dbb europathemenziel und die energieziele der union ambitionierter werden. bis 2030 müssen 45...

20
dbb europathemen 14. Jahrgang | Nr. 5/2019 Inhalt Gespräch mit Sven Giegold MdEP 2 Nach der Wahl 4 15 Thesen zum Ausgang der Europawahlen dbb in Europa 6 Europapolitische Weichenstellungen/ Digitale Behördengänge/ Zur Wahl/ Europäischer Rat verspielt Vertrauen/ Mehrheitsentscheidungen in der Sozialpolitik/ Vorausschauende Personal- politik/ Digitalisierung der Sicherheitsbehörden/ dbb lädt zum Netzwerken ein/ Paritätische Besetzung der Spitzenjobs/ Für die wehrhafte Demokratie Ticker 10 Neues von der CESI 16 Einwurf 18 Zur neuen strategischen Agenda der EU Brennpunkt 19 Populismus im epochalen Wandel Editorial Demografie, Globalisierung, Digitalisierung. Jahrelang Kri- sen in und um Europa. China, Russland, Trump und der Iran. Und bei nahe 40 Grad Celsius im Juni erscheint der men- schengemachte Klimawandel auch nicht mehr als abstrak- tes Problem. Wer ist angesichts all dessen schon ohne Sor- ge? Wer hat keine Angst? Politik und Eliten stehen in der Kritik - und damit auch der Staat und seine Ordnung und der europäische Staatenverbund sowieso. Offen über all das sprechen, Unsicherheit einräumen und doch Zuversicht ver- breiten. Das ist keine leichte Aufgabe und doch der richtige Weg. Immerhin tragen der öffentliche Dienst und seine Be- diensteten zum Erhalt der Stabilität bei. Sie sind zur Stelle, wenn der Gesetzgeber Neues ausprobiert, um die Zukunft lebenswert zu gestalten. Die Europäische Union tut nichts anderes. Das Gros der frisch gewählten EU-Abgeordneten und die Brüsseler Beamtinnen und Beamten versuchen je- den Tag Antworten auf die genannten Herausforderungen zu finden. Die Regierungen der Mitgliedstaaten stehen nun vor der Aufgabe, hinsichtlich Personals und Finanzen der Gemeinschaft Antworten zu finden. Kommission und Parla- ment sind dazu bereit, weite Teile der Zivilgesellschaft sind es auch. Mut und Offenheit sind jetzt gefragt. Ihre Redaktion Wer hat keine Angst? © Colourbox/ Konstantin Tavrov

Upload: others

Post on 07-Aug-2020

0 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Inhalt

Gespräch mit Sven Giegold MdEP 2

Nach der Wahl 4

15 Thesen zum Ausgang der Europawahlen

dbb in Europa 6

Europapolitische Weichenstellungen/ Digitale

Behördengänge/ Zur Wahl/ Europäischer Rat

verspielt Vertrauen/ Mehrheitsentscheidungen

in der Sozialpolitik/ Vorausschauende Personal-

politik/ Digitalisierung der Sicherheitsbehörden/

dbb lädt zum Netzwerken ein/ Paritätische

Besetzung der Spitzenjobs/ Für die wehrhafte

Demokratie

Ticker 10

Neues von der CESI 16

Einwurf 18

Zur neuen strategischen Agenda der EU

Brennpunkt 19

Populismus im epochalen Wandel

Editorial

Demografie, Globalisierung, Digitalisierung. Jahrelang Kri-sen in und um Europa. China, Russland, Trump und der Iran. Und bei nahe 40 Grad Celsius im Juni erscheint der men-schengemachte Klimawandel auch nicht mehr als abstrak-tes Problem. Wer ist angesichts all dessen schon ohne Sor-ge? Wer hat keine Angst? Politik und Eliten stehen in der Kritik - und damit auch der Staat und seine Ordnung und der europäische Staatenverbund sowieso. Offen über all das sprechen, Unsicherheit einräumen und doch Zuversicht ver-breiten. Das ist keine leichte Aufgabe und doch der richtige Weg. Immerhin tragen der öffentliche Dienst und seine Be-diensteten zum Erhalt der Stabilität bei. Sie sind zur Stelle, wenn der Gesetzgeber Neues ausprobiert, um die Zukunft lebenswert zu gestalten. Die Europäische Union tut nichts anderes. Das Gros der frisch gewählten EU-Abgeordneten und die Brüsseler Beamtinnen und Beamten versuchen je-den Tag Antworten auf die genannten Herausforderungen zu finden. Die Regierungen der Mitgliedstaaten stehen nun vor der Aufgabe, hinsichtlich Personals und Finanzen der Gemeinschaft Antworten zu finden. Kommission und Parla-ment sind dazu bereit, weite Teile der Zivilgesellschaft sind es auch. Mut und Offenheit sind jetzt gefragt.

Ihre Redaktion

Wer hat

keine Angst?

© C

olourb

ox/ Kon

stantin

Tavrov

Page 2: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Die letzten zehn

Jahre hat Deutsch-

land leider gebremst

Europathemen: Die Fraktion Die Grünen/Europäische Freie

Allianz verfügt vor allem wegen des sehr starken Wahler-

gebnisses in Deutschland über mehr Sitze im Europäischen

Parlament. Ist der Klimaschutz nur in Deutschland ein Top-

thema?

Giegold: Nein, auch in vielen anderen Ländern haben die

Grünen damit zulegen können. In Frankreich konnten wir

Grünen wie in Deutschland die Zahl der Sitze ungefähr ver-

doppeln. Weitere Zugewinne kommen aus den Niederlan-

den, Belgien und Irland. Als Grüne/EFA-Fraktion sind wir um

50 Prozent gewachsen. Aber den Wählerinnen und Wäh-

lern ging es nicht allein um das Klima. Die europaweit er-

höhte Wahlbeteiligung ist ein Auftrag, Europa zu stärken.

Es ist eine Abwahl der ständigen Blockaden europäischer

Politik durch die Berliner GroKo.

Europathemen: Wie wollen Sie die Menschen in Europa für

ein klimaschonenderes Verhalten gewinnen?

Giegold: Die Anreize heute sind klimafeindlich. Fliegen ist

durch Steuerbefreiung für Kerosin subventioniert obwohl

schädlich, Zugfahren ist besteuert obwohl klimafreundlich.

Auch das Buchen von Flügen ist einfacher als Zugfahren

quer durch Europa. Wir müssen die Anreize klimafreundlich

korrigieren und Nachtzüge als Alternative zu inner-

europäischen Flügen anbieten. CO2 muss endlich einen fai-

ren Preis bekommen mittels einer CO2-Steuer. Deren Ein-

nahmen wollen wir als Energiegeld an alle Bürgerinnen und

Bürger auszahlen. Damit wird ein durchschnittlicher Haus-

halt am Ende des Jahres sogar mehr in der Tasche haben.

Wer wenig fliegt und keinen dicken SUV fährt, hat am Ende

mehr, wer dem Klima schadet, muss dafür bezahlen.

Europathemen: Frankreich und andere EU-Partner halten

unbeirrt am Atomstrom fest, Polen an der Kohle. Wie wol-

len Sie die grünen Politikziele in Europa umsetzen?

Giegold: Der Erfolg der Grünen in Frankreich hat Macron

ankündigen lassen, er wolle grüner werden. Atomenergie

wird immer teurer. Erneuerbare Energie rechnet sich dage-

gen immer mehr, sobald sie Planungssicherheit bekommt.

Im einkommensschwachen Osten Polens, in der Wojewod-

schaft Podlasie, haben die von Warschau vernachlässigten

Bürger mit EU Geld Anlagen für Energie aus Sonne, Wind

und Biogas gebaut. Deren Erfolg wird mehr Aufmerksam-

keit schaffen. Bis Ende des Jahres muss die EU ihre Pläne

abgeben, wie wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens

erreichen können. Dafür müssen sich alle Länder bewegen.

Das gilt zuerst auch für Deutschland selbst. Denn die letz-

ten zehn Jahre hat Deutschland selbst leider gebremst und

die vorher durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gewon-

nene Führungsrolle wieder verloren.

Europathemen: Wie viel Zeit bleibt für den Aufbau einer

nachhaltigen Energieversorgung und für den Umbau der

Industrie zu einer deutlich weniger CO2 emittierenden Wirt-

schaft, um die Erderwärmung zu begrenzen?

Giegold: Um die Klimakrise einzudämmen und die globale

Erhitzung auf deutlich unter zwei, möglichst 1,5 Grad zu

begrenzen, müssen die CO2-Emissionen bis 2030 um min-

destens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Wir

wollen eine zu 100 Prozent erneuerbare und energieeffizi-

ente Europäische Union als Treiber für die internationale

Energiewende. Dafür müssen das europäische Klimaschutz-

ziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden.

Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir

beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

erneuerbar sein, und bis 2050 müssen es 100 Prozent sein.

Europathemen: Wie wollen Sie die aufgrund der menschen-

gemachten Erderwärmung drängende Zeit und die Zeit, die

Seite 2 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Gespräch

Sven Giegold ist seit 2009 Abgeordneter der Grüne/EFA Fraktion

des Europäischen Parlaments. Bei der Europawahl 2019 war er

wie schon fünf Jahre zuvor männlicher Spitzenkandidat seiner

Partei in Deutschland. Giegold war Mitbegründer von

Attac Deutschland und des Tax Justice Network. © Grüne/EFA, Giegold

Page 3: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

es für den ökologischen Umbau braucht, in eine Balance

bringen?

Giegold: Die "Wissenschaftler für Zukunft" haben es vor

kurzem noch mal dargelegt: Wir haben die technischen

Möglichkeiten bereits, um unser Klima vor dem Kollaps zu

bewahren. Ich sehe hier auch keinen Widerspruch, denn

technologische Umbrüche geschehen in einem immer

atemberaubenderen Tempo. Die Durchsetzung des Smart-

phones hat das eindrücklich gezeigt. Eine längerfristige Auf-

gabe ist dagegen der soziale Ausgleich, der durch die anste-

henden Umbrüche erforderlich wird. Aktuell kühlt sich die

Konjunktur ab, und Investitionen gegen einen Abschwung

werden notwendig. Damit ist ein doppelter Gewinn mög-

lich für Klima und die Bürgerinnen und Bürger, jetzt in die

ökologisch notwendige Transformation und damit in neue

Jobs zu investieren.

Europathemen: Was kann die EU tun, um die notwendigen

Rahmenbedingungen zu setzen?

Giegold: Für Europa brauchen wir ein intelligentes Strom-

netz, das die erneuerbaren Energien dezentral verknüpft

und überregional verbindet. Das zunehmende Angebot an

volatilem erneuerbarem Strom muss so auch über flexibel

steuerbaren Stromverbrauch clever vernetzt werden. Wir

wollen dabei zunächst den Schwerpunkt auf den dezentra-

len Ausbau setzen. Das ist eine große Chance für den ländli-

chen Raum. Dann braucht es aber auch zentrale europäi-

sche Strukturen mit Netzen und Speichern. Dabei muss

auch die Kopplung verschiedener Sektoren bedacht wer-

den, wenn Mobilität und Wärme mit der fortschreitenden

Stromwende zunehmend elektrifiziert werden. Um mehr

Speicherkapazitäten zu schaffen, setzen wir uns zudem für

ein Markteinführungsprogramm für Energiespeicher ein.

Europathemen: Wie viel Selbstbestimmung, Eigenverant-

wortung trauen Sie den EU-Bürgerinnen und Bürgern beim

Umwelt- und Klimaschutz zu?

Giegold: Bürgerinnen und Bürger, Kommunen und Regio-

nen, aber auch regionale Unternehmen und das Handwerk

sind entscheidende Akteure der Energiewende. Für eine

erfolgreiche und bürgernahe europäische Energie- und

Klimapolitik ist ihr Engagement unerlässlich. Die vielen, die

bereitstehen, brauchen keine Gängelung, sie brauchen Pla-

nungssicherheit. Wir wollen verhindern, dass die Chancen

allein von Großunternehmen und wenigen finanzstarken

Investoren genutzt werden – und den Menschen in den

Dörfern und Städten dann ohne Beteiligung Großprojekte

vor die Nase gesetzt werden. Eine Bürger*innen-Energie-

wende bricht monopolistische und oligopolistische wirt-

schaftliche Machtstrukturen auf. Bestehende Energie-

Kooperativen, Genossenschaften sowie Kommunen und

Regionen zeigen, dass nachhaltige Energieerzeugung in

Bürgerhand erfolgreich und profitabel ist.

Europathemen: Was kann der öffentliche Dienst für das

Erreichen der Klimaschutzziele tun?

Giegold: Auch wenn Investitionen für den Klimaschutz in

erster Linie von Unternehmen und privaten Haushalten

kommen müssen, kommt dem öffentlichen Dienst beim

Klimaschutz eine wichtige Rolle zu. Der Staat muss die rich-

tigen Rahmenbedingungen setzen, dass sich individuelles

ökologisches Verhalten auch rechnet. Eine besondere Auf-

gabe hat der Staat als Beschaffer: mit der richtigen Verwen-

dung von Steuergeldern kann er dafür sorgen, dass sich

nachhaltige Produkte auf dem Markt dauerhaft durchset-

zen. Auch bei der Bereitstellung von nachhaltiger Infra-

struktur kann der öffentliche Dienst mit den richtigen In-

vestitionen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Bereiche

wie die öffentliche Infrastruktur, Gesundheit und Bildung,

die nicht dem Wettbewerb ausgesetzt sind, sollten öffent-

lich organisiert werden. Dort, wo sie nichts bringen, braucht

es auch keine öffentlich-private Partnerschaften. Erfolgrei-

che private Anbieter, die heute öffentliche Funktionen erfül-

len, sollten dies aber auch weiter tun können.

Europathemen: Haben Sie Angst vor Entzauberung der Grü-

nen, wenn sie wieder Regierungsverantwortung in

Deutschland tragen?

Giegold: Ich habe Angst um unser Klima und viele Vögel,

Insekten und andere Tiere, die noch aussterben müssen, bis

wir einen Richtungswechsel bei der Agrar- und Energiepoli-

tik hinbekommen. Uns Grünen geht es in erster Linie ums

Handeln. Darüber hinaus ist es ja gar nicht so, dass politi-

sches Handeln grundsätzlich unpopulär macht. In Hessen

und Baden-Württemberg sind wir Grünen in der Regie-

rungsverantwortung sogar beliebter geworden.

Europathemen: Wie beurteilen Sie die Zusammensetzung

des neuen Parlaments? Wie gefährlich sind die Populisten?

Giegold: Das neue Europäische Parlament ist bunter als

zuvor. Das ist eine große Chance für politische Veränder-

ungen. Die alte große Koalition aus Christdemokraten und

Sozialdemokraten hat keine Mehrheit mehr. Es braucht die

Liberalen und uns Grüne, um zu einer tragfähigen Mehrheit

zu kommen. Mit unserem gestärkten Gewicht wollen wir

uns dabei einsetzen für den Klimaschutz, ein sozialeres Eu-

ropa und starke Bürgerrechte. Ob die ebenfalls gewachse-

nen Populisten an Einfluss gewinnen werden, hängt weni-

ger an den Populisten selbst, sondern daran, wie sehr die

pro-europäischen Fraktionen ihnen hinterherlaufen. Wir

Grünen werden das jedenfalls nicht tun.

Seite 3 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Gespräch

Page 4: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

15 Thesen

zum Ausgang der

Europawahlen von Otto Schmuck

Vom 23. bis 26. Mai 2019 fanden in den 28 EU-

Staaten zum neunten Mal Europawahlen statt.

427 Millionen Bürgerinnen und Bürger waren

teilnahmeberechtigt. Das neu gewählte Europäi-

sche Parlament wird am 2. Juli 2019 zu seiner

konstituierenden Sitzung zusammentreten.

1. Die Wahlbeteiligung war 2019 deutlich höher als fünf

Jahre zuvor: EU-weit lag sie bei 50,63 Prozent (2014: 43,1

Prozent). In Deutschland beteiligten sich 61,4 Prozent ge-

genüber 47,9 Prozent 2014.

2. Die höhere Wahlbeteiligung ist unter anderem auf die

stärkere Mobilisierung der Parteien zurückzuführen, die

konstruktiv an der weiteren Entwicklung arbeiten wollen.

Ihr Ziel war es, den Einfluss der Europagegner zu begren-

zen.

3. In Deutschland verloren die früher dominierenden Par-

teien CDU/CSU (28,9 Prozent) und SPD (15,8 Prozent) deut-

lich an Stimmen. Gewinner waren die Grünen (20,55 Pro-

zent), die AfD (11 Prozent) sowie zahlreiche Kleinparteien

(Die Partei, Freie Wähler, Tierschutz, ÖDP, Familien, Piraten,

VOLT), die insgesamt neun Abgeordnetensitze haben.

4. In Frankreich erhielt das von Marine Le Pen dominierte

Rassemblement National (früher Front National) 23,3 Pro-

zent, die Liste „La République en marche“ des Präsidenten

Emmanuel Macron 22,4 Prozent, die Grünen kamen auf

13,4 Prozent. Die früher stärksten Parteien Parti socialiste

(6,3 Prozent) und Les Républicains (8,5 Prozent) spielen

kaum noch eine Rolle.

5. Die Wahlbeteiligung in Polen wurde von 22,7 auf 45,7

Prozent verdoppelt. Hier wurde die regierende europakriti-

sche Partei PIS (Recht und Gerechtigkeit) mit 45,4 Prozent

stärkste Kraft, gefolgt von dem Wahlbündnis „Europäische

Koalition (unter anderen die Bürgerplattform) mit 38,5

Prozent.

6. In Ungarn war die regierende europakritische Partei FI-

DESZ mit 52,6 Prozent der deutliche Gewinner der Wahl.

7. Besonders umstritten war die Durchführung der Wahl

im Vereinigten Königreich wegen des beschlossenen und

bis Ende Oktober verschobenen Brexit. Nur wenige Wo-

chen vor dem Wahltermin fiel die Entscheidung zur Teil-

nahme. Es nahmen 36,9 Prozent der Berechtigten teil.

Wahlgewinner wurde die Brexit-Partei von Nigel Farage

mit 31,5 Prozent. Als zweitstärkste Kraft erwiesen sich die

proeuropäischen Liberaldemokraten mit 19,6 Prozent. La-

bour landete auf dem dritten Platz (13,7 Prozent), die Grü-

nen bei 11,8 Prozent. Die regierenden Konservativen erhiel-

ten nur 8,8 Prozent.

8. Die Entscheidungsfindung im neuen Parlament wird

deutlich erschwert werden. Das Europäische Parlament ist

mit acht Fraktionen deutlich stärker fragmentiert als bis-

her. Die beiden großen Fraktionen haben mit insgesamt

335 der 751 Abgeordneten keine Mehrheit. Dadurch wer-

den neue Koalitionsbildungen zu Sachthemen mit den Fak-

tionen der erstarkten Grünen und der Liberalen (New Euro-

pe, früher ALDE) notwendig.

9. Die Europagegner haben zugenommen, aber nicht in

dem befürchteten Ausmaß. Sie sind in vier Fraktionen mit

sehr unterschiedlicher Ausrichtung organisiert und verfü-

gen zusammen über 220 Stimmen, das heißt über knapp

30 Prozent der Sitze.

10. Kontrovers diskutiert wird derzeit das Festhalten am

Prinzip der Spitzenkandidaten. Dies macht nach Auffas-

sung vieler Beteiligter erst dann Sinn, wenn transnationale

Listen die Chance geben, diese Personen in allen EU-

Staaten auch zu wählen. Befürchtet wird, dass dieses Prin-

zip bei einem Abrücken in der derzeitigen Situation bei

künftigen Europawahlen keine Rolle mehr spielen wird, da

es den Wählern dann nicht mehr vermittelbar ist.

11. Offensichtlich ist es bisher keinem der Spitzenkandida-

ten gelungen, eine Mehrheit im Parlament sowie im Euro-

päischen Rat zu organisieren. Derzeit ist völlig offen, ob

Manfred Weber, Frans Timmermans oder Margrethe

Vestager das Amt des Kommissionspräsidenten überneh-

men kann. Gehandelt werden auch die Namen von Brexit-

Chefverhandler Michel Barnier und IWF-Direktorin Christi-

ne Lagarde.

Seite 4 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Nach der Wahl

Page 5: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

12. Die Besetzung des Postens des Kommissionspräsident-

en wird im Paket verhandelt mit den Ämtern Parlaments-

präsident, Präsident des Europäischen Rats, Hoher Beauf-

tragter für die Außenpolitik und Kommissionsvizepräsident,

Direktor der EZB. Dabei muss ein Ausgleich gefunden wer-

den zwischen regionaler Ausgewogenheit, Zugehörigkeit

zu Parteienfamilien und Verhältnis Mann/Frau.

13. Ein Machtkampf zwischen EP und Europäischem Rat

zeichnet sich ab. Der Europäische Rat hat ein Vorschlags-

recht für den Kommissionspräsidenten/ die Kommissions-

präsidentin, das Parlament wählt dann auf der Grundlage

des Vorschlags, es kann seine Zustimmung verweigern,

dann muss der Europäische Rat erneut vorschlagen.

14. Die erste Aufgabe der neuen Kommission wird es sein,

ein Arbeitsprogramm vorzulegen und im Parlament zur

Abstimmung zustellen. Dabei wird es neben Sachthemen

auch um den Finanzrahmen 2021-2027 gehen.

15. Die Europapolitik bleibt spannend.

Fraktionsbildung im Europäischen Parlament

Fraktion Sitze Differenz Vertretene Parteien (Auswahl)

EVP 182 -35 CDU/CSU (29)

S&D 153 -34 SPD (16)

RE (Renew Europe +ALDE) 108 +40 FDP (5), FW (2), République en Marche (21+2)

Grüne/EFA 75 +23 Grüne (21), Partei (1), Volt (1), ÖDP (1)

ID (Identität und Demokratie) 73 +36 AfD (11), RN (F/Le Pen - 22+1) Lega (28+1); FPÖ (3)

EKR (Konservative + Reformisten) 62 -12 PIS (28), Tories (4), Familienpartei (1)

EFDD (Europe of Freedom and

direct democracy) 43 +2 MI5 (14), Brexit (18)

GUE/NGL(United Left/Nordic Green) 41 -11 Linke (5)

Fraktionslose / Sonstige 14 - 9

Quelle: Dr. Otto Schmuck nach Angaben des Europäischen Parlaments, Stand: 27.06.2019

>>> Mehr zu den Europawahlen 2019

Seite 5 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Nach der Wahl

Dr. Otto Schmuck leitete bis zu seiner Pensionierung im Jahr

2018 über viele Jahre die Europaabteilung der rheinland-

pfälzischen Landesvertretung in Berlin. Heute ist Schmuck in

der Erwachsenenbildung für das Europahaus Marienberg

sowie als Lehrbeauftragter an der Universität Speyer tätig. Er

ist Vizepräsident der Union Europäischer Föderalisten (UEF),

ist Mitglied des Vorstands der Europäischen Bewegung

Deutschland (EBD) und des Präsidiums der überparteilichen

Europa-Union Deutschland. © EUD, Gerolf Mosemann

Page 6: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Der dbb Bundeshauptvorstand, das höchste Ge-

werkschaftsorgan zwischen den Gewerkschafts-

tagen verabschiedete Anfang Juni mehrere euro-

papolitische Entschließungen.

Nationale Haushaltspolitik, Europa und öffentliche Dienste

„(…) Der dbb sieht in vielen EU-Staaten, vor allem auch in

Deutschland selbst, dringenden Investitionsbedarf unter

anderem in den Bereichen Bildung, innere und äußere Si-

cherheit, Klimaschutz, Mobilität und Transport sowie Ge-

sundheit und Pflege. Der dbb fordert, dass dieser Investiti-

onsstau aufgelöst wird.

Der dbb erwartet, dass die langfristigen Kosten einer un-

terfinanzierten öffentlichen Infrastruktur in die haushalts-

politischen Projektionen einbezogen werden. Wo der regu-

latorische Rahmen, gleich auf welcher Ebene, einem effek-

tiven Mitteleinsatz für leistungsstarke öffentliche Dienste

im Wege steht, spricht der dbb sich für Gesetzesvereinfa-

chung aus. (…)“

>>> Mehr

Europäisches Semester: Für eine bessere sozialpartner-

schaftliche Beteiligung auf nationaler Ebene

„(…) Zusätzlich möge der dbb das Bundesministerium des

Innern auf politischer wie auch auf Arbeitsebene für einen

fortgesetzten gemeinsamen Dialog zum Europäischen Se-

mester gewinnen, in dem ausschließlich die Belange des

öffentlichen Dienstes betrachtet werden, also Auswirkun-

gen von Länderberichten und Empfehlungen auf densel-

ben. (…)“

>>> Mehr

Erwartungen an das neu gewählte Europäische Parlament

„(…) Der dbb fordert das Parlament auf, bei allen relevan-

ten Rechtsakten, insbesondere in Bezug auf den Binnen-

markt und seine Freiheiten, aber auch bei seiner Zustim-

mung zu Handelsverträgen stets auf die Besonderheiten

des öffentlichen Dienstes zu achten. (…)“

>>> Mehr

Tagung des dbb Bundeshauptvorstands am 27. Mai © Angelika Knäble

Beschlussfassung in der EU-Steuerpolitik

„(…) Der dbb unterstützt das Vorhaben der Europäischen

Kommission, in der Beschlussfassung im Rat der Europäi-

schen Union in Steuerfragen von der Einstimmigkeit auf

die qualifizierte Mehrheit überzugehen.

Der dbb betont, dass dabei im Sinne der Subsidiarität keine

neuen Zuständigkeiten in Steuerfragen auf EU-Ebene be-

gründet werden dürfen. (…)“

>>> Mehr

Öffentlicher Dienst und öffentlich Bedienstete und die

freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland

und Europa

„(…) Der dbb unterstützt die Forderung nach einem euro-

päischen Demokratiesemester, das analog zum Europäi-

schen Semester der wirtschaftspolitischen Koordinierung

die demokratischen Standards in den EU-Mitgliedstaaten

überwacht. (…)

(…) Der dbb fordert den Einsatz aller demokratischen Par-

teien für gut funktionierende öffentliche Dienste und

Dienstleistungen, damit die Bürgerinnen und Bürger sich

nicht frustriert vom Staat abwenden. (…)“

>>> Mehr

Seite 6 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

dbb in Europa

Europapolitische Weichenstellungen

Page 7: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Deutschland bei digitalen Behördengängen

fast Schlusslicht

Laut dem jüngsten Bericht der EU-Kommission zum digita-

len Fortschritt in den EU-Staaten rangiert Deutschland bei

digitalen Behördengängen mittlerweile nur noch auf Platz

26 von 28. Für dbb Chef Ulrich Silberbach in jeder Hinsicht

ein desolater Befund. „Keine messbaren Fortschritte beim

E-Government, beim Breitbandausbau auf Platz elf abge-

rutscht – erneut hat man uns von höchster Stelle beschei-

nigt, dass wir in Sachen Digitalisierung nur Mittelmaß in

Europa sind", kommentierte Silberbach die Ergebnisse

des Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäi-

schen Kommission.“

>>> Weiterlesen

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Gemeinsam mit anderen Verbänden zeichnete der dbb

nach der Europawahl einen von der Europäischen Bewe-

gung Deutschland initiierten Aufruf. Darin heißt es unter

anderem, das Europäische Parlament sei das einzige direkt

gewählte EU-Organ. Für die Nominierung der neuen Kom-

missionsspitze müsse eine Parlamentsmehrheit der Kom-

pass für die Staats- und Regierungschefs sein. Die stellver-

tretende dbb Bundesvorsitzende Kirsten Lühmann, SPD-

Bundestagsabgeordnete und Mitglied im EBD-Vorstand,

erklärte zudem, die neue EU-Kommission müsse paritä-

tisch mit Männern und Frauen besetzt werden.

>>> Weiterlesen

Spitzenkandidaten vor dem Aus

Der Europäische Rat verspielt Vertrauen

„Wenn die EU vom Prinzip der Spitzenkandidaten abkehrt,

geht ein wichtiger Bestandteil zu mehr Bürgernähe verlo-

ren“, mahnt Dietmar Knecht, der Vorsitzende der der dbb

Grundsatzkommission für Europa. So viele EU-Bürgerinnen

und Bürger wie lange nicht mehr seien zur Europawahl

gegangen, erklärte Knecht, der auch Chef des dbb Landes-

bundes Mecklenburg-Vorpommern ist. „Sie haben erwar-

tet, mit ihrer Stimme Einfluss auf das Amt des Kommissi-

onspräsidenten zu nehmen“, so Knecht weiter. „Ihnen

droht nun eine herbe Enttäuschung.“

>>> Weiterlesen

Seite 7 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

dbb in Europa

© Jan Brenner, 2019

© Jan Brenner, 2019

© Jan Brenner, 2019

Page 8: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Mehrheitsentscheidungen in der Sozialpolitik

Die EU-Kommission hat sich für den Übergang zu Mehr-

heitsentscheidungen in der Sozialpolitik ausgesprochen.

Friedhelm Schäfer, Zweiter Vorsitzender des dbb, hält die-

ses Vorgehen für verfrüht. Die Sozialpolitik gehört nicht

nur zum Kernbereich der nationalen Souveränität“, beton-

te Schäfer am 21. Juni 2019 in Berlin, „sie stiftet darüber

hinaus Identität für die Mitgliedstaaten.“ Erst wenn die

Lebensverhältnisse im Binnenmarkt sehr viel gleichwerti-

ger seien, könne ein solcher Schritt erfolgen, so der Fach-

vorstand Beamtenpolitik weiter. „Für Mehrheitsentschei-

dungen in allen Bereichen der Sozialpolitik ist es schlicht

und ergreifend zu früh.“

>>> Weiterlesen

Vorausschauende Personalpolitik unabdingbar

Der Bundesvorsitzende der komba Gewerkschaft, Andreas

Hemsing, sieht in der Digitalisierung und im Fachkräfte-

mangel die größten Herausforderungen für die öffentli-

chen Dienste in den EU-Mitgliedstaaten, besonders für die

kommunalen Verwaltungen. Hemsing sprach sich am 4.

Juni 2019 vor den Berufsräten für Verwaltung der unab-

hängigen Gewerkschaften in Europa (CESI) für flexiblere

und europaweit anerkannte Ausbildungsabschlüsse aus.

„Gerade in den Grenzräumen tun wir gut daran, diesen

besonderen Arbeitsmarkt europäisch zu öffnen", so der

komba Chef.

>>> Weiterlesen

Digitalisierung der Sicherheitsbehörden

„Wir müssen die Informationsarchitektur der Polizei drin-

gend modernisieren und von Vornherein europäisch anle-

gen“, sagt Rainer Wendt. Der Bundesvorsitzende der Deut-

schen Polizeigewerkschaft (DPolG) drängt auf Fortschritte

bei der digitalen Vernetzung der Sicherheitsbehörden von

Bund und Ländern. „Die Politik muss die Saarbrücker Agen-

da und das Programm „Polizei 2020“ zügig umsetzen und

darf dabei die grenzübergreifende Zusammenarbeit mit

den europäischen Nachbarn und Partnern nicht aus dem

Auge verlieren. Deutsche Insellösungen wären der falsche

Weg“, zeigt Wendt sich überzeugt.

>>> Weiterlesen

Seite 8 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

dbb in Europa

© Marco Urban, 2019

© Jan Brenner, 2019

© Jan Brenner, 2019

Page 9: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

dbb lädt zum Netzwerken in Brüssel ein

Am 4. Juni 2019 fand der erste Brüsseler dbb Treff statt. 30

deutsche Beschäftigte von Bund und Ländern nahmen an

dem Netzwerktreffen teil, zu dem der Vizepräsident des

Europäischen Parlaments Rainer Wieland eingeladen hat-

te. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sprachen mit

Wieland über die Folgen der Europawahlen und tauschten

sich in lockerer Runde über Themen aus, die sie als Be-

schäftigte des öffentlichen Diensts auf Posten bei der Euro-

päischen Union (EU), in den EU-Vertretungen der Bundes-

länder oder in nationalen Behörden beschäftigen. Weitere

Treffen sind für den Herbst geplant. In der Zwischenzeit

soll es weitere Angebote für den Austausch geben.

>>> Weiterlesen

Paritätische Besetzung der Spitzenjobs

„Eine paritätische Besetzung der europäischen Spitzenjobs

sowie der Europäischen Kommission können wir als dbb

bundesfrauenvertretung nur unterstützen“, sagte die Vor-

sitzende der bundesfrauenvertretung, Helene Wildfeuer,

am 5. Juni in Berlin. „Wir fordern Parität in den Parlamen-

ten und Paritätsgesetze, deshalb ist die europäische Ebene

nur die logische Erweiterung. In einem offenen Brief for-

dern die weiblichen Vorstandsmitglieder der Europäischen

Bewegung Deutschland (EBD) Bundeskanzlerin Angela

Merkel auf, sich dafür einzusetzen, dass 50 Prozent der EU-

Spitzenjobs mit Frauen besetzt werden.

>>> Weiterlesen

Für die wehrhafte Demokratie

dbb Chef Ulrich Silberbach und Bayerns Finanzminister

Albert Füracker warnen vor dem Erstarken der politischen

Ränder in Europa. „Die demokratischen Parteien müssen

wieder näher an die Menschen rücken, sonst verlieren sie

die politische Mitte der Gesellschaft", sagte der dbb Bun-

desvorsitzende Silberbach am 27. Mai in Starnberg. Der

Bayerische Finanzminister Füracker unterstrich in diesem

Zusammenhang: „Die Toleranz der Demokraten darf nicht

dazu führen, dass die Intoleranten am Ende über die Tole-

ranten regieren." Die hohe Wahlbeteiligung bei der Euro-

pawahl zeige jedoch, dass die Demokratie in der Breite der

Bevölkerung fest verankert sei.

>>> Weiterlesen

Seite 9 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

dbb in Europa

© Jan Brenner, 2019

v.l.n.r. Volker Geyer, dbb Vize und Fachvorstand Tarifpolitik,

Rolf Habermann, Chef des Bayerischen Beamtenbundes BBB,

Albert Füracker, Ulrich Silberbach sowie Friedhelm Schäfer,

Zweiter dbb Vorsitzender und Fachvorstand Beamtenpolitik

© Angelika Knäble

Im Vordergrund: Rainer Wieland

© Christian Moos, 2019

Page 10: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Europäisches Semester 2019

Am 5. Juni kam das Europäische Semester 2018/2019 zum

Abschluss. Die länderspezifischen Empfehlungen 2019

fordern die Mitgliedstaaten auf, „die in den vergangenen

Jahren durch wirkungsvolle Reformen, passgenaue Investi-

tionsstrategien und eine verantwortungsvolle Haushalts-

politik erzielten Fortschritte auszubauen und diesen Weg

zu einer erfolgreichen Modernisierung der europäischen

Wirtschaft weiter zu beschreiten“. Sie spiegeln die Prioritä-

ten wider, die vor dem Hintergrund nachlassenden Wirt-

schaftswachstums im Jahreswachstumsbericht 2019 und

in der im November abgegebenen Empfehlung zur Wirt-

schaftspolitik des Euro-Währungsgebiets für 2019 darge-

legt wurden. Die Empfehlungen stützen sich auf eine ein-

gehende Analyse der im Februar veröffentlichten Länder-

berichte und die Bewertung der im April vorgelegten natio-

nalen Programme. Deutschland wird mit Blick auf ökono-

mische Ungleichgewichte weiterhin für seine hohen Über-

schüsse kritisiert. Italien kann sich wegen seines hohen

Schuldenstandes auf ein Defizitverfahren einstellen. An

Ungarn und Rumänien wurde eine Verwarnung gerichtet.

>>> Mehr

Empfehlungen für Deutschland

Die länderspezifischen Empfehlungen für Deutschland

sprechen sich für mehr Investitionen vor allem auf regiona-

ler und kommunaler Ebene aus. Investitionsbedarf sieht

die EU für Bildung, Forschung und Innovation, Digitalisie-

rung und Breitbandnetze mit sehr hoher Kapazität, nach-

haltigen Verkehr sowie für Energienetze und bezahlbaren

Wohnraum. Der Faktor Arbeit soll steuerlich entlastet und

die Besteuerung auf Quellen verlagert werden, die ein in-

klusives und nachhaltiges Wachstum fördern. Für regle-

mentierte Berufe empfiehlt der Rat mehr Wettbewerb.

Fehlanreize, die einer Aufstockung der Arbeitszeit entge-

genwirken, darunter auch die hohe Steuer- und Abgaben-

belastung, gelte es zu verringern. Darüber hinaus soll

Deutschland Maßnahmen einleiten, um die langfristige

Tragfähigkeit des Rentensystems zu sichern und dabei ein

angemessenes Rentenniveau aufrechterhalten. Deutliche

Kritik gibt es an der Leistungsfähigkeit des deutschen Bil-

dungssystems. Die EU bemängelt den Lehrermangel und

fehlende Chancengleichheit.

>>> Mehr

Seite 10 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Ticker

EU-Vizepräsident Valdis Dombrowskis (2. v.l.):

„Wir fordern alle Mitgliedstaaten auf, sich mit neuer Energie für eine bessere

Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften und ein sowohl nachhaltiges als auch

inklusives Wachstum einzusetzen“. © European Union, 2019—Jennifer Jacquemart

Page 11: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Juncker zieht Bilanz und gibt Empfehlungen

Kurz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament, zum

Ende seiner Amtszeit als Kommissionspräsident, zog Jean-

Claude Juncker Anfang Mai anlässlich des Gipfeltreffens

von Sibiu Bilanz. Trotz „unvorhergesehener Ereignisse“ und

weiterhin großer Herausforderungen gebe es greifbare

Ergebnisse für die Bürgerinnen und Bürger. Bis zum Som-

mer 2018 habe die Kommission alle zu Amtsbeginn ange-

kündigten Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Insge-

samt legte die Juncker-Kommission 471 neue Legislativvor-

schläge vor und führte mehr als 44 Vorschläge weiter, die

von früheren Kommissionen eingebracht worden waren.

348 dieser Vorschläge wurden im Laufe der Amtszeit der

Juncker-Kommission vom Europäischen Parlament und

vom Rat angenommen oder gebilligt. Die Bilanz der Kom-

mission lädt zu einer kritischen Lektüre ein. 20 Informati-

onsblätter der Kommission geben einen Überblick über die

Umsetzung ihrer politischen Prioritäten. Junckers schei-

dende Kommission richtet den Blick nicht nur zurück.

Pünktlich zum Gipfel von Sibiu am 9. Mai veröffentlichte

sie auch strategische Empfehlungen für die Zeit bis 2025.

>>> Mehr

Kapitalmarktunion: Für private Altersvorsorge

entsteht ein europaweiter Markt

Der Rat hat am 14. Juni zwei zentrale Reformen im Rah-

men der Kapitalmarktunion angenommen. Zum einen

handelt es sich dabei das „paneuropäische Rentenpro-

dukt“ (PEPP). Mit der PEPP-Verordnung wird ein neuer Typ

eines freiwilligen privaten Altersvorsorgeprodukts geschaf-

fen. Es ist europaweit einheitlich gestaltet und kann von

unterschiedlichsten Stellen angeboten werden, etwa von

Versicherungsunternehmen, Banken, Einrichtungen der

betrieblichen Altersversorgung, Investmentfirmen und

Vermögensverwaltern. Die Anbieter können einen "EU-

Produktpass" nutzen, um die PEPP in verschiedenen Mit-

gliedstaaten zu vertreiben. Die EU-Kommission versichert,

mit den Pensionsprodukten werde eine neue, europaweite

Sparmöglichkeit geschaffen, die die gesetzliche, betriebli-

che und nationale Altersvorsorge ergänze. Die PEPP wird

zwischen den Mitgliedstaaten übertragbar sein. Zudem

einigte sich der Rat darauf, den grenzüberschreitenden

Vertrieb von Investmentfonds zu erleichtern, indem beste-

hende regulatorische Hindernisse beseitigt und die Ver-

triebskosten gesenkt werden.

>>> Mehr

Neues EU-Sozialrecht kann in Kraft treten

Auf ihrem Ratstreffen vom 13./14. Juni nahmen die Arbeits

- und Sozialminister der EU-Mitgliedstaaten (EPSCO-Rat)

eine Reihe von Rechtsakten und Schlussfolgerungen an.

Darunter die mit ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt

unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltende Verordnung

über eine neue Europäische Arbeitsbehörde und die nach

einer Übergangsfrist in nationales Recht umzusetzenden

Richtlinien „über transparente und verlässliche Arbeitsbe-

dingungen“ sowie zur „Vereinbarkeit von Beruf und Privat-

leben für Eltern und pflegende Angehörige“. Auf dem Rats-

treffen nahmen die Minister auch Schlussfolgerungen zum

Gender Pay Gap an. Darin wird die Gleichheit von Frau und

Mann als fundamentalen, in den Verträgen verankerten

Grundsatz der EU betont. Die Mitgliedstaaten werden auf-

gerufen, ihre Maßnahmen zu dessen Verwirklichung zu

überprüfen und erforderlichenfalls zu verbessern. Die Mi-

nister berieten auch über den Wandel der Arbeitswelt,

neue Formen der Arbeit wie etwa in der digitalen Platt-

formwirtschaft. Sie zogen Schlussfolgerungen zu gemein-

samen Standards in Bezug auf den Gesundheits- und den

Arbeitsschutz, die Digitalisierung, besonders den Einsatz

künstlicher Intelligenz.

>>> Mehr

Digitalisierung in Europa

Anfang Juni veröffentlichte die EU-Kommission die Ergeb-

nisse des diesjährigen Index für die digitale Wirtschaft und

Gesellschaft (DESI). Mit diesem Index werden die allgemei-

ne Leistung Europas im Bereich der Digitalisierung gemes-

sen und die Fortschritte der EU-Mitgliedstaaten bei der

digitalen Wettbewerbsfähigkeit beobachtet. Im Bereich

der digitalen öffentlichen Dienste war im Zeitraum 2014-

Seite 11 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Ticker

Noch bis 31. Oktober an der Spitze der

Europäischen Kommission: Jean-Claude Juncker © European Union, 2019, Etienne Ansotte

Page 12: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

2019 dort eine Angleichung zwischen den Mitgliedstaaten

festzustellen. 64 Prozent der Internetnutzer, die bei der

öffentlichen Verwaltung Formulare einreichen, verwenden

hierfür inzwischen Online-Kanäle. Bei der Nutzung der di-

gitalen öffentlichen Dienste einschließlich elektronischer

Gesundheitsdienste lagen Finnland und Estland an der

Spitze. Die Länder, die sich im Einklang mit der EU-

Strategie für einen digitalen Binnenmarkt ehrgeizige Ziele

gesetzt und diese mit entsprechenden Investitionen kom-

biniert haben, konnten in relativ kurzer Zeit ihre Leistungs-

fähigkeit verbessern. Die größten EU-Volkswirtschaften

gehören nicht zur Spitzengruppe.

>>> Mehr

Die für digitale Wirtschaft und Gesellschaft zuständige

EU-Kommissarin Mariya Gabriel erklärte: „Der diesjährige

Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft zeigt, dass der

digitale Wandel beschleunigt werden muss, damit die EU

weltweit wettbewerbsfähig bleibt.“ © European Union, 2019, Adam Berry

Impulse für digitale Innovation

Der Rat hat am 6. Juni neue Vorschriften für offene Daten

und die Weiterverwendung von Daten des öffentlichen

Sektors angenommen. Dieser Schritt soll die europäische

Datenwirtschaft fördern, zur Entwicklung einer datenge-

stützten Gesellschaft beitragen und das Wachstum und

die Schaffung von Arbeitsplätzen in allen Wirtschaftsberei-

chen anregen. Mit der neuen Richtlinie wird der Geltungs-

bereich der Vorschriften für die Weiterverwendung von

Informationen des öffentlichen Sektors erweitert, sodass er

nicht nur öffentliche Stellen, sondern auch öffentliche Un-

ternehmen aus den Bereichen Verkehr und Versorgung

erfasst. Am 7. Juni teilte die EU-Kommission zudem mit,

dass acht Standorte für Hochleistungsrechenzentren in der

gesamten EU für den Betrieb der ersten europäischen Su-

percomputer ausgewählt worden sind. Diese Standorte

befinden sich in Bulgarien, Finnland, Italien, Luxemburg,

Portugal, Slowenien, Spanien und der Tschechischen Re-

publik.

>>> Mehr

Vollendung der Bankenunion: Weniger faule

Kredite im Euroraum

Der am 12. Juni von der EU-Kommission vorgelegte vierte

Fortschrittsbericht über den Abbau notleidender Kredite

dokumentiert einen Rückgang notleidender Kredite in der

Wirtschafts- und Währungsunion. Die Zahl dieser „faulen“

Kredite habe sich seit 2014 mehr als halbiert, sie nehme

weiter ab und nähere sich dem Vorkrisenstand von

2007/2008. Ihr Anteil lag 2018 noch bei 3,3 Prozent aller

vergebenen Darlehen. Die Minderung der Risiken durch

notleidende Kredite ist eine zentrale Voraussetzung für die

Vollendung der Bankenunion, vor allem für eine gemeinsa-

me europäische Einlagensicherung (EDIS). In einer weite-

ren Mitteilung zur Vertiefung der Wirtschafts- und Wäh-

rungsunion fordert die Kommission die EU-Staats- und

Regierungschefs auf, die Änderungen am Vertrag zur Ein-

richtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zum

Abschluss zu bringen und sich mit Nachdruck für die Voll-

endung der Bankenunion einzusetzen.

>>> Mehr

Polnische Regierung verletzt richterliche Unab-

hängigkeit

Zu diesem klaren Ergebnis kommt der Europäische Ge-

richtshof (EuGH) mit seinem Urteil in einem Vertragsver-

letzungsverfahren der EU-Kommission gegen Polen. Ein

polnisches Gesetz vom 3. April 2018 senkte das Ruhe-

standsalter für Richter auf 65 Jahre ab. Gleichzeitig räumte

das Gesetz dem Justizminister das Recht ein, diese Alters-

grenze in Einzelfällen aufzuheben. Der Gerichtshof ent-

schied, dass die neuen polnischen Ruhestandsregelungen

für Richter nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

„Demzufolge stellt der Gerichtshof fest, dass die Anwen-

dung der Herabsetzung des Ruhestandsalters auf amtie-

rende Richter des Obersten Gerichts nicht durch ein legiti-

mes Ziel gerechtfertigt ist und den Grundsatz der Unab-

setzbarkeit der Richter beeinträchtigt, der untrennbar mit

ihrer Unabhängigkeit verknüpft ist.“ Die EU-Kommission

hatte in einem so genannten Rechtsstaatsverfahren Klage

gegen den Mitgliedstaat erhoben.

>>> Mehr

Seite 12 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Ticker

Page 13: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

EuGH-Urteil zu Dienstalterszulagen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am 20. Juni

in einem spanischen Vorabentscheidungsersuchen des

Verwaltungsgerichts Pamplona, dass befristet angestellte

Lehrerinnen und Lehrer einen Anspruch auf Dienstalterszu-

lagen haben wie „beamtete“ Lehrer. Ein befristet angestell-

ter spanischer Lehrer hatte gegen die Schulverwaltung von

Navarra geklagt. Ihm stehe die Besoldungsstufenzulage zu,

die verbeamtete Lehrer mit dem gleichen Dienstalter er-

halten. Der EuGH hat den Kläger nun in seiner Rechtsau-

fassung bestätigt. Der EuGH stützt sich dabei auf die Rah-

menvereinbarung der europäischen Sozialpartner über

befristete Arbeitsverträge Diese verbietet es, befristet be-

schäftigte Arbeitnehmer in Bezug auf ihre Beschäftigungs-

bedingungen gegenüber Dauerbeschäftigten in einer ver-

gleichbaren Situation allein aufgrund der Befristung ihrer

Beschäftigung schlechter zu behandeln, es sei denn, die

unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen

gerechtfertigt. Der EuGH urteilte nun, diese Rahmenver-

einbarung stehe einer nationalen Regelung entgegen, die

verbeamteten Lehrern, nicht aber Lehrern, die als Vertrags-

bedienstete in der öffentlichen Verwaltung befristet be-

schäftigt sind, eine Vergütungszulage gewährt, sofern die-

se Zulage sich einzig auf das Dienstalter beziehe.

>>> Mehr

Aus für die deutsche Pkw-Maut

Mit seiner Entscheidung vom 18. Juni sorgte der Europäi-

sche Gerichtshof (EuGH) für Überraschung in Berlin und

München. Die deutsche Vignette für Bundesfernstraßen,

deren Einführung auf Wunsch der CSU beschlossen wurde,

ist europarechtswidrig. Das ist, wie Bundesverkehrsminis-

ter Andreas Scheuer (CSU) in Berlin sagte, nicht nur das

rechtliche, sondern auch das politische Aus dieses Projekts.

Die Schlussanträge des Generalanwalts und eine Einschät-

zung der Kommission hatten allerdings ein anderes Urteil

erwarten lassen. Die EuGH-Richter entschieden, dass die

Infrastrukturabgabe eine mittelbare Diskriminierung aus

Gründen der Staatsangehörigkeit darstellt und gegen die

Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien

Dienstleistungsverkehrs verstößt. Die Steuerentlastung bei

der Kraftfahrzeugsteuer, die den Haltern von in Deutsch-

land zugelassenen Fahrzeugen zugutekommen sollte, dis-

kriminiere Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaa-

ten zugelassenen Fahrzeugen. Geklagt hatte Österreich.

>>> Mehr

Subvention für umweltfreundlichere Diesel ge-

nehmigt

Die Bundesrepublik Deutschland will Fördermittel in Höhe

von insgesamt 431 Millionen Euro für die Nachrüstung

kommunaler und gewerblicher Dieselfahrzeuge bereitstel-

len. In dieser Höhe war dieses Vorhaben genehmigungs-

pflichtig durch die EU-Kommission, die zu prüfen hat, ob

größere Subventionen mit den europäischen Beihilfevor-

schriften vereinbar sind oder ob sie zu Wettbewerbsverzer-

rungen im Binnenmarkt führen und deshalb zu verbieten

sind. Die Kommission geht davon aus, dass diese Maßnah-

me zum Erreichen gemeinsamer europäischer Umweltziele

beiträgt und den Wettbewerb „nicht übermäßig“ ver-

fälscht. Das deutsche Sofortprogramm „Saubere Luft 2017-

2020“ soll zu einer möglichst raschen Senkung der Stick-

oxidemissionen beitragen. Die Mittel stehen den 60 Kom-

munen für Nachrüstungen ihrer Dieselfahrzeuge zur Ver-

fügung, die die höchsten Stickstoffwerte in der Luft auf-

weisen.

>>> Mehr

Seite 13 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Ticker

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager,

hier mit ihrem deutschen Kollegen Günther Oettinger,

erklärte am 19. Juni: „Die drei Regelungen bieten für die

Fahrzeugbetreiber in den am stärksten belasteten deutschen

Städten gute Anreize, in umweltfreundlichere Fahrzeuge

zu investieren. Dies ist ein anschauliches Beispiel dafür,

wie die Mitgliedstaaten neue Maßnahmen zur Verringerung

der Luftverschmutzung einführen können, die mit unseren

Vorschriften und unserem gemeinsamen europäischen Ziel

der saubereren Luft für alle im Einklang stehen.“ © European Union, 2019, Etienne Ansotte

Page 14: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Perspektiven der EU-Erweiterung

Der Rat der Europäischen Union bekräftigte am 18. Juni

sein „Bekenntnis zur Erweiterung“ insbesondere der West-

balkan-Staaten. Diese stelle „eine strategische Investition

in Frieden, Demokratie, Wohlstand, Sicherheit und Stabili-

tät in Europa“ dar. Die Kandidatenländer müssen jedoch

„Eigenverantwortung“ übernehmen und die für ihren Bei-

tritt erforderlichen Reformen aber konsequent umsetzen,

fordert der Rat. Auch die Türkei sei nach wie vor ein

„Bewerberland“. Große Defizite sieht der Rat weiterhin

Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit, den Grundrechten, bei

den demokratischen Institutionen der öffentlichen Verwal-

tung. Der öffentliche Dienst müsse „entpolitisiert“ und

professionalisiert werden. Dabei geht es insbesondere um

eine unabhängige Justiz, ein funktionierendes Berufsbe-

amtentum und eine effektive Korruptionsbekämpfung.

Terrorismus, Radikalisierung und organisierte Kriminalität

stellen stellten weiterhin eine Bedrohung für die Sicherheit

der EU und der gesamten Region dar. Die EU will ihre Un-

terstützungsleistungen verstärken, gleichzeitig aber Fi-

nanzhilfen mehr als bisher von konkreten Fortschritten in

der Beitrittsfähigkeit abhängig machen.

>>> Mehr

Ausbeutung von Wanderarbeitnehmern

Die Europäische Grundrechteagentur (FRA) veröffentlichte

am 25. Juni einen Forschungsbericht über illegale Beschäf-

tigungspraktiken in der Europäischen Union. In vielen EU-

Staaten arbeiteten illegal Beschäftigte, teilweise unter

„Bedingungen wie im Konzentrationslager“. Die Menschen

würden wie Sklaven gehalten, heißt es in dem Bericht. Die

Regierungen müssten dringend mehr tun, um diese Form

der Ausbeutung von Wanderarbeitnehmern wirksam zu

bekämpfen, fordert die Grundrechteagentur. Betroffen ist

die Landwirtschaft, das Baugewerbe, Hausarbeit, das Hotel

- und Gaststättengewerbe, die Fertigung und der Verkehr.

Die Wochenarbeitszeit der Ausgebeuteten betrage bis zu

92 Stunden, bei teilweise 5 Euro Tageslohn. Gewalt, physi-

sche wie psychische und sexuelle Übergriffe kommen hin-

zu. Wer sich wehrt oder seinen Lohn einfordert, wird mit

Deportation bedroht. Die Ausbeutung trage zu den Liefer-

ketten für die alltäglichen Güter und Dienstleistungen bei,

„die wir für selbstverständlich halten – von unseren Le-

bensmitteln bis zu unserer Kleidung“, so die FRA.

>>> Mehr

Kommission macht bei Klimazielen Druck

Die EU ist die erste Wirtschaftsmacht weltweit, die sich im

Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens bis 2030

rechtsverbindliche Klimaziele gesetzt hat. Klimaneutrali-

tät“ ist das Ziel. Am 18. Juni veröffentlichte die Kommission

ihre Bewertung der nationalen Pläne zu dessen Umset-

zung. Zwar attestiert Brüssel den Mitgliedstaaten erhebli-

che Bemühungen“. Insgesamt fehle es aber an gezielten

politischen Maßnahmen, auch mit Blick auf die Verwirkli-

chung einer Energieunion. Die Mitgliedstaaten hatten zum

ersten Mal Entwürfe für integrierte nationale Energie- und

Klimapläne (NECPs) vorgelegt. „In den Bereichen erneuer-

bare Energien und Energieeffizienz sind die Beiträge aus

den nationalen Plänen derzeit jedoch nicht ausreichend,

und zum Erreichen der Gesamtziele der EU für Klima und

Energie muss daher gemeinsam noch ambitionierter vor-

gegangen werden“, fasst die Kommission ihre Bewertung

zusammen und fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Pläne

bis Jahresende zu überarbeiten.

>>> Mehr

Miguel Arias Cañete, Kommissar für Klimapolitik und

Energie, erklärte: „Nach der Bewertung der Entwürfe der nationa-

len Pläne der Mitgliedstaaten bin ich zuversichtlich gestimmt,

da erhebliche Anstrengungen unternommen wurden. Die end-

gültigen Pläne müssen jedoch noch ambitionierter ausfallen,

um die EU auf die Bekämpfung des Klimawandels und die

Modernisierung unserer Wirtschaft auszurichten.“ © European Union, 2019

Seite 14 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Ticker

Page 15: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Abwehr hybrider Bedrohungen

Die Europäische Union und die Mitgliedstaaten haben laut

EU-Kommission bei der Bekämpfung hybrider Bedrohun-

gen solide Fortschritte erzielt. Das geht aus dem neusten

Bericht hervor, den die Kommission und der Europäische

Auswärtige Dienst am 29. Mai angenommen haben. Darin

werden die Fortschritte in der Umsetzung des Aktionsplans

zur Bekämpfung der Desinformation ebenso dargestellt

wie die jüngsten Maßnahmen für Cybersicherheit und Cy-

berabwehr. Auch chemische, biologische, radiologische

und nukleare Risiken – Stichwort „schmutzige Bombe“ –

werden analysiert. Einen Schwerpunkt bildet auch der

Schutz kritischer Infrastrukturen: Die Kommission hat in

Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die Entwicklung

von Anfälligkeitsindikatoren für den Schutz kritischer Infra-

strukturen vor hybriden Bedrohungen abgeschlossen. Eng

damit verbunden sind auch Bemühungen um die Diversifi-

zierung der Energiequellen. In der vergangenen europäi-

schen Wahlperiode wurden zahlreiche Rechtsakte verab-

schiedet, neue Initiativen auf den Weg gebracht. Die Ver-

ordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinves-

titionen in der EU ist ein aktuelles Beispiel. Sanktionsrege-

lungen im Chemie- und im Cyberbereich sind ein weiteres.

Die Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit zwischen EU-

Organen und Agenturen sowie mitgliedstaatlichen Behör-

den, aber auch mit Partnerländern wurde intensiviert.

>>> Mehr

Einwanderung: Verbindungsbeamte in Dritt-

staaten

Verbindungsbeamte für Einwanderungsfragen werden

von den Mitgliedstaaten und der EU in Drittländer ent-

sandt, um dort Kontakte mit den Behörden zu Einwande-

rungsfragen herzustellen und aufrechtzuerhalten. Die EU

verstärkt nun die Zusammenarbeit und Koordinierung zwi-

schen den Verbindungsbeamten, die von den Mitgliedstaa-

ten oder der EU in Drittländer entsandt werden, um sich

dort mit Einwanderungsfragen zu befassen. Zu diesem

Zweck hat der Rat am 14. Juni eine Verordnung verabschie-

det, die das Funktionieren des europäischen Netzes von

Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen verbes-

sern soll. Die Verordnung sieht für eine bessere Koordinie-

rung die Einrichtung eines Lenkungsausschusses auf EU-

Ebene vor, wobei die Zuständigkeit der entsendenden Be-

hörden gewahrt bleibt. Verbindungsbeamte sollen unter

anderem stärker bei der Bekämpfung von Schleuserkrimi-

nalität mitwirken und die Mitgliedstaaten bei der Rückfüh-

rung von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen unter-

stützen. Entsprechende Haushaltsmittel der EU werden

bereitgestellt.

Mehr

Strafrecht: Verfahrensgarantien für Kinder

Am 11. Juni trat die Richtlinie über besondere Verfahrens-

garantien für Kinder in Kraft. Sie ist die letzte in einer Reihe

von sechs EU-Richtlinien, die bestimmte Verfahrensrechte

in der gesamten EU gewährleisten. Ab sofort gilt EU-weit,

dass Kinder von einem Anwalt unterstützt und getrennt

von Erwachsenen inhaftiert werden, wenn sie in eine Straf-

anstalt geschickt werden. Auch ihre Privatsphäre ist zu

achten. Vernehmungen müssen per Video aufgezeichnet

werden. Neben diesen neuen Rechten für Kinder gilt seit

dem 5. Mai auch die Richtlinie über Prozesskostenhilfe. Das

Paket von EU-Vorschriften soll sicherstellen, dass die

grundlegende Rechte der EU-Bürgerinnen und Bürger auf

faire und gleiche Behandlung in Strafverfahren geachtet

und in allen Mitgliedstaaten in ähnlicher Weise ange-

wandt werden. Mitgliedstaaten, die die Vorschriften noch

nicht umgesetzt haben, müssen dies so schnell wie mög-

lich tun.

>>> Mehr

Radikalisierung in Haftanstalten

Der Rat der Innenminister hat am 6. Juni Schlussfolgerun-

gen zur Prävention und Bekämpfung der Radikalisierung in

Haftanstalten und zum Umgang mit terroristischen und

gewaltbereiten extremistischen Straftätern nach der Haft-

entlassung angenommen. Dabei betonte er die Bedeutung

und Dringlichkeit wirksamer Maßnahmen in diesem Be-

reich angesichts des Risikos, das von der wachsenden Zahl

von terroristischen Straftätern oder von Straftätern, die

sich während ihrer Haftzeit radikalisiert haben, ausgeht,

sowie des Umstands, dass eine Reihe von ihnen in den

nächsten beiden Jahren aus der Haft entlassen wird. Der

Rat ersuchte die Mitgliedstaaten, mehr dafür zu tun, Son-

dermaßnahmen für den Umgang mit terroristischen und

gewaltbereiten extremistischen Straftätern sowie mit

Straftätern, bei denen die Einschätzung getroffen wurde,

dass das Risiko einer Radikalisierung während ihrer Haft-

zeit besteht, zu entwickeln.

>>> Mehr

Seite 15 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Ticker

Page 16: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Generalsekretär Heeger begrüßt Wahlergebnis

CESI-Generalsekretär Klaus Heeger bewertet das Ergebnis

der Europawahlen grundsätzlich positiv. So begrüßte er

nicht nur die im Vergleich zu 2014 deutlich gestiegene

Wahlbeteiligung, sondern auch das Ausbleiben eines Tri-

umphs der europafeindlichen Populisten. „Einige wenige

Länder wie Italien, Frankreich und Großbritannien werden

große europafeindliche Delegationen entsenden. Aller-

dings werden diese insgesamt nicht signifikant wachsen.“

Zudem deute sich an, dass eine effektive Zusammenarbeit

dieser Parteien an nationalen Egoismen scheitern wird.

„Geschlossenheit herrscht immer in der Anti-Mentalität,

das Finden gemeinsamer Lösungsansätze gestaltet sich

schwieriger“, so Klaus Heeger.

>>> Weiterlesen

Manifest zur Zukunft des Lehrberufs in Europa

Im Juni veröffentlichte die CESI Europa-Akademie ein Ma-

nifest zur Zukunft des Lehrberufs in Europa. Das Manifest

bildet den Abschluss des Projekts „Der Lehrberuf im Zeitho-

rizont bis 2025“, das durch ein Mitgliedersymposium in

Lissabon im November 2018 begleitet wurde, an dem auch

eine große Lehrerdelegation des dbb teilnahm. Das Mani-

fest zeigt auf der Grundlage von Fallbeispielen aus CESI-

Mitgliedsgewerkschaften Wege auf für eine höhere Wert-

schätzung des Lehrberufs und einen gestärkten Arbeits-

schutz sowie für verbesserte Arbeitsbedingungen der Leh-

rerinnen und Lehrer. Es thematisiert zudem neue Fortbil-

dungsformate und neue IT-basierte Lehrkonzepte.

>>> Weiterlesen

Vertiefte Zusammenarbeit mit der UFE

CESI-Präsident Romain Wolff und Florian Köbler, Präsident

der Union des Finanzpersonals in Europa (UFE), unterzeich-

neten am 23. Mai ein neues Kooperationsabkommen in

Brüssel. Dieses sieht vor, dass CESI und UFE ihre Positionen

zu europäischen Steuerfragen künftig zusammen beraten

und wo immer möglich auch gemeinsam gegenüber den

EU-Institutionen vertreten. Wolff begrüßte die Fortsetzung

der Zusammenarbeit: „Die UFE und die CESI sind eigen-

ständige Organisationen, weisen in ihren Positionen im

Bereich der Steuerverwaltungen aber viele Gemeinsamkei-

ten auf. Da macht es Sinn, dass man zusammenarbeitet

und gemeinsam eine stärkere Stimme hat.“

>>> Weiterlesen

Seite 16 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Neues von der CESI

© CESI, 2019

© CESI, 2019

© CESI, 2019

Page 17: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Erfolgreiche Interessenvertretung

Am 13. Juni verabschiedeten die EU-Gesetzgeber neue so-

zialpolitische Richtlinien und eine EU-Verordnung für eine

neue Europäische Arbeitsbehörde. „Seit fast drei Jahren

haben wir in zahlreichen Gesprächen mit Europaabgeord-

neten, Kommissionsbeamten und Diplomaten immer wie-

der konsequent für unsere Positionen geworben“, so CESI-

Generalsekretär Klaus Heeger. „So haben wir beispielswei-

se darauf hingewirkt, dass Ausnahmen für öffentlich Be-

dienstete von der neuen Richtlinie zu transparenten und

vorhersehbaren Arbeitsbedingungen auf ein Minimum

beschränkt wurden, das nationale öffentliche Dienstrecht

gleichzeitig aber nicht negativ tangiert wird.“

>>> Weiterlesen

Rekommunalisierungen im Fokus

Auf der ersten gemeinsamen Sitzung des Jahres der CESI-

Berufsräte Zentralverwaltungen & Finanzen und Lokal- &

Regionalverwaltungen am 4. Juni in Brüssel standen Re-

Kommunalisierung und faire Besteuerung auch von digita-

len Multinationals im Fokus der Debatte mit europäischen

Entscheidungsträgern. Auf der Sitzung, an der auch der

komba-Bundesvorsitzender Andreas Hemsing teilnahm,

übermittelten die Berufsräte dazu klare Positionen an Ver-

treter der Europäischen Kommission: Ja zu Rekommunali-

sierungen, solange diese die öffentliche Hand nicht schwä-

chen und Ja zu starken öffentlichen Diensten. Die Berufsrä-

te sprachen sich für Regeln für eine faire Besteuerung digi-

taler Firmen auf europäischer Ebene aus, durchgesetzt von

entsprechend ausgestatteten nationalen Steuerverwaltun-

gen.

>>> Weiterlesen

Wandel im Briefsektor

Am 7. Juni tagte der CESI-Berufsrat Post & Telekom in der

Küstenstadt Bar in Montenegro. Über 30 Gewerkschafte-

rinnen und Gewerkschafter aus elf Ländern kamen zusam-

men, um unter anderem über die Auswirkungen der Priva-

tisierung des Post- und Telekomsektors zu beraten. Perso-

nalabbau und ständige Organisationsveränderungen prä-

gen auch das Bild in den süd-osteuropäischen Ländern des

Balkans. Der dbb war durch den stellvertretenden Vorsit-

zenden des Berufsrats Horst Sayffaerth und Karlheinz Ver-

net Kosik von der DPVKOM vertreten.

>>> Weiterlesen

Blick auf den Parlamentssitz in Brüssel © Europäisches Parlament, 2019

Seite 17 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Neues von der CESI

© Hendrik Meerkamp

© Horst Sayffaerth

Page 18: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 20.

Juni offenbaren die derzeitige Spaltung der Europäischen

Union und die daraus resultierende politische Lähmung.

Die erste Skizze der neuen strategischen Agenda, die den

zukünftigen Weg weisen soll, kann die Uneinigkeit der

Staats– und Regierungschefs in wesentlichen Fragen kaum

verdecken. Immerhin soll sie die Weichen für die kommen-

den fünf Jahre stellen. Die neue EU-Kommission soll

schließlich nicht im luftleeren Raum agieren. Im Oktober

wollen die Staats- und Regierungschefs weiter über die

neue strategische Agenda beraten.

Die materielle Grundlage für den nächsten institutionellen

Zyklus, der mit der Europawahl eingeleitet wurde, ist au-

ßerdem der neue mehrjährige Finanzrahmen. Das erklärte

Ziel, noch unter finnischer Ratspräsident bis Jahresende zu

einem Abschluss zu kommen, erscheint vielen Beobachtern

als höchst unwahrscheinlich. Mehr Streit steht ins Haus.

Die neue strategische Agenda steht natürlich in enger Ver-

bindung mit dem Finanzrahmen. Sie dient der EU als Ori-

entierung in einer immer unübersichtlicheren Welt. Sie

beschreibt für die Zeit bis 2024 vier „Hauptprioritäten“.

Zumindest verbal holen die Europäer weit aus. Von globa-

ler „Führungsrolle“ wird gesprochen. Bis an die

„Weltspitze“ ist es aber ein weiter Weg. Europa muss sei-

nen Ort finden, von einem „Platz an der Sonne“ sollte es

nicht träumen. Ein Blick auf die reale Lage bewahrt vor sol-

cher Hybris. Denn im gegenwärtigen Institutionengefüge

ist der Fortschritt eine Schnecke. Die Vetospieler im euro-

päischen Rats-Konzert bestimmen das Tempo, nicht der in

den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats beschwore-

ne Wandel der Welt. So bleiben in zentralen Zukunftsfra-

gen nur Beschwörungsformeln und, klar erkennbar in der

Flüchtlingspolitik, ein Spaltpilz.

>>> Weiterlesen

Seite 18 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Einwurf

Ratspräsident Donald Tusk berät sich am Rande des EU-Gipfels vom 20. Juni mit Bundeskanzlerin Angela

Merkel, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro

Sanchez © Consilium, 2019

Entschieden zögerlich Gedanken zur neuen strategischen Agenda der Europäischen Union

von Christian Moos

Page 19: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

Populismus im

epochalen Wandel Oberflächenphänomene und

Tiefenstrukturen

von Jürgen R. Grote

Der Erfolg populistischer Parteien ist spätestens

seit den letzten Wahlen zum Europäischen Parla-

ment unbestreitbar. Unbestreitbar ist ebenfalls

die langsame Erosion traditioneller Volkspartei-

en und die damit zusammenhängende Frag-

mentierung von Parteiensystemen in vielen EU

Mitgliedsstaaten. Beides kann sowohl als Aus-

druck, aber auch als Auslöser des populistischen

Erfolgs gelesen werden. Dies ist ausführlich in

den Medien debattiert worden und zwar meist

unter der Fragestellung, ob es sich hierbei um

ein eher zeitlich begrenztes Phänomen oder um

eine irreversible und wachsende Zahl von Län-

dern umfassende Entwicklung handele.

Ein grundsätzliches Manko vieler Debatten ist, dass die

wenigstens Beiträge eine klare Trennung vornehmen zwi-

schen den Befindlichkeiten derjenigen, die entsprechende

Parteien zu wählen bereit sind und denjenigen politischen

Unternehmern, die ausgehend von diesen Befindlichkeiten

diese in eine Richtung lenken, die von einer Lösung der ur-

sprünglich zugrundeliegenden Probleme weit entfernt ist.

Populistische Rhetorik ist eine Seite – die zugrundeliegen-

den Faktoren für ihren Erfolg sind etwas ganz anderes.

Dies ist das Problem des aktuellen medienpolitischen Dis-

kurses: dass der Verweis auf abstruse politische Program-

matik und auf abenteuerliche Führungsfiguren meist an

der Oberfläche eines Phänomens verbleibt, das weit tiefer-

gehende Wurzeln hat. Wenn Wählern und Anhängern un-

terstellt wird, sie würden die entsprechende parteipoliti-

sche Programmatik zu hundert Prozent teilen, dann ist es

einfach, ihnen Dummheit, Unaufgeklärtheit, oder autoritä-

re Charakterzüge zu unterstellen.

Diese eher oberflächlichen Erklärungsversuche betrachten

den Erfolg populistischer Rhetorik als unreflektierten Re-

flex auf die Entscheidung Merkels im September 2015,

suchen ihn in vorgeblichen Persönlichkeitsdefiziten und

kollektiven seelischen Störungen oder etwa in ungünstigen

Sozialisationsbedingungen. Populismus hat dann möglich-

erweise gar keinen spezifischen Inhalt, sondern stellt ledig-

lich eine Form von Identitätspolitik dar. Populistische Par-

teien und deren Anhänger wären dann gleichermaßen von

Pathologien befallen, die als unausgegorener Effekt einer

kulturellen Entfremdung und als genereller Abwehrreflex

gegen die Herausforderungen der Gegenwart schlichtweg

inakzeptabel sind.

Solche an Oberflächenphänomenen verharrende Erklärun-

gen sind insofern erstaunlich als mittlerweile eine Unzahl

wissenschaftlicher Analysen vorliegt, die den Tiefenstruk-

turen des Phänomens auf die Spuren zu kommen versu-

chen.

Epochaler Wandel, beziehungsweise Epochen-

bruch

Praktisch alle wissenschaftlich ernst zu nehmenden Erklä-

rungen setzen bei einer Art Epochenbruch an, der sich in

Folge der durch Globalisierungs- und Kommodifizierungs-

prozesse (Privatisierung; „Zur-Ware-Werden zuvor gemein-

schaftlich genutzter Ressourcen) ausgelösten Effekte be-

reits Ende des letzten Jahrtausends angekündigt hat und

gegenwärtig seinem Höhepunkt zusteuert. Im Kontext

dieses Bruchs ist es zu einer Neuausrichtung westlicher

Gesellschaften von einer im nationalen Rahmen veranker-

ten Industriemoderne hin zu einer neuen Ordnung gekom-

men, die als globale Moderne bezeichnet werden kann.

Hinzu kommt die zunehmend dominanter werdende Rolle

einer Form von Neoliberalismus, die einen Großteil sozialer

und politischer Bereiche wirtschaftlichen Imperativen un-

terwirft. Formen kapitalistischer Herrschaft haben sich

überall ausgebreitet – eine Tatsache, die deutliche Spuren

in den Tiefenstrukturen unserer politischen und gesell-

schaftliche Systeme hinterlassen hat.

Die Krise guten Regierens

Ausgegangen wird in der relevanten Literatur vom Prozess

eines gleichzeitig verlaufenden Wandels nahezu aller ge-

sellschaftlichen Bereiche. Deutlich gemacht werden kann

dieser Wandel mit Rückgriff auf ein Modell der drei we-

sentlichen gesellschaftlichen Ordnungsformen von Staat,

Markt und Gemeinschaft. Im Gegensatz zu traditionellen

Vorstellungen, denen zufolge Gesellschaften funktional in

verschiedene Dimensionen differenziert sind, die je eigene

Handlungslogiken ausprägen und relativ unabhängig von-

einander existieren, gehen neuere Vorstellungen von der

Existenz partieller Überschneidungen aus. Die dabei ent-

Seite 19 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Brennpunkt

Page 20: dbb europathemenziel und die Energieziele der Union ambitionierter werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen,

dbb europathemen

stehenden Schnittmengen entscheiden darüber, welche

der drei Dimensionen, beziehungsweise der diesen Dimen-

sionen zugeordneten Akteure im Einzelfall dominiert und

damit die Regeln vorgibt. Dort wo sich Staat, Markt und

Gemeinschaft mehr oder weniger gleichgewichtig überla-

gern, wird von der Existenz „guten Regierens“ (good gover-

nance arrangements) ausgegangen. Die den verschiedenen

Dimensionen zugrundeliegenden Logiken unterstützen

sich gegenseitig und tragen damit sowohl zur Stabilisie-

rung ihrer je eigenen Strukturen und Regeln wie auch de-

nen des Gesamtsystems bei.

So (ökonomisch) produktiv, (politisch) demokratiefördernd

und (gesellschaftlich) partizipatorisch derartige Arrange-

ments auch sein mögen, so negativ und destabilisierend

erscheinen ihre Effekte im Fall unilateraler, beziehungswei-

se nicht abgestimmter Einmischung – oder Usurpation –

seitens eines „Partners“ in die Belange des anderen. Die

gegenwärtige Populismusdebatte geht im Grunde genom-

men davon aus, dass es im Laufe der letzten Jahrzehnte zu

einer solchen Usurpation gekommen ist und zwar primär

seitens des Marktes und des zugrundeliegenden neolibera-

len Mantras beziehungsweise der dieses Mantra propagie-

renden Akteure, das heißt großer multinationaler Konzer-

ne und Banken.

Die entsprechenden Effekte auf Politik und Gemeinschaft,

beziehungsweise Zivilgesellschaft, lassen sich ungefähr

folgendermaßen charakterisieren. In der Politik beobach-

ten wir als Folge der Einführung neuer Managementtech-

niken („New Public Management“) Prozesse der Deregulie-

rung und partiellen Deinstitutionalisierung vor allem derje-

nigen Institutionen, die bisher markteinhegend gewirkt

haben. Zunehmend inklusiver werdende Praktiken der

Elitenrekrutierung (Michael Hartmann) sowie die

Schrumpfung der Volksparteien und die Implosion des Par-

teiensystems beziehungsweise des politischen Zentrums

tragen ihrerseits zu einem umfassenden politischen Men-

talitätswandel bei.

In gesellschaftlichen Zusammenhängen beobachten wir

einen partiellen Zerfall und eine Fragmentierung nicht nur

von frei gewählten Gemeinschaften („communities of

choice“) wie etwa Gewerkschaften, Unternehmerverbände,

soziale Bewegungen, sondern auch von Schicksalsgemein-

schaften („communities of fate“) wie Familien, Nachbar-

schaften, Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die Explo-

sion von Ungleichheit und die Erosion gesellschaftlichen

Zusammenhalts kann dabei in Extremfällen durchaus pa-

thologische Formen individueller und kollektiver Anomie

(Regellosigkeit) annehmen. Wenn auch in unterschiedli-

chem Maße ist von den genannten Prozessen praktisch die

gesamte Gesellschaft betroffen und nicht nur die Wähler

rechtspopulistischer Parteien. Dabei haben sich letztere in

der Tat darauf spezialisiert, existierende Unzufriedenheit

und Unsicherheiten auf raffinierte, das heißt polythemati-

sche Art und Weise (Finanzkrise, Flüchtlingskrise, institutio-

nelle Krise) auf ihre Mühlen zu lenken und dabei im we-

sentlichen drei Ziele zu formulieren: Re-Nationalisierung,

Re-Vergemeinschaftung und Re-Souveränisierung.

(…)

>>> Weiterlesen

Der Soziologe Dr. Jürgen R. Grote war unter anderem als

Marie Curie Chair of Excellence an der Karlsuniversität in

Prag tätig und ist seit zwei Jahren als Senior Researcher am

Berliner Dialogue of Civilizations Research Institute be-

schäftigt, wo er vor allem die Bereiche Governance und

Institutions bearbeitet © DOC Research Institute, 2019

Seite 20 14. Jahrgang | Nr. 5/2019

Brennpunkt

Impressum dbb beamtenbund und tarifunion

Friedrichstraße 169

10117 Berlin

Tel.: +49 (0)30/4081-40

Fax: +49 (0)30/4081-4999

ViSdP Christian Moos, Isabella Schupp,

Hendrik Meerkamp

Für die Inhalte der in den dbb europathemen gelinkten

Internetseiten

übernimmt die Redaktion keine Verantwortung.

Kontakt/ Abonnement: [email protected]