das tier und wir_missy410

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  • 8/8/2019 Das Tier Und Wir_missy410

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    D o s s i e r

    Interview mit kofeministin Carol J . Adams 5.46. Unterwegs mit Tierbefreier-Innen 5.48. Was sind Critical Animal 5tudies?5.50. Tipps zum Weiterlesen 5.51K la r lieben w ir s ie , b esonde rs d ie m it lange r M hne und flausch igemFe ll, s o w ill e s sch lie lich das K lis chee . U nd doch nehm en w irm anchm al in K au f, da ss s ie f r uns s te rb en . D abe i haben w ir v ie lle ich tm eh r m it T ie ren gem ein , a ls w ir d enk en - und w ir m ein en je tz tn ich t g ene tis ch . E in D oss ie r be r d ie kom pliz ie rte B ez iehung vonh 1e Jt1lhZ:!Ir z u m I r . .m"N;;F'ffia~=~'oo"Illus trat ionE lisa be th MO ch

    De co n s tru ctin g A nima ls j,A uc h w en n e s m an ch e B io lo gin n en n ic~ wah rh a be n '101 n - T ie re s in d b eim Ab sc hie d vo ,~ in e } h e xue l l j r l N ' - '"zwe ig e sc h le c h tl ie h e n G e s e lls c h a ft s ch o n so vi e l velter , r die Il lu s tra t io n en a u f de n nc ~h ' ~ e n h a t s ic h U 1 / tL iz W eid in ge r a uf d ie S uc he n ac h Be is p ie le n begeb e n . u v

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    Doss ie r 46

    "F le isch is t S ym bo l f rm nn lich e P riv ileg ien "We r f r d ie G le ich be rech tig un g vo n M an n u nd F rau is t, so lltea u ch k ein F le is ch e ss en , s ag t d ie ame rik an is ch e T ie rre ch ts ak tiv is tinu nd A u to rin C aro l J . A dam s . W ie hng t das b itte zu samm en? --'n-ter-vi-ew

    C hris K ve r

    F rau Adams. was hat Fleischessen mit der Benachtei-ligung von Frauen zu tun? Die zentrale Bedeutungdes Fleischessens in der Symbolik der westlichen___ Welt hngt direkt mit einer mnnlich geprgtenGesellschaft zusammen. Eine patriarchale Weitsicht gehtdavon aus, dass der Zweck die Mittel heiligt. DieseEthik instrumentalisiert die Natur, ebenso wieTiere und nicht dominante Menschen, zumTeil auf sehr gewaltsame Weise. Aberdie Gewalt wird unsichtbar, sie wirdvon Individuen nur noch als Privilegwahrgenommen, das ihnen Genussbereitet: das Privileg, Tiere zu es-sen, Frauen auszunutzen oder sichkeine Gedanken darber zu machen,wer das Hotelzimmer putzt.

    Es geht aber noch um mehr: In derwestlichen Gesellschaft besteht von jehereine enge Verbindung zwischen Fleisch-essen und Mnnlichkeit - Fleisch ist Sym-bol fr mnnliche Privilegien. In Zeitenvon Mangel haben meist die Mnner in derFamilie Fleisch bekommen, whrend Frauenund Kinder keines aen. In Kriegszeiten wardas Fleisch vor allem fr Soldaten reserviert. Undjetzt nach 9/11 sehen wir in den USA eine massiveRekuperation von Mnnlichkeit durch offensivenFleischkonsum: Grillrestaurants servieren jetztoft wieder ganze Schweine.

    Die Vorstellung. dass Mnner schon in der Steinzeit dasMammut erlegt haben und deswegen auch heute noch lie-ber Fleisch essen. ist doch stumpfer Biologismus. Natrlich.Die feministische Anthropologie hat solche simplifizieren-den Erklrungsmuster fr den Unterschied zwischen denGeschlechtern ja lngst infrage gestellt. Entscheidend ist

    aber nicht, ob das wirklich so war - sondern dass dieMehrzahl der Menschen das heute noch glaubt.

    Was halten Sie von dem hufig vorgebrachtenArgument. Frauen seien deswegen eher Ve-getarierlnnen. weil sie ..von Natur aus" ein-fhlsamer sind? Ich glaube generell nichtan die Naturalisierung von geschlechtsty-pischen Eigenschaften oder Verhaltens-weisen. Ich denke, dass Vegetarismus frviele Frauen vielmehr eine Mglichkeitist, gegen patriarchale Denkmuster zurebellieren. Eine implizite Kritik durchdas, was wir essen oder vielmehr nichtessen. Wenn Frauen einfhlsamersind, dann deshalb, weil wir eher dazuerzogen werden. Und das Problem istnicht, dass wir so erzogen werden -sondern dass die andere Hlfte derMenschheit es nicht wird.

    Wenn Fleischkonsum die Un-gleichheit der Geschlechter ze-mentiert. dann drfen diejenigen.die dagegen ankmpfen wollen. also

    kein Fleisch essen? Nirgends in mei-nem Buch (Anrn. d. Red.: "The Sexual Po-

    litics ofMeat") steht, dass man kein Fleischessen darf, ich will niemandem meine Meinungen

    diktieren. Aber ich vertraue darauf, dass meine LeserInnenihre eigenen Schlsse ziehen. Ich glaube, ein feministischesBewusstsein fhrt zu Vegetarismus. Nicht zwangsweise,aber ich sehe da auf jeden Fall eine logische Verbindung, diesich aus dem ergibt, was ich gerade erklrt habe.

    Schon bekannt, aber weil's soWoher rhrt diese symbolische Verknp- schn ist:BeiSeepferdchen

    fung? Historisch gesehen war das Fleischessen tragen diemnnlichenTieredenin der westlichen Welt ein Privileg der Mchtigen. Nachwuchsaus.Und Macht wird vor allem mit Mnnern in Verbin-dung gebracht. Auerdem ist da nach wie vor die Idee desjagenden Steinzeitmannes, dass es also der Mann war, derdas Fleisch mit seiner Kraft und seinem Mut "verdiente".Deswegen wird es auch heute noch sehr viel weniger akzep-tiert, wenn ein Mann Vegetarier ist, als eine Frau. Bei einemMann heit es dann schnell: Der muss wohl schwul sein.

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    4 7Sie behaupten in dem Buch. dass die Objektifizierung vonFrauen und von Tieren einem hnlichen Muster fol t: Bei-de wrden in einer patriarchalen Gesellschaft sexualisiert.entmenschlicht und schlussendlich missbraucht. Frauen wur-den in einer mnnlichen dominierten Gesellschaft oft mitFleisch gleichgesetzt. Auchheute noch zieht dieWerbung diesen Ver-gleich, wenn riesigeBurger in den USAetwa als "Doppel-D-Krbchen" an-gepriesen werden.Umgekehrt werdenTiere oder Fleisch inder Werbung immer str-ker sexualisiert, etwa wennsich gebratene Hhnchen inWerbung fr Ketchup in porno-grafischen Posen rkeln. Der Feminis-mus hat mittlerweile etabliert, dass offe-ner Sexismus nicht mehr akzeptabel ist:Man darf bei Tisch und am Arbeitsplatznicht mehr ungestraft ber die Brsteund Hintern von Frauen sprechen, esgibt Gesetze dagegen. Aber der Se-xismus und die Misogynie sind nichtverschwunden, sie haben sich nur ~ "'''_ __ L _-_' __'__'verlagert - auf die Art und Weise, wie Die we i b li c h e Trf fe lhyne h at e in e n P en is - z um in de s twir ber Fleisch sprechen. Fleischwer- uer l ich .bung ist so etwas wie das Auffangnetz frSexismus geworden.

    man ganze Schweine und gehutete Kaninchen. Das wundertmich nicht. Wenn das tote Tier so sichtbar ist wie hier, hatdas fast immer etwas mit der Ausstellung von Mnnlichkeitund Dominanz zu tun.

    Noch mal zurck zu der Gleichberechtigungsfrage:Heit das. Sie stellen die Rechte von Tieren auf eine Ebe-

    ne mit den Rechten von Frauen? Nein.Trotzdem sind Feminismus und

    Tierrechte unweigerlich mit-einander verbunden. Wirknnen nicht sagen: Wirkmpfen nur gegen dieUnterdrckung vonFrauen, denn unse-re Kultur hat dieseUnterdrckung ineinem greren Sys-tem verankert. So-lange wir nicht gegendie grundstzlicheIdee angehen, dassTiere keine Rechtebesitzen, dass sie un-terdrckt und ausge-beutet werden knnen,werden auch Menschenimmer unterdrckt wer-den knnen, indem man

    sie mit Tieren gleichsetzt.

    Diese Form von Objektifizierung ist zweifellos schlimm.Aber hinkt der Vergleich nicht etwas? Frauen wird hier sym-bolische Gewalt angetan. Tieren dagegen ganz unmittel-bare. wenn sie gettet und gegessen werden. Natrlich kannman das nicht gleichsetzen. Man kann auch direkte Gewaltgegen Frauen nicht mit der systematischen Gewalt gegen

    lange w ir n ich t gegen d ie Idee an -h en , d as s T ie re k ein e R e ch te b es itz en ,rd es imm er U nte rd rckung geben .Tiere in der Fleischindustrie gleichsetzen. Aber es bestehtein gemeinsamer Nenner, den ich den "fehlenden Referen-ten" nenne. So wie hinter dem Wort "Fleisch" das tote Tierverschwindet, verschwindet die reale Erfahrung von Frau-en, wenn wir Begriffe von weiblicher Sexualitt und Unter-drckung auf andere Bereiche anwenden. Unsere Sprachetrgt zu diesem Verschwinden bei. Sprache ist immer poli-tisch. Deswegen sollten wir auch nicht von ,,vergewaltigung"sprechen, wenn wir die Ausbeutung der Tiere umschreibenwollen. Ebenso wenig vom "Holocaust". Es gibt Begriffe, dieso eng mit der Gewalterfahrung einer bestimmten Gruppeverbunden sind, dass wir sie nicht fr andere verwendenknnen.

    In Deutschland gibt es seit einiger Zeit ein neues Koch-ma azin fr Mnner: "Beef". Darin verschwindet das Tierganz und gar nicht. im Gegenteil: Auf jeder dritten Seite sieht

    Sie haben auch ein "Handbuchfr das berleben unter Fleischessern" verfasst und schrei-ben darber. wie schwierig es ist. in einer Gesellschaft. dievon der Richtigkeit des Fleischessens berzeugt ist. die ei-gene Entscheidung dagegen zu verteidigen. Was empfehlensie Vegetarierinnen. die am Tisch angegangen werden? Aufkeinen Fall auf die Diskussion einlassen. In einer Situation,in der Fleisch auf dem Tisch steht, kann man nur verlieren,denn egal, was man sagt, die anderen werden sich nur dar-an erinnern, dass man ihnen das Abendessen vermiest hat.Ich finde hier die Strategie "kaputte Platte" hilfreich: Statt zudiskutieren, aritwortet man auf jeden Einwand das Gleiche,zum Beispiel: "Ich fhle mich damit eben besser."

    Und was. wenn man eigentlich auch andere davon ber-zeugen mchte. kein Fleisch zu essen? Ein Buch zu schenkenfunktioniert meist besser als die direkte Diskussion. Dannhat die andere Person nicht das Gefhl, klein beizugeben,sondern kann selbst zu dem Schluss gelangen, wenn sie dasmchte. Aber die beste Methode ist wohl, einfach immerwieder und unkommentiert leckere vegane Festmahle zu ko-chen und andere dazu einzuladen. Damit demonstriert manganz praktisch, dass Veganismus und Vegetarismus mehrmit Genuss denn mit Verzicht zu tun hat.

    Ca r o l J. Adams besch ftigt s ic h s e it den1980er-Ja hre n mit de r be rschne idun g vonSexism u s u n d F le is ch k on s um. Ih r B uc h "TheS e x ua l P o li ti cs o f M e a t : A F em in is t -V e g et a ri a nC r iti ca l T h eo ry " ( 19 89) g ilt a ls S tandardwerkzu m Th em a u nd w urde ge ra de e rs t.w ie de r n euaufgelegt. S ie le bt in Da lla s . / www.caro l jadam s .com

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    Dossier 4 8

    Genoss inT ierU nte r d em L ab el "A ntis pez ie slsm u s" s etzen s ich imm e r m e hrF rauen f r d ie R ech te von T ie ren e in . D och w as verb irg t s ich h in te rdem B eg riff? A uf veganer S afa ri m it T ie rbe fre ie r inn en ...----~TextL iz Weid inger

    Nben einer hippen Werbeagentur am Rand desHamburger Karoviertels schtzt eine Mauerdie Bewohnerinnen vor toten Tieren. Zwei Stra-en vor der Mauer heile Cappuccino-Wohlfhl-Welt, Bio-Brot und Vintage-Klamotten,hinter der Mauer ein riesiger Fleischgro-markt. Auf dessen Internetseite steht: "ber200 ansssige Betriebe mit mehr als 3.000Mitarbeitern bieten mehrere tausendverschiedene Produkte und Dienst-leistungen an." Die reichen ber dieHerstellung von Fertigmens biszur Vermarktung unzhliger Rinder-steaks, dem Handel mit Fleischverar-beitungsmaschinen oder Fellen, Kno-chen und Innereien.

    Auf der schtzenden Mauer zwischen Fleisch-markt und Anwohnerinnen steht in krakelig grner Spraydo-senschrift: Go Vegan. Wie viele Leute wohl schon vor mir an.dieser Wand und dem Schriftzug vorbeigelaufen sind, ohneber den Zusammenhang nachzudenken? Die Verarbeitungvon Unmengen an Fleisch direkt neben meiner Haustr hat-te ich bis zu den Recherchen fr diesen Artikel ganz nach un-ten gelegt, unter viele Schichten billiger Entschuldigungen- erst jetzt ergibt der Aufruf zum Veganismus auf genau die-ser Wand Sinn. Denn der Fleischgromarkt ist ein perfektesBeispiel fr die "Institutionalisierung der Tierausbeutung" .

    Dagegen kmpfen Tierbefreierinnen, die nicht mit Tier-schtzerinnen verwechselt werden wollen. Dafr gibt eseine einfache und hufig genannte Begrndung: ,;Nir wollenkeine greren Kfige,wir wollen keine Kfi-ge", sagt Marcel, Tier-befreiungsaktivist ausHamburg. Und auchdie grundstzlich mitdem Tierbefreiungs-gedanken verbundeneHerrschafts- und Gesellschaftskritik unterscheidet beideBewegungen. Tierbefreierinnen sind konsequent gegen dieAusbeutung und Unterdrckung von Tieren. Sie demonstrie-ren auch gegen Zoo und Zirkus, Tierversuche oder Pelz. Siesind aber auch dagegen, dass Tiere nur leben, um uns Milchzu geben. Eine vegane Lebensgestaltung und damit auch

    R e n n e c h s e n d er A rt C n emid op ho ru s u n ip ar en sle be n in e in er W elt o hn e M n ne r - s ie pfla nze ns ic h e in fa ch e in ge sc hle ch tl ic h fo rt u nd h ab entr otzd em S ex.

    eine stndige Reflexion des(Konsum-)Verhaltens ist daraus

    nur die logische Schlussfolgerung:Welche Cremes werden nicht an Tie-

    ren getestet und enthalten keine tierischenInhaltsstoffe? Wie bringe ich Leute dazu, mir

    nicht stndig zu erklren, wie ungesund ich lebe?Den AktivistInnen geht es nicht um die perfekti-

    onierte vegane Lebensweise. Nicht die aus Versehenzertretene Ameise ist das Problem, sondern die Massen

    an gezchteten und danach gegessenen Tieren. Es gehtum Aufklrung, politische Arbeit und Kampagnenarbeit.Dabei sind viele der Tierbefreierinnen nicht in starren Ver-einen organisiert, sondern in losen Gruppen, die sich nur frgemeinsame Aktionen zusammenfinden. Deswegen lsstsich schwer sagen, wie viele aktive Gruppen es in Deutsch-land insgesamt gibt. Auf antispe.org sind zum Beispiel 18regionale Gruppen verlinkt und auch der deutschlandweitschon seit 1985bestehende Verein "Die Tierbefreier e.V" hat-neun Ortsgruppen.

    Zu einer gemeinsamen Aktion trafen sich die Aktivis-tInnen, als der mittelgroe Zirkus "Las Vegas" sein Zeltam Hamburger Dammtor in der Herbstsonne aufbaut. Andiesem Samstagnachmittag stehen zustzlich zu gutbrger-

    lichen Ausflugsgrup-pen und Groelternmit Enkelkindern rundzwanzig TierbefreierIn-nen vor dem Zirkus - inschwarzen Stoffhosenund mit grnen Plaka-ten, Transparenten und

    Informationsflyern. Marcel erklrt: "Diese Demo richtetsich nicht gegen diesen speziellen Zirkus, sondern gegenZirkus allgemein: gegen die Inszenierung von Tieren zumAmsement; gegen das Zwingen von Tieren, Kunststckevorzufhren, um damit Geld zu verdienen." Die Tierbefreier-Innen wollen auf ihre Anliegen aufmerksam machen, ab

    N ich t d ie ze rtre ten e Am eise is t dasP rob lem , son dern d ie nu r zum Zw eckd es K o ns ums g ez c hte te n T ie re .

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    und zu hrt man laute Parolen. Dann kurz rger mit einerMutter, die sich bedroht fhlt und zurckschreit. Mehr pas-siert nicht.

    Susann Witt-Stahl, Journalistin und langjhrige Aktivis-tin der Tierrechts-Aktion-Nord (TAN) sagt ber die Bewe-gung: "Sie ist sehr heterogen, aber auch nicht heterogenerals .andere soziale Bewegungen." Der Tierbefreiungsgedan-ke, den Witt-Stahl vertritt, hat eine historisch-materialisti-sche Basis: Die Kapitalismuskritik von Kar! Marx und Fried-rich Engels sowie die Zivilisationskritik der FrankfurterSchule. Sptestens hier wird deutlich, dass der Teil der Tier-rechtsbewegung, fr den Witt-Stahl sich einsetzt, eine poli-tisch linke Bewegung ist: "Die Bewegung ist eine widerstn-dige Antwort auf die Gewaltverbrechen des Kapitalismus.Sie ist in der westlichen Welt geboren und am strksten ver-breitet, weil hier der Kapitalismus am hchstenentwickelt ist. Somit ist hier die Verdingli-chung und Ausbeutung von leidensf-higen Individuen - und dazu gehrennicht nur Menschen, sondern auchTiere - am weitesten fortgeschrit-ten", antwortet Witt-Stahl auf dieFrage, ob die Tierbefreiungs-bewegung primr "westlich"geprgt sei. Auch das Blog ;~e-gans of Colour", problematisiertdiese westliche - und somitweie Dominanz - in der Tier-rechtsbewegung und machtschon in seinem Claim daraufaufmerksam, dass diese alleFormen von Unterdrckungmit einbeziehen muss: "Be-cause we don't have the lu-xury of being single-issue."Ein Kritikpunkt, den manaus der Feminismusbewe-gung gut kennt.

    Zur Geschlechterverteilungin der Tierrechtsbewegungschtzt Witt-Stahl: "Meiner Er-fahrung nach ist der Anteil aktiverFrauen im Vergleich zu allgemei-nen linken Aktivismusgruppen ber-durchschnittlich." Wer nun glaubt, die hhereFrauenquote lasse sich damit erklren, dass das weiblicheGeschlecht nunmal auf niedliche Katzenbabys stehe, solltezweimal nachdenken. Denn die Aktionen von Gruppen wieder Animal Liberation Front sind alles andere als sanftm-tig. Nachts Legehennen zu befreien und Dokumentations-videos zu drehen, erfordert schon ein hohes Ma an Willenzu zivilem Ungehorsam.

    Nicht nur in der Tierbefreiungsbewegung hat sich der BegriffAnti-Speziesismus etabliert. Er bezeichnet die Kritik an derDiskriminierung und Ausbeutung von Individuen aufgrundeiner Spezies und wird damit hnlich wie die Begriffe Rassis-mus oder Sexismus verwendet. Diese analoge Verwendungwird jedoch auch kritisch gesehen, weil es die Dringlichkeitder Probleme gleichsetzt. Nichtsdestotrotz lenkt der Anti-Speziesismus die Aufmerksamkeit auf den sozial konstruier-D ie S ym p a th ie d e r T ie rb e fre ie r-Innen zu P ETAh lt s ichs ta rk in G renzen - zu g ro , zukap ita lis tisch , zu popu l r. .

    ten Dualismus zwischen Menschund Tier, genau wie zwischenMann und Frau oder Kulturund Natur, und regt an, dar-ber nachzudenken, ob undwarum es diese festgezoge-ne Grenze zwischen Menschund Tier gibt und welcheVerhaltensweisen des Men-schen sie rechtfertigt. Zwi-schen wem ist der Unter-schied grer: Mensch undSchimpanse? Schimpanseund Schnecke? Spannenddaran ist, dass sich die Be-grndung mit neuen wissen-schaftlichen Erkenntnissenverndert hat: Wurde zu-nchst die Verwendung vonWerkzeug als der entschei-dende Unterschied gesehen,wurde die Andersartigkeitspter beispielsweise mit dermenschlichen Sprache erklrt.

    Die groe Angst, ohne eineklare Grenze zwischen Mensch

    und Tier knnte der Mensch abgewertetwerden, zeigt, wie schwierig es ist, sich von dieser Grenzezu lsen. Vergleiche, wie die Kampagne "Der Holocaust aufihrem Teller" der Tierrechtsorganisation PETA sie zieht,lehnen die meisten TierrechtsaktivistInnen strikt ab. AuchWitt-Stahl ist in der Tierbefreiungsszene als scharfe Kriti-kerin solcher Instrumentalisierung des Holocausts bekannt.Trotzdem hat diese Kampagne der Bewegung sicher einigesan Skepsis eingebracht. Die Sympathie der TierbefreierIn-nen mit PETA hlt sich aber grundstzlich stark in Grenzen- zu gro, zu kapitalistisch, zu populr.

    Auch wenn ich jetzt nicht sofort zur Veganerin werde,denke ich doch viel hufiger darber nach, wie und wo dieGesellschaft "Tiere" einordnet und verwendet. Dazu ein ab-surdes Beispiel zum Schluss: Argentinische Wissenschaftle-rInnen bekommen Forschungsgelder dafr, Rindern Schlu-che in den Verdauungstrakt zu stecken und deren Gase zuuntersuchen. Schlielich ist die Klimaerwrmung ein drin-gendes Thema und weniger Rindfleisch zu produzieren wirk-lich keine Option. 0

    d M & & J J k l l iU l L PM M Q g . WLJEZ ,N ich t n ur un te r K n i g S p i n g u i n e n gib t e s v ie le gle ich -ge sch le ch tlic he P aa re . Im Z oo vo n S an F ra nc is co s olle in schwu le s Prc hen soga r e in E i ad op tie rt h a be n .

    "D ie B ew eg un gis t e in e ra dik al w id er-s t nd ig e A ntw o rt a uf d ie u nfa ss ba re nGewa ltv e rb re ch en d es Kap ita lismus ."Zwischen einem Einsatz fr Feminismus und einem fr Tier-rechte gibt es noch viele weitere berschneidungspunkteund auch viele TierbefreierInnen sind aktive FeministInnen,wie auch Witt-Stahl.

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    D a s T i e r , s o q u e e r PIm noch neuen Fe ld de r A nim a l S tud ies fo rd e rn S timm en aus den ver-sch iedens ten D isz ip lin en , de r F rage nach dem T ie r d ie E rns tha ftig ke it zuschenken , d ie s ie ve rd ien t. D as w ird spannen d.

    \ ~ TextFah im Amir

    IGrobritannien nennt man sie "Granarchists", eineWortschpfung aus "Anarcho" und "Granny" (dt."Omi"). Diese lteren Frauen, die so gar nicht demKlischee vom Konservatismus alter Leute entspre-chen wollen, bilden bei militanten Tierrechtskundgebungenoft das vorderste Spalier. Kundgebungstaktisch anscheinendnicht ganz unbeabsichtigt, bringen die militanten Damen dieberittene Polizei doch mitunter sogar in eine, fr diesen Be-rufsstand wohl seltene, Verlegenheit: die Schlaghemmung.

    They ca lled h er.Wenig berraschend, dass der Feminismus diesen Patriar-chen genauso albern schien wie Tierrechte. Als mit MaryWollstonecrafts ,;Verteidigung der Rechte der Frau" 1792eine der ersten feministischen Streitschriften erschien, liedie antifeministische Antwort nicht lange auf sich warten.Thomas Taylors ,;Verteidigung der Rechte des Viehs", eineSchrift zur Lcherlichmachung des Feminismus, wurdenoch im selben Jahr aufgelegt. Vertreterinnen der Animal

    Studies haben mittlerweile noch einiges mehr anMaterial zusammengetragen, das ihrer These

    Glaubwrdigkeit verleiht, dass Sexismusund Speziesismus tragende Mauern ein

    und derselben herrschaftlichenArchitektur seien, die sich

    gegenseitig sttzen.

    Anim a l S tu die sIn Theorie und Forschung kommen neu-erdings ganz andere OrdnungshterIn-nen ins Grbeln: Im sich gerade for-mierenden Feld der Animal Studiesfordern kritische Stimmen aus Phi-losophie und Soziologie, Kunst- undKulturwissenschaften, der Fragenach dem Tier die Ernsthaftigkeitzu schenken, die ihrer Bedeutungin Geschichte und Gesellschaft ent-spricht. Was kann damit gemeintsein? Die Schwierigkeitenbeginnen schon bei derBezeichnung: "Tiere,was fr ein Wort!",sthnte schon derfranzsische Philo-soph Jacques Derrida.

    B ea sts o f B urd enEine systemati-sche Forschungdazu steht al-lerdings erst inihren Anfngen.Was auch fr dasVerhltnis vonAnimalitt zu an-

    deren Herrschafts-ideologien gilt: Dazu

    wren Vorstellungenvom unberechenbaren

    "Pbel" mit "tierhnlichenInstinkten" zu zhlen, dem deshalbnicht die gesellschaftliche Macht bertra-

    gen werden drfe - ein Argument, das vonseiten des anti-demokratischen Adels gerne vorgeschoben wurde. Nichtannhernd gengend erforscht ist auch die Animalisierungvon Menschen im Zuge von Kolonialismus und Nationalso-zialismus, um nur die augenflligsten Beispiele zu nennen.Dass Letzterer propagandistisch uerst erfolgreich gegenjdisches Schchten agitierte und nach seiner Machtergrei-fung das bis dahin schrfste Antitierversuchsgesetz weltweitverabschiedete, ist die tragische Antwort auf das historischeVersumnis der Linken, zur Frage nach dem Tier fortschritt-liche Antworten zu formulieren. Ausnahmen blieben leidergrtenteils Ausnahmen.

    $2 2 ! ! li1001 TiereTatschlich verweist diebiologische Grenzziehung aufein Regime, in dem sich Geschlecht, Artgenossenschaft undMacht die Hand reichen. Carl von Linne, auf den die zoologi-sche Systematik, wie wir sie kennen, zurckgeht, wusste dieersten neun Ausgaben seiner "Systema Naturae" lang nicht,welchen Spezies-Zusatz er der Gattung Homo zuweisen soll-te. Ein Merkmal sollte die Menschen von allen Tieren unter-scheiden, das war ihm ganz wichtig - er wusste nur nicht,welches. Bei der zehnten Auflage war er so weit: Linne hattesich fr die traditionell als "mnnlich" erachtete Rationalittals Unterscheidungsmerkmal entschieden, seitdem heienwir als Spezies offiziell homo sapiens (lat. "weiser, einsichts-voller Mensch"). Wie aber die nun isolierte Spezies Menschan die restliche Natur wieder anschlieen? Na klar: die weib-liche Brust, ergo Mammalia, kurz: Sugetiere. Jenschlich-keit als Mnnlichkeit, Weiblichkeit als Tierhaftigkei so lau-tete die zoologische Weisheit der ersten Stunde.

    Zackenbarsche tre ffen s ich , um g ro e F is cho rgie nzu feie rn . La ic hgr uppe nenn t man das .

    N a hru n gs ke tte n s pr en g enWer aber glaubt, dass es den Animal Studies primr um dasVerstndnis von Ausgrenzungslogiken und ihrer Geschich-

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    A ll m y so rrow s seem soHaraway, die mit ihrem Cyborg-Manifest Anfang der 90er-Jahre kulturtheoretische Popgeschichte schrieb, widmeteihr aktuelles Werk dem Mensch-Tier-Verhltnis. "Mit demTier lsst sich gut denken", bemerkte der AnthropologeClaude Levi-Strauss einst. Haraway geht darber hinaus,wenn sie fragt, wie sich mit Tieren handeln lsst. Sogenann-te Companion Species wie Hunde sind ihr zufolge nicht Pro-totypen der Unterwerfung von Natur durch Kultur (Mannmacht Wolf zu Hund), sondern Akteure einer nicht-unschul-digen Geschichte, Kosubjekte statt blo Objekte der Gesell-schaft. Bellen, das bei Wlfen nicht vorkommt, kann so alstierischer Versuch gesehen werden, Teil der menschlichenKommunikation zu sein. Solche nachhaltigen Irritationendominanter Ideen und Fragen nach anderen Formen vonHandlungsfhigkeit gehren zu den radikalsten Versprechender Animal Studies. Es wird spannend. 0

    te geht, irrt. Animal Studies strotzen geradezu vor queerenKreaturen, die eine progressive Verkomplizierung der Ver-hltnisse befrdern sollen. Die US-amerikanische Kultur-wissenschaftlerin Donna Haraway gilt als eine Vordenkerindieser akademischen Strmung, deren Interesse explizitFiguren wie beispielsweise der "Mixotricha paradoxa" gilt.Dabei handelt es sich um einen Mikroorganismus, der imDarm einer sdaustralischen Termitenart lebt. Bei demWesen mit dem eigentmlichen Namen (dt. "merkwrdigesWuschelhaar") besteht Unklarheit darber, ob es sich um einTier handelt oder um mehrere. Vielleicht sogar um mehrereMillionen zugleich. Der deutsche Theatermacher Rene Pol-lesch, der sich in seinen Arbeiten gerne auf Haraways Textebezieht, erklrt seine Motivation etwa so: Wenn Fragen vonSelbst und dem Anderen fr bestimmte Tiere keinen Sinnhaben, warum sollten sie dann fr Menschen von an Ver-zweiflung grenzender Wichtigkeit sein?

    M ate ria l samm lungSachbche r:- Carol J. Adams: Living Among Meat Eaters. The

    Vegetarian's Survival Handbook. Continuum 2003.- Jacques Derrida: Das Tier, das ich also bin.

    Passagen 2010.- Smilla Ebeling und Sigrid Schmitz (Hg): Geschlechter-forschung und Naturwissenschaften. Einfhrung in einkomplexes Wechselspiel. VSVerlag 2006.

    - Donna Haraway: When Species Meet. University ofMinnesota Press 2007.

    - Mieke Roseher: Ein Knigreich fr Tiere. Die Geschichteder britischen Tierrechtsbewegung. Tectum Verlag 2009.

    - Frank Thieme, Renate Brucker, Melanie Bujok, BirgitMtherich, Martin Seeliger (Hg): Die Mensch-Tier-Beziehung: Eine sozialwissenschaftliche Einfhrung.VS Verlag Januar 201l.

    - Leo Tolstoi, Clara Wichmann, Elisee Reclus und MagnusSchwantje: Das Schlachten beenden!: Zur Kritikder Gewalt an Tieren. Anarchistische, feministische,pazifistische und links sozialistische Traditionen.Graswurzelrevolution 2010.

    - Susann Witt-Stahl (Hg): Colin Goldner, MarcusHawel, Marco Maurizi und Gnther Rogausch.Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen.Beitrge zu einer kritischen Theorie fr dieBefreiung der Tiere. Alibri 2007.

    - Rolf Lappert: Auf den Inseln des letzten Lichts.Hanser 2010.

    - Isabella Rossellini: Green Porno. Schirmer/Mosel Verlag,2009.Die Kurzfilme dazu: www.sundancechannel.com/greenporno

    V eg eta ris ch es u nd veganes Kochen- Sandra Forster: Das Vegane Kochbuch. Blumenbar 2009.- Uschi Herzer, Joachim Hiller: Das Ox-Kochbuch. Vegeta-

    rische und vegane Rezepte nicht nur fr Punks. Band 4.Ventil Verlag. 2009

    - The Post Punk Kitchen. Die vegetarische und veganePunkrock-Kochshow mit Isa & Terry. www.theppk.com

    Websites- www.criticalanimalstudies.org- www.tierrechteportal.de- www.vegansofcolor.wordpress.com

    Belletr ist ik:- Karen Duve: Anstndig essen. Wie ich ver-

    suchte, ein besserer Mensch zu werden. EinSelbstversuch. Galiani Januar 2011.

    - Dietmar Dath. Die Abschaffung der Arten.Suhrkamp 2008.

    - Jonathan Safran Foer: Tiere essen. KiWi 2010.B laukop f - Junke r ve ten da rauf, s ic h an e in genet isc hvorbes t immt es Gesch lech t zu h a lten - s ie w e ch s eln es im Lau fih re s Le be ns ge rn e ma l.