollte man vom Kind am
Anfang nicht erwarten, diese Spannung aufrechterhalten zu können. Wenn das System des
Kindes stimuliert wird und die niedrigeren Ebenen beherrscht werden, wird eine vermehrte
Muskelinnervation ersichtlich werden. Das System übernimmt mehr Arbeit, während der
Therapeut weniger arbeitet.
Ebene VI - Sequenzierte Bewegung auf mehreren Ebenen.
Kiefer + Stimme + faciale Kontraktion + Rundung + Zungenkontrolle + Zeitliche Abstimmung
Auf dieser Stufe schenkt der Therapeut
der zeitlichen Abstimmung und dem Übergang
zwischen allen vorgenannten motorischen
Aspekten der Sprechproduktion vermehrt
Aufmerksamkeit. Dies bezieht sich nicht nur auf
die präzise Produktion aller Phoneme sondern
auch auf die präzise zeitliche Abstimmung
zwischen und innerhalb von Phonemen. Auf
dieser Stufe beschäftigt sich der Therapeut mit
der Produktion von Worten oder kurzen
Phrasen.
Allerdings muss man verstehen, wie
diese früheren Komponenten zusammenwirken,
da man weiß, dass sich die zeitliche AbR
stimmung auf die effektive Produktion von
146 Abschnitt 5
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Phonemen auswirkt und daher viel früher in der Behandlung beachtet werden muss. Aus diesem
Grund kehren wir in diesem Abschnitt zu den drei früheren Komponenten der motorischen Kontrolle
zurück und arbeiten uns dann weiter vor.
In der folgenden Grafik werden die Interaktionen und die Entwicklung der Hierarchie der zeitlichen
Abstimmung gezeigt:
Zeitliche Abstimmung Koartikulation Produktion
Segmentale Produktion
Beginn des Stimmeinsatzes
A. Beginn des Stimmeinsatzes und Fehler beim Stimmeinsatz
Auf Ebene II erörterten wir, wie wichtig es für das Kind ist, den Stimmeinsatz zu beherrschen
und deren Elemente zu erkennen. Wir wiesen darauf hin, dass Kinder in der Lage sein sollten,
einen offenen Vokal mit beständiger Start- oder Stoppproduktion auf Anweisung zu
produzieren. (Oller, 1976)
Gründe für diese Anforderung:
1.Ermöglichen von koordinierter Phonation mit Sprechatmung
2.Wo es möglich ist, Ausgleich und Unterstützung der Umstrukturierung der für den
Tonus erforderlichen Muskelgruppen, wie Gesicht und Brust für die Produktion
kontrollierter Phonation. Je nach Grad der Tonusabweichung vom Normalzustand
(Hypertonus oder Hypotonus) wird diese Aufgabe einfacher oder schwieriger sein.
Hypotonus bietet weniger Unterstützung der Atmungsfunktionen und eine schlechtere
Kontrolle des Luftstroms. Das Kind ist schnell atemlos ,die Stimme klingt oftmals
schwach und Vokale werden nicht durchgängig vokalisiert.
(Stimmgebung Verhauchtheit)
Hypertonus bietet ebenfalls wenig Unterstützung der Atmungsfunktion, in diesem Fall,
weil die Brust zusammengezogen ist. Zudem steht der Kehlkopf unter zu viel
Spannung. Die Produktion von Vokalen kann schwierig zu entlocken sein oder die
Stimme kann erstickt, eingeschränkt oder kurzatmig klingen.
(Stoßweiser Stimmeinsatz O).
Abschnitt 5 147
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Nasalität kann außerdem durch zeitliche Abstimmung und Tonus beeinträchtigt
werden.
Wenn die Bewegung der Mundstrukturen unzureichend oder schleppend ist (Hypotonus),
kontrahiert der weiche Gaumen oftmals zu wenig, um abzuschließen. In diesem Fall wird
vermehrter Druck und Spannung im Oberkörper einige Verbesserung ergeben. Bei
Hypertonus weist das Gaumensegel unter Umständen nur sehr wenig oder gar keine
Bewegung auf, weil es sich nicht entspannen kann. Dieser Zustand ist sehr schwierig zu
korrigieren und muss unter Beachtung des gesamten Körpersystems, insbesondere des Brust-
und Kopfbereichs, berücksichtigt werden.
Nasalität tritt oftmals auf, wenn die zeitliche Abstimmung ausgedehnt wird oder wenn das
Gaumensegel nicht abschließen kann, wie das bei Dysarthrie der Fall ist. Bei Apraxie ist dies
möglich, weil das System zusätzliche Stressfaktoren nicht bewältigen kann und daher
jederzeit zur einfachsten Bewegungsebene zurückkehrt. Je länger die Phonation dauert, desto
mehr Kontrolle der Muskelgruppen ist erforderlich, um Stimmelemente nachhaltig
einzusetzen, ohne nasal zu klingen.
Geringste Kontrolle neutral Höchste Kontrolle
‖
Nasalität stimmhaft stimmlos
‖
/m/ /b/ /p/
‖
ausgedehnt ZEITLICHEABSTIMMUNG
schnell
Bei Kindern mit sprechmotorischen Störungen bestimmt der Grad der Muskelkontraktion, wie
schwierig es für das System ist, flexible koordinierte Bewegungen mit Auswirkung auf die
zeitliche Abstimmung der veleopharyngealen Kontrolle auszuführen. Bei Kindern mit
entwicklungsbedingter Dysarthrie ist dies in Betracht zu ziehen, obwohl dem Kind eine
bessere Prognose gegeben werden kann, wenn die Störungen beim Erzeugen von Lauten nicht
tiefgreifend sind wie zum Beispiel bei zerebraler Lähmung. Bei entwicklungsbedingter
Apraxie sollte Nasalität nur auf der Wort- oder Satzgliedebene auftreten, bei denen Sequenz-
oder zeitliche Abstimmungsfehler zu Störungen bei der Sprechweise führen. Auf der
Phonemebene sollte die zeitliche Abstimmung intakt sein.
148 Abschnitt 5
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Behandlungsaktivitäten können anhand der folgenden Kriterien bewertet werden:
1.Stimmeinsatz und -absatz (+ -)
a.Fähigkeit, einen offenen Vokal auf Anweisung zu produzieren.
b.Fähigkeit, einen offenen Vokal in einem 1-Sekundenintervall auf Anweisung zu
produzieren/zu beenden
c.Fähigkeit zwei offene Vokale einer bestimmten Dauer zu produzieren/zu beenden.
d.Unterschiedliche Dauer von zwei offenen Vokalen.
e.Fähigkeit, drei Vokale einer bestimmten Dauer zu produzieren/zu beenden.
f. Fähigkeit, vier Vokale einer bestimmten Dauer zu produzieren/zu beenden.
g.Fähigkeit, vier Vokale unterschiedlicher Dauer nacheinander zu äußern.
Das Erreichen dieser Kontrollebene für die Vokaldauer ist wichtig, bevor das Element des
Stimmabsatzes bei der Produktion von Konsonanten hinzugefügt wird.
Die folgenden Dinge sind zu beobachten, während der Einsatzzeitpunkt der Stimme überprüft
wird, die in Beziehung zur Bewegung des Kiefers bei verschiedenen offenen Vokalpositionen
stehen:
Der Kiefer sollte sich in der Mittellinienposition befinden.
Der Kiefer sollte sich vertikal und ausgerichtet mit dem Oberkiefer bewegen und
anterior oder posterior keine Auslenkung aufweisen.
Der Kiefer sollte sich gleichmäßig ohne Rucken bewegen.
Der Kiefer sollte bei voll geöffneter Position keine reduzierte oder übermäßige
Auslenkung aufweisen.
Interventionsstrategien sind zu ergreifen, wenn Abweichungen von den oben beschriebenen
Kieferbewegungen zu beobachten sind.
Abschnitt 5 149
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
2.Stimmeinsatz/-absatz (+ -) + keine Stimme + Kontrolle des Kiefers
Am Anfang der Ebene III haben wir uns auf Kiefer + Stimme sowie die Produktion von offenen
Vokalen und Bilabialen (Konsonanten) konzentriert. Die Konsonanten befanden sich auf
einem Kontinuum von nasaliert zu stimmlos. Der Therapeut sollte sich auf Folgendes
beschränken, um die Aufgabe auf diesem Niveau zu erleichtern:
a.Stimmeinsatz bei /b/
/ Absatz
b.Kein Stimmeinsatz bei /p/
Alle Aktivitäten sollten kurz und, wenn möglich, im Zusammenhang von Sprachaktivitäten
stattfinden. Mit der folgenden Hierarchie soll dem Therapeuten geholfen werden aufzuschlüsseln,
welche Schritte bei der Kontrolle des Stimmeinsatzes auf den einfachsten Ebenen zu berücksichtigen
sind. Die Aufschlüsselung muss nicht genau befolgt werden, sondern soll dem Therapeuten helfen,
das Konzept der kleinen Schritte zu verstehen, mit dem herausgefunden werden kann, wann
Störungen beim Stimmeinsatz auftreten, um damit dem Kind zu helfen, diesen Bereich zu meistern.
Wie bei allen Aufgaben, die in diesem Kapitel vorgeschlagen werden, hilft es, die Stimmelemente mit
Blöcken oder kleinen Tierfiguren zu symbolisieren. Der Therapeut sollte möglichst versuchen, Vokale
und Kombinationen aus Vokalen und Konsonanten zu benutzen, die eine Bedeutung haben.
Bei den folgenden Beispielen werden Silben verwendet, die keinen Sinn machen, weil keine
sinnvollen Worte auf dieser Ebene konstruiert werden konnten. Therapeuten wird nahe gelegt, sich
ihre eigenen Silben auszudenken, die für das jeweilige Kind geeignet sind. Die folgenden Schritte
sollten dabei berücksichtigt werden:
a. Stimmhafte CV einer bestimmten Dauer /ba/.
b. Produzieren eines C /p/ und V /a/ einer bestimmten Dauer, ohne zu versuchen, die
Laute zu vereinen.
c. Produzieren von zwei stimmhaften CV oder V einer bestimmten Dauer.
d. Produzieren einer Sequenz von zwei C V C V (stimmlosen) (Plosiven), ohne zu
versuchen, die Laute ineinander übergehen zu lassen.
e. Produzieren eines CV /pa/ und VC /ap/ mit kontrolliertem Ineinanderübergehen.
f. Produzieren von zwei CVs oder VCs mit kontrolliertem Ineinanderübergehen.
g. Produzieren eines stimmhaften VC (Nicht-Plosiv) /ab/ und eines stimmlosen CV
(Plosiv) /pa/ (dies kann einfacher zu erzielen sein als (ab) und (a-p).
150 Abschnitt 5
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
h. Produzieren einer Sequenz von vier Bilabialen CV oder VC Silben mit Kontrast des
Stimmeinsatzes/-absatzes, d.h. /ba pa ba pa/ /pa ba pa ba/ usw.
i. Unterschiedliche Dauer des Vokals in Schritt h.
Wenn das Kind dieses Kontrollniveau demonstrieren kann und/oder gemeistert hat, (+ -)
Stimmproduktion + Kiefer, können wir faciale Kontraktion /i:/, Rundung /o:/, /u:/ und
Zungenkontrolle hinzufügen. Der behandelnde Therapeut muss bedenken, dass jede
zusätzliche Bewegungsebene das System mehr belastet und dass die Bewegungssequenzen
integriert und neu organisiert werden müssen. Wie bereits erwähnt, darf der Therapeut
andere Schritte überspringen, wenn festgestellt wird, dass das Kind auf der Ebene
Stimmeinsatz/-absatz + Stimmlosigkeit ein gute Stimmkontrolle hat. Allerdings muss der
Therapeut einen oder mehrere Schritte zurückgehen und überprüfen, welche zusätzliche
Belastung zu einer Störung führt, wenn auf einer Ebene Störungen auftreten.
B. Segmentale Fehler
1.Stimme + keine Stimme + Facial + Zungenkontrolle
Bei zunehmender Komplexität der motorischen Sequenzen, bei denen mehrere
Bewegungsebenen erforderlich sind, werden wahrscheinlich immer mehr Fehler beim
Stimmeinsatz und bei der zeitlichen Abstimmung auftreten. Zum Beispiel ist es oftmals
einfacher für das Kind, erst ein stimmhaftes Segment und dann ein stimmloses Segment zu
produzieren, wie zum Beispiel:
Boot /bo:t/Bob /bp/ɔMop /m p/ɔ
Schwieriger ist es den Stimmeinsatz in einer endgültigen Position zu halten (was für eine
nachhaltige Exhalation und eine koordinierte Kontrolle der Kehlkopf- und
Sprechatmungssysteme erforderlich ist). Außerdem müssen nachhaltige Kontrolle, Übergang
und zeitliche Abstimmung der Kiefer und Zungenbewegungen beherrscht werden, wie zum
Beispiel:
bum!BallMum
Abschnitt 5 151
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
2.Keine Stimme + Stimme Stimmhaft und stimmlos
Um von einem stimmlosen Segment zu einem stimmhaften Segment überzugehen ist es in der
Regel einfacher, auf einer CVC-Ebene zu beginnen, auf der das erste und letzte C stimmlos
sind. Zum Beispiel: hopp, piep, Puup, /pap/ (Pub) oder unter Hinzufügen von facialer und
Zungenkontrolle: Hut, tut, tap tap, Pott, tip tip, Tipp usw.
Aufgrund der Dauer (zeitlichen Abstimmung) und des Drucks, die zur Produktion bestimmter
Konsonanten und Vokale erforderlich sind, werden Übergänge schwerer beherrschbar sein,
wenn mehr Positionsvariablen verändert werden, wie zum Beispiel:
Vokaldauer
FacialKontraktion/ Rundung
Kiefer Zunge
|
/i:/ /e:/ | /u/ /o:///// uswɔ ʊ
lang/:/ɑ // /:/ɐ ɛ
kurz/I/, //ɛ
(Stimme) Konsonantendauer
Nasal Stimmhaft Stimmlos
anterior
| /n/ /m/ /d/ /b/ /t/ /p/|
posterior /ŋ/ /g/ /k/
lang kurz
Im Allgemeinen ist die Produktion schwieriger umso mehr Bewegungsebenen (vertikal -
horizontal, anterior - posterior) und Variabilität der zeitlichen Abstimmung das Kind bewältigen muss.
Zum Beispiel werden auf den folgenden Seiten Diagramme von Phonemen und den kurzen Worten,
die mit ihnen produziert werden, in einem dreidimensionalen System grafisch dargestellt. Dieses
System beinhaltet Kieferhöhe oder vertikale Position, anteriore - posteriore Position sowie Zeitdauer
der Produktion, nämlich (nasale/stimmhafte/stimmlose) Kontraste. Zum Beispiel werden in der ersten
Abbildung vom CV /ma/ zum endgültigen CVC VC /sneik/ (engl) die Komplexitätsänderungen unter
mehreren Domänen abgebildet. Der Therapeut muss jederzeit daran denken, dass 1) Übergänge
zwischen verschiedenen Bewegungsebenen (Kieferhöhe) und der Kontaktstelle der Zielbewegung
vorliegen, und 2. dass die relative zeitliche Abstimmung zu berücksichtigen ist, wenn Störungen der
Sprechproduktionskompetenz oder bei der Auswahl eines funktionalen Lexikons auftreten.
152 Abschnitt 5
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
*Es werden nur Schätzungen der Ebenen III, V und VI abgebildet
Relative zeitliche Abstimmung jedes Segments (horizontal) Änderung der Kieferhöhe Kontaktpunkt/Verengung von Lippen zur Linqua Velar (diagonal)stilisierte Bewegungskurve
Übersetzung: resting = im Ruhezustand; Jaw height = Kieferhöhe; open = offen Long vowels = lange Vokale; Continuants = anhaltende Laute; Short vowels = kurze Vokale
Abschnitt 5 153
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
*Es werden nur Schätzungen der Ebenen III, V und VI abgebildet
Relative zeitliche Abstimmung jedes Segments (horizontal) Änderung der Kieferhöhe Kontaktpunkt/Verengung von Lippen zur Linqua Velar (diagonal)stilisierte Bewegungskurve
Übersetzung: resting = im Ruhezustand; Jaw height = Kieferhöhe; open = offen Long vowels = lange Vokale; Continuants = anhaltende Laute; Short vowels = kurze Vokale
154 Abschnitt 5
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Wir haben mit normal entwickelnden Kindern die Erfahrung gemacht, dass es sich bei den
ersten verwendeten Worten oftmals um CVs oder Normalformen (Oller 1975/76) handelt. Diese
werden fast immer hauptsächlich mit dem Kiefer und etwas Einsatz der Lippen sowie minimaler
Zungenbewegung produziert. Einige Beispiele für frühe Worte sind /mama/, ab, da, /:ta/ für Auto,ɑ
/ja/, /mu/ für Kuh, /baba/ für papa oder /lala/ oder /ada/ für Schokolade. Erst später werden Worte wie
Kekse, Kuchen, mein produziert. Selbst dann herrschen Vereinfachungen und Lautangleichungen vor
wie zum Beispiel in /tet/ für Kekse, /tutn/ für Kuchen, /ggi:/ für Buggy oder /mai/ für mein. Eineə ə ʊ
frühe Produktion von /ga:/ im Alter von 3-6 Monaten findet mittels Anheben und Absenken des
Kiefers und der gesamten Zunge mit leicht angehobenem Dorsum statt. Dieses /ga/ ist nicht das
gleiche /ga/ in späteren Jahren, wenn der Kiefer stabil gehalten wird und ein gut kontrollierter
Kontraktionsbereich im Dorsalbereich angehoben wird. Das gleiche gilt für alle frühen Produktionen
im Vergleich zu späteren Produktionen in Bezug auf die verwendeten Artikulatoren und den Grad des
individuellen Einsatzes der beteiligten Muskelgruppen. Bei der Intervention muss der Therapeut diese
Sequenzen berücksichtigen und Lexika benutzen, die diese Prinzipien einbeziehen, um dem Kind
den produktivsten Einsatz seines Systems zu ermöglichen.
Abschnitt 5 155
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Leitprinzipien
• Je zentraler die Vokale und Konsonanten positioniert sind und je stabiler die
Stimmeinsatzkomponente ist, desto einfacher ist die Produktion (z. B. /d:/, /m :/).ɑ ɛ
• Je mehr die Produktion von der Norm abweicht (extremer ist), desto mehr Schwierigkeiten
wird das Kind bei der Beherrschung reibungsloser Übergänge ohne Verlust einer Variablen
wie zum Beispiel Stimmeinsatz oder Dauer (z. B. /nt/, oder /gu:t/) haben. Bei derɛ
Übertragung dieser Prinzipien auf die Therapieintervention muss der Therapeut am Anfang
Wortlexika mit zentralen oder langen Vokale und beständigen Konsonanten /man/, /dan/,
/baga/, /ba:dn/ einsetzen, bevor er zu einer variableren Dauer (z.B. /na:m /, /hat/, /tu:t/,ə
/pp/) oder zu entsprechenden Kombinationen (z. B. /tan/, /kan/, /baka/, /tu:b/, /tdi:/,ʊ ə ə ə ɛ
/bt/, ) übergeht. Oftmals werden Therapeuten erleben, dass ein Kind eine Variable oderɛ
Funktion für eine andere in einem komplexeren Set (z. B. /gu:t/ /du:t/ oder /tdi:/ /kgi:/)→ ɛ → ɛ
aufgibt. Wenn der Verlust so gravierend ist, dass das System die Produktion nicht
aufrechterhalten kann, werden Konsonanten ausgelassen. Zum Beispiel wird /schu/ zu /u:/,
Leid /lait/ zu /la/ oder /ait/ oder /baum/ zu /ba/, /pau/ oder /aum/.
C. Koartikulationsprozesse (mehrere Ebenen)
Auf dieser Ebene sollte der Therapeut vom Kind eine gewisse Kontrolle der zeitlichen
Abstimmung in Bezug auf Stimmeinsatz und segmentale Kontrolle erwarten können.
Zumindest sollte er erkennen können, dass von einem Kind mit einer schweren Behinderung,
das versucht, Phrasen mit mehr als 2-3 Worten zu produzieren, nicht mehr erwartet werden
sollte, wenn es sich verständlich machen soll. Es ist zu bedenken, dass auf dieser Ebene das
Folgende gilt: Tonus = Phonation = Stimme in Beziehung zum Kiefer facial Zunge usw.→ → →
wenn dies nicht gut kontrolliert wird, ist die Verständlichkeit des Kindes zwangsläufig
beeinflusst.
156 Abschnitt 5
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Unter Berücksichtigung der obigen Faktoren ist der Therapeut, der nun mehr auf der Wort
oder Satzgliedebene arbeitet an der allgemeinen zeitlichen Abstimmung und ihrer Beziehung
zu Folgendem interessiert:
1.Verständlichkeit
2.Reibungslose , gut koordinierte Übergänge
3.Betonungsmarker, die eine geeignete Silbentrennung festlegen und Bedeutung geben.
Im Rahmen des PROMPT-Systems benutzt der Therapeut sequenzierte Prompts, um diese
Elemente zu steuern und um den Schwerpunkt auf Betonungsmarker wie z. B. /'u:hu/
oder /'auto:/ im Gegensatz zu /ka'kau:/ zu legen und um die zeitliche Abstimmung für Vokale,
die entweder verkürzt (zum Beispiel in /bIn/ oder /btt/) oder verlängert (wie zum Beispielɛ
in /bi: n/ oder /bet/) werden müssen. Die zeitliche Abstimmung zwischen Worten wird jetztə
auch durch Input zu den Anfangs- oder Stoppsequenzen kontrolliert. Je nach den
Bedürfnissen des Patienten können für jedes oder einige Worte Prompts gegeben werden.
STUFE VII – Prosodie/Suprasegmentale Strukturen
Auf dieser Stufe werden alle vorherigen
Stufen kulminiert. Sie kann mit den
grundsätzlichen physischen Qualitäten
Amplitude, Dauer und Basisfrequenz der
Stimme beschrieben werden.
Obwohl Prosodie mit den
sprechmotorischen Funktionen gesteuert wird,
vermittelt sie mehr als Worte. Ihre
Funktionsmerkmale dekodieren die
kommunikative Absicht des Wortgebrauchs. Die
Entwicklung der Prosodie setzt sehr früh bei
Kommunikationsversuchen und vor der
Beherrschung des sprechmotorischen Systems
ein.
Bei normalen Sprechern ist Prosodie nur
selten gestört. Allerdings wurden verschiedene
Gruppen mit Störungen der Prosodie
Abschnitt 5 157
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
identifiziert. Dazu gehören Erwachsene und Kinder, die eindeutig sprechmotorische
Einschränkungen aufweisen.
Im folgenden Abschnitt werden Intonation, Betonung, Verbindung, Sprechgeschwindigkeit
und die Art und Weise der Entwicklung dieser Komponenten durch den Therapeuten während der
Behandlung dargelegt.
A. Intonation
Intonation kann als eine Kontur der Stimmlage einer Äußerung oder als die Art und Weise,
mit der sich die Basisfrequenz von Silbe zu Silbe oder sogar von Segment zu Segment ändert
beschrieben werden. Intonation wird durch mehrere Faktoren einschließlich Betonung und
Zungenposition beeinflusst.
Bei der PROMPT-Behandlung kann der Therapeut folgendermaßen Intonationsmuster
stimulieren:
1.Vorstellung eines kompletten vorprogrammierten Satzes wie zum Beispiel “Ich
kriege die.“ im Vergleich zu „Kriege ich die?“
Bei vorprogrammierten Sätzen steuert der behandelnde Therapeut die zeitliche
Abstimmung und Betonungsvariablen durch Erhöhen des Drucks und der Parameter
für die zeitliche Abstimmung, so dass das /i:/ in „die.“ im ersten Satz nicht betont
wird, während es ist im zweiten Satz betont und länger gehalten wird und somit
einen flexiven Anstieg erzeugt. ( Overton Analyzer, Praat)
2.Bereitstellung von sequenzielle Wortmustern und Kontrolle der Betonung und der
zeitlichen Abstimmung wie zum Beispiel „mehr“ im Vergleich zu „mehr“
3.Einsatz eines Praat zum Sequenzierung von Sätzen und Worten und zum
Überprüfen visueller Abstände und Anstiege. Wenn zum Beispiel beim Wort
„mehr“ der Praat mit der Frequenzeinstellung F2 eingesetzt wird, kann man ein
deutliches Muster mit Anstieg und Abfall erkennen. Bei der PROMPT- Behandlung
wird dies auf eine ausgedehnte Vokaldauer für das flexive Wort und eine erhöhte
Spannung bei Aussprache des letzten „“ übertragen. Bei PROMPT werdenɐ
Unterschiede mit zeitlicher Abstimmung und Drucksignalen signalisiert.
Bei entwicklungsbedingter verbaler Dyspraxie werden Intonationsmuster auf der Ganzwort-
oder Satzgliedebene programmiert. Intonationsmuster sind in der Regel einfacher als die
geeignete Markierung der Betonung oder die Koordination von Stimmeinsatz und
158 Abschnitt 5
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
Positionsvariablen. Bei Kindern mit Dysarthrie kann die Übergangszeit zwischen Position und
Koordination von reibungslosen Sequenzen problematisch sein, was sich auf Intonation,
Betonung und Stimmeinsatz auswirken kann.
Bei Kindern kann der Therapeut Aktivitäten einsetzen, bei der der gesamte Körper in Gang
gesetzt wird. Dem Anstieg und Abfall in einem Wort kann durch Aktivitäten wie Hüpfen
Nachdruck verliehen werden. Bewegungen des ganzen Körpers geben dem Kind einen
realistischeren Bezug, um abstrakte Konzepte wie Flexion besser zu verstehen. Sie können bei
einem Kind außerdem zu mehr Tonus in Muskelgruppen führen, was einem Kind helfen kann,
Spannung zu erhöhen und zu halten, um die Frequenz zu ändern. Wenn das Kind diese
Faktoren besser kontrollieren kann, können Aktivitäten am Tisch wie zum Beispiel das Spielen
auf dem Xylophon einbezogen werden, um unterschiedliche Muster oder Betonungspunkte
zu erschließen.
Da die Amplitude ein Teil der Intonation ist und Amplitudenverschiebungen durch Spannung
in Muskelgruppen, die eine Frequenzänderung bewirkt, erzeugt werden, sollte der Therapeut
bei der Arbeit mit Intonationsänderungen die folgenden Ebenen berücksichtigen.
1.Beginn des Einsatzes eines einzelnen Vokals und Änderung der zeitlichen
Abstimmung und des Drucks wie zum Beispiel:
Für /a:/__ wird der Kiefer leicht nach oben aus der /a/-Position erhöht. Die
Spannung des Musculus mylohyoideus wird an der B- Position erhöht. (Siehe
PROMPT-Einführungskurs Handbuch, Kontaktpunkte für Zielkonfiguration:
Prompts am M. mylohyoideus). Dies erhöht die Vokallänge und stellt
Spannung für eine Frequenzerhöhung bereit.
Für /a:/ (Symbol) senkt der behandelnde Therapeut den Kiefer auf die 3-4
Position und behält diese Stellung bei. (Siehe PROMPT-Einführungskurs
Handbuch, Abbildung der Kieferöffnungsweite zur Verbindung der MotorR
phoneme)
2.Als nächstes sollte der behandelnde Therapeut Worte mit allen stimmhaften
Elementen gegenüberstellen, bevor stimmlose Kontraste hinzugefügt werden. Wenn
alles stimmhaften Phoneme vorliegen, wird die zeitliche Abstimmung (Dauer) und
Spannung beim letzten Konsonanten erhöht (wobei zu beachten ist, dass der Vokal
Abschnitt 5 159
-
DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
vor diesem Konsonanten verlängert wird). Zum Beispiel:
/kɔm/ /meɐ/ /den/
3.Die letzte Ebene ist die Einbeziehung von stimmhaften und stimmlosen Phonemen
in die Wortproduktion. Dies erfordert eine bessere Kontrolle der zeitlichen
Abstimmung und von Übergängen und führt zudem zu Spannungsänderungen des
Vokals vor dem letzten stimmlosen Konsonanten (z. B. /das/), da nur stimmhafte
Phoneme einen Anstieg wiedergeben können.
Danach kann der Therapeut kontrollierte Sequenzen in programmierten Phrasen
hinzufügen und mit dem Generalisation von neuen, jedoch ähnlichen
Phrasentypen beginnen.
B. Betonung und Verbindungselement
Betonung bezieht sich auf den Grad des Hervorhebens oder der Wichtigkeit einer Äußerung
und wird in der Regel in Bezug auf Silben erörtert. In akustischer Hinsicht wird in erster Linie
das Vokalsegment in einer Silbe betont. Allerdings können auch der erste oder letzte
Konsonant betont werden.
Beim PROMPT-System berücksichtigt der Therapeut Betonungsvariablen bei der Produktion
von Worten und Satzteilen. Er wird die zeitliche Abstimmung für Vokale und den Druck für
Konsonanten erhöhen, um die Wichtigkeit des Segments zu beeinflussen.
Ein Problem für den Therapeuten bei Kindern, die sich auf der Satzebene befinden und dabei
völlig unverständlich sind, ist die ausreichend schnelle Vorprogrammierung des Satzgliedes,
um der beabsichtigten Bedeutung oder der normalen Wahrnehmung zu entsprechen. Beim
Wort Regenschirm ist es zum Beispiel relativ einfach für den Therapeuten, die erste Silbe
(‚re“) zu betonen, oder die letzte Silbe „Re gen schirm“ (z.B. um den Gegensatz zu
Regenjacke verdeutlichen). Allerdings ist es viel schwieriger, die Übergangszeit zwischen den
Silben zu erhöhen und die richtige Betonung beizubehalten. Der Grund dafür ist, dass sich
die Hand nicht so schnell bewegen kann wie die Artikulatoren, um alle Variablen, die die
Produktion beeinflussen, zu steuern.
Bei verbaler Entwicklungsdyspraxie (engl. developmental apraxia of speech) scheint es
möglich zu sein, die Betonung auf der Wortebene zu programmieren. Wenn das Kind nicht
zusätzlich unter Dysarthrie leidet, kann diese spontan auch in Phrasen eingesetzt werden. Bei
Kindern, die zusätzlich unter Dysarthrie leiden, kann die Betonung nicht immer in das
160 Abschnitt 5
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
alltägliche Sprechen übertragen werden. Unter Umständen müssen für sie ganze Sätze
programmiert werden, um die Betonung zu beherrschen. Schwierigkeiten bei der zeitlichen
Abstimmung und bei Übergängen, wie sie bei Dysarthrie auftreten, führen dazu, dass
Betonung auf der spontanen Ebene variabel bleibt.
Wie bei der Betonung ist Verbindung ein Indikator für die Wichtigkeit der Äußerung.
Allerdings erstreckt sich dies auch auf die Wortanordnung und Bedeutung. Verbindung oder
Pausieren markiert besondere Unterscheidungen in der Sprache oder bestimmte
grammatische Trennungen. Mit ihnen können auch Unterscheidungen zwischen ähnlichen
Artikulationen wie zum Beispiel „Ein Fluss“ und „Einfluss“ verdeutlicht werden.
Mit dem PROMPT-System können die zeitliche Abstimmung und die Bemessung von
Variablen, die Verbindung beeinflussen, kontrolliert werden. Anscheinend sind Verbindung
sowie Betonung und VOT (Voice-onset time – Stimmeinsatzzeitpunkt) oftmals für Kinder mit
entwicklungsbedingter Sprechapraxie nur mit Schwierigkeiten zu beherrschen. Dies kann
daran liegen, dass alle Bereiche eine integrierte motorische Kontrolle erfordern und für die
Codierung der Bedeutung der Sprache wichtig sind, während Verbindung grammatische
Bedeutung beeinflussen und ihre Kontrollebene gröber in Bezug auf ihre zeitliche
Abstimmung ist. Weil bei Kindern, grammatische Formen und das semantische Verständnis
noch nicht völlig entwickelt sind, muss die Verbindung zusammen mit der Betonung gelehrt
werden. Bei Kindern können andere grob- und feinmotorische Körperaktivitäten mit Musik
wie Instrumenten, Loch- und Klingelplatten eingesetzt werden, um visuelle und akustische
Verbindung zu repräsentieren. Aktivitäten sollten folgendermaßen beginnen:
1.Einsatz des gesamten Körpers – Bewegung, Start und Stopp.
2.Einsatz der Beine oder Füße - Marschieren im Takt.
3.Einsatz der Hände - Klatschen von einfachen bis komplexen Mustern.
4.Einsatz von Objekten – d.h. Instrumenten, um Rhythmen und Muster zu klopfen.
5.Visuelle Signale - stimulieren von akustischen Mustern in einem Satz: Apfel, Birne
und Banane.
6.Visueller Anreiz auf einer repräsentativeren Ebene wie zum Beispiel von farbigen
Bildern bis hin zu sequenziellen Serien.
C. Sprechgeschwindigkeit
Die Sprechgeschwindigkeit wird direkt vom Gesamtbereich der artikulatorischen Bewegung
beeinflusst. Mit der Erhöhung der Geschwindigkeit der Sprechbewegungen (Artikulation)
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DAS PROMPT-SYSTEM D.A. Hayden
nehmen Übergangszeit, Bewegungsspanne und Segmentdauer ab. Um schneller zu sprechen
und dabei verständlich zu bleiben, muss ein normaler Sprecher seine artikulatorische
Präzision (Position) beibehalten und dabei seine Bewegungsspanne reduzieren. Dies setzt
natürlich voraus, dass Sprechatmung und Phonation gut koordiniert und kontrolliert werden
müssen.
Bei Störungen der Sequenzierung und der sprechmotorischen Kompetenz muss der
Therapeut einige der zuvor angegebenen Bedingungen in Bezug auf Muskeltonus und
Übergangsfähigkeiten beachten. Sie werden jetzt in Bezug auf Sprechgeschwindigkeit neu
formuliert.
Bei Kindern, die unter hypertoner Körperspannung leiden, ist ein vermehrter Widerstand
gegen normale Bewegung zu beobachten. Zum Beispiel hat ein Kind mit spastischer
Dysarthrie aufgrund angespannter oder zusammengezogener Brustmuskulatur Schwierigkeiten
mit der Phonation. Dies führt zu einem flachen Sprechatmungssystem und macht den Einsatz
der Stimme aufgrund von mangelndem Druck und ungeregeltem Luftstrom schwierig.
Gleichzeitig ist die laryngeale Muskulatur angespannt und erzeugt eine unregelmäßige
Stimmgebung. Zudem treten Abweichungen der facialen Bewegung auf. Oftmals ist eine
übermäßige Auslenkung des Kiefers zu beobachten. Die Spreizung und Rundung der
Gesichtsmuskeln ist eingeschränkt. Bei Bewegungen tritt ein Verharren in gespreizter oder
gerundete Position auf, die Bewegung wird neutralisiert, ohne dass eine von ihnen beendet
wird. Hypertonus beeinträchtigt in erster Linie Bewegungsübergänge, weil die Muskeln keine
„Bewegungsfreiheit“ haben. Stattdessen werden sie in einer Position fixiert, während sie unter
großen Schwierigkeiten den Übergang in die nächste Position suchen. Die Übergangszeit
verlangsamt sich, während sich der Bewegungsbereich einiger Artikulatoren vergrößert. Dies
gilt insbesondere für die Kieferauslenkung. Bei anderen Gesichtsmuskeln wie zum Beispiel
Lippen und Zunge verkleinert sich der Bereich, während der Übergang noch immer mühsam
ist. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Sprechgeschwindigkeit sinkt, wenn
Sprechatmung und Phonation unzureichend sind. Das Ergebnis ist oftmals eine erstickt und
hauchig klingende Produktion.
Bei Fällen hypertonischer (spastischer) Dysarthrie muss der Therapeut einen Ausgleich des
Tonus anstreben und einer Überdehnung des Kiefers verhindern. Wie bereits erwähnt, wird
sich die Zunge in der Regel nicht unabhängig vom Kiefer (in der Regel an der Spitze)
bewegen und verbleibt in einer zurückgezogenen (geballten) posterioren Position. Der
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Therapeut kann mit dem PROMPT-System helfen, die Bewegungsproduktion zu kontrollieren
und zu stimulieren. Mit normalisierteren Artikulatoren kann der Therapeut dem Kind dann
helfen, präzisere artikulatorische Bewegungen zu produzieren und ihm eine regulierte
Übergangszeit bieten. Bei hypertonischer (spastischer) Dysarthrie sollte das Ziel eine
reguliertere Bewegung mit reibungslosen Übergängen sein. Die Sprechgeschwindigkeit wird
sich stärker normalisieren, was zu einer verbesserten Verständlichkeit führt.
Hypotone Muskulatur oder schlaffe Dysarthrie ist ein Ergebnis eines zu geringen
Widerstandes bei der Muskelbewegung. Das offensichtliche Ergebnis dieses Zustandes ist ein
eingeschränkter Bewegungsbereich mit einer zu kurzen Übergangszeit. Wie bereits erwähnt,
sind Phonation und Stimmeinsatz eingeschränkt, weil zu wenig Sprechatmung vorliegt und
der Luftstrom nicht kontrolliert werden kann. Die Luft kann also schnell entweichen. Dies
führt oftmals zu verständlichen Phonemen am Satzanfang, die schnell unverständlich werden,
weil eine schlechte Kontrolle der Atmung vorliegt und die Spanne der Bewegungen der
Artikulatoren reduziert ist. Bewegungssequenzen können mit einer ausreichenden Spanne
beginnen, die sich schnell reduziert. Die Sprechgeschwindigkeit klingt, als ob sie zunimmt,
weil die Segmentdauer kollabiert und die Spanne der artikulatorischen Steuerung zu gering
ist, um verständliche Sprache zu produzieren.
Bei schlaffer Dysarthrie muss der Therapeut das Ziel verfolgen, die Bewegungssequenzen,
Bewegungsspannen und Kontaktstärke zu erhöhen, während eine ausreichende
Sprechatmung beibehalten wird. Bei einigen Patienten kann dies bedeuten, dass nur zwei
oder drei Worte je Atemzug verständlich sind. Das Ziel sollte immer eine bessere
Verständlichkeit mit Kontrolle sein. Mit dem PROMPT-System kann der Therapeut
Druckvariablen für jedes Phonem erhöhen. Dies hilft dem Kind, einen besseren Kontakt
zwischen beiden Lippen und mit der Zunge zu produzieren, eine präzisere Positionierung
und verlängerte Dauer was wiederum zu einer besser kontrollierten Sprechgeschwindigkeit
führen.
Wie bei allen Behandlungen müssen Sprechatmung und Phonation mit den artikulatorischen
Bewegungssequenzen Schritt halten.
Aus Studien zu erworbener Apraxie geht hervor, dass der Hauptgrund für apraxische
Sprechfehler die mangelhafte zeitliche und räumliche Koordination der Artikulatoren und der
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Stimmeinsatzes ist. In eindeutigen Fällen von entwicklungsbedingter Sprechapraxie sollten
keine Muskelschwäche oder spastische Lähmung vorliegen. Eine erhöhte oder verringerte
Geschwindigkeit bei Apraxie setzt eine sequenzielle Fehlkoordination voraus und reagiert
daher besonders empfindlich auf zeitliche Abstimmungsfehler. Kinder müssen sorgfältig auf
Dysarthriekomponenten oder Elemente oraler Apraxie untersucht werden, da diese oftmals
ein Teil der Schwierigkeiten bei der Produktion sind. Eindeutige Fälle von reiner Apraxie bei
Kindern liegen jedoch weniger häufig vor.
Wenn ein Kind keine tonalen Schwierigkeiten bedingt durch Dysarthrie aufweist , sind die
Behandlungsziele eine Regulierung oder Rasterbildung und ein Aufbau der phonetischen
Fähigkeiten. Ein Ausgleich der Produktionsgeschwindigkeit bedingt nicht nur Kontrolle der
räumlichen Präzision (Bewegungsebenen) sondern auch zeitliche Abstimmung, Betonung und
die Segmentdauer insgesamt. Mit dem PROMPT-System kann der Therapeut artikulatorische
Sequenzen und zeitliche Abstimmung programmieren und somit ein Abbild des bereits
gebildeten System schaffen oder ein Gesamtraster („Map“) der beabsichtigten phonetischen
Funktion oder Phonemkombinationen anbieten.
Wie bereits beschrieben, brauchen Kinder den Aufbau eines normalen Rasters (Map). Daher
muss der Therapeut dem Kind jedes Phonem beibringen und Phoneme kombinieren, um
zeitlich abgestimmte und koordinierte Sequenzen zu produzieren. Bei „rein“ apraxischen
Kindern ist die Kontrolle der Geschwindigkeit wesentlich einfacher, weil der Muskeltonus
kein Problem darstellt. Wenn Sequenzen erlernt wurden, werden sie normalerweise mit
ausreichender Spanne und Übergangszeit produziert. Betonung und Verbindung werden
ebenso auf der Wort- und Satzgliedebene programmiert, wenn sie auch erneut bearbeitet
werden müssen, wenn das Kind beginnt spontane Produktionen auf der Satzebene zu
benutzen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Geschwindigkeit der Sprechproduktion bei
behinderten Sprechern im direkt proportionalen Verhältnis zu Muskeltonus, Sprechatmung,
Stimmeinsatz und Übergangszeit steht. Jeder dieser Bereiche muss beurteilt werden, wenn der
behandelnde Therapeut verstehen möchte, wie er dem Kind helfen kann, kontrolliert und
verständlich zu sprechen.
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Schlussfolgerung
Abschließend kann festgestellt werden, dass das PROMPT-System und seine therapeutische
Interventionshierarchie Werkzeuge sind, mit denen Ebenen des Zusammenbruchs des Sprechens, ihr
Zusammenspiel und die für die sprechmotorische Produktion erforderliche Kontrolle definiert werden
können. Die wahren Leitprinzipien beruhen immer auf dem Wissen und Verständnis des
Therapeuten in Bezug auf die Theorie der motorischen Kontrolle und auf der engen Verbindung von
sprechmotorischer Produktion mit linguistischen Operationen bei normalen und behinderten
Sprechern. Nur wenn dies erreicht wird, können wir hoffen sprechmotorische Muster zu verändern
und Änderungen bei unseren Patienten herbeizuführen, die ihnen wahre freie Rede ermöglichen.
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