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Deutsch-Chinesische Plattform Innovation Policy Briefs 2017 der deutschen Expertengruppe

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Deutsch-Chinesische Plattform InnovationPolicy Briefs 2017 der deutschen Expertengruppe

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Durch innovationsgetriebene Entwicklung zur innovativen Nation � 06

Reform der öffentlichen Forschungsförderung – Implikationen für die

deutsch-chinesische Kooperation ���������������������������� 10

Die Sicht der deutschen Industrie auf chinesische Hochtechnologie-

Investitionen in Deutschland �������������������������������� 14

Patentverkäufe in China ����������������������������������� 19

Auswirkungen des aktuellen chinesischen "Cyber-Rechts" auf

grenzüberschreitende Forschung und Forschungskooperationen �� 24

Datengetriebene Innovation vs. Schutz von privaten Informationen

Wie China mit personenbezogenen Daten umgeht ������������� 28

Die Fähigkeit zum Wissenstransfer von chinesischen Firmen in

entwickelten Märkten: Eine kulturelle Perspektive mit Nachweis aus

Deutschland ���������������������������������������������� 36

Inhaltsverzeichnis

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Mit den vorliegenden „Policy Briefs“ wollen die Mitglieder der Expertengruppe der Deutsch-Chinesischen Plattform Innovation (DCPI) zur Information und Sensibilisierung für aktuelle Entwicklungen und Trends in der chinesischen Innovationslandschaft beitragen.

China ist für Deutschland in Forschung und Innovation ein wichtiger und starker Partner. Das Land ist auf dem Weg zu einer der wichtigsten Forschungsnationen weltweit und baut seine Forschungs- und Innovationskapazitäten systematisch und rasch aus. Die deutsch-chinesi-sche Kooperation in Forschung und Innovation hat sich in den vergangenen Jahren stetig in-tensiviert. Doch bietet die Zusammenarbeit mit China nicht nur Chancen, sondern beinhaltet auch Herausforderungen. Eine intensive Auseinandersetzung mit der chinesischen For-schungs- und Innovationspolitik und den Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit bildet eine wesentliche Grundlage für die Entstehung tragfähiger und erfolgreicher Kooperationen. Hierzu will die DCPI-Expertengruppe mit den „Policy Briefs“ beitragen.

Die Expertengruppe wurde im Frühjahr 2017 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als unabhängige Arbeitsgruppe berufen. Ihre Aufgabe ist es, die China-Expertise in Deutschland zu vernetzen und den Innovationsdialog zwischen Deutschland und China fachlich zu begleiten. Die Expertengruppe soll Impulse zur Entwicklung der Zusam-menarbeit mit China in Forschung und Innovation geben, relevantes Wissen zum Innovati-onsgeschehen in China bündeln und zu seiner Verbreitung beitragen.

Die Expertengruppe besteht aus Prof. Dr. Doris Fischer (Universität Würzburg, Vorsitzende), Prof. Dr. Michael Dowling (Universität Regensburg), Dr. Rainer Frietsch (Fraunhofer ISI), Dr. Thomas Pattloch (TaylorWessing), Prof. Dr. Ulrike Reisach (Hochschule Neu-Ulm), Dr. Margot Schüller (GIGA Hamburg), Dr. Kristin Shi-Kupfer (MERICS), Friedolin Strack (BDI) und Prof. Dr. Markus Taube (Universität Duisburg-Essen).

Der DLR-Projektträger ist seit April 2014 das Organisationsbüro der Deutsch-Chinesischen Plattform Innovation und unterstützt u.a. die Expertengruppe in ihrer Arbeit.

Die Expertengruppe der DCPI weist darauf hin, dass die in den „Policy Briefs“ dargelegten Positionen nicht notwendigerweise die Meinung des BMBF und des DLR-PT wiedergeben.

Die Deutsch-Chinesische Plattform Innovation

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Einleitung

Der Bericht des Parteivorsitzenden der KPCh Xi Jinping auf dem 19. Parteitag vom 27. Oktober 2017 enthält einen Absatz zur Innovati-onspolitik, der mit „Den Aufbau der innovativen Nation beschleuni-gen“ überschrieben ist. (Xi 2017) Dieser Absatz baut auf der Innova-tionspolitik der letzten fünf Jahre auf und formuliert den Anspruch zugleich ehrgeiziger. Einige zentrale Begrifflichkeiten der Innovati-onspolitik der letzten fünf Jahre sowie der vorangegangenen Partei-führung unter Hu Jintao werden nicht mehr verwendet.

Der vorliegende Beitrag skizziert die Genese der Konzepte chinesi-scher Innovationspolitik und fasst die neuen Akzentsetzungen zu-sammen. Voraussichtlich werden die Akzente, die Xi in seiner Rede gesetzt hat, wie in der Vergangenheit vom chinesischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MoST) genau studiert und in ent-sprechende politische Leitlinien umgesetzt. Die konkreten Verände-rungen, die sich daraus in den kommenden fünf Jahren ergeben werden, zeichnen sich bisher nur vage ab, aber das Vokabular ist festgelegt. Es signalisiert, wie in anderen politischen Bereichen, ein neues Selbstbewusstsein chinesischer Politik und damit voraussicht-lich auch eine andere Haltung in der internationalen Kooperation.

Genese

Ein wichtiger Meilenstein der chinesischen Forschungs- und Innova-tionspolitik war in der Vergangenheit der „National Medium- and Long-Term Program for Science and Technology Development (2006–2020)“ (State Council 2006). Dieses Programm ist noch im-mer gültig. In seinem Vordergrund stand die Suche nach einem neu-en Wachstumsmodell für China. In Anbetracht von demographi-schem Wandel, Ressourcenknappheit und wachsenden Umweltpro-blemen erschien ein „Weiter so“ schon damals problematisch. Als ärgerlich galt, dass das arbeitsintensive Wachstumsmodell auf den Import bzw. die Lizensierung teurer Technologien angewiesen war. Um dies zu ändern, sollte China „indigene“ (eigene) Innovationen hervorbringen, also Innovationen, deren intellektuelle Eigentums-rechte in chinesischer Hand liegen. (Zhang et al. 2009: 3 ff.) Die An-

Prof. Dr. Doris Fischer, Lehrstuhl China Business and Economics, Universität Würzburg

Durch innovationsgetriebene Entwicklung zur innovativen Nation

reize, die in den folgenden Jahren gesetzt wurden, um dieses Ziel zu erreichen, trugen unter anderem zu einem rasanten Anstieg der chi-nesischen Patentanmeldungen bei (Schmid und Wang 2017).

Nur wenige Jahre später brach die globale Finanzkrise aus. Die chi-nesische Regierung reagierte hierauf bekanntlich mit einem großen Konjunkturprogramm, das mit einer aktiven Industriepolitik verbun-den wurde (Fischer 2009, Wong 2011). Die Mittel des Konjunktur-programms kamen vor allem den chinesischen Staatsunternehmen zu Gute, flossen aber auch in erheblichem Maße in Forschungs- und Entwicklungsfonds, in Universitäten und Forschungsinstitute. Dieser Mittelaufwuchs geriet schon bald in die Kritik, da die Ergebnisse nicht durchweg zufriedenstellend waren und die Mittelverwendung als wenig effizient angesehen wurde (Liu et al. 2017).

Der Bericht des scheidenden Parteisekretärs Hu Jintao auf dem 18. Parteitag im Jahr 2012, der sozusagen die Staffelübergabe an Xi Jin-ping vorbereitete und mit der neuen Parteiführung abgestimmt war, schlug daher neue Töne an: In Zukunft sollte die „innovationsgetrie-bene Entwicklung“ im Vordergrund stehen (Hu 2012). Das Ziel „ei-gener“ bzw. „indigener“ Innovation blieb bestehen, aber sein Stel-lenwert wurde deutlich zurückgefahren. Damit wurde auf die Fehl-entwicklungen und Ineffizienzen im chinesischen Innovationssystem reagiert, das einer umfassenden Reform unterzogen werden sollte.

Im Einzelnen wurde die Bedeutung von innovationsgetriebener Ent-wicklung im Bericht zum 18. Parteitag nicht ausbuchstabiert. Dies erfolgte vielmehr in zwei Schritten: Im März 2015 verabschiedeten das Zentralkomitee der KPCh und der Staatsrat „Ansichten“ zur be-schleunigten Umsetzung einer innovationsgetriebenen Entwick-lungsstrategie, die vor allem auf umfassende institutionelle Refor-men setzten (siehe Beitrag Schüller) (CCP und Staatsrat 2015). Des Weiteren erhielt das MoST den Auftrag, eine strategische Leitlinie für Chinas innovationsgetriebene Entwicklung zu entwerfen. Bei dem Entwurf dieser Leitlinie hat sich das Ministerium nach eigener Aussage eng an den Ideen Xi Jinpings orientiert (MoST 2016). Die Leitlinie wurde schließlich im Mai 2016 ebenfalls gemeinsam vom Zentralkomitee und vom Staatsrat veröffentlicht und definiert bis auf weiteres den innovationspolitischen Rahmen (CCP und Staatsrat 2016).

In seinem Bericht zum 19. Parteitag bezieht sich Xi Jinping auf die „Ansichten“ des Jahres 2015 und die „Leitlinie“ des Jahres 2016, indem er erneut die Bedeutung von Innovation als wichtigstem Trei-ber wirtschaftlicher Entwicklung betont (Xi 2017). Dieser Aussage stellt er aber das Ziel voran, den Aufbau der innovativen Nation zu beschleunigen und setzt damit einen neuen Akzent, der in den kommenden fünf Jahren in die Innovationspolitik einfließen und eventuell mit einer neuen Leitlinie des MoST unterfüttert werden wird. Das Konzept der „indigenen“ Innovation taucht in dem Be-richt von Xi Jinping nur noch einmal im Zusammenhang mit Innova-tionen im Bereich des Militärs auf (siehe Tabelle 1).

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Die Konzepte

Die Leitlinie zur „innovationsgetriebenen Entwicklung“ aus dem Jahr 2016 skizziert diese als eine Entwicklung in drei Stufen: Dem-nach soll China bis 2020 in die Gruppe der innovativen Länder auf-rücken, bis 2030 in die Riege der innovativsten Länder aufschließen und bis 2050 eine Weltmacht in Wissenschaft und Innovation sein. Wichtiger Indikator für diese Entwicklung ist die Position chinesi-scher Industrien bzw. Unternehmen innerhalb der globalen Wert-schöpfungsketten. Bis 2020 soll es wichtigen Branchen gelingen, sich auf der mittleren Stufe der Wertschöpfungsketten zu bewegen, bis 2030 sollen die meisten Unternehmen auf der mittleren oder oberen Stufe der Wertschöpfungsketten angesiedelt sein. China soll sich also schrittweise von der Werkbank der Welt zum Designer und Labor für die Welt generieren und globale Marken schaffen. Für 2050 besteht das Ziel darin, globales Zentrum von Wissenschaft und Innovation zu sein, die Rolle in den Wertschöpfungsketten wird nicht weiter thematisiert. Um diese Ziele zu erreichen, soll u.a. der Anteil der F&E-Ausgaben bis 2020 auf 2,5 Prozent des Bruttoin-landsproduktes ansteigen, bis 2030 auf 2,8 Prozent.

Dieser Dreistufenplan korrespondiert mit ähnlichen Zeitplänen in an-deren politischen Strategiepapieren der letzten Jahre, zum Beispiel der Roadmap „Made in China 2025“ oder der Industriepolitik für

künstliche Intelligenz (State Council 2015; State Council 2017). Die zeitlichen Fixpunkte sind im Wesentlichen gleich. So definiert sich das Ziel für 2020 einerseits aus dem Ende des 13. Fünfjahresplans (2015-2020), das zugleich vorbereitet auf das erste sogenannte „Hundertjährige Jubiläum“ (100 Jahre Gründung der KPCh). Der Fixpunkt 2050 orientiert sich grob an dem zweiten hundertjährigen Jubiläum (100 Jahre Gründung der Volksrepublik (1949)). Je nach Dokument werden diese beiden Jubiläen exakt oder grob terminiert. Für die Zwischenstufe variieren die Zielvorgaben. Während die Leitli-nien zur innovationsgetriebenen Entwicklung und der 13. Fünfjah-resplan 2030 als Einschnitt wählen, hat Xi Jinping in seinem jüngs-ten Parteitagsbericht das Jahr 2035 als Zwischenstufe gewählt (Xi 2017).

Die Leitlinien zur innovationsgetriebenen Entwicklung definieren acht strategische Aufgaben, von denen die erste auf die Erneuerung des industriellen und technologischen Systems gerichtet und am de-tailliertesten beschrieben ist. Hierunter werden insgesamt zehn Ent-wicklungsziele ausführlicher aufgelistet, die vor allem auf Digitalisie-rung, ökologische Nachhaltigkeit, die Effizienz und Sicherheit von Technologien sowie disruptive Innovationen setzen (siehe Abbildung 1).

Tabelle 1: Häufigkeit der Nennung von Innovationsbegriffen Jahr Innovation Darunter Großmacht

Indigene I.

Originäre I.

innovations- ge-triebene

innovatives Land

Parteitag 2007 57 11 0 0 3 1

Parteitag 2012 57 2 1 3 2 4

Parteitag 2017 59 1 0 3 3 7

Fünfjahresplan 2011 122 4 1 3 3 0

Fünfjahresplan 2016 242 6 3 8 1 2

Leitlinie innovations-getriebene Entwicklung

2016 207 4 5 28 4 0

Quelle: Eigene Zählung und Zusammenstellung

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Relevanz

Welche Bedeutung ist Formulierungen in den Leitlinien von 2016 und insbesondere dem Bericht des 19. Parteitags beizumessen? Auf den ersten Blick handelt es sich dabei um geringe Veränderungen in der Wortwahl, deren Bedeutung ebenfalls gering zu sein scheint. Tatsächlich spiegeln diese Veränderungen aber Verschiebungen in dem Verständnis von Innovation und der Rolle des Staates in diesem Kontext wider. Zugleich reflektiert die Wortwahl ein neues Selbstbe-wusstsein, das auch in anderen Zusammenhängen beobachtbar ist:

• DieAbkehrvomKonzeptder„indigenen“Innovationbedeutetei-ne Abkehr von einem innovationspolitischen Verständnis, das eher defensiv angelegt war und nach Emanzipation vom Ausland strebte. Hierzu gehörte auch die Idee, bestimmte Industrien („infant indust-ries“) zu schützen. Dem Staat kommt dabei eine protegierende Rolle zu, die durch klassische industriepolitische Instrumente gestützt wird. Eine souveräne und vertrauensvolle Kooperation mit ausländi-schen Firmen wurde durch dieses Konzept erschwert.

• DasBekenntniszuinnovationsgetriebenerEntwicklungkorrespon-diert dagegen mit der ökonomischen Vorstellung, dass Wirtschafts-wachstum durch zusätzlichen Input von Arbeit und Kapital oder durch technischen Fortschritt angetrieben wird (Wu 2011). Diese Vorstellung hatte in den 1990er Jahren die chinesische Wirtschafts-politik sehr stark geprägt. Eine große Zahl von Untersuchungen hat schon damals versucht zu messen, in welchem Ausmaß das chinesi-sche Wachstum durch technischen Fortschritt angetrieben werde. Entsprechende Analysen fanden sich in jüngerer Zeit auch regelmä-ßig in Publikationen des Internationalen Währungsfonds, von

Entwicklung…

… einer neuen Generation von Informa- tions- und Netzwerktechnologien;

… von smarten und grünen Produktions- technologien;

… von ökologischen, grünen, hoch- effizienten und sicheren modernen Agrartechnologien;

… von sicherer, sauberer und hocheffi- zienter moderner Energietechnik;

… von ressourceneffizienten und umwelt- freundlichen Technologien;

… von Technologien zur modernen Meeres- und Weltraumnutzung;

… von Technologien für smarte Städte und die digitale Gesellschaft;

… von fortschrittlichen und effektiven, sicheren und komfortablen Gesundheits- technologien;

… von modernen Servicetechnologien zur Handhabung neuer Businessmodelle;

… von die Industrie revolutionierenden, disruptiven Technologien.

1. Erneuerung des industriellen und technologischen Systems

2. Betonung originärer Innovation

3. Verbesserung der regionalen Verteilung von Innovation

4. Vertiefung der militärisch-zivilen Kooperation

5. Stärkung der Innovationsakteure

6. Verwirklichung sehr großer Forschungs- programme und -einrichtungen

7. Aufbau von hochqualifiziertem Personal

8. Förderung von Innovation und Unternehmensgründungen

Quelle: CCP und Staatsrat 2016

McKinsey etc. die darauf zielten, die Innovationskraft und Wettbe-werbsfähigkeit Chinas einzuschätzen (IMF 2015, Woetzel et al. 2015). Dieses Verständnis der Bedeutung von technischem Fort-schritt und Innovation knüpft an neoklassische Wirtschaftstheorien an und ist damit grundsätzlich sehr viel stärker marktorientiert.

• XiJinpingsWortwahlder„innovativenNation“unddieinden„Leitlinien“ anvisierte Steigerung des Status Chinas im Reigen der in-novativen Nationen unterstreichen das gewachsene Selbstbewusst-sein im Hinblick auf die Innovationsleistungen Chinas. Die innovative Nation passt als Begriff zu dem Konzept, dass China eine Großmacht ist bzw. werden wird (Johnson 2014), eine Idee, die in Xis Bericht ei-nen größeren Stellenwert bekommen hat (siehe Tabelle 1).

Fazit/Empfehlungen

Unter der Führung Xi Jinpings ist die chinesische Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren häufig als widersprüchlich und wenig transpa-rent wahrgenommen worden. Bekenntnisse zu einer größeren Rolle des Marktes in der Allokation von Ressourcen, die sich im Ab-schlussdokument des 3. Plenums des 18. Parteitags (2013) fanden, schienen sich nur sehr langsam in der praktischen Wirtschaftspolitik wiederzufinden (EU Chamber 2014 und 2017). Das Konzept des in-novationsgetriebenen Wachstums knüpft allerdings (wieder) stärker an ein Verständnis von Innovation an, das marktorientierter und we-niger defensiv-protektionistisch als unter der Vorgängerregierung ist.

Abbildung 1: Acht Aufgaben der innovationsgetriebenen Entwicklung und konkrete Ziele der ersten Aufgabe

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Insofern ist davon auszugehen, dass die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen und For-schungsinstitutionen verbessert werden.

Allerdings wird dies unter dem Vorzeichen stehen, dass die Regie-rung China inzwischen als Großmacht versteht. Das Bewusstsein um die eigene Größe wird in allen Kooperationen spürbarer werden, un-geachtet der Tatsache, dass China auch nach eigener Definition noch bei weitem keine innovative Nation ist: Eine innovative Macht zeichnet sich demnach durch einen Beitrag des technischen Fort-schritts zur Entwicklung von mindestens 70 Prozent aus (CCP Wiki), ein Niveau, das China bei weitem noch nicht erreicht.

Literatur

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CCP; State Council 2015 中共中央国务院关于深化体制机制改革加快实施创新驱动发展战略的若干意见, 13.03.2015, http://www.gov.cn/gongbao/content/2015/content�2843767.htm (letzter Zugriff: 8.11.2017)

CCP Wiki (o.J.) 创新型国家 http://dangshi.people.com.cn/GB/165617/166499/9981367.html (letzter Zugriff: 8.11.2017)

European Union Chamber of Commerce (2014) European Business in China Position Paper 2014/2015, Beijing, www.europeanchamber.com/cn

European Union Chamber of Commerce (2017) European Business in China Position Paper 2017/2018, Beijing, www.europeanchamber.com/cn

Fischer (2009) China’s Policies for Overcoming the Crisis: Old Refle-xes or Strategy for a New Reform Miracle? Briefing Paper 7/2009, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) / German Develop-ment Institute

Hu, Jintao (2012) 坚定不移沿着中国特色社会主义道路前进 为全面建成小康社会而奋斗-在中国共产党第十八次全国代表大会上的报告, 8.11.2012 (Bericht auf dem 18. Parteitag), http://cpc.people.com.cn/n/2012/1118/c64094-19612151.html

International Monetary Fund (IMF) (2015) People’s Republic of China 2015 Article IV consultation (IMF Country Report 15/234), Washing-ton

Johnson, Christopger K. (2014) Decoding China’s Emerging “Great Power” Strategy in Asia, Center for Strategic and International Stu-dies, Washington http://www.spfusa.org/wp-content/uploads/2015/02/1-Chinas-Great-Power.pdf

Liu, Xielin; Schwaag Serger, Sylvia; Tagscherer, Ulrike; Chang, Amber Y. (2017) Beyond Catch-up – can a new innovation policy help China overcome the middle income trap? Science and Science Policy, 1-4, doi: 10.1093/scipol/scw092

Woetzel, Jonathan et al. (2015) The China Effect on Global Innovati-on, McKinsey Global Institute

MoST (2016) Outline of the National Strategy on Innovation-Driven Development – Background Briefing, 23.05.2016, http://www.china.com.cn/zhibo/zhuanti/ch-xinwen/2016-05/23/content�38515829.htm (letzter Zugriff: 8.11.2017)

Schmid, Jon; Wang, Fei-Ling (2017) Beyond National Innovation Sys-tems: Incentives and China’s Innovation Performance, Journal of Contemporary China, 26:104, 280-296, DOI: 10.1080/10670564.2016.1223108

State Council (2006) The National Medium-and Long-Term Program for Science and Technology Development (2006-2020) – An Outline (englische Version), https://www.itu.int/en/ITU-D/Cybersecurity/Docu-ments/National�Strategies�Repository/China�2006.pdf (letzter Zu-griff: 8.11.2017)

State Council (2015) 中国制造2025, Dekret des Staatsrats 28/2015 vom 8.5.2015, Xinhua News Agency, 19.05.2015, http://news.xin-huanet.com/finance/2015-05/19/c�127817932.htm (letzter Zugriff: 8.11.2017)

State Council (2017) 新一代人工智能发展规划, Dekret des Staats-rats 35/2017 vom 8.7.2017, http://www.gov.cn/zhengce/con-tent/2017-07/20/content�5211996.htm (letzter Zugriff: 8.11.2017)

Wong, Christine (2011), “The Fiscal Stimulus Programme and Public Governance Issues in China”, OECD Journal on Budgeting, Vol. 11/3. http://dx.doi.org/10.1787/budget-11-5kg3nhljqrjl

Wu, Yanrui (2011) Total Factor Productivity Growth in China: A Re-view, Journal of Chinese Economic and Business Studies, Nr. 9, Vol. 2, S. 111-126.

Xi, Jinping (2017) 决胜全面建成小康社会 夺取新时代中国特色社会主义伟大胜利-在中国共产党第十九次全国代表大会上的报告 (Be-richt auf dem 19. Parteitag), Xinhua News Agency 27.10.2017, ht-tp://news.xinhuanet.com/politics/19cpcnc/2017-10/27/c�1121867529.htm

Zhang, Yutai; Liu, Shijin (2009) 激励创新政策选择与案例研究, Intel-lectual Property Press, Beijing.

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Einleitung

Die öffentliche Forschungsförderung soll die Entstehung neuen Wis-sens sichern und spielt damit eine zentrale Rolle in nationalen Inno-vationssystemen. Legitimiert wird die öffentliche Forschungsförde-rung mit dem Hinweis auf Marktversagen bei der Bereitstellung öf-fentlicher Güter: Der Markt bietet keine ausreichenden Anreize für private Akteure in Forschung zu investieren, die risikoreich ist, oder deren Ergebnisse auch Dritten kostenlos zugutekommen können. Davon ist nicht nur die Grundlagenforschung, sondern auch sonsti-ge Forschung betroffen, die im nationalen Interesse (z.B. für die öf-fentliche Gesundheitsversorgung oder nationale Sicherheit) durch-geführt wird (OECD o.J.). Damit die öffentlichen Mittel für die For-schung die beste Verwendung im Sinne der Ziele der Forschungspolitik finden, ist eine Governance-Struktur erforderlich, die durch wirksame Anreize und Kontrollstrukturen das Verhalten der Akteure beeinflusst. Dazu zählen die ausführenden Organisatio-nen der Forschung wie Universitäten und Forschungsinstitute sowie die im Forschungsfördersystem aktiven Verwaltungsorganisationen.

Diese Zusammenhänge gelten grundsätzlich auch für China. Aller-dings gilt das chinesische Forschungssystem insgesamt als wenig ef-fizient sowie anfällig für die Fälschung von Forschungsergebnissen und Korruption, obwohl bemerkenswerte Erfolge in Forschung und Entwicklung (F&E) erzielt wurden. Um den angestrebten Aufstieg an die internationale Spitze der Forschung zu erreichen, hat die 2012/2013 neu gewählte politische Führung für die öffentliche For-schungsförderung vielschichtige Reformen beschlossen. Hierzu zäh-len u.a. die Restrukturierung der nationalen F&E-Programme, die Trennung von Finanzierung, Forschung, Projektmanagement und Evaluation der Performanz sowie die Neuausrichtung der Anreizsys-teme für Wissenschaftler.

Im Folgenden wird ein Überblick über die Ziele und Instrumente der Reformen und ihre bisherige Umsetzung gegeben. Anschließend wird diskutiert, wie sich diese Reformen auf die deutsch-chinesische Forschungskooperation auswirken.

Herausforderungen im chinesischen Forschungs-fördersystem

Die Reformen sind eine Reaktion auf umfängliche Kritik, die sowohl von Wissenschaftlern als auch Vertretern der Administration vorge-bracht wurde und Eingang in nationale Reformpläne gefunden hat. Ein Beispiel ist die Einschätzung zur Umsetzung des mittel- und langfristigen Innovationsprogramms (2006-2020) durch die vom chi-nesischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MoST) im Jahr 2014 eingeladenen ausländischen Experten. Diese Wissen-schaftler sahen insbesondere Probleme hinsichtlich der Governance und Integrität der Forschung. So gab und gibt es trotz spezieller Trainingsseminare an den Hochschulen und Forschungsinstituten für Wissenschaftler und Studenten zu den Regeln wissenschaftlicher Ethik immer wieder Berichte über Plagiate in der Forschung und den Missbrauch von Forschungsmitteln.1 Ein prominentes aktuelles Bei-spiel ist die offizielle Ermittlung durch das MoST gegen 400 Wissen-schaftler, denen vorgeworfen wird, dass sie Gutachten für ihre Arti-kel in der Zeitschrift „Tumor Biology“ im Zeitraum 2012-2016 ge-fälscht haben. Der Springer-Verlag hatte im April 2017 insgesamt 107 Artikel zurückgezogen, an denen diese Autoren beteiligt waren (Normile 2017).

Das Problem der Korruption im Forschungsförderungssystem wurde vor allem auf systemische Verzerrungen zurückgeführt. So stellten intransparente Richtlinien bei der Vergabe von Forschungsmitteln und fehlende Kontrollmechanismen einen fruchtbaren Boden für Korruption dar (Qiu 2014). Erhöht wurde die Korruptionsanfälligkeit auch dadurch, dass die Verwaltungen in der Forschungsförderung sowohl für die Auswahl als auch für das Management der Projekte verantwortlich waren (Luo 2015). In den jüngsten Reformdokumen-ten konzentriert sich die Kritik am Forschungssystem und an der Forschungsförderung2 vor allem auf die Ineffizienz der Förderstruk-

1 Der internationale “Workshop on MLP Mid-term Evaluation“ fand im Januar 2014 in China statt (McCuaig-Johnston and Zhang, 2015, S. 36-37).2. Zu den wichtigsten Reformdokumenten zählen die vom ZK der KPCh und dem Staatsrat 2012 vorgelegten „Vorschläge zur Vertiefung der Reform des Wissen-schafts- und Technologiesystems und Beschleunigung des Aufbaus des nationalen Innovationssystems” und die Direktive Nr. 64 des Staatsrats von Dezember 2014 („Plan zur Vertiefung der Managementreform der aus dem Haushalt der Zentralre-

Dr. Margot Schüller,Senior Research Fellow, GIGA Institut für Asien-Studien

Reform der öffentlichen ForschungsförderungImplikationen für die deutsch-chinesische Kooperation

Dr. Yun Schüler-Zhou, Senior Research Fellow, Deutsche Rohstoffagentur Assoziierte Wissenschaftle-rin, GIGA Institut für Asien-Studien

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turen: Zu viele Organisationen seien involviert, es fehle eine Gesamt-koordination und die Ressourcen seien stark fragmentiert. Häufig würden sich Förderprogramme überlappen und damit die Möglich-keit bestehen, mehrfach Forschungsmittel für gleiche Projekte zu be-antragen. Vor diesem Hintergrund werden die effektive Nutzung von Fördermitteln und die Verbesserung der Transparenz als allgemeine Reformziele genannt. Als konkrete Maßnahmen werden eine besse-re Koordination durch sogenanntes Top Level-Design, Restrukturie-rungen in der Verwaltung und eine klare Abgrenzung der Zuständig-keiten von Behörden, der Aufbau einer öffentlichen Projekt-Platt-form, die Zusammenführung von Ressourcen und wirkungsvollere Anreizsysteme für Wissenschaftler angekündigt. Die einzelnen Re-formpunkte im Bereich der Forschungsförderung werden im Folgen-den vorgestellt.

Reformschritte und bisherige Umsetzung

Zu den Neuerungen in der Governance-Struktur zählen die Grün-dung neuer Organisationen zur Koordination und Abstimmung von Politiken und Programmen sowie die strukturelle Anpassung der För-derprogramme. Die Umsetzung der Forschungsförderreform begann 2014 und soll Ende 2017 abgeschlossen sein.

Neue Organisationen und Koordinationsmechanismen

Die ZK-Führungsgruppe Wie in anderen Reformbereichen wurde eine Führungsgruppe (ling-dao xiaozu) unter Leitung eines hochrangigen Parteimitglieds ge-gründet. Im Jahr 2013 nahm in Ergänzung zur bestehenden Füh-rungsgruppe (Lenkungsausschuss) für Wissenschaft, Technologie und Bildung (LGSTE, unter Leitung von Ministerpräsident Li Keqiang) eine spezielle Führungsgruppe für Reformen des Wissenschafts- und Technologiesystems sowie für den Aufbau des Nationalen Innovati-onssystems (NIS) ihre Arbeit auf. Die Leitung erhielt Liu Yandong, ZK-Mitglied und seit 2013 stellvertretende Ministerpräsidentin. Die Führungsgruppe ist für die Koordination der in der LGSTE vertrete-nen Interessengruppen zuständig. Hierzu gehörten die National De-velopment and Reform Commission (NDRC), die Ministerien für Bil-dung (MoE), Wissenschaft und Technologie (MoST), Finanzen (MoF), Informationstechnologien (MIIT) und Landwirtschaft (MoA) sowie die Präsidenten der Akademien und der National Natural Science Foundation of China (NSFC).

Die Interministerielle Konferenz Nach Angaben des MoST waren für die rund 100 Förderprogramme und –projekte mehr als 40 verschiedene Regierungsabteilungen zu-ständig. Die Mitte Mai 2015 gegründete Interministerielle Konferenz soll die Kohärenz der Strategien und Schwerpunktprogramme ver-bessern. Der MoST-Minister leitet die Organisation und wird vom Parteisekretär der KPCh im MoST dabei unterstützt. Das Finanzminis-terium und die NDRC sind weitere wichtige Teilnehmer der Intermi-nisteriellen Konferenz. Die Interministerielle Konferenz setzt sich aus Mitgliedern von 31 Behörden und Institutionen zusammen, die min-destens den Rang eines Vizeministers haben. Sie ist verantwortlich für die Entwicklung der Wissenschafts- und Technologiestrategie, für

gierung finanzierten Wissenschafts- und Technologieprogramme (Projekte, Fonds, etc)“. Ende 2016 und Mitte 2017 wurden außerdem vom MoST und dem MoF Bestimmungen für die wissenschaftliche Evaluierung sowie Durchführungsbestim-mungen für die Finanzierung und Verwaltung von Schwerpunktprojekten veröf-fentlicht, die sich auf die Reformdokumente Nr. 11 und Nr. 64 beziehen.

Planung und Design der Programme sowie für die Auswahl und Zu-sammensetzung der „Kommission für strategische Beratung und umfassende Begutachtung“. Zudem besitzt sie eine Kontrollfunktion gegenüber den spezialisierten Organisationen für das Management von Forschungsprojekten bzw. den Projektträgern. Die Interministeri-elle Konferenz tagte erstmals im Mai 2015 und im Jahr 2016 drei Mal.

Die Interministerielle Konferenz besteht aus drei Durchführungssäu-len und einem Verwaltungssystem in Form einer einheitlichen Ver-waltungs- und Informationsplattform (siehe Tabelle 1). Die speziali-sierten Managementorganisationen (Projektträger) sind für das Ma-nagement von Förderprogrammen zuständig. Sie bearbeiten Projektanträge, organisieren deren Begutachtung, legen Projektdo-kumentationen an, verwalten den Ablauf der Projekte, und überprü-fen die Endberichte. Sieben öffentliche Einrichtungen wurden hierfür ausgewählt: das High Tech Research and Development Center (Ad-ministrative Center for Basic Research), das Administrative Center for China's Agenda 21, das China National Center for Biotechnology Development, das China Rural Technology Development Center, das Industry Development and Promotion Center, das National Agricul-tural Technology Extension and Service Center und das Development Center for Medical Science and Technology. Das MoST spielt hier ei-ne zentrale Rolle, denn vier der Projektträger sind diesem Ministeri-um zugeordnet, die anderen dem MIIT, Ministerium für Gesundheit (MoH) und MoA.

Tabelle 1: Struktur der Interministeriellen KonferenzInterministerielle

Konferenz

Spezialisierte Management- organisationen (Projektträger)

Kommission für strategische Beratung

und umfassende Bewertung

Einheitlicher Evaluierungs- und Überwachungs-mechanismus

Einheitliche Verwaltungs- und Informationsplattform für Wissenschaft und Technologie

Quelle: Eigene Zusammenstellung basierend auf Reformdokument Nr. 64

Die „Kommission für strategische Beratung und umfassende Bewer-tung“ berät vor allem bei strategischen Entscheidungen wie Planung der Gesamtentwicklung und Festlegung von Schlüsselprogrammen für F&E. Ihre Mitglieder sind hochrangige Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft. Die als „Einheitlicher Evaluierungs- und Überwa-chungsmechanismus“ benannte dritte Säule soll ein abgestimmtes Vorgehen in allen Bereichen ermöglichen. Dieser Mechanismus zielt auf klare Verantwortlichkeiten, Transparenz und Kontrolle der Mittel-verwendung. Konkret sollen für die Evaluation von W&T-Program-men externe Organisationen in einem wettbewerblichen Prozess ausgewählt werden. Die Ergebnisse der Evaluierungen bilden ihrer-seits die Grundlage für die weitere Planung von Programmen sowie die Finanzierung der Forschungsinstitute und Projektträger.3 Die „Einheitliche Wissenschafts- und Technologieverwaltungs- und Infor-mationsplattform“ bietet ein standardisiertes Projektinformationssys-

3 Eine wichtige Evaluationsorganisation ist das 1997 gegründete National Center for Science and Technology Evaluation (NCSTE). Es ist dem MoST zugeordnet und hat die Aufgabe, eine unvoreingenommene und wissenschaftliche Begutachtung von staatlich geförderten Forschungsprogrammen vorzunehmen. Auch die Evaluie-rung des 863-Programms wurde von NCSTE durchgeführt. An dieser Stelle möch-ten wir den Mitarbeitern des NCSTE für ihre freundliche Unterstützung danken.

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tem, in dem Daten über Förderbedarf, Richtlinien, Beantragung und Aufnahme von Projekten, Budgetplanung, Kontrolle und Prüfung sowie Abnahme der Projekte zusammengeführt werden. Auch die Ergebnisse der Evaluierung sollen in das Informationssystem aufge-nommen werden. Der Zugang ist auch von außerhalb Chinas mög-lich: http://service.most.gov.cn.

Grundsätzlich soll die Finanzierung auf verschiedenen Quellen basie-ren, neben Finanzmitteln aus dem Haushalt der Zentralregierung und der Lokalregierungen auch auf Eigenmitteln der Institute sowie sonstigen Drittmitteln. Zudem sollen die Mittel der öffentlichen For-schungsfinanzierung auf Projekte von zentraler Bedeutung konzent-riert werden. Das Finanzierungsmanagement soll zentral organisiert werden, um die mehrfache Finanzierung ähnlicher Projekte zu ver-meiden.

Restrukturierung der FörderprogrammeZiel der Restrukturierung ist die Zusammenführung bestehender För-derprogramme in eine neue Programmstruktur, die fünf Kategorien (siehe Tabelle 2) umfasst. Die Projekte der National Natural Science Foundation of China (NSFC) fördern Grundlagen- und Spitzentech-nologieforschung, Talententwicklung und Teambildung sowie die In-novationskapazität. In diesen Bereichen soll die Förderung zukünftig ausgedehnt werden. Die Nationalen Schwerpunktprojekte für Wis-senschaft und Technologie („Major National S&T Projects“) zielen auf die Entwicklung von strategischen Produkten und Industrien. Im Zuge der Reform wird eine stärkere Fokussierung angestrebt, so dass die Anzahl der Förderprogramme reduziert wurde. Für diese Schwerpunktprojekte sind MoST, NDRC und MoF verantwortlich, die Leitung übernimmt MoST. Das Fördersystem wird durch ein neues Organisationsbüro unterstützt. Es gibt insgesamt 16 Schwerpunkt-projekte, davon zehn in der zivilen Forschung. Für jedes Projekt gibt es eine zuständige Monitoring- und Evaluierungsgruppe. Eine zu-sätzliche Evaluierungsgruppe übernimmt die Gesamtevaluierung der Projekte. Die erste Sitzung dieser übergeordneten Gruppe fand Mit-te Oktober 2015 statt. Vorbild für den Aufbau der Governance-Struktur ist die Defense Advanced Research Projects Agency (DAR-PA), eine Behörde des US-Verteidigungsministeriums, die For-schungsprojekte für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten durchführt.

Tabelle 2: Zuordnung der FörderprogrammeFünf Kategorien Zuordnung folgender Programme

zu den fünf Kategorien

National Natural Science Foundation (NSFC)

- National Nature Science Foundation bleibt bestehen- Stärkere Betonung interdisziplinärer Forschung

Nationale Schwerpunktprojekte für Wissenschaft und Technologie

- National Basic Research Program (973), National Hightech R&D Program (863), National Key Technology R&D Program, International S&T Cooperation Program - NDRC & MIIT: Research Fund for Industrial Technologies - Verschiedene Ministerien: Programs for Research in Public Welfare Industries

Stimulusprogramm für F&E - NDRC & MoF: Venture Capital Fund for Emerging Industries - MoST: Politische Anreizprogramme darunter u.a. der Funken- und der Fackelplan, Technology Transfer and Commercialization - MoF, MoST, MIIT, MoFCOM: Development Fund for Small- and Medium Enterprises

Industriebasis- und Humankapitalprogramm

- MoST: National (Key) Laboratories, National Engineering Research Centers, National S&T Infrastructure Centers- NDRC: National Engineering Laboratories, National Engineering Research Centers

Quelle: Eigene Zusammenstellung auf der Basis des Reformdokuments Nr. 64

Das Nationale Schlüsselprogramm für F&E („Key National R&D Pro-gram“) hat den größten Förderanteil an den fünf Kategorien. Dazu gehören die Teilbereiche 1) wichtige Forschungen im öffentlichen In-teresse mit langer Entwicklungszeit (wie Landwirtschaft, Energie, Umwelt, Gesundheitswesen), 2) wichtige strategische, grundlegen-de und zukunftsorientierte wissenschaftliche Fragestellungen (wie industrielle Konkurrenzfähigkeit, eigenständige Innovationskapazität und Sicherheit), 3) wichtige allgemeine Schlüsseltechnologien und -produkte sowie 4) wichtige internationale Wissenschaftskooperati-onen. Folgende Programme wurden in diese Kategorie integriert: Das „National Basic Research Program“ (973 Program), „National High Technology R&D Program” (863 Program), „S&T Supporting Program”, „Program for Key International S&T Cooperation Pro-jects”, „Research Fund for Industrial Technologies“ von NDRC und MIIT sowie die Programme für „Research in Public Welfare Indust-ries“ mehrerer Ministerien. Durch die Zusammenfassung der Förde-rung soll eine Innovationskette von der Grundlagen- und Spitzen-technologieforschung über die Schlüsseltechnologieentwicklung bis hin zur Anwendung entstehen.

In der Kategorie Stimulusprogramm für technische Innovationen („Incentive Program for Tech Innovation“) wurden folgende Pro-gramme zusammengeführt: „Venture Capital Fund for Emerging In-dustry” des NDRC und MoF, die „Politischen Anreizprogramme” und “National Fund for Technology Transfer and Commercializati-on” von MoST, der „Development Fund for Small- and Medium Enterprises“ von MoF, MoST, MIIT und MoFCOM sowie sonstige För-derprogramme, die die technologische Innovation der Unternehmen unterstützen. Staatlich geförderte Finanzierungsmodelle wie Angel Investment, Venture Capital und Risikokompensation werden als Er-gänzung zum sonstigen privaten Kapital eine größere Rolle spielen, um technologische Innovationen stärker als in der Vergangenheit zu unterstützen. Die indirekte Unterstützung der Regierung wie bei-spielsweise durch Einführung und Verbesserung von Steuervergüns-tigungen oder durch das staatliche Beschaffungswesen soll ebenfalls verstärkt werden. Ziel dieser Politik ist es, die Unternehmen zu mehr F&E-Investitionen zu motivieren, damit sie sich tatsächlich zum Hauptakteur der technischen Innovation entwickeln. Das Industrie-basis- und Humankapitalprogramm zielt auf die Optimierung der Rahmenbedingungen durch Planung, Unterstützung für den Aufbau

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der Wissenschaftsbasen und -kapazitäten, Förderung der Open-Source-Praxis sowie Unterstützung der F&E-Aktivitäten von Innovati-onstalenten und Spitzenteams.

Nach Angaben von NCSTE-Experten ist die Zuordnung der Program-me inzwischen abgeschlossen. Insgesamt gibt es bereits 50 Program-me, weitere zehn werden in diesem Jahr noch eingeführt. Die frühe-ren Programme wie das 973 oder 863 sind in der Abschlussphase, neue Anträge in diesen Programmen sind nicht mehr möglich. Zu-sammenfassend kann die Reform des Fördersystems als eine Res-sourcenintegration auf der Makroebene angesehen werden, um die Fördermittel effizienter einzusetzen. Das einheitliche Informations- und Verwaltungssystem erhöht die Transparenz und das Projektträ-gersystem erlaubt eine effizientere Abwicklung und Kontrolle.

Fazit

Die o.g. Reformen zeigen, dass die chinesische Regierung das Sys-tem der Forschungsförderung effizienter und weniger korruptions-anfällig machen will. Die engere Koordination zwischen den Ministe-rien und großen Forschungsorganisationen im Rahmen der Intermi-nisteriellen Konferenz und die Trennung zwischen Planungs- und Durchführungsorganen verbessern die Rahmenbedingungen. Die einheitliche Informations- und Verwaltungsplattform schafft mehr Transparenz und erleichtert Kontrolle. Zugleich bedeutet die Reform des Forschungsfördersystems eine Annäherung an westliche Stan-dards. Ausländische Erfahrungen wurden für die Reform herangezo-gen, vor allem aus den Bereichen Evaluation, Qualitätssicherung, Projektmanagement und Fördermechanismen. Damit entstehen neue Chancen für Deutschland, eigene Erfahrungen durch Koopera-tion weiterzugeben. Die im Januar 2016 vereinbarte Zusammenar-beit zwischen dem deutschen Projektträger DLR und dem National Center for Science and Technology Evaluation (NCSTE) ist ein wichti-ger Schritt auf dem Weg, zukünftig in bilateralen Förderprogram-men mit einheitlichen Umsetzungsmodalitäten zu operieren.

Die NCSTE-Experten gehen davon aus, dass die Umsetzung der Re-formen bis Ende 2017 möglich sein wird und das alles „nach Plan“ läuft. Obwohl die Autorinnen Zweifel haben, ob die Umstellung die erwünschte Wirkung erzielen wird, kann durchaus davon ausgegan-gen werden, dass die Zusammenführung der Förderprogramme und Konzentration von Ressourcen auf wichtige Forschungsfragen und Projekte eine Unterstützung bei strategisch wichtigen Forschungs-themen ermöglicht. In diesem Zusammenhang gewinnt das Monito-ring der Förderschwerpunkte und der Erfolge der geförderten Pro-jekte an Bedeutung.

Die erfolgreiche Umsetzung der Reform des Fördersystems hängt al-lerdings zusätzlich von Reformen in anderen Bereichen ab. Das be-trifft zum einen die Anpassung des Anreizsystems für die Wissen-schaftler, zum anderen die Restrukturierung der großen Forschungs-akademien. Das bisherige Gehaltssystem hat die Wissenschaftler dazu motiviert, so viele Projektanträge wie möglich zu stellen, um ihr Einkommen durch die Einwerbung von Drittmitteln aufzubessern. Fragen der Qualität der Projekte und der Forschungspartner wurden darüber vernachlässigt. Seit 2013 findet die Restrukturierung der Forschungsakademien statt, die eine herausragende Rolle in der Grundlagen- und angewandten Forschung spielen und eine Vorrei-terfunktion bei Strukturreformen für andere staatliche Forschungs-

einrichtungen sowie Hochschulen besitzen. Hieraus ergeben sich neue Ansätze für die bilaterale Kooperation zwischen nicht-universi-tären Forschungsinstituten in Deutschland und China.

Literatur

Luo, Wangshu (2015): State reforms science funding to improve spending efficiency, in: The State Council, http://english.gov.cn/poli-cies/policy�watch/2015/01/15/conten�281475039390831.htm (Zu-griff 30.1.2016)

McCuang-Johnston, Margaret and Zhang, Moxi (2015): China Em-barks on Major Changes in Science and Technology, University of Al-berta.

Normile, Dennis (2017): China cracks down after investigation finds massive peer-review fraud http://www.sciencemag.org/news/2017/07/china-cracks-down-after-investigation-finds-massive-peer-review-fraud (Zugriff 20.8.2017)

Qiu, Jane (2014): Scientists caught in Chinese anti-corruption sweep, in: Nature, News, 16 October, http://www.nature.com/news/scien-tists-caught-in-Chinese-anti-corruption-sweep.(Zugriff 20.2.2016)

OECD (o.J.) Public research policy. https://www.oecd.org/sti/outlook/e-outlook/stipolicyprofiles/competencestoinnovate/publicre-searchpolicy.htm (Zugriff 20.11.2017)

Anmerkung

Daten und Erkenntnisse dieses Policy Brief basieren auf einer Unter-suchung der Autorinnen zur „Analyse aktueller Programme und Strategien der Wissenschafts- und Technologiepolitik Chinas“, die vom BMBF von Oktober 2015 bis März 2016 gefördert worden war.

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Die Sicht der deutschen Industrie auf chinesische Hochtechnologie-Investitionen in Deutschland

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Abstract

Die deutsche Industrie lehnt derzeit zusätzliche staatliche Eingriffs-möglichkeiten bei Übernahmen deutscher Unternehmen aus dem Ausland ab. Der bestehende Rechtsrahmen stellt den Schutz der öf-fentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich von Unternehmens-übernahmen ausreichend sicher. Dies gilt auch für Übernahmen aus China. Dennoch wird auch in der deutschen Industrie wahrgenom-men, dass wir uns mitten in einem Systemwettbewerb mit China be-finden. Marktwirtschaft hier versus „sozialistische Marktwirtschaft“ mit massiver staatlicher Wirtschaftslenkung und Innovationsförde-rung dort. Aus Sicht der Industrie ist klar: In diesem Systemwettbe-werb können wir nur bestehen, wenn Bundesregierung, Bundestag, Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam alles dafür tun, die Innova-tionsfähigkeit der Industrie am Standort Deutschland zu verbessern. Deutschlands Offenheit im internationalen Wettbewerb ist für die Zukunftsfähigkeit der Industrie ebenso elementar wie der markt-wirtschaftsbasierte Wettbewerb. Die Kapitel 1 bis 3 stellen wichtige Ausschnitte des Sachverhalts dar, Kapitel 4 fasst die Diskussion in der deutschen Industrie und die BDI-Position zusammen, während der Ausblick im Kapitel 5 die Einschätzung des Autors widerspiegelt.

Chinesische Investitionen in Deutschland – gut oder schlecht?

Die Debatte, ob chinesische Investitionen in Deutschland für die deutsche Volkswirtschaft einen positiven oder einen negativen Net-toeffekt haben, entzündete sich im Sommer 2016 an der Übernah-me des Augsburger Industrie-Roboter-Herstellers Kuka und dem Übernahmeversuch des Herzogenauracher Anlagenbauers für Halb-leiterfertigung, Aixtron. Während die Kuka-Übernahme durch den chinesischen Mischkonzern Midea mit dem „financial closing“ mit einem Gesamtvolumen von 4,4 Mrd. € Anfang 2017 abgeschlossen wurde, blieb der Übernahmeversuch von Aixtron durch Grand Chip Investment erfolglos. Diese Übernahme scheiterte, weil der für die Genehmigung von Investitionen in den USA zuständige interministe-rielle Ausschuss der US-Regierung (CIFIUS) für den Verkauf der US-Tochter von Aixtron an den Bieter Grand Chip Investment keine Frei-gabe erteilte und einen Vorbehalt aufgrund nationaler Sicherheitsin-teressen aussprach. Grand Chip Investment zog daraufhin im

Friedolin Strack, Abteilungsleiter, Internationale Märkte, BDI e.V.

November 2016 sein Kaufangebot für Aixtron zurück. Viele andere chinesische Übernahmen in Deutschland gingen zuvor geräuschlos oder sogar mit positiver Wahrnehmung im Markt über die Bühne, darunter die des Betonpumpenherstellers Putzmeister und des Her-stellers von Aufbauten für Feuerwehrfahrzeuge, Ziegler.

Drei Faktoren, die weit über die Fragestellungen der einzelnen Übernahmen hinausgehen, bestimmen die Debatte um chinesische Übernahmen:

Asymmetrie im Marktzugang: In der EU besteht freier Marktzugang für den Warenhandel und freier Zugang für den Handel von Dienstleistungen (soweit kein Per-sonenverkehr betroffen ist). Bei Investitionen in Deutschland besteht vollständige Freiheit für „greenfield investment“ und nur minimale Einschränkungen aufgrund nationaler Sicherheit beim Aufkauf deutscher Unternehmen. In China sind ganze Branchen für auslän-dische Investitionen (sowohl greenfield als auch M&A) geschlossen (Luft- und Raumfahrtindustrie) und eine Reihe von Branchen sind mit Joint-Venture-Zwang (u. a. Automobil, Teile der Chemieindust-rie, Finanzdienstleistungen) unterlegt. Das EUCCC-Positionspapier kritisiert beispielsweise, dass die chinesische Regierung in jüngerer Vergangenheit zwar vielversprechende Ankündigungen zur Markt-öffnung gemacht, aber bislang kaum eine davon umgesetzt hat.

Systemwettbewerb:Die EU stellt marktwirtschaftliche Grundlagen für einen offenen in-ternationalen Wettbewerb bereit. In China herrscht dagegen eine „sozialistische Marktwirtschaft“ mit umfassenden staatlichen Ein-griffsmöglichkeiten zur Steuerung der Wirtschaft. Auf Staatsunter-nehmen und staatlich gelenkte Unternehmen entfällt ein großer Anteil der chinesischen Unternehmen und der Arbeitsplätze im Land. Das chinesische Modell ist zudem geprägt von intransparen-ten Eigentums-, Kontroll- und Finanzierungsstrukturen. Im direkten Wettbewerb um Kunden, aber auch im Bieterwettbewerb um po-tenzielle Akquisitionen, schadet es deutschen und europäischen Fir-men unmittelbar, dass sich die Wettbewerbsbedingungen nicht auf beiden Seiten an Marktkriterien orientieren. In Einzelfällen kann na-türlich ein Gewinn eintreten: Wenn ein chinesischer Bieter im Ver-gleich zu anderen Marktteilnehmern überhöhte Preise zu zahlen be-reit und wegen der Rahmenbedingungen in China zu zahlen in der Lage ist, profitiert der bisherige Eigentümer des Unternehmens.

Innovationsstrategie:In Deutschland fokussiert der Staat auf Grundlagenforschung und unterstützt die Industrie bei der angewandten Forschung auf der Grundlage der gemeinsamen Überzeugung, dass neue Technologi-en und neue Produkte am effizientesten in der Industrie entwickelt und von der Industrie in den Markt gebracht werden. Dabei werden alle Marktteilnehmer gleichbehandelt, solange sie in Deutschland Wertschöpfung erbringen, unabhängig davon, ob es deutsche, eu-ropäische oder ausländische Unternehmen sind. China hat ein Sys-tem staatlicher Innovationslenkung mit klaren Zielvorgaben etab-

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liert, welche Hochtechnologie-Sektoren in der chinesischen Volks-wirtschaft gefördert werden sollen. Diese sind unterlegt mit substanziellen staatlichen Forschungsfonds, in deren Genuss in der Praxis vor allem chinesische Unternehmen kommen. Mit der „Made in China 2025“-Strategie wurde eine neue langfristige Strategie ent-wickelt mit der Identifizierung einzelner Hochtechnologie-Branchen, in denen China mit den eigenen Unternehmen internationale Wett-bewerbsfähigkeit erreichen will. Einzelne Elemente der Strategie sind daher nicht wettbewerbsneutral, sondern bevorzugen chinesi-sche Unternehmen gegenüber westlichen Firmen in China und schränken den gleichberechtigten Wettbewerb ein. Daher ist die Frage sehr berechtigt, ob die Akquisition von Technologie-Unterneh-men im Ausland ein Kernbestandteil der chinesischen Innovations-strategie ist und inwieweit der deutschen Volkswirtschaft dadurch langfristig ein Schaden entsteht. Fester Bestandteil der chinesischen Innovationsstrategie sind seit Jahrzehnten auch Regelungen zum er-zwungenen Technologietransfer. Erzwungener Technologietransfer (Gewährung von Marktzugang im Tausch gegen Technologie) findet über den Joint-Venture-Zwang statt, über öffentliche Ausschreibun-gen, über die CC-Zertifizierung, über Regulierungen zu „indigenous innovation“, über Investitionsgenehmigungen oder über das Cyber Security Law. Auflagen betreffen beispielsweise die Offenlegung des sog. Detailed Engineering oder die Offenlegung von Quellcodes.

Die Frage, wie sehr wir die Innovationsstrategie Chinas als Chance oder als Bedrohung ansehen sollten, wird auch in der deutschen In-dustrie unterschiedlich bewertet. Die deutsche Industrie profitiert von intensiven Handelsverflechtungen mit anderen Hochtechnolo-gieländern. Entsprechend verspricht die Entwicklung Chinas zum Hochtechnologiestandort viele Chancen. Zur Bedrohung wird die chinesische Innovationsstrategie aus Sicht einiger Marktteilnehmer deshalb, weil die gezielte Förderung der nationalen Industrie zusam-menfällt mit Faktoren, die China unabhängig von staatlichen Strate-gien in den Mittelpunkt zukunftsorientierter Geschäftsstrategien deutscher Unternehmen rückt: Marktgröße, Technologie-Affinität und Marktdynamik. Der chinesische Markt umfasst nicht nur 1,3 Milliarden Menschen mit stetig wachsender Kaufkraft, sondern zeichnet sich auch dadurch aus, dass diese Menschen (wie andere in Asien) sehr Technologie-affin sind. Ein Beispiel, an dem dies deutlich wird: Im vergangenen Jahr wurde das Volumen von Mobile Payment in China (Zahlungen per Smartphone mit Alipay, Tenpay und ande-ren Bezahl-Apps) auf 8.912 Mrd. US-Dollar geschätzt, ungefähr 50-mal so hoch wie in den USA. Die Marktdynamik zeigt sich darin, dass kein Land der Welt in den letzten 30 Jahren konstant so schnell gewachsen ist wie China. Und es gibt keine Anzeichen, dass China in den nächsten Jahren auf ein Wachstum von unter sechs Prozent fällt.

Darüber hinaus trägt die langfristige strategische Orientierung der chinesischen Politik, maßgeblich geprägt durch die Kommunistische Partei und dessen Vorsitzenden, Staatspräsident Xi Jinping, für die „Made in China 2025“ nur ein Indikator ist, zur „gefühlten Bedro-hung“ durch China bei.

Die Dimension chinesischer Auslandsinvestitionen

Im Jahr 2015 investierten chinesische Firmen erstmals mehr im Aus-land als ausländische Firmen in China. Für 2016 schätzt die Welt-bank die in diesem Jahr getätigten chinesischen Direktinvestitionen

im Ausland (Transfers) auf 217 Mrd. US-Dollar, etwa 2/3 der Trans-fers von US-Firmen ins Ausland, etwa dreimal so viel wie deutsche Firmen im Ausland investierten. Chinesische Firmen starten aber von einem vergleichsweise geringen Niveau, was den Bestand ausländi-scher Direktinvestitionen anbelangt. Während Firmen und Investoren aus der EU bis zum Ende des Jahres 2016 9.111 Mrd. US-Dollar und US-Firmen 6.384 Mrd. US-Dollar im Ausland investiert hatten, be-läuft sich der Bestand chinesischer Direktinvestitionen nur auf 1.281 Mrd. Dollar, fast exakt das Volumen, das die vergleichsweise kleine deutsche Wirtschaft im Ausland kumuliert investiert hat (UNCTAD 2017).

Von den gesamten Auslandsinvestitionen Chinas gingen im Jahr 2016 mehr als zwei Drittel nach Europa und Nordamerika. Auf die EU entfielen dabei rund 35 Milliarden €, ein Wachstum von 77% gegenüber 2015. Die größten Übernahmen in der EU waren die Su-percell-Akquisition (online-games, Finnland) durch Tencent, die Ku-ka-Akquisition durch Midea und die Minderheitsbeteiligung von CHN Consort an Global Switch. Der noch größere Aufkauf von Syn-genta durch ChemChina wird erst in die 2017er-Zahlen fallen. Trotz der raschen Zunahme der chinesischen Direktinvestitionen führt der Titel der MERICS-Publikation zu diesem Thema „growing imbalan-ces“ (Hanemann/Huotari 2017) zu einer falschen Wahrnehmung: Während deutsche Firmen rund 70 Mrd. € in China investiert haben, belaufen sich die chinesischen Direktinvestitionen in Deutschland selbst bei großzügiger Rechnung laufender Akquisitionsvorhaben auf nicht mehr als 15 Mrd. €.

Für die Beurteilung, welchen Beitrag Auslandsinvestitionen zur Volkswirtschaft des Ziellandes leisten, spielt die Art der Investitionen eine entscheidende Rolle. Deutsche Unternehmen, auch Joint Ven-tures, tätigen in China zum großen Teil sog. „greenfield invest-ment“. Sie bringen ihre Technologie mit nach China, schaffen in China neue Arbeitsplätze und verlagern Elemente der globalen Wertschöpfungskette in wichtigen Hochtechnologiebereichen nach China, die dort vielfach nicht vorhanden waren. Welchen Stellen-wert diese Investitionen für die chinesische Volkswirtschaft haben, lässt sich an zwei Zahlen ablesen: 80% der chinesischen Hochtech-nologie-Exporte der letzten zehn Jahre stammten aus ausländisch in-vestierten Unternehmen in China. Von diesen 80 % wiederum ent-fielen drei Viertel auf sog. Wholly Foreign Owned Enterprises und nur 20% auf Joint Ventures (Kroeber/Wang 2017).

Ganz anders die chinesischen Investitionen: Hier sprechen wir bei der überwiegenden Zahl der Fälle von Übernahmen bestehender Technologie-Werte in Europa. Eine Rolle spielen aber auch reine Fi-nanzbeteiligungen (HNA-Anteile an der Deutschen Bank beispiels-weise). Einige Firmen haben in der Tat auch Investitionen getätigt, die mit denen deutscher Firmen in China vergleichbar sind. Beispiele hierfür sind der chinesische IT-Konzern Huawei oder das Forschungs-zentrum des Baumaschinenkonzerns Sany in Nordrhein-Westfalen, das schon einige Jahre vor der Putzmeister-Übernahme gegründet wurde.

Putzmeister (ebenso wie Volvo in Schweden oder Ziegler in Heiden-heim) sind dagegen Beispiele für Übernahmen von Firmen, die ohne Investor aus China wohl heute in dieser Form nicht mehr bestehen würden. Durch die Integration der Firmen in einen chinesischen Großkonzern konnte deren Vertriebsnetz in China für die Produkte und Lösungen aus Deutschland genutzt werden. In den genannten

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Fällen hat dies dazu geführt, dass die Absatzzahlen in China die Ar-beitsplätze in Deutschland sichern konnten. Aufkäufe deutscher Un-ternehmen können damit durchaus dazu beitragen, dass deutsche Technologie erhalten bleibt.

Reaktionen aus der Politik

Im Jahr 2016 wurden zwei China-Themen nicht nur in der Wirt-schaft, sondern auch in der Politik intensiv diskutiert: Das Auslaufen des Marktwirtschaftsstatus Chinas im EU-Anti-Dumping-Instrumen-tarium im Dezember 2016 und die Übernahme deutscher Technolo-giefirmen durch chinesische Investoren. Dabei gab es in der EU aus unterschiedlichen politischen Lagern Vorstöße, sowohl den Dum-ping-Schutz gegen chinesische Importe als auch den Schutz vor chi-nesischen Übernahmen zu verbessern. Als Gradmesser für die Vor-stöße zur schärferen Investitionskontrolle kann der gemeinsame Brief der Wirtschaftsminister Deutschlands, Frankreichs und Italiens an die EU-Kommission im Februar 2017 angesehen werden. Drei Begriffe prägen in diesem Zusammenhang die Diskussion in Deutschland und in vielen westlichen Ländern: Reziprozität, Investment Screening und Critical Infrastructure.

Reziprozität:Unter diesem Stichwort findet bereits seit vielen Jahren eine Diskussi-on statt, deren Hintergrund die wachsende Frustration in vielen westlichen Ministerien, Unternehmen und Verbänden über mangeln-de Marktöffnungsschritte Chinas ist. Tenor: Wenn China dem Druck ausländischer Regierungen, seinen Markt zu öffnen, nicht nachgibt, müssen handfeste Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die Frage „Warum müssen wir unseren Markt weiter offenhalten, wenn China seinen Markt nicht öffnet?“ impliziert die Überlegung, gezielte Marktbarrieren auch in der EU und in Deutschland einzuführen.

Investment Screening:Unter dem Begriff „Investment Screening“ werden von der Politik zwei unterschiedliche Aspekte gemeint: Zum einen geht es um mehr Transparenz der Investitionen. Häufig sind Eigentümerstrukturen und Kreditbeziehungen auf chinesischer Seite intransparent. Hier meint Investment Screening den Zwang zur Offenlegung von Firmenver-flechtungen. Die US-Administration und die Wirtschaftsministerien Deutschlands, Frankreichs und Italiens gehen einen Schritt weiter und verstehen unter „Screening“ auch die Möglichkeit, Übernah-men durch chinesische Investoren zu blockieren. Über viele Jahre galt der Konsens, dass in westlichen Ländern Investitionen aus dem Aus-land nur dann blockiert werden dürfen, wenn sie nationale Sicher-heitsinteressen gefährden. Dieser Konsens ist aufgekündigt.

Critical Infrastructure:Das Einfallstor für die Einbeziehung ökonomischer Interessen in die Prüfung von Auslandsinvestitionen heißt „critical infrastructure“. Hierunter wird von Regierungen in vagen Begriffsdefinitionen vieles gefasst, was Investitionen in Unternehmen mit Hochtechnologie um-fasst. Ein Beispiel hierfür bietet die im 14. Juli 2017 in Kraft getrete-ne Änderung der deutschen Außenwirtschaftsverordnung. Die No-velle erlaubt der Bundesregierung beispielsweise, Akquisitionen durch ausländische Unternehmen eine Genehmigung zu verweigern, wenn in den betroffenen Firmen „Software zum Betrieb von Anla-gen oder Systemen zur Beförderung von Personen und Gütern im Luftverkehr, im Schienenverkehr, in der See- und Binnenschifffahrt, im Straßenverkehr, im öffentlichen Personennahverkehr oder in der

Logistik entwickelt oder geändert wird“ (Bundesregierung 2017). Aufgrund der engen Verflechtung der Wertschöpfungsketten rund um die deutsche Automobilindustrie könnten über derart breite For-mulierungen Eingriffe in viele Übernahmen geltend gemacht wer-den.

Die Befürworter einer verschärften staatlichen Investitionskontrolle sehen die Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit der deutschen bzw. europäischen Industrie durch strategische und oft staatlich ge-förderte Investitionen aus China in Spitzentechnologieanbieter ge-fährdet. Es besteht die Befürchtung, dass ausländische Direktinvesti-tionen aus Ländern mit einer stark ausgeprägten industriepolitischen Agenda, wie China, zu einem unkontrollierten Abfluss von Technolo-gie und Arbeitsplätzen führen könnten.

Mit ihrem Vorschlag vom September 2017 reagierte die EU-Kommis-sion auf Forderungen einiger Mitgliedstaaten, bei Investitionsprüfun-gen aktiv zu werden. Die EU-Kommission schlägt darin ein europäi-sches Rahmenwerk für Investitionsprüfungen vor. Prüfungen sollen weiterhin ausschließlich auf der Grundlage nationaler Sicherheit und Ordnung erfolgen. Die Kommission nennt hierbei explizit die Berei-che Robotik, künstliche Intelligenz, Halbleiter, Cybersicherheit und Atomtechnologie. Die Zuständigkeit für Investitionsprüfungen soll auch weiterhin grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten liegen. Einen eigenen EU-Prüfungsmechanismus sieht die Kommission nur in sol-chen Fällen vor, in denen Projekte oder Programme der EU direkt tangiert werden. Schließlich soll der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über deren Investitionskontrollinstrumente und deren Anwendung intensiviert werden.

Wie steht die deutsche Industrie dazu?

Die Position der deutschen Industrie ist klar: Investitionen chinesi-scher Unternehmen sind in Deutschland ebenso willkommen wie die anderer Investoren auch. Daran hat auch die Debatte um Übernah-men deutscher Hochtechnologie-Unternehmen im Rahmen der chi-nesischen „Made in China 2025“-Strategie bislang nichts geändert. Die deutsche Industrie hat ein Eigeninteresse an Märkten, die sie als eine Grundlage ihrer Wettbewerbsfähigkeit ansieht.

Das Eigentumsrecht ist ein elementarer Bestandteil unserer markt-wirtschaftlichen Ordnung. Das Recht von Unternehmenseigentü-mern, über ihr Unternehmen frei zu entscheiden, beinhaltet selbst-verständlich auch das Recht, das Unternehmen an ausländische Inte-ressenten zu verkaufen. Einschnitte in das Eigentumsrecht müssen auf ein wohl begründetes Minimum im Bereich der öffentlichen Si-cherheit und Ordnung beschränkt werden. Auch wenn sich im Ein-zelfall einer Übernahme aus China negative Effekte für die deutsche Volkswirtschaft ergeben könnten, wäre der volkswirtschaftliche Schaden bei systemischen Eingriffsmöglichkeiten des Staates in In-vestitionsentscheidungen ungleich größer, so die vorherrschende Einschätzung in der deutschen Industrie, die sich in einer BDI-Positi-on dazu widerspiegelt (BDI 2017).

Die Bedeutung des Eigentumsbegriffs wird zusätzlich unterlegt von der starken Stellung von Familienunternehmen in der deutschen In-dustrie. Mehr als 90 % der Industrieunternehmen in Deutschland sind Familienunternehmen, darunter viele bekannte Großunterneh-men. Auf sie entfallen 57% des Umsatzes der deutschen Industrie und 55% der Arbeitsplätze. DAX-gelistet zu sein heißt noch lange

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nicht, dass die Unternehmen Ziel feindlicher Übernahmen werden könnten: 50% der Aktien-Gesellschaften befinden sich mehrheitlich im Familienbesitz. Familienunternehmen sind per se geschützt vor feindlichen Übernahmen. Wenn die Eigentümerfamilien ihre Firmen nicht verkaufen wollen, helfen die besten ausländischen Strategien zur Technologieerwerbung über Firmenakquisitionen nichts. Famili-enunternehmen in Deutschland wollen und brauchen keinen Schutz vor ausländischen Übernahmen.

Bei Unternehmen, deren Aktien-Mehrheit am Kapitalmarkt gestreut ist und die nicht der Gruppe von Unternehmen im Familienbesitz zu-gerechnet werden können, gibt es allerdings außerhalb der beste-henden Einschränkungen auf der Basis öffentlicher Ordnung und Si-cherheit keine Handhabe, Übernahmen zu blockieren. Auch von Sei-ten der Unternehmensleitung sind bei feindlichen Übernahmen, wie beispielsweise der Hochtief-Übernahme durch die spanische ACS-Gruppe im Jahr 2011, keine Gegenmaßnahmen möglich.

Aus Sicht des BDI waren die Kontrollmechanismen im deutschen Au-ßenwirtschaftsrecht schon vor der Novelle der Außenwirtschaftsver-ordnung im Juli ausreichend: Investitionen, die den Schutz der öf-fentlichen Ordnung und Sicherheit in Frage gestellt hätten, waren auch vor Juli 2017 ablehnungsfähig durch die Bundesregierung. Eine erste Verschärfung der Investitionskontrolle im deutschen Außen-wirtschaftsrecht wurde im August 2008 von der Bundesregierung beschlossen, insbesondere um die Energieversorgung in Deutschland zu schützen. Allerdings schien der rechtliche Rahmen vielen Investo-ren unklar. Von 2009 bis November 2016 gab es nur eine einzige vom Bundeswirtschaftsministerium initiierte Prüfung. Dieser standen eine Reihe von durch die Investoren angestrengte Prüfungen entge-gen. Die mangelnde Klarheit des bestehenden Rechts hat in 337 Fäl-len potenzielle Investoren dazu veranlasst, eine Prüfung zu beantra-gen. Den Firmen war nicht klar, ob sie bei ihren Investitionsvorhaben in Deutschland von den Eingriffsrechten des Staates betroffen waren oder nicht. In allen Fällen wurde die Unbedenklichkeit der geplanten Übernahme bescheinigt. Die größte Anzahl von Prüfungen entfiel dabei auf Übernahmen durch US-Unternehmen (59 Prüfungen). Von chinesischen Firmen wurden 38 Prüfanträge gestellt. Rechtssicher-heit für Investoren wird vom BDI als wichtiger Bestandteil des inter-nationalen Rechtsrahmens für Investitionen angesehen.

Die Tatsache, dass eine Investition durch Subventionen begünstigt wird oder den wirtschaftspolitischen Zielen des Herkunftslandes ent-spricht, wird vom BDI nicht als Beleg dafür angesehen, dass damit Schaden für die deutsche Volkswirtschaft entsteht. Auch lassen die bis heute vorliegenden statistischen Daten über chinesische Investiti-onen in Deutschland aus Sicht des BDI nicht erkennen, dass die Sor-gen vor einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Technologieab-fluss gerechtfertigt sind.

Die deutsche Industrie begrüßt politische Initiativen zum Abbau von Investitionsbeschränkungen, zur Bekämpfung von Protektionismus und zur Beseitigung von Beschränkungen im öffentlichen Beschaf-fungswesen auf den Auslandsmärkten der deutschen Industrie. Bun-desregierung und EU-Kommission müssen weiterhin darauf hinwir-ken, dass Staaten wie China mit eingeschränktem Marktzugang zur Öffnung ihrer Märkte bewegt werden. Das Androhen der Einfüh-rung von Marktzugangsbeschränkungen für ausländische Investitio-nen ist aus Sicht des BDI aber kein geeignetes Instrument, um China zur Marktöffnung zu bewegen.

Ausblick

Chinesische Investitionen in Deutschland bleiben weiter oben auf der chinesischen Agenda und wir werden gezwungen sein, Antwor-ten auf die oben aufgeworfenen Fragen zu finden. Aufgrund der verschärften Kapitalverkehrskontrollen der People’s Bank of China, die im Juli 2017 in Kraft traten, ist zwar generell mit einer deutlich gebremsten Dynamik bei chinesischen Investitionen im Ausland zu rechnen. Dies betrifft allerdings nicht Investitionen in strategischen Sektoren. Übernahmen deutscher Technologiewerte dürften auch kurzfristig (in den kommenden zwei bis fünf Jahren) mit ähnlichen Volumina fortgesetzt werden wie in den Jahren 2016 und 2017.

Der Umgang mit Investitionen aus China kann in drei Handlungs-stränge gegliedert werden:

a) Öffnung des chinesischen MarktesDer wichtigste Handlungsstrang ist nach wie vor, die chinesische Re-gierung zur Umsetzung ihrer zahlreichen Ankündigungen zur Öff-nung des chinesischen Marktes für den Handel und für Investitionen zu ermahnen. Auch der Abbau chinesischer Maßnahmen zum er-zwungenen Technologietransfer gehört in diesen Handlungsstrang und muss von Bundesregierung und EU-Kommission weiterhin aktiv verfolgt werden.

b) Eigene Wettbewerbsfähigkeit stärkenDie bisherige Erfahrung mit den chinesischen Regelungen zur Förde-rung von Innovation im eigenen Land und der Akquise von Techno-logie im Ausland deutet darauf hin, dass staatliche Innovationslen-kung keine langfristigen Effizienz-Vorteile gegenüber dem marktge-steuerten westlichen System von Innovation in der Industrie bietet. Zumindest sind Zweifel angebracht, wie effizient staatliche Fünfjah-respläne in der Steuerung von Innovation sind. Langfristig sollten wir in Deutschland und Europa nicht den Fehler machen, mit Chinas staatlicher Innovationssteuerung mithalten zu wollen, indem wir un-sererseits die Lenkung von Innovationsschwerpunkten staatlich vor-geben. Stattdessen sollten wir alles dafür tun, dass noch mehr Inno-vation in den Unternehmen stattfindet und die Start-up-Kultur in Deutschland gestärkt wird. Die Rahmenbedingungen für Wettbe-werbsfähigkeit und Innovationskraft der deutschen Industrie werden nicht in Beijing entschieden, sondern in Brüssel und Berlin. Markt-barrieren schaden der deutschen und EU-Volkswirtschaft auch mit Blick auf den Technologiewettbewerb mit China.

c) Level Playing Field verankernWenn wir uns mit China im Bereich Innovation in einem System-wettbewerb befinden, dann sollten wir nicht unser System an das chinesische anpassen. Zum Schutz deutscher und europäischer Inter-essen sollten wir aber verstärkt darauf blicken, wie wir fairen Wett-bewerb mit chinesischen Firmen herstellen können. Es geht nicht da-rum, den Markt abzuschotten, es geht darum, uns vor den Wettbe-werbsverzerrungen des chinesischen Staatsinterventionismus in der Wirtschaft zu schützen.

Im Umgang mit China, aber auch mit vielen anderen Ländern, hat sich in den letzten Jahren bestätigt, dass es gut ist, Instrumente nut-zen zu können, die das Einhalten von einheitlichen Wettbewerbsbe-dingungen absichern. Der Schutz vor Dumping beim Warenhandel ist ein essenzielles Instrument in Zeiten globaler Überkapazitäten in einzelnen Branchen. Ein vergleichbares Instrument, das den Wettbe-

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werb bei Investitionen kontrolliert, wäre wünschenswert. Das Wett-bewerbsrecht sieht in allen Ländern Eingriffsmöglichkeiten vor, wenn eine Übernahme zu einer marktbeherrschenden Stellung führen könnte. Bei diesen Prüfungen in der Fusionskontrolle spielt es keine Rolle, ob der Investor aus dem In- oder Ausland stammt. Darüber hi-naus wäre es auch denkbar im Einzelfall zu prüfen, ob Auslandsin-vestitionen den Tatbestand der Wettbewerbsverzerrung erfüllen. Ge-prüft werden müsste hier, ob sich die bei einer Übernahme gebote-nen Preise durch Marktbedingungen rechtfertigen lassen oder auf einer direkten oder indirekten Subventionierung durch den Staat des übernehmenden Unternehmens basieren, die überhöhte Preise für die Übernahme möglich macht.

Die Bewertung eines Übernahmeangebotes als „marktkonform“ oder nicht ist im Unterschied zum Anti-Dumping-Instrumentarium beim Warenhandel nur sehr schwer möglich. Der wesentliche Aspekt der Schwierigkeiten bereitet: Beim Warenhandel gibt es Vergleichs-preise von Produkten anderer Hersteller zum Verkaufsdatum. Bei ei-ner Unternehmens-Akquisition gibt es keine Vergleichspreise und die Zeitspanne, ab wann die Erlöse aus der Investition die Kaufsumme abdecken und Gewinn erzielt werden soll, wird unterschiedlich be-wertet. Folgende Situation wäre gut vorstellbar: Ein chinesisches Un-ternehmen ruft im Bieterwettbewerb einen Angebotspreis auf, der sich an einer Bemessungsperiode von 20 oder 25 Jahren für die Rea-lisierung des Kaufpreises orientiert. Ein westlicher Konkurrent könn-te im Bieterwettkampf den Kürzeren ziehen, weil er einen Berech-nungshorizont von sieben Jahren für die Realisierung des Übernah-mepreises ansetzt. Dass das chinesische Unternehmen die Übernahme aufgrund verbilligter Kredite von staatlichen Banken günstiger finanzieren kann, impliziert nicht automatisch, dass der Kaufpreis überhöht ist. Dennoch lohnt die Prüfung, ob man ein Inst-rument schaffen könnte, welches China bei Unternehmensübernah-men zu wettbewerbskonformem Verhalten zwingt. Dass eine auf Wettbewerbsverzerrungen abstellende Investitionsprüfung die TRIMS- und GATS-Regeln der WTO beachten müsste, versteht sich.

Auch das Schaffen von Transparenz bei Direktinvestitionen wird nicht einfach sein, muss aber angegangen werden. Grundsätzlich gilt in Deutschland für alle Investitionen aus dem Ausland eine Mel-depflicht (ab 10% Kapitalanteil bzw. Anteil der Stimmrechte und ab einer Investitionssumme von 3 Mio. €). Allerdings gibt es bislang nur die üblichen Transparenzregeln beim Zahlungsverkehr. Eine Pflicht zur Offenlegung von Eigentümer-Strukturen, die hinter einer Akqui-sition stehen, fehlt. Auch wenn sie nur schwer umsetzbar sein dürf-te, sollte dennoch auch dieser Weg geprüft und ausgeschöpft wer-den.

Alle drei Handlungsstränge sollten wir regelmäßig daraufhin über-prüfen, wie gut die hier verorteten Maßnahmen geeignet sind, deut-sche und europäische Interessen zu verfolgen. Für alle drei Hand-lungsstränge gilt: Mit China bewegen wir uns in einem langfristigen strategischen Wettbewerb. In diesem Wettbewerb spielen auch Marktgröße und politische Macht in den Verhandlungen der Rah-menbedingungen eine Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Mitgliedsländer der EU, auch größere Länder wie Deutsch-land, eine gemeinsame Strategie verfolgen. Aus diesem Grund wür-de auch ein Instrument zur strategischen Investitionskontrolle nur dann Sinn machen, wenn es ein europäisches Instrument ist. An-sonsten drohte die Gefahr, dass die europäischen Länder sich unein-heitlich gegenüber China verhalten. Dies könnte zum einen in politi-

sche Entscheidungen münden, die durch die Abhängigkeit vom Zu-fluss chinesischen Kapitals bedingt sind und gegen EU-Interessen gelagert sein könnten. Auch verschiedene Grade an Schutz („Wieviel Protektionismus ist erlaubt?“) sollten vermieden werden zugunsten einer gemeinsamen europäischen Linie.

Literatur

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Patentverkäufe in China

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Abstract

Eigentumsübertragungen von Patenten sind neben deutlich häufiger vorkommenden Lizenzen, Übernahmen von Unternehmen oder Technologie-Kooperationen eine bisher unterbelichtete Form des Technologietransfers. In China steigen die Zahlen mit der Anzahl der Patentanmeldungen deutlich an. Auch Eigentumsübertragungen aus dem Ausland – so auch aus Deutschland – wachsen stark. Während Übernahmen deutscher durch chinesische Unternehmen häufig öf-fentlich intensiv diskutiert werden, bleiben Lizenzierungen und ins-besondere Patentverkäufe im Allgemeinen unbemerkt. Diese Form der Verwertung kann jedoch positive betriebswirtschaftliche und auch volkswirtschaftliche Effekte erzeugen. Es kann daher für die (Innovations-)Politik ein relevantes Zielobjekt darstellen. Ebenso könnten Patentverkäufe als Indikator für den (nationalen und inter-nationalen) Technologietransfer herangezogen werden.

Das Papier diskutiert die Übertragung von Eigentumsrechten an Pa-tenten im Kontext anderer Formen des Technologietransfers. Es wer-den einige empirische Befunde präsentiert und am Ende einige in-novationspolitische Ansatzpunkte aufgeworfen.

Einleitung

Die Übernahme deutscher Mittelständler durch chinesische Unter-nehmen oder Investoren wurde in der jüngeren Vergangenheit häu-fig vor dem Hintergrund von Wissensabfluss und Technologieklau unter anderem in den Medien sehr kritisch diskutiert. Daneben ist bei vermeintlich systemrelevanten Technologien oder im Bereich von Verteidigungs-Technologien bei solchen Übernahmen immer auch ein politisches Interesse zu berücksichtigen, wie sich am Beispiel des US-Vetos zur Aixtron-Übernahme in 2016 gezeigt hat. In der Realität ließen sich nach solchen Übernahmen jedoch keine Belege für einen Abfluss von Wissen und ein „Ausschlachten“ der übernommenen Firmen nachweisen, so dass die Befürchtungen im Allgemeinen nicht eingetreten sind und bisweilen deutlich überzogen waren. Es findet allerdings stets durchaus ein Austausch von (technologi-schem) Wissen statt, wie er bei Übernahmen, Kooperationen und auch bei anderen Gelegenheiten grundsätzlich entsteht. Ein solcher Austausch findet jedoch weltweit und vor allem im Zuge der Globa-lisierung auch immer stärker statt, wobei China nur ein mögliches

Dr. Rainer Frietsch, Stellvertretender Leiter Competence Center Politik - Wirtschaft - Innovation, Leiter Geschäftsfeld Innovationsindikatoren, Fraunhofer-Institut für System- und Innovations- forschung ISI

Partnerland darstellt. Auch amerikanische Unternehmen investieren in Deutschland und übernehmen andere Firmen, ebenso wie deut-sche Unternehmen ausländische Firmen aufkaufen oder sich mit diesen zusammenschließen.

In den Fällen mit chinesischer Beteiligung wurde und wird jedoch zusätzlich befürchtet, dass durch die Eigentumsübertragung von Unternehmen (und deren Technologien) an chinesische Wettbewer-ber der deutsche Wettbewerbsvorteil verloren geht, nämlich die In-novationsführerschaft. Wenn chinesische Unternehmen, die deutlich günstiger und für einen größeren Heimatmarkt (Skalenerträge) pro-duzieren können, nun auch die deutschen Technologien beherr-schen, dann ist der technologische Vorsprung dahin, so eine der Ar-gumentationen. Daher werden solche Fälle von Übernahmen wohl auch in Zukunft sehr breit öffentlich diskutiert werden. Zusätzlich scheint die Annahme vorzuherrschen, dass China weniger entwi-ckelt und technologisch deutlich rückständiger ist als Deutschland und es daher problematisch sei, dass weniger entwickelte Länder in großem Stil Unternehmen in einem so entwickelten Land wie Deutschland aufkaufen. Übernahmen aus den USA, Großbritannien oder Frankreich werden jedenfalls nicht mit der gleichen Intensität öffentlich diskutiert, so dass hier Vorurteile vorhanden zu sein schei-nen. Die Unterschiede der politischen Systeme mögen ihr Übriges dazu beitragen, dass hier ein vermeintlicher Antagonismus aufge-baut wird.

Während diesen Fragen hier nicht weiter nachgegangen wird, zumal sie meist spekulativ begründet und politisch motiviert sind, soll im Folgenden diskutiert werden, (1) welche weiteren Wege des Aus-tauschs von (technologischem) Wissen und Eigentum z.B. im Wege der Lizenzierung und des Verkaufs von Patentrechten und Patent-portfolios bestehen, die nicht öffentlich wahrgenommen diskutiert werden. Es werden anschließend (2) ausgewählte globale Trends des Austauschs skizziert und deren Motive aufgezeigt. In einem weite-ren Abschnitt wird (3) anhand von einigen empirischen Daten der Aspekt von Eigentumsübertragungen von Patenten auf dem chinesi-schen Markt beschrieben. Die Ergebnisse werden schließlich (4) zu-sammengefasst und es werden forschungs- und innovationspoliti-sche Ansatzpunkte skizziert, die für zukünftige Diskussionen von Nutzen sein könnten.

Übertragung von Wissen und Technologien durch Patente

Neben dem Aufkauf oder dem Zusammenschluss von Unternehmen (brownfield investment) gibt es weitere Möglichkeiten, ausländi-sches Wissen bzw. Wissen im Ausland zu nutzen und zu akquirie-ren. Viele chinesische Unternehmen haben Forschungseinrichtungen in Deutschland „auf der grünen Wiese“ (greenfield investment) auf-gebaut und heuern lokale Fachkräfte mit entsprechenden Kompe-tenzen an. Sie betreiben hier einerseits Entwicklung für den deut-schen und den europäischen Markt. Andererseits wird auch For-schung nicht nur für Deutschland, sondern auch für internationale Märkte (inklusive dem chinesischen) betrieben. Diese Unternehmen

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sind dann nicht selten sowohl im Inland wie im Ausland Konkurren-ten deutscher Unternehmen.

Es ist politisch durchaus gewünscht, dass ausländische Firmen in Deutschland investieren und so Arbeitsplätze in Produktion, Dienst-leistung oder gerade auch in Forschung und Entwicklung schaffen. Wenn Wertschöpfung in Deutschland stattfindet, egal von wem ini-tiiert, dann hat dies jedenfalls kurz- und mittelfristig positive Effekte für die deutsche Volkswirtschaft.

Es gibt noch weitere, in der Wirtschaft übliche Wege der Übertra-gung von Wissen und dem Eigentum an Technologien. Während Joint Ventures als gemeinsame Unternehmensgründungen gerade im chinesischen Kontext sehr weit verbreitet sind und auch For-schungskooperationen beispielsweise mit dem Resultat von gemein-sam angemeldeten Patenten durchaus ebenso wie die Auftragsver-gabe an oder Zusammenarbeit mit der öffentlichen Forschung vor Ort üblich sind, sind andere Formen in der Öffentlichkeit weniger bekannt bzw. es gibt auch weniger Daten und Statistiken zu diesen Sachverhalten. Hierzu gehören u.a. Lizenzierungen von Technologi-en (Patenten). Hierbei räumt der Eigentümer einem potentiellen Nutzer ein exklusives oder auch nicht exklusives Recht an der Nut-zung seiner technologischen Lösung ein und erhält im Gegenzug Li-zenzzahlungen oder eine Lizenz für ein anderes Patent bzw. spezifi-sche Rechte des Nutzers (Kreuz-Lizenz). Dies ist im Allgemeinen in nicht-öffentlichen, bilateralen Lizenzverträgen geregelt. Die Parteien haben in aller Regel keinerlei Interesse an einer öffentlichen Transpa-renz und vereinbaren daher Geheimhaltung.

Wenn mehrere Partner oder auch mehrere Teil-Technologien invol-viert sind, dann werden manchmal so genannte Patent-Pools gebil-det, d.h. mehrere Unternehmen bringen ihre Patente in einen ge-meinsamen Pool ein und können im Gegenzug die Patente aller Be-teiligten nutzen und die gepoolten Patente gemeinsam an Dritte lizenzieren. Dies ist also eine Sonderform der Kreuzlizenzierung und vereinfacht die Situation für Technologieinhaber einerseits insofern, als im Prinzip nur ein Vertrag zu im Wesentlichen gleichen Bedin-gungen für alle geschlossen wird und nicht unzählige bilaterale Ver-träge. Andererseits können Patentnutzer in einer Art One-stop-shop umfangreiche Nutzungsrechte erwerben. Lizenzen und Kreuz-Lizen-zen sind in einigen Branchen durchaus üblich, wie beispielsweise in der Informations- und Telekommunikationsbranche und in der Auto-mobilindustrie.

Im Fall von Lizenzierung, Kreuzlizenzierung und bei den meisten Pa-tent Pools verbleibt das Eigentum an der Technologie beim ur-sprünglichen Unternehmen und Patentinhaber. Es ist aber auch möglich, das Eigentum an den Patenten zu übertragen, das heißt die Patente zu verkaufen. Dies kann einerseits generell geschehen, d.h. alle Patente (Patent-Familie) auf die gleiche Technologie in ver-schiedenen Jurisdiktionen können übertragen werden. Es ist aber auch möglich, das Eigentum nur in einzelnen Jurisdiktionen zu über-tragen. Es ist also beispielsweise möglich, dass ein deutsches Unter-nehmen das Patent auf seine Technologie in Deutschland behält, das entsprechende Patent in China jedoch an einen neuen Eigentümer abgibt. Im Unterschied zur Lizenzierung werden bei der Eigentums-übertragung dann sämtliche Rechte an dem Patent übertragen, also auch die Möglichkeit zur Lizenzierung oder zur Durchsetzung des je-weiligen Patentes, d.h. das Abhalten Dritter von der Nutzung der Technologie. Diese Art der Aufspaltung in unterschiedliche territoria-

le Märkte für die jeweiligen Ausschließlichkeitsrechte geht gewöhn-lich einher mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit und kann im Einzel-fall auch kartellrechtlich bedenklich sein, steigert aber auch Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit durch Konzentration auf Schlüsselmärk-te, in welchen der jeweilige Patentinhaber die größte Kompetenz besitzt.

Der (globale) Markt für Patente

Für die Lizenzierung und die Eigentumsübertragung von Patenten hat sich ein eigener Markt entwickelt, bei dem es Anbieter, Nachfra-ger, aber auch Broker/Intermediäre gibt (Market for Patents). Die Übertragung kann direkt zwischen zwei Unternehmen stattfinden, die beide Technologie-Nutzer und Technologie-Anbieter sind. Sie kann aber auch zwischen Einzelpersonen, öffentlichen Forschungs-einrichtungen oder meist kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) auf der einen Seite und großen Unternehmen oder speziali-sierten KMU auf der anderen Seite stattfinden (Galasso et al. 2014; Scott Morton, Shapiro 2014). Ein besonderer Fall tritt dann ein, wenn der Käufer nicht eine direkte Vermarktung oder Nutzung der Technologie beabsichtigt, sondern als Mittler fungiert.

Insbesondere im US-amerikanischen Raum, aber zunehmend auch in anderen Jurisdiktionen werden so genannte „Non Practicing Entities (NPEs)“ kritisch diskutiert. NPEs sind Eigentümer von Patenten, die jedoch selbst nicht produzieren bzw. die Patente nutzen. Hierzu ge-hören Unternehmen, die in Einzelfällen einzelne Technologien aus ihrem Portfolio nicht verwenden, aber auch Universitäten und For-schungseinrichtungen, die zwar Wissen erzeugen und dieses dann auch in Patenten dokumentieren, es im Allgemeinen aber selbst nicht kommerzialisieren. Auch Einzelpersonen sind häufig nicht in der Lage, die Technologie umzusetzen und zu vermarkten, ebenso wie KMU ab und an einzelne Technologien ungenutzt lassen, die nicht direkt in ihr Portfolio passen. Für die Nachfrager nach einer be-stimmten Technologie ist es zunächst eine einfache Frage des „Kau-fens oder Selbermachens“ („Make or Buy“). Wenn die Entwicklung aufwendig oder der Kauf günstig zu realisieren ist, dann kann eine Kaufentscheidung sinnvoll sein. Allerdings ist es hierzu notwendig, dass Anbieter und Interessent voneinander wissen und den Prozess dann auch realisieren können.

Es gibt also einen wachsenden Markt für potentiell für andere Un-ternehmen nützliche Technologien (Arora et al. 1999; Arora et al. 2002; Gambardella et al. 2007; Figueroa, Serrano 2013; Galasso et al. 2011). Hier kann einerseits eine Lizenzierung in der einen oder anderen Form die Nutzung ermöglichen. In manchen Fällen ist aber auch eine Übertragung des Eigentums sinnvoll, dann nämlich, wenn der Anbieter der Technologie keine eigene Nutzung jetzt oder in Zu-kunft anstrebt und eine Lizenzierung nicht in Frage kommt.

Die Informationen über die Technologien sowie ggf. über ein Ver-kaufsinteresse und die Passfähigkeit sind dabei entscheidend. In grö-ßeren Unternehmen beschäftigen sich einzelne Gruppen oder Abtei-lungen mit der Technologie-Recherche oder dem Monitoring (auch als Nebenprodukt der Beobachtung der Verletzung eigener Patente oder zur Beurteilung des eigenen technologischen Spielraums, um nicht andere Patente zu verletzen). Kleinere Unternehmen können dies aber in der Breite nicht leisten. Es haben sich daher spezialisierte Anbieter entwickelt, die sowohl als Informations- wie auch als Tech-

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nologie-Broker auftreten. In manchen Fällen bringen sie Anbieter und Interessenten zusammen, in einigen Fällen kaufen sie aber selbst Patente auf, um sie anschließend ggf. zu bündeln und zu ver-markten. Ein einzelnes Patent deckt häufig keine gesamte Technolo-gie ab, wie sie in einem Produkt verbaut werden kann/soll. Daher sind mehrere Patente notwendig. Wenn diese bereits zusammen an-geboten werden, dann erscheint eine Lizenznahme oder ein Eigen-tumserwerb im Paket sinnvoller und leichter. Insgesamt leisten die (internen wie externen) Broker also einen positiven Beitrag für die Unternehmen und auch auf volkswirtschaftlicher Ebene sind positive Effekte zu erwarten, denn es findet einerseits Wertschöpfung statt, und andererseits werden Technologien genutzt, die andernfalls gar nicht oder nicht so intensiv genutzt würden.

Allerdings werden auch negative Seiten diskutiert. Eine Sonderform von NPEs sind „Patent Assertion Entities (PAEs)“, die gerade im US-amerikanischen Raum auch als Patent-Trolle bezeichnet werden. Sie kaufen Patente auf, um Verletzungsklagen gegen produzierende bzw. umsetzungsorientierte Unternehmen anzustrengen bzw. eine entsprechende Drohkulisse aufzubauen und diese zu (meist über-höhten) Ausgleichszahlungen zu bewegen. Hier nimmt die Volks-wirtschaft im Allgemeinen Schaden, da Unternehmen Zahlungen leisten, die sie sonst nicht hätten leisten müssen. Diese Mittel stehen dann bspw. nicht für weitere Forschung und Entwicklung zur Verfü-gung. Daneben werden die Lizenzgebühren durch PAEs meist deut-lich höher angesetzt als dies in der Vergangenheit bei einer Lizenzie-rung mit tatsächlich im Markt produzierend tätigen Mitbewerbern der Fall war (diese haben anders als PAEs im Hinterkopf, dass sie selbst in Zukunft ebenfalls Lizenzen brauchen könnten und vermei-den daher ein übertriebenes „Pricing“ für die angefragte Technolo-gie). Auch werden die höheren Kosten auf den Verbraucher/Kunden übertragen, so dass auch hier ein gesellschaftlicher/volkswirtschaftli-cher Schaden entsteht, während die Erlöse vorrangig privaten Nut-zen für die Gesellschafter der PAEs, vorrangig Risiko- und Finanzin-vestoren, erzeugen. Besonderen Schaden können bspw. kleinere Un-ternehmen nehmen, die dadurch Bankrott gehen oder in ihrem Wachstum gehindert werden. Da kleinere Unternehmen für die Ma-chenschaften von PAEs besonders anfällig sind – sie haben nicht die Ressourcen und die Erfahrung wie die meisten Großunternehmen, um gegen eine PAE vorzugehen oder das Risiko einer gerichtlich an-geordneten Ausgleichszahlung eingehen zu können – sind sie auch häufig das Ziel.

Eigentumsübertragungen in China aus dem Ausland – empirische Evidenz

Die Nutzung von patentierten Technologien durch andere Unterneh-men kann also entweder durch Lizenzierung oder durch Eigentums-übertragung erfolgen. Die Eigentumsübertragung von Patenten ist mit bestehenden Daten recht gut nachvollziehbar, sofern sie nicht bereits vor der Veröffentlichung des Patents passiert. Im Fall von pro-fessionellen Verwertern wird indes teils die Umschreibung der Eigen-tumsrechte in den Patentregistern der betroffenen Länder bis zur Pa-tenterteilung zurückgestellt, um Kosten zu sparen.

Beschränkt man die Analyse auf Anmeldungen am chinesischen Pa-tentamt SIPO, die eine Erstanmeldung außerhalb Chinas aufweisen (es wird hier also ein Fokus auf ausländische Technologien gelegt), so hat in den vergangenen Jahren bis 2012 ein konstanter Anteil von ca. 3% aller Patente den Eigentümer gewechselt (siehe Abbil-

dung 1). Dies spiegelt bei den stark steigenden Anmeldezahlen am SIPO ein großes absolutes Wachstum bei den gesamten Eigentümer-wechseln wider. Die meisten der Patente stammen dabei von US-amerikanischen Eigentümern und werden in erster Linie an chinesi-sche Unternehmen übertragen (ca. 60%), an zweiter Stelle aber an andere US-amerikanische Eigentümer (25-30%), aber auch deut-sche, koreanische oder japanische Eigentümer (jeweils 1-5%), wobei Deutschland hier die vergleichsweise niedrigsten Anteile verzeichnet. Verkauft werden die Patente außer von US-amerikanischen Eigentü-mern (ca. 60% am aktuellen Rand) in der Mehrheit von deutschen und koreanischen Eigentümern (jeweils ca. 10%) oder auch von ja-panischen Eigentümern (ca. 5%). Chinesische Eigentümer spielen bislang in dieser Betrachtung eine sehr untergeordnete Rolle, weil an dieser Stelle explizit nur auf die im Ausland erstangemeldeten Pa-tente fokussiert wird, d.h. der Technologietransfer aus dem Ausland nach China im Mittelpunkt steht.

Einige der auch in den hier genutzten Daten enthaltenen Fälle sind Eigentumsübertragungen innerhalb von rechtlich verbundenen Un-ternehmen. So ist beispielsweise der absolut größte Käufer von Pa-tenten Huawei, die im Jahr 2012 die größte Anzahl von Futurewei gekauft haben (135 Patente von insgesamt gut 4.000 Eigentums-übertragungen in unserer Stichprobe), einem US-basierten Ableger. Dennoch findet eine große Zahl der Übertragungen auch zwischen rechtlich unverbundenen Unternehmen statt, zumal in den vorlie-genden Zahlen die Übertragungen innerhalb Chinas (von Chinesen zu Chinesen) nahezu ausgeschlossen wurden. Die insgesamt größte Zahl an Übertragungen findet jedoch zwischen Einzelpersonen und Unternehmen statt.

Abbildung 1: Anzahl und Anteile der übertragenen Patente am SIPO

Dies steht mit der aktuellen Literatur zum „Markt für Patente“ inEinklang, wo in erster Linie Übertragungen von Einzelpersonen und KMU an andere KMU und insbesondere Großunternehmen empirisch nachgewiesen wurden (Scott Morton, Shapiro 2014). Der Grund hierfür ist auch recht einleuchtend. Einzelpersonen und auch KMU haben deutlich geringere Möglichkeiten der Verwertung und Kommerzialisierung der Technologien, insbesondere wenn sie nicht direkt in das Portfolio des KMU passen (Galasso et al. 2011). Es ist aber auch davon auszugehen, dass eine steigende Anzahl an Pa-tenten auch in China von Technologie-Brokern aufgekauft und dort vermarktet wird. Ein Aufkommen von PAEs, die von innovierenden Unternehmen höhere Zahlungen als den Marktwert der Technologi-en durch den Aufbau von Drohkulissen abpressen, ist dabei in China derzeit nicht in Sicht und würde vermutlich im chinesischen System auch nicht auf Dauer funktionieren, weil die Regierung eingreifen würde. Die Bedeutung von Technologie-Brokern könnte jedoch in

Quelle: EPO – PATSTAT; Berechnungen des Fraunhofer ISI.

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der Zukunft in China weiter ansteigen. Angesichts der vergleichs-weise niedrigen Anteile deutscher Verkäufer (aber erst recht deut-scher Käufer) könnte eine stärkere Beachtung und Nutzung dieser Kommerzialisierungswege für deutsche Unternehmen auf dem chinesischen Markt interessant sein. Vor dem Hintergrund deutlich ansteigender Patentanmeldungen innerhalb Chinas – im Jahr 2016 wurden vom SIPO 1,4 Millionen Anmeldungen von Erfindungspa-tenten registriert (zum Vergleich: in Deutschland sind es seit Jahren ca. 50.000, am Europäischen Patentamt ca. 200.000 und selbst in den USA seit geraumer Zeit recht konstant ca. 400.000) – wird es allerdings sowohl für produzierende Unternehmen und noch mehr für Technologiebroker, die einen breiten Überblick über bestehende Patente und deren Chancen und Möglichkeiten für einen Erfolg rea-lisieren müssen, immer schwerer die wesentlichen von den unwe-sentlichen Anmeldungen zu trennen. Die privaten aber zusehends auch die sozialen Kosten der Patentflut werden China in Zukunft vor große Herausforderungen stellen.

Abbildung 2: Zitierungen (rechte Achse) und Erteilungen in Prozent (linke Achse) der gesamten und der übertragenen Anmeldungen am SIPO

Interessant ist, dass zumindest auf Basis deskriptiver Ergebnisse eine Übertragung (technologisch oder ökonomisch) wertvollerer Patente nicht generell sichtbar ist (siehe Abbildung 2), wie es sich jedoch in der vorwiegend US-amerikanischen Literatur zeigt (Galasso et al. 2014; Scott Morton, Shapiro 2014; Figueroa, Serrano 2011). Zwar sind die Zitatraten der übertragenen Patente etwas höher als der Durchschnitt. Die Erteilungsraten sind jedoch niedriger und die An-teile zurückgewiesener Patentanmeldungen höher als im Durch-schnitt am SIPO. Auch sind die Patentfamilien – d.h. die potentielle Anzahl der Zielmärkte der Technologien – kleiner als im Durch-schnitt. All dies könnte jedoch durch feldspezifische Effekte vermit-telt sein, die vorliegend nicht kontrolliert werden.

Vorbehaltlich differenzierterer, multivariater Analysen bedeutet dies, dass chinesische Unternehmen zunächst generell „Technologien“ anstelle von Einzelpatenten einkaufen und sich nicht die besonders (ökonomisch oder technologisch) wertvollen Patente heraussuchen (können). Dies spricht für das weiterhin bestehende Ziel eines gene-rellen technologischen Upgradings und nicht einer spezialisierten Technologie-Akquise zur Erweiterung oder Vervollständigung des ei-genen technologischen Portfolios. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich auch hier eine Veränderung einstellen wird. Der langfristi-ge Trend dieser Kurven und das schnelle technologische Aufschlie-ßen in weiteren Branchen, das in China auch in den vergangenen gut fünf Jahren seit den letzten hier verfügbaren Daten stattgefun-

den hat, legen dies zumindest nahe. Der Kostendruck und der inter-nationale Innovationswettbewerb, inklusive steigender Rechtsstrei-tigkeiten auch im Ausland, sowie die hohe Komplexität der neuen Technologien werden einige der Gründe für diese Entwicklung sein.

Fazit und innovationspolitische Ansatzpunkt

Wir werden auch in Zukunft (spektakuläre) Übernahmen und Zu-sammenschlüsse von deutschen und chinesischen Unternehmen er-leben – und sicherlich auch mit Unternehmen aus anderen Ländern. Übernahmen und Zusammenschlüsse sind jedoch normale und bei-nahe alltägliche Vorgänge in entwickelten Volkswirtschaften.

Es ist allerdings bedeutsam, dass von (wirtschafts-)politischer Seite weiter die Öffnung und Angleichung der Spielregeln innerhalb und außerhalb Chinas eingefordert wird. Dass es auch in Zukunft Aus-nahmen und Spezialfälle geben wird, ist unvermeidlich und auch in Deutschland – wie das Aixtron-Beispiel gezeigt hat – durchaus ge-lebte Praxis.

Gezielte, patentgesteuerte Aufkäufe durch chinesische Unterneh-men finden bislang nicht statt, könnten aber in Zukunft häufiger auftreten. Ein technologischer Ausverkauf Deutschlands, wie er bis-weilen in der Öffentlichkeit diskutiert wird, egal ob genereller Art oder bezogen auf einzelne Branchen wie beispielsweise Automobil oder Maschinenbau, ist derzeit nicht erkennbar. Es hat jedoch hier die größte Zahl an Übernahmen stattgefunden, was schlicht mit der großen Zahl von Unternehmen in Deutschland in diesen Branchen und dem passenden technologischen Profil Chinas begründet wer-den kann. Insgesamt kann man den handelnden Akteuren auch in China durchaus strategisches Denken und zielorientiertes Handeln unterstellen – aber auch das ist übliche Praxis in der globalen Wirt-schaft.

Während Eigentumsübertragungen eine Nische darstellen und nicht die Mehrheit der Fälle von Technologietransfer abbilden (Lizenzen, Kooperationen und Übernahmen bilden hier die deutliche Mehr-heit), so können sie doch als Indiz oder gar Indikator für den Aus-tausch von Technologien dienen. Angaben über Lizenzierungen blei-ben im Wesentlichen im nicht-öffentlichen Bereich und sind insofern für ein Monitoring nicht verfügbar. Übernahmen und Zusammen-schlüsse von Technologieunternehmen sind weiterhin ein wichtiges und deutlich gewichtigeres Indiz. Eigentumsübertragungen von Pa-tenten könnten hier aber eine zusätzliche Informationsquelle bieten.

Ähnlich wie ausländische Direktinvestitionen – wenngleich nicht mit der gleichen Nachhaltigkeit, da eher Einmaleffekte zu erwarten sind – sind Lizenzierungen und Eigentumsübertragungen positiv für die deutsche Volkswirtschaft, denn hier wird Wertschöpfung erzeugt, die unter Umständen sonst nicht oder nicht in gleichem Maß er-zeugt worden wäre. US-amerikanische Effekte des massiven „Miss-brauchs“ des Patentsystems oder gar ein „gegen Deutschland Wen-den“ der ursprünglich deutschen Technologien ist derzeit ebenfalls nicht in Sicht.

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Quelle: EPO – PATSTAT; Berechnungen des Fraunhofer ISI.

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Literatur

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Gambardella, A.; Giuri, P.; Luzzi, A. (2007): The market for patents in Europe. In: Research Policy, 36 (8), S. 1163-1183.

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Auswirkungen des aktuellen chinesischen "Cyber-Rechts" auf grenzüberschreitende Forschung und Forschungskooperationen

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Abstract

Die Bedeutung von Daten für Forschung und Entwicklung nimmt im Zuge des Internet of Things, Digitalisierung und Einsatz künstlicher Intelligenz immer stärker zu. Nutzung von Dritt-Daten und freier Da-tenfluss gewinnen an Bedeutung für internationale Forschung so-wohl durch die öffentliche Hand als auch Unternehmen. Daten und Datenfluss als das „Gold“ des digitalen Zeitalters werden allerdings über das reine Datenschutzrecht hinaus zunehmend reguliert. Im vorliegenden Policy Paper soll die Problematik aufgezeigt werden, dass unklar definierte Begrifflichkeiten, Anforderungen zur Lokalisie-rung von Daten und potentielle Verbote des internationalen Daten-transfers in neuen chinesischen Gesetzen zur Cyber-Sicherheit ein erhebliches Risikopotential für grenzüberschreitende Forschung dar-stellen.

Einleitung

Digitalisierung, Big Data und künstliche Intelligenz werden in China genau wie in Deutschland intensiv diskutiert. Mehrere grundlegende Richtlinien chinesischer Politik wie z.B. „Made in China 2025“ beto-nen z.B. die Digitalisierung1 oder heben ihre Wichtigkeit insbesonde-re für die herstellende Industrie hervor.2

Chinesische Firmen haben mit Verbreitung des Internets in China zu-nehmend die Bedeutung von Daten entdeckt und sammeln und nut-zen diese insbesondere in Gestalt der Internet-Oligopole selbst in-tensiv: Wichtige Akteure in diesem Bereich sind die chinesischen In-ternet-Giganten Alibaba, Tencent und Baidu.

1 Circular of the State Council on Issuing the Made in China 2025, Guo Fa [2015] No. 28, verkündet und in Kraft seit dem 8. Mai 2015, II.3. Strategic Objectives mit Verweis auf das Ziel “Penetration of digitalized R&D”.2 Guiding Opinions of the State Council on Actively Propelling the Internet Plus Action Plan, Guo Fa [2015] No. 40 verkündet und in Kraft seit dem 7. Juli 2015 II.2.mit Verweis auf “Impel the integration of the Internet into manufacture indust-ry, enhance the digital, networking and intelligent levels of the manufacture indus-try”.

Dr. Thomas Pattloch, LL.M. Eur., Rechtsanwalt und Partner bei Taylor Wessing Partner-schaftsgesellschaft mbB

Aber auch chinesische Banken, Kreditkartenunternehmen wie China Union Pay und Versicherungen versuchen zunehmend, aus wirt-schaftlichen Transaktionen der Verbraucher im Netz für sich ein Ge-schäftsmodell zu machen. So zählt Zahlen per Handy in China (an-ders als in Deutschland) mittlerweile zum Alltag, genauso wie das Buchen eines Friseurtermins, eines Taxis oder ein Finanzinvestment per Mobiltelefon. Diese gesellschaftliche Orientierung hin zur mög-lichst breit angelegten Verwendung von mobilen „Apps“, Software und neuerdings künstlicher Intelligenz strahlt aus auf F&E Kooperati-onen mit grenzüberschreitendem Charakter. So gibt es schon heute erste Transfers von chinesischen Online-Bezahlsystemen in den Mitt-leren Osten.

„Big data“ ist damit als Schlagwort und Sammelbegriff auch in der chinesischen Wirklichkeit allgegenwärtig, beschreibt aber nicht zu-verlässig, wie, in welchem Zusammenhang und auf welcher (gesetz-lichen) Grundlage Daten als vermögenswerter „Gegenstand“ durch Unternehmen und auch den Staat genutzt werden.

Bislang stand bei den Bemühungen des chinesischen Gesetzgebers vor allem der chinesische Verbraucher im Mittelpunkt des Interesses. Soweit beispielsweise sensible Bereiche wie das Gesundheits- oder Bankenwesen oder öffentlich-rechtliche Einrichtungen betroffen sind, sehen Spezialregelungen z.B. im Bankensektor stärkere Regu-lierung und Einschränkung der Verwertung insbesondere personen-bezogener Daten vor.3 In diesen Bereichen geht neben dem Ver-braucherschutz besonders das Sicherheitsbedürfnis des chinesischen Staats dem Interesse an einer wirtschaftlichen Verwertbarkeit vor.

Der chinesische Gesetzgeber greift nun zunehmend ein, um in Be-zug auf Daten im Netz weitere spezifische Tatbestände zu regeln. Er tut dies nach außen zumeist begründet durch das Ziel der nationa-len Sicherheit. Im Folgenden soll der neue chinesische Regelungs-rahmen für grenzüberschreitenden Datenverkehr näher beleuchtet werden, um die Auswirkungen neuer nationaler Regelungen auf grenzüberschreitende Forschungskooperationen zu zeigen.

Der Zusammenhang von Daten mit Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten

Grundlage jeder Digitalisierung sind Daten. Daten sind (auch) „eine Plattform“ (Mayer-Schönberger/Cukier, 154, mit Bezugnahme auf ein Interview mit Tim O’Reilly im Februar 2011) als Basis für Dienst-leistungen, Geschäftsmodelle und für Forschung und Entwicklung. Hierbei kommt es mit Blick auf den Wert von Daten nicht so sehr auf das alleinige Besitzen oder das alleinige Nutzen an (häufig kann der Inhaber die Daten nicht sinnvoll selbst nutzen und ihren Nutzen erst maximieren, wenn er Dritten die Daten zur Verfügung stellt), sondern auf die Möglichkeit des Teilens und Übermittelns.

3 Circular of the People's Bank of China on Doing a Good Job by Banking Finan-cial Institutions in Protecting Personal Financial Information, Yin Fa [2011] No. 17.

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In der Forschung und Entwicklung spielt der Abgleich von Daten ei-ne herausragende Rolle. In Naturwissenschaften, aber auch zuneh-mend in Geisteswissenschaft, erfordert die Empirik, Vergleichbarkeit und Verifizierung eine Transparenz der zugrundeliegenden Daten. Auch die Möglichkeit, Daten und Datenbanken benutzen, zitieren und teilweise verändern zu können, spielt eine herausragende Rolle für erfolgreiche Forschung. Die Frage der kommerziellen Verwertung der Forschungsergebnisse ist dann wieder untrennbar verbunden mit der Frage der rechtmäßigen Grundlage der Forschung und ihrer Ergebnisse (Stichwort Eigentum bzw. Nutzungsbefugnisse an den zugrundeliegenden Daten).

Zugang zu Daten, Änderungsrechte, Rechte zur Übertragung und kommerziellen Verwertung sind demnach ein zunehmend an Bedeu-tung gewinnender Baustein der Forschung und Entwicklung. Das Ei-gentum an Daten ist hierbei weder in Deutschland noch in China klar und eindeutig geregelt.4 Vereinfacht lässt sich sagen, dass derje-nige das „Eigentum“ an den Daten hält, welcher die physische Kon-trolle über sie ausübt. Der Gesetzgeber hat aber auf der regulatori-schen Ebene die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung Gegenstand gesetzlicher Anforderungen werden lassen. Die meisten Anforderun-gen finden sich bei personenbezogenen Daten im Bereich des Da-tenschutzes. Für Transaktionsdaten, dem eigentlichen Gold unter den Daten, weil sich hieraus konkrete Geschäftsmodelle oder wis-senschaftliche Schlußfolgerungen ableiten lassen, ist der Regelungs-rahmen in den meisten Jurisdiktionen zur Zeit tendenziell großzügi-ger.

Datenbasierte Kooperationen zwischen Deutschland und China

Transaktionsdaten sind im hier verwendeten Sinne Daten, welche veränderte oder bearbeitete Datensätze darstellen, die sowohl auf personenbezogenen (nicht-anonymisierten als auch anonymisierten) oder nicht-personenbezogenen Daten basieren können und ihrer-seits nicht Gegenstand des Schutzes durch das geistige Eigentum sind wie z.B. als urheberrechtliches Werk oder Datenbank, als Know-how oder nach dem Patentrecht. Sie sind für eine auf grenz-überschreitende Zusammenarbeit ausgerichtete Exportnation wie Deutschland sehr wichtig. Sie ermöglichen erst den Export von Ge-schäftsmodellen von Deutschland ins Ausland, die Erschließung neu-er Märkte auf der Grundlage lokaler Daten, und deren Re-Export in Drittmärkte oder Import nach Deutschland. Hierbei sind in der Praxis einerseits unternehmensinterne Datenflüsse von sehr großer Bedeu-tung. Soweit diese unterbrochen werden oder unerwünscht transpa-rent und für Dritte einsehbar und nutzbar werden, kann eine grenz-überschreitende Forschung und Entwicklung nur bei Inkaufnahme großer unternehmerischer Risiken durchgeführt werden bzw. auch unmöglich werden.

Daneben sind auch z.B. vertragsbasierte Datenflüsse zwischen nicht verbundenen Unternehmen und Forschungseinrichtungen ein-schließlich öffentlich-rechtlichen Körperschaften wie Universitäten von herausragender Bedeutung. Während im privatrechtlichen Be-reich ein Unterbinden oder eine unerwünschte Transparenz zum In-halt der Datenflüsse die Kooperation in aller Regel im Ergebnis un-möglich macht, kann auch im öffentlichen Sektor eine zu weitge-

4 Beispielhaft für viele zum Streit, ob „Dateneigentum“ anzuerkennen ist: Fezer, Dateneigentum, MMR 2017, 3; Härting CR 2016, 646, 649; Hoeren, MMR 2013, 486

hende Transparenz ein Wettbewerbsnachteil sein. Sie kann die Patentierfähigkeit von neuen Erfindungen beeinträchtigen oder das Recht eines Wissenschaftlers, selbst zu entscheiden, ob eine Entde-ckung publiziert und veröffentlicht werden soll oder nicht.

Bei chinesisch-deutschen Kooperationen in der Wissenschaft ist bis-lang der Datenfluss zwischen den Ländern nicht problematisch. Es gibt praktische Hemmnisse, z.B. die chinesische Firewall, welche z.B. internetbasierte Leistungen aus Deutschland heraus beeinträchtigen oder unmöglich machen. Auch in der Zusammenarbeit mit Unter-nehmen ist die Firewall in der Praxis ein sehr nachteiliger Faktor und behindert z.B. den Abruf von Software oder Daten aus Servern in Deutschland, oder ein Zurverfügungstellen von Softwaredienstleis-tungen in China an chinesische Verbraucher aus dem Ausland her-aus im Rahmen von Online-Services.

Die chinesische Regierung hat mit einer Welle neuer Gesetze und Regularien in jüngster Zeit die Kontrolle über das Internet in China, aber auch über Datenflüsse enorm verstärkt. Hintergrund ist die Ein-schätzung, dass dies zur Sicherung der politischen und sozialen Sta-bilität im Lande erforderlich sei. Der Regulierungsrahmen zielt hier-bei nicht lediglich auf Netzbetreiber und große Internet Service Pro-vider. Vielmehr wird der Regelungsrahmen gezielt ausgedehnt auf den gesamten Unternehmenssektor. Die bislang bekannt geworde-nen Definitionen zu betroffenen Unternehmen erfassen ohne weite-res auch deutsche Unternehmen wie SAP, die Energiebranche oder die Automobilindustrie. Sie haben zu einer erheblichen Unsicherheit geführt, wann Daten lokalisiert werden müssen bzw. sogar nicht ex-portiert werden dürfen. Sie werfen weiter Fragen auf, inwieweit sich Unternehmen oder Einrichtungen einer chinesischen Kontrolle und technischen Prüfung ihrer Datensicherungssysteme und damit impli-zit ihres Know-hows unterwerfen müssen.

Rechtlicher Rahmen für Datenschutz und Cyber-Sicherheit in China

Die wichtigste Neuerung im sog. Cyber-Law der VR China stellt hier-bei das Cyber Security Law „CSL“ dar. Es ist zum 1. Juni 2017 in Kraft getreten. Dieses Gesetz erzeugt einen Regelungsrahmen, wel-cher innerhalb der nächsten 12 Monate durch weitere Erlasse der mit Cyber-Sicherheit befassten Ministerien und Agencies ausgefüllt werden soll. Besonders wichtig sind hierbei die Cyberspace Adminis-tration of China, kurz „CAC“, aber auch das Ministerium für Indust-rie und Informationstechnologien, „MIIT“.

Das Gesetz erlegt in einem ersten Schritt sog. „Netzwerkbetreibern“ oder „network operators“ erweiterte Pflichten zum Schutz von Ge-setzen, sozialer Moral und Internetsicherheit auf und verlangt, dass diese einer Überwachung durch die Regierung und die Gesellschaft unterliegen und eine soziale Verantwortung für Internetsicherheit tragen.5 Netzwerkbetreiber müssen u.a. technische Maßnahmen zur Überwachung und Aufzeichnung des Operationszustandes des Netzwerks machen, Web-Logs für mindestens sechs Monate aufbe-wahren, Maßnahmen zur Datenklassifizierung, Datensicherung und Verschlüsselung von wichtigen Daten ergreifen.6 Soweit Netzwerk-betreiber Daten von Nutzern sammeln, einschließlich personenbezo-gener Daten, müssen sie die Nutzer informieren und deren Einwilli-

5 Art. 9 CSL6 Art. 21 CSL

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gung einholen7. Problematisch an diesen Regelungen ist die Weite der Definition von sog. Netzwerkbetreibern. Das Gesetz fasst hier-unter „Inhaber und Administratoren von Netzwerken und Netzwerkbetreibern“.8 Diese Definition erlaubt es, auch private Fir-mennetzwerke darunter zu fassen.

Das Gesetz führt dann eine weitere Kategorie von Normenadressa-ten mit zusätzlichen Pflichten zur Lokalisierung und Prüfung der Da-ten vor einem Export ein. Art. 37 des CSL schreibt vor, dass sog. „Betreiber kritischer Informationsinfrastrukturen“ (critical informati-on infrastructure operators, „CIIO“) sowohl personenbezogene Da-ten als auch „wichtige Daten“ in China speichern müssen.9 Soweit es eine wirklich vorhandene10 geschäftliche Notwendigkeit gibt, die-se Daten ins Ausland zu übertragen, muss eine sog. „security re-view“ nach einem von der CAC noch festzulegenden Verfahren durchgeführt werden. Zuwiderhandlungen gegen diese Pflichten können zum Verbot der Geschäftsaktivitäten, Geldbußen bis zu 1 Million Chinese Yuan sowie zum Widerruf der Geschäftslizenz in China führen.

Mit Blick auf die Frage, was unter den Anwendungsbereich der CIIO zu fassen ist, konzentriert sich der chinesische Staat nach dem Wort-laut des CSL auf Schlüsselinformationsinfrastrukturen im Bereich öf-fentliche Kommunikation und Informationsdienstleistungen, Ener-gie, Transport, Wasserschutz, Finanzen, öffentliche Dienstleistungen, E-government Angelegenheiten und andere wichtige Industrien und Felder, welche zu ernsthaftem Schaden führen bei Zerstörung, Funk-tionsverlust oder im Falle eines Datenlecks.11 Die weite Fassung des Gesetzes macht deutlich, dass in typischer chinesischer Regelungs-technik im Ergebnis jede Art von netzbezogenen Aktivitäten, jedes Unternehmen und jede Einrichtung in diesen Bereich fallen können.

Die CAC hat diesbezüglich Entwürfe zur Auslegung der Begriffe er-lassen. Diese haben zum derzeitigen Zeitpunkt den Anwendungsbe-reich eher erweitert als beschränkt und sind teils in sich wider-sprüchlich: So wird beispielsweise einerseits durch CAC verlautbart, dass kommerzielle und geschäftliche Daten von dem Lokalisierungs-gebot nicht betroffen seien, sondern lediglich „staatsbezogene Da-ten“. Andererseits definieren Entwurfsrichtlinien des CAC12 „wichti-ge Daten“ als „Daten mit engem Bezug zur nationalen Sicherheit, wirtschaftlichen Entwicklung und öffentlichen Interessen“. Diese werden in den Entwürfen als „operative Industriedaten, Geschäfts-strategien, Daten zu Investitionen und Entwicklung sowie persönli-che Informationen (E-commerce Kontoinformationen von privaten Individuen, finanzielle Daten, Bankkontodaten, Kreditinformatio-nen)“ definiert, mit dem Vorbehalt, dass diese Definition auch durch andere Ministerien weiter klargestellt werden kann.

Die praktische Folge dieser Regelung ist, dass der Begriff „wichtige Daten“ derzeit nicht klar definiert ist und neben staatsbezogenen Daten auch forschungsbezogene und Daten im Zusammenhang mit privatrechtlichen Vereinbarungen betreffen kann. Für diese gilt nach dem CSL ein Speichererfordernis im chinesischen Inland. Soweit ein

7 Art. 22 Abs. 3 CSL8 Art. 76 Nr. 3 CSL9 Art. 37 CSL10 Das CSL verwendet den Begriff: „因业务需要,确需向境外提供的“. Der Wortlaut indiziert eine Prüfungsbefugnis der Behörden oder zumindest eine Beweislast beim Übertragenden, dass eine solche Notwendigkeit besteht.11 Art. 31 CSL12 Measures for Security Assessments of the Transfer of Personal Information and Important Data Overseas (Draft for Comments); Draft Guidelines on Security Assessment for Data Transfers (Draft for Comments).

Lokalisierungserfordernis greift, ist derzeit unklar, ob zumindest eine Kopie solcher Daten auch auf Servern im Ausland erlaubt ist.

Der Transfer solcher lokal gehaltener Daten ist gem. Art. 37 CSL nicht ausgeschlossen, soll aber nach den Regelungen der CAC ei-nem „security assessment“ unterzogen werden. Diese Sicherheits-einstufung ist grundsätzlich durch die betroffenen Unternehmen selbst vorzunehmen.

Eine Ausnahme (nach derzeitigem Stand der Entwürfe) von der Durchführung einer Selbsteinstufung gilt für folgende Tatbestände:

• Die Daten enthalten personenbezogene Informationen von mehr als 500.000 Individuen;

• Das Datenvolumen überschreitet 1.000 GB (1 Terrabyte);• Die Daten enthalten Informationen in den Gebieten nukleare

Anlagen, chemische Biologie, nationale Verteidigung und Mili-tär, Volksgesundheit usw., sowie Informationen über bedeuten-de Ingenieurstätigkeiten, die Meeresumwelt oder sensible Geo-graphie;

• Die Daten enthalten Sicherheitsinformationen zum Netzwerk von CIIO;

• CIIO übermitteln personenbezogene Daten und wichtige Daten für ausländische Parteien;

• Andere Faktoren, welche die nationale Sicherheit oder öffentli-chen Interessen der VR China berühren können.

Für solche Daten ist eine Meldung an die CAC bzw. andere Regulie-rungsbehörden erforderlich, welche die Sicherheitseinstufung vor-nehmen. Diese Einstufung erfolgt in beiden Fällen, sowohl der Selbsteinstufung oder der Prüfung durch die Behörden, in zwei Stu-fen und schließt eine umfassende Analyse der folgenden Daten mit ein:

• Personenbezogene Daten: Bereich, Typ, Ausmaß und Sensibili-tät der Daten;

• „Wichtige Daten“: Bereich, Typ und Ausmaß;• Beschreibung der involvierten Informationssysteme;• Sicherheitsmaßnahmen des Datenexporteurs;• Sicherheitsmaßnahmen des Empfängers und die grundsätzliche

Lage im Land oder der Region des Empfängers.

Die Selbsteinstufung umfaßt im zweiten Schritt die Prüfung der Ge-setzmäßigkeit, Angemessenheit und Notwendigkeit des Datenex-ports, sowie das „risk level“, der mit ihm einhergeht. Für diese Ein-schätzung sind zu berücksichtigen ob die Zustimmung zu personen-bezogenen Daten vorliegt, der Datenexport mit internationalen Verträgen in Übereinstimmung steht, der Datenexport notwendig ist, um die normalen Geschäftsaktivitäten durchzuführen bzw. ver-tragliche Verpflichtungen zu erfüllen (zu letzteren zählen auch inter-ne Geschäftsentwicklungszwecke, gerichtliche Hilfestellungen, Erfül-lung von Verpflichtungen der Aufsichtsbehörden und andere Zwe-cke der nationalen Sicherheit, der wirtschaftlichen Entwicklung und dem sozialen öffentlichen Interesse der Bürger). Das Risikolevel soll sich bestimmen lassen anhand der Kriterien (1) Art, Umfang, Sensiti-vität (mit Blick auf personenbezogene Daten), und Volumen der Da-ten; (2) Wahrscheinlichkeit und Auswirkungen bei Verstößen gegen die Informationssicherheit unter Berücksichtigung (i) der technischen Maßnahmen, welche durch den Datenexporteur sowie den Impor-teur ergriffen werden, (ii) das jeweilige Niveau der Kapazitäten zur

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Kontrolle der Vorgänge, sowie (iii) das politische und rechtliche Um-feld im Empfängerland.

Ist nach diesen Kriterien der Datenexport „ungesetzlich“ oder unan-gemessen, oder ist alternativ das Risikolevel als hoch oder sehr hoch eingestuft, wird der Datenexport nicht erlaubt.

Mögliche Auswirkungen einer stark lokal gelenkten Datenkontrolle in China

Der Inhalt und die derzeit intensive Diskussion in China über Mach-barkeit und Vorhersehbarkeit der Anforderungen zeigen, dass Da-tenflüsse nach und aus China heraus in Zukunft vollständig neu zu bewerten sind und bislang nicht existierende Risiken beinhalten. Die derzeitige Regelungstechnik des chinesischen Gesetzgebers beinhal-tet für sämtliche denkbaren Konstellationen grenzüberschreitender Forschung Auffangtatbestände in Form unbestimmter Rechtsbegrif-fe und Auffangklauseln, welche das Kontrollregime sowohl auf Un-ternehmen als auch öffentlich-rechtliche Institutionen anwendbar machen können.

Damit werden große und umfangreiche Datenströme auch im Falle einer Anonymisierung von Daten einerseits einer lokalen staatlichen Kontrolle unterworfen. Andererseits kann es zu einer „Verhaftung der Daten“ kommen durch ein Verbot eines Exports. Allein das Be-stehen eines solchen Risikos kann Internet-basierten Datenaustausch oder Kooperationen mit großen Datensätzen oder vielen Nutzern in China uninteressant oder unmöglich machen. Daneben ergeben die Sanktionen im CSL ein Erpressungspotential des Staates. So kann durch Verwaltungsanordnungen der Begriff „wichtige Daten“ durch die CAC oder ein anderes Ministerium neu definiert werden. Grenz-überschreitende Forschung muss damit in Zukunft immer China-ba-siert betrieben werden. Die geringe Datenmenge von 1 TB (ob dies auf eine Vertragslaufzeit bezogen gilt bzw. auf einen anderen Zeit-raum oder eine Anzahl von Vorgängen ist derzeit unklar) deutet eine Tendenz an, den Anwendungsbereich der neuen Vorschriften sehr weit zu fassen.

Fazit

Die chinesische Regierung hat mit dem neuen CSL ein Werkzeug ge-schaffen, welches im Ergebnis den internationalen Datenfluss einer vollständigen Kontrolle unterwirft, grenzüberschreitende For-schungskooperation ohne Mühe erfassen und je nach Verhalten der chinesischen Regulierungsbehörden erschweren kann. Auch auf Un-ternehmensseite erhöhen die Vorschriften den Aufwand und wer-den vermutlich insbesondere KMU überfordern; diese kommen nicht anders umhin, als entweder vollständig lokal zu agieren und ein Ex-portverbot von Daten präventiv zu befolgen, oder aber den mögli-chen Fall einer späteren Intervention hinzunehmen und Daten mit Risiko der Verletzung der gesetzlichen Anforderungen zu exportie-ren.

Die Vorschriften eröffnen handfeste wirtschaftliche Lenkungsmög-lichkeiten auf chinesischer Seite: Für sog. „unicorns“ aus dem Aus-land, d.h. besonders wertvolle Start-ups mit innovativen Geschäfts-ideen, kann bei Datenabhängigkeit des Geschäftsmodells die Ge-setzgebung verwendet werden, um ein Investment zu erzwingen,

deren Tätigkeit in China einzuschränken oder unmöglich zu machen oder Zeit für einen chinesischen Wettbewerber zu gewinnen, um ei-ne lokale „Kopie“ der Geschäftsidee in China zu entwerfen und die Größe des chinesischen Markts zu nutzen, selbst schnell zu wachsen und das Modell dann in Drittmärkte zu exportieren.

Die Gesetzgebung ist auch mit Blick auf eine mögliche Verschiebung der Wertschöpfungskette in Forschung und Entwicklung bemerkens-wert: Während bislang für FuE die Spezialisierung und Fähigkeit zur Entwicklung wichtigste Voraussetzung für eine anschließende Wert-schöpfung waren, verschiebt sich in einer Welt der Daten der Wert von der Idee für Geschäftsmodelle und der Fähigkeit eines Experten zur Umsetzung sukzessive hin zu demjenigen, welcher die erforderli-chen Daten hält und neue Daten in ausreichender Menge bereitstel-len und auch nutzen kann. Monopolisierung von Daten, sei es über das Patentrecht, andere Rechtsinstitute oder rein faktisch, kann da-mit zu einer Bedrohung von Forschung und Entwicklung, aber auch für die erfolgreiche Verwertung von Forschungsergebnissen werden. Vergleichbar dem freien Fluss von Waren wird somit die Bedeutung des freien Flusses von Daten zunehmen.

Literatur

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Härting, Niko, „Dateneigentum – Schutz durch Immaterialgüter-recht?“, S. 646 ff.

Hoeren, Thomas, „Dateneigentum – Versuch einer Anwendung von § 303a StGB im Zivilrecht“, S. 486 ff.

Mayer-Schönberger, Viktor/Kenneth Cukier, „Big Data – Die Revolu-tion, die unser Leben verändern wird“, Redline Verlage 3. Auflage 2017

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Einleitung1

„Big Data" gilt heute als Hauptantrieb für wirtschaftliche Innovation und politische Vitalität eines Landes. Bürger, Regierungen und Un-ternehmen vertreten diesbezüglich jedoch miteinander verflochtene, oft auch widersprüchliche Interessen. Eine zentrale Frage ist, wie man personenbezogene Daten für staatliche Dienstleistungen, öf-fentliche Forschung und kommerzielle Transaktionen sammelt, ver-arbeitet und verbreitet und dabei gleichzeitig die Bürger vor Daten-missbrauch schützt.2

Die Volksrepublik China (VRC) ist auf dem Weg, die größte und ein-flussreichste Datenmacht der Welt zu werden. China rühmt sich der weltweit größten Internet-Bevölkerung (738 Mio.) sowie der höchs-ten mobilen Internet-Durchdringung (717 Mio.).3 Durch eine zuneh-mende Abhängigkeit von mobilen Dienstleistungen nutzen viele Chinesen vermehrt Online-Zahlungs-Apps, die mit ihren Bankkonten verbunden sind. Diese Apps können auch GPS-Standorte offenle-gen, wenn Nutzer zum Beispiel Online-Fahrtdienste verwenden. So entsteht in China ein riesiger Pool an personenbezogenen Daten.Peking fördert datengetriebene Innovationen, um die Wirtschaft zu vitalisieren und staatliche Dienstleistungen zu verbessern. Angesichts der Komplexität der Standardisierung und Vereinheitlichung der Da-tenerhebung und -nutzung hat die chinesische Regierung die Ge-setzgebung zur Regelung der Übertragung und Verwaltung perso-nenbezogener Daten beschleunigt.

All dies geschieht im Rahmen von Chinas neuem Governance-Mo-dell, das manche Analysten als „digitalen Leninismus" bezeichnen.4 Unter Xi Jinping hat die chinesische Regierung ihre Fähigkeit, perso-nenbezogene Daten zu sammeln, massiv ausgebaut. Daten sind zu einer neuen Basis für die Aufrechterhaltung der Herrschaft der Kom-1 Wir bedanken uns herzlich bei Mao Yishu für ihre großartige Unterstützung bei der Anfertigung dieses Policy Briefs und Margot Schüller sowie Kerstin Lohse-Friedrich für wertvolles Feedback. Stand der Informationserfassung ist Mitte November 2017.2 „Personenbezogene Daten“ und „persönliche Informationen (oder auch: Daten)“ werden gleichbedeutend verwendet.3 http://www.internetworldstats.com/top20.htm und https://newzoo.com/insights/rankings/top-50-countries-by-smartphone-penetration-and-users/4 http://blog.merics.org/en/blog-post/2017/10/02/big-data-reshapes-chinas-approach-to-governance/; https://www.wsj.com/articles/xi-jinping-leads-china-into-big-data-dictator-ship-1508237820

munistischen Partei Chinas (KPC) geworden. So macht Peking Fort-schritte bei der Umsetzung des so genannten „sozialen Bonitätssys-tems", eines datenbasierten Überwachungs- und Evaluierungssys-tems, das auf die „Berichtigung" des Verhaltens von Bürgern abzielt. Grundlage sind für Parteimitglieder die KPC-Normen.

Für Ausländer, die in China leben oder nach China reisen, sowie für ausländische Unternehmen, die grenzüberschreitende Geschäfte mit oder unter Beteiligung von personenbezogenen Daten tätigen, ist es entscheidend, das Zusammenspiel dieser wirtschaftlichen und politi-schen Dynamik in der VR China zu verstehen.

Die drei zentralen Botschaften dieses Policy Briefs sind:1. Die chinesische Regierung weitet den Umfang der Sammlung und Verbreitung persönlicher Informationen rasch aus, um datengetrie-bene Innovation zu fördern und eine IT-gestützte autokratische Re-gierung aufzubauen.

2. Während Peking den rechtlichen Rahmen für den Schutz perso-nenbezogener Daten ausgeweitet hat, bleibt dieser unvollständig. Die bestehenden Gesetze schützen die Bürger weder gegenüber dem Parteistaat, noch bieten sie die rechtliche Möglichkeit einer Ausbalancierung von Privatsphäre und Big-Data-Innovationen.

3. Die Einstellung der chinesischen Bürger zum Schutz personenbe-zogener Daten ist ambivalent. Das Bedürfnis nach Bequemlichkeit steht im Mittelpunkt. Netizens sind aber zunehmend hin- und her-gerissen zwischen der wachsenden Besorgnis über den Umgang mit ihren persönlichen Daten und dem Impuls, Daten von Menschen der Öffentlichkeit preiszugeben, die gegen Gesetze verstoßen.

Chinas Datenrevolution

Eigene digitale Ökosysteme, die Dienstleistungen für (fast) alle Le-bensbereiche anbieten, sind das Rückgrat der Transformation Chinas zu einer Daten-Supermacht. Die „Welt von WeChat"5 ist eines der prominentesten Beispiele. Ohne die Benutzeroberfläche verlassen zumüssen, können Benutzer nicht nur Textnachrichten senden, Online-

5 https://www.economist.com/news/business/21703428-chinas-wechat-shows-way-social-medias-future-wechats-world

Datengetriebene Innovation vs. Schutz von privaten Informationen - Wie China mit personenbezogenen Daten umgeht

Dr. Kristin Shi-Kupfer, Leiterin des Forschungs-bereich Politik, Gesellschaft, Medien, MERICS

Dr. George G. Chen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, MERICS

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Plug and Pay (z.B. Kredit- / Debitkarte in ein Lesegerät, das an ein Smart-phone des Händlers ange-schlossen ist)

Über eine mobile Brieftasche in einem Geschäft (z.B. ein Dienst wie Apple Pay, bei dem meine Kredit- / Debitkarten-details hinterlegt sind)

Über eine App (z.B. meine Kredit- / Debit-kartendetails sind bei dem App-Anbieter hinterlegt)

Direkt über meine Smart-phonerechnung (z.B. eine gebühren-pflichtige SMS-Nachricht)

Airtime Transfer Eingegeben von Kredit- oder Debitkarten auf einer mobilen Webseite

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Global China Mature Markets UK/US/FR/DE Emerging Markets BR/IN/SA/N

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Quelle: MEF Mobile Money Report

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Abbildung 1: Mobile Zahlungsanwendungen sind die Treiber von Chinas rasanter Datenrevolution

Inhalte lesen oder Spiele spielen, sondern auch Reisen buchen, Arzt-termine vereinbaren, Arbeitsaufträge organisieren und für jede Art von Transaktion bezahlen.

Digitale Finanztechnologie (FinTech) ist die jüngste Triebkraft der ra-santen Daten-Revolution in der VRC. Die breite Verwendung von mobilen Zahlungsanwendungen wie WeChat Pay und Alipay hat China in vielen Alltagsbereichen zu einer weitgehend bargeldlosen Gesellschaft gemacht. Die über die Apps getätigten Transaktionen generieren zahlreiche Daten (und Spuren), die leicht überwacht und analysiert werden können.

Kürzlich hat Alipay, das Onlinebezahlsystem des chinesischen Tech-nologieriesen Alibaba, eine Funktion mit dem originellen Namen „Smile to Pay" eingeführt, bei der Gesichtserkennungstechnologien als Verifikation für Zahlungen verwendet werden. Die Geldautoma-ten mehrerer Banken in China nutzen dies ebenfalls, um die Identi-tät ihrer Kunden zu überprüfen. All diese Systeme werden China helfen, eine riesige Datenbank für digitale Gesichtsbilder aufzubau-en.

Finanzdaten und digitale Bilder von Gesichtern sind personenbezo-genen Daten. Das im Juni 2017 in Kraft getretene Cybersicherheits-gesetz definiert diese erstmals als „alle Arten von Informationen umfassed, die elektronisch oder auf andere Weise aufgezeichnet werden und die allein oder zusammen mit anderen Informationen

ausreichend sind, um die Identität einer Person festzustellen, ein-schließlich, aber nicht beschränkt auf, vollständige Namen der na-türlichen Personen, Geburtsdaten, Identifikationsnummern, persön-liche biometrische Informationen, Adressen, Telefonnummern und so weiter."6

Big Data-Entwicklung steigert Chinas globale Wettbewerbsfähigkeit Der wachsende Umfang der erhobenen personenbezogenen Daten steht im Einklang mit der Politik der KPC, Big Data-Entwicklungen zu fördern. Im September 2015 veröffentlichte der Staatsrat einen „Aktionsplan zur Förderung der Entwicklung von Big Data".7 In die-sem werden Big Data-basierte Innovationen als treibende Kraft für die Vertiefung der Wirtschaftsreformen angesehen, die Chinas glo-bale Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und die Steuerung öffentlicher Angelegenheiten verbessern können. Big Data soll in den Bereichen Kommunikation, Gesundheitswesen, Bildung, Finanzen, Energie und in anderen Sektoren eingesetzt werden. In den nächsten fünf bis zehn Jahren will Peking in großem Umfang in die Entwicklung der Infrastruktur und des Rechtsrahmens für Big Data investieren. Die Auswirkungen dieser Strategien sind bereits sichtbar, zum Beispiel an Chinas steigender Zahl von „Smart Cities".8

6 https://www.chinalawtranslate.com/cybersecuritylaw/?lang=en7 http://www.gov.cn/zhengce/content/2015-09/05/content�10137.htm8 http://www.chinadaily.com.cn/china/2017-04/21/content�29024793.htm

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Verordnungen – Beispiel StandardisierungIn der zweiten Jahreshälfte 2016 hat Chinas National Information Security Standardization Technical Committee (NISSTC) einen Ent-wurf zu rechtlichen Standards für den Schutz personenbezogener Daten veröffentlicht.11

Seitdem hat die chinesische Regierung viele Gesetzentwürfe für spe-zifische Sektoren und Big-Data (wie Cloud-Computing oder künstli-che Intelligenz) veröffentlicht.12 Dennoch machen all diese Regelun-gen lediglich Internetfirmen in verschiedenen Sektoren für den Da-tenschutz verantwortlich, nicht aber die entsprechenden Regierungsabteilungen.

Selbstverwaltungsregeln im internationalen Vergleich – Beispiel IT-Initiative Neben einer einheitlichen Gesetzgebung existieren in vielen Ländern „weiche“ datenschutzrechtliche Prinzipien, wie zum Beispiel in den USA. Grundsätzlich entstehen diese Prinzipien unter der Vorausset-zung, dass Unternehmen und industrielle Vereine bestimmte Regeln selber entwickeln, vermitteln und für deren Durchsetzung Sorge tra-gen.

Die VRC verfolgt auch diese „weichen“ Prinzipien. Am 24. Septem-ber 2017 unterzeichneten Chinas zehn führende IT-Unternehmen auf Einladung der chinesischen Regierung die „Initiative für den Schutz der persönlichen Information“ – ein selbst bindendes Ab-kommen, das multinationale Unternehmen aus den Sektoren wie E-Commerce, Geoplaning oder Soziale Medien datenschutzrechtliche Pflichten auferlegt. Dementsprechend haben die Firmen jüngst ihre jeweiligen Unternehmensrichtlinien für Datenschutz geändert und verbessert. Eine Untersuchung zeigt, dass die jeweils geänderte da-tenschutzrechtliche Politik gute Resultate erzielt hat.13

Nach internationalen Standards enthält der chinesische Daten-schutz-Rahmen dennoch strukturelle Mängel und ist mithin nicht geeignet, die Bürger gegen staatlichen Datenmissbrauch zu schüt-zen.

11 https://www.insideprivacy.com/international/china/chinas-new-draft-national-standards-on-personal-information-protection/12 https://www.huntonprivacyblog.com/2017/06/09/china-releases-draft-guideli-nes-cross-border-data-transfers-pursuant-cybersecurity-law/13 http://www.cac.gov.cn/2017-09/25/c�1121715816.htm

Trotz der Vorteile datengesteuerter Innovationen in vielen Lebensbe-reichen gibt es verschiedene Herausforderungen für Sicherheit und den Schutz personenbezogener Daten. Im Falle der „Smart Cities“ beispielsweise können die Risiken für einzelne Bürger unter anderem Überwachung, sekundäre Nutzung/Missbrauch, Verletzung der Ver-traulichkeit oder Erpressung umfassen.9 Darüber hinaus können un-sichere personenbezogene Daten auch zu kollektiven Schäden mit globalen Auswirkungen führen.10

China hat Cybersicherheit zur Grundlage für datengetriebene Inno-vation und Wachstum erklärt. Der „Aktionsplan" legt folgende As-pekte fest, um die Datensicherheit zu gewährleisten: a) Festlegung von Grenzwerten und Standards für die Datenerhe-bung, -speicherung, -nutzung und -verbreitung; b) Investitionen in Datenschutztechnologien sowie c) Schaffung eines Rechtsrahmens für den Datenschutz.

Die Schwäche des gegenwärtigen gesetzlichen Rahmens

Der derzeitige Rechtsrahmen enthält kein einheitliches Gesetz, das ausschließlich dem Schutz personenbezogener Daten von Bürgern gewidmet ist. Der Rahmen besteht hauptsächlich aus drei Elemen-ten, nämlich Gesetzen, Verordnungen und Selbstregulierungsregeln.

Gesetze – Beispiel CybersicherheitNeben einer umfassenden Definition von „persönlichen Informatio-nen” setzt das Cybersicherheitsgesetz Grenzen für die Erhebung und Übertragung von personenbezogenen Daten, indem es z.B. Netzwerkbetreiber auffordert, über den Zweck und Umfang der Da-tenerhebung explizit aufzuklären, eine vorherige Genehmigung durch die Nutzer einzuholen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Rechtmäßigkeit, Angemessenheit sowie Notwendigkeit) bei der Da-tenbearbeitung anzuwenden. In China erhobene personenbezogene Daten von Verbrauchern müssen auf Servern gespeichert werden, die sich auf chinesischem Territorium befinden.

Auch andere Gesetze enthalten Forderungen zum Schutz von per-sönlichen Informationen.

9 http://progcity.maynoothuniversity.ie/wp-content/uploads/2016/01/Smart-Cities-data-privacy-data-security.pdf10 https://www.reuters.com/article/us-cyber-attacks-china/chinas-xiongmai-to-recall-up-to-10000-webcams-after-hack-idUSKCN12P1TT

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Tabelle 1: Viele regulierte Sektoren, wenig Verantwortlichkeit für die RegierungWichtigste Gesetze zum Verbot von illegaler Erhebung, Übertragung, Bearbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten

Allgemeine Anwendbarkeit in

sämtlichen Sektoren

Verantwortlichkeit für einzelne Bürger und

Unternehmen

Verantwortlichkeit für die Regierung

Allgemeine Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (2017) Ja Ja Nein

E-Commerce Gesetzentwurf (2017 Nein Ja Nein

Gesetz zur Cybersicherheit (2015) Ja Ja Nein

Gesetz zur Sozialversicherung (2015 Nein Ja Ja

Entscheidung des Nationalen Volkskongresses zum verstärk-ten digitalen Schutz personenbezogener Information (2015)

Ja Ja Nein

Gesetz zum Schutz der Rechte und Interessen der Verbraucher (2014)

Ja Ja Nein

Tourismusgesetz (2013) Nein Ja Nein

Gesetz zum Personalausweis der Einwohner (2011) Nein Ja Ja

Strafgesetzbuch (2009) Ja Ja Nein

Pass-Gesetz (2006) Nein Ja Ja

Quelle: Eigene Zusammenstellung

Tabelle 2: Ausgewählte Verwaltungsregeln für Datenschutz zielen auf private Unternehmen in branchenspezifischen SektorenZuständige Behörden

Sektoren Genaue Verordnung

Wichtige datenschutzrecht-liche Prinzipien

Sanktions-möglichkeiten

Nationale Aufsichts-kommission für das Bankenwesen

Banken Guidance for the Banking Sector on the Protection of the Rights of Consumers (2013

Grundsatz des Verbraucher-schutzes bei Bearbeitung finanzbezogener Informati-onen

Banken-Aufsichtsbehörden erteilen Verwaltungs- weisung oder –strafe

Nationale Behörde für Industrie und Handel

Verbraucherschutz Measures for the Punisment of Conduct Infringing the Rights and Interests of Consumers (2015)

Definition von „persönlichen Informationen der Verbrau-cher” und Regeln für die Erhebung sowie Bearbeitung personenbezogener Daten

Nationale Behörden erteilen Verwal-tungsweisung oder –strafe zwischen dem ein- und zehnfachen Wert der illegalen Einnahmen

Chinesische Zentralbank

E-Commerce für Nicht-Finanzin- stitutionen

Administrative Measures for Online Payment Business of Non-Bank Payment Institu-tions (2015)

Beschränkungen der Speicherung sensibler Kunde-ninformationen

Nationale Behörden ertei-len Verwaltungsweisung oder –strafe zwischen dem ein- und fünffachen Wert der illegalen Einnahmen

Nationaler Arbeitsstab für Internet-Information

Mobile App- Dienstleistungen

Administrative Provisions on Information Services for Mobile Internet Applications (2016)

Nutzerrecht auf Erkenntnis von Einzelheiten bezüglich Er-hebung und Verwaltung ihrer personenbezogenen Daten

Keine spezifischen

Ministerium fürIndustrie und Informatisierung

Taxiruf Interim Measures for the Administration of Operation and Services of E-hailing Taxis (2016)

Pflicht von Online-Plattform, personenbezogene Daten vor Verlust zu schützen

Verwaltungsstrafe zwischen 2.000 und 10.000 Yuan

Quelle: Eigene Zusammenstellung

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Tabelle 3: Chinas Datenschutz in vergleichender Perspektive

EU US China

Verfassungsrechtlicher Schutz der Privatsphäre

Ja Ja Ja

Möglichkeit einer Verfassungsklage für Bürger

Ja Ja Nein

Einheitliche Gesetzgebung für Daten-schutz

Ja Nein Nein

Spezifische Datenschutzbehörde Ja Nein Nein

Umfangreiche Definition von persönlichen Informationen

Ja Nein Ja

Quelle: Eigene Zusammenstellung

Mängel in Bezug auf umfassenden personenbezogenen Datenschutz

Der gegenwärtige gesetzliche Rahmen bietet keine Lösung für grundsätzliche Konflikte zwischen Big-Data-Nutzung und Daten-schutz. Ein vom chinesischen Staatsrat 2015 ausgearbeiteter Hand-lungsplan zur Förderung der Entwicklung von Big-Data richtet sich zwar auf die Herausforderungen in diesem Kontext, scheint aber nicht alle relevanten Fragen in Betracht zu ziehen. Staatliche und kommerzielle Big-Data-Plattform-Betreiber dürfen ohne explizite Ge-nehmigung von individuellen Nutzern Daten erheben, soweit ihre persönlichen Informationen anonymisiert, ersetzt oder gar gelöscht werden. Ferner existieren keine gesetzlichen Regelungen, die die Sicherheit personenbezogener Daten schützen, die im Bereich Big-Data zu bearbeiten oder zu übertragen sind.

Zudem bietet der vorliegende Rahmen weder hinreichendes Ab-schreckungspotential gegen illegale Händler, noch ausreichende Rechtsmittel für Opfer eines Datenverlusts. Grundsätzlich entschei-den die Gerichte entweder auf Schadensersatz oder verhängen eine Strafe. Meistens vergeben aber die Behörden „Verwaltungsstrafen“ (bis zu 50.000 Yuan Geldstrafe), die abschreckende Wirkung entfal-ten. In der EU dagegen kann der Verstoß gegen das Datenschutz-recht zu einer Geldstrafe von bis zu zwei Prozent des jährlichen Um-satzes von einem Betreiber führen. In China darf die höchste Geld-strafe nur bei etwa einer Million Yuan liegen (in den meisten Fällen kommt es nur zu einer schriftlichen Verwarnung oder einer Geld-strafe zwischen 50.000 und einer halben Million Yuan). Obendrein beruht die Rechtsprechung fast nie auf den Verordnungen des Staatsrats. In der Praxis ignorieren die lokalen Gerichte häufig Ver-waltungsregelungen, die miteinander oder sogar mit einem Gesetz so in Widerspruch stehen können, dass ihre Rechtsgeltung eventuell problematisch wäre. Im Gegensatz dazu können europäische Ge-richte ähnliche Rechtsstandards anwenden, die durch eine einheitli-che EU-Richtlinie etabliert sind.

Trotz der Anstrengungen zahlreicher Abteilungen der Exekutive, den Datenschutz zu standardisieren, ist in China keine einzige nationale Behörde speziell für Datenschutz verantwortlich. Hingegen sind eine Vielzahl von Behörden und Anstalten für Datenschutz im Bereich von IT, öffentlicher Sicherheit, Telekommunikation usw. zuständig, die verschiedene Regelungen anwenden. Das EU-Datenschutzrecht sieht hingegen spezifische Behörden vor, die für die Koordinierung, Beaufsichtigung, und Implementierung des Rechts verantwortlich sind. In der EU steht der Datenschutzbeauftragte im Vordergrund, der dann ausschließlich für die Beaufsichtigung der Durchsetzung des Datenschutzrechts zuständig ist.

Zusammengefasst ist die chinesische Regierung bislang überwie-gend darauf angewiesen, dass Unternehmen und Bürger für den Schutz personenbezogener Daten Sorge tragen. Das Hauptproblem liegt in einem überzentralisierten Regierungssystem, das personen-bezogene Daten ohne Hemmungen und angemessene Kontrolle er-hebt, benutzt und sogar monopolisiert. Zumindest die mangelnde Transparenz einer solchen Monopolisierung von Daten sieht sogar die chinesische Regierung inzwischen als problematisch an. Im Juni 2017 veröffentlichte der Staatsrat einen Entwurf zur Änderung der Regelungen für die Offenlegung von Regierungsinformationen, in dem die nicht öffentlich zugänglichen Informationen spezifisch auf jene beschränkt werden, die staatliche Geheimnisse, Geschäftsge-heimnisse sowie die Privatsphäre betreffen.14

Ambivalente Haltung chinesischer Bürger zum Schutz personenbezogener Daten

Der Verlust (leakage) personenbezogener Daten in China resultiert häufig daraus, dass eine lokale Regierungsdatenbank gehackt wird. Dies ist eine weltweite „Geschäftsmöglichkeit“, die in der PRC je-doch vergleichsweise häufig auftritt.

Laut einer Umfrage der EMC Corporation im Jahr 2014 erlebten 68% der Chinesen bereits Datenschutzverletzungen (im Vergleich: weltweiter Durchschnitt: 54%, Indien: 64%, USA: 58%, Deutsch-land: 42%).15 Die Opfer haben jedoch keine wirksamen Mittel, um eine allgemeine Entschädigung zu fordern. Zum Beispiel wurden Un-ternehmen wie China Unicom und China Eastern Airline wegen der Übermittlung von persönlichen Daten, die für Betrug verwendet wurden, verklagt. Die einzige Konsequenz für die Unternehmen war jedoch die Abfassung einer schriftlichen Entschuldigung.16

Die Veränderung des Datenschutzbewusstseins hält nicht Schritt mit der technologischen Entwicklung, die zunehmend den Alltag in Chi-na durchdringt. Laut der oben genannten Umfrage von EMC ran-giert China nach Indien und dem Nahen Osten an dritter Stelle, was die Bereitschaft der Verbraucher anbelangt, digitale Privatsphäre für mehr Bequemlichkeit zu opfern. Deutschland belegt den 15. und damit letzten Platz.

Eine Analyse der Kommentare auf der chinesischen Mikroblogging-Plattform Weibo zu aktuellen Fällen des Verlusts personenbezogener Daten zeigt, dass zwar Menschen aktiv kommentieren und sich über ähnliche Erfahrungen beschweren, aber nur wenige (rund 66 Kom-mentare) Begriffe wie Datenschutz nennen.17 Lediglich einige Rechtsanwälte (rund 20 Kommentare) äußern, dass sie im Zeitalter von Big Data ihr Vertrauen in den Schutz personenbezogener Daten verloren hätten.

14 http://www.gov.cn/zhengce/2017-06/15/content�5202800.htm15 http://www.cac.gov.cn/2017-09/25/c�1121715816.htm16 http://finance.chinanews.com/cj/2014/03-14/5951072.shtml17 Auf Basis von fünf Fallbeispielen von Datenmissbrauch zwischen 2014 und 2017. Die Auswertung umfasst insgesamt 1.838 Kommentare auf Sina Weibo. Die Größe der Kästen stellt eine ungefähre Gewichtung des Arguments im Gesamt-kontext dar.

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Kein Bewusstsein für die Wichtigkeit von

Datenschutz

Teilen Sorge, aber keinOptimismus bezüglich einer

Lösung

Mangelnder Daten-schutz ist ein Problem und sollte verbessert

werden

„Der derzeitige unzureichende Schutz personenbezogener Daten und das fehlende Bewusstsein führen dazu, dass Online-Datenschutz nicht mehr gewährleistet ist. Netizens sind alle transparent und laufen nackt im Internet herum. Manche begehen sogar ungesetzliche Taten mit den erhaltenen Daten.“

„Es ist in Ordnung, selbst wenn alle meine Informationen, die ich online erzeuge, enthüllt werden - sie können veröffentlicht werden.“

指甲草2010:目前对个人信息保护力太弱,很多人根本没有保护个人信息的概念,导致在网上完全没有任何隐私可言,都是透明人,裸奔。有些人甚至利用个人信息干违法犯罪的事情

暗黑键盘:没事, 哪怕刮出我在网上手机上电脑上的所有信息,都是可公开的

Wachsende Bedenken hinsichtlich des Schutzes personenbezogener Daten - schwierige Zeiten für öffentliche Interessenvertretung Chinesische Internetnutzer sorgen sich um so genannte „human flesh searches“ (wörtlich: „Suche nach menschlichem Fleisch“ (sprich: Daten)). Es handelt sich um kollektive Online-Aktivitäten, bei denen versucht wird, durch die Preisgabe von persönlichen Informa-tionen jemanden der öffentlichen Demütigung und Hetze auszuset-zen. In einem Staat, dem es keine unabhängige Justiz gibt, wird die Enthüllung privater Informationen von korrupten Kadern, untreuen Schauspielern oder unpatriotischen Schülern nicht selten als Waffe verwendet. Häufig von einem Netizen gestartet, schließen sich mit-unter Tausende von anderen Internetnutzern an, um online nach Fo-tos, Telefonnummern und Adressen der entsprechenden Person zu suchen und so den Weg für Drohungen (auch offline) zu ebnen.18

Wenn man in Online-Foren wie Zhihu oder Tianya Diskussionen ver-folgt, die von der chinesischen Mittelklasse genutzt werden, findet man zahlreiche Artikel und Tipps zum Schutz persönlicher Daten und Warnungen vor dem Posten von „realen“ Informationen über sich selbst. Netizens zeigen sich auch besorgt über Datendiebstahl und -leaks: In einem Forumsbeitrag über einen Fall, in dem das Bankkonto einer Person gehackt wurde, kommentierten Teilnehmer das Ereignis, indem sie erklärten, wie man Hacker bekämpft, und teilten ähnliche Erlebnisse.19 Bislang sind proaktive Maßnahmen je-doch eher selten. Die Diskussionen beschränken sich meist auf ge-schlossene Foren, und werden in erster Linie von einigen ausgespro-chenen Rechtsexperten und interessierten Bloggern geführt.20 Nicht überraschend ist, dass Bemühungen um autonome Selbstorganisati-on schnell verboten werden, wie der Fall einer White-Knight-Hacker-Gruppe WooYun.org gezeigt hat.21

18 http://www.bbc.com/news/magazine-25913472; http://ent.china.com/star/news/11052670/20110112/16337763.html; https://www.theguardian.com/world/2017/may/23/china-yang-shuping-free-speech-university-of-maryland-us-stu-dent; http://tieba.baidu.com/p/512866682719 https://www.zhihu.com/question/37021910; https://www.zhihu.com/questi-on/2785628320 http://weibo.com/zhuweilaw?from=hissimilar�home&is�hot=1; http://www.wil-liamlong.info/21 http://www.wooyun.org/; http://www.infzm.com/content/118576

Zukünftige Herausforderungen für den Schutz personenbezogener Daten

Jüngste politische Entwicklungen in der VR China lassen den Schutz personenbezogener Daten noch dringlicher erscheinen

Durchsetzung der Richtlinien zur Klarnamensregistrierung - Ende von anonymen Online-Äußerungen Seit März 2015 bemüht sich Chinas Cyber-Administration um die Durchsetzung der bestehenden Gesetze zur Klarnamensregistrie-rung. Regierungsbehörden haben wiederholt IT-Unternehmen wie Sina Weibo oder Tencent aufgefordert, bestehende Benutzerkonten zu überprüfen und neue Konten nur dann zu eröffnen, wenn Benut-zer eine Kopie ihres Personalausweises vorlegen. Seit dem 1. Okto-ber 2017 müssen sich Nutzer auch mit Klarnamen anmelden, wenn sie auf Online-Plattformen veröffentlichen oder kommentieren möchten. Offensichtlich will die chinesische Regierung ein anonymes Posting prinzipiell nicht mehr zulassen.

VPN-Beschränkungen – Verweigerung eines sicheren Datentrans-fers? Im Januar 2017 kündigte das Ministerium für Industrie und Informa-tionstechnologie (MIIT) eine 14-monatige „Säuberung" von Inter-netzugangsdiensten an, um die Durchsetzung der entsprechenden Gesetze gegen nicht autorisierte Virtual Private Netzworks (VPNs) zu beschleunigen. Jenseits der Zensur verhindert diese Maßnahme, dass Benutzer, einschließlich Firmen, Daten sicher übertragen kön-nen. VPNs werden im Allgemeinen auch dazu verwendet, die IP-Ad-resse eines Benutzers abzuschirmen und es schwieriger zu machen, die Identität oder den Standort einer Person zu verfolgen. Im Juli 2017 sagte Zhang Feng, Sprecher des MIIT, dass Unternehmen mit grenzüberschreitenden Geschäften auch künftig in der Lage sein würden, lizenzierte VPN-Dienste zu nutzen. Laut Bloomberg könnte die Nutzung von VPNs für private Nutzer nach Februar 2018 voll-ständig verboten sein.22

„Schwarze Listen- „Vertrauenswürdigkeit" über Vertraulichkeit?So genannte „schwarze Listen“ von Leuten, die z.B. Verkehrsdelikte begangen, sich als nicht zuverlässige E-Commerce-Händler oder -Käufer erwiesen haben, stehen im Mittelpunkt der aktuellen Imple-mentierungsphase des „sozialen Bonitätssystems“. Im Herbst 2017 hat die chinesische Regierung angekündigt, bis Ende des Jahres eine Datenbank einzurichten (die angeblich auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen soll). Diese enthält persönliche Informationen von Personen, die ihre Bankdarlehen nicht rechtzeitig zurückzahlen konnten. Bislang ist unklar, wer diese Datenbank überwachen wird und inwieweit Betroffene gegen inkorrekte Datenanzeige und -ver-waltung protestieren können.23

22 http://www.miit.gov.cn/n1146290/n4388791/c5471946/content.htm; https://www.bloomberg.com/news/articles/2017-07-10/china-is-said-to-order-carriers-to-bar-personal-vpns-by-february; http://www.thepaper.cn/newsDetail�for-ward�1727714.23 Ohlberg, Mareike, Ahmed, Shazeda; Lang, Bertram. 2017. The State of Imple-mentation of China’s Spcial Credit System. MERICS Monitor draft version (to be published in December 2017 at www.merics.org).http://www.scmp.com/news/china/economy/article/2114768/china-create-national-name-and-shame-sysetem-deadbeat-borrowers?mc�cid=860ebb0402&mc�eid=9da145710. Siehe auch den jüngsten Bericht von Human Rights Watch bezüglich eines seit 2015 existierenden Überwachungssystems des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit. https://www.hrw.org/news/2017/11/19/china-police-big-data-systems-violate-privacy-target-dissent

Abbildung 2: Besorgt, aber wenig Hoffnung auf Besserung: Stimmen aus den Sozialen Medien zu Datenleaks

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Empfehlungen für ausländische Einzelpersonen, Firmen und die chinesisch-deutsche Innovations-kooperation

Auf Basis der oben stehenden Analyse empfehlen wir für:

a) ausländische Einzelpersonen, die Kurzzeiteinsätze in China planen…sorgfältig die Kosten und den Nutzen der Installation chinesischer Apps bzw. Online-Dienste während ihres Aufenthalts in der VR Chi-na abzuwägen;

… Mobilgeräte/Tablets/Notebooks nur für die Verwendung in China vorzubereiten und sie bei der Rückkehr gründlich auf Phishing-Soft-ware prüfen zu lassen.

b) ausländische Firmen in China… aufmerksam die Verpflichtungen hinsichtlich der Speicherung personenbezogener Daten in der VR China ggf. mit Hilfe von Rechtsberatung zu verfolgen und zu bewerten. Das Cybersicher-heitsgesetz erwähnt „Netzbetreiber". Es bleibt abzuwarten, ob dies beispielsweise auch interne Unternehmensnetzwerke einschließt.24

… koordiniert Druck auf die chinesischen Behörden auszuüben, um ihre zukünftige VPN-Politik zu erklären bzw. zu lockern;

… im Falle von grenzüberschreitenden Geschäftsaktivitäten die Her-ausforderungen der doppelten Einhaltung sowohl des chinesischen Rechts als auch der im Mai 2018 in Kraft tretenden EU-Datenschutz-verordnung zu berücksichtigen.

c) die chinesisch-deutsche Innovationskooperation… den laufenden Prozess der Gesetzgebung aktiv weiterzuverfolgen und Input zu geben. Denn die EU und ihre Mitgliedsstaaten dienen China als Vorbild für die Gestaltung ihrer Datenschutzregelung.

… die chinesischen Teilnehmer zu ermutigen bzw. darin zu bestär-ken, Schutz von personenbezogenen Daten als zentralen Bestandteil von Innovationsprozessen und „good governance“ zu sehen.

Literatur

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24 https://www.chinalawblog.com/2017/05/china-cybersecurity-and-data-protec-tion-laws-change-is-coming.html

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Die Fähigkeit zum Wissenstransfer von chinesischen Firmen in entwickelten Märkten: Eine kulturelle Perspektive mit Nachweis aus Deutschland

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Abstract

Der chinesische Fluss ausländischer Direktinvestitionen nach Deutschland erreichte 2016 ein Rekordhoch, und macht Deutsch-land in Europa so zu einer ausgezeichneten Wahl für chinesische In-vestoren (Baker & McKenzie, 2017). Als primäres Ziel solcher Inves-toren dient der Erwerb von deutscher Spitzentechnologie und Ma-nagement Know-how sowie die anschließende Anwendung zur Stärkung des Wettbewerbsvorteils eines Unternehmens, im Heimat-markt und international. Trotz der stark ansteigenden Anzahl und des Volumens der Geschäfte mit chinesischen Investitionen in Deutschland, ist die Misserfolgsquote hoch. Wissenserwerb und -transfer sind schwierig. Die Forschung zeigt, dass Schwierigkeiten in interkultureller Kommunikation und Management nach wie vor die größte Herausforderung für chinesische Unternehmen in Deutschland sind (Chinesische Handelskammer in Deutschland, 2015). Wir untersuchten, inwiefern kulturelle Unterschiede den technologischen Wissenstransfer und die damit verbundenen orga-nisationalen Lernaktivitäten in chinesischen Unternehmen in entwi-ckelten Ländern beeinflussen. Anhand von Daten chinesischer Un-ternehmen in Deutschland geben wir unsere Erkenntnisse in den drei folgenden Hauptthemen weiter:• Richtung des Wissens- und Informationsflusses• Schaffen von Vertrauen und Entwickeln freundschaftlicher zwi-

schenmenschlicher Beziehungen• Umgang mit Mehrdeutigkeit, Unsicherheit und Veränderung

Einleitung

Chinesische nach außen gerichtete ausländische Direktinvestitionen sind in den letzten Jahren stark gewachsen und fließen zunehmend in die entwickelten Volkswirtschaften des Westens. 2016 investier-ten chinesische Investoren einen Rekordbetrag von 94,2 Milliarden US-Dollar in 330 Deals in Europa und Nordamerika (Baker & McKen-zie 2017). Innerhalb Europas zeigte sich Deutschland mit 12,1 Milli-arden US-Dollar im vergangenen Jahr als der größte Empfänger chi-nesischer Investitionen (Baker & McKenzie 2017). Was Deutschland

für chinesische Investoren so attraktiv macht, ist vor allem seine fort-schrittliche Technologie, sein qualifizierten Arbeitskräfte und das für hohe Qualität stehende „Made in Germany"-Label. Wissenserwerb und Wissenstransfer stehen weit oben auf der deutschen Agenda chinesischer Investoren, jedoch sind Quantität und Volumen keine Garantie für Qualität und die erwartete Rendite. Studien zeigen, dass die Gesamterfolgsquote unter chinesischen Investitionen in Deutschland gering ist – etwa 13% der Unternehmen erzielen einen guten Gewinn (Chinesisches Generalkonsulat Frankfurt, 2016). Schwierigkeiten in interkultureller Kommunikation und Manage-ment bleiben die größten Herausforderungen für chinesische Unter-nehmen in Deutschland (Chinesische Handelskammer in Deutsch-land 2015).

Wissensmanagement in seinen vielen Facetten ist mit der Kultur eng verbunden (Hofstede, 2007). Die Kultur beeinflusst, wie Entitäten – von Individuen bis hin zu Ländern – Informationen und Wissen ver-stehen und damit interagieren, in grundlegender Weise. (Pauleen 2007: xvi) Um zu untersuchen, wie sich kulturelle Unterschiede auf das technologische organisationale Lernen in chinesischen multinati-onalen Unternehmen auswirken, haben wir zunächst eine Gruppe gemeinsamer Faktoren identifiziert, aus welchen Schwierigkeiten und Probleme während der Wissenstransfer- und -austauschprozes-se auftauchen.

Zu diesen Faktoren zählen laut Szulanski (2003) Beziehungen zwi-schen Mitarbeitern, die am Übertragungsprozess beteiligt sind – wie Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit zwischen dem Wis-sensanbieter und dem Empfänger. Wichtig ist auch, ob die am Wis-senstransfer beteiligten Mitarbeiter motiviert und in der Lage sind, die entsprechende Aufgabe zu erfüllen.

Im Kontext unserer Forschung ist es von wesentlichem Interesse, wie typische deutsche und typische chinesische Nationalkultur im Wis-senstransferprozess interagieren. Um unsere Forschung auf nationa-ler Ebene zu leiten, wurde das Modell kultureller Dimensionen (Hofstede, Hofstede, Minkov, 2010), das auf nationaler Kultur aus westlicher Perspektive basiert, mit den spezifischen Charakteristika

Yuan Fisslinger, Externe Mitarbeiterin des Lehrstuhls für Innovations- und Technologiemanage-ment

Prof. Dr. Michael Dowling, Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement, Universität Regensburg

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der chinesischen Kultur, wie z.B. die Wertschätzung sozialer Ord-nung, relationaler Harmonie, „Face" und „Guanxi", kombiniert.

Der Wissenstransfer in einem multikulturellen Umfeld ist ein kom-plexer Prozess. Die nationale Kultur alleine kann keine objektive und zuverlässige Analyse der Auswirkungen kultureller Unterschiede ge-währleisten, insbesondere angesichts der Komplexität der politi-schen, institutionellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gege-benheiten in China, die einen erheblichen Einfluss auf die Funktions-weise chinesischer Unternehmen hatten. Deshalb wurden auch einige Aspekte der Organisationskultur in unsere Studie mit einbe-zogen. Wir untersuchten zudem Einflussfaktoren wie die einzigarti-gen chinesischen Unternehmenseigentumsstrukturen und Arten von Einstiegsszenarien. Dazu führten wir mehrere Fallstudien bei ausge-wählten chinesischen Unternehmen in Deutschland durch. Wir wählten drei wichtige Aspekte des Wissenstransfers aus, um darzu-stellen, wie kulturelle Unterschiede den Wissenstransferprozess in chinesischen Unternehmen in Deutschland beeinflussen.

Die Daten wurden im Rahmen von persönlichen Interviews in neun chinesischen Unternehmen aus verschiedenen Branchen (vgl. Ap-pendix) in Deutschland in den Jahren 2015 bis 2017 erhoben. Insge-samt wurden 18 Personen in Managementpositionen und vier Mit-arbeiter in anderen Rollen interviewt.

Richtung des Wissens- und Informationsflusses

Die meisten der von uns untersuchten Unternehmen haben eine Kombination aus Top-Down-, Bottom-Up- und horizontalem Wis-sens-, Informations- und Anweisungsfluss angenommen. Richtlinien, Entscheidungen und Meilensteine im Zusammenhang mit Wissen-stransfer fließen im Allgemeinen top-down, von der obersten auf die operative Ebene. Transparenz wird unterstützt. Das Top-Manage-ment ist sich bewusst, dass die Mitarbeiter auf operativer Ebene das technologische Know-how aus erster Hand kennen und verlassen sich auf das Expertenfeedback von technischen Mitarbeitern. Ihre Ideen und Meinungen sind von unschätzbarem Wert für die Stär-kung der technischen Kompetenz des Unternehmens. Dementspre-chend ist das Top-Management dieser Unternehmen offen und empfänglich für den Bottom-Up-Wissensfluss: „The best know-how is from employee’s contribution, not just do what the leadership told them.” „In our company, lower-level employees such as technical staff can go to the upper management and talk directly to them.”

In den übrigen Fällen wurde jedoch ein typischer Top-Down-Wis-sensfluss gewählt. Ein Interviewpartner bekundete folgendes: „Eve-rything is like a military style.” Entscheidungen und Strategien im Zusammenhang mit Wissenstransfer fließen im Allgemeinen top-down vom Management aus. Von Mitarbeitern auf niedrigeren Ebe-nen wird erwartet, dass sie die Entscheidungen verstehen und ak-zeptieren und die Aufträge ausführen, ohne weitere Kommentare abzugeben oder alternative Herangehensweisen zu finden. „The leader or boss gives orders and the subsidiaries just do accordingly.” Der kombinierte Wissensfluss-Ansatz wird von deutschen und chine-sischen Mitarbeitern gut angenommen. In vielen Fällen benötigen chinesische Mitarbeiter jedoch zusätzliche Ermunterung und müssen sich daran gewöhnen, ihre Meinungen und Ideen gegenüber ihren Vorgesetzten zu äußern. Auf der anderen Seite wirkt sich der typi-

sche Top-Down-Flow negativ auf die lokalen Mitarbeiter aus, auch wenn er von chinesischen Mitarbeitern nicht offen abgelehnt wird. Wie ein deutscher Manager bemerkte: „For European and Western people, it is absolutely normal to challenge the manager and come up with one’s own and new ideas or to question some decisions, which is absolutely impossible for Chinese people.”

Die beiden untersuchten Unternehmensgruppen, die den kombinier-ten Fluss beziehungsweise den strikten Top-Down-Fluss annahmen, bestehen aus Firmen in Staats- und Privatbesitz, wobei sowohl M&A- als auch Greenfield-Einstiegsszenarien vorhanden sind. Der Unterschied besteht darin, dass bei den Unternehmen mit dem kombinierten Wissensfluss M&A-Investitionen vorherrschen, bei wel-chen die ursprünglichen deutschen Managementteams beibehalten werden, wohingegen in der Top-Down-Fluss-Gruppe primär Green-field-Fällen zu finden sind, wobei das Management überwiegend aus chinesischen Managern besteht.

Um diesen Unterschied in Richtung des Wissens- und Informations-flusses zu untersuchen, betrachteten wir die kulturelle Dimension der „Machtdistanz". Bei hoher Machtdistanz wird das Wissen eher von oben nach unten weitergegeben als von unten nach oben und es ist wahrscheinlicher, dass es entlang der Hierarchie fließt (Ford und Chan 2003). Horizontale und laterale Wissensflüsse sind deut-lich unwahrscheinlicher (Davenport und Prusak, 1998; De Long und Fahey, 2000; Hinds und Pfeffer, 2003). Die Existenz von formalen Statushierarchien in Kulturen, welche die Machtdistanz betonen, lässt Menschen eher zögern, Wissen auf eine Weise weiterzugeben, die gegen die Regeln der Hierarchie verstößt, als Menschen in Kultu-ren mit geringerer Machtdistanz (Thiessen, Hendriks und Essers 2007). Nach dem Machtdistanzindex von Hofstede umfasst die chi-nesische Kultur eine deutlich höhere Machtdistanz als die deutsche Kultur (Hofstede, Hofstede und Minkov, 2010, S. 57-59).

Bei allen in dieser Studie untersuchten deutschen Tochtergesellschaf-ten ist die Kommunikation mit dem Hauptsitz in China ein wichtiger Teil der täglichen Arbeit. Mitarbeiter teilen, diskutieren und überge-ben Entscheidungen, Lösungen, Projektdetails, technische Spezifika-tionen, Wissen und neue Ideen. Der deutliche Unterschied in der Machtdistanz zwischen chinesischen und deutschen Kulturen beein-flusst auch die Effektivität und das Ergebnis derartiger Kommunika-tion zwischen Mitarbeitern der deutschen Tochtergesellschaft und ihren Kollegen in China.

Die Mehrheit der deutschen Tochtergesellschaften hatten bei der Kommunikation mit ihren Muttergesellschaften in China mit Schwie-rigkeiten und Unklarheiten zu kämpfen. Eine wesentliche Beschwer-de der deutschen Seite ist, dass eine Bottom-up-Kommunikation entgegen der klassischen Hierarchieordnung nicht begrüßt, sondern oft abgelehnt wird. So würde zum Beispiel ein chinesischer Manager in der Zentrale keine Informationen von einem Angestellten mit niedrigerem Rang der deutschen Tochtergesellschaft annehmen; In-dessen ist die Kommunikation zwischen Mitarbeitern der Zentrale und deutschen Mitarbeitern auf gleichem Niveau trotz der Sprach-barrieren in der Regel deutlich reibungsloser und effektiver. Diese Hi-erarchieregelung zeigt sich auch bei gemeinsamen Sitzungen. Fra-gen, die von einem Mitarbeiter der Zentrale, in den meisten Fällen ein Manager, gestellt werden, sollten nur von einem Angestellten ei-nes ähnlichen Rangs der deutschen Tochtergesellschaft beantwortet werden, vorzugsweise auch ein Manager. Mitarbeiter einer niedrige-

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ren Hierarchiestufe sollten ihre Meinung nicht freiwillig abgeben, auch wenn sie über die richtigen Informationen verfügen und besse-re Inputs geben könnten. Sie sollten dies nur auf Wunsch des Vorge-setzten tun. Informationen sind oft nicht hierarchieübergreifend transparent.

Die Kluft in der Machtdistanz zwischen der deutschen und der chi-nesischen Kultur löst ebenfalls eine große Unstimmigkeit in der Wahrnehmung und dem Verständnis von „Gastgeber"- vs. "Gast"-Rollen in deutschen Tochtergesellschaften aus. Lokale Angestellte fühlen sich stark als „Gastgeber" und sehen das chinesische Ma-nagement als „Gast". Daher erwarten die lokalen Angestellten, dass die deutsche Kultur, Werte und Regeln akzeptiert und respektiert werden und noch immer für die lokalen Angestellten als Gruppe gelten. Auf der anderen Seite sieht sich das chinesische Manage-ment als „Gastgeber", da sie von der Zentrale ernannt werden und die Eigentümer der Firma repräsentieren. Deshalb sollten von der Geschäftsleitung kommende Regeln, Entscheidungen und Anwei-sungen übernommen und befolgt werden. Gleichermaßen besteht des Weiteren Uneinigkeit zwischen dem chinesischen Management und den lokalen Angestellten darüber, wer „managt" und wer „ge-managt wird“. Diese grundlegende Meinungsverschiedenheit zwi-schen den Kulturgruppen der Ursprungs- und der Gastländer in ei-ner Tochtergesellschaft wirkt sich negativ auf die Beziehung und die Synergien in der Zusammenarbeit zwischen deutschen und chinesi-schen Arbeitnehmern aus.

Schaffen von Vertrauen und Entwickeln freund-schaftlicher zwischenmenschlicher Beziehungen

Wissen bezieht sich immer auf eine Person, mit der man in Bezie-hung steht (Hofstede, 2007). Wissenstransfer ist daher wirklich ein zwischenmenschlicher Prozess. Ein Mangel an persönlichen Bindun-gen wird den Wissenstransfer hemmen (Szulanski 2003). Darüber hinaus könnte eine komplizierte Beziehung zusätzliche Schwierigkei-ten in diesem Prozess schaffen (Szulanski 2003). Von Vertrauen und Glaubwürdigkeit charakterisierte Beziehungen zwischen Anbieter und Empfänger von Wissen stellen einen entscheidenden Faktor dar (Thiessen, Hendriks und Essers 2007). Die Gegenwart von Vertrauen trägt dazu bei, eine gute Beziehung und Synergien zwischen den beteiligten Mitarbeitern aufzubauen, was wiederum zu einem rei-bungslosen und produktiven Wissenstransferprozess führt. Vertrau-en ist die Überzeugung des Einzelnen (oder der Gruppe), dass eine andere Person (oder Gruppe) sich ernsthaft bemüht, sich in Überein-stimmung mit expliziten und impliziten Verpflichtungen zu verhalten (Dani, Burns, Backhouse und Kochhar, 2005). Vertrauensbildung ist eine komplexe Angelegenheit, bereits bei Menschen mit dem glei-chen kulturellen Hintergrund. Vertrauensbildung in multikulturellen Organisationen ist noch schwieriger und erfordert Fingerspitzenge-fühl.

Unterschiede zwischen deutschen und chinesischen Nationalkultu-ren führen dazu, dass sich Deutsche und Chinesen auf unterschiedli-che Kriterien und Standards verlassen, um Vertrauen aufzubauen so-wie Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von anderen zu bewerten. Je nach organisationalem Kontext kristallisierten sich hier im Rah-men unserer Forschungsergebnisse zwei Gruppen mit sehr unter-schiedlicher Eigenschaften heraus.

In einem professionellen Umfeld schätzen Deutsche ehrliche, offene und direkte Kommunikation. Beim Teilen von Informationen sind fol-gende Punkte wichtig: „One shall go straight to the point and tell the whole truth, both good and bad things,” „Be direct,” „Playing with ‘open cards’; no cheating, no behind the doors, everything is openly discussed.” Bei der Äußerung von Meinungen und vor allem von Kritik bleiben Deutsche eher objektiv und sachbezogen und richten sich nicht an den Betroffenen, sondern an das Thema. Für gewöhnlich gibt es eine klare Linie zwischen beruflichem und per-sönlichem, geschäftlichem und privatem Leben. Die Demonstration von Fachkompetenz spielt eine wichtige Rolle um das Vertrauen von Vorgesetzten, Mitarbeitern und anderen Mitarbeitern zu gewinnen. Aus deutscher Perspektive tragen relevante Kenntnisse, Fertigkeiten und die Fähigkeit, ausgezeichnete Ergebnisse rechtzeitig zu erstel-len, zu produzieren und zu liefern, wesentlich dazu bei, sich als ver-trauenswürdigen und verlässlichen „Spieler" zu etablieren. Ein Großteil der chinesischen Befragten teilte diese Sichtweise. Aufge-schlossen zu sein, die Unterschiede des anderen zu respektieren und zu akzeptieren sowie ein guter Teamplayer zu sein, vervollständigen die wesentlichen Vertrauensbildungskriterien, die von der deutschen Kultur beeinflusst werden.

In einer Organisation nehmen Chinesen eine gute Beziehung als wichtigstes Kriterium für die Bildung von Vertrauen. „As for Chine-se, the No. 1 important is personal relationship.” Unsere Daten zei-gen, dass „eine gute Beziehung" viel mit „Face" zu tun hat. „Giving and protecting ‘face’ is a must.” „Keeping and protecting ‘face’ is from our Chinese culture and education. Chinese children are told ‘losing face’ is not good.”

Basierend auf dieser Logik demonstrieren Verhaltensweisen, die dem „Gesicht" eines Menschen zugutekommen können, ehrliche Absich-ten und Bemühungen, eine gute Beziehung aufzubauen und auf-rechtzuerhalten und dadurch das Vertrauen anderer zu gewinnen. Es ist keine Überraschung, dass Chinesen indirekte Kommunikation bevorzugen und offene Kritik am Arbeitsplatz vermeiden. „A high EQ (emotional quotient) is regarded as not talking in a direct way. Do not criticize people directly that hurts and causes them to lose ‘face’.” Kompetenz ist zweitrangig. Dies gilt nicht nur für die Arbeit, sondern auch für das persönliche Leben. Die Grenze zwischen pro-fessionellem Vertrauen und persönlichem Vertrauen ist ziemlich un-scharf.

Deutsche Kollegen haben eher eine kompetenzbasierte und fakten-orientierte Einstellung zur Vertrauensbildung, wohingegen chinesi-sche Kollegen vorzugsweise beziehungsbasierte und persönliche Standards anwenden. Aufgrund dessen und anderer Unterschiede in der deutschen und chinesischen Kultur suchten die meisten Ma-nagementteams in unserer Fallstudie nach Wegen und ergriffen Maßnahmen, um die kulturelle Kluft zu verringern und Vertrauen sowie gegenseitiges Verständnis aufzubauen, um ein harmonisches und produktives Arbeitsumfeld zu schaffen. Ein Großteil der unter-suchten Unternehmen hat Programme ins Leben gerufen und Akti-vitäten gefördert, bei welchen deutsche und chinesische Mitarbeiter nach der Arbeit miteinander ins Gespräch kommen konnten. Derar-tige Aktivitäten beinhalten Sport, Sightseeing-Touren, gemeinsames Essen usw. Diese zwanglosen Veranstaltungen bieten Mitarbeitern die Möglichkeit, nicht-arbeitsbezogene und persönliche Informatio-nen über Familie, Kinder, Hobbys und vor allem über ihre eigene Kultur auszutauschen. Dieser Ansatz passt sehr gut zu der chinesi-

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schen Beziehungsmentalität. „The way Chinese build up trust and work relationship is through personal interactions like chatting about things in life.”

Deutsche Mitarbeiter schätzten diese Aktivitäten zwar, auch wenn für die meisten deutschen Befragten das soziale Miteinander nach der Arbeit keine Voraussetzung für die Bildung von professionellem Vertrauen im Büro ist. „I learned that I have to invest a lot of time out of the office, not talking about work contents or the project plans, just go for dinner and some site-seeing, and talk about priva-te things apart from business, then the relationship begins to grow.”, kommentierte ein deutscher Interviewpartner.

Die Unternehmen, die positiv über ihre vertrauensbildenden Aktivi-täten berichteten, erstrecken sich über SOEs (state-owned enterpri-ses) und POES (privately-owned enterprises) mit Greenfield- und M&A-Einstiegsszenarien. Dabei haben die M&A-Fälle gemeinsam, dass die chinesischen Muttergesellschaften die bestehenden deut-schen Managementteams sowie einen Großteil der Mitarbeiter be-hielten. Der chinesische Hauptsitz zeigte so Vertrauen in das Techno-logie- und Management-Know-how des lokalen Managements. Die Muttergesellschaften räumten dem lokalen Management viel Auto-rität ein und überließen ihnen verschiedenen Funktionen, insbeson-dere in organisationalen und technologischen Aspekten. Vertrauen und ein gutes Verhältnis zwischen der Zentrale und den lokalen Füh-rungskräften stärken die Vertrauensbildung unter chinesischen und deutschen Mitarbeitern.

Ab und zu konnten wir jedoch einen anderen Ansatz feststellen, bei dem Vertrauen durch Managementanweisungen und -intervention erzwungen wird. In diesen Firmen glaubt das Top-Management, dass die Mitarbeiter einander vertrauen und zusammenarbeiten, weil sie dazu verpflichtet sind. Anstelle eines freiwilligen Handelns behandeln solche Manager Vertrauen als Auftrag, der von oben nach unten als Grundvoraussetzung für eine Beschäftigung ange-ordnet wird.

„Everyone must obey and get the work done. There is no more to discuss.” Im Fall von Vertrauensstreitigkeiten schreitet in der Regel das Management ein, um zu intervenieren oder zu vermitteln.

Bei den Unternehmen, die im Rahmen unserer Befragung diesen Ansatz favorisierten, handelte es sich ausschließlich um SOEs. Der lokale Führungsstil wird in diesen Firmen stark von der Kultur der Zentrale beeinflusst. Der CEO/General Manager wird direkt von der Zentrale ernannt und versucht, die deutschen Niederlassungen mit einer traditionellen chinesischen Managementphilosophie zu leiten. Diese Philosophie spiegelt typischerweise die große Machtdistanz, patriarchale Ausrichtung und kollektive Orientierung der chinesi-schen Kultur wider. Für viele lokale Mitarbeiter ist dieser Führungsstil nicht nur "fremd", sondern auch relativ hart. Für die Vertrauensbil-dung ist dies kontraproduktiv. Handeln der Organisation, das Ver-trauen zerstört, führt dazu, dass der Wissenstransfer mit geringerer Wahrscheinlichkeit erfolgen wird (Hinds und Pfeffer 2003).

Neben diesen Erkenntnissen über den Führungsstil stellten wir fest, dass die Art und Weise, wie interner Wettbewerb angesehen und gemanagt wird, ebenfalls Auswirkungen auf das Maß an Vertrauen und die Teamdynamik in chinesischen Unternehmen in Deutschland haben kann. Wenn die Unternehmenskultur internen Wettbewerb

stark fördert und die Gewinner belohnt, ist es schwieriger, Vertrau-en, Zusammenarbeit und Teamgeist bei den Mitarbeitern aufzubau-en. Getrieben von dem Streben nach persönlicher Belohnung in Form von Anerkennung, Beförderung, Status, Macht, Überlegenheit und in einigen Fällen sogar Arbeitsplatzsicherheit sind die Mitarbei-ter weniger motiviert für den Austausch von Wissen, bei der Unter-stützung von Kollegen und beim Setzen der Teamziele über ihre ei-genen. Diese Atmosphäre ist bei POEs häufiger anzutreffen als bei SOEs, unabhängig vom Einstiegsszenario. Neben dem intensiven in-ternen Wettbewerb sind die Arbeitskulturen bei diesen, sich im Pri-vatbesitz befindenden, Unternehmen auch von hohem Druck ge-prägt und reagieren schnell, sind intensiv, ergebnisorientiert und zielorientiert. Andererseits ist es für die Mitarbeiter in Unternehmen, in welchen die Organisationskulturen gegenseitige Unterstützung und Wissensaustausch fördern, aber internen Wettbewerb herunter-spielen einfacher, untereinander Vertrauen aufzubauen und in Teams zusammenzuarbeiten.

Umgang mit Mehrdeutigkeit, Unsicherheit und Veränderung

Mitarbeiter sollten sich idealerweise bei Projekten, Aufgaben und Aktivitäten einig sein, die Wissenstransfer und -austausch beinhal-ten. In der Realität weicht das tatsächliche Verhalten jedoch oft von vordefinierten „Roadmaps" aufgrund von Planänderungen ab. Manchmal verstehen Mitarbeiter die Gründe für und Prinzipien hin-ter solchen Änderungen nicht. Manchmal sind die möglichen Kon-sequenzen solcher Abweichungen schwer vorherzusagen.

Darüber hinaus kann der Anbieter von Wissen oder Experte wäh-rend des Wissenstransferprozesses Unsicherheit in ihrem Verständnis davon, wie der Prozess funktioniert empfinden (Thiessen, Hendriks und Essers, 2007). Diese Unsicherheit schränkt das Verständnis des Anbieters, was übertragen werden muss, und das des Empfängers darüber, was tatsächlich empfangen wird, ein (Simonin 1999; Szulanski 2003). Dies wiederum wirkt sich auf die Erklärungsfähig-keit des Anbieters und auf die Fähigkeit des Empfängers, das Wis-sen anzunehmen, aus. Neben dem Fehlen von „Know-how" kann das Fehlen von „Know-Why", d.h. warum etwas auf eine bestimm-te Art und Weise gemacht wird und warum eine gegebene Hand-lung zu einem bestimmten Ergebnis führt (Szulanski 2003, S. 26-27), den Ablauf des Wissenstransfers behindern.

In einer multikulturellen Arbeitsumgebung spiegeln sich kulturelle Unterschiede häufig in unterschiedlichen Einstellungen und Heran-gehensweisen gegenüber mehrdeutigen oder unvollständigen Infor-mationen, ungewissen Umständen, Planung, Entscheidungsfindung und dem Umgang mit Veränderungen unter Mitarbeitern aus ver-schiedenen Kulturen wider. Unsere Forschung zeigt, dass deutsche und chinesische Angestellte, geleitet von sehr unterschiedlichen Denkweisen, auf Mehrdeutigkeit, Unsicherheit und Veränderung sehr unterschiedlich reagieren.

Wenn deutsche Angestellte mehrdeutige oder unvollständige Infor-mationen erhalten, ist die erste Reaktion eines Großteils die Bitte um weitere Informationen. Wenn solche Nachfragen nicht sofort erfüllt werden, drängen einige Deutsche weiter auf Klarheit. Andere prog-nostizieren, analysieren und erstellen alternative Pläne auf der Grundlage der begrenzten Daten. Anschließend fahren sie fort, vor

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allem wenn die Aufgabe zeitkritisch ist. Neben Fakten und Details fordern die meisten deutschen Mitarbeiter auch, das „große Ganze" zu sehen, welches den gesamten Arbeitsablauf, den Zweck, das Er-gebnis und die zukünftigen Auswirkungen auf die Organisation um-fassen kann. „We prefer to have a clear picture of everything in time in order to have a good understanding on things. Then we can un-derstand even when the boss says ‘No’ and we don’t agree.”

In ähnlichen Situationen erbitten die meisten chinesischen Mitarbei-ter nicht notwendigerweise Klarheit oder Beratung. Viele entschei-den sich dafür, geduldig darauf zu warten, dass ihre Vorgesetzten mehr Anweisungen geben. Einige werden trotz der unklaren und unvollständigen Informationen mit ihrer Aufgabe fortfahren. Auch wenn chinesische Mitarbeiter es nicht mögen, „im Ungewissen" ge-lassen zu werden, beschweren sie sich im Gegensatz zu ihren deut-schen Kollegen nicht viel und drängen nicht darauf, mehr erfahren. Manchmal diskutieren und spekulieren chinesische Mitarbeiter unter Kollegen der gleichen Hierarchieebene, vermeiden es jedoch, ihre Vorgesetzten direkt nach weiteren Informationen zu fragen.

Unsicherheit betrifft alle Mitarbeiter, jedoch in unterschiedlichem Maße. Dies führt zum Konzept der Unsicherheitsvermeidung, einer weiteren wichtigen Dimension von nationaler Kultur. Hofstede defi-nierte Unsicherheitsvermeidung als das Ausmaß, in dem sich Ange-hörige einer Kultur von mehrdeutigen oder unbekannten Situatio-nen bedroht fühlen (Hofstede, Hofstede und Minkov, 2010: 191). Im Allgemeinen wird die deutsche Kultur als eine betrachtet, die Unsi-cherheit vermeidet, wohingegen die chinesische Kultur als unsicher-heitsakzeptierend betrachtet wird (Hofstede, Hofstede und Minkov, 2010: 192-194).

Unsere Daten zeigen, dass die meisten deutschen Mitarbeiter chine-sischer Unternehmen in Deutschland detailorientiert und faktenba-siert arbeiten. Sie ziehen es vor, systematisch zu arbeiten. Zweideuti-ge und unsichere Situationen sorgen normalerweise für negative Emotionen und verringern so die Produktivität und in einigen Fällen die Motivation. Darüber hinaus zeigen deutsche Mitarbeiter ein grö-ßeres Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit, verlassen sich stark auf Fak-ten und Details und sehen das „große Ganze".Im Gegensatz dazu scheinen sich die meisten chinesischen Ange-stellten bei mehrdeutigen und unsicheren Situationen sowie mit In-formationen, die nicht vollständig und zeitnah erläutert werden, wohler zu fühlen. Chinesische Angestellte fragen weniger nach „dem großen Ganzen", sondern konzentrieren sich eher auf die Ausführung der gegebenen Aufgaben. Die gemeinsame Überzeu-gung in typischen chinesischen Organisationen ist, dass das Ober-haupt entscheidet und kontrolliert, während Angestellte die Verord-nungen ausführen sollte. In Zeiten der Ungewissheit ist es akzepta-bel und angemessen, geduldig auf Klarheit und mehr Anweisungen von oben zu warten. „Accomplishing the boss’ order is simply suf-ficient.”

Für chinesische Angestellte ist der Fokus auf das „lokale Klima" und die eigenen Arbeitsanforderungen und Abteilungsziele praktischer und wichtiger als die Betrachtung der umfassenderen organisatori-schen Umgebung. Die große Machtdistanz und ein ausgeprägtes Gefühl hierarchischer Ordnung der chinesischen Kultur tragen offen-bar auch zur schwachen Unsicherheitsvermeidung von chinesischen Arbeitnehmern bei.

Interessanterweise erscheinen chinesische Mitarbeiter, wenn sie mit

neuen Konzepten und Ideen, wie alternativen Verhaltensweisen oder Lösungen, konfrontiert werden, offener und schneller in der Lage zu sein, neue Situationen zu akzeptieren, als ihre deutschen Kollegen. Damit kommen wir zu einem weiteren, aus unserer For-schung hervorgegangenen Punkt: Unterschiedliche Reaktionen und Vorgehen gegenüber Veränderungen von deutschen und chinesi-schen Mitarbeitern.

Generell begrüßen deutsche Mitarbeiter Veränderungen nicht, ins-besondere wenn die bestehenden Methoden gut funktionieren und die gegenwärtige Situation offensichtlich unter Kontrolle ist. Wenn sie zu Änderungen gezwungen werden, reagieren deutsche Ange-stellte oft aufgeregt und widersetzen sich sogar. Werden Informatio-nen hinter der Änderung, wie z. B. der Anlass, die Begründung, der Hintergrund, mögliche Konsequenzen und Ergebnisse usw., nicht rechtzeitig bereitgestellt, nimmt der Widerstand zu. Stress, Be-schwerden, Demotivation, sogar Ärger treten wahrscheinlich in Er-scheinung. Deutsche Mitarbeiter legen zudem großen Wert auf zeit-nahe Kommunikation und Transparenz, insbesondere bevor Ände-rungen stattfinden.

Ähnlich zum Umgang mit Unsicherheit und Mehrdeutigkeit sind die meisten chinesischen Mitarbeiter in sich ändernden Situationen flexi-bel und empfinden weniger Stress. In chinesischen Organisationen können Änderungen schnell auftreten und Pläne kurzfristig modifi-ziert werden. „Fast changes serve as a ‘landmark’ of Chinese com-panies.” „Chinese people are very flexible. They are very good at ad hoc management.” Einige chinesische Angestellte fühlen sich natür-lich weniger wohl mit Veränderungen als andere. Dennoch akzeptie-ren sie die neuen Umstände und passen sich an, anstatt sich darüber zu beschweren.

Neben unterschiedlichen Graden an Unsicherheitsvermeidung in der deutschen und chinesischen Kultur führten auch externe Faktoren wie die Gesellschaft, die wirtschaftliche Entwicklung, industrielle Be-dingungen usw. zu unterschiedlichen Einstellungen gegenüber Än-derungen. Seit fast vier Jahrzehnten erleben die chinesische Gesell-schaft und Wirtschaft zahlreiche umfassende Reformen, Umstruktu-rierungen und Umstellungen, die noch im Gange sind. Veränderung ist für die meisten Chinesen und chinesischen Organisationen ein häufiges Phänomen. In Organisationen haben Chinesen gelernt, mit weniger Fakten und kürzerer Zeit Schlussfolgerungen zu ziehen und Entscheidungen zu treffen. Sie sind es gewohnt, mit Objekten und Ideen zu arbeiten, die sich noch entwickeln und formen. Im Gegen-satz zu deutschen Mitarbeitern, die auf Fakten, Details, Nachweise und Statistiken zur Entscheidungsfindung angewiesen sind, wollen chinesische Mitarbeiter die nächsten Schritte anhand kontinuierli-cher Dialoge zwischen den Beteiligten herausarbeiten. In Deutsch-land ist das externe Umfeld, sei es auf gesellschaftlicher, institutio-neller, marktwirtschaftlicher oder industrieller Ebene, stabiler. Diese Stabilität des „großen Ganzen“ hilft dabei, Änderungen zu kontrol-lieren, und verbessert die Vorhersehbarkeit auf organisationaler Ebe-ne.

Wir konnten zudem feststellen, wie sich diese unterschiedlichen Per-spektiven gegenüber Unsicherheit und Mehrdeutigkeit auch in der Planung widerspiegeln. Letztendlich trägt Planung dazu bei, Verän-derungen zu minimieren und die Vorhersehbarkeit zu einem gewis-sen Grad zu verbessern. In chinesischen Unternehmen in Deutsch-land staunen chinesische Mitarbeiter oft über die Zeit und Energie, die ihre deutschen Kollegen in die Planung stecken, bevor sie einen

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einzigen Schritt machen. Deutsche Planung legt Wert darauf, jeden Schritt des Weges sorgfältig abzubilden, die Kosten zu berechnen und Risikofaktoren zu minimieren. Deutsche Planung ist zudem langfristig ausgerichtet. Andererseits sind deutsche Mitarbeiter oft überrascht, wie schnell ihre chinesischen Kollegen Maßnahmen er-greifen, nachdem nur ein grobes Ziel definiert und ein paar Meilen-steine gesetzt wurden. In einigen Fällen waren deutsche Kollegen frappiert, dass Chinesen in der Lage waren ein Projekt ohne Projekt-plan durchzuführen.

Ferner werden auch Pläne an sich von deutschen und chinesischen Mitarbeitern sehr unterschiedlich behandelt. Für Chinesen ist ein Plan eher eine Art Leitfaden. Sie sind nie komplett in Stein gemei-ßelt, und auf dem Weg können verschiedene Ansätze angenommen werden. Für Deutsche hat ein Plan jedoch, nachdem er einmal fer-tiggestellt, genehmigt und kommuniziert wurde, einen „rechtmäßi-gen" Effekt, und niemand sollte davon abweichen. Änderungen sind erlaubt, jedoch muss hinsichtlich der Änderung weitere Planung durchgeführt werden.

Es ist keine Überraschung, dass dieser Unterschied in der Planungs-herangehensweise zu viel Verwirrung und Konflikten bei der Zusam-menarbeit von Deutschen und Chinesen führte. Solche Probleme treten in SOEs stärker auf als in POEs. In staatlichen Unternehmen in China ist Planung eine schwache Komponente und es gibt viel Raum für Verbesserungen. Das chinesische Bildungssystem und die SOE-Arbeitskultur beeinflussen die Denk-, Lern- und Planungsmuster der chinesischen Arbeitnehmer stark. Da wenig Initiative gefragt ist, agieren die Mitarbeiter passiver. In POEs, mit einer wettbewerbsori-entierten und ergebnisorientierten Arbeitskultur, führen chinesische Mitarbeiter häufig mehrere Aufgaben mit Fristen durch, müssen je-doch herausfinden, was sie tun müssen, um die Aufgaben selbst-ständig zu erledigen. Effiziente Planung macht einen Unterschied in Produktivität und Leistung. Chinesische Mitarbeiter in POEs sind mit dem deutschen Planungsstil besser vertraut.

Trotz dieses kulturellen Konflikts bei Aspekten der Planung meinten ein Großteil der befragten deutschen und chinesischen Manager, dass es der richtige Ansatz sei, das Gleichgewicht zu finden und die besten Aspekte beider Kulturen zu kombinieren anstatt zu debattie-ren, wer die bessere Herangehensweise hat. Zum Beispiel haben deutsche Manager folgendes erkannt: “Sometimes maybe we plan-ned too far ahead. Both thinking have their advantages.” „The mar-ket is evolving and the industry is changing. Traditional mind-set in planning is not sufficient. Chinese colleagues are teaching us to be flexible reacting to the market.” Chinesische Manager, besonders in SOEs, haben gelernt: „Chinese engineers lack such concept of plan-ning. They should work in a pragmatic way even when receiving training.” „Every new employee must grasp the skill of planning first to qualify as an engineer.” „Chinese are too flexible. In the long run, it’s not a good thing because everyone does things differently. It’s difficult to manage and standardize.”

Fazit und Schlussfolgerungen

Wissenstransfer ist eine bewusste Aktivität, die auf den impliziten Regeln der nationalen Kultur aufbauen muss (Hofstede, 2007). In multikulturellen Organisationen sollten kulturelle Unterschiede ernst-

haft berücksichtigt werden, und kulturelle Probleme müssen recht-zeitig gelöst werden, um einen reibungslosen Prozess des Wissen-stransfers zu gewährleisten. Hofstedes Modell der kulturellen Di-mensionen bietet eine gute Grundlage zur Untersuchung, wie sich nationale Kulturunterschiede auf den Wissenstransfer in einem deutsch-chinesischen Kontext auswirken.

Unsere Ergebnisse bestätigen die auffälligen Unterschiede in den Di-mensionen Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung sowie Individua-lismus vs. Kollektivismus und tragen wesentlich zum Verständnis bei, wie und warum sich deutsche und chinesische Arbeitnehmer anders verhalten. Dieses kulturdimensionale Modell allein reicht jedoch nicht aus, um alle Ergebnisse unserer Studie zu erklären. So gelten zum Beispiel sowohl die deutsche als auch die chinesische Kultur als „maskulin", und beide Länder erzielten im Maskulinitätsindex das gleiche Ergebnis (Hostede, Hofstede, Minkov, 2010: 141). Diese Ein-heitlichkeit stimmt nicht damit überein, wie die Mitarbeiter in diesen beiden Kulturen Vertrauen und Glaubwürdigkeit, internen Wettbe-werb und Teamwork in Organisationen wahrnehmen. Ein weiteres Beispiel wären die nicht intuitiven Ergebnisse in Bezug auf kurzfristi-ge vs. langfristige Orientierung. Obwohl die chinesische Kultur in dem "Langzeitorientierungs-Index" (Hofstede, Hofstede, Minkov 2010: 255) sehr gut abschneidet, ist bekannt, dass chinesische Mit-arbeiter eine schnelle, zielgerichtete Planung durchführen, welche später mit großer Wahrscheinlichkeit geändert wird. Dieses Verhal-ten steht im Gegensatz zu der sorgfältigen, gründlichen und lang-fristigen Planung ihrer deutschen Kollegen. Diese Unterschiede zei-gen, dass die idiosynkratischen Merkmale der chinesischen National-kultur, der gegenwärtigen chinesischen Gesellschaft und des chinesischen kognitiven Prozesses zusätzlich berücksichtigt werden müssen.

Darüber hinaus reichen nationale kulturelle Faktoren allein nicht aus, um kulturelle Aspekte in Wissenstransferprozessen in chinesischen multinationalen Konzernen ganzheitlich zu untersuchen. Forscher müssen die Organisationskulturen sowohl der Muttergesellschaft als auch der Tochtergesellschaft berücksichtigen und, vor allem, wie die beiden interagieren. Chinas einzigartige Unternehmenseigentums-strukturen ermöglichen es, dass Staatseigentum, Privateigentum und gemischtes Eigentum auf dem Markt koexistieren können. Staatsei-gene Unternehmen und Privatunternehmen pflegen sehr unter-schiedliche Organisationskulturen und Arbeitsweisen, die in Folge zu unterschiedlichen kulturellen Konflikten führen, wenn sie mit der nationalen Kultur in den Niederlassungen intervenieren. Die ver-schiedenen Einstiegsszenarien verleihen der Kulturlandschaft in chi-nesischen Unternehmen in Deutschland eine weitere Dimension. Greenfield- und M&A-Einstieg beeinflussen den Führungs- und den Managementstil ebenfalls.

Appendix

Branchenkategorien der untersuchten UnternehmenUnternehmen A – WerkzeugmaschinenUnternehmen B – LeistungselektronikUnternehmen C – MaschinenUnternehmen D – Logistik und AutomatisierungUnternehmen E – WerkzeugmaschinenUnternehmen F – TelekommunikationUnternehmen G – TelekommunikationUnternehmen H – Werkzeugmaschinen

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Unternehmen I – Kfz-Elektronik

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Der DLR Projektträger hat sich auf Dienstleistungen zur Förderung von Forschung, Innovati-on und Bildung spezialisiert. Er unterstützt Landes- und Bundesministerien bei der Umset-zung von Forschungsförderprogrammen und bildet eine Brücke zwischen Politik, Wissen-schaft und Wirtschaft. Weitere Auftraggeber sind die Europäische Kommission, Wissen-schaftsorganisationen, Verbände und Stiftungen. Sein Themenspektrum reicht von Bildung, Gesellschaft, Innovation und Technologie über Gesundheit, Umwelt und Nachhaltigkeit bis hin zu europäischer und internationaler Zusammenarbeit. Dabei setzt der Projektträger Schwerpunkte in den Bereichen Innovation, Interdisziplinarität und Internationalität.

Der DLR Projektträger hat mehr als 40 Jahre Erfahrung in der Konzeption, Bewertung, Be-treuung und Finanzkontrolle von Vorhaben. Unter anderem berät er seine Auftraggeber strategisch-programmatisch bei der Konzeption von Fördermaßnahmen, begleitet Fördervor-haben fachlich und administrativ und unterstützt weltweit bi- und multilaterale Kooperatio-nen. Er begleitet den gesamten Förderprozess: vom Begutachten der Anträge bis zum Be-werten von Erfolg und Verwertungsmöglichkeiten. Als professioneller Dienstleister steht er für Verfahrens- und Prozesssicherheit (zertifiziert nach ISO 9001) sowie für strikte Neutrali-tät. Als einer der größten Projektträger Deutschlands betreut er derzeit rund 10.000 Vorha-ben und mehr als eine Milliarde Euro Forschungsgelder jährlich. Der DLR Projektträger ist Teil des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und zentrale Säule des DLR-Ge-schäftsfeldes Wissenschafts-, Innovations- und Bildungsmanagement.

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