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Der Alltag als Übung

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Der Alltag als Übung

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WARUM NICHT ANDERS?Der Alltag als Übung

zusammengestellt von Anna Lehner & Michael Stolle

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Warum nicht anders? Der Alltag als Übungzusammengestellt von Anna Lehner & Michael Stolle

mit Texten von Michael Stolle

und Beiträgen von Siegfried Bütefisch, Ruth Floeren, Annika Fricke,

Andrea Geipel, Daniela Geraets, Britta Hoffmann, Julia Hufnagel, Nina Kiese, Andrea Legge, Anna Lehner, Andreas Lelley,

Marie-Hélène Seidl-Scheerer, Manuela Schnaubelt, Dirk Schuka, Stephan Veith OSB, Bettina Werner und Berthold Winkler.

Zeichnungen, Gestaltung und Realisation: Merve Simsek & Immanuel Zeh

Fotos: iStockDruck: Systemedia GmbH, Wurmberg

Printed in Germany

Verlag, Herausgeber und Autoren übernehmen keine Haftung für inhaltliche oder drucktechnische Fehler.

© Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe 2019House of Competence (HoC)

Straße am Forum 3, 76131 Karlsruhe www.hoc.kit.edu

DOI: 10.5445/IR/10000949451. Auflage 2019

www.blauer-engel.de/uz14· energie- und wassersparend hergestellt

· aus 100% Altpapier

· besonders schadstoffarm

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»Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu.«

Ödön von Horváth

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Warum nicht anders? – Ein VorwortDer Alltag als Übung – eine Gebrauchsanweisung

InnehaltenAtem-Meditation

Drei Minuten Achtsamkeit

Sitzplatz

Geräusch-Meditation

Achtsam warten

Morgenseiten schreiben

Gewaltfreie Kommunikation

Beim Essen nur essen

Achtsam duschen

Werte-Schatzkarte

Mein Konsumverhalten

Meine Rolle im Team

Die Zeit läuft – wie leben wir sie?

Positives wahrnehmenMachen Sie eine Bestandsaufnahme

Kaffeebohnen-Methode

Tagesrückblick in Dankbarkeit

50 Wege, Glück zu finden

Genuss im Alltag

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Inhalt

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Freudenlisten

Positive Kommunikation

Der ›Mini-Urlaub‹ (Teil 1)

Die Zukunft schreiben

Metta Meditation

Negative Emotionen annehmen und zulassen

Mit den Augen eines Goldwäschers

Stärken entdeckenCharakterstärken

Stärken-Training

Alle guten Dinge sind drei

Erfolge bewusst machen

Reflected Best Self

Flow erleben

Brief an einen Förderer

Vision Board

Mein Powerhouse

Der Film meines Lebens

Initiative ergreifen

Wenn-Dann-Pläne

Raus aus der Routine!

Die andere Hand

Kompliment

Das Netzwerk erweitern

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Kluge Entscheidungen

Etwas Gutes tun

›Müssen‹ in ›frei wählen‹ übersetzen

Offline sein

Verantwortung übernehmen

Der ›Mini-Urlaub‹ (Teil 2)

Das Streben nach Glück

Zielauslöser setzen

Priorisieren mit der Eisenhower-Methode

Interkulturalitäts-Journal

Selbstsicher auftretenScheinwerfer an

Kurzes Powertraining für die Stimme

Achtsam in Beziehungen

Die Indifferenzlage finden

Wunschkonzert

Offen Kommunizieren

Power Poses

Steh-Übung

Inhalt und Fokus

Marionette

Kraftatmung

Literaturliste

Dank

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In der öffentlichen Debatte wird immer wieder festge-

stellt, dass gerade ein fundamentaler gesellschaftlicher

Veränderungsprozess stattfindet. Und dass »wir alle« da-

von mitgerissen werden. Dass wir uns darauf einstellen

müssen, diesen Wandel zu gestalten. Und bereit sein müs-

sen, uns selbst zu ändern.

Gleichzeitig verändert sich aber gar nicht so viel. Hoch-

gesteckte Ziele im Klimaschutz werden nicht eingehalten.

Der Energie- und Müllverbrauch nimmt weiterhin zu, die

Burnoutraten sind nach wie vor hoch. Wachstum, Be-

schleunigung und Innovationsdruck bestimmen beinhart

das wirtschaftliche Denken und Handeln. Die Möglichkeit

des Andersseins ist Sehnsucht und Alptraum zugleich.

Auch Universitäten verändern sich eher langsam und trä-

ge. Wie soll ein Bildungssystem aus dem 19. Jahrhundert

die Probleme des 21. Jahrhunderts lösen? Noch immer

Warum nicht anders? Ein Vorwort

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wird Prüfungswissen auswendig gelernt und ein Kanon

unterrichtet, der für das Berufsleben des 20. Jahrhunderts

ausgerichtet war.

Die rasante Beschleunigung der digitalen Revolution

macht es schier unmöglich Karriereverläufe vorherzusa-

gen. Häufige Jobwechsel, verbunden mit persönlichen

Neuerfindungsphasen, sind heutzutage eher die Regel

als die Ausnahme. Um als Mensch bestehen zu können,

braucht es eine Menge an geistiger Flexibilität, emotiona-

ler Ausgeglichenheit und psychischer und physischer Re-

silienz. Diese Anforderungen gehen über die bisherigen

Postulate an ein lebenslanges Lernen hinaus.

Am House of Competence (HoC) wollen wir den Studie-

renden nicht nur »Skills« an die Hand geben, um in einer

sich verändernden Welt zu bestehen. Vielmehr unterstüt-

zen wir die Studierenden dabei, selbst aktiv zu werden

und zu Machern und Gestaltern dieser Veränderungspro-

zesse zu werden. Wir fördern Praktiken der Selbstbestim-

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mung und des verantwortlichen Handelns und schaffen

Raum zur Orientierung, zur Reflexion und zum Ausprobie-

ren von wertebewussten Handlungsmustern. Unter die-

ser Prämisse wurde vor zwei Jahren ein neuer Programm-

schwerpunkt mit dem Titel ›Zukunft gestalten‹ eingeführt.

Uns ist klar, dass die Reichweite unserer Angebote be-

grenzt ist. Dennoch wollen wir den Korridor, den wir

haben, so nachhaltig wie möglich nutzen: Am HoC for-

schen wir zur Wirksamkeit unserer Angebote, bieten

Peer-to-Peer-Beratungen an und entwickeln Lehrmateria-

lien, die über den Besuch der Seminare und Workshops hi-

nausweisen. Das vorliegende Booklet gibt davon Zeugnis.

Es versammelt Übungen, hauptsächlich aus dem Schwer-

punkt ›Zukunft gestalten‹, und soll dazu anregen, die

Themen und Inhalte unserer Angebote auch außerhalb

der Kurse auszuprobieren. Die Übungen werden von den

Dozierenden am HoC in Seminaren und Tagesworkshops

eingesetzt. Sie stammen beispielsweise aus der Praxis der

Meditation, dem ressourcenorientierten Coaching oder

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aus der Positiven Psychologie. Zum Teil sind die Übungen

jahrhundertealt und weithin bekannt; inzwischen haben

auch wissenschaftliche Studien ihre Wirksamkeit belegt.

In mehreren Semestern konnten auch die Studierenden

am KIT die Übungen erproben. Aus einer Vielzahl von Re-

flexionsberichten und Feedbackgesprächen lässt sich ab-

leiten, dass sie bei den Studierenden sehr gut ankommen.

Die Übungen in diesem Booklet zielen nicht nur auf kog-

nitive Fähigkeiten ab, sondern beziehen Gefühle und den

Körper mit ein. Die Übungen vermitteln kein Handwerks-

zeug zur persönlichen Oprimierung, sondern Reflexions-

angebote zur Selbstbesinnung und zur Selbstbestimmung.

Sie sind eine Art Challenge – eine Ermutigung zum Aus-

probieren. Die Übungen sollen neugierig machen, sich

selbst besser kennenzulernen – in der Haltung des for-

schenden Lernens. Aber Achtung: Die Übungen sind kein

Werkzeug zur Selbstoptimierung. Sie funktionieren nicht,

wenn man sie nur wegen ihrer Wirkung macht.

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Es mag vielleicht naiv wirken, auf personale Transforma-

tion zu setzen, wo die zentralen Probleme doch politisch

gelöst werden müssen. Wenn wir hier Übungen vorstel-

len, die auf der individuellen Ebene ansetzen, heißt das

nicht, dass wir denken, es bräuchte keine großen politi-

schen und weltgemeinschaftlichen Anstrengungen. Im

Gegenteil!

Die Herausforderung in einer scheinbar alternativlosen

und krisenanfälligen Welt besteht darin, aus den gewohn-

ten Denk- und Verhaltensmustern auszusteigen. Warum

nicht anders? Wer eine ergebnisoffene, an Alternativen

reiche und für nachfolgende Generationen attraktive Zu-

kunft schaffen will, muss nicht darauf warten, bis im Gro-

ßen alles anders ist, sondern darf im Kleinen schon einmal

beginnen. So gesehen können Schlüsselqualifikationsein-

richtungen wie das HoC einen Beitrag leisten. Die beste

Gelegenheit für eine Transferübung bietet aber keine

noch so gelungene Lehrveranstaltung, sondern der Alltag.

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Um den Transfer von einer HoC-Veranstaltung in den Alltag zu

verbessern, bieten wir in unseren Kursen eine Reihe von Übun-

gen als Lehrmaterialien an, die wir nun in diesem Booklet prä-

sentieren. Frei nach dem Motto: »Es gibt nichts Gutes, es sei

denn man tut es«, können die Übungen von Ihnen im Alltag

ausprobiert werden.

Das Booklet richtet sich an alle, die bereits einen HoC-Kurs be-

sucht haben und nun dranbleiben wollen. Darüber hinaus wol-

len wir natürlich alle Studierenden neugierig auf das HoC und

seine Themen machen – und unabhängig von einem Kursbe-

such eine Art Hilfestellung geben, um bestimmte typische Si-

tuationen im Studium besser zu bewältigen. Zum Beispiel die

Prüfungsphase oder den keineswegs einfachen Prozess der Vor-

bereitung auf den Berufseinstieg. Viele Übungen sind ein Ange-

bot, um den Kopf wieder klar zu bekommen und den Blick auf

das Wesentliche zu richten.

Der Alltag als Übung – eine Gebrauchsanweisung

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Den Untertitel dieses Buches haben wir bei Karlfried Graf von

Dürckheim (2012) entlehnt, in der festen Überzeugung, dass es

gar keinen besseren Ort zur Selbst-Werdung gibt, als den Alltag.

In fünf Kapiteln bieten wir ein breites Spektrum an: Zunächst be-

kommen Sie Anleitungen zum Innehalten, um achtsam zu be-

obachten, in welchen Kontexten Sie sich gerade befinden. Wir

zeigen Ihnen, wie Sie den Fokus auf das richten, was gut läuft

(Positives wahrnehmen), um aus dieser Grundstimmung her-

aus in Verbindung mit Ihren eigenen Ressourcen zu treten (Stär-ken entdecken). Wir demonstrieren Ihnen, wie Sie ins Handeln

kommen (Initiative ergreifen) und im vollen Bewusstsein Ihrer

selbst kommunizieren können (selbstsicher auftreten).

Sie können die Übungen völlig unabhängig von der Kapitelstruk-

tur auswählen. Es gibt keine Reihenfolge, die es zu beachten

gäbe. Einige Übungen bauen aufeinander auf oder ergänzen

sich wechselseitig. Aber letztendlich kommt es darauf an, dass

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Sie sich einfach auf eine bestimmte Aufgabe einlassen. Gehen

Sie die Übungen in einer experimentierfreudigen Haltung an:

Wetten, dass Sie es schaffen, aus dem mitunter unerquicklichen

Alltagstrott auszusteigen? Fühlen Sie sich herausgefordert, mög-

lichst viele Dinge über sich selbst herauszufinden. Üben Sie nicht,

um eine Leistung zu erbringen (oder sich selbst zu optimieren),

sondern mit der Entdeckerfreude eines Wissenschaftlers bzw.

einer Wissenschaftlerin, der bzw. die alles über eine Sache her-

ausfinden möchte, die ihn oder sie brennend interessiert.

Es geht gerade nicht darum, Ihre Effizienz im Studium zu stei-

gern, sondern aus dem Zustand des Funktionieren-Müssens aus-

zusteigen. Es geht um Resilienz in stressigen Zeiten, die Würdi-

gung von Fehlern als Teil des Lernens und Wertschätzung der

eigenen Stärken und Schwächen. Dies alles in einer forschenden

Haltung: Seien Sie sich selbst das beste Beobachtungsobjekt!

Die Übungen laden zur Reflexion ein. Es empfiehlt sich, Ihre Be-

obachtungen sofort oder zeitnah schriftlich festzuhalten: in

einer Art Tagebuch oder Zettelkasten, mit dem Ziel etwas ›aus

sich heraus zu schreiben‹. Weil das regelmäßige Üben im Alltag

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leicht vergessen werden kann, empfehlen wir, mit Gedächtnis-

stützen zu arbeiten (Handy-Erinnerungen, Bildern oder Textno-

tizen).

Für die meisten Übungen sollten Sie circa 15 Minuten einpla-

nen; einige Aufgaben brauchen mehr, andere weniger Zeit. Wir

haben bewusst auf eine genaue Zeitangabe verzichtet. Wählen

Sie aus den Übungen diejenigen aus, die Ihnen spontan am

meisten zusagen (Sie können später immer noch weitere Übun-

gen ausprobieren). Es empfiehlt sich, eine Übung regelmäßig

über einen bestimmten Zeitraum hinweg durchzuführen.

Viele der Übungen in diesem Booklet eignen sich dazu, zu ei-

nem Ritual zu werden. Wenn Sie wissen, welche Übungen Ihnen

guttun, können Sie sie auf eine fixe Uhrzeit legen und Ihren Tag

damit beginnen oder am Abend beenden. Rituale geben dem

Alltag Struktur und Halt. Sie sind ein Weg mitten in der hekti-

schen Betriebsamkeit des Alltags wieder an einem geschützten

Ort anzukommen. Wo alles Äußerliche abfällt und Sie ohne Leis-

tungsdruck so sein können, wie Sie in Ihren Körper-, Geistes-

und Gefühlszuständen gerade sind (Grün 2016).

Page 20: Der Alltag als Übung - KIT

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Während der PrüfungszeitSie können das Booklet während der Prüfungszeit nutzen. Ge-

rade die Übungen zum Innehalten und Achtsam-Sein werden

Ihnen wieder mehr Klarheit und Konzentration geben. Mittler-

weile werden in einigen Unternehmen Meditationseinheiten an-

geboten, um die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz zu erhöhen.

Üben Sie aber nicht nur deswegen. Gönnen Sie sich die Ruhe und

Aufgeräumtheit, die Sie in der Selbstreflexion erfahren. Danach

können Sie immer noch Vollgas geben. Stress kann man besser

kompensieren, wenn man ruhiger und gelassener geworden ist

und das Gefühl hat, wieder selbstbestimmt zu sein.

Erlauben Sie sich eine tägliche Achtsamkeitsmeditation. Mit

einer Übung zum Spüren von Dankbarkeit, werden Sie nicht nur

zufriedener und gestärkter durch die Prüfungszeit kommen, Sie

stärken auch Ihre sozialen Beziehungen und können sich gegen-

seitig mehr Unterstützung geben (Watkins/van Gelder/Frias

2009). Probieren Sie ›Power-Poses‹ aus, um Ihren Körper einzu-

beziehen. Oder praktizieren Sie die Metta-Meditation, um sich

in einer schweren Zeit Selbstmitgefühl zu schenken.

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Lernen, sich und andere zu führenWer später einmal andere Menschen führen will, muss erst ein-

mal lernen sich selbst zu führen. Viele meinen dagegen, dass

man als angehende Führungskräfte vor allem Führungsinstru-

mente, Delegationsprinzipien oder Werkzeuge der Personalfüh-

rung kennenlernen muss, um handlungsfähig zu sein. Doch das

wäre zu kurz gedacht.

Führung fängt mit Selbstführung und der Selbst-Befragung an,

wie man beschaffen sein muss, um andere führen zu können.

Wer Führung lernen will, gerade in einer Zeit des dynamischen

Wandels, tut gut daran sich mit Voraussetzungen, Anforderungen

und Handlungsspielräumen des Führens und Geführt-Werdens zu

beschäftigen. Führung in diesem Verständnis ist keine Karrierelei-

ter, sondern ein persönlicher Reifungsweg. Die hier vorgestellten

Übungen bieten Ihnen dafür viele Trainingsmöglichkeiten.

Nutzen Sie die Übungen, um Ihre eigenen Sichtweisen zu reflek-

tieren und neue Perspektiven zu entdecken. Erst wenn Sie ein

Gespür dafür haben, Ihre eigenen Stärken, Ihre Werte oder Ihre

Kreativität zu entdecken, können Sie dies auch für andere tun.

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Nutzen Sie die Übungen als Weg zur Selbstorientierung und

Selbstreflexion, die Sie als angehende Führungskraft brauchen.

Auf den Berufseinstieg vorbereitenIrgendwann (spätestens gegen Ende Ihres Studiums) fragen Sie

sich wahrscheinlich, welchen Beruf Sie einmal ergreifen wollen.

Und wie Sie Ihren potentiellen Arbeitgeber davon überzeugen

können, dass Sie die oder der Richtige für den Job sind. Viel-

leicht lesen Sie die ein oder andere Stellenanzeige und fragen

sich, ob Sie die Qualifikationen und Kompetenzen haben, die

darin verlangt werden. Und was Sie tun können, damit Sie zu

der Ausschreibung passen.

Die Übungen in diesem Booklet sollen Sie dazu einladen, sich

NICHT auf dieses Abgleichspiel (»Wie werde ich so, wie andere

es wollen?«) einzulassen. Dementsprechend lernen Sie mit ih-

nen nicht, wie Sie sich am besten verkaufen, sondern was Sie der

Welt zu geben haben. Berufsbefähigung durch Schlüsselqualifi-

zierung ist nach unserem Verständnis keine mechanische Karrie-

replanung, sondern die Förderung der eigenen Selbst-Werdung

und die Ermutigung zur Selbst-Erprobung.

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Die Übungen können Sie als Etappen einer Entdeckungsreise

nutzen, bei der Sie sich selbst begegnen werden. Auf dem Be-

sichtigungsprogramm stehen Ihre eigenen Gedanken, Gefühle

und Empfindungen, Ihre Stärken, Ihre Entscheidungen, Ihre In-

teressen, die Themen und Menschen, mit denen Sie sich ger-

ne beschäftigen, Ihre Vision und Passion und nicht zuletzt Ihre

Werte. Durch regelmäßiges Üben können Sie Ihr Auftreten nach

außen verbessern und lernen Sie selbst zu sein. Darauf wird es

dann auch im Bewerbungsprozess ankommen: Authentizität.

Die Übungen in diesem Booklet sind kein Bewerbungstraining.

Aber vielleicht eine ebenso wohltuende wie erkenntnisreiche

Möglichkeit, den eigenen Weg zu bahnen.

Los geht´s Unser Ziel ist es, zu Ihrer Selbstentfaltung beizutragen. Wir wol-

len, dass Sie sich und anderen zutrauen Herausforderungen

zu meistern und planvoll etwas zu bewirken. Und dabei auch

die wertvollen Kenntnisse aus dem Fachstudium anzuwenden.

Wenn Ihre persönlichen und gesellschaftlichen Ziele geklärt sind,

werden die großen Errungenschaften der Technologie, die Sie

am KIT studiert haben, umso nützlicher.

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Im Alltag ist man meistens dabei, irgendeine Leistung zu

erbringen. Oder sich von den äußeren Erfordernissen ab-

zulenken, zum Beispiel mit sozialen Medien. In den fol-

genden Übungen geht es weder um das eine, noch um

das andere. Innehalten meint, sich (wieder) auf sich selbst

zu besinnen.

Schaffen Sie sich einen Raum zum Luftholen ganz ohne

Verpflichtungen, in dem Sie sich entspannen können. Tre-

ten Sie bildhaft einen Schritt zurück und beobachten Sie

sich selbst dabei, was Sie gerade JETZT denken, fühlen

und empfinden. Innehalten ist der Beginn jedes geistigen

Fortschritts und wird seit Jahrhunderten von verschiede-

nen östlichen wie westlichen Religionen praktiziert. Auch

in der Wissenschaft sind Meditation, Kontemplation und

Achtsamkeit längst angekommen. Forschungen belegen,

dass Übungen zur Achtsamkeit die Gesundheit erhalten,

Stressbelastungen verringern, Konzentration und Klarheit

schenken und letztlich die Leistungsfähigkeit erhöhen.

Innehalten

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In allen Übungen dürfen Sie einfach nur wahrnehmen,

den Geist beruhigen und damit aufhören, sich in Gedan-

ken zu verbeißen. Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit freund-

lich und vorurteilsfrei auf Ihre Gedanken, Emotionen und

Empfindungen, die in Ihrem Innern auftauchen. Machen

Sie sich im Stillen eine Notiz: »Ah, das ist es, was ich jetzt

gerade denke, fühle und erlebe«. Werden Sie zum Beob-

achter Ihrer eigenen Gedankenströme. Und dann wenden

Sie sich wieder den neuen Gedanken, Gefühlen und Emp-

findungen zu, die unweigerlich auftauchen werden. Inne-

halten schenkt Ihnen die Freiheit zu entscheiden, welche

flüchtigen Eindrücke Sie für real und wahr halten wollen.

Sie schulen damit die Genauigkeit Ihrer Wahrnehmung

und können Dinge wieder neu bewerten oder anders ge-

wichten. Ihre Fähigkeit, in Alternativen zu denken, wird

Ihnen bewusstwerden. Und unweigerlich werden Sie sich

mit Ihrer Umwelt bzw. den Menschen in Ihrem Umfeld

verbunden fühlen. Probieren Sie es aus!

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Die einfachste Art zum Innehalten ist, den eigenen Atem zu

spüren. Und dabei völlig ruhig zu werden. Das klingt einfach,

ist aber gar nicht so leicht, weil in der Stille sofort verschiedene

Gedankenströme auftauchen werden, die Ihre Aufmerksamkeit

auf sich ziehen. Die Kunst oder auch der Zweck der Übung ist,

sich davon nicht vereinnahmen zu lassen und die Aufmerksam-

keit wieder ausschließlich auf den Atem zu richten.

Atem-Meditationen sind sowohl in östlichen wie in westlichen

Kulturkreisen verbreitet. Der Atem wird als Symbol des Lebens

betrachtet, als Verbindung mit allem Lebendigen. Der Luftstrom

verbindet Kopf, Herz und Bauch und verweist auf die Dynamik

menschlicher Selbstwerdung im Wechsel von Annehmen und

Loslassen. Die Wirksamkeit von Atemmeditationen zum Abbau

von Stress ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Einige Minu-

ten am Tag helfen bereits, ruhig zu werden und wieder besser in

Kontakt mit sich selbst zu kommen.

Und so geht es: Setzen Sie sich bequem und aufrecht hin. Schlie-

ßen Sie die Augen. Nehmen Sie nun Ihren Atem bewusst wahr,

Atem-Meditation

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das Einatmen und das Ausatmen. Vielleicht spüren Sie den Atem

als Luftstrom an der Nasenspitze, beim Heben und Senken des

Brustraumes oder der Bauchdecke.

Wenn Gedanken kommen – was unweigerlich der Fall sein wird,

dann nehmen Sie die Gedanken wahr, ohne an ihnen festzu-

halten. Verabschieden Sie die Gedanken freundlich. Und wenn

neue Gedanken kommen, dann lassen Sie sie vorüberziehen

wie Wolken am Himmel. Konzentrieren Sie sich wieder auf den

Atem. Entspannen Sie sich. Es gibt nichts, was Sie jetzt leisten

müssen. Seien Sie einfach nur da.

Nach 5-10 Minuten können Sie die Augen wieder öffnen. Neh-

men Sie sich noch einige Minuten Zeit, um nachzuspüren und in

der Entspannung zu bleiben.

Page 30: Der Alltag als Übung - KIT

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Nehmen Sie sich drei Minuten, um zur Besinnung zu kommen.

1. Minute: Machen Sie einen ›Stopp‹: »Wie bin ich hier? Wie

geht es mir jetzt?«

Welche Körperempfindungen spüren Sie? Anspannung, Ent-

spannung, Wärme, Kälte, Unruhe oder Ruhe? Und wo genau im

Körper können Sie das spüren?

Welche Gefühle gehen mit den körperlichen Empfindungen

einher? Unsicherheit, Gelassenheit, Ungeduld, Ängstlichkeit,

Freude oder etwas anderes?

Welche Gedanken, Glaubenssätze gehen mit den körperlichen

Empfindungen, den Gefühlen einher? Z.B. »Ich schaffe das

nicht, ich fühle mich überfordert, ich freue mich darauf, bin ge-

spannt…«

Nehmen Sie die drei Ebenen bewusst wahr, ohne diese zu be-

werten. Üben Sie eine freundliche, akzeptierende Haltung dem

Wahrgenommenen gegenüber.

Drei Minuten Achtsamkeit

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2. Minute: Lenken Sie Ihre Wahrnehmung auf den Atem, folgen

Sie dem Ein- und Ausatmen. Nehmen Sie den Atem als Anker,

um im gegenwärtigen Moment zu sein. Spüren Sie wie ›Es‹ Sie

ein- und ausatmet.

3. Minute: Dehnen Sie den Atem auf den ganzen Körper aus,

nehmen Sie den Atem im Köper wahr. Nehmen Sie sich ›Atem-

raum‹ oder ›Breathing Space‹. Es gibt dabei nichts zu tun, zu

machen oder zu erreichen: Einfach Dasein – hier und jetzt.

Beenden Sie die Übung. Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit lang-

sam wieder nach außen. Bleiben Sie soweit wie möglich in der

Achtsamkeit, wenn Sie sich wieder den Dingen Ihres Alltags zu-

wenden.

von Bettina Werner

Page 32: Der Alltag als Übung - KIT

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Die Natur ist ein Ort, in der wir uns entspannen können. Auch

die Wissenschaft hat diverse gesundheitsfördernde Auswirkun-

gen festgestellt, die eintreten, wenn wir uns in die Natur bege-

ben. Je bewusster dies geschieht, desto größer der Effekt. Die

folgende Aufgabe ist bei vielen Naturvölkern der Erde sehr ver-

breitet.

Nehmen Sie sich etwa eine halbe Stunde oder mehr Zeit. Finden

Sie einen Platz in der Natur, der Sie anspricht. Es kann unter

einem schönen Baum sein oder an einem kleinen Fluss, am

Waldrand oder auf einer kleinen Lichtung. Es kann aber auch

auf einer Parkbank, auf Ihrem Balkon oder sogar am geöffneten

Fenster sein. Der Aufwand, den Sie damit haben, sollte mög-

lichst gering sein und gut in Ihren Alltag passen.

Nun setzen Sie sich hin. Achten Sie darauf, dass Sie es bequem

haben und Ihnen warm genug ist. Nehmen Sie sich dann einen

Moment Zeit, um anzukommen, bevor Sie mit der Übung be-

ginnen.

Sitzplatz

Page 33: Der Alltag als Übung - KIT

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Sehen: Ihr Blick geht zum Horizont. Versuchen Sie alles in Ihrem

Sichtfeld zu sehen, ohne den Fokus auf irgendetwas zu legen

(alles sehen, nichts anschauen). Nehmen Sie die Bewegungen

wahr, das ›Spiel‹ zwischen Hell und Dunkel. Sehen Sie den drei-

dimensionalen Raum.

Hören: Öffnen Sie Ihre Ohren dafür, alles in Ihrer Umgebung

zu hören. Bleiben Sie beim gegenwärtigen Moment. Lassen Sie

die Geräusche quasi durch sich durch – nichts haftet an Ihnen

an. Lassen Sie einen dreidimensionalen Klangraum um Sie her-

um entstehen. So können Sie Dinge in der Umgebung um sich

herum wahrnehmen, die Sie mit dem Auge nicht sehen können.

Wiederholen Sie diese Aufgabe fünfmal innerhalb einer Woche.

Wenn es möglich ist, können Sie sie zu ganz unterschiedlichen

Uhrzeiten machen. Mal früh morgens zum Sonnenaufgang, mal

mittags, wenn die Sonne am höchsten steht, oder mitten in der

Nacht.

von Andreas Lelley

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Neben dem Atem sind Geräusche eine gute Gelegenheit

Achtsamkeit zu üben. Die Aufgabe besteht darin, Geräusche

Ihres Alltags zu bemerken, ohne sie zu bewerten. Es gibt nichts,

was Sie dabei leisten oder erreichen müssen.

Wählen Sie für diese Übung eine passende Umgebung aus –

vielleicht der Schlosspark oder das Foyer vor dem Audimax oder

vielleicht möchten Sie auch den ›Raum der Stille‹ dafür nutzen.

Setzen Sie sich entspannt hin. Wenn Sie möchten, schließen Sie

die Augen. Lassen Sie den Atem einfach fließen. Achten Sie nun

auf das, was Sie hören. Die folgenden Fragen (nach Hoffmann

2015, S. 20) können dabei helfen:

Stellen Sie sich vor, Sie wären wie ein Mikrofon, das nicht weiß,

was auf es einströmt. Welche Geräusche erreichen Sie? Sind sie

jeweils laut oder leise? Schwanken Lautstärken oder Tonhöhen?

Empfinden Sie sie als angenehm oder als unangenehm? Was ist

das leiseste Geräusch, das Sie hören? Wie wirken die Geräusche

auf Sie? Wie fühlen sie sich an?

Geräusch-Meditation

Page 35: Der Alltag als Übung - KIT

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Bei Unterhaltungen von Menschen besteht die Kunst darin, das

Geräusch zu hören, ohne den Worten einen inhaltlichen Sinn zu

geben. Ganz so als würden die Personen in einer uns fremden

Sprache sprechen.

Manchmal tun sich Pausen zwischen den Geräuschen auf.

Können Sie die Stille hören? Beenden Sie die Übung. Öffnen

Sie langsam die Augen und hören wieder ›ganz normal‹.

Wiederholen Sie diese Übung mehrmals innerhalb einer Woche,

vielleicht auch an unterschiedlichen Orten.

Page 36: Der Alltag als Übung - KIT

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Selbst unliebsame Wartezeiten (vor der Kasse am Supermarkt, an

der Haltestelle oder vor der roten Ampel) bieten Gelegenheiten

für kleine Achtsamkeitsübungen (Hoffmann 2015, Iding 2015).

Achten Sie doch einmal darauf, wie Sie Ihren Körper wahrneh-

men, wenn Sie nichts tun müssen, als zu warten. Versuchen Sie

einmal durch Ihren Körper zu wandern, von Kopf bis Fuß: Neh-

men Sie Ihren Kopf, Ihren Hals, Brust, Schultern, den oberen

Rücken, Arme, Hüfte, Oberschenkel, Waden und Füße wahr.

Wenn Sie stehen, stehen Sie aufrecht. Probieren Sie den ›stolzen

Schwan‹. Stellen Sie sich vor, dass jemand an einem unsicht-

baren Faden zieht, der vom höchsten Punkt Ihres Kopfes nach

oben führt. Das Kinn geht dadurch etwas nach unten. Nehmen

Sie die Schultern nach hinten und die Brust leicht nach vorn. Das

Becken ist aufgerichtet, sodass weder ein Hohlkreuz noch ein

Rundrücken entstehen.

Wie fühlt sich Ihr Körper direkt nach der Übung an? Wie erleben

Sie diese Minuten, in denen Sie im Körper sind?

Achtsam warten

Page 37: Der Alltag als Übung - KIT

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Eine besondere Form des Innehaltens ist das Schreiben von Mor-

genseiten. Die Übung ist ein Klassiker der Schreibmeditation

(Cameron 2009).

Schreiben Sie jeden Morgen mit der Hand drei Seiten am Stück

(per Hand schreiben ist langsamer als tippen und hilft, sich bes-

ser zu konzentrieren). Cameron empfiehlt, sich 20 Minuten

dafür zu reservieren. Schreiben Sie auf, was Ihnen in den Sinn

kommt – ohne jeden literarischen Anspruch. Sie schreiben nur

für sich. Wenn Sie fertig sind, legen Sie den Text weg. Sie brau-

chen das Geschriebene nicht wieder durchzulesen. Sie schreiben

buchstäblich etwas aus sich heraus. Probieren Sie zwei Wochen

am Stück durchzuhalten. Was fällt Ihnen auf?

Die Übung ist hervorragend geeignet, um Gedankenkreisen zu

beenden oder um negative Gedanken zu regulieren. Die Idee ist,

das, was Sie beschäftigt, für die 20 Minuten des Schreibens zu be-

achten – und es dann wieder gut sein zu lassen. Vielleicht bemer-

ken Sie, wie sich die Geräuschkulisse in Ihrem Innern minimiert

und Sie wieder einen klaren Kopf bekommen. Weitere Übungen

in diesem Zusammenhang finden Sie bei Robinson 2013, S. 40ff.

Morgenseiten schreiben

Page 38: Der Alltag als Übung - KIT

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Konflikte gehören zum Leben. Im Privaten wie im Beruf, auch

wenn es schwierig ist, professionell damit umgehen. Meistens

sind es Gefühle, die den Konflikt auslösen. Marshall B. Rosenberg

hat eine Vorgehensweise beschrieben, wie diese Gefühle beach-

tet und gehört werden können – und wie daraus eine Haltung

zum Umgang mit Konflikten wird. Die folgende Übung skizziert

die Grundlage dieser Sprache der ›Gewaltfreien Kommunikation‹.

Beginnen Sie damit, Ihre eigene Wahrnehmung dem Gegenüber

zu schildern. Und benennen Sie das Gefühl, das Sie damit ver-

binden. Überlegen Sie: Hinter jedem Gefühl versteckt sich ein

Bedürfnis. Welches Bedürfnis versteckt sich hinter Ihrem Gefühl

im Konflikt? Ist es eine Verletzung Ihres Bildes von Gleichberech-

tigung, von Ordnung, von Anerkennung, von Neugierde, oder

etwas anderem? Durch Kommunikation dieses Bedürfnisses hat

Ihr Konfliktpartner die Chance, Sie zu verstehen und die sich

anschließende Bitte zu erfüllen.

Reflektieren Sie Ihre Bedürfnisse hinten Ihren Gefühlen – sorgen

Sie für Selbstklärung. Notieren Sie Ihre Erfahrungen und Heraus-

forderungen bei der Anwendung dieser Methode.

Gewaltfreie Kommunikation

Page 39: Der Alltag als Übung - KIT

3939

Wahrnehmung »Wenn ich sehe/höre/wahrnehme/daran denke ...,«

Gefühl »...fühle ich mich/ bin ich (Gefühlswort) …,«

Bedürfnis

»...weil mir ... (+ Bedürfniswort) wichtig ist.«

»...weil ich brauche ...«

»...weil ich gerne hätte, dass ...«

»...weil mir sehr daran liegt, dass …«

Bitte »Bist du bitte bereit (+ konkrete Handlung im Jetzt) ...?

»Und ich möchte gerne, dass du bitte ...«

» Ist es für Dich in Ordnung, wenn Du bitte...«

Experimentieren Sie damit und üben Sie eine Vielzahl von unter-

schiedlichen Gefühlsworten und Bedürfnissen. Erweitern Sie Ihr

Repertoire um Feinheiten und Synonyme. Achten Sie auf den

Unterschied von Gefühlen und Bedürfnissen!

von Daniela Geraets

Page 40: Der Alltag als Übung - KIT

4040

Bei dieser Übung geht es darum, die Mahlzeiten mit Achtsam-

keit einzunehmen. Dazu gehört, den Fernseher oder Radio aus-

schalten, die Zeitung/Zeitschrift oder das Smartphone beiseite-

legen. Der Fokus liegt nur auf der jetzigen Tätigkeit, dem Essen.

Nehmen Sie vor dem Essen drei tiefe Atemzüge und beginnen

Sie erst dann zu essen. Öffnen Sie beim Essen alle Sinne: Ma-

chen Sie sich bewusst, wie Sie sitzen. Betrachten Sie die Farben,

Formen, Zutaten. Achten Sie auf Gerüche und auf Geschmäcker

in Ihrem Mund. Notieren Sie Ihre Erfahrungen während einer

Woche.

von Manuela Schnaubelt

Beim Essen nur essen

Page 41: Der Alltag als Übung - KIT

4141

Auch das Duschen kann als Achtsamkeitserfahrung genutzt

werden. Schon früh am Morgen kann man beginnen, achtsam

zu sein. Die nachfolgenden Fragen dienen Ihrer Inspiration.

• Wie fühlt sich die Haut an?

• Wie fühlt sich das Wasser auf der Haut an?

• Wie fühlen sich Shampoo und Duschgel an? Wie ist der Duft?

• Wie fühle ich mich zu Beginn, wie danach?

• Ist mir das Duschen eine Last oder eine Freude?

von Manuela Schnaubelt

Achtsam duschen

Page 42: Der Alltag als Übung - KIT

4242

Welche Werte haben Sie? Welche Haltungen, Ideen, Eigenschaf-

ten, Prinzipien oder Qualitäten halten Sie für erstrebenswert?

Welche sind Ihnen besonders wichtig? Welche haben eine be-

sondere Bedeutung in Ihrem Leben?

Rufen Sie sich eine Situation in Erinnerung, in der der betreffende

Wert entweder missachtet oder verwirklicht wurde. Wenn Sie bei

einem Wert stark negativ reagieren, wenn er missachtet wurde

oder stark positiv, wenn er verwirklicht wurde, spielt er für Sie

eine wichtige Rolle.

Sie können nun die Werte, die Sie als besonders wichtig erkannt

haben auf einer Schatzkarte gleichmäßig verteilen. Je größer die

Schrift, desto wichtiger die dazugehörigen Werte (nach Schwep-

pe/Long 2016, S. 25). Zeichnen Sie Ihre Werte-Schatzkarte!

Werte-Schatzkarte

Page 43: Der Alltag als Übung - KIT

4343

EhrlichkeitBeharrlichkeit

Toleranz

Wertschätzung

Disziplin

Gerechtigkeit

Mitgefühl

NeugierOffenheit

Humor

SpontanitätGelassenheit

Mut

DankbarkeitBeharrlichkeit

Page 44: Der Alltag als Übung - KIT

4444

In der Wirtschaftswissenschaft spricht man davon, dass Unter-

nehmen Produkte und Dienstleistungen in die Welt bringen,

um Bedürfnisse zu befriedigen. Individueller Konsum bildet die

Nachfrage in einer Volkswirtschaft und hat somit enorme Aus-

wirkungen auf die nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und

Gesellschaft. Das heißt, um als Individuum zu nachhaltiger Ent-

wicklung beizutragen, ist es notwendig, das eigene Konsumver-

halten zu reflektieren. Um tiefer zu gehen, hilft es, die eigene

Bedürfnisstruktur zu betrachten.

Max-Neef u.a. (1991) postulieren 9 Grundbedürfnisse: • Lebenserhaltung (z.B. Essen, Trinken, Lebensunterhalt ver-

dienen)

• Schutz (z.B. Versicherungen abschließen, sicheren Wohn-

ort suchen)

• Zuneigung (z.B. Zeit mit Familie, Freunden verbringen)

• Verständnis (z.B. Lernen, Lesen)

• Teilnahme (z.B. gesellschaftliche Partizipation, Arbeiten)

• Muße (z.B. Ausruhen, Fernsehen)

Mein Konsumverhalten

Page 45: Der Alltag als Übung - KIT

4545

• Kreativität (z.B. Musizieren, Malen)

• Identität (z.B. Zugehörigkeit zu Status, Geschlecht)

• Freiheit (z.B. Leben der Meinungsfreiheit)

Welche Bedürfnisse sind bei Ihnen besonders stark? Welche

Bedürfnisse werden durch Ihre Lieblingsprodukte und Dienst-

leistungen erfüllt? Auf welche Lieblingsprodukte und Dienst-

leistungen könnten Sie verzichten und wie könnten Sie das

darunterliegende Bedürfnis anders erfüllen? Welche Lieblings-

produkte und Dienstleistungen fungieren als Pseudo-Befriediger

(das heißt: Sie glauben nur, dadurch ein Bedürfnis zu befriedi-

gen, tun es aber gar nicht)?

von Julia Hufnagel

Page 46: Der Alltag als Übung - KIT

4646

In einem Team gibt es viele verschiedene Rollen. Rollen, die man

bewusst einnimmt, die zugeteilt oder zugeschrieben werden.

Rollen können sein: Erfinderin, Wegbereiter, Koordinatorin, Ma-

cherin, Beobachter, Mitspielerin, Umsetzer, Perfektionist, Spezia-

listin …

Welche Rolle nehmen Sie im Team ein und welche Rolle wollen

Sie wirklich einnehmen? Stellen Sie sich folgende Fragen:

• Wie definieren Sie ›konstruktiv‹? Können Sie konstruktiv

mit anderen zusammenarbeiten?

• Welche Meinung haben Sie zu Vielfalt im Team? Was den-

ken Sie zu den unterschiedlichen Charakteren, Talenten

und Meinungen? Welche finden Sie spannend und anzie-

hend oder eher uninteressant und weniger ansprechend?

• Wie respektvoll und tolerant gehen Sie mit diesen Unterschie-

den um? Welche konkreten Erlebnisse hatten Sie mit gleichen

Meinungen und welche mit ungleichen Meinungen?

• Wann sind Sie proaktiv tätig?

• Wann sind Sie motiviert mit anderen an einem Thema tätig?

Meine Rolle im Team

Page 47: Der Alltag als Übung - KIT

4747

• Wie selbstbewusst verteidigen Sie Ihre Ideen? In welchen

Kontexten sind Sie so und in welchen nicht?

• Wie nehmen Sie Kritik an?

• Schlichten Sie Streit?

• Auf welche Teammitglieder achten Sie und auf welche

nicht?

Gehen Sie gern auch mit einer anderen Person ins Gespräch und

fragen Sie nach deren Einschätzung. Selbstbild und Fremdbild

ergeben interessante Einblicke.

von Daniela Geraets

Page 48: Der Alltag als Übung - KIT

4848

Kennen Sie die Geschichte von Momo und den Zeitdieben? Als

in Momos Stadt die grauen Herren auftauchten, rechneten sie

den Bewohnern vor, wie viel Zeit sie sparen könnten, wenn sie

scheinbar unnütze Dinge unterließen. Die gesparte Zeit sollten

sie bei der ›Zeitsparkasse‹ anlegen und später mit Zins und Zin-

seszinsen zurückerhalten. Und tatsächlich: Nach und nach lie-

ßen sich immer mehr Menschen von dieser Idee überzeugen. Sie

begannen, durchs Leben zu hetzen, scheinbar unnütze Beschäf-

tigungen aufzugeben, wurden im zeitökonomischen Sinne im-

mer effizienter – doch gleichzeitig freudloser. Es dauerte einige

Zeit, bis sie selbst feststellten, dass sie betrogen worden waren:

Ihre Zeit für das Wesentliche wurde ihnen gestohlen.

So die Geschichte, die der Jugendbuchautor Michael Ende sie-

ben Jahre lang aufschrieb und 1973 schließlich veröffentlichte.

Vorausschauend traf er damit den heutigen Zeitgeist. Denn die

grauen Herren aus Momos Städtchen haben inzwischen Besitz

von unseren Köpfen genommen. Wir versuchen immer mehr

aus unserem Tag herauszuholen, schlafen weniger. Gestresst zu

sein, gilt beinahe als Auszeichnung. Sich längere Zeit auszuruhen,

wirkt auf viele suspekt, das schiere Nichtstun gilt als Todsünde.

Die Zeit läuft- wie leben wir sie?

Page 49: Der Alltag als Übung - KIT

4949

Nur wer wirklich lebt, kann sich und andere Menschen füh-

ren. Menschen mit einer festen Tagesstruktur, mit einem klaren

Rhythmus und geregelten Pausenzeiten erleben, wie dadurch

Ruhe und Ordnung in ihr Leben kommen.

Aus der Erfahrung eines gesunden Lebens sind es fünf Priori-

täten, die im Leben nicht fehlen sollen.

Schlaf: Viele Menschen haben zu wenig Schlaf und gehen oft

›schlafend‹ durch den Tag und sind nicht präsent in den ver-

schiedenen Interaktionen.

Träume enthalten zahlreiche Hinweise über unsere Bedürfnisse

oder über eine bisher unbekannte psychologische Wirklichkeit.

Es kann helfen Sie aufzuschreiben, um hinter ihr Geheimnis zu

kommen.

Bewegung: Äußere Bewegung wie Radfahren, Joggen etc. gibt

dem Leben innere Bewegungen. Was sind Ihre Beweggründe,

ob Sie etwas tun oder nicht tun?

Page 50: Der Alltag als Übung - KIT

5050

Beziehungen aus denen Sie schöpfen und leben können. Die

gepflegt sein wollen, die manchmal auch ruhen und dann wie-

der sehr lebendig sind. Menschen, die einfach da sind und die

Ihnen mit einer großen Offenheit, Anteilnahme und Interesse

gut tun.

Arbeit ist für manche Menschen so wichtig, als gäbe es sonst

nichts im Leben. Arbeit, die Ihnen Freude und Lust am Leben

schenkt. Arbeit ist nicht nur schön. Sie kann sehr ernüchtern

sein, auch das gehört zum Leben.

Nehmen Sie sich 10 Minuten für folgende Übung Zeit: Betrach-

ten Sie den Verlauf eines typischen Tages, den Sie in Erinnerung

haben. Tragen Sie in der abgebildeten Uhr möglichst konkret

ein, wann Sie wie viel Zeit Sie für welche der fünf Prioritäten

verwenden. Wie sieht das Ergebnis aus? Was fällt Ihnen auf?

Überrascht Sie etwas? Sagt die Tageszeit-Analyse etwas zur Fra-

ge, wie Sie die Zeit leben?

von Stephan Veith OSB

VORMITTAG

NACHMITTAG

A

BEND

NACHT

Page 51: Der Alltag als Übung - KIT

5151

VORMITTAG

NACHMITTAG

A

BEND

NACHT

12

18

6

24

Page 52: Der Alltag als Übung - KIT
Page 53: Der Alltag als Übung - KIT
Page 54: Der Alltag als Übung - KIT

5454

Im menschlichen Erleben gibt es positive und negative Ge-

fühle. Und beide haben ihre Berechtigung und ihren Sinn

für unser Leben. Wenn in den folgenden Übungen die

positiven Gefühle im Mittelpunkt stehen, dann nicht, um

so zu tun, als gäbe es diese negativen nicht oder als käme

es darauf an, die negativen Gefühle zu unterdrücken. Im

Gegenteil: »All sunshine makes a desert.«

Nicht ein esoterisches ›Positives Denken‹ ist das Ziel, son-

dern die wissenschaftlich begründete Fokussierung des

Guten und Bereichernden im Leben. Positive Gefühlen

fördern nachweislich das Denken, die Kreativität und die

Problemlösefähigkeit und tragen zu stabilen sozialen Be-

ziehungen bei. Also genau das, was man im Studium gut

gebrauchen kann.

Während negative Gefühle schneller wahrgenommen

werden, mehr Aufmerksamkeit binden und länger nach-

wirken (»only bad news are good news«), sind die positi-

ven Gefühle zwar im Durchschnitt häufiger, werden aber

im Alltag nicht so leicht bemerkt, was wohl auch daran

Positives wahrnehmen

Page 55: Der Alltag als Übung - KIT

5555

liegt, dass sie nicht so eindeutig sind und sich oft über-

lappen. D.h. man muss gezielte Strategien anwenden, um

das Positive wahrzunehmen.

Die wissenschaftliche Forschung hat die Wirkung positi-

ver Emotionen nachgewiesen und stellt viele Trainings-

möglichkeiten zur Verfügung, wie sie bemerkt und in das

eigene Erleben integriert werden können.

Die Positive Psychologie hat sich Ende der 1990er Jahre

entwickelt und betreibt wissenschaftliche Forschung zu

optimaler menschlicher Leistungsfähigkeit und psychi-

scher Gesundheit. Das Ziel ist es, Möglichkeiten aufzuzei-

gen, wie Einzelne und Gemeinschaften aufblühen können.

Mittlerweile finden die Konzepte in vielen Bereichen der

Wirtschaft und in der Gesellschaft Anwendung. So kon-

zentrieren sich zum Beispiel ›positive Führungskräfte‹ da-

rauf, ihr Unternehmen aufblühen zu lassen und die Be-

schäftigten zu motivieren, anstatt nur Probleme zu lösen,

Hindernisse aus dem Weg zu räumen oder das Konkur-

renzvermögen und die Rendite zu erhöhen.

Page 56: Der Alltag als Übung - KIT

5656

Die amerikanische Psychologin Barbara L. Fredrickson hat einen

Schnelltest entwickelt, die sog. ›Positivity Ratio‹, mit dem man

seinen alltäglichen Gefühlen auf die Spur kommt (Fredrickson

2009). Nahm man zunächst an, dass es einen optimalen Quo-

tienten von positiven zu negativen Emotionen gibt, so ist diese

These inzwischen widerlegt. Unbestritten ist dagegen, dass der

Fokus auf positives Erleben eine Aufwärtsspirale in Gang setzt,

bei der die Aufmerksamkeit erweitert und langfristige Ressour-

cen aufgebaut werden (sog. ›Broaden-and-Build-Theorie‹).

Es ist daher lohnend, immer wieder diesen Schnappschuss sei-

ner Emotionen zu machen, um Schwankungen zu bemerken

und sie auf äußere Einflüsse zurückzuführen.

Hier geht es zum Test: www.positivityratio.com

Machen Sie eine Bestandsaufnahme

Page 57: Der Alltag als Übung - KIT

5757

Schöne Erlebnisse mitzubekommen, ist gar nicht so leicht. Im

Alltag ist man häufig im ›Problemmodus‹: Man bemerkt vor al-

lem, was nicht gut läuft; was positiv ist, braucht nicht erwähnt

zu werden. Ganz nach der Binse des schwäbischen Dorflehrers

»Net gschimpft isch a scho globt.« Damit es anders sein kann,

gibt es eine simple Methode.

Legen Sie morgens eine Anzahl von Kaffeebohnen (oder ande-

re Bohnen) in die rechte Hosentasche. Wenn gerade etwas gut

läuft, wandert unauffällig eine Kaffeebohne von der rechten in

die linke Hosentasche. Am Abend ziehen Sie Bilanz: Was ist heu-

te gut gelaufen?

von Marie-Hélène Seidl-Scheerer

Kaffeebohnen-Methode

Page 58: Der Alltag als Übung - KIT

5858

Eine der am schnellsten aufzuspürenden positiven Emotionen

ist die Dankbarkeit. Viele spirituelle Traditionen weisen seit Jahr-

hunderten auf die besondere Rolle der Dankbarkeit hin und se-

hen in ihr ein Merkmal tief empfundener Lebensqualität.

Dankbarkeit für Großes wie für ganz Kleines kann eine Kraft-

quelle sein, um aktiv, beherzt oder gelassen seine täglichen Auf-

gaben zu meistern. Dabei gibt es kein Ziel zu erreichen. Sondern

nur Dankbarkeit zu empfinden.

Ein Klassiker der Dankbarkeitsübungen ist das ›Dankbarkeitsta-

gebuch‹, manchmal auch ›positiver Tagesrückblick‹ oder ›Drei-

gute-Dinge-Übung‹ genannt (Emmons 2008, S. 193; Bannink

2012, S. 97).

Nehmen Sie sich täglich Zeit, um sich abends vor dem Schla-

fengehen an Augenblicke mit Dankbarkeit zu erinnern. Diese

können mit alltäglichen oder ganz normalen Ereignissen ver-

bunden sein, mit Ihren persönlichen Eigenschaften oder Men-

schen in Ihrem Leben, die Sie besonders schätzen.

Tagesrückblick in Dankbarkeit

Page 59: Der Alltag als Übung - KIT

5959

Schreiben Sie auf, welche drei guten Dinge Ihnen an diesem

Tag passiert sind. Manchmal müssen Sie vielleicht erst danach

suchen, aber Sie werden entdecken, bald auch für kleine und

nebensächliche Dinge dankbar zu sein. Notieren Sie, wie es zu

diesen Erfahrungen gekommen ist und ergänzen Sie – wenn

Sie möchten, welchen Einfluss Sie darauf hatten.

Wenn Sie Ihre eigenen Stärken kennen, dürfen Sie die positiven

Erlebnisse auch gerne damit in Verbindung bringen, etwa so:

»Heute ist gut gelaufen, dass (...)«. »Der Grund dafür ist, dass

ich folgende Stärke einbringen konnte: (...)«

Führen Sie diese Übung mindestens eine Woche lang durch. Wie

geht es Ihnen dabei? Können Sie am Ende der Woche Verände-

rungen feststellen? Beobachten Sie, wie sich Ihre Stimmung ver-

ändert und halten Sie die Ergebnisse fest.

Page 60: Der Alltag als Übung - KIT

6060

In dieser Übung (nach Bannink 2012, S. 64) geht es darum, das

Glück, das schon da ist, aber oft übersehen wird, zu bemerken

und zusammenzutragen. Besonders viel Freude bereitet diese

Übung, wenn man sie zusammen mit einer guten Freundin

oder einem guten Freund an einem schönen Abend bei einem

leckeren Getränk macht. Oder man nimmt sich einen Zettel und

schreibt den Tag über etwas auf.

• Nennen Sie zehn positive Eigenschaften von Ihnen selbst.

• Nennen Sie zehn Erfolge aus Ihrem Leben.

• Nennen Sie zehn Arten, wie Sie nett zu anderen sind.

• Nennen Sie zehn Glückstreffer in Ihrem Leben.

• Nennen Sie zehn Arten, auf die Sie von anderen unterstützt

werden.

Reflektieren Sie anschließend: Was nehmen Sie mit aus der

Übung? In welchem Licht sehen Sie sich, nachdem Sie die Liste

vervollständigt haben? Wie erleben Sie die Menschen in Ihrem

Umfeld?

50 Wege, Glück zu finden

Page 61: Der Alltag als Übung - KIT

6161

Die folgende Übung verbindet die Haltung der Achtsamkeit mit

der aus der Resilienzforschung bekannten Praxis des bewussten

Genießens (Savouring).

Achten Sie in der nächsten Woche ganz bewusst auf Schönes

in Ihrem Alltag. Nehmen Sie bewusst wahr, was Ihnen Freude

bereitet, Sie als angenehm empfinden und genießen können.

Dies können besondere Ereignisse sein (z. B. dass Sie sich eine

Massage gegönnt haben) oder – viel wichtiger – ganz alltägliche

Freuden. Nehmen Sie sich jeden Tag ein paar Augenblicke Zeit,

um sich zu erinnern und Notizen zu machen.

Notieren Sie, am besten abends bzw. vor dem Schlafengehen:

• Was war heute schön?

• Warum war das schön? Welche Gefühle wurden dadurch

bei Ihnen ausgelöst?

• Reflektieren Sie für sich, wie es Ihnen beim Aufschreiben und

Erinnern geht. Spüren Sie den guten Gefühlen nach.

von Manuela Schnaubelt

Genuss im Alltag

Page 62: Der Alltag als Übung - KIT

6262

Haben Sie schon mal eine Liste geschrieben, was Ihnen alles

Freude bereitet? Berühmte Personen wie Bertolt Brecht haben

solche Listen geführt (Knopf 2000, S. 174f.).

Schreiben Sie Ihre eigene Freudenliste. Versuchen Sie immer

wieder etwas zu ergänzen. Schön ist es, sich seine Freudenlis-

te (leise oder laut) vorzusprechen und sich dabei die einzelnen

Punkte sehr lebendig vor Augen zu führen. Es wirkt wie eine

erfrischende Dusche.

Freudenlisten

Page 63: Der Alltag als Übung - KIT

6363

Bertolt Brecht, »Vergnügungen«

Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen

Das wiedergefundene alte Buch

Begeisterte Gesichter

Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten

Die Zeitung

Der Hund

Die Dialektik

Duschen, Schwimmen

Alte Musik

Bequeme Schuhe

Begreifen

Neue Musik

Schreiben, Pflanzen

Reisen

Singen

Freundlich sein.

Page 64: Der Alltag als Übung - KIT

6464

Die Art, wie wir kommunizieren, hat einen großen Einfluss auf

die Qualität unserer Beziehungen. Wählen Sie sich für die fol-

gende Übung verschiedene Personen aus Ihrem Umfeld aus, mit

denen Sie diese Übung ausprobieren möchten. Sprechen Sie

nicht darüber, was Sie vorhaben, tun Sie es einfach.

Nehmen Sie sich für die kommende Woche vor, an mindestens

drei Tagen Folgendes zu tun:

Äußern Sie mehr Positives als Negatives! Für jede kritische Aus-

sage, jede Kritik, die Ihnen mal wieder rausrutscht, sagen Sie der

Person etwas Nettes, das nicht an den Haaren herbeigezogen

ist. Es gibt bestimmt viel ›Echtes‹, das es lohnt, ausgesprochen

zu werden!

Sie können auch gerne erst einmal eine Vorübung machen:

Wenn Sie sich bei einer negativen Aussage gegenüber einer

Person ›ertappen‹, formulieren Sie in Gedanken zwei bis drei

positive Aussagen, die Sie aber nicht aussprechen. Dies können

Sie direkt in der Situation oder im Rückblick tun.

Positive Kommunikation

Page 65: Der Alltag als Übung - KIT

6565

Bei der Übung kommt es auf die Quantität an: Die positiven

Aussagen sollten die negativen überwiegen. Es ist wissenschaft-

lich belegt, dass negative Äußerungen viel mehr nachwirken als

positive. Kritik bliebt länger im Gedächtnis als Lob. Um das zu

kompensieren, braucht es mehr positive Aussagen.

Beobachten Sie, welchen Einfluss die veränderte Kommunika-

tion auf Ihre Beziehungen hat. Verändert die positive Kommu-

nikation Ihr eigenes Empfinden? Notieren Sie Ihre Erfahrungen.

Page 66: Der Alltag als Übung - KIT

6666

Diese Übung ist eine der klassischen Strategien aus dem Bereich

des bewussten Genießens (Savouring) (Blickhan 2015, S. 72f.).

Die Übung besteht aus mehreren Phasen, die aufeinander auf-

bauen. Sie kann Ihnen helfen, sich von Ihren Alltagsproblemen

zu distanzieren und zur inneren Ruhe zu finden.

Die Übung basiert darauf, dass Sie eine Liste von Aktivitäten

erstellen, die Ihnen guttun. Je verschiedenartiger die einzelnen

Einträge sind, desto besser (wie verhaltenstherapeutische Stu-

dien gezeigt haben).

Was also tut Ihnen richtig gut? Welche Umgebung, welche Ri-

tuale? Was fühlt sich wie eine Art ›Mini-Urlaub‹ an? Denken Sie

an kürzere oder längere Aktivitäten. Solche, die Sie alleine aus-

führen oder mit anderen zusammen. Es können spontane oder

geplante Aktivitäten sein.

Beispiele: Mittagsschlaf machen, Musik hören, mit einer wei-

chen Decke auf dem Sofa liegen, Film schauen, mit einem

Freund ausgehen, tanzen, spazieren gehen, sich massieren las-

sen, kochen, einen Cappuccino/Tee trinken etc.

Der ›Mini-Urlaub‹ (Teil 1)

Page 67: Der Alltag als Übung - KIT

6767

Ziel ist es, eine Liste von mindestens 30-50 Einträgen zusammen-

zubringen, die Sie dann in eine Tabelle mit 3 Spalten eintragen:

• Kurze Aktivitäten

• Längere Aktivitäten

• Aktivitäten mit anderen

Anstelle der Liste oder der Tabelle können Sie auch eine Collage

machen: mit eigenen Fotos oder mit Bildmaterial aus Zeitschrif-

ten oder dem Internet.

Anschließend können Sie den zweiten Teil der Übung machen

(auf S. 119).

Page 68: Der Alltag als Übung - KIT

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Diese Schreibübung soll Ihnen helfen, sich Ihren Ziele und deren

Auswirkungen auf Ihr Leben bewusst zu werden, um ebenso

entschlossen wie gelassen im Studienalltag zu bleiben (Blickhan

2015, S. 153).

Nehmen Sie sich an vier aufeinander folgenden Tagen mindes-

tens 10 Minuten Zeit zum Schreiben. Wenn Sie mehr Zeit zwi-

schen den Schreibtagen lassen wollen, achten Sie darauf, die

Abstände nicht zu groß zu wählen, damit der innere Zusammen-

hang gewahrt bleibt.

An Tag 1 wählen Sie einen bestimmten Lebensbereich (z.B. Stu-

dium, privates Leben, freundschaftliche oder romantische Be-

ziehung, Gesundheit, Umgang mit sich selbst, Sport, Auslands-

erfahrung) und passende Zeitspannen dafür: z.B. in 5 Jahren, in

10 Jahren, in 20 Jahren.

Stellen Sie sich nun vor, dass bis zu diesem Zeitpunkt alles best-

möglich verlaufen ist: Sie haben Ihre Stärken aktiv eingesetzt

und sind insgesamt Ihren Lebenszielen nähergekommen.

Die Zukunft schreiben

Page 69: Der Alltag als Übung - KIT

6969

Versetzen Sie sich in Ihr zukünftiges Selbst hinein und nehmen

Sie sich Zeit, um gefühlsmäßig dort anzukommen: Welche in-

neren Bilder sind hier präsent? Wie fühlt sich das an? Schreiben

Sie nun spontan, aus dem Bauch heraus ohne groß nachzuden-

ken auf, wie es Ihnen geht, was Sie tun und was Ihnen wichtig

ist. Schreiben Sie mindestens 10 Minuten lang, ohne Unterbre-

chung, ohne das Geschriebene gleich wieder durchzulesen und

zu überarbeiten.

Wiederholen Sie an Tag 2, 3 und 4 die Übung mit einem ande-

ren Lebensbereich.

Ganz wichtig: Schreiben Sie kontinuierlich weiter, auch und

gerade wenn Sie denken, dass Ihnen jetzt nichts mehr einfällt.

Schreiben Sie trotzdem weiter und lassen Sie sich vom Ergeb-

nis überraschen. Legen Sie das Geschriebene am Ende beiseite

und nehmen Sie sich kurz Zeit, um mögliche Veränderungen in

Ihrem Befinden wahrzunehmen. Am besten lesen Sie Ihren Text

erst ein paar Tage nach Abschluss der gesamten Übung wieder

durch und lassen ihn solange wirken.

Page 70: Der Alltag als Übung - KIT

7070

Die Psychologie hat seit einigen Jahren das Konzepts des ›Selbst-

mitgefühls‹ entdeckt, das seine Wurzeln in der östlichen Philoso-

phie hat. Selbstmitgefühl verbindet drei Aspekte: Freundlichkeit

sich selbst gegenüber (auch in schwierigen, leidvollen Zeiten, bei

Versagen oder Imperfektion), ein Gefühl der Verbundenheit mit

allen Menschen und eine achtsame Grundhaltung. Die positive

Wirkung von Selbstmitgefühl ist inzwischen wissenschaftlich be-

stätigt: Personen mit einem hohen Maß an Selbstmitgefühl sind

insgesamt offener, zeigen nach Angriffen weniger Aggressivität,

haben weniger Angst und weniger selbstbezogene negative Ge-

danken (Fredrickson 2009, Neff 2012).

In der folgenden Metta-Meditation wird eine freundlich-wohl-

wollende Haltung geübt. Lesen Sie die Übung ein bis zweimal

durch, dann legen Sie das Booklet beiseite und stellen einen

Wecker auf zehn Minuten. Richten Sie sich nun in einer beque-

men Haltung ein, in der Sie in aller Ruhe bleiben können, bis der

Wecker klingelt. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem.

Wenn Sie Gedanken bemerken, lassen Sie sie ziehen. Sprechen

Sie im Stillen die folgenden Sätze.

Metta-Meditation

Page 71: Der Alltag als Übung - KIT

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Mögest du sicher und geborgen sein.

Mögest du glücklich sein.

Mögest du gesund sein.

Mögest du in Frieden und Leichtigkeit leben.

Denken Sie zunächst an eine Ihnen nahestehende Person, für

die Sie warme Gefühle haben. Sobald sich die Gefühle der Liebe

und des Mitgefühls manifestiert haben, wenden Sie Ihre Auf-

merksamkeit auf sich selbst. Sprechen Sie sich selbst diese Sätze

zu. Die meisten brauchen dafür viel Geduld und Übung. Dann

richten Sie die Worte und Empfindungen wieder auf andere. Zu-

nächst auf einen Menschen, den Sie gut kennen, dann schritt-

weise auf Freunde und weiter entfernt stehende Personen. Zum

Schluss auf alle Lebewesen.

Die Übung können Sie Schritt für Schritt auf 25 Minuten ver-

längern. Vielleicht hilft Ihnen dabei, der Stimme der amerikani-

schen Psychologin Kristin Neff zu folgen: self-compassion.org/

wp-content/uploads/2016/11/LKM_cleaned.mp3

Page 72: Der Alltag als Übung - KIT

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Positive Emotionen wirken wie kleine ›Kraftwerke‹ der Verän-

derung und stärken unsere persönlichen Ressourcen. Das regel-

mäßige Erleben positiver Gefühle fördert unsere Selbstakzep-

tanz, stabilisiert unsere Beziehungen und unsere Gesundheit.

Wir erfahren in unserem Alltag mehr Kompetenz und Sinn und

fühlen uns optimistisch. Jedoch erfüllen auch unangenehme

Emotionen eine wichtige Funktion: Sie informieren über kriti-

sche Ereignisse und signalisieren in erster Instanz ›Gefahr‹. Somit

konzentrieren wir uns im Alltag zwar häufiger auf negative Ge-

fühlsqualitäten, schieben diese jedoch gerne zur Seite, da wir sie

als unangenehm und störend empfinden. Förderlicher wäre es

jedoch, sich bei der Wahrnehmung negativer Gefühlsqualitäten

in Akzeptanz und Toleranz zu üben.

Üben Sie, in Kontakt mit Ihren Gefühlen zu treten: Versuchen

Sie, Ihre Emotionen bewusst wahrzunehmen. Nehmen Sie bei

unangenehmen Gefühlsqualitäten wie Ärger, Trauer oder Hilf-

losigkeit eine neugierige Beobachterhaltung ein. Somit wahren

Sie Distanz, setzen Sich jedoch gleichzeitig mit Ihren Emotionen

Negative Emotionen annehmen und zulassen

Page 73: Der Alltag als Übung - KIT

7373

auseinander. Folgende Haltung kann dabei unterstützen: »Das

ist ja interessant, dass ich wütend, traurig, hilflos (…) reagiere!«

Wenn Sie sich unwohl und von negativen Emotionen regelrecht

überflutet fühlen, kann es hilfreich sein, sich ins Bewusstsein

zu rufen, dass wir nicht unsere Gefühle ›sind‹. Vielmehr ist ein

Gefühl ein Zustand, der auch wieder vergeht (aus dem Lateini-

schen ›emovere‹ – ›herausbewegen‹). Nutzen Sie die Formulie-

rung: »Ich fühle mich gerade traurig«, anstatt: »Ich bin traurig«.

Variante: Stellen Sie sich das Bild eines Orchesters vor, das aus

vielen Musikern und Instrumenten besteht. Die Instrumente

spielen zusammen, wechseln sich ab, führen an und verstum-

men. Genauso bestehen wir aus ›inneren Anteilen‹, deren Zu-

sammenspiel uns zu dem Menschen macht, der wir sind. Fol-

gende Haltung kann dabei unterstützen: »Ein Teil von mir fühlt

sich gerade sehr kritisch, traurig, hilflos…«.

von Marie-Hèlène Seidl-Scheerer

Page 74: Der Alltag als Übung - KIT

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›Rückblick‹ des Tages bedeutet, dass jeder Tag wertvoll ist. Kost-

bar darf ich mit den Augen eines Goldwäschers betrachten, was

mir an Goldkörnern geschenkt worden ist und was Sie an Staub

und Schmutz (Belastungen und Sorgen) loslassen dürfen. Denn

das Leben beinhaltet beides, Gutes und weniger Gutes. Damit

Sie den Schatz der Goldkörner heben können und alle Belastun-

gen/Sorgen loslassen können, nehmen Sie sich bitte 15 Minu-

ten Zeit für diese Übung.

Vorbereitung»Ich nehme mich wahr, wie ich jetzt da bin. Ich spüre meinen

Atem, wie er kommt und geht. Ich werde innerlich ruhig und

gelassen. Ich darf mit den Augen eines Goldwäschers meinen

heutigen Tag anschauen.«

Tag durchgehen»Ich gehe den Tag in den einzelnen Stunden durch; Morgen,

Mittag, Nachmittag, Abend… Es darf alles so sein, wie ich es

jetzt wahrgenommen habe.«

Mit den Augen eines Goldwäschers

Page 75: Der Alltag als Übung - KIT

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Goldkörner sehen – mein Bedauern ausdrücken»Mit einem gütigen Herzen blicke ich auf die gewonnenen

Goldkörner meiner Life-Balance. Was wurde mir heute an Gold-

körnern geschenkt: in Form von Ermutigung, Freude, Hoffnung,

ein liebender Blick, eine helfende Hand, Trost und Zuversicht?

Was ist mir heute nicht gelungen, blieb auf der Strecke, kam ins

Stocken, ist nicht gut gelaufen, konnte nicht recht ›gewaschen‹

werden? All das verabschiede ich mit einem großen Bedauern,

bitte um Versöhnung und Loslassen für alles, was nicht gewor-

den ist.«

Vorausblick auf meine Life-Balance für den morgigen Tag»Ich bitte um die Kraft, mich für das Gute meiner Life-Balance

zu entscheiden, was morgen gut gelingen möge, was mich in

ein gutes Gleichgewicht bringt.«

von Stephan Veith OSB

Page 76: Der Alltag als Übung - KIT

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Page 77: Der Alltag als Übung - KIT

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Page 78: Der Alltag als Übung - KIT

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Die Frage nach den eigenen Stärken begegnet Studieren-

den von der Studienwahl bis zum Vorstellungsgespräch

immer wieder. Eine Antwort fällt oft schwer. Zu sehr ist

man mit seinen Schwächen beschäftigt oder konzentriert

sich auf das Beheben von Problemen und Schwierigkeiten.

So wichtig es ist, sich Problemen zu stellen und Schwä-

chen zu akzeptieren, so wichtig ist es auch, seine Stärken

zu entdecken und zu trainieren.

Stärken sind Muster von Gedanken, Gefühlen und Verhal-

tensweisen, die Energie, Leistung, Erfolg und Zufrieden-

heit geben. Wer in Kontakt mit seinen Stärken ist, spricht

klarer und fließender, sitzt aufrechter, zeigt mehr Aus-

druck in Gestik oder Mimik und hat mehr Reichweite und

Erfolg (Blickhan 2015, S. 155). Nach Petersen/Seligman

(2004) ermöglicht die Stärken-Orientierung eine höhere

Vitalität, eine gute mentale Gesundheit, bessere Stressre-

sistenz und Resilienz, höhere Erfolgserwartung und Leis-

tungsstärke. Das Wissen um die eigenen Stärken fördert

die persönliche Selbstachtung, das Selbstvertrauen und

die Selbstwirksamkeit.

Stärken entdecken

Page 79: Der Alltag als Übung - KIT

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Das Stärken-Konzept der Positiven Psychologie geht da-

von aus, dass jeder Mensch dieselben Stärken hat und es

nur eine Frage der jeweiligen Lebenserfahrungen ist, wel-

che Stärken im Denken, Fühlen und Verhalten zum Tragen

kommen. Jeder Mensch hat demnach ein eigenes Stärken-

muster, das ebenso individuell ist wie ein Fingerabdruck.

In der Verwirklichung unserer Stärken sind wir Menschen

immer aufeinander angewiesen. Stärken wirken niemals

nur individuell, sondern sind immer auch gemeinschafts-

bezogen.

Mit unseren Übungen wollen wir Sie anregen, Ihre Ein-

zigartigkeit schöpferisch zum Ausdruck zu bringen. Wir

möchten Sie einladen, mit Ihren Stärken das Beste zu le-

ben und zu geben: Für sich, für ein sinnvolles Leben und

die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

von Michael Stolle und Berthold Winkler

Page 80: Der Alltag als Übung - KIT

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Wer seine eigenen Stärken herausfinden möchte, kann auf ei-

nen Test aus der Positiven Psychologie zurückgreifen. Der Test

misst ›Values in Action‹ oder 24 Charakterstärken, die jedem

Menschen zu eigen sind und kulturbergreifend als positiv und

wünschenswert anerkannt sind:

Ausdauer, Authentizität, Bescheidenheit, Bindungsfähigkeit,

Dankbarkeit, Enthusiasmus, Fairness, Freundlichkeit, Führungs-

vermögen, Hoffnung, Humor, Kreativität, Liebe zum Lernen,

Neugier, Sinn für das Schöne, Soziale Intelligenz, Selbstregula-

tion, Spiritualität, Tapferkeit, Teamwork, Urteilsvermögen, Ver-

gebungsbereitschaft, Vorsicht, Weisheit.

Der wissenschaftlich gut evaluierte Test wird auf einem Portal

des Psychologischen Instituts der Universität Zürich angeboten.

Der Fragebogen ›Values in Action Inventory of Strengths‹ (VIA-

IS) umfasst 240 Items, bei denen man einschätzen soll, wie tref-

fend oder unzutreffend man die jeweiligen Aussagen erlebt.

Charakterstärken

Page 81: Der Alltag als Übung - KIT

8181

Der Fragebogen ist ausschließlich individuell aussagekräftig. Er

eignet sich nicht zum Vergleich zweier Individuen. Die Ergeb-

nisse sind eine Momentaufnahme. Erscheint für eine Charakter-

stärke ein hoher Wert, heißt das, dass Sie diese Stärke gewohn-

heitsmäßig häufig einsetzen; bei einem niedrigen Wert spielt er

in Ihrem Handeln keine so große Rolle.

Führen Sie den Test durch unter: www.charakterstaerken.org

Reflektieren Sie das Ergebnis: Was haben Sie durch den Test

über sich erfahren? Wo setzen Sie Ihre Stärken im Studium, in

Beziehungen oder in der Freizeit ein?

Charakterstärken kann man durch häufigen Einsatz trainieren,

ähnlich wie einen Muskel beim Sport. Auf den folgenden Seiten

finden Sie Anregungen und Vorschläge, wie Sie Ihre Stärken ein-

setzen und trainieren können.

von Berthold Winkler

Page 82: Der Alltag als Übung - KIT

8282

Finden Sie eine neue Weise, Ihre Stärken zum Ausdruck zu brin-

gen. Reservieren Sie sich in der kommenden Woche einen be-

stimmten Zeitraum dafür, eine Ihrer Charakterstärken auf neue

Weise auszuüben, entweder im Studium, zu Hause oder in der

Freizeit. Stellen Sie auf jeden Fall sicher, sich eine klar definierte

Möglichkeit zu ihrer Ausübung zu schaffen.

Wenn Ihre charakteristische Stärke Kreativität ist, dann kön-

nen Sie sich dafür entscheiden, sich an einem oder zwei Tag(en)

zwei Stunden für eine kreative Arbeit zu reservieren (Bild malen,

Wohnung neu dekorieren, in Büchern/Magazinen neue Anre-

gungen suchen etc.).

Wenn Sie Ausdauer für Ihre Stärke halten, können Sie sich ent-

schließen, mindestens zweimal zwei Stunden an einem schwieri-

gen Lernstoff zu arbeiten. Oder zweimal in der Woche ausgiebig

Sport oder eine Entspannungsübung zu machen.

Stärken-Training

Page 83: Der Alltag als Übung - KIT

8383

Wenn Ihre Stärke Sinn für das Schöne ist, dann könnten Sie

einen längeren und schöneren Heimweg von der Uni wählen,

selbst wenn sich die Fahrzeit dadurch um 20 Minuten erhöht.

Oder Sie planen eine Fahrradtour durch die Natur von mindes-

tens einer Stunde ein.

Dokumentieren Sie hinterher: Wie haben Sie sich gefühlt, bevor

Sie aktiv wurden, wie während der Aktivität, wie danach? War

die Aktivität eine Herausforderung oder ging sie Ihnen leicht von

der Hand? Verging die Zeit schnell? Möchten Sie die Übung wie-

derholen?

von Manuela Schnaubelt

Page 84: Der Alltag als Übung - KIT

8484

Schreiben Sie drei Dinge auf, die heute und gestern gut gelau-

fen sind (z.B. Gespräche, Erledigungen, Arbeitsaufträge, Vorha-

ben, Erlebnisse etc.).

Dann gehen Sie weiter zurück. Erinnern Sie sich an etwas, das

Ihnen früher richtig gut gelungen ist. Wie war das nochmal, als

Sie damit begonnen haben? Was wollten Sie erreichen? Wel-

che Probleme oder Widrigkeiten mussten Sie überwinden? Wie

sind Sie vorgegangen? Was war das Ergebnis? Woran haben

Sie gemerkt, dass es gelungen war? Schreiben Sie Ihre Erfolgs-

geschichte(n) auf.

Falls Sie den VIA-Stärken-Test gemacht haben (S. 79), können

Sie Ihre Beobachtungen damit in Verbindung bringen. Welche

Charakterstärken haben Sie eingesetzt? Was nehmen Sie sich

vor?

Alle guten Dinge sind drei

Page 85: Der Alltag als Übung - KIT

8585

Die folgende Übung aus der Praxis der Positiven Psychologie hilft

Ihnen, Erfolgserlebnisse bewusst zu machen (Härtl-Kasulke/Re-

vers 2018, S. 149). Überlegen Sie nach dem Aufstehen, was Sie

abends erledigt haben wollen. Erstellen Sie eine To-Do-Liste für

den Tag. Denken Sie auch an die kleinen Dinge, die vielleicht gar

nicht so wichtig scheinen, aber doch Zeit in Anspruch nehmen.

Packen Sie die Liste nicht zu voll – bleiben Sie realistisch.

Im Laufe des Tages haken Sie nach und nach die Punkte ab, die

Sie erledigt haben. Ist Ihnen etwas Anderes dazwischengekom-

men? Kein Problem. Tragen Sie es nachträglich in die Liste ein

und haken Sie es ab. Freuen Sie sich über jeden Haken.

Schauen Sie abends noch einmal auf die Liste, setzen Sie die

letzten Häkchen des Tages und erfreuen Sie sich an der Menge

der Häkchen. Sie haben etwas geschafft! Unzufrieden, da nicht

alles abgehakt werden konnte? Kein Problem. Es fällt kein Meis-

ter vom Himmel. Planen Sie die nächsten Tage etwas vorsichtiger

und schreiben Sie lieber später noch etwas dazu.

von Manuela Schnaubelt

Erfolge bewusst machen

Page 86: Der Alltag als Übung - KIT

8686

Können Sie spontan Ihre Stärken beschreiben? Den meisten

Menschen fällt das eher schwer. Bitten Sie daher Personen aus

Ihrem Umfeld Ihnen diese Rückmeldung zu geben. Die meisten

werden das gerne tun! Sie erfahren dadurch, was andere für

Stärken in Ihnen sehen, wenn Sie sich von Ihrer besten Seite zei-

gen. In der Positiven Psychologie spricht man bei dieser Übung

von ›Reflected Best Self‹ (Blickhan 2015, S. 188).

Wählen Sie möglichst viele Personen aus (um die zehn wären

gut). Am besten kommen diese Personen aus verschiedenen

Kontexten: Familie, Freunde, Verein, Nachbarschaft, Hochschul-

gruppe, Gemeinde etc.

Bitten Sie jede dieser Personen um ein kurzes schriftliches Feed-

back zu Ihrer Person. Bitten Sie um eine ehrliche Meinung, nicht

um Komplimente. Die Verfasser sollen möglichst schnell (10 Mi-

nuten) aufschreiben, welche Stärken sie in Ihnen sehen und drei

oder vier Stärken nennen. Bitten Sie um Erlebnisse oder Ereig-

nisse mit konkreten Beispielen zu diesen Stärken.

Reflected Best Self

Page 87: Der Alltag als Übung - KIT

8787

Nachdem Sie alle Texte eingesammelt haben, lesen Sie sie durch.

Versuchen Sie Gemeinsamkeiten zu finden. Halten Sie Ihre Er-

gebnisse fest: auf Karteikarten, als Mindmap, gerne auch mit

Zeichnungen angereichert.

Dann legen Sie die Texte und Ihre Auswertung wieder weg.

Schreiben Sie nun mindestens 15 Minuten am Stück expressiv

und aus dem Bauch heraus einen Text in der Ich-Form, wie Sie

sind, wenn Sie am allerbesten sind.

Page 88: Der Alltag als Übung - KIT

8888

Waren Sie schon einmal im ›Flow‹? Kennen Sie das Gefühl der

völligen Vertiefung und des Aufgehens in einer Tätigkeit, bei der

die Zeit wie im Flug vergeht und Ihnen scheinbar alles gelingt?

Falls nicht, dann schauen Sie doch mal, wie Robert Lewandowski

(beim Spiel Bayern München wegen Wolfsburg am 22.09.2015)

im Flow fünf Tore in neun Minuten schießt. Achten Sie beson-

ders auf das fünfte Tor und die Reaktionen der Mitspieler und

des Trainerstabs: www.youtube.com/watch?v=XEfguy2M3yE

Nehmen Sie sich für die kommende Woche eine größere Aufga-

be vor und reservieren Sie dafür in Ihrem Kalender zwei bis drei

Stunden. Lassen Sie sich in dieser Zeit durch Nichts ablenken.

Stellen Sie das Handy aus, gehen Sie nicht ans Telefon, lassen

Sie sich nicht durch E-Mails, Whats-App-Nachrichten oder ein

Klingeln an der Tür ablenken. Vertiefen Sie sich voll und ganz

in die Aufgabe.

Flow erleben

Page 89: Der Alltag als Übung - KIT

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Abends können Sie nochmals reflektieren: Wie haben Sie sich

bei der Arbeit gefühlt? Wie war Ihre Konzentration? Wie war

Ihr Gefühl für die Zeit? Ist die Zeit langsam oder schnell ver-

gangen? Wie viel haben Sie erreicht? Sind Sie zufrieden mit den

Ergebnissen?

von Manuela Schnaubelt

Page 90: Der Alltag als Übung - KIT

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Stellen Sie sich in folgender Schreibübung (nach Robinson 2014,

S. 279f.) vor, Sie seien jemand anderes. Jemand, der Ihre Interes-

sen, Ihre inneren Einstellungen, Hoffnungen und Ziele gut kennt.

Stellen Sie sich vor, dieser Jemand schreibt nun einen Brief an

einen Förderer, der Sie bei Ihren Zukunftsplänen unterstützen

möchte, Sie aber nicht kennt. Schreiben Sie diesen Brief so

schnell wie möglich und überarbeiten Sie den Brief nicht noch

einmal. Sie können den Brief auch an zwei aufeinander folgen-

den Tagen schreiben (jeweils 15 Minuten).

Wenn der Brief fertig ist, lassen Sie ihn mindestens einen Tag

liegen. Dann lesen Sie ihn durch und machen sich eine Liste der

für Sie wichtigsten Punkte. Anschließend machen Sie für sich

eine Mindmap, auf der Sie die nächsten Schritte festhalten, die

Sie unternehmen möchten, um noch mehr über Ihre Interessen

und Talente zu erfahren.

Brief an einen Förderer

Page 91: Der Alltag als Übung - KIT

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Diese Übung (nach Robinson 2014, S. 38f.) ist wunderbar ge-

eignet für alle, die gerne mit ihren Händen arbeiten, ihren in-

tuitiven Impulsen folgen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen.

Erstellen Sie ein persönliches Vision-Board! Ein Vision Board ist

eine Collage aus Bildern, die Ihre Hoffnungen, Wünsche und

Träume in Bezug auf Ihre Zukunft darstellen. Der Hauptzweck

eines Vision Boards ist, eine Visualisierung des Lebens zu schaf-

fen, das Sie führen möchten. Richten Sie sich nicht danach, was

andere sagen. Folgen Sie Ihrer eigenen Stimme! Es geht um Ihr

Leben, nicht um das von jemand anderem.

Schneiden Sie Fotos, Illustrationen oder Worte aus Zeitschriften

aus, die Sie ansprechen. Natürlich können Sie auch Abbildungen

aus dem Internet verwenden. Nur eigene Fotos sind nicht ziel-

dienlich, denn sie repräsentieren die Vergangenheit, nicht die

Zukunft.

Bringen Sie die Bilder auf einer großen Fläche an; am besten so,

dass Sie sie immer wieder umhängen können. Hängen Sie das

Vision Board dort auf, wo Sie es oft sehen. Ergänzen Sie fort-

während. Was bemerken Sie, welche Ideen tauchen auf?

Vision Board

Page 92: Der Alltag als Übung - KIT

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Mein PowerhouseDurch diese Übung werden Sie einige Ihrer Stärken entdecken.

Der Weg dorthin geht über Ihre Herkunftsfamilie, denn dort ha-

ben Sie viel lernen dürfen, egal ob durch positive oder negative

Erfahrungen. Und vielleicht gibt es Stärken bei Verwandten, die

in Ihrem Erbgut stecken und noch auf Entfaltung warten. Zeich-

nen Sie Ihren Stammbaum auf. Wie weit Sie in die Vergangen-

heit gehen möchten, ob bis zu der Generation Ihrer Großeltern

oder Urgroßeltern, bleibt Ihnen überlassen. Sie können sich an

der Abbildung orientieren und diese an Ihre Familienverhältnisse

anpassen. Lassen Sie genügend Platz neben den einzelnen Per-

sonen. Sie brauchen ihn im folgenden Schritt.

Was hat die Verwandte/der Verwandte in ihrem/seinem Le-

ben gemeistert? Schreiben Sie dies in Stichworten neben den

Kreis bzw. das Quadrat. Welche Stärken, Fähigkeiten, Charak-

tereigenschaften brauchte die Person dazu? Notieren Sie diese

ebenso in der Grafik. Nun überlegen Sie: Was bewundern Sie an

dieser Person? Was schätzen Sie an ihr oder ihm? Vermerken Sie

dies ebenfalls in der Grafik. Führen Sie diesen Schritt bei allen

Verwandten durch, so dass sich am Ende eine Sammlung vieler

Stärken, die in Ihrer Familie stecken, ergibt.

Page 93: Der Alltag als Übung - KIT

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Lesen Sie sich die Stärken Ihrer Familie durch. Dies ist das ›Po-

werhouse‹ Ihrer Familie. Werden Sie sich bewusst, dass diese

Stärken auch in Ihnen angelegt sind. Denn was wir an anderen

bewundern, erkennen wir gerade deshalb, weil es auch in uns

selbst ist. Welche drei Stärken möchten Sie in der folgenden

Woche bewusst einsetzen?

von Andrea Legge

ICH

Page 94: Der Alltag als Übung - KIT

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Der Film meines LebensIn Umbruchsituationen oder Phasen der Veränderung werden

wir häufig mit der Frage konfrontiert, ob wir uns auf dem ›rich-

tigen Weg‹ befinden. Ob wir so leben, wie wir es uns vorstel-

len oder aus tiefstem Herzen wünschen. In solchen Momenten

kann es hilfreich sein, sich in Selbstreflexion zu üben.

Werden Sie sich darüber bewusst, was Ihnen wirklich wichtig ist

und welche Vorstellungen Sie von einem erfüllten Leben haben.

Eine kreative Herangehensweise, sich mit dieser Frage auseinan-

derzusetzen, ist, sich als Regisseur seiner Lebensgeschichte zu

betrachten.

Wenn Sie einen Film über Ihr Leben verfassen würden: Welche

Art von Film wäre es? Ein Krimi, eine Komödie, ein Science Fic-

tion-Film oder ein anderes Genre? Wie würde der Titel des Films

lauten? Welche Rolle würden Sie bzw. Ihre Freunde oder Fami-

lienmitglieder darin spielen? Welche Schauspielerin oder welcher

Schauspieler würde Ihre Rolle besetzen? Welche Darstellerinnen

oder Darsteller würden Sie für die anderen Rollen buchen? In

welcher Szene des Films befinden Sie sich aktuell? Wie würde der

Film enden? Gibt es eine besondere Titelmusik?

Page 95: Der Alltag als Übung - KIT

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Notieren Sie Ihre Gedanken. Ihrer Fantasie sind keine Grenzen

gesetzt. Prüfen Sie anschließend: Welche Werte können Sie

aus Ihren Ideen ableiten? Entsprechen Ihre Vorstellungen Ihrer

gegenwärtigen Lebenssituation? Welche Ziele möchten Sie sich

setzen, um Ihre Ideen zu realisieren? Welche Schritte sind zu tun?

von Marie-Hèlène Seidl-Scheerer

Page 96: Der Alltag als Übung - KIT

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Page 97: Der Alltag als Übung - KIT

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Page 98: Der Alltag als Übung - KIT

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Die folgenden Übungen zeigen Ihnen Möglichkeiten, wie

Sie mit sich und anderen umgehen können, wenn Sie et-

was bewegen wollen. Wir geben Tipps, wie Sie festgefah-

rene Wahrnehmungs- und Erlebnismuster destabilisieren,

mit Widerständen wertschätzend umgehen oder Strate-

gien entwickeln, um Neues zu verankern.

Veränderung ist mehr als die oberflächliche Gestaltung

von ›Change-Prozessen‹. Es geht darum, eine Haltung und

die Klarheit zu finden, mit dem Verändern (im Kleinen)

anzufangen. Folgende Leitgedanken können Ihnen dabei

helfen: Veränderung ist kein chirurgischer Eingriff. Wenn

Sie etwas verändern, ist das Alte trotzdem noch da. Es ist

normal, dass Sie zunächst auf der alten Bahn laufen. Aber

je ausdauernder Sie üben, desto selbstverständlicher wer-

den Sie die neue Bahn finden.

Veränderungen sind schwierig, aber machbar. Neurobio-

logisch müssen die neuen Verbindungen im Gehirn erst

Initiative ergreifen

Page 99: Der Alltag als Übung - KIT

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noch etabliert werden. Dies gelingt umso besser, wenn

Leidenschaft, Mitgefühl oder Liebe ins Spiel kommen.

Lebensgewohnheiten können umso nachhaltiger verän-

dert werden, je mehr positive Emotionen Sie bemerken.

Wenn Sie bei Veränderungen früh Erfolgserlebnisse ha-

ben und andere Menschen in Ihrem unmittelbaren Umfeld

Ihnen das rückmelden, wird das Ihrem Vorhaben guttun.

Gehen Sie also in Beziehung und holen Sie sich bei ande-

ren Wertschätzung und Wohlwollen ab.

Eine Veränderung bringt nicht immer gleich eine Verbes-

serung. Damit sich neue Verhaltensmuster etablieren kön-

nen, müssen Sie sich gestatten, Fehler zu machen. Versöh-

nen Sie sich mit der Ausgangslage, die Sie vorfinden. Das

Neue entsteht immer auf dem Boden des Bisherigen.

Denken Sie immer daran: Es gibt keine Formel, wie man

Veränderungen gestalten kann. Es gibt tausende. Ergrei-

fen Sie die Initiative und seien Sie mutig!

Page 100: Der Alltag als Übung - KIT

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Eigene Vorhaben in die Tat umzusetzen, ist nicht gerade leicht.

Eine wissenschaftlich als wirksam erwiesene Methode ist die so-

genannte ›strategische Automatisierung von Intentionen‹ oder

auch ›Wenn-Dann-Pläne‹ genannt.

Dabei geht es darum, ein unbestimmt beschriebenes Vorhaben

sehr präzise und sorgfältig zu benennen. Nicht: »Ich beabsichtige

XY zu tun«, sondern »Ich beabsichtige, in folgender Weise XY

zu tun, wenn Situation Z eintritt« (Storch, Krause 2014, S. 177).

Solcherart beschriebene Vorhaben erhöhen zum einen das Ge-

fühl der Selbstverpflichtung und verknüpfen zum anderen die

konkret beschriebene Situation mit der gewünschten Handlung,

sodass es zu zieldienlichen Automatismen kommt.

Wenn Sie zum Beispiel aufhören wollen in Lernpausen Süßkram

zu essen und Whatsapp Nachrichten zu checken, könnte Ihr

Wenn-Dann-Plan wie folgt aussehen:

Wenn-Dann-Pläne

Page 101: Der Alltag als Übung - KIT

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dann...

Immer wenn...

»Immer wenn ich am Nachmittag in der Bibliothek sitze, um auf

die Klausur zu lernen, und sich kein klarer Gedanke mehr ein-

stellen will, dann stehe ich auf und laufe einmal um den Platz am

Forum, vielleicht sehe ich ja jemanden, den ich gut kenne.«

Probieren Sie es aus:

Page 102: Der Alltag als Übung - KIT

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Wer etwas anders machen und eingeschliffene Gewohnheiten

verändern will, kann mit einer einfachen Übung anfangen (Iding

2015, S. 59). Und dabei jede Menge ungeplante Entdeckungen

machen, die mit dem eigenen Vorhaben vielleicht (erst einmal)

gar nichts zu tun haben, das Leben aber ungemein bereichern.

Probieren Sie in der nächsten Woche drei alternative Wege aus,

um zum KIT zu kommen. Sie können auch drei verschiedene

Wege zu Ihrer Sportstätte oder zu Ihrer Freizeitbeschäftigung

auswählen, Hauptsache Sie nehmen wirklich neue, bisher nicht

begangene Wege. Scheuen Sie keinen Umweg. Planen Sie et-

was mehr Zeit als üblich ein und öffnen Sie Ihre Sinnesorgane.

Was ist anders als sonst? Was fällt Ihnen auf? Beachten Sie sorg-

fältig Ihre Wahrnehmung, Gedanken, Gefühle und Körperemp-

findungen. Notieren Sie Ihre Erfahrungen.

Wer etwas verändern will, tut gut daran, festgefahrene Rou-

tinen zu unterbrechen. Wer aufhören will, immer das Gleiche

zu tun, darf seinem Wahrnehmungssystem eine Frischzellenkur

gönnen und bisherige Erfahrungsmuster ganz beiläufig unter-

Raus aus der Routine!

Page 103: Der Alltag als Übung - KIT

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brechen. Aus der Systemtheorie wissen wir: Wenn ein Teil des

Systems verändert wird, verändert sich das ganze System. Üb-

rigens: Im afrikanischen Buschland galt es als äußerst unklug,

immer denselben Weg zu gehen. »Never walk the same way

twice. This means death«, hieß es dort.

Page 104: Der Alltag als Übung - KIT

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Eine gute Möglichkeit seine Erfahrungsmuster zu destabilisieren,

um Kraft für Neues zu gewinnen und fehlertoleranter und fle-

xibler zu werden, ist folgende Übung:

Verwenden Sie so oft wie möglich bei Ihren alltäglichen Hand-

griffen Ihre nicht-dominierende Hand. Rechtshänder nehmen

ihre linke Hand und Linkshänder die rechte, um sich ein Brot zu

schmieren, Zähne zu putzen, Geld aus dem Portemonnaie zu

holen oder das Passwort auf dem Handy einzugeben.

Gehen Sie rücksichtsvoll, humorvoll und gelassen mit allen Lap-

sus um, die Ihnen zwangsläufig passieren werden. Genießen Sie

es, wieder eine Anfängerin oder ein Anfänger zu sein (während

in Ihrem Gehirn unbemerkt die Synapsen feuern).

Gehen Sie davon aus, die Übung eine Woche lang durchzuhal-

ten. Reflektieren Sie: Wie erging es Ihnen, als Sie die Übung zum

ersten Mal ausgeführt haben? Wie geht es Ihnen am Ende der

Woche? Welche Auswirkungen bemerken Sie?

Die andere Hand

Page 105: Der Alltag als Übung - KIT

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Machen Sie eine Woche lang mindestens einmal am Tag jeman-

den, den Sie gut kennen, ein Kompliment oder sagen Sie etwas

Nettes zu einer Person: »Ich mag, wie du lächelst«; »Es gefällt

mir, dass du mir so gut zuhörst«; »Du hast heute toll gekocht«.

Versuchen Sie auch Komplimente zu bemerken, die Ihnen ge-

macht werden.

Reflektieren Sie am Abend, ob sich etwas bei Ihnen oder bei

anderen verändert hat. Was nehmen Sie wahr? Wie fühlen Sie

sich? Nehmen Sie sich täglich Zeit für eine Reflexion und doku-

mentieren Sie Ihre Erfahrungen.

von Manuela Schnaubelt

Kompliment

Page 106: Der Alltag als Übung - KIT

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Ein gutes Netzwerk hilft nicht nur im Studium, sondern vor

allem auch beim Einstieg in das Berufsleben. Sich ein eigenes

Netzwerk aufzubauen, erfordert ein zielgerichtetes Vorgehen

und ganz viel Üben.

Vergegenwärtigen Sie sich zunächst Ihre kurz- und langfristigen

Ziele in Studium und Beruf. »Wer könnte mir helfen ein Prakti-

kum in Firma XY zu bekommen? Welche Personen könnten mir

mehr über mein gewünschtes Berufsfeld erzählen? Kenne ich

jemanden, der bereits dort arbeitet, wo ich mich bald bewerben

möchte?«

Knüpfen Sie, ausgehend von diesen Fragestellungen, innerhalb

des kommenden Monats zwei neue Kontakte, die für Ihren be-

ruflichen Weg relevant sein könnten. Erstellen Sie hierfür entwe-

der ein Online-Profil auf Seiten, wie ›LinkedIn‹, ›Researchgate‹,

›Academia‹ oder ›Xing‹, oder nehmen Sie an einer Veranstaltung

in Ihrem oder einem verwandten Fachgebiet (z.B. Berufsmesse,

Tagung, Workshop, Podiumsdiskussion) teil.

Das Netzwerk erweitern

Page 107: Der Alltag als Übung - KIT

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Suchen Sie online nach Personen, die auch in Ihrem Berufsfeld

arbeiten und versuchen Sie eine Kontaktaufnahme. Kommen

Sie während einer Veranstaltung mit anderen Teilnehmerinnen

oder Teilnehmern z.B. während der Kaffeepausen direkt ins Ge-

spräch und tauschen Sie Kontaktdaten aus.

Wenn es Ihnen schwerfällt aktiv fremde Personen anzusprechen,

überlegen Sie sich Situationen, in denen der Einstieg leichter

fällt und formulieren Sie erste Sätze (z.B. »Wie fanden Sie den

Vortrag gerade?«; »Wo gibt es denn den Kaffee?«) oder bitten

Sie Kolleginnen und Kollegen oder Freundinnen und Freunde,

Ihnen Personen vorzustellen.

von Andrea Geipel

Page 108: Der Alltag als Übung - KIT

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Kluge EntscheidungenSchaut man sich an, welche Kompetenzen in einer durch Digitali-

sierung bestimmten Welt immer wichtiger werden, kommt man

schnell zum Thema ›Entscheidungen treffen‹ (Bashki et al. 2017).

Wenn es um statistische Prognosen oder um die Maximierung

von Profit geht, Vorgänge also, bei denen es hilfreich ist, viele

Daten auszuwerten, werden immer häufiger Algorithmen zur

Entscheidungsfindung eingesetzt. Unter welchen Bedingungen

werden Menschen in Zukunft wohl den Vor-Entscheidungen

von Künstlicher Intelligenz folgen?

Bei den folgenden Übungen geht es darum, dass Sie im All-

tag ausprobieren, bei Entscheidungen so etwas wie Autonomie

zu bewahren. Dafür ist es hilfreich, sich klarzumachen, dass es

so etwas wie ›richtige‹ oder ›falsche‹ Entscheidungen gar nicht

gibt. Entscheidungen sind klug, wenn die Rahmenbedingungen

für den Entscheidungsprozess gut gestaltet sind. Und das sind

sie dann, wenn beide menschlichen Intelligenzsysteme – die be-

wusste und die unwillkürliche Intelligenz – beteiligt sind (Storch

2015). Es geht also um die Verbindung von Kopf und Bauch,

wenn Sie so wollen. Denn dann besteht zumindest die Aussicht,

dass Ihre Entscheidungen Sie zufrieden machen.

Page 109: Der Alltag als Übung - KIT

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Methode ›Weniger macht glücklicher‹Bei Konsumentscheidungen können Sie überlegen, ob Sie wirk-

lich bei allem das Beste haben müssen. Sonst stehen Sie vor dem

Regal von Marmeladengläsern und überlegen und überlegen,

welches davon Sie nun kaufen möchten. Falls Sie sich überhaupt

entscheiden können, schmeckt die Marmelade am Ende sowieso

nicht wirklich gut, denn Sie wissen ja nicht, ob es nicht doch eine

bessere gegeben hätte. Schränken Sie also Ihre Wahl bei Dingen

ein, die von keiner großen Wichtigkeit sind. In unserer Überfluss-

gesellschaft sind das so ziemlich alle Konsumentscheidungen.

Zwei oder drei Alternativen reichen locker aus. Genießen Sie Ihre

(schnelle) Entscheidung und wenden sich wieder den Dingen im

Leben zu, die Ihnen Sinn vermitteln (Schwartz 2006).

Methode ›Mit etwas schwanger gehen‹Bei Richtungsentscheidungen hilft es eine Weile so tun, als ob

Sie sich bereits entschieden hätten. Wenn Sie nicht wissen, ob

Sie A oder B wählen, wählen Sie A und leben Sie drei bis fünf

Tage mit dieser Entscheidung. Verbieten Sie sich in dieser Zeit

die Option B. Beobachten Sie, wie es Ihnen geht. Sind Sie voller

Energie und Freude? Oder haben Sie einen Knoten im Bauch

Page 110: Der Alltag als Übung - KIT

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und schlafen schlecht? Was beobachten Sie? Anschließend ge-

hen Sie drei bis fünf Tage mit der Variante B schwanger. Wie

geht es Ihnen hierbei? Vergleichen Sie Ihre Beobachtungen.

Methode ›10-10-10‹Diese Methode eignet sich bei Unzufriedenheit über eine be-

stimmte Situation und dem diffusen Gefühl, dass Sie nun end-

lich mal etwas anders machen sollten (Welch 2012). Formulieren

Sie in dieser Situation Entscheidungsmöglichkeiten für sich. Be-

antworten Sie folgende Fragen ehrlich und ausführlich: »Welche

möglichen Folgen hat die Alternative A (B, C …) für mein Leben

in zehn Minuten? In zehn Monaten? In zehn Jahren?« Anschlie-

ßend überlegen Sie, welche Alternative Ihrer Vorstellung von

einem gelingenden Leben am nächsten kommt.

Die oben beschriebenen und noch viele weitere Übungen finden

sich in Arts and Science Exhibitions (2014, S. 93ff.). Wenn Sie

sich generell damit beschäftigen wollen, nach welchen Faustre-

geln Sie unwillkürlich entscheiden, lesen Sie Gigerenzer (2008)

und Kahnemann (2011).

Page 111: Der Alltag als Übung - KIT

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Machen Sie eine Woche lang jeden Tag etwas Gutes, worüber

andere sich freuen könnten. Tun Sie es, ohne darüber zu spre-

chen und ohne Aufsehen zu erzeugen (Iding 2015, S. 51).

Sie brauchen nicht gleich die Welt retten. Etwas ganz Einfaches

reicht auch, zum Beispiel Kaffee am AKK ausschenken, Kau-

gummis herumreichen oder für die WG etwas kochen.

Notieren Sie, was Sie geben, warum Sie gerade das geben und

wie es Ihnen damit geht. Wie fühlen Sie sich nach dieser Wo-

che?

Unbewusst erhoffen sich Menschen Liebe und Aufmerksamkeit,

wenn sie anderen Menschen Geschenke machen. Wir wollen

geliebt werden – und dafür strengen wir uns oft über die Maße

an. Großzügig etwas zu geben, kann eine bereichernde Erfah-

rung sein, weil wir dadurch viel über uns selbst und unseren

Wunsch lernen, geliebt zu werden.

Etwas Gutes tun

Page 112: Der Alltag als Übung - KIT

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Die folgende Übung ist dem Konzept der ›Gewaltfreien Kommu-

nikation‹ nach Marshall B. Rosenberg (2016, S. 132f.) entnom-

men. Sie ist geeignet, um mehr Flexibilität in das eigene Handeln

zu bringen. Denn sie befreit von der trügerischen Illusion, dass

man bei ungeliebten Tätigkeiten keine andere Wahl hat.

Schritt 1: Überlegen Sie: Was tun Sie in Ihrem Leben, das Ihnen

keine Freude bereitet? Erstellen Sie eine Liste von Aufgaben, bei

denen dies zutrifft. Schreiben Sie auch alle Tätigkeiten auf, die

Sie furchtbar finden, die Sie dennoch tun, weil Sie denken, dass

Sie keine Wahl hätten.

Schritt 2: Gehen Sie, ohne weiter darüber nachzudenken, da-

von aus, dass Sie all diese Dinge tun, weil Sie es so (irgendwann)

frei gewählt haben, und nicht, weil Sie von irgendjemandem

dazu gezwungen worden sind.

Setzen Sie daher die Worte »Ich habe frei gewählt zu…« vor je-

den Punkt auf Ihrer Liste. Beobachten Sie, welche Widerstände

sich in Ihnen regen, und was sich verändert, wenn Sie den Satz

dennoch stehen lassen.

›Müssen‹ in ›frei wählen‹ übersetzen

Page 113: Der Alltag als Übung - KIT

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Schritt 3: Wenn Sie erkannt haben, dass Sie eine bestimmte

ungeliebte Tätigkeit frei gewählt haben, dann versuchen Sie

herauszubekommen, welches Anliegen wohl dahinter steckt.

Hierbei können Sie wieder ein Satzfragment einbauen und ver-

vollständigen: »Ich habe frei gewählt zu…, denn ich möchte…«

Typischerweise geht es um Geld, Bestätigung oder um Werte

(die gar nicht bewusst sein müssen). Oder darum, einer Bestra-

fung zu entgehen, sich nicht zu schämen, nicht schuldig zu füh-

len. Oder um Pflichtgefühl oder Loyalität.

Wenn Ihnen Ihr Anliegen oder Ihr Bedürfnis klargeworden ist,

können Sie entscheiden, ob Sie weiter so handeln wollen (weil

Ihnen der Sinn oder die Bedeutung aufgegangen sind) oder ob

Sie es abstellen wollen, weil Sie Ihr Anliegen auch auf andere

Weise befriedigen können.

Page 114: Der Alltag als Übung - KIT

114114

Hinschauen in die ›Gegenwärtigkeit‹ – in das, was gerade ist,

mit einem unverstellten, freien Blick – und sich am Moment er-

freuen. Es gibt viele Möglichkeiten, das zu lernen. Die folgende

Übung ist vielleicht eine der schwersten.

Schalten Sie Ihr Smartphone aus und checken Sie auch keine

Nachrichten auf dem Computer. Steigen Sie aus Outlook, Face-

book, WhatsApp & Co. aus.

Legen Sie sich dafür bestimmte Zeiträume fest (beispielsweise in

der Mittagspause, am Feierabend oder am Wochenende). Über-

legen Sie, wie lange Sie es wirklich schaffen können, offline zu

sein. Ziehen Sie davon noch einmal eine Viertelstunde ab. Die-

se Zeitspanne gilt nun. Halten Sie mindestens eine Woche lang

durch.

Wenn Sie Freundinnen oder Freunde überzeugen können, mit-

zumachen, fällt es leichter. Und Sie verpassen auch nicht so viele

Nachrichten.

Offline sein

Page 115: Der Alltag als Übung - KIT

115115

Beobachten Sie, welche Gedanken und Gefühle oder auch Kör-

perempfindungen in Ihnen aufsteigen, wenn Sie offline sind.

Wenn die Woche vorüber ist: Wie geht es Ihnen? Was haben Sie

wahrgenommen? Was nehmen Sie sich vor?

Studien belegen, dass der ständige Gebrauch eines Handys zu

Schlafstörungen und Depressionen führen kann. Handykonsum

ist auch ›embodied‹: Der gesenkte Blick hält davon ab, die Welt

wahrzunehmen. Und er erzeugt eine Körperhaltung, in der man

sich klein, beengt und nicht wirkungsvoll fühlt.

Page 116: Der Alltag als Übung - KIT

116116

Wir leben in einer Zeit des fundamentalen Wandels, in der wir

erkennen, dass etwas zu Ende geht und etwas im Entstehen be-

griffen ist, dessen Ausmaße wir nicht überblicken. Große Trans-

formationen müssen politisch und institutionell gestaltet werden,

wenn es weltweit gelingen soll, den Ausstoß fossiler Verbrennung

zu senken, Müll zu reduzieren und Ressourcen zu schonen.

Gleichzeitig gibt es einen individuellen Weg, die Transformation

mit zu gestalten, ohne dabei ausschließlich an das große Gan-

ze zu denken. Es geht darum, in einem Leben des Überflusses

wieder Zeit und Gestaltungsfreiheit für wesentliche Dinge zu

gewinnen, die Teil des eigenen ›guten Lebens‹ sind. Gibt es so

etwas wie ›Zeitwohlstand‹? Während die Wissenschaft dabei ist,

alternative Wege für ein gelingendes Leben ohne Zwang zum

›Weiter-So‹ zu definieren (Rosa 2016; Hunecke 2013; Paech

2012), können Sie selbst im Alltag anfangen zu üben.

Ernährung: Beim Essen scheiden sich die Geister. Möglichst

günstig soll es sein, gesund und vor allem auch lecker. Einige

schwören auf Fleisch, andere halten es für unethisch, Tiere für

Verantwortung übernehmen

Page 117: Der Alltag als Übung - KIT

117117

unsere Ernährung zu töten. So oder so spielt unsere Ernährung

eine große Rolle bei der Klimaerwärmung und dem weltweiten

Ressourcenverbrauch.

Was können Sie tun? Leben Sie eine Woche vegan! Vielleicht

gelingt es Ihnen, regional und saisonal einzukaufen.

Dokumentieren Sie eine Woche, was Sie einkaufen und essen.

Was würden Sie davon als nachhaltige Ernährung einstufen?

Wie teuer wäre es, ökologischere Produkte zu kaufen?

Konsum: Ohne Konsum geht es in unserer heutigen Gesell-

schaft nicht mehr – wir haben unser Wirtschaftssystem daran

ausgerichtet. Täglich werden wir, bewusst und unbewusst, bom-

bardiert mit Werbung und zu Kaufentscheidungen gedrängt.

Durch den massenweisen Konsum beuten wir unseren Planeten

aus und produzieren (Verpackungs-) Müll.

Was können Sie tun? Vermeiden Sie eine Woche Plastikmüll!

Dokumentieren Sie Ihren Verbrauch!

Page 118: Der Alltag als Übung - KIT

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Misten Sie zuhause mal aus: Was kann aussortiert werden und

wie können Sie das nachhaltig tun?

Kleidung: Der Trend liegt heute bei Fast Fashion: möglichst viele

Kleidungsstücke und alle billig. Der Preis ist für den Konsumen-

ten klein – den höheren Preis zahlen Menschen in anderen Teilen

der Welt mit ihrer Gesundheit, Sicherheit und manchmal auch

mit ihrem Leben (Lessenich 2016).

Was können Sie tun? Zwei Vorschläge: Fragen Sie beim Einkau-

fen nach, wo die Kleidung produziert wurde. Informieren Sie

sich, wo faire Kleidung angeboten wird.

Reflektieren Sie Ihr Konsumverhalten beim Thema Kleidung:

Woher kommt die Kleidung aus Ihrem Kleiderschrank und wie

alt ist sie? Entwickeln Sie Ideen, was Sie bei Ihrem Konsumver-

halten ändern und wie Sie dabei sogar Zeit sparen können.

von Annika Fricke und Nina Kiese

Page 119: Der Alltag als Übung - KIT

119119

Die folgende Übung (Blickhan 2015, S. 72f.) können Sie nur

machen, wenn Sie den ersten Teil auf S. 66f. bereits erledigt und

eine Liste mit ›Mini-Urlauben‹ vor sich haben.

Gehen Sie nun daran einen Wochenplan zu erstellen, in dem Sie

feste Zeiten für einige dieser ›Mini-Urlaube‹ eintragen. Achten

Sie darauf, auch längere Aktivitäten (ca. 20 Minuten) zu berück-

sichtigen.

Halten Sie sich an die geplanten Zeiten und Gelegenheiten für

die ›Mini-Urlaube‹ und erlauben Sie sich, sie bewusst zu genie-

ßen. Vielleicht möchten Sie sogar Urlaubsfotos machen. Das

wäre eine willkommene Möglichkeit, Ihre Collage aus dem ers-

ten Teil der Übung zu ergänzen.

Wenn die erste Woche vorüber ist, nehmen Sie sich Zeit, um zu-

rückzuschauen und zu reflektieren, wie Sie die ›Mini-Urlaube‹ in

die Tat umgesetzt haben. Genießen Sie die Urlaubserinnerungen

und lassen Sie sich inspirieren für neue Ideen und Urlaubsziele.

Vielleicht wird der ›Mini-Urlaub‹ in Zukunft ein selbstverständ-

licher Teil Ihres Alltags.

Der ›Mini-Urlaub‹ (Teil 2)

Page 120: Der Alltag als Übung - KIT

120120

›The Pursuit of Happiness‹– das Streben nach Glück ist Grund-

recht und Sehnsucht jedes Menschen gleichermaßen. Doch was

ist Glück? Jahrhundertelang haben Menschen darüber nachge-

dacht, geschrieben und geforscht. Mittlerweile gibt es in über

100 Schulen ein eigenes Schulfach ›Glück‹ (Fritz-Schubert 2017).

Aus der Positiven Psychologie kommt die Überlegung, dass, wer

weiß, was Glück im individuellen Einzelfall bedeutet, zu einer

besseren Ausgabe seiner Selbst werden kann (›Personal Best

Self‹). Wer Glück erlebt, lebt auf und kommt in die Lage, seine

Potentiale besser auszuschöpfen.

Welche Aktivitäten, Dinge, Ereignisse sind in Ihrem Leben Quel-

len für Glück (Blickhan 2015, S. 33)?

Bedenken Sie, dass es zwei verschiedene Arten von Glück gibt:

Wohlfühlglück: Genuss, Wohlbefinden, angenehme Gefühle

Werteglück: Persönliche Erfüllung und Zufriedenheit

Schreiben Sie mehrere Begriffe auf, die für Sie Wohlfühlglück

und Werteglück bedeuten!

Das Streben nach Glück

Page 121: Der Alltag als Übung - KIT

121121

Wie lange hält das Glücksgefühl an? Welche Zeitperspektive

verbinden Sie damit: Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft?

Inwiefern erleben Sie das Glück für sich allein, wo in Verbindung

mit anderen Menschen?

Welche Impulse ergeben sich daraus für Ihre zukünftigen Planun-

gen? Was nehmen Sie sich vor? Wohin geht die Reise für Sie?

Page 122: Der Alltag als Übung - KIT

122122

Zielauslöser setzenWenn Sie eine Gewohnheit ändern wollen, müssen Sie damit

rechnen, automatisch wieder in Ihre alten Muster zu fallen. Sie

können sich das bildhaft so vorstellen, als ob Ihre bisherige Ge-

wohnheit eine Art neuronale Autobahn ist, auf die Sie sofort

auffahren, sobald bestimmte äußere oder innere Reize dies

nahelegen. Ihr Wunsch, es anders zu machen, ist dagegen zu-

nächst nur eine Art Trampelpfad.

Die folgende Selbstmanagement-Übung aus dem ›Zürcher Res-

sourcen Modell‹ (Storch, Krause, 2014) zielt darauf ab, Sie zu

unterstützen, an der Autobahnauffahrt den Trampelpfad zu

nehmen, der immer breiter und fester wird, je häufiger Sie ihn

nutzen. Bis eines Tages die alte Auffahrt verschwunden und der

neue Pfad automatisiert ist.

Suchen Sie sich einen Gegenstand aus, den Sie assoziativ und

bildhaft, mit Ihrem (Verhaltens-)Ziel in Verbindung bringen. Das

kann ein spezieller Stein in der Hosentasche sein, ein farbiger

Pullover, ein ledernes Armband, ein Aufkleber neben der Woh-

nungstür, ein Parfüm, ein Handyklingelton oder ein Foto auf Ih-

rem Startbildschirm. Der Gegenstand kann mobil oder stationär

Page 123: Der Alltag als Übung - KIT

123123

sein. Er sollte auf jeden Fall unter Ihrer eigenen Kontrolle stehen

und er sollte neu sein, da ›alte‹ Gegenstände neurobiologisch

schon anders besetzt sind.

Machen Sie sich eine Liste, was für Gegenstände dies sein könn-

ten. Es gibt kein Richtig oder Falsch, legen Sie einfach los.

Bringen Sie Ihre Gegenstände in Position. Wenn es etwas in

Ihrem WG-Zimmer ist, platzieren Sie es sichtbar; wenn es etwas

zum Herumtragen ist, nehmen Sie es mit.

Die Gegenstände funktionieren unwillkürlich als sogenann-

te ›Primes‹. Das sind Stimuli, die unterhalb der Bewusstseins-

schwelle wirken. Sie lernen gewissermaßen Ihr neues Ziel, ohne

daran zu denken. Die Methode der unbewussten Zielverfolgung

ist schnell und effektiv, weil Sie keine kognitiven Ressourcen

brauchen.

Page 124: Der Alltag als Übung - KIT

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Priorisieren mit der Eisenhower-MethodeGerade wenn wir besonders viel zu tun haben, verlieren wir

schnell den Überblick und wissen gar nicht, mit welcher Auf-

gabe wir beginnen sollen. Eine Methode, die hilft, sich einen

Überblick zu verschaffen und Prioritäten zu setzen, ist die Eisen-

hower-Matrix. Hierbei werden zu erledigende Aufgaben nach

Wichtigkeit und Dringlichkeit in vier Kategorien aufgeteilt.

Schreiben Sie zunächst alle Aufgaben auf, die zu erledigen sind.

Anschließend bewerten Sie diese im Hinblick auf ihre Wichtig-

keit und ihre Dringlichkeit.

Eine Aufgabe ist wichtig, wenn sie der Erreichung Ihrer Ziele dient.

Bringt Sie eine Aufgabe Ihren Zielen nicht näher, wird sie als un-

wichtig eingestuft. Hierfür ist es sinnvoll, sich seine Ziele im Vorfeld

noch einmal genau vor Augen zu führen (z.B. Klausur XY bestehen).

Eine Aufgabe ist dringlich, wenn sie bis zu einem nahen Termin

in der Zukunft erledigt sein muss (nahende Deadline). Muss eine

Aufgabe erst zu einem späteren Zeitpunkt erledigt werden, ist

sie nicht dringlich.

Page 125: Der Alltag als Übung - KIT

125125

Aufgaben der Kategorie B sind insofern interessant, weil sie Sie

Ihren größeren Zielen näherbringen. In Kategorie C fallen All-

tagsgeschäfte. Vielleicht kann in einer stressigen Phase eine Mit-

bewohnerin oder ein Mitbewohner Ihnen etwas abnehmen. In

die Kategorie D fallen alle Aufgaben, die Sie vom Eigentlichen

abhalten (Mails, Nachrichtenseiten, Facebook etc.).

von Britta Hoffmann

wich

tig

dringend

Asofort selbst

erledigen

Cdelegieren

Bterminieren und selbst erledigen

Dnicht bearbeiten

nicht dringend

nich

t wich

tig

Page 126: Der Alltag als Übung - KIT

126126

Interkulturalitäts-Journal Unterschiedliche Sprachen, Traditionen und Religionen sind

schon lange fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Für ein har-

monisches Zusammenleben in einer kulturell vielfältigen Welt ist

es wichtig, Unbekanntem und kulturell Andersartigem mit To-

leranz und Wertschätzung zu begegnen. Hierfür sind vor allem

Empathie, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, Offenheit und

Aufmerksamkeit bedeutsam.

Um diese Fähigkeiten zu üben, können Sie in den nächsten zwei

Wochen ein Interkulturalitäts-Journal führen: Suchen Sie sich

dafür mindestens vier Situationen (eigene Begegnungen, Beob-

achtungen, mediale Darstellungen), zum Beispiel interkulturelle

Begegnung am KIT, im Sportverein, im Restaurant, in Filmen

oder auf Social Media.

Es muss sich hierbei nicht um künstliche Situationen handeln,

es können spontane Begegnungen oder Beobachtungen aus

Ihrem Alltag sein. Beschreiben und reflektieren Sie diese Situa-

tionen. Die folgenden Leitfragen können Ihnen Anreize bieten

Ihre Erfahrungen systematisch zu reflektieren.

Page 127: Der Alltag als Übung - KIT

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Wie ging es Ihnen in/mit der interkulturellen Situation? Was ha-

ben Sie wahrgenommen? Was denken Sie, wie sich die anderen

beteiligten Personen in der Situation gefühlt haben? Haben Sie

sich in der Lage gefühlt, angemessen zu reagieren? Falls nicht,

was bräuchte es dafür noch? Wurden Ihre Erwartungen an die

Situation erfüllt? Was hat Sie überrascht? Haben Sie bei sich

selbst Stereotype feststellen können? Welche Schlüsse ziehen

Sie aus der Situation? Welche weiterführenden Denkanstöße

haben Sie durch die Situation gewonnen?

Falls sich im Zeitraum von zwei Wochen nicht ausreichend

›neue‹ interkulturelle Situationen ergeben, können Sie eine frü-

here Situation reflektieren.

von Anna Lehner

Page 128: Der Alltag als Übung - KIT

128

Page 129: Der Alltag als Übung - KIT

129

Page 130: Der Alltag als Übung - KIT

130130

Wer sich seiner selbst bewusst und mit sich im Reinen ist,

der spürt so etwas wie Selbstsicherheit. Viele der Übun-

gen, die in den vorigen Kapiteln behandelt worden sind,

haben vielleicht dazu beigetragen, dass Sie sich Ihrer

selbst (besser) gewahr geworden sind. Und vielleicht ha-

ben Sie bei der ein oder anderen Aufgabe bemerkt, wie

Ihnen das regelmäßige Üben Sicherheit verleiht.

Die nun folgenden Übungen werden Ihnen Möglichkeiten

aufzeigen, wie Sie auch in der Kommunikation nach außen

mit sich verbunden bleiben können. Die meisten Übungen

stammen von den Lehrbeauftragten aus dem Schwerpunkt

»Kommunizieren und Präsentieren« am HoC. Die Übungen

wirken einmal mehr nicht als Werkzeuge, die Ihnen bei der

Selbstinszenierung helfen. Sie bekommen keine künstli-

chen Muskeln, um wie ein Cowboy oder Superman durch

die Welt zu staksen. Vielmehr geht es darum, dass Sie sich

Ihrer Körperlichkeit bewusst werden: in der Stimme, in der

Körperhaltung, mit der eigenen Handschrift oder in der Art

und Weise, wie Sie mit anderen in Beziehung treten.

Selbstsicher auftreten

Page 131: Der Alltag als Übung - KIT

131131

In der Wissenschaft spricht man dabei von ›Embodiment‹,

was wörtlich Verkörperung bedeutet und die Einbezie-

hung des Körpers in das Denken bezeichnet. Embodi-

ment-Ansätze betrachten Menschen als Einheit von Leib

und Geist. Körperliches und psychisches Geschehen wir-

ken permanent und wechselseitig aufeinander (Bidirek-

tionalität) und sind untrennbar miteinander verbunden.

Der Körper ist das Organ, mit dem Sie die äußere Welt

erleben.

Den eigenen Körper als Wahrnehmungsraum zu erfahren,

ist ein direkter und verhältnismäßig leicht zu lernender

Weg der Emotionsregulation. Wissenschaftliche Studien

zum Embodiment zeigen, dass die gezielte Beeinflussung

von Körpervariablen wie Gesichtsausdruck, Handbewe-

gungen, Körperhaltungen und Körperbewegungen Ein-

fluss haben auf Affekte und Emotionen, motivationale

Prozesse, Gehirnaktivität sowie auf Einstellungen und Be-

wertungen (Storch u.a. 2015).

Page 132: Der Alltag als Übung - KIT

132132

Wie andere Muskeln im Körper kann auch die Stimme vor ihrem

Einsatz ›aufgeweckt‹ werden. Um die Stimme fit zu machen,

sollte zuvor der ganze Körper aufgewärmt werden, um ihn in

einen aktiven Spannungszustand zu versetzen. Dabei ist auf

eine aufrechte Körperhaltung zu achten. So wird der Atemfluss

positiv beeinflusst, das Zwerchfell ist beweglich, die Spannungs-

verhältnisse der Muskulatur befinden sich in Balance.

Diese aufrechte Körperhaltung – nicht zu verwechseln mit dem

soldatischen »Bauch rein, Brust raus« – erreichen Sie, wenn Sie

Ihr Brustbein ›öffnen‹. Da, wo Ihre vorderen mittleren Rippen

zusammenkommen – Sie können diese Stelle deutlich mit den

Fingern spüren, da ist der Punkt, auf den es ankommt. Lassen

Sie sich dort einmal zusammensinken: Ihr Oberkörper hängt wie

›ein Schluck Wasser in der Kurve‹, d.h. spannungslos. Jetzt be-

wegen Sie langsam Ihr Brustbein nach oben. Sie merken, wie

sich dabei auch Ihr Brustkorb aufrichtet. Dieser Punkt Ihres Kör-

pers ist wie ein ›Scheinwerfer‹. Sinken Sie an dieser Stelle ein,

ist der ›Scheinwerfer‹ aus und Ihre Präsenz schwach. Stehen Sie

aufrecht, ist der ›Scheinwerfer‹ an.

Scheinwerfer an!

Page 133: Der Alltag als Übung - KIT

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Experimentieren Sie nun mit dieser Übung, indem Sie bewusst

den ›Scheinwerfer‹ ein- und ausschalten. Wiederholen Sie zwi-

schendurch diese Übung. Wie geht es Ihnen nach dieser Übung?

Spüren Sie, dass sich Ihre Ausstrahlung innerhalb von Sekunden

verändert?

Machen Sie Ihren ›Scheinwerfer‹ an, wenn Sie vor einer Grup-

pe sprechen. Diese Haltung hat auf den Zuhörer eine positive

Wirkung.

von Ruth Floeren

Page 134: Der Alltag als Übung - KIT

134134

Die Stimme fit halten, wie macht man das? Zum Beisiel mit

Atemübungen. Vielleicht denken Sie: »Warum sollte ich Atem-

übungen machen? Atmen kann doch wohl jeder!« So ist es. Der

Atem ist die Grundlage unseres Lebens. Doch in Stresssituatio-

nen, bei Aufregung, Lampenfieber oder unter Leistungsdruck

wird unser ruhiger Atemrhythmus unterbrochen. Wir schnap-

pen nach Luft, wir atmen laut, keuchend, geraten in Atemnot.

Der Atem ist eine vegetative Körperfunktion, aber der Mensch

kann den Atem beeinflussen und trainieren. Sie kennen sicher

den Rat: »Erst einmal tief Luft holen!« Worauf man sich mit Luft

vollsaugt und dann atemlos mit seiner Rede beginnt. Bei dem

Gefühl von Atemnot hat der Redner zu viel und nicht zu wenig

Luft. Der Spruch ist zwar verbreitet, aber atemtechnisch falsch!

Versuchen Sie es mal umgekehrt. Bevor Sie anfangen zu spre-

chen, atmen Sie erst einmal aus.

Nehmen Sie eine aufrechte, ausbalancierte Haltung einStehen Sie geerdet, Beine hüftbreit auseinander, Arme locker

verräumt, Körperspannung: ›Scheinwerfer‹ an (siehe S. 132).

Powertraining für die Stimme

Page 135: Der Alltag als Übung - KIT

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Wecken Sie Ihr Zwerchfell aufAtmen Sie kräftig »fffff« aus. Stellen Sie sich vor, Sie blasen eine

Kerze aus. Atmen Sie kräftig und lang auf »sch« aus. Stellen Sie

sich vor, Sie verscheuchen mindestens zehn Hühner. Atmen Sie

langsam auf »sssss« (scharfes s) aus, kurz innehalten, anschlie-

ßend mit »sch« ausfließen lassen, innehalten, gesamten Atem auf

»ff« mit einem kraftvollen Impuls ausblasen, innehalten. Lassen

Sie ›es‹ automatisch einatmen.

Trainieren Sie Ihre ArtikulationsmuskelnZiehen Sie Ihre Lippen abwechselnd breit und bilden Sie einen

Rüssel. Kreisen Sie mit Ihrer Zunge zwischen Lippen und Zähnen.

Schliesen Sie mit Lippenflattern ab.

Entfalten Sie Ihre StimmeGähnen Sie und lassen Sie dabei ›Urlaute‹ hören. Klopfen Sie

Ihren Körper wach und lassen dabei ›Orang-Utan-Geräusche‹

hören. Brummen Sie gemütlich auf »mmmm«. Schmatzen und

kauen Sie genüßlich: »Hmm, schmeckt das lecker!« (Indiffe-

renzlage finden, siehe S. 138f.). Legen Sie Ihre Hände wie eine

Klangschale vor den Mund und summen Sie »hmmmmm« hin-

ein, öffnen Sie zu »mooh, maah, meeeh, miiih, muuh«. Finden

Page 136: Der Alltag als Übung - KIT

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Sie die Stelle in der Hand, an den Fingern ..., die deutlich vibriert

(= vorne sprechen)! Legen Sie Ihre Hände trichterförmig vor den

Mund und rufen Sie: »hallo«, »komm her«, »he du«, »hierher«,

»halt«; dann wiederholen Sie die Rufe ohne Trichter. Das geht

jetzt viel müheloser, oder?

Fokussieren Sie sich auf die jeweilige Sprechsituation Konzentrieren Sie Ihre Energie auf Ihre Zuhörerinnen und Zu-

hörer, Ihre Gesprächspartnerinnen und Gesrpächspartner oder

Ihr Publikum.

Wiederholen Sie diese Übungen eine Woche lang jeden Tag.

Wie geht es Ihnen nach diesen Übungen? Spüren Sie, wie diese

Übungen die Gesichts- und Kiefermuskeln, Zunge und Lippen

lockern und die Stimme auf ihren Einsatz vorbereiten?

von Ruth Floeren

Page 137: Der Alltag als Übung - KIT

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Selbstsicherheit gewinnen Sie nicht nur, wenn Sie auf sich ach-

ten, sondern auch, wenn Sie sich mit anderen Menschen in Ihrer

Umgebung verbinden. Es gehört zu den Grundbedürfnissen

jedes Menschen, sich autonom zu entfalten und mit anderen

in Resonanz zu treten. Beide Seiten – aktiv werden und in Be-

ziehung treten – gehören zusammen. Daher ist die folgende

Übung tatsächlich auch hilfreich, um sich selbst besser gewahr

zu werden.

Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit eine Woche lang auf die Art,

wie Sie zuhören. Achten Sie besonders auf die verschiedenen

Impulse, die Sie möglicherweise haben: Ihrem Gegenüber ins

Wort zu fallen; schon an Ihre Antwort zu denken, bevor der

andere ausgesprochen hat oder gedanklich abzuschweifen. Ist

es Ihnen möglich, zuzuhören, ohne mit dem Gesagten einver-

standen zu sein? Einfach zuhören? Achten Sie auf Ihre Emp-

findungen, Ihren Gesichtsausdruck und lenken Sie Ihre Auf-

merksamkeit auf die Stimme Ihres Gesprächspartners: auf den

Klang, ihre Beschaffenheit und ihre Intensität.

von Manuela Schnaubelt

Achtsam in Beziehungen

Page 138: Der Alltag als Übung - KIT

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Für die Stimmgesundheit ist das Sprechen in der mittleren

Sprechstimmlage, der sogenannten Indifferenzlage, von beson-

derer Wichtigkeit. Es ist die Tonlage, in der Sie mit dem gerings-

ten Kraftaufwand sprechen. Hier klingt Ihre Stimme am besten.

Die Muskelentspannung des Sprechers überträgt sich auf die

Zuhörer: Das bewirkt, dass man konzentrierter zuhören kann.

Der Sprecher wird als kompetent und souverän wahrgenom-

men. Wie finden Sie diese Wohlfühllage der Stimme?

Setzen oder stellen Sie sich bequem, aber aufrecht hin. Stellen

Sie sich vor, Sie hätten Ihr Lieblingsgericht im Mund. Sie kauen

und genießen: »hmmm!«. Ihre Stimme bewegt sich entspannt

von oben nach unten, Ihre Lippen vibrieren locker. Kauen Sie

weiter und verlängern Sie nach jedem dritten »hmmm!« zu

»hmmmschmecktdaslecker«. Strengen Sie sich dabei nicht an,

bleiben Sie aber aktiv. Dazu nicken Sie leicht mit dem Kopf:

»hmmmschmecktdaslecker.Jaaa.Jaaa!« Wiederholen Sie das so

lange, bis Sie merken, dass Ihr Hmmm... immer und ohne Nach-

denken in der gleichen Höhe erklingt. Das ist Ihre sogenannte

Indifferenzlage. Die Lage, in der Ihnen die Stimmerzeugung völ-

lig mühelos gelingt.

Die Indifferenzlage finden

Page 139: Der Alltag als Übung - KIT

139139

Sprechen Sie jetzt folgenden Satz ohne Modulation in genau

dieser Lage: »Das Wetter soll noch mal richtig schön werden!«

Das klingt doch fast ein wenig gelangweilt, oder? Genau: eben

indifferent, aber dafür mühelos.

Jetzt sagen Sie diesen Satz noch einmal. Sie starten in Ihrer In-

differenzlage. Dann versuchen Sie sich und andere davon zu

überzeugen. Sie sprechen also mit Emotion. Sie spüren, dass

Ihre Stimmlage jetzt ungefähr ein bis zwei Töne über Ihrer Indif-

ferenzlage erklingt. Hier liegt also Ihre natürliche Sprechtonlage,

d.h. nah an Ihrer Indifferenzlage.

Wiederholen Sie täglich zwischendurch diese Übung. Wie geht

es Ihnen nach dieser Übung? Spüren Sie, wie angenehm, mü-

helos und schonend der Körper das Sprechen organisiert, wie

authentisch das Schwingen um die normale Tonlage ist?

von Ruth Floeren

Page 140: Der Alltag als Übung - KIT

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Falls es Ihnen schwerfällt, Ihre Wünsche zu äußern, kann Ihnen

diese Übung (nach Rubin 2015, S. 50) helfen, das Wünschen zu

üben: selbstbewusst und freundlich.

Überlegen Sie, welche Wünsche Sie in letzter Zeit nicht adres-

siert haben. Vielleicht möchten Sie, dass ein lieber Mensch mehr

Zeit mit Ihnen verbringt oder dass eine Kommilitonin Ihnen

bei einer Präsentation hilft. Oder Sie wünschen sich, dass Ihre

Mitbewohner mal wieder saubermachen. Oder Sie möchten in

diesem Jahr mal bestimmen, wohin Sie mit Ihrer Freundin oder

Ihrem Freund in den Urlaub fahren.

Überlegen Sie sich vier Dinge, die Sie sich von jemand anderem

wünschen. Schreiben Sie auf, wie Sie Ihre Wünsche formulieren

möchten. Seien Sie deutlich und direkt. Statt: »Es muss mal wie-

der saubergemacht werden!«, sollte es heißen: »Ich bitte dich,

morgen den Abwasch zu machen«. Achten Sie darauf, dass Sie

sich dabei nicht ›klein machen‹ oder entschuldigen. Wichtig ist

auch, dass Sie Ich-Botschaften verwenden.

Wunschkonzert

Page 141: Der Alltag als Übung - KIT

141141

Tragen Sie Ihren Wunsch nicht zwischen Tür und Angel vor und

sprechen Sie in einem ruhigen, freundlichen Ton. Halten Sie da-

bei Blickkontakt. Wenn Ihr Wunsch keinen Anklang findet, ver-

suchen Sie den Grund dafür herauszufinden. Zeigen Sie dann

mögliche Alternativen auf. Wenn Ihr Wunsch akzeptiert wird,

freuen Sie sich darüber und nehmen Sie es ohne schlechtes Ge-

wissen an.

Page 142: Der Alltag als Übung - KIT

142142

Diese Übung kann als praktische Hilfestellung eingesetzt wer-

den, um sich in zwischenmenschlichen Beziehungen zu positio-

nieren, die eigenen Bedürfnisse zu vertreten oder einen Konflikt

anzusprechen. Durch die Berücksichtigung der Ebenen Wahr-

nehmung, Wirkung und Wunsch treten wir unserer Gesprächs-

partnerin und unserem Gesprächspartner wertschätzend gegen-

über und vermeiden so unnötige Vorwürfe, Verletzungen oder

Abwertungen.

.

Wahrnehmung: Beginnen Sie damit, Ihre Wahrnehmung der

Situation darzustellen. Beschreiben Sie ganz konkret, was Sie ge-

sehen oder gehört haben. Vermeiden Sie dadurch Verallgemei-

nerungen und bewerten Sie nicht. »Mir ist aufgefallen, dass…«

Wirkung: Beschreiben Sie die Auswirkungen, die das Verhalten

oder das Gesagte Ihres Gegenübers auf Sie selbst und gegebe-

nenfalls auf andere hat. Äußern Sie vor allem, was Sie dabei

fühlen. Gefühle sind unsere ›Privatereignisse‹, die von außen

nicht in Frage gestellt werden können. Sie dienen dem Anderen

außerdem als wichtigen Anhaltspunkt im Gespräch. »Das be-

deutet für mich/ Ich habe mich darüber geärgert…«

Offen Kommunizieren

Page 143: Der Alltag als Übung - KIT

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Wunsch: Beschreiben Sie Ihre Bedürfnisse. Sagen Sie klar, was

Sie sich in Zukunft wünschen. Gerade in angespannten Gesprä-

chen neigen wir dazu in Muster zu fallen, dem anderen Vorwür-

fe zu machen oder Forderungen zu stellen. Wünsche können wir

hingegen frei formulieren, ohne unser Gegenüber unter Druck

zu setzen. »Ich wünsche mir in Zukunft / Ich möchte dich bit-

ten…«

von Marie-Hélène Seidl-Scheerer

Page 144: Der Alltag als Übung - KIT

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Wenn Sie denken, Ihr Gehirn sei ein reines Denkorgan, das weit-

gehend losgelöst und unabhängig vom Körper existiert, irren Sie

sich. Menschen haben keine leibliche und daneben emotionale

und daneben kognitive Beziehung zur Welt; es handelt sich viel-

mehr um ein und dieselbe Weltbeziehung (vgl. Rosa 2016, S.

144 ff.).

Embodiment-Ansätze (›Embodiment‹ bedeutet wörtlich ›Verkör-

perung‹) betrachten Menschen als Einheit von Leib und Geist.

Körperliches und psychisches Geschehen wirken permanent

aufeinander und sind untrennbar miteinander verbunden. Die

meisten Menschen kennen die Verbindung oft nur aus der einen

Richtung: Wenn Sie sich nicht wohl fühlen, weil Sie zum Bei-

spiel denken, dass Sie als einziger Mensch mal wieder die selbst

gesteckten Ziele bei der Prüfungsvorbereitung nicht schaffen,

werden Sie wahrscheinlich Ihre Schultern zusammenziehen und

ganz gekrümmt am Schreibtisch sitzen. Aber die Beeinflussung

funktioniert auch in die andere Richtung.

Power Poses

Page 145: Der Alltag als Übung - KIT

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Studien zum Embodiment zeigen, dass die experimentelle Mani-

pulation von Körpervariablen wie Gesichtsausdruck, Handbewe-

gungen, Körperhaltungen und Körperbewegungen Einfluss auf

Emotionen, motivationale Prozesse, Gehirnaktivität, Einstellun-

gen und Bewertungen haben. Wenn Sie also zu viel Zeit am Tag

mit gesenktem Blick und rundem Rücken vor Ihrem Smartphone

verbringen, wird das Auswirkungen auf Ihre Gefühle und Ihre

Befindlichkeit haben (Storch et al. 2010).

Probieren Sie es aus, indem Sie zwei Minuten am Tag Körper-

haltungen einnehmen, in denen Sie sich machtvoll fühlen. Die

amerikanische Sozialpsychologin Amy Cuddy erklärt Ihnen in

ihrem TED-Talk (www.youtube.com/watch?v=Ks-_Mh1QhMc)

die Hintergründe dieser ›Power Poses‹. Auch wenn die Wirkun-

gen der ›Power Poses‹ wissenschaftlich nicht eindeutig erwiesen

sind, ist es eine gute Methode, um Embodiment im Alltag aus-

zuprobieren.

Page 146: Der Alltag als Übung - KIT

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»Ein wichtiger Weg, zu sich selbst zu kommen, und bei sich zu

sein, ist der Weg über den Leib«, schreibt Pater Anselm Grün

(2014, S. 59). Die folgende Steh-Übung folgt seinen Empfeh-

lungen. Probieren Sie sie doch einmal aus, wenn Sie einen Vor-

trag halten oder eine Präsentationsprüfung haben. Es geht nicht

darum, dass Sie versuchen, auf eine künstliche Art zu imponie-

ren, sondern dass Sie durch den Körper langsam mehr Selbst-

vertrauen einüben. Im Körper können Sie spüren, dass Sie ohne

Schauspielerei zu sich selbst stehen können, mit allem, was Sie

ausmacht.

Stellen Sie sich hüftbreit auf. Die Knie sind leicht angewinkelt.

Wippen Sie leicht vor und zurück, gerade so, dass Sie bemerken,

wie Sie gegensteuern müssen, um nicht nach vorne oder hinten

zu kippen. Pendeln Sie sich ein, bis Sie spüren, dass Sie genau in

der Mitte der Füße ausgerichtet sind.

Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Baum, dem Wurzeln in die Erde

wachsen. Spüren Sie, wie Sie fest verwurzelt stehen.

Steh-Übung

Page 147: Der Alltag als Übung - KIT

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Dann fokussieren Sie Ihren Brustkorb, Ihre Wirbelsäule und Ihren

Kopf und stellen sich vor, wie Sie als Baum Ihre Krone breit und

groß ausrichten. Wenn Sie möchten, schließen Sie die Augen.

Nun sagen Sie sich (laut oder leise) folgende Sätze:

»Ich habe einen Standpunkt. Ich stehe mit beiden Füßen auf

dem Boden. Ich habe Stehvermögen. Ich kann etwas durchste-

hen. Ich kann für etwas einstehen. Ich kann für mich einstehen.

Ich stehe zu mir. Ich stehe in mir.«

Sie können diese Sätze mehrmals wiederholen. Blieben Sie

einen Augenblick stehen. Spüren Sie nach. Danach halten Sie

Ihren Vortrag oder Ihre Präsentation. Was macht diese Übung

mit Ihnen?

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Viele denken beim Visualisieren von Flipcharts an hübsche ›Bild-

chen‹ und ›Symbole‹ – und vergessen dabei eine wichtige visu-

elle Vokabel: die Schrift! Folgende Übung gibt Anstöße, wie es

gelingt, nur mit Schrift Dinge auf den Punkt zu bringen.

Immer wenn es um ein Thema, ein Problem oder eine Lösung

geht, gibt es das ›Wichtigste‹, ›Wichtiges‹, ›weniger Wichtiges‹

und letztlich ›Nebensächliches‹.

Erst wenn Sie Prioritäten klar herausarbeiten, wird aus Informa-

tion verdaubares Wissen. Visualisierung heißt, Information ver-

dichten! Wie bei einem gelungenen Rezept sind nicht allein die

Zutaten ausschlaggebend, sondern vor allem die Abstimmung

und Mengen der einzelnen Zutaten! Wenn alles gleich wich-

tig oder unwichtig ist, entsteht ungenießbarer Einheitsbrei. Die

Qualität bleibt auf der Strecke.

Eine Übung dazu: Sicherlich treibt Sie gerade ein bestimmtes

Thema um. Oder Sie müssen etwas für andere zusammenfassen.

Inhalt und Fokus

Page 149: Der Alltag als Übung - KIT

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1. Wie können Sie das gesamte Thema in einem kurzen Satz

bzw. Schlagwort für Ihre Überschrift zusammenfassen?

2. Welche Schlagworte sind notwendig, um das Thema weiter

zu erklären? Schreiben Sie diese Schlagworte in der passen-

den Reihenfolge (kleiner als die Überschrift!) auf. Lassen Sie

dazwischen Raum für weitere Ergänzungen.

3. Nutzen Sie nun eventuell Symbole wie Pfeile, Linien zum

Trennen oder Verbinden, Textboxen und Unterstreichungen,

um einzelne Wörter hervorzuheben, und vielleicht noch

eine zusätzliche Farbe, um noch mehr Klarheit herzustellen.

Vielleicht möchten Sie in kleiner Schreibschrift noch kleine

Kommentare einfügen. Achten Sie aber darauf, dass trotz

dieser Ergänzungen das Blatt nicht zu voll wird.

4. Nehmen Sie ein weiteres Blatt, Ihr ›Papierkorbblatt‹. Darauf

schreiben Sie, welche Informationen Sie bewusst weggelas-

sen haben. Vertrauen Sie grundsätzlich darauf, dass unser

Gehirn eine wunderbare Eigenschaft hat: »Wenn ich auf

der richtigen Spur bin, fallen mir notwendige Details ein.«

Es ist wie bei der Orientierung. Erinnere ich mich an eine

bestimmte Kreuzung, erinnere ich mich automatisch wie-

der an weitere Wegpunkte.

Page 150: Der Alltag als Übung - KIT

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5. Nun schauen Sie sich Ihr Blatt mit den Notizen bewusst

an. Es sieht doch schon anders aus als Ihre üblichen Auf-

schriebe. Schon die unterschiedlichen Schriftgrößen und

die bewusstere Platzierung aller Elemente schaffen Struktur

und Gliederung. Wie Sie das noch weiter optimieren, dazu

gleich mehr.

6. Wenn Sie Lust haben, machen Sie das Gleiche nochmals.

Aber nutzen Sie Ihr Nachdenken über die erste Version, um

alles noch präziser auf den Punkt zu bringen. Vielleicht wird

Ihr Papierkorbblatt voller. Optimieren Sie die Aufteilung auf

dem Blatt ebenso wie die Schriftgrößen hinsichtlich Über-

sichtlichkeit und klarer Bedeutung.

7. Und wenn Sie Lust haben, machen Sie es zum dritten Mal.

Experimentieren Sie diesmal aber mit einem anderen For-

mat. So gewinnen Sie erste Erfahrungen für welches The-

ma sich ein Hoch- oder Querformat besser eignet.

Denken Sie künftig immer an folgende Fragen, um den Inhalt

und Fokus eines Themas herauszuarbeiten: »Um was geht es?

Und um was geht es im Detail? Wie setze ich die Prioritäten, was

lasse ich weg? Wie reduziere ich sinnvoll die Komplexität?«

Page 151: Der Alltag als Übung - KIT

151151

Dies alles können Sie durch die Größenverhältnisse und die An-

ordnung der Schrift klar zum Ausdruck bringen. Und wenn Ih-

nen dann zu den wichtigsten Punkten doch noch ein ›Bildchen‹

und ›Symbol‹ einfällt, gelingt alles noch besser.

Text und Illustration von Siegfried Bütefisch

LEAFIEST1 Ägäis

Ä j

müssen ganz wichtigvergüten

f

Page 152: Der Alltag als Übung - KIT

152152

Unsere Haltung ist ein Muster der Spannungsverteilung der

Muskulatur. Wenn wir uns bestimmte Bilder vorstellen, regen

wir unser Nervensystem an, dieses Muster zu überprüfen und

ggf. zu verbessern. Dadurch wird die Spannungsverteilung aus-

geglichen. Das führt zu einer aufrechteren und entspannteren

Haltung, größeren Beweglichkeit und mehr Leichtigkeit in der

Bewegung.

Stellen Sie sich aufrecht hin, die Füße parallel nach vorne aus-

gerichtet, um etwa Hüftgelenksbreite (nicht Hüftbreite!) ausei-

nander. Schultern und Arme hängen nach unten, der Kopf ist

aufgerichtet und der Nacken lang, der Blick geht zum Horizont.

Schließen Sie die Augen (evt. richtet sich der Kopf dann noch-

mal ein wenig auf).

Stellen Sie sich nun vor, dass am obersten Punkt ihres Kopfes,

am Schädeldach, ein Marionettenfaden befestigt ist. Er hält

Ihren Körper aufrecht. Sie müssen also nichts dafür tun, um auf-

gerichtet zu sein. Bleiben Sie bei dieser Vorstellung für etwa eine

Marionette

Page 153: Der Alltag als Übung - KIT

153153

Minute. Lassen Sie zu, dass Ihre Schultern und Ihre Schulterblät-

ter sinken, Ihr Kopf sich aufrichtet und Ihr Hals sich verlängert.

Stellen Sie sich dann vor, dass am oberen Ende des Brustbeins

(dort, wo die Schlüsselbeine fast zusammenkommen) ein Ma-

rionettenfaden befestigt ist. Ihr Brustkorb wird an diesem Faden

gehalten. Bleiben Sie bei dieser Vorstellung für etwa eine Minu-

te. Lassen Sie zu, dass Ihr Brustkorb sich hebt und Ihr Atem sich

vertieft. Vielleicht seufzen Sie sogar.

Wenn Sie wollen, können Sie eine andere Person bitten, Sie

zu unterstützen, indem sie die beiden Punkte mit einem Finger

leicht berührt. Dadurch können Sie sich die Orte, an denen die

Fäden befestigt sind, leichter vorstellen. Beobachten Sie, wie

sich durch die Vorstellungen Ihre Körperhaltung und vielleicht

sogar Ihr Gesichtsausdruck verändert, und Sie sich gelassener

und zuversichtlicher fühlen. Fragen Sie dann die andere Person,

ob sich ihr Eindruck von Ihnen verändert hat.

von Dirk Schuka

Page 154: Der Alltag als Übung - KIT

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Unter Stress wird unsere Atmung flacher: Der Bauch wird fest,

beim Einatmen gibt es weniger Bewegung im Zwerchfell; der

Brustkorb bleibt im Zustand der Einatmung, die Muskeln der

Schultern und Rippen können beim Ausatmen nicht mehr ent-

spannen. Eine flache Atmung geht einher mit dem Gefühl der

Anspannung und Unsicherheit, eine tiefe und volle Atmung mit

einem Gefühl der Ruhe und Kraft.

Stellen Sie sich aufrecht hin, die Füße parallel, um Hüftgelenks-

breite (nicht Hüftbreite!) auseinander. Die Knie ganz leicht ge-

beugt, so dass das Becken etwas beweglicher wird. Der Kopf ist

aufgerichtet und der Nacken lang, der Blick geht zum Horizont.

Legen Sie eine Hand auf Ihren Unterbauch (in den Bereich zwi-

schen Bauchnabel und Schambein), die andere auf Ihr Brustbein.

Beobachten Sie für jeweils einige Atemzüge lang die Atembe-

wegung zuerst im Bauch-, dann im Brustbereich: Wo gibt es

Bewegung beim Einatmen und beim Ausatmen? Was verändert

sich im Unterbauch, was im Brustkorb, wenn Sie atmen? Lassen

Sie Ihre Atmung dabei unverändert, greifen Sie also nicht gezielt

in den Ablauf Ihrer Atmung ein!

Kraftatmung

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155155

Schicken Sie nun für einige Atemzüge mit jedem Einatmen in

Ihrer Vorstellung den Atem bis hinunter in das Becken (oder so-

gar bis zum Beckenboden). Falls Sie eine Bewegung im Bauch

merken, verstärken Sie sie sanft, ohne dabei etwas zu forcieren.

Lassen Sie dann für einige Atemzüge mit jedem Ausatmen die

Schultern und die Rippen nach unten sinken (nicht aktiv nach

unten ›ziehen‹).

Kombinieren Sie beide Abläufe miteinander: Für einige Atem-

züge jeweils beim Einatmen in der Vorstellung den Atem ins

Becken schicken, beim Ausatmen Schultern und Rippen sinken

lassen. Schließlich probieren Sie es auch ohne Hilfe der Hände

aus. Genießen Sie die Ruhe, die dabei entsteht und beobachten

Sie, wie die Anspannung nachlässt und sich ein Gefühl der Kraft

in Ihnen einstellt.

von Dirk Schuka

Page 156: Der Alltag als Übung - KIT

Arts & Sciences Exhibitions and Publishing GmbH in Kooperation mit Stapferhaus Lenzburg (2014): Entscheiden. Das Magazin zur Ausstellung. Essays und Expertengespräche, Interviews und Reportagen, Bildstrecken und Infografiken, Tipps und Tricks. Heidelberg: Arts & Sciences Exhibitions and Publishing GmbH

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DankAllen Beiträgerinnen und Beiträgern zu diesem Booklet

danken wir für den fruchtbaren Austausch und die vie-

len Ideen. Es war wichtig, so viele Verbündete zu haben:

Herzlichen Dank dafür! Leni Seidl-Scheerer danken wir

zudem für ihr Fachlektorat, Carina Lübben für ihre Unter-

stützung bei der Endredaktion.

Mit dem Booklet stehen wir als Zwerge auf den Schultern

von Riesen: Es gibt viele Autorinnen und Autoren, die uns

inspiriert haben; das Literaturverzeichnis kann unseren

Dank nur nominell zum Ausdruck bringen. Das Booklet

gäbe es nicht ohne Merve Simsek und Immanuel Zeh, die

mit Herzblut und kreativen Ideen das Werden des Book-

lets begleitet und es gestalterisch realisiert haben – an sie

geht ein besonderer Dank! Schließlich danken wir den

lieben Dozierenden am HoC für ihr breites und abwechs-

lungsreiches Veranstaltungsangebot, mit dem sie die The-

men dieses Booklets unseren Studierenden nahebringen.

Anna Lehner und Michael Stolle