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Deutsches Volksliedarchiv "Der Vater steht im Feld und hält die Wacht" Die Schrift "Deutsche Kriegsweihnacht" als Mittel der Propaganda im Zweiten Weltkrieg Author(s): Michael Fischer Source: Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture, 50./51. Jahrg. (2005/2006), pp. 99-135 Published by: Deutsches Volksliedarchiv Stable URL: http://www.jstor.org/stable/30043819 . Accessed: 10/06/2014 20:02 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Deutsches Volksliedarchiv is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture. http://www.jstor.org This content downloaded from 193.105.154.63 on Tue, 10 Jun 2014 20:02:03 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Deutsches Volksliedarchiv

"Der Vater steht im Feld und hält die Wacht" Die Schrift "Deutsche Kriegsweihnacht" alsMittel der Propaganda im Zweiten WeltkriegAuthor(s): Michael FischerSource: Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture, 50./51. Jahrg. (2005/2006), pp.99-135Published by: Deutsches VolksliedarchivStable URL: http://www.jstor.org/stable/30043819 .

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>DER VATER STEHT IM FELD UND H ALT DIE WACHT<<

Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht als Mittel der Propaganda im Zweiten Weltkrieg

MICHAEL FISCHER

1. Die Weihnacht steigt ins Tal im klaren Wind, Die Mutter beuget sich zu ihrem Kind.

2. Der Vater steht im Feld und hilt die Wacht, Viel Sterne schauen durch die grofge Nacht.

3. Zwei Sterne blicken still aus unserm Kind Und zeigen an, da1t wir ein Herze sind.1

Dieser schlichte Liedtext aus der Sammlung Deutsche Kriegsweihnacht (Miinchen 1942) versammelt die typischen Motive nationalsozialistischer Weihnachtskultur: Das Fest wird einerseits im Riickgriff auf eine diffuse

Naturmystik begangen (Winter, Nacht, Sterne), andererseits in Bezug auf den Mutterkult. Im zitierten Lied von Hans Baumann (1914-1988) tritt als zusaitzliches Element die Figur des Vaters hinzu, der als Soldat im .Feld<< steht und dort Wache hdlt.

Der vorliegende Aufsatz wendet sich der Frage zu, wie die nationalsozia- listische Weihnachtskultur zur Kriegspropaganda herangezogen wurde. Als historische Quelle dient die genannte Schrift Deutsche Kriegsweihnacht, die in verschiedenen Ausgaben zwischen 1941 und 1944 in Miinchen er- schienen ist. Der Fokus ist dabei auf die zweite Auflage von 1942 gerichtet, die unmittelbar vor der entscheidenden Kriegswende, der Niederlage in

Stalingrad (Januar/Februar 1943), erschienen ist. In methodischer Hin- sicht sollen die Lieder dieser Ausgabe im Zusammenhang mit den darin enthaltenen Prosatexten, lyrischen Stiicken und Bildern, insbesondere den

Gestaltungsvorschlagen zu Parteifeiern, interpretiert werden.

1 Deutsche Kriegsweihnacht. Hg. vom Hauptkulturamt in der Reichspropaganda- leitung der NSDAP. Miinchen 21942, S. 131if.

Lied und populire Kultur / Song and Popular Culture 50/51 (2005/06) 99

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Michael Fischer

Der Beitrag besteht aus drei Teilen: In einem ersten werden die Grundziige der nationalsozialistischen Propaganda, namentlich der Kriegspropaganda, herausgestellt. Dabei spielt der nationalsozialistische Mythos, die Ideologie des .>Stirb und werde., die sich problemlos mit dem nationalsozialistischen

Weihnachtsmythos verbinden lieLg, eine grofge Rolle. Der zweite Teil wirft

ein Licht auf die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht, auf die Herausgeber, die Ausstattung und die Inhalte. Dieser Mittelteil bildet den Hintergrund fur die Analyse der in diesem Buch enthaltenen Weihnachtslieder, welche abschliegend anhand dreier zentraler Themen vorgestellt und erlkiutert werden.

I. >Vielleicht wollen die Menschen betrogen werden, sicher nicht gelangweilto2 - Kriegspropaganda und Weihnachtsmythos im Nationalsozialismus

1. Grundziige nationalsozialistischer Propaganda 1933-1945

Dass Propaganda - neben der Bereitschaft zur Gewalt - zu den Wesens- merkmalen des Nationalsozialismus gehdrt, wurde schon oft beschrieben.3 Dabei lassen sich strukturell drei Ebenen der Propaganda unterscheiden, naimlich die doktrinaire (Inhalt der Propaganda), die mediale (Form) und die organisatorische. Gerade auf dem letzten Gebiet war der Nationalsozia- lismus besonders riihrig, wenn auch nicht immer effektiv: Geschaffen wurde naimlich nicht nur eine Vielzahl von (teils konkurrierenden) Amtern und Dienststellen mit dem .>Reichsministerium fur Volksaufldkirung und Propaganda<< an der Spitze,4 sondern auch eine entsprechende publizisti-

2 Bloch, Ernst: Kritik der Propaganda. In: Ders.: Vom Hasard zur Katastrophe. Politische Aufsaitze 1934-1939. Frankfurt a.M. 1972, S. 195.

3 Vgl. einfiihrend das Kapitel >Feier, Kult und Propaganda, in Thamer, Hans- Ulrich: Verflihrung und Gewalt. Deutschland 1933-1945. Miinchen 1994, S. 417-434; Longerich, Peter: Nationalsozialistische Propaganda. In: Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Hg. von Karl Dietrich Bracher u.a. Bonn 21993, S. 291-314. Vgl. ferner Hitler, Adolf: Mein Kampf 2 Bde. in 1 Bd. Miinchen 1942, S. 193-204 (1/6: .Kriegspropaganda,) und S. 649-669 (I/11: >Propaganda und Organisationo). - Zum Thema Musik und Propaganda vgl. Das

,Dritte Reicho und die Musik. Hg. von der Stiftung

Schloss Neuhardenberg in Verbindung mit der Cite de la musique, Paris. Berlin 2006, besonders S. 129-159.

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

sche Landschaft. Parallel zur Gleichschaltung der Presse entstand ein ver-

legerisches Imperium. So kontrollierte Max Amann, NS-Reichsleiter fiir die Presse und Direktor des zentralen Parteiverlages Eher, bereits 1939

fiber eine Reihe von Holdings mehr als 150 Verlage.5 In diesem >>Zentral-

verlag der NSDAP. Franz Eher Nachfolger, Miinchen. ist auch die Publi- kation Deutsche Kriegsweihnacht erschienen.

Dabei setzte der Nationalsozialismus nicht nur auf das massenhaft popu- larisierte Wort und Bild (verbreitet durch alle erdenklichen Medien, vom Handzettel fiber das Plakat bis hin zum Rundfunk und Film), sondern auch auf Inszenierungen. Parteiversammiungen, Aufmairsche, Feierstunden, die geschickt choreografierten Reden des uFiihrers. und - wenigstens zum Teil grofldimensionierte - Kultveranstaltungen dienten der Manipulation der Massen.6 Dort hatten auch Musik und Lieder ihren Platz.

Indes darf vom totalitairen Anspruch und den Intentionen der Propa- ganda nicht auf deren Wirksamkeit geschlossen werden.7 Hier gab es hbchst unterschiedliche Effekte. Einerseits ist es zweifelsohne gelungen, die nationalsozialistische Ideologie einschliefglich des dFiihrermythos. lange Zeit breitenwirksam zu verankern.8 Andererseits sind die Deutschen in wesentlichen Punkten den Lenkern und Agitatoren nicht gefolgt. So stiefs der aggressive und pathologische Rassismus und Antisemitismus vor allem dann an seine Grenzen, wenn offen oder verdeckt zu Gewaltmainahmen gegen Juden aufgerufen wurde. Entsprechend gelang es im November 1938 nicht, die Bevdlkerungsmehrheit zu .spontanen Aktioneno gegen jiidische Bu*rger aufzuhetzen.9 Ebenso sprach die germanische Mythologie mit ihren neuheidnischen Kultformen eher Minderheiten bzw. >,Organisierte. sowie besonders

.,Motivierte<, an: Die Feier des .Julfestes. statt Weihnachten etwa

4 Zu den vielfiltigen Lenkungsorganen vgl. ausfiihrlich Vondung, Klaus: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus. Gdttingen 1971, S. 48-69.

5 Longerich: Nationalsozialistische Propaganda (wie Anm. 3), S. 297f. 6 Vgl. ausfiihrlich Vondung: Magie und Manipulation (wie Anm. 4). 7 Vgl. Longerich: Nationalsozialistische Propaganda (wie Anm. 3), S. 312ff. 8 Der ,Fiihrermythos< zerbr6ckelte mit der Kriegswende 1942/43 (Ende der 6. Armee

in Stalingrad). Vgl. Thamer: Verfiihrung und Gewalt (wie Anm. 3), S. 434 und 674. 9 Ebd., S. 313.

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blieb auf Kreise innerhalb der ))SS<< beschra'nkt. Offensichtlich sei auch, so Peter Longerich in seinem grundlegenden Beitrag zur nationalsozialistischen

Propaganda, ))daft es 1938/39 zur grofgen Enttaiuschung der NS-Fiihrer nicht gelang, eine Welle der Kriegsbegeisterung in Deutschland auszulbsen, wie dies zu Beginn des Ersten Weltkrieges geschehen war.,11.

2. Nationalsozialistischer Weihnachtsmythos und Kriegspropaganda

Der auf alle Lebensbereiche und Zeitlaiufe abzielenden Propaganda diente auch die Etablierung eines nationalsozialistischen Jahreslaufs, der zwar ana-

log, aber in scharfer Konkurrenz zum christlichen Kirchenjahr angelegt

war.12 Wie in der Religionswissenschaft jiblich, kann auch bei den national- sozialistischen Feiertagen zwischen Natur-, Ideen- und Geschichtsfesten un- terschieden werden. Zu den Naturfesten ziihlen die Sommer- und Winter- sonnenwende (21. Juni, 21. Dezember), zu den Ideenfesten der 1. Mai und der Muttertag, zu den Geschichtsfesten der sogenannte Tag der Macht-

ergreifung (30. Januar) sowie der Geburtstag des 4.Fiihrers. (20. April). Das Weihnachtsfest ist von seinem christlichen Ursprung her zunaichst

ein Geschichtsfest: Feierlich begangen wird die Geburt Christi, die in der Spaitantike symboltraichtig auf den Tag der Wintersonnenwende gelegt wurde (zuniichst Naturfest, durch metaphysische Deutung Ideenfest). Der Nationalsozialismus griff diese Tradition auf und brachte sie mit

germanischen Wurzeln und angeblich altem, vorchristlichem Brauchtum in Verbindung.13

In der Forschungsliteratur wird diese nationalsozialistische Umformung des biirgerlich-christlichen zum .,artgerechten,. Weihnachtsfest ausfiihrlich beschrieben.14 Auf ideologischer bzw. mythischer Ebene stechen dabei drei Merkmale heraus:

10 Vondung: Magie und Manipulation (wie Anm. 4), S. 85. 11 Longerich: Nationalsozialistische Propaganda (wie Anm. 3), S. 312. 12 Vgl. Vondung: Magie und Manipulation (wie Anm. 4), S. 74. 13 Vgl. hierzu Gajek, Esther: Nationalsozialistische Weihnacht. Die Ideologisierung

eines Familienfestes durch Volkskundler. In: Politische Weihnacht in Antike und Moderne. Zur ideologischen Durchdringung des Festes der Feste. Hg. von Richard Faber und Esther Gajek. Wiirzburg 1997, S. 183-215.

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

1. Das Festgeheimnis stellt nicht mehr die Geburt des Erl6sers Jesus Christus dar, so wie diese konfessionsiibergreifend von der christlichen

Dogmatik gelehrt und in der jeweiligen kirchlichen Liturgie gefeiert wird, sondern die ewige Neugeburt. Dabei stieg der ohnehin frag- wiirdige, im Nationalsozialismus aber ideologisch missbrauchte Grund- satz .)Stirb und werde. zum Leitwort auf. 5 Eingekleidet wurde das neue Mysterium in traditionelle, der christlichen Metaphorik entlehnte Be-

griffe bzw. Gegensatzpaare wie Winter/Friihling, Finsternis/Licht, Todi Geburt.

2. Personal steht nicht mehr Jesus Christus im Zentrum des Festes, auch nicht das Kind in der Krippe oder Maria, sondern kollektiv das Volk und individuell die Mutter. Das bisherige Personal der Heilsgeschichte ist damit iiberfluissig, bzw. es wird saikular umgedeutet und in einen vdlkischen Zusammenhang gebracht.

3. Analog hierzu wird eine neue Zeitstruktur eingefiihrt. Die christliche Heilsgeschichte ist linear/teleologisch ausgerichtet, sie reicht von der

Sch6pfung fiber die Zeitenwende16 bis hin zur eschatologischen Vollendung.'7 Der nationalsozialistische Mythos iibernimmt zwar par- tiell dieses Denken (.,Machtergreifung.< als Zeitenwende, Etablierung utopischer Entwiirfe), folgt aber im Wesentlichen einem der Antike entlehnten Kreislaufdenken, das inhaltlich mit dem bereits genannten Schema .,Stirb und werde<, korrespondiert.

Mit diesen drei Elementen wurde ein neuer Mythos geschaffen, der sich gut mit den zentralen Begriffen und Werten der Nationalsozialisten - Volk, Rasse, Kampf - und einer saikularisierten Opfertheorie verbinden

lief&. Insofern war dieser Weihnachtsmythos auch geeignet, um im Krieg propagandistisch vereinnahmt zu werden. Die folgenden Textausziige aus

14 Ebd., S. 185-189; Foitzik, Doris: Rote Sterne, braune Runen. Politische Weihnach- ten zwischen 1870 und 1970. Minster 1997, S. 104-116 (,.Bedeutungswandel christlicher Symbole und Mytheno).

15 Die Formel stammt urspriinglich aus Goethes Gedicht Selige Sehnsucht (ge- schrieben 1814; Erstdruck 1817). Vgl. Goethes Werke. Bd. 6. Weimar 1888 (Weimarer Ausgabe), S. 28f.

16 Vgl. die christliche Zeitrechnung, welche die Jahre ,voro und .)nach Christi Geburto zihlt.

17 Damit liegt das Ziel der Geschichte aufgerhalb ihrer selbst und auferhalb des Zeitkontinuums.

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dem Feierbuch der deutschen Sippe (Berlin-Lichterfelde 1942) mdgen das Gesagte veranschaulichen:

Fest des jungen Lichtes ist das Weihnachtsfest! Fest des jungen Lebens! Und alles Brauchtum, das der deutsche Mensch seit jeher um diesen Tag des gr6t0ten Wunders stellte, erzaihlt uns vom Licht, das zum Mittwinterfest des Jahres [Wintersonnenwende] als Kind- lein in goldener Wiege liegt.8 Der [Jahres-]Ring schlieflt sich und weitet sich zugleich zu neuem Beginn. Schon schlaift auf dem Acker unterm Schnee der Winter- nacht heimlich das Brot des neuen Jahres. Aus Dunkelheit wird Licht geboren - aus Vergehen wdichst neues Werden. Der Mensch aber steht mit Kraft und Tat in diesem Ringe - und die Hand, die eben noch werkte im Alltag, stellt zur Feier der Weihnacht die grine Tanne in das Rad aus deutschem Holz und entziindet in ihren Zweigen das Licht der Kerzen, im ehrfiirchtigen, frohen Be- kenntnis zum ewigen Wunder des Lebens.19

Am Schluss dieses Textes verbindet eine Passage diese Weihnachtsidee mit der vdlkischen und agonalen, die den Krieg zugleich als .>Sturmzeit<< und .Saatzeit< versteht:

Nie bleibt die Welt stehen in Kampf und Vergehen! Nirgends ist Tod - nicht in der Natur und nicht im Dasein der Menschen! Denn wie das Jahresrad der Sonne mit jeder Wende der Mitt- wintertage aus der Dunkelheit wieder zu neuem, lichteren Anfang rollt, wie in Korn und Keim unterm Schnee und in den kleinen Knospen an Baum und Strauch sich junges Leben birgt zu Bliite und Frucht, so ist auch im Dasein unseres Volkes aller Kampf und alles Ringen - alle .Sturmzeit. - stets nur .Saatzeit,, gewesen ffir kommende Kraft und Grifte. Kraft und GriSte aber stellen ein Volk in den weiten Ring, darin wie im Wunder der Weihnacht sein Leben ewig sich erneuert.20

18 Das Feierbuch der deutschen Sippe. Erster Teil. Spruch- und Liedgut. Hg. von Hubert Schnitzler und Alexander Bog. Berlin-Lichterfelde 21942, S. 111.

19 Ebd., S. 112. 20 Ebd., S. 114. 104

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

3. Phasen der Propaganda im Zweiten Weltkrieg

Die nationalsozialistische Propaganda zwischen 1933 und 1945 lisst sich nach Peter Longerich in fiinf Phasen aufgliedern. Die erste umfasst die Zeit zwischen 1933 und 1936, bei der die >>hauptsaichlich nach augfen adressier- te Friedenspropaganda und die gleichzeitige Tarnung der Aufriistung<< do- minierten, wahrend im Innern der >>Wehrwillen< gestairkt werden sollte.21 Phase 2 forcierte die offene Wehrpropaganda und zugleich die antibol- schewistische und Volkstumspropaganda. Seit Ende 1938 stand, so Longe- rich weiter, die >>psychologische Mobilmachung der Bev6lkerung fiir den

Krieg<< im Vordergrund. Neben der Forderung nach >>Lebensraum< wurde die >>Einkreisungo< Deutschlands beschworen (Phase 3). Die Phasen der

Propaganda im Zweiten Weltkrieg orientierten sich am diuferen Kriegs- verlauf: Von 1939 bis 1941 stand sie im Zeichen der Siege der deutschen Wehrmacht (>Blitzkriege<<). Diese vierte Phase wurde in den Kriegswintern 1941/42 und 1942/43 durch die fiinfte und letzte Phase abgeldst: Jetzt dominierte die Forderung nach >>Hirte<< und der Durchsetzung des >totalen

Krieges<<, wobei versucht wurde, Front und Heimat zusammenzubinden.22 Mit dieser allgemeinen Phasenabfolge korrespondiert die Umdeutung

des Weihnachtsfestes. Schon mit dem Kriegsbeginn 1939 (Phase 4) ver- suchte das Propagandaministerium gezielt, seinen Einfluss auf das Weih- nachtsfest auszubauen, wie Esther Gajek festgestellt hat:

Der Heilige Abend wurde in seinem Potential als stark emotional besetztes Fest erkannt, das man nicht mehr linger der Kirche und deren (gerade im Krieg geflihrlich klingender) Botschaft nach x,Frieden auf Erden< iiberlassen konnte, sondern fiir die eigenen Zwecke beniitzen wollte.23

Andererseits konnten groffe, 6ffentlich inszenierte Feste im Krieg kaum noch durchgefiihrt werden. So verhinderte beispielsweise das Verdunke-

lungsgebot die Gestaltung von Sonnenwendfeuern. Schon von daher schien es geboten, den Fokus auf kleinere Veranstaltungen, vor allem in- nerhalb der Familie, zu richten.

21 Longerich: Nationalsozialistische Propaganda (wie Anm. 3), S. 310. 22 Ebd., S. 311. Im Heft Deutsche Kriegsweihnacht wird die >feste, verschworene

Gemeinschaft<< von ,,Fiihrer, Front und Heimat< herausgestellt (ebd., S. 111). 23 Gajek: Nationalsozialistische Weihnacht (wie Anm. 13), S. 187.

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Michael Fischer

Aufflillig ist, dass der Krieg in den nationalsozialistischen Weihnachts- bUichern bis 1942 (Beginn der Phase 5) keine herausragende Rolle spielt:

Erst von 1942 an, als von einem schnellen siegreichen Kriegsende nicht mehr die Rede sein konnte und sich die Wende zugunsten der Alliierten abzuzeichnen begann, erscheinen die ersten Kriegs- weihnachtsbuicher, und [die Zeitschrift] ))Die neue Gemeinschaft. nahm sich in ihren Feiervorschlaigen verstairkt des haiuslichen Be- reichs an,

konstatiert Doris Foitzik.24 Die Nationalsozialisten fiirchteten - und das offenbar nicht zu Unrecht -, dass die leidgepruifte Bevlkerung bei den etablierten Kirchen Trost und Heil suchen ki~nnte und nicht bei der Partei.

Zur ideologischen Vereinnahmung und propagandistischen .Ver- wertung. des Weihnachtsfestes kann also festgestellt werden: Die National- sozialisten versuchten in den 1930er- und beginnenden 1940er-Jahren zunaichst, Weihnachten .)arteigen. umzudeuten, d.h. das Fest wurde kon- sequent entchristlicht und mit der bereits geschilderten neuheidnischen Mythologie durchtrainkt. Logisch und zeitlich danach erfolgte die Inte- gration der germanisierten Weihnacht in die Kriegspropaganda,

deren wesentliche Elemente die Legimitation und Verherrlichung des Krieges, die Agitation ziviler Bev5lkerungsgruppen und die Postulierung einer gegenseitigen Treuepflicht von >Front und Heimat< waren.25

Zugespitzt formuliert: Aus der .)arteigenen Weihnacht. wurde die ))deut- sche Kriegsweihnacht<<. Allerdings gilt auch hier, was weiter oben jiber die begrenzte Reichweite der Propaganda gesagt worden ist:

Ob die Instrumentalisierung der Weihnachtsstimmung zur Legi- timierung des Krieges erfolgreich war, lkift sich nur schwer beur- teilen. Die vom Sicherheitsdienst in seinen geheimen Berichten aufgezeichnete Stimmung in der weiblichen Bevlkerung spricht dagegen. Auch die Soldaten fanden, anders als es die fiktiven Briefe von der Front in den Kriegsweihnachtsbiichern vorgaukelten, keinen Trost im neuen Weihnachtskult und in den heroischen Durchhalteparolen. Die echten Weihnachtsbriefe von der Front sprachen von Verzweiflung, Trauer, Hunger und Kailte

...].26

24 Foitzik: Rote Sterne, braune Runen (wie Anm. 14), S. 146. 25 Ebd., S. 147.

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

II. .Das Fest des Sieges und der tiefen, verpflichtenden Bereitschaft zum Kampfeo 27 - Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht (Miinchen 1942)

1. Herausgeber, Inhalt und Ausstattung

Die Sammiung Deutsche Kriegsweihnacht ist erstmals im Jahr 1941 erschie- nen. Danach wurde sie bis zum Jahr 1944 alljihrlich in veriinderten Aus- gaben aufgelegt.28 Als Hauptherausgeber fungierte das .>Hauptkulturamt in der Reichspropagandaleitung der NSDAP.. Unterstiitzt wurde dieses - von der .>Dienststelle des Beauftragten des Fiihrers ffir die OZber-

wachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP.

- vom .>Kulturamt der Reichsjugendfiihrung. sowie - von der .>Hauptabteilung Kultur, Erziehung, Schulung der Reichs-

frauenfiihrung der Amter >Feierabend< und >Deutsches Volksbildungs- werk< der NSG >Kraft durch Freude.<.29

Die Verdffentlichung wurde also von fiihrenden Parteistellen initiiert und herausgegeben, nicht aber von Dienststellen des Staates - etwa des .Reichsministeriums fur Volksaufklkirung und Propaganda<30 - oder des

Militdirs. Verantwordich fuir die Zusammenstellung und den Inhalt war Hermann Liese31, der seit 1941 als Schriftleiter der Zeitschrift Die neue

26 Ebd., S. 154. Vgl. hierzu Feldpostbriefe aus Stalingrad. Hg. von Jens Ebert. G6t- tingen 2003, besonders S. 186-220 (Briefe vom 24. und 25. Dezember 1942).

27 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 7. 28 Auffallend sind jedoch die vielen Ubereinstimmungen der verschiedenen Auf-

lagen. Entweder es gab einen .Mangel an zeitgendssischen Texten zum Thema >Kriegsweihnacht< (Foitzik: Rote Sterne, braune Runen [wie Anm. 14], S. 103, Anm. 353), oder der Krieg verhinderte eine sorgflultigere Auswahl und Redaktion.

29 Vgl. Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), hintere Umschlaginnenseite (U3). 30 Die .Reichspropagandaleitung der NSDAPN war die Parallelorganisation der

Partei, die durch ihren Leiter Joseph Goebbels in Personalunion mit dem Minis- terium verklammert war. Vgl. Longerich: Nationalsozialistische Propaganda (wie Anm. 3), S. 297.

31 Hermann Liese war zunichst als Leiter der Feier- und Freizeitgestaltung auf der Ordensburg Vogelsang taitig. 1941 holte ihn Joseph Goebbels in das Kultur- amt der Reichspropagandaleitung als Leiter des Amtes ZFest-, Freizeit- und Feier- gestaltung(. Vondung: Magie und Manipulation (wie Anm. 4), S. 54 und 65.

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Michael Fischer

Gemeinschaft. Das Parteiarchiv ffir nationalsozialistische Feier- und Freizeit- gestaltung12 taitig war. Liese hat zudem mehrere Ver6ffentlichungen im Auf-

trag des .,Hauptkulturamtes in der Reichspropagandaleitung der NSDAP, herausgegeben.33

In Inhalt und Aufmachung orientiert sich die Schrift Deutsche Kriegs- weihnacht an der Hauskalenderliteratur und ist im weitesten Sinn der

Gattung Erbauungsliteratur zuzuordnen.34 Deutlich ist die Absicht zu er- kennen, das Buch ansprechend und lesefreundlich zu gestalten. Erschienen ist die zweite Auflage (1942) im Format 14 mm x 20 mm, in gehefteter Broschur. Der Umschlag traigt eine grimne Schmuckfarbe (Riickentitel, Bild auf der Vorderseite, Abb. 1), der Innenteil mit 144 paginierten Seiten ist im Schwarzrotdruck erschienen. Der Rotdruck wurde dabei zur Hervor-

hebung und zur Gestaltung der zahlreichen Illustrationen genutzt. Im Schwarzrotdruck sind auch die beiden graflsch sorgflultig gestalteten, aber drucktechnisch misslungenen35 Tafeln mit Liedern gegeben (Tal und Hiigel sind verschneit von Herbert Napiersky36 sowie Hohe Nacht der klaren Sterne von Hans Baumann37, vgl. !3bersicht S. 121). Hinzu treten vier Schwarz- weifgtafeln mit Fotografien. Das zentrale Symbol des Nationalsozialismus, das Hakenkreuz, erscheint iiberraschenderweise an keiner Stelle des Buches.

32 Die Zeitschrift Die neue Gemeinschafr erschien 1937-1945 bei Eher in Miinchen. Zuvor (1935/36) trug sie den Namen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter- partei: Vorschliige der Reichspropagandaleitung zur nationalsozialistischen Feier- gestaltung. - Die Verbffentlichung Deutsche Kriegsweihnacht wurde als )>Sonder- druck zur Ergdinzung des Parteiarchivs fur nationalsozialistische Feier- und Frei- zeitgestaltungo publiziert.

33 Etwa Das Deutsche Hausbuch. Hg. in Verbindung mit dem Winterhilfswerk des deutschen Volkes vom Hauptkulturamt in der Reichspropagandaleitung der NSDAP. Berlin 1943. Dieses Buch wurde in hoher Auflage gedruckt. Noch im Jahr der Erstverbffentlichung erschien das 401.-480. Tsd. Exemplar.

34 Dies gilt zumindest dann, wenn man den Nationalsozialismus als ),politische

Religion< versteht bzw. als ideologischen Kult. Vgl. Vondung: Magie und Mani- pulation (wie Anm. 4).

35 Der Rot- und Schwarzdruck ist bei dem von mir eingesehenen Exemplar leicht verschoben, so dass in beiden Liedern die schwarz gesetzten Noten auf den roten Notenlinien einen Ton zu tief stehen.

36 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), nach S. 44. 37 Ebd., nach S. 96. Vgl. Abb. 3 im vorliegenden Aufsatz.

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

Abb. 1 Umschlag der Schrift

Deutsche Kriegsweihnacht

In der Publikation Deutsche Kriegsweihnacht sind die literarischen Gattun-

gen Prosa und Lyrik vertreten, wobei die Prosateile ideologisch aufgeladene Abhandlungen ebenso umfassen wie harmlos erscheinende Geschichten.38 Dabei ist der Redezweck deutlich geschieden: Die Abhandlungen dienen in

erster Linie der Unterweisung und Agitation, die Geschichten wollen zu-

naichst unterhalten und auf die Emotionen einwirken. Eine eigene Gruppe bilden die eingestreuten (wohl hauptsdichlich fiktiven) Feldpostbriefe, die eine pers6nliche und zugleich authentische Note einbringen sollen. Bei den

lyrischen Anteilen der Schrift kann zwischen Gedichten und Liedern

38 Die Proportionen zwischen den Textgattungen sind gut gewiihlt: Das Heft Deutsche Kriegsweihnacht umfasst im Jahrgang 1942 etwa 100 Seiten Prosasticke, jeweils 20 Seiten Lyrik und Lieder und 10 Bildseiten.

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unterschieden werden. Hier wird der ideologische Gehalt emotional und

aisthetisch ansprechend verpackt - von der literarischen Form fiber die Mu- sik bis hin zur sorgflltig gestalteten und abwechslungsreichen Typografie.

Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund der Schrift sollen noch einige grundlegende Informationen nachgetragen werden: Als die zweite Auflage erschien, zeichnete sich die Kriegswende bereits jiberdeutlich ab. Im No- vember 1942 wurde in Stalingrad die 6. Armee eingekesselt, die sich Ende Januar /IAnfang Februar des Folgejahres ergeben musste. Unabhaingig da- von, dass Hitlers Imperium im Spaitsommer 1942 seine gr6flte Aus- dehnung erreicht hatte, war damit die deutsche Niederlage unausweichlich geworden.39 Nicht vergessen werden darf, dass ebenfalls im Jahr 1942

,,auch die beiden anderen Dimensionen des Ostkrieges, der Versklavungs-

und Vernichtungskrieg, einen vorlaiufigen Kulminationspunkt< erreichte,40 insbesondere die systematische Ermordung der europaiischen Juden (Januar 1942: Wannsee-Konferenz). Zeitgleich erh6hte sich der Druck auf die deutsche Zivilbevd5lkerung: 1942 begannen die Briten, Staidte und Industrie- anlagen in Deutschland zu bombardieren (Mai: Luftangriff auf Kd5ln). Auf die sich verschlechternde aufgen- und innenpolitische Lage antwortete das Regime mit zunehmenden Repressalien bis hin zu offener Gewalt.

Die Kriegspropaganda wurde selbstredend fortgesetzt und intensiviert. Allerdings drohte die Kluft zwischen dem hohlen Pathos und der Realitait immer breiter und damit die Propaganda stumpfer zu werden. Wenn in der dritten Auflage der Sammlung Deutsche Kriegsweihnacht von 1943 - also nach der Stalingrad-Katastrophe - zu lesen war, die Soldaten haitten sich geopfert, .damit wir im Lichte stehen., war dies entweder ideologische Verblendung oder blanker Zynismus.41 Dabei bewirkte die Allgegenwart des Superlativs eine innere Zersetzung der Propaganda: Die Aufriistung der Sprache konnten die offenkundigen Kriegsniederlagen an der Front und in der Heimat (Bombenangriffe) nicht mehr wettmachen.

39 Thamer: Veriihrung und Gewalt (wie Anm. 3), S. 669. 40 Ebd., S. 670. 41 Deutsche Kriegsweihnacht. Hg. vom Hauptkulturamt in der Reichspropaganda-

leitung der NSDAP. Miinchen 31943, S. 148.

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

2. Ideologischer Gehalt, Intention und Zielgruppe

Der ideologische Gehalt der Schrift Deutsche Kriegsweihnacht kann am deutlichsten an den ersten Seiten abgelesen werden. Dort klingen die Leitmotive des ganzen Buches an. Programmatisch erofffnet wird das Buch mit zwei Kurztexten von Friedrich H6lderlin und Johann Wolfgang von Goethe.

Lasst vergehen, was vergeht! Wir bekennen uns Es vergeht, um wiederzukehren, Zu dem Geschlecht, Es altert, um sich zu verjiingen, Das aus dem Dunkel Es trennt sich, um sich inniger zu vereinigen, In das Helle strebt43 Es stirbt, um lebendiger zu werden42

Danach folgt eine kurzer Text von Joseph Goebbels, der einen Zu- sammenhang zwischen dem Weihnachtsfest, dem Krieg und dem .>Fiihrer.< Adolf Hitler herstellt. Dieser Text enthailt einm ,Gel6bnis.,

an den Fiihrer mit den Zielsiitzen:

Er kann sich auf sein Volk an der Front, in der Heimat und in der weiten Welt verlassen. ER FU"HRT UNS, WIR FOLGEN IHM. Von keinem Gedanken des Zweifels belastet, tragen wir hinter ihm die Fahne und das Reich.44

Unmittelbar nach der Seite mit der Goebbels-Verlautbarung ist ein un- paginierter Bogen mit zwei ganzseitigen Schwarzweiftfotografien ein- gebunden. W5hrend die Riickseite eine unverflingliche Winterlandschaft

zeigt, wird auf der Vorderseite - also dem ,,Gel6bnis,. gegeniiber - Adolf

42 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 2. Der Text stammt aus dem Hyperion- Fragment (Erstdruck 1793) von H6lderlin. Vgl. H61derlin, Friedrich: Sdmtliche Werke und Briefe in drei Biinden. Hg. von Jochen Schmidt. Bd. 2. Frankfurt a.M. 1994, S. 195.

43 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 3. Das Zitat ist verfremdet wieder- gegeben. Es stammt urspriinglich aus einer Rezension Goethes aus dem Jahr 1826 (Goethes Werke. Bd. 41/II. Weimar 1903 [Weimarer Ausgabe], S. 210). Houston Stewart Chamberlain hat es dann verdindert seinem Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (Miinchen 11899) als Motto vorangestellt. Von dort aus wird es in den nationalsozialistischen Zitatenschatz eingegangen sein.

44 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 4. Die Hervorhebung durch Versalien ist original.

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Hitler im Profil gezeigt (Abb. 2). Rechts im Bild ist ein Teil eines Weih- nachtsbaums mit drei brennenden Kerzen zu sehen. Geschickt ist die Be- leuchtung arrangiert, verstairkt durch einen Lichtspalt im Vorhang (Bild- hintergrund). Dieser sich nach unten verbreiternde Spalt wirkt wie ein Lichtstrahl von oben, der sich auf die weihnachtliche Szenerie und den

>>Fiihrer<, herabsenkt. Insgesamt verbreitet die Fotografie eine eher private, haiusliche Stim-

mung. Hitler wird nicht in seinen offiziellen Rollen, als Fiihrer und Reichskanzler, gezeigt, sondern wie ein Privatmann, der in Betrachtung versunken ist. Auffallend ist, dass der Tannenbaum nicht nach national- sozialistischer Manier geschmiickt ist, sondern biirgerlich mit Lametta.

Nach einem riihrseligen Gedicht Im Dezember von Kurt Eggers45 folgt ein dreiseitiger Text desselben Autors, der schlicht mit >>Weihnachten< iiberschrieben ist und den einschliigigen nationalsozialistischen Mythos ausbreitet. Weihnachten sei, so Eggers in seinem Propagandaartikel, ,,das Fest des Siegens und der tiefen, verpflichtenden Bereitschaft zum Kampfe, 46. Der Text kulminiert in der folgenden Aussage zur .>Kriegsweihnacht., die genannten Motive geschickt verbindend:

Kriegsweihnachten! Gerade jetzt erkennen wir die letzten Werte unserer Rasse, die im jubelnden und trotzigen Aufstand gegen die Dunkelheit, gegen den Zwang, gegen jeden unwiirdigen Zustand sich zur befreienden Tat erheben. Unser Weihnachtsfest begehen wir darum nicht in der riihrseligen Stimmung, die in so manchem unserm Tatdenken fremden Weih- nachtschoral enthalten ist, sondern in der harten und unbeug- samen Gewifgheit, daf wir berufen sind, als die ewigen Feuertraiger das Licht der Freiheit in die Welt zu tragen. [...] Mogen die andern in iiberschwenglichen und verworrenen .,Gefiih- len. lebensfernen >>Botschaften. lauschen, wir verkiinden der Welt die Forderung des Gesetzes, unter dem wir angetreten sind, unter dem wir zu kdimpfen und zu siegen, aber auch zu opfern wissen:

.>FREIHEIT AUF ERDEN!<47

45 Ebd., S. 5. Kurt Eggers war seit 1936 Abteilungsleiter ftir Feiergestaltung im >)Rasse- und Siedlungshauptamrn der >>SS<, zudem Landesleiter der .Reichsschrift- tumskammer Westfalen-Siidd. Vondung: Magie und Manipulation (wie Anm. 4), S. 237, Anm. 133.

46 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 7. 112

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

Die Zielsetzung der Publikation Deutsche Kriegsweihnacht ist damit relativ

eindeutig umrissen: Sie diente einerseits dazu, den nationalsozialistischen Weihnachtsmythos zu verbreiten und bei der Leserschaft zu verankern, an- dererseits sollte das Weihnachtsfest in den Dienst des Krieges gestellt wer- den. Insbesondere sollten dabei Kriegsverdrossenheit verhindert und die vielen Opfer des Krieges legitimiert werden. Ein weiteres Ziel war die Ver-

draingung christlicher Festinhalte, vor allem der in Kriegszeiten subversiven Botschaft vom universalen Frieden und dem Anbruch eines neuen Aon.

Abb. 2 Adolf Hitler, scheinbar privat

47 Ebd., S. 7f.

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Weniger eindeutig als die Intention der Schrift ist die Zielgruppe festzu- machen. In der Forschungsliteratur wurden hierzu verschiedene Ansichten

vorgetragen. Klaus Vondung erklirt, whhrend des Krieges haitten die Be-

miihungen zugenommen, das Weihnachtsfest >,umzudeuten und von der

Bev6lkerung im nationalsozialistischen Sinn feiern zu lassen<48. Schwierig sei dabei vor allem der Zugriff auf die Feiern in den Familien gewesen. Aus diesem Grund habe das Hauptkulturamt die Schrift Deutsche Kriegs- weihnacht >in groger Auflage< herausgebracht.49 Vondung weist in diesem Zusammenhang auf die von den Nationalsozialisten verbreitete >>Legende vom toten Soldaten< hin, der an Weihnachten zu seiner Familie heim-

kehre.50 Esther Gajek nennt neben der Familie die Soldaten an der Front als Zielgruppe.51 Indes scheint die Ausgabe von 1942 noch eine dritte Gruppe in den Blick zu nehmen: Auf den Seiten 102-111 sind NVor- schlage zur Gestaltung einer Feierstunde: Deutsche Kriegsweihnacht<< ab-

gedruckt, die sich unter dem Namen >>Volksweihnachten - Feierstunde der NSDAP als Feier der Gemeinschaft<< an die ,,Gemeinschaft der Ortsgruppe oder des Dorfes< richtete.52 Demnach scheint die primaire Zielgruppe nicht das Militiar, sondern die Bevdlkerung (vor allem Mitglieder der Partei und ihr Nahestehende) in der Heimat gewesen zu sein.

48 Vondung: Magie und Manipulation (wie Anm. 4), S. 86. 49 Ebd. 50 Ebd. Vgl. Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 96: das >>Gedicht von der

toten Soldaten Heimkehr<<, das in die nationalsozialistische Familienweihnacht integriert werden sollte.

51 Gajek: Nationalsozialistische Weihnacht (wie Anm. 13), S. 188. 52 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 102. Unterschieden wurde zwischen

der >>Wintersonnenwende als Feier der Mannschaft<, den >>Volksweihnachten<< und dem >>Weihnachtsfest als Fest der Familie< (ebd.).

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

III. .Das Leben keimt in Korn und Kern, und MU-tter gehn gesegnet.53 - Ideologie und Funktion der Lieder

1. Nationalsozialistische Weihnachtslieder im Dienst der Propaganda

Als wirksames Mittel der Propaganda dienten im Nationalsozialismus Lie-

der.54 Sie wurden in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt, insbesondere

zur inneren und iiuLgeren Mobilisierung der Massen, weniger und nur indi- rekt zur mentalen Formung des Einzelnen. Eine spezielle Form stellt dabei das nationalsozialistische Bekenntnislied dar, das ausdriicklich die Ausfiih- renden auf die Bezeugung der nationalsozialistischen Lehre verpflichtete.55 Dass Lieder ffir Propagandazwecke geeignet sind, wurde von den Akteuren

eigens herausgestellt. So war bereits 1935 in den Vorschlgen der Reichs-

propagandaleitung zur nationalsozialistischen Feiergestaltung zu lesen:

Sprechchor und Lied sind, richtig angewendet, schiirfste Waffen der Propaganda. Sie sind geformte Glaubensbekenntnisse zur national- sozialistischen Idee, die unseren Kundgebungen eine aufgerordent- liche Anziehungskraft verleihen.56

In einer anderen Schrift, die sich der Gestaltung nationalsozialistischer Feiern zuwendet, heigt es, es sei allgemein iiblich, diese .mit Musik und Lied zu beginnen. 57. Das sei auch leicht nachvollziehbar, denn

nicht nur das Lied, sondern die Musik iiberhaupt ist fdihiger, Menschen zu sammeln oder einzustimmen als das

Wort.58

Deutlich wird dabei die psychische Wirkung hervorgehoben: die Faihigkeit des Gruppensingens, Gemeinschaft herzustellen. In der Schrift heifst es weiter, das gemeinsam gesungene Lied verlange .bereits eine allgemeine Beteiligung< und schliefge so .einen Ring um die Versammelten. 59. Das

53 Ebd., S. 127 (aus dem Lied Auf, haltet euer Herz bereit! von Thilo Scheller). 54 Zum nationalsozialistischen Lied generell vgl. Roth, Alfred: Das nationalsozialisti-

sche Massenlied. Untersuchungen zur Genese, Ideologie und Funktion. Wiirzburg 1993; ferner Lieder in Politik und Alltag des Nationalsozialismus. Hg. von Gott- fried Niedhard und George Broderick. Frankfurt a.M. 1999.

55 Vgl. hierzu Vondung: Magie und Manipulation (wie Anm. 4), S. 118-121. 56 Zitiert nach ebd., S. 118. 57 Roth, Hermann: Die Feier. Sinn und Gestaltung. Leipzig 1939, S. 45. 58 Ebd. 59 Ebd.

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Lied schafft jedoch durch das gemeinsame Singen nicht nur einm >Wir< und

erh6ht damit die Identifikation mit der Gruppe, sondern auch die inner- liche O bereinstimmung mit den gesungenen und vorgetragenen Inhalten.

Was fur die nationalsozialistischen Bekenntnis- und Feierlieder gilt, trifft auch auf die Weihnachtslieder zu: Sie erzeugen Stimmungen und suggerieren Gemeinschaft. Schon damit - ganz unabhaingig von den trans- portierten Inhalten - erwiesen sie sich als wirksame Mittel der Propaganda. Bei den Weihnachtsliedern kommt hinzu, dass sie sich auf ein Fest be- ziehen, das ohnehin emotional hoch besetzt war. Selbst wenn die religibsen Beziige schon im Laufe des 19. und friihen 20. Jahrhunderts gr6tftenteils verblasst waren, blieb Weihnachten die rituell iiberh6hte Selbstfeier der modernen biirgerlichen Kleinfamilie.

Zugleich waren die nationalsozialistischen Weihnachtslieder ein pro- bates Mittel, das christlich als Geburtsfest Christi bzw. biirgerlich als Fa- milienfest begangene Weihnachten im Sinne der oben beschriebenen neu- heidnischen Mythologie umzudeuten. Durch die rituell vollzogene Aus-

fiihrung eines Liedes, seine leichte Memorierbarkeit und den aisthetischen Mehrwert von Poesie und Musik konnte der neue Weihnachtsmythos bei den Rezipienten nachhaltig verankert werden: Nicht die lauten Phrasen wie in manchen Reden und ka*mpferischen Abhandlungen, sondern die

sanfteren Tdne der Dicht- und Tonkunst sorgten - zumindest intentional - fur eine innere Aneignung der Inhalte.

Bemerkenswert ist, dass die Nationalsozialisten ganz unterschiedliche Wege beschritten, um die alten, hergebrachten Kirchen- und Weihnachts- lieder zu verdrahngen und an ihrer Stelle neue einzufiihren. Zunaichst kam es zu Umdichtungen bekannter Texte. Dabei wurden einzelne traditionelle Lieder persifliert und in ihr Gegenteil verkehrt, wie folgende Bearbeitung von Stille Nacht, heilige Nacht durch Erik Benk belegt:

1. Dunkle Nacht - finstere Nacht! Alles schlaift, einsam wacht Nur der Hiiter am heiligsten Gut - Nordlands Wichter im nordischen Blut! Deutscher, lausch und wach aufi Deutscher, lausch und wach

aufl.6 60 Junge Kirche. Halbmonatschrifrfir reformatorisches Christentum 3 (1935), H. 2, S. 97.

Weitere Beispiele (Stille Nacht, heilige Nacht / hast du, Mutter, an mich gedacht? und

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Spiiter waren die Umarbeitungen weniger plump und aggressiv - und wohl gerade dadurch wirkungsvoll. Es war erkliirtes Ziel,

das eine oder andere Weihnachtslied, dessen Melodie dem Volke besonders eingegangen ist, durch Anderungen einiger Worte den Erkenntnissen unserer Zeit anzupassen.1

Damit konnten auch die Massen angesprochen werden, die zwar weit- gehend entchristlicht waren und saikular dachten, aber doch nicht offen anti- christlich lebten und schon gar nicht einer germanischen Mythologie hul- digten. Als sprechendes Beispiel kann die Umarbeitung von Es ist ein Ros

entsprungen angefiihrt werden, die rezeptionsaisthetisch als produktive Fort-

schreibung des gleichnamigen Kirchenliedes aufgefasst werden kann, auch wenn es sich intentional gegen dieses und dessen religidse Inhalte richtet:

1. Es ist ein Ros' entsprungen 2. Das R6slein, das ich meine Aus einer Wurzel zart Davon mein Herze singt Davon die Alten sungen, Das ist in siif er Reine Es ist von Wunderart. Mein allerliebstes Kind. Hat mir ein Bliimlein bracht Ich lag in Schmerzen bloIg Mitten im kalten Winter Nun ist es kaum geboren Wohl zu der halben Nacht. Und lacht in meinem Schot.162

Mit der Zeit setzte man immer weniger auf Umdichtungen,63 sondern auf

Neusch6pfungen. Esther Gajek hat festgestellt, dass sich spaitestens ab den 1940er-Jahren .in den parteiamtlich herausgegebenen oder kontrollierten

Weihnachts(lieder)biichern< fast ausschliefglich neue Weihnachtslieder fin- den.64 Dies hatte einerseits praktische Griinde (es war offensichtlich nicht

Stille Nacht, heilige Nacht/ Deutschlands Sihne halten Wacht) bei Gajek, Esther: ))Hohe Nacht der klaren Sterneo und andere ))Stille

Nacht, der Nationalsozialisten. In:

Sikularisierung und Resakralisierung. Zur Geschichte des Kirchenlieds und seiner Rezeption. Hg. von Richard Faber. Wiirzburg 2001, S. 145-164, hier S. 15 if.

61 Aus der Schrift Die Deutsche Schulfeier. Leipzig 1938. Zitiert nach Foitzik: Rote Sterne, braune Runen (wie Anm. 14), S. 117.

62 Deutsches Weihnachtsbuch 1943. Berlin 1943. Zitiert nach Foiztik: Rote Sterne, braune Runen (wie Anm. 14), S. 118. Vgl. zu dieser Fassung Gajek: ),Hohe

Nacht der klaren Sterne, (wie Anm. 60), S. 152.

63 Das zitierte Lied Es ist ein Ros entsprungen waire demnach ein spites Beispiel fur diese Praxis.

64 Gajek: ))Hohe Nacht der klaren Sterne,, (wie Anm. 60), S. 153.

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ganz einfach, gute Parodien zu schaffen), andererseits wollte man sich bewusst - auch melodisch - von der christlichen Weihnachts- und Sing- tradition abgrenzen.

Die Neusch6pfungen orientierten sich an der neuen Mythologie der Nationalsozialisten, allerdings mit unterschiedlicher Intensitait und Reich- weite. Im Liederbuch der Hitler-Jugend finden sich beispielsweise Lieder zur Wintersonnenwende, u.a. auch ein Feuerchoral von Hans Baumann (1936):

Feuer steh auf dieser Erde Wie ein aufgerichtet Schwert, Das den Neid und alles Unheil Weit von diesem Acker wehrt.

Denn zum Acker wird der Boden, Den ein Deutscher je betrat, Weil er geht den Schritt der Pfliiger Und sein Haindewerk ist Saat.65

In anderen Weihnachtsbiichern sind Lieder abgedruckt, die den >>Sunnen- wendmannb, kFrau Holle< und den >,Julklapp< zum Gegenstand haben.66 Erfolgreicher und breitenwirksamer waren allerdings solche Lieder, die ihre ideologischen Botschaften subtiler zum Ausdruck brachten, etwa der natio- nalsozialistische Weihnachtsklassiker Hohe Nacht der klaren Sterne von Hans Baumann (1936) (Abb. 3).67 Nach Esther Gajek beruhte der Erfolg des Liedes nicht nur auf seiner gelungenen Form, sondern auch auf den Inhalten: Naturmystik, Mutterkult und Neugeburt waren Schlagworte des Nationalsozialismus.68 Allerdings hielt es - und das spricht rezeptionsaisthe- tisch fiir die Dichtung - >>auch for Christen noch gewisse M6glichkeiten offen, sich mit den Inhalten zu identifiziereno<69. Die nationalsozialistischen Schliisselw6rter und Antagonismen wie >>Licht< versus ,,Finsternis< liegfen sich durchaus in bestehende, traditionelle Weltbilder einordnen, zumal sich die Sammlung Deutsche Kriegsweihnacht in ihrem Liedteil nicht scheute, die Vokabel >>Gott< zu benutzen. Anders gesagt: Die propagandistische Raffinesse dieser Lieder lag darin, dass in ihnen die nationalsozialistische Ideologie und Mythologie zwar >>weltanschaulich< eindeutig, aber wohl- dosiert und nicht aggressiv dargeboten wurde. Rezeptionsaisthetisch wur-

65 Unser Liederbuch. Liederbuch der Hitler-Jugend. Hg. von der Reichsjugend- fiihrung. Miinchen 21939, S. 122f. (die ersten zwei von insgesamt vier Strophen).

66 Das Feierbuch der deutschen Sippe (wie Anm. 18), S. 106 und 122f. 67 Vgl. zu diesem Lied Gajek: >,Hohe Nacht der klaren Sterne< (wie Anm. 60),

S. 145-150. 68 Ebd., S. 149. 69 Ebd.

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den neben Bestimmtheitsstellen geniigend Leerstellen gelassen, welche die

Liedsainger nach ihrem Vorverstiindnis fiillen konnten - im Grenzfall sogar mit christlichen Restbestainden. Esther Gajek resiimiert:

Nationalsozialistische Weihnachtslieder enthalten keine Haken- kreuze, Fiihrerhuldigungen oder Politparolen. Das wa~re zu plump und damit leicht zu durchschauen gewesen. Die nationalsozia- listische Ideologie ist aber in allen Liedern praisent, wenn auch so subtil, datg sie damals zuniichst nicht auffiel und abstofgend wirkte und auch heute nur mit einer gewissen Kenntnis der Zeit und ihrer Metaphorik zu entschliisseln ist.7

Hohe Nacht der Idaren Swem

Abb. 3 Das Stille Nacht

der Nationalsozialisten: Hohe Nacht der klaren Sterne aus Deutsche Kriegsweihnacht

(im Original zweifarbig; der Notendruck ist fehlerhaft)

70 Ebd, S. 153f. Dies erkliirt vielleicht auch - abgesehen von personellen, organisato- rischen und ideologischen Kontinuitiiten -, weshalb Lieder wie Hohe Nacht der klaren Sterne noch nach 1945 rezipiert werden konnten.

Hohe Nadttder Ida-ren Sterne die wit

BrCk BrCk kcnftehn kcnftehn ei tur

tie -fen Fer-ne, driiber unf-st Her-zen gehn.

HoheHacht mit ostfen Fasem, dit oaf atlas Bergen find-

hast mud (ids dic Erd'estseuerts wit tin jungteborat Kind..

Nir fitter asch find alle Suter, 01 alle Sterne auftelteitt; Matter,tiefist euren Herren *WO dm Hem der weitenWeit.

Worte undWeift :Bans Baumann

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Wie schon im Abschnitt zur nationalsozialistischen Propaganda im All-

gemeinen und der Kriegspropaganda im Besonderen festgestellt, waren auch der Rezeption und Wirkung dieser Weihnachtslieder Grenzen gesetzt. Durch eine massenhafte Verbreitung und Propagierung sowie durch die

Sendung im Rundfunk sollten sie Allgemeingut der Deutschen werden und die christlichen bzw. traditionellen Weihnachtslieder ersetzen. Jedoch darf auch hier die Absicht der Propaganda nicht mit ihrer tatsiichlichen Wirkung verwechselt werden: Insbesondere diejenigen, die noch vor dem

Beginn des >,Dritten

Reichs. sozialisiert wurden, hielten an den ailteren Liedern fest - entweder ,,aus innerer Uberzeugung oder aus Scheu vor

NeuerungenJ7. Dabei spielte vor allem das Lied Stille Nacht, heilige Nacht eine groge Rolle, wohl deshalb, weil es einerseits christliche Themen inklu- sive der weihnachtlichen Krippenidylle zur Sprache brachte, andererseits aber auch Erinnerungen sowie den vertrauten Geschmack von Heimat und Familie hervorrufen konnte.

2. Bestand der Lieder

In der Schrift Deutsche Kriegsweihnacht sind die Lieder unter der neutralen Oberschrift

.,Lieder zu Weihnachtszeit< zusammenhaingend auf den Seiten

119-133 abgedruckt, gefolgt von drei barocken Instrumentalstiicken (Sarabande von Schickhardt, Musette von Haindel, Weihnachtsmusik von

Liibeck) auf sechs Druckseiten. Insgesamt sind 18 Lieder enthalten, wobei zwei dieser Lieder - wie schon weiter oben beschrieben - zusaitzlich auf

unpaginierten Tafeln zweifarbig abgedruckt sind. Wie die IZ*bersicht zeigt, sind mehrfach die Textdichter Hans Baumann

(vier Lieder), Karola Wilke (drei) und Gottfried Wolters (drei) vertreten. Als Komponisten wurden bevorzugt: Hans Helmut (vier), Hans Baumann (drei) und Gottfried Wolters (drei). Bekannte traditionelle Lieder sind nicht

enthalten.72 Die Melodien und Saitze (zum Teil zwei- und mehrstimmig, vokal und instrumental) lehnen sich an traditionelle weihnachtliche, pasto- rale Idiome an, etwa durch die Bassquinten in Wenn eine Mutter ihr Kind-

71 Ebd., S. 136. 72 Das gilt im Grundsatz auch fir die dritte Auflage von 1943 (vgl. Anm. 41), aller-

dings wurde dort das Lied 0 Tannenbaum, o Tannenbaum, wie treu sind deine Bldtter aufgenommen.

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lein tut wiegen oder durch den 6/8-Takt in Es hat in der tiefichwarzen Nacht geschneit. Zum Teil sind die Weihnachtslieder musikalisch kaum von ande- ren zu unterscheiden, zuweilen erinnern sie sogar an Kirchenlieder.

Incipit Auf, haltet euer Herz bereit fir einen neuen Morgen Bald nun ist Weihnachtszeit, frbhliche Zeit Die Weihnacht steigt ins Tal im klaren Wind Ein Jahr mufg nun vergehen in alle Welt verschneit Es hat in der tiefschwarzen Nacht geschneit Freut euch, ihr lieben Leute! Die Weihnachtszeit ist da Grant ein Tannenbaum in unserm Winterwalde Guten Abend, guten Abend, wir driicken die Hand dir Heut ist ein Sternlein vom Himmel gefallen. Hat's keiner gesehen? Hohe Nacht der klaren Sterne, die wie weite Briicken stehn Ich brach drei diirre Reiselein vom harten Haselstrauch O Tannenbau, o Tannenbaum, du bist ein edler Zweig! O Tannenbaum, o Tannenbaum, du traigst ein' griinen Zweig Tal und Hiigel sind verschneit und die Nichte schweigen Weihnacht macht die Tiiren weit, Himmel stehen offen Weihnachtszeit kommt nun heran, Sterne leuchten hell Wenn eine Mutter ihr Kindlein tut wiegen, lichelt der Mond Wir ziinden an den Lichterkranz. Das Jahr will neu beginnen

Bald nun ist Weibnacbtszeit

Text Th. Scheller K. Wilke H. Baumann H. Baumann H. Hano K. Wilke G. Wolters

G. Wolters H. Baumann H. Grunow

H. Napiersky H. Baumann K. Wilke G. Wolters H. Napiersky

Melodie Seite W. Rein H. Helmut H. Baumann H. Baumann K. Lischewski H. Helmut G. Wolters H. Helmut

(tab.) G. Wolters H. Baumann G. Blumensaat

H. Napiersky I. Lang H. Helmut G. Wolters H. Napiersky

127 120 131f. 121 128f.

130f. 119 122f. 129 133, Taf. 120 125 121 123, Taf. 130 119 124f. 126

Vorte: XToIA 'Wilke Weis,: Jins m wbI

Bald nun ist Weihnachtszeit,frbh li-dhe Zeit. Jetzt ist derWeihnachts mann

g g w g i g g g g g

Abb. 4: Nationalsozialistischer Weihnachtschoral

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Den kompositorischen Innovationen waren offenbar sehr enge Grenzen gesetzt (Abb. 4), nicht nur auffiihrungspraktische, sondern auch wirkungs- theoretische: Die Musik stellte das vertraute Klanggewand fur die neuen Inhalte bereit und erwies sich so als emotionale Traigerin der Propaganda.

3. Die Einbettung der Lieder

Die ideologische Funktion der Lieder kann nur dann richtig beurteilt werden, wenn man sie in den Zusammenhang der Publikation Deutsche Kriegsweihnacht einbettet und zugleich beriicksichtigt, wie die Lieder nach den Vorstellungen der Herausgeber rezipiert werden sollten. Als Grundlage hierfiir kdnnen die .Vorschlaige zur Gestaltung einer Feierstunde: Deutsche Kriegsweihnacht.< bzw. der Alternatiworschlag fur eine >,vorweihnachtliche Feierstunde< aus der zweiten Auflage herangezogen werden.73 Wie schon bei den Ul*berlegungen zur Zielgruppe der Schrift angedeutet, waren diese Vorschlaige fur Parteifeiern gedacht, die .2die Gemeinschaft der Ortsgruppe oder des Dorfes. vereinigen sollten. Die inhaltlichen Vorgaben waren un- missverstaindlich:

Die Durchfiihrung dieser Feierstunde mug in einer klaren national- sozialistischen Deutung erfolgen. Eine Gefiihlsverkitschung darf sich nicht einschleichen. Doppelt wichtig ist das in dieser Zeit, die all unsere Hairte beansprucht. Die Gedankenfiihrung in dieser Richtung mufg bei aller Empfindsamkeit auch hier mahnnlich klar und weltanschaulich eindeutig sein.74

Instruktiv fur die erhoffte Wirkung ist auch folgende Anweisung: Die Feierstunde der NSDAP >Deutsche Kriegsweihnacht< soil die Ge- meinschaft vertiefen. Hier mug gerade jede Polemik unterbleiben.75

Diesem Grundsatz gemaig ha*lt sich die ganze Schrift im Ton aufflillig zu- nrck. Ohne Abstriche bei der Ideologie zu machen, werden offene rassisti- sche oder antisemitische Verunglimpfungen vermieden.76

73 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 102-107 bzw. 108. In der dritten Auf-

lage von 1943 (vgl. Anm. 41) sind diese Gestaltungsvorschlige ersatzlos gestrichen. 74 Ebd., S. 103. 75 Ebd. 122

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

Zur musikalischen Aus- und Auffiihrung der Lieder wird eine .,Singgruppe von BdM. [Bund deutscher Maidel], HJ. [Hitler-Jugend], Arbeitsdienst oder Werkschar, gegebenenfalls auch eine Kindersingschar. vorausgesetzt.77 Die gemeinsam zu singenden Lieder sollen von einem Chor getragen werden. Der Ablauf der Feier orientiert sich - wie unschwer festzustellen ist - an christlichen Vorbildern. Insbesondere erinnert die Abfolge von Lesungen und der Verkiindigung eines .>Fiihrerworts., mit anschliefender .,Feierrede., jeweils unterbrochen von Zwischenmusik bzw. Liedern, an die katholische Messe bzw. den evangelischen Predigtgottesdienst.78 Auch ist die Analogie des Textes .>Nach der Feierrede. zum christlichen Bittgebet nicht zu ilbersehen. Folgende Worte sollten beim Entziinden der Kerzen gesprochen werden:

Die Lichter sollen brennen - Fuor die Helden, die fur Deutschland starben. Die Lichter sollen brennen - FUr die Frauen und Mutter unserer Gefallenen. Die Lichter sollen brennen - Fir al11 e deutschen MU*tter. Sie schenken unserem Volke die Unsterblichkeit. [...] Und alle Lichter brennen fur unseren Fiihrer Adolf Hitler! Er schuf das neue, das ewige Deutsche Reich und wird es zum Siege fiihren!9

Statt Segen und Entlassung erfolgten der .>Grufg an den Fiihrer(, sowie - in Analogie zum feierlichen Te Deum des Stundengebets? - die

Hymnen.8 Als Lieder wurden bei dieser nationalsozialistischen Liturgie vorgeschlagen: 81

76 Vgl. jedoch in der dritten Auflage (wie Anm. 41), S. 24: .Fiir die rassische Klar- heit stehen wir seit Jahren im Kampf. [...] Immer will das Judentum die V61ker vergiften und deren seelische Verwahrlosung und Internationalisierung erreichen. - Die nationalsozialistische Idee aber wird die germanische Blutsaufgabe erfiillen, Leib, Geist und Seele der V61ker zu achten und unserem Volke im besonderen den notwendigen Lebensraum, die Heimat zu schaffen.,

77 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 103. 78 Vgl. hierzu Vondung: Magie undManipulation (wie Anm. 4), S. 113-118. 79 Deutsche Kriegsweihnacht (wie Anm. 1), S. 107. 80 Ebd. 81 Ebd., S. 104-107. Der Vorschlag zur ,,vorweihnachtlichen Feierstunde" auf

S. 108 nennt die Lieder: Griint ein Tannenbaum; Tal und Hiigel sind verschneit;, Wir ziinden an den Lichterkranz; Aufi haltet euer Herz bereit;, Ein Jahr muff nun vergehen sowie Hohe Nacht der klaren Sterne.

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Michael Fischer

Incipit Ort Ausfiihrungshinweis Tal und Hiigel sind verschneit anstelle einer Einleitungsmusik fur kl[einen] Singchor

Wir ziinden an den Lichterkranz nach dem )>Aufrufi m6glichst gemeinsam von der gan- zen Feiergemeinschaft gesungen

Auf, haltet euer Herz bereit nach der ersten Lesung fiir kl[einen] Singchor anstelle einer Zwischenmusik

Hohe Nacht der kiaren Sterne nach der zweiten Lesung

mdglichst gemeinsam gesungen und vor dem ))Fuhrerwortm

Ein Jahr mufg nun vergehen anstelle einer Zwischenmusik fuir kl[einen] Singchor

(Hymnen) nach dem ),Grufg an den Fiihrer",

Die Aufstellung zeigt, dass die Organisatoren sowohl dem von einem kleinen Chor dargebotenen Lied als auch dem gemeinsam gesungenen einen Platz einraiumten.

Naturgemif.- sahen die Vorschlkige ffir die nationalsozialistische Fest-

gestaltung in der Familie etwas anders aus. Das Heft Deutsche Kriegsweih- nacht bietet hierfiir jedoch keinen Modellablauf wie bei der Parteifeier, sondern eine Erzaihlung, die das normative Implikat nicht allzu stark her- vortreten lasst.Y Das Gleiche gilt fur Weihnachtsfeiern fur Soldaten, die in emotional bewegenden Geschichten als mustergiiltig vorgestellt werden.83

4. Charakteristische Inhalte der Weihnachtslieder

Nachdem nun der Kontext der Lieder in der Propagandaschrift Deutsche

Kriegsweihnacht umrissen ist - sowohl was das Buch selbst betrifft, als auch die rituelle Einhegung der Gesdinge -, soll abschliegend das Augenmerk auf die ideologischen Gehalte der nationalsozialistischen Weihnachtslieder ge- legt werden. Paradigmatisch werden hierzu drei Themenfelder untersucht, nimlich das nationalsozialistische Kreislaufdenken mit den zentralen

Metaphern von Licht/Finsternis bzw. >)Stirb und werde"(, der Mutterkult und schliefglich die mit den beiden erstgenannten Themen verbundene

Kriegspropaganda. Vorausgeschickt sei der folgende Prosatext, der die drei Themen mustergilltig zusammenbindet:

82 Vgl. ebd., S. 90-96 (,,Weihnachten in der Familie,). 83 Vgl. ebd., S. 65-69 (,,Kriegsweihnacht 1940 in Frankreich<) oder S. 75-79

(>>Weihnachten im Lazarett).

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

Deutsche Weihnacht - Fest der Wiedergeburt allen Lebens! Seit Urzeiten vollzieht sich in der Natur der stete Wechsel von Leben und Tod, das grofI ,Stirb und Werde,. Unter diesem Naturgesetz steht der ewige Kreislauf allen Lebens. In der Familie fiihlen wir jene Kraft, die in diesem Gesetz liegt. Und aus dieser Kraft wissen wir um jene seelische Macht, aus der auch Weih- nachten geboren wurde: um die Gemeinschaft der Familie, der Sippe, des ganzen Volkes! Wie aus tiefer Winternacht die Sonne zu neuem Leben erwacht, so fiihlen wir in uns selbst die stille, heilige Zeit, die Zeit der Er- neuerung des Lebens. Im grofgen Geschehen der Natur tritt ein junges Jahr mit seinem starken Licht in die Welt, im Leben steht die Mutter als ewige Spenderin neuen Seins vor uns. So sprachen unsere Ahnen von einer heiligen ,,Weihenacht.<, so wurde das Kind in der Wiege zum Symbol des sich immer erneuernden Lebens. Und wie der Weihnachtsbaum, der ganz mit der Mutter Erde ver- wurzelt ist, zum Sinnbild der ewigen Gesetze des Sterbens und Wiedererwachens der Natur geworden ist, so kiindet die Weih- nacht von der frohen Wiedergeburt allen Lebens. Wenn wir aber, meine Volksgenossen, von der Wiedergeburt allen Lebens sprechen, so denken wir dabei an unser Volk, an unsere tapferen Soldaten, an die Millionen arbeitender Menschen in der Heimat! Aus ihrer Treue, Tapferkeit und Arbeit erbliiht neues Leben. Und jiber allem steht: die deutsche Mutter! - Sie hat dem Volke die tapfersten, treuesten und fleif~igsten Sdhne geschenkt - wir alle leben aus ihrem Leben!84

a) Kreislaufdenken

Das nationalsozialistische Kreislaufdenken diuf~ert sich in Zusammenhang mit Weihnachten in einer weitgeflicherten Metaphorik. Wie bereits geschildert, wurden dabei christliche Entgegensetzungen iibernommen und neu interpretiert (Winter/Friihling, Finsternis/Licht, Tod/Leben, Sterben/ Geburt, Untergang/Auferstehung). Auch der immergriine Tannenbaum, als Lebensbaum gedeutet, wurde in dieses Umfeld eingeordnet.85

84 Ebd., S. 109. In Duktus und Ideologie gleichgerichtet S. 112-116 (,,Vor- weihnacht.).

85 VgI. ebd., S. 7.

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Michael Fischer

Zahllose Texte entfalten diesen zentralen Mythos,86 der aus der mythischen Zeit auch in die reale gewendet werden konnte:

Die Nacht des Hasses, die Dunkelheit boshafter Willkiir hat sich iiber die Erde gebreitet; wir aber haben das Feuer der Freiheit, der Wahrheit und der Gerechtigkeit entfacht.87

Miihelos liegfen sich messianische Ziige integrieren, die Hitler zum Auser- wiihlten machten und wenigstens unterschwellig mit Christus gleichsetzten:

Meine Volksgenossen, in dieser Stunde, da wir wie an keinem anderen Tage des Jahres so sehr ergriffen sind von unserem Glau- ben an die Erneuerung des Lebens, begreifen wir auf einmal, dab gerade heute das Weihnachtsfest eine ganz besondere Bedeutung gewinnt; denn alle Miichte der Zerstbirung und der Finsternis sind durch den Einen, unseren Fiihrer Adolf Hitler, vernichtet worden. Der Kampf gegen diese Macht geht seiner siegreichen Entschei- dung entgegen.88

Das letztgenannte Beispiel zeigt gut, wie der >>Glaube an die Erneuerung des Lebens<, verbunden mit der Finsternis-Metaphorik und einer Messias- Anmagfung, in Kriegspropaganda umgemiinzt werden konnte. Das Kreis- laufdenken diente auch zur Todesbewiltigung: durch Verherrlichung und Relativierung des Todes sowie durch die Aufwertung des >>Opfers<<, das der Einzelne angeblich fir das Ganze bringt.89

Die Lieder der Deutschen Kriegsweihnacht folgen diesem Mythos und seiner Bildlichkeit, aber mit einer gewissen Zuriickhaltung. Sterben und Tod - als Gegenpole zu Geburt und Leben - werden nur verbliimt zur Sprache gebracht. Die politischen Ableitungen, die in den sonstigen Texten der Schrift gemacht werden, bleiben in jedem Falle aus. So wird in Ich brach drei diirre Reiselein ein christlicher Brauch aufgegriffen (Barbara-

86 Vgl. ebd., S. 13 (Gedicht Soldatenweihnacht), S. 46 (Prosatext: >>Die Sonne als Mit- telpunkt der Welt mufg wieder zum Symbol des Lebens werden<), S. 60 (Prosatext: ,,Aller Tod in der Natur ist Geburt<), S. 100 (Prosatext: >>Und nirgends ist Tod<).

87 Ebd., S. 8. 88 Ebd., S. 111. 89 Vgl. ebd., S. 113: >Aus kleinem Keime kommt der junge, zarte Trieb. [...] Er

dringt zur Reife und traigt Frucht. - Die Frucht aber muff vergehen! - Doch im Vergehen, Sich-Verzehren, hilft sie dem Jungen in ein neu Entfalten! So wirken fort - im ewigen Kreislauf aus sich selber sich erneuernd - Geschlecht und Art!<<

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

zweige), bei dem Zweige ins Haus gebracht werden, damit sie an Weih- nachten aufbliihen. Ausdriicklich ist in diesem Lied von Heinz Grunow vom >Wunder< (Str. 2) die Rede und davon, dass >>Gott<< diese Zweige >griinen und gedeihn< lasse, ,,wie unser Leben auch<< (Str. 3). Ahnlich an- gelegt ist das Lied vom immergriinen Tannenbaum: O Tannenbaum, o Tannebaum, du trdgst ein'griinen Zweig. Dem personifizierten Tannen- baum werden die Worte in den Mund gelegt, er habe weder Vater noch Mutter, die ihn versorgen kinnten (Str. 2), stattdessen sorge >,,der liebe Gott< (Str. 3) fiir ihn. Deshalb sei er auch >>schlank und grofi< (ebd.). Mdglicherweise ist das Lied allegorisch gemeint: Der griine Tannenbaum ohne Vater und Mutter gleicht dem Soldaten an der Front.

Deutlicher als die beiden erstgenannten Texte bringt der folgende das Kreislaufdenken zum Ausdruck. Die dritte Strophe des Liedes Ein Jahr muf? nun vergehen von Hans Baumann (Text und Melodie) lautet:

3. Ein Jahr wird nun verloren In unsrer Erde Schogf, Wird neu und jung geboren, Leuchtet grot."

Mit dem Begriff >>Ewigkeit<91 operiert das Lied Wir ziinden an den Lichter- kranz, das von Herbert Napiersky gedichtet und vertont wurde:

3. Im Herzen tragen wir die Zeit, Mag auch das Jahr verrinnen. Denn alle tiefe Ewigkeit Ist Enden und Beginnen.

Die Lichtmetaphorik wird in den Liedern oft nicht stringent durchgehal- ten. In Es hat in der tiefichwarzen Nacht geschneit ist in der ersten Strophe davon die Rede, dass >ein funkelnder Glanz<< vom Sternenzelt gefallen sei,

90 Ahnlich: >>Ein Tor wird nun geschlossen, / ein neues tut sich auf; / aus dunklen Winternaichten steigt neu der Sonne Lauf<& (Freut euch, ihr lieben Leute, ebd., S. 131, Str. 3).

91 Im Gegensatz zum nationalsozialistischen Mythos geht der christliche davon aus, dass >Ewigkeit< die Oberwindung und Autferkraftsetzung der Zeit- und Raum- dimension meint, weder ihre infinite Verlingerung noch ein Wiedereinmiinden in den Anfang.

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Michael Fischer

wihrend in der zweiten das aufkeimende Leben 4im Schotle der Erde. i0ber dieses >>Licht in der Nacht. staune. Die dritte Strophe fiigt zu diesen Bil- dern den aufsteigenden Sonnenball hinzu, um in der vierten Strophe mit der Aufforderung zu enden, >>die heiligen Lichtero am .immerdar griinen Tannenbaum. zu entziinden. Am Schluss steht die poetisch gemeinte, aber nicht eben sinnvolle Aussage: >,Das

Licht ist der Ewigkeit Erdentraum.< Einen Bogen von der Licht/Finsternis-Metaphorik zum Mutterkult

spannt das folgende Lied von Thilo Scheller. Bemerkenswert ist der Anklang an christliche Topoi, etwa die Tradition christlicher Weck- und Bufglieder:

1. Auf, haltet euer Herz bereit 2. Die hohe Nacht ist nicht mehr fern, Fur einen neuen Morgen. In der uns Gott begegnet. Noch wandeln wir in dunkler Zeit, Vom Himmel leuchtet Stern bei Stern, Doch in der tiefsten Dunkelheit Das Leben keimt in Korn und Kern, Liegt schon das Licht verborgen. Und MUtter gehn gesegnet.

3. Ein neuer Morgen bricht herein, Die dunkle Nacht mufg schwinden. Auf, griifget laut den hellen Schein! Das neue Jahr wird mit uns sein, Mit Mutter, Korn und Kindern.

b) Mutterkult Der Mutterkult ist dem Lebensmythos untergeordnet und mit der vi5lki- schen Idee verkniipft. Man k6nnte auch sagen: Der hochtrabende Mythos von .>Stirb und werde. konkretisiert sich am deudichsten im Wachsen der Feldfriichte und in der Geburt von Kindern (Blut-und-Boden-Ideologie). Kriegspsychologisch war der Mutterkult unter verschiedenen Aspekten niitzlich: Abgesehen davon, dass die Geburtenquote zur Rekrutierung von Soldaten erhd*ht werden sollte, garantierte der Mutterkult die Anbindung des Mannes an die Familie (an die eigene Mutter, an die Frau als Mutter der gemeinsamen Kinder)92 genauso wie an die .Volksgemeinschaft, als Ganzes. Schliefglich mussten den Frauen und Miittern Trostgriinde bereit- gestellt werden, da sie im Krieg ihrer Mainner entbehrten, sie als Kriippel

92 Vgl. die fiktive Briefstelle eines Mannes an seine Frau: >>Das Kind wird Dir, wie schon so oft, helfen, die Einsamkeit des Abends zu vergessen und jenes stille Gliick und jenes stille Frohsein zu empfinden, mit dem starke Menschen in Zuversicht Schmerzliches

iiberwinden, (ebd., S. 25).

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

oder iiberhaupt nicht mehr wiedersahen. In einem - sicherlich fiktiven -

.,Weihnachtsbrief an eine Mutter. heigt es, .,wir. - gemeint sind die Deut- schen - haitten fur Weihnachten kein .>heiligeres und innigeres Sinnbild fLinden ki*nnen, als das der Mutter mit dem Kind"93. Denn sie, so der ideo- logisch versierte >>Briefschreiber. weiter,

ist uns doch Ausdruck fur alles. F Ur die Gemeinschaft der Familie, fur die Ewigkeit des Volkes, ftir die Kraft des Lebens, fur die Sauberkeit unserer Gesinnung, fur die Ehrfurcht vor den Ahnen, fhr die Verantwortung vor dem Kommenden. Ja, fdr den Sinn des Krieges und Lebens schlechthin.94

Dieser propagandistisch stark aufgeladene Text gipfelt in der Auffassung: Das Fest des Glaubens an unser Volk und uns alle verbindet dann eine so grofge, unendliche Liebe, die den einzelnen zum Nichts und das Volk zur Mutter und uns alle zu seinen Si*hnen macht.95

Die formalen Anleihen bei der katholischen Marienverehrung sind ver-

bliiffend96 - gilt doch die Jungfrau Maria nicht nur als >>Mutter Gottes,,97, sondern auch als Mutter ihrer geistlichen Kinder.

An einer anderen Stelle heigt es in der Deutschen Kriegsweihnacht, den Mutterkult mit dem Kreislaufdenken verbindend:

Unsere Besinnung gilt der Geburt neuen Lebens. Zu keiner Zeit des Jahres empfinden wir dies so tief, insgesamt, als Volk! Die Mu*tter sind uns Sinnbild dieser ewigen Wiederkehr.98

93 Ebd., S. 21. 94 Ebd., S. 21f. 95 Ebd., S. 23. 96 Vgl. die saikularisierte Wendung: >>Du, Mutter mit dem Kinde, bist uns recht ein

Sinnbild dieser Zeit. Wie randvoll alles Guten kdnnen doch zwei Menschenaugen sein! Nie aber faflt der klare Spiegel mehr, als wenn in gliicklich-hingebenden Sinnen eine Mutter, die ihr Kindlein trigt, wie triiumend fast in weltenferne Weiten schaut. (ebd., S. 113).

97 Diese missverstaindliche Formel deutet darauf hin, dass Maria den Gottmenschen Jesus Christus in der Zeit geboren hat, wiihrend die Zeugung des Logos vor (d.h. aufgerhalb) aller Zeit durch den Vater geschehen ist.

98 Ebd., S. 75. Vgl. das Gedicht Das Hohelied der Mutternacht von Thilo Scheller, besonders die letzte Strophe (ebd., S. 97).

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Michael Fischer

'}Venn eine Nutter ibr Xindlein tut wiegen

VOR- UND ZWISCHENSPIEL A Metiand

Work, Wdse and Satz gottfrial Wolters

Wenn ei - ne Mut - ter ihr Kind - lein tut *de k gep,

laa-chelt der Mond in ,das Fen - ster bin - eM,

tut sick der Him - mel der Er - de an - schmie gep,

wiegt ei ne Mut - ter , ihr Kin - de - lein. Abb. 5 Musikalische Weihnachts- idylle im Pastoralton aus der Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

Die Lieder folgen dieser Ideologie, aber, wie schon weiter oben angedeutet, in abgeschwaichter Form. Insbesondere werden im Vergleich zu den Prosa- texten die vlkischen Ableitungen zugunsten von Stimmungswerten zu-

riickgenommen. So bleibt die dritte Strophe des Liedes Wenn eine Mutter ihr Kindlein tut wiegen semantisch unklar, beschw6rt aber eine heimelige Stimmung herauf, die durch die Musik (Melodie im Dreiermetrum Uiber Bordunquinten, Abb. 5) noch unterstiitzt wird:

Wenn eine Mutter ihr Kindlein tut naihren, Dringet das Land in die Kammer hinein: Trauben und 'Apfel und Blumen und Ahren, Ndihrt eine Mutter ihr Kindelein.

Zu den Texten, die sich unter das Stichwort ))Mutterkult.< einordnen lassen, geh6rt auch das eingangs zitierte Lied Die Weihnacht steigt ins Tal von Hans Baumann, das eine saikulare Krippenidylle mit Mutter, Vater und Kind entfaltet.99 Schlieglich ist noch das bekannte Hohe Nacht der

klaren Sterne anzufiihren, ebenfalls von Hans Baumann getextet und ver- tont. Dort lautet die dritte und letzte Strophe:

MUtter, euch sind alle Feuer, Alle Sterne aufgestellt. Miutter, tief in eurem Herzen Schlaigt das Herz der weiten Welt.

Abb. 6 Illustration zu Hohe Nacht der klaren Sterne

aus der Sammlung Lieder zur Weihnachtszeit. Hg. von Ilse Lang. Wolfenbiittel 1940, S. 6

99 Vgl. ebd., S. 13 1f.

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Michael Fischer

Wie sich die Nationalsozialisten die Verwendung und Aneignung dieser

Liedstrophe vorsteliten, belegt der bereits zitierte, fiktive Feldpostbrief. Dort heifgt es:

Und wenn einmal alle Antworten nach dem Warum des Krieges erschdpft waren, dann wuf~ten wir nur noch eine - weil wir noch M Uitter haben wollen in unserem Land, und dann war wieder Ruhe und Gewitgheit in uns.1

Unmittelbar danach wird die dritte Strophe von Hohe Nacht der klaren Sterne als .>Dichterwort. angefiihrt.

c) Kriegspropaganda

Es ist nicht iiberraschend, dass in der Schrift Deutsche Kriegsweihnacht der

Krieg propagiert und legitimiert, der Frieden aber diskreditiert wird.'0' Aller-

dings findet das zumeist in recht allgemeiner Form statt - konkrete Gegner oder Kriegsziele werden nicht genannt. Eine der wenigen Ausnahmen bildet der folgende Abschnitt aus dem Text .>Weihnachten in der Familie.:

Latgt uns einen Atemzug vor unserem Tannenbaum bedenken, dafg der Bolschewismus das Weihnachtsfest mit Stumpf und Stiel aus- gerottet und datg der Amerikanismus es zu einem Rummel mit Jazz- und Barbetrieb verunstaltet hat, dann wissen wir, daft wir auch im Kriege, nein, gerade im Kriege Weihnachten in der Fami- lie begehen miissen; denn auch dafiir, dal wir dieses Fest behalten und gestalten diirfen, stehen unsere Soldaten die Wacht.102

Auch in dem bereits zitierten Vorschlag zur Gestaltung einer .Feierrede. ist der Ton ungewohnt scharf. Ausgehend von der jiblichen Finsternis/Licht-

Metaphorik wird an den )Fiihrer.

erinnert, der .>als erster Soldat seines Volkes in diesen Kampf ging und uns die endliche Freiheit Europas. siche- re. Danach wird er mit den Worten zitiert:

Hier hat sich gegen Europa eine Macht zusammengeballt, von der leider die meisten keine Ahnung besitzen. Es waire dies ein zweiter Mongolensturm eines neuen Dschingis-Khan geworden.103

100 Ebd., S. 22. 101 Vgl. ebd., S. 6-9. 102 Ebd., S. 91. 103 Ebd., S. 111.

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

Mit der Macht sind die .,bolschewistischen Horden<,104 gemeint, also die

Truppen der Sowjetunion. Typischer sind jedoch weniger konkrete und

aggressive Aussagen wie die folgende von Joseph Goebbels:

Es war seit jeher der tiefste Sinn des Weihnachtsfestes, nicht so sehr den Frieden als Begliickung zu empfinden als vielmehr fur den Frieden zu arbeiten und zu kaimpfen.105

Um den Unterschied zu den in der Schrift enthaltenen Weihnachtsliedern noch deutlicher herauszustellen, sei das Gedicht Soldatenweihnacht im

Weltkrieg von Walter Flex angefiihrt, das mit seinen beiden Eingangszeilen wohl an das Lied Stille Nacht, heilige Nacht erinnern will:

Einsame Wacht, Brandhelle loht! Schneekiihle Nacht! Mord, Hafg und Tod, Es knarrt der Frost im Eise, Sie recken ob der Erde Der Sturm singt harsche Weise, Zu grauser Drohgebairde, Der Friede, den ich preisse, Dafg niemals Friede werde, Der ist in Bann und Acht. Schwurhainde blutig rot.

Was Frost und Leid! Mich brennt ein Eid, Der gliiht wie Feuersbrainde Durch Schwert und Herz und Hainde. Es ende drum, wie's ende - Deutschland, ich bin bereit!106

Die Weihnachtslieder in der Publikation Deutsche Kriegsweihnacht kom- men im Vergleich zu diesen martialischen und fatalistischen Bildern ge- radezu harmlos daher - aber nur auf den ersten Blick: Sie dienten niimlich dem Krieg, indem sie ihn verschwiegen. Offensichtlich hielten es die Propa- gandisten ffir geboten, die Lieder von der Kriegsthematik oder gar von Agi- tation gegenuiber Feinden freizuhalten. Nicht von ungefihr ist die bereits

angeklungene Zeile >>Der Vater steht im Feld und hiilt die Wacht. so offen formuliert, dass die Stelle - besonders im Umfeld des Weihnachtsfestes - theoretisch auch als Hirtenmotiv interpretiert werden kd*nnte.

104 Ebd. 105 Ebd., S. 101. 106 Ebd., S. 12.

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Michael Fischer

Schluss

Zusammenfassend kann zu den Weihnachtsliedern in der Schrift Deutsche

Kriegsweihnacht gesagt werden: Die ideologische Schairfe der Lieder ent- stand nicht durch ihren >>Text<<, sondern durch ihren doppelten >Kontext<<: erstens durch die rituelle Einbettung, etwa in eine nationalsozialistische >Feierstunde<<, zweitens durch ihren literarischen Zusammenhang. Offen- sichtlich sollte durch die Lieder das emotional verankert werden, was in den iibrigen Texten der Schrift propagandistisch entfaltet wurde. Auf der psychologischen Ebene erfiillten sie damit auch eine Sublimierungs- funktion: Sie sollten die Schrecken des Krieges vergessen machen und

utopische Hoffnungen sowie den Glauben an den nationalsozialistischen

Wiedergeburt- und Erl6sungsmythos wecken. Die Methode, sich am Zweck der Propaganda zu orientieren und allein

den jeweiligen Erfolg zum Mafstab zu machen, erforderte und ermaglichte eine grogLe Variabilitit ebenso wie die Bereitschaft, gegebenenfalls die

Aggression zu mildern oder wieder zu steigern. Eingeldst wurde damit die

Forderung Hitlers, die Propaganda >vom Gesichtspunkt des Zweckes ausw zu beurteilen:

Ihre Form wird mithin eine der Unterstiitzung des Zieles, dem sie dient, zweckmiiig angepaiLte sein miissen.107

Und hinsichtlich der Fassungskraft der Rezipienten meinte der Demagoge:

Jede Propaganda hat volkstiimlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmeffihigkeit des Beschrainktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. [...] Die Aufnahme- f'dhigkeit der grogfen Masse ist nur sehr beschrainkt, das Verstdindnis klein, daffir jedoch die Vergetlichkeit grog. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschrainken und diese schlagwortartig so lange zu ver- werten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag.108

107 Hitler: Mein Kampf(wie Anm. 3), S. 194. 108 Ebd., S. 197f.

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Die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht

Ohne Zweifel erfiillt die Schrift Deutsche Kriegsweihnacht diese Forderun- gen, wenn sie - nach Situation und Textgattung abgestuft, aber unmiss-

verstaindlich und in penetranter Wiederholung - die zentralen Mythen des Nationalsozialismus herausstellte. Erst 1945, nach zwei weiteren .>Kriegs- weihnachten., wurde Deutschland und Europa von diesen hohlen Phrasen und ihren Protagonisten erli*st. Indes: Damit sind weder Kriegspropaganda noch die damit einhergehende Funktionalisierung christlicher Begriffe und Feste verschwunden.

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