die ausbreitungsweise der tuberkulösen infektion im lebenden körper

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Die Ausbreitungsweise der tuberkuliisen Infektion iin lebenden Kih'per. II. Die bakteriologisehe Durehpriilung tuberkuliiser Sehlaehttiere als Erkenntnisquelle hinsiehtlieh des Ablaules der tuberkuliisen 9 Infektion im Kiirper. Von Prof. Dr. Max Miiller, Mfinchen. (~Eingegangen am 10..Mai 2943.) Die Unklarheiten fiber die Seh~clliehkeit des Fleisehes tuberkul6ser Schlacht. tiere ffir den Mensehen und damit fiber den Gehalt des Fleisches an Tuberkel: bacillen entsprang aus dem Gegenfiberstehen zweier versehiedener Auffassungen~ die sieh beide nieht mit wissensehaftlicl~er Pr~zision und in fiberzeugender Weise begrfinden lleBen. Diejenige Richtung, die im Fleiseh tuberku16ser Tiere eine besondere Gef~hrenquelle ffir die mensehliche GEsundheit erblickte, begrfindete ihre Auffassung im wesentliehen mit der Pathogenit~t der Tuberkelbacillen fiir Mensch und Tier im allgemeinen wie aueh der Bipathogenitgt der Typen des Tuberkelbacillus. Von grundlegender Bedeutung sollte die Blutinfektion bei den Sehlaehttieren sein, weft diese mit einer Infektion der Muskulatur als des Haupt- bestandteiles des Fleisches gleichzusetzen sei; eine bis heute immer wieder neu vertretene Auffassung. Die Riehtung, die im Genul] des Fleisches tuberku- 16ser Tiere keine beaehtliehe, jedenfalls keine besondere Gefahrenquelle fiir den Mensehen erblickte, begrfindete ihre Auffassung mit dem Ergebnis langj~hriger Erfahrung dariiber, dal3 der GenuB de~ Fleisehes tuberkul6ser Schlachttiere trotz der h~ufig gegebenen sChweren Erkrankung weder zu Gruppenerkrankungen noch zu feststellbaren Einzelerkrankungen beim Menschen geffihrt habe. Es muflte also eln besonderer Faktor gegeben sein, aus dem diese weitgehende Unschdd- lichkeit des ~leisches tuberkul6ser Tiere entsprang, und es muflte hier]iir eine ver- stehbare und einleuchtende Erkldrung ge/unden werden. Zu der Auffassung yon der weitgehenden Unsch~idlichkeit des Fleisches tuberkul6ser Schlachttiere bekannten sich Rudol/Virchow und seit dem Londoner Tuberkulose-KongreB auch Robert Koch. Die Divergenz in der Auffassung fiber die Sehgdlichkeit und Unsehs des Fleisches tuberkul6ser Schlachttiere war aber bei der Bedeut.ung, dis dieser Frage yore Standpunkte der 6ffentliehen Gesundheitspflege zukam, untragbar. So erklgrte im Jahre 1887 der "2r rhelnische Verein /iir 5]/entliche Gesundheitsp/lege in einer an das .Mi.'nisterium .ge~iehteten Eingabe, es h~tte sieh mit der Zunahme der Sehlaehthguser'eine Vei:- sehiedenheit in der Auffassung yon der Sehgdlichkeit oder Unschgdliehkeitdes Genusses yon Fleiseh tuberkul6ser Sehlaehttiere herausgebildetL. E.s m6chten daher auf Grund der Ansieht kompetenter Saehverstgndiger hinsiehtlieh der perl- .sueht der Rinder Weisungen dergestalt erteilt werden, dal~ ffir die Beha~d!ung des Fleisehes perlstiehtigl befundener Rinder mSglichst strikte, 'allgemeinver- stgndliehe Normen auigesteUt wfirden. 1 In den Schlachth~usern Wurden die tuberkulSs erkrankt befundenen Sehlaehttiere wesentlieh seh~rfer als auf dem .Lande. beurteilt. Beitr~ge zur Klinik der Tuberkulose. Bd. off: 36

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Page 1: Die Ausbreitungsweise der tuberkulösen Infektion im lebenden Körper

Die Ausbrei tungsweise der tuberkul i isen In fek t ion i in lebenden Kih'per.

II. Die bakteriologisehe Durehpriilung tuberkuliiser Sehlaehttiere als Erkenntnisquelle hinsiehtlieh des Ablaules der tuberkuliisen

�9 I n f e k t i o n i m K i i r p e r .

Von Prof. Dr. Max Miiller, Mfinchen.

(~Eingegangen am 10..Mai 2943.)

Die Unklarheiten fiber die Seh~clliehkeit des Fleisehes tuberkul6ser Schlacht. tiere ffir den Mensehen und damit fiber den Gehalt des Fleisches an Tuberkel: bacillen entsprang aus dem Gegenfiberstehen zweier versehiedener Auffassungen~ die sieh beide nieht mit wissensehaftlicl~er Pr~zision und in fiberzeugender Weise begrfinden lleBen. Diejenige Richtung, die im Fleiseh tuberku16ser Tiere eine besondere Gef~hrenquelle ffir die mensehliche GEsundheit erblickte, begrfindete ihre Auffassung im wesentliehen mit der Pathogenit~t der Tuberkelbacillen fiir Mensch und Tier im allgemeinen wie aueh der Bipathogenitgt der Typen des Tuberkelbacillus. Von grundlegender Bedeutung sollte die Blutinfektion bei den Sehlaehttieren sein, weft diese mit einer Infektion der Muskulatur als des Haupt- bestandteiles des Fleisches gleichzusetzen sei; eine bis heute immer wieder neu vertretene Auffassung. Die Riehtung, die im Genul] des Fleisches tuberku- 16ser Tiere keine beaehtliehe, jedenfalls keine besondere Gefahrenquelle fiir den Mensehen erblickte, begrfindete ihre Auffassung mit dem Ergebnis langj~hriger Erfahrung dariiber, dal3 der GenuB de~ Fleisehes tuberkul6ser Schlachttiere trotz der h~ufig gegebenen sChweren Erkrankung weder zu Gruppenerkrankungen noch zu feststellbaren Einzelerkrankungen beim Menschen geffihrt habe. Es muflte also eln besonderer Faktor gegeben sein, aus dem diese weitgehende Unschdd- lichkeit des ~leisches tuberkul6ser Tiere entsprang, und es muflte hier]iir eine ver- stehbare und einleuchtende Erkldrung ge/unden werden.

Zu der Auffassung yon der weitgehenden Unsch~idlichkeit des Fleisches tuberkul6ser Schlachttiere bekannten sich Rudol/Virchow und seit dem Londoner Tuberkulose-KongreB auch Robert Koch. Die Divergenz in der Auffassung fiber die Sehgdlichkeit und Unsehs des Fleisches tuberkul6ser Schlachttiere war aber bei der Bedeut.ung, dis dieser Frage yore Standpunkte der 6ffentliehen Gesundheitspflege zukam, untragbar. So erklgrte im Jahre 1887 der "2r rhelnische Verein /iir 5]/entliche Gesundheitsp/lege in einer an das .Mi.'nisterium .ge~iehteten Eingabe, es h~tte sieh mit der Zunahme der Sehlaehthguse r'eine Vei:- sehiedenheit in der Auffassung yon der Sehgdlichkeit oder Unschgdliehkeitdes Genusses yon Fleiseh tuberkul6ser Sehlaehttiere herausgebildetL. E.s m6chten daher auf Grund der Ansieht kompetenter Saehverstgndiger hinsiehtlieh der perl- .sueht der Rinder Weisungen dergestalt erteilt werden, dal~ ffir die Beha~d!ung des Fleisehes perlstiehtigl befundener Rinder mSglichst strikte, 'allgemeinver- stgndliehe Normen auigesteUt wfirden.

1 In den Schlachth~usern Wurden die tuberkulSs erkrankt befundenen Sehlaehttiere wesentlieh seh~rfer als auf dem .Lande. beurteilt.

Beitr~ge zur Klinik der Tuberkulose. Bd. off: 36

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534 M. Mfiller :

Hierzu erkl~rte Virchow als Berichterstat ter der wissenschaftlichen Deputa- tion ffir das Medizinalwesen, dal~ das Gesamter.gebnis der Versuche hinsichtlich der Schfidlichkeit des Fleisches tuberkulSser Schlachttiere, bei denen man auf ganz unerwartete Schwierigkeiten gestoBen sei, im Grunde ein negatives gewesen sei. Es l~ge kein Grund vor, anzunehmen, daft die Perlsucht jedesmal eine All- gemeinkrankheit sei and demna'ch eine allgemeine Bedeutung habe. DaB unver Umstiinden Keime yon Perlknoten auch in die Zirkulation gelangen, halte er fiir sehr wahrscheinlieh. Aber fiir gi~nzlich unwahrscheinlich halte er es, dab es je gelingen werde, den Augenblick durch siehere Merkmale zu erkennen, in dem ein solcher Ubergang stattfinde.

/:iiermit hat schon Virchow auf den Punkt hingewiesen, der es nieht erlaubt, die Blutinfektion bzw. die Bacilli~mie zur Grundlage eines Systems fiir die Beur- teilung tuberkulSser Schlaehttiere zu machen, wenn aus der Bacilli~mie eine Gemeingefhhrliehkeit des Fleisches tuberkulSser Tiere entspringen soll. Denn man war ja gar nieht in der Lage, den Beginn der tuberkulSsen Blutinfektion, die diese Gefahr in sich tragen sollte, zu ermitteln.

Sehr lehrreich ffir die Weitsieht Virchows hinsichtlich der heute erkannten Tatsache, dab in der Muskulatur tuberkulSser Sehlachttiere keine besondere Gefahr fiir den Menschen liegt, sind seine 1899 in Berlin auf dem Kongre[3 zur Bekdimp/ung der Tuberkulose als Vollcskrankheit gemachten Ausffihrungen hin- siehtlieh der Sorgen, die man sich damals fiber die ~bertragungsm6glichkeit der Tuberkulose auf den Menschen durch den GennB des Fleisches tuberkulSser Schlaehttiere machte. Virchow sag~e hier folgendes, das auch heute noeh fiir diejenigen gilt, die immer noeh Blutinfektion und Muskelinfektion gleichzusetzen besVrebt sind oder die latente Bakteri~mie zur Grund lage der Beurteilung des Fleisches tuberkulSser Tiere maehen wollen:

,,Ich erkenne an, dab die Besorgnis, welehe sieh vielfaeh-der Mediziner be- mi~chtigt hat, dab yon den Hanst ieren aus immer mehr die ~[enschheit infiziert werden wfirde, eine theoretische Begrfindung hat. Aber ich m(iehte im voraus betonen, 'dab diese Befiirehtung mehr theoretisch als praktisch ist. Sie beruht mehr auf einer Bereehnung und Besorgnis als auf einer direkten Beobaehtung. Und das ist einer der Punkte, den bier auszuspreehen mir Freude maeht , indem ich vielleicht einigen Menschen eine sehlimme Sorge als weniger sehlimm darstelle. Als Haup~objekt der Sorge man kann sagen: als Hauptfeind des Menschen gilt heute unseren Ba~kteriologen das Rindvleh. Das ist eigentlieh der Gegenstand ihrer-Sorge. Ein and~rer ist dabei halb in den Hintergrund getreten: Es ist das S c h w e i n . . . Die groBe kolossale , ,Tuberkulose" des Rindviehs . . . ist begreif- licherweise in den Vordergrund getreten. Der Name ha t sich f i b e r t r a g e n . . . Seitdem ffirehtet man sich vor Infektion, wenn man aueh nur Fleisch yon solchen Tieren iBt. In dieser Frage stehe ich auf einem sehr abgeschwachten Standpunkt , und das ist derselbe, welcher wenigstens in PreuBen aueh yon der Staatsregierung stets festgehalten worden ist, wie ich mit Anerkennung aussprechen daft, gegen- fiber den vielen Angriffen, die sie erfahren hat. Wir haben keinen Grund anzu- nehmen, dab der ganze Oehse dutch und dureh mit Bacillen durchsetzt ist, wenn sieh z. B. in seinen Lungen solche Knoten befinden. Diese Krankhei t hat ein gewisses Stadium, wo sie nur lokal verl~uft, sich auf eine best immte Region

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beschr~nkt und darfiber hinaus sich nicht zeigt; w o m a n auBer den Knoten in der Brust weder Bacillen noeh andere krankhaf te Ver/~nderungen findet. Dazu gehSrt fast das ganze Fleisch. Es gibt ja auch FMle, wo das Fleisch mit leidet; aber in der Regel ist das nicht der Fall. Daher gesta t te t unsere Gesetzgebung, dal~ nach Entfernung der wirklich kranken Teile das Fleisch verbraucht werden daft. Ich glaube, es wird diese EinfiihrUng manehen etwas beruhigen, dab er nicht besorgt ist, mi t jedem Stfick Fleiseh, welches er v~rspeist, gleich soundso viele Bacillen mit aufzunehmen."

Diese Auffassung Virchows ist yon besonderem Interesse, weil zwei Jahre sp~ter Robert Koch auf dem Londoner Tuberkulosekonffrefi sich in gleicher Weise fiber die weitgehende Unsehitdlichkeit des Genusses des Fleisches tuberkul6ser Sehlachttiere iiuBerte. Virchow hat auch nach der Erkls Robert Kochs auf dem Londoner Tuberkulosekongrefl 1901 sich dahin ge~uBert, er habe mit Genug- tuung vernommen, dab Robert Koch sich in der Frage der Schadlichkeit oder Unschs des Fleisches tuberkulSser Sehlaehttiere seiner, ni~mlich Virchow8 Auffassung angeschlossen habe. Aber selbst die Auffassung zweier GrSl3en wie

R u d o l / Virchow und Robert Koch vermochte sieh, obwohl sie richtig war, nicht gegeniiber der Auffassung durchzusetzen, die auf der Grundlage der Blu t infek- tionslehre mehr und mehr Platz gegriffen hatte, d a b im blutinfizierten Fleische tuberkulSser Schlachttiere eine sehwere Gefahr ffir den Menschen l~ge. Es fehlte an Untersuchungen fiber die Ausbreitungsweise der tuberkulSsen Infektion im K6rper und das Miu/ige Freibleiben der Muskulatur bei gegebener Blutin/elction bzw. BaciU~imie. Die Auffassung, dab im Fleisehe tuberkul6ser Schlachttiere eine besondere Gefahrenquelle ffir den Mensehen liege, hat te sich mi t Hilfe der Blut- infektionslehre aber so weitgehend festgesetzt, dab diese in dem am 23. VI. 1900 erlassenen Gesetz betr. die Schlachtvieh- und Fleischbesehau der Beurteilung tuber- kul6ser SchlachttierkSrper zugrunde gelegt Worden war.

In dem Entwurfe zum genannten Gesetz vom 17. I I . 1899 heii3t es: ,,Der urs~chliehe Zusammenhang der Tuberkulose des Menschen und der Tiere ist dureh die wissenschaftlichen Untersuchungen yon Robert Koch eCnwand/rei nach- gewiesen. Der GenuB yon Fleisch und Milch yon tul)erkulSsen Tieren ist geeignet, die Krankhei t auf den Menschen zu fibertragen. Er bildet neben anderen Quellen der Ansteckung eine der am meisten zu beachtenden Ursachen ttir die starke Verbre i tung der Tuberkulose unter den Mensehen."

:Die Begriindung entspraeh hinsichtlich de~ :Fleisches zwar nicht den Tat - sachen, da einwandfreie Beobachtungen ffir die ~ber t ragung der Tuberkulose yore Tier auf den Menschen dureh FleischgenuB trotz der in grztliehen Kreisen vielfaeh dahin gehenden Auffassung nicht gegeben waren. Es hat te sich auf Grund des Glaubens an die Schgdliehkeit des Fleisches tuberkul6ser Tiere das yon Ostertag gestfitzte System der Blutinfektionslehre ffir die Beurteilung des Fleisehes tuberkulSser Schlachttiere durehgesetzt, so dab die yon R . Virchow und R. Koch vertretene Auffassung sich nicht durchsetzen konnte: Die Blut- infel~tionslehre trug der Vorstellung yon der Pathogenitgt des Fleisehes tuber- kul6ser Tiere Rechnung. Wo sich die Blutinfektionslehre auf Grund der bei der

.Fleischbesehau gemachten Erfahrungen als unst immig erwies, wurde ihr in den Ausffihrungsbestimmungen des Gesetzes immer wieder eine neue vergnderte

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536 M. Miiller:

Fassung gegeben. Es wurde so die Auffassung hochgehalten, da9 das Muskel- gewebe als Hauptbestandteil des ~leisches der Schlachttiere fiber den Weg der" Blutinfektion bzw. der Bacill~mie mit Tuberkelbacillen infiziert und dadurch z u einem gemeingef~hrliehen :Nahrungsmittel fiir den fleischessenden Menschen werde.

Man irrte lieber in der Blutinfektionslehre, als mit R. Virchow und/~. Koch sieh die Auffassung yon der weitgehenden Unsehi~dliehkeit des Fleisches tuber- kul6ser Schlacht~iere schon damals zu eigen zu machen. Die Infektion des Blutes mit Tuberkelbaeillen, die anatomiseh erkennbar sein soUte, miisse, so meinte man, auch die Infektion der Muskeln zur Folge haben und damit ffir den Men- sehen sch~dlich werden. Den Menschen vor dieser im F!eisch tuberkulSser Schlacht- tiere als vorhanden angenommenen Gefahr zu schfitzen, war aber Aufgabe tier Fleischbesehau als Mal]nahme der 5ffentlichen Gesundheitspflege. Die wichtigste T~tigkeit der Fleisehbesehau auf dem Gebiete der Sehlachttiertuberkulose bestand somi~ darin, die F~lle zu ermitteln, in denen die Muskulatur nach den Ausffih- rungsbestimmlmgen des FIeischbesehaugesetzes als mit Tuberkelbacillen infiziert anzusehen War. Diese Fi~Ue sollten nach erfolgter Sterilisation des l~leisehes als ,,bedingt tauglieh" im beschrhnkten:Verkehr zum GenuI~ ffir den Menschen zugel~ssen werden. Wie diese Blutinfektionslehre sich auswirkte, kennzeichnet treffend ein yon Bongert erw~hnter FMi, dab auf e~ner Berliner Mastviehausstel- lung kurz naeh dam Inkrafttreten des Gesetzes ein Jungbulle, der mit dem I. Preis gekr6nt worden war, nach der Schlachtung wegen ,,Blutinfektion" als untauglich erkl~rt wurde, weft in der Milz als einem nicht direkt mit der. AuBenwelt und nut auf dem Wege des grol3en Blutkreislaufes infizierbaren Organes vereinzelt~ kleine Tuberlcel festgestellt worden w a r e n . - E in lehrreiehes Beispie], das das Fehlgehen der Blutinfektionslehre in grunds~tzlicher Hinsicht zeigte.

Ebenso konnte es nicht verstanden werden, dal3 das Flelsch vollfetter Tiere deshalb gekocht werden muBte, weil in einem oder mehreren intermuskularen Lymphknoten ein kleiner tuberkulSser Herd bei sonst geringgradiger Tuber- kulose vorhan~en war, w~hrend magere Tiere mit ausgebreiteter TuberkuIose der inneren Organe, insbesondere des Bauch- und Brustfelles, ungekoeht in d e n Verkehr kamen; wiewohl dureh die abfliel3ende Peritonealflfissigkei~ das Fleiseh

-in weitgehendem Umfange mit den in der Brust- und BauchhShlenflfissigkeit enthaltenen TuberkelbaeiUen beladen wurde. Wollte man daher eine klare Sicht fiber die im tuberkul6sen TierlCgrper gegebenen Infektionsverh~ltnisse gewinnen, so muBten eben einmal tuberkulSse TierkSrper in grSBerer Anzahl nieht nut hinsiehtlich des Gehaltes yon Fleiseh und Blur an Tuberkelbacillen, sondern auch hinsichtlich des Vorhandenseins yon Tuberkelbaciilen in den iibrigen nicht tuberkulSs ver~nderten Organen untersucht werden.

Als ieh zu B~ginn des Jahres 1911 die L.eitung des JLaboratorlum8 des Miin- chener Sehlacht- und Viehho/es iibernahm, habe ich mich dieser Aufgabe unter- zogen. Die Frage der Ausbreitungsweise der tuberkul6sen Infektion im Tier- k6rper hatte ffir reich ein besonderes Interesse dadurch gewonnen, weft i'ch in den vorhergehenden Jahren im Hygienischen Institut der Universitdt Straflburg eingehende, systematisch angelegte Prfifungen fiber die Ausbreitung der Infek- tion im "Tierk6rper unter Verwendung leicht zfichtbarer, schnell wachsender

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Bakterien., n~tmlich der Bakterien der Paratyphusgruppe de r verschiedensten Viru- lenzgrade durchgefiihrt hatte. - - Die mit schwach virulenten Bakterien dieser Gruppe erzielten langsam verlaufenden Infektionel~ im TierkSrper, also die chro- nisch verlaufenden Infektionsstadien, ergaben Befunde fiber das Vorkommen dieser Bakterien im lymphatischen System und den Parenchymen yon Leber, Milz, Lunge, Nieren. Diese Feststellungen liel3en sich mit den Befunden bei

�9 der chronisch verlaufenden Tuberkulose in Parallele setzen. Die Frage des Vorkommens yon Tuberkelbaeillen im Blute hat in der Tuber-

kuloseforschung immer wieder eine grol~e Rolle gespielt, ohne dab es gelungen ist, ein hierffir allgemein giiltiges Gesetz zu linden bzw. die Bedeutung der Blut- infektion so klarzustellen, dab in ihr nicht mehr der Kernpunkt des tuberkul6sen Gesehehens zu erblicken ist. Ich bin mir dabei sehr wohl bewu/3t, welch aus- schlaggebende Rolle die Ausbreitung der Tuberkulose ahf dem Blutwege gerade ffir die Entstehung der akuten Miliartuberkulose beim Mensehen spielt. - - Kraus sagt hinsichtlich des Vorkommens yon Tuberkelbacillen im Blute auf Grund eigener Erfahrungen, dab es bei leichten F/illen (scheinbar) vorkommt und in schweren F/~llen l~ngere Zeit fehlen kann. Selbst bei Miliartuberkulose braueht es trotz mehrmaliger Untersuchung des Blutes nicht mehr nachweisbar zu sein. - - Bei der Tuberkulose ist also das Vorkommen yon Tuberkelbacillen im Blute an keine _Regel gebunden. Ich habe bei meinen Untersuchungen gefunden, dab man bei den Schlaehttieren um so eher Tuberkelbacillen im Blute nachweisen kann, je weiter fortgeschrit tendie ehr0nisch tu.berkulSse Erkrankung ist, und zwar der- gestalt, da]3 es im gegebenen Falle entweder eine Bakteriiimie des ven6sen oder des arteriellen oder des gesamten Blutes gibt. Will man daher in der Bak- teriiimie eine Grundlage ffir die Beurteilung tuberkul6ser Schlaehttiere hinsieht- lich ihrer ZulaBbarkeit im rohen oder gekochten Zustande zum GenuB ffir den Mensehen erblicken, so mfil3te, wenn in der Bakteris der Schlachttiere ein gewiehtiger gesundheitsseh/idigender Faktor fiir den Mensehen seitens der Ver- teidiger der Blutinfektionslehre in grunds~tzlieher Hinsicht gesehen wird, jeder bei der Schlachtupg als tuberkul6s befundene Tierk6rper hinsiehtlich des Frei- seins oder Vorhandenseins yon Tuberkelbacillen im Blute bakteriologisch bzw. dureh den Tierversuch untersueht werden.

Naeh Hi~bschmann besteht kein Zweifel darfiber, dal3 beim Menschen wahre Bacill~mien bei jeder Form und Ausbreitung der Tuberkulose h~ufig nachgewiese n werden k6nnen. Auch bei leiehteren Erkrankungen werden yon Zeit zu geit Tuberkelbacillen in das Blut eingeschlepp t, um dann daraus wieder zu verschwin'- den, Deshalb sei es in weitem Mal~e dem Zufall anheimgegeben, ob und wieviel Baeillen b ei der jeweiligen Untersuchung naehgewiesen werden k6nnen. Der negative husfall der Untersuchung besage daher nur, dal] in dem betreffenden Momente keine Tuberkelbaeillen im Bluge gewesen seien. ~ Bald darauf w~ren sie vielleieht naehweisbar gewesen. Hiibschmann ver t r i t t daher den Standpunkt, dal~ es iiberhaupt keinen Fall yon Tuberkuloseinfektion gibt, bei dem nicht yon Zeit zu Zeit eine Baeill/~mie besteht. Auf Stunden oder Tage berechnet passiere daher eine recht ansehnliehe Zahl yon Tuberkelbacillen die Blutbahn.

Bei den Sehlachttieren sind die Verh~ltnisse bei der Verseuehung des K6rpers mit Tuberkelbacillen in grunds~tzliehe~ Hinsicht keine anderen wie beim Men-

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schen. Es werden also auch hier nieht nur bei sehweren, sondern aueh bei leichten tuberkul6sen Erkrankungen Tuberkelbacillen fiber den Blutweg verschleppt, ohne dab daraus eine dauernde Bal~teris entsteht oder der Tuberkelbacillus zum ausgesproehenen Blutparasit wird. Vielmehr erkl~rt sich aus dem nut zeitweisen Vorhandensein yon Tuberkelbacillen im Blute das hiiufige Freisein des Blutes yon TuberkelbaeiUen und zwar proportional dem Grade der tuberkul6sen Er- krankung. Je leichter die tuberkul6se Erk rankung , um so seltener wird das Blut yon Tuberkelbacillen, befallen; je sehwerer der Grad der ehroniseh t~berkul6sen Erkrankung, um so hi~ufiger wird tuberkelbaeillenhaltige Lymphe in das Blur ergossen. Die tuberkul6se Bakteriamie ist also kein permanenter , sondern ein vorfibergehender Zustand. Sie kann, wie meine Untersuehungen zeigen, auch auf einen Tell des Blutgef~l]sys~emes den ven6sen oder den arteriellen beschr~nkt sein.

Nieberle hat die Blutinfektionslehre nun dahin umgestaltet , dal3 eine Bak- teris in den Fs der akuten Fri2h- und Spgitgeneralisation im Sinne yon Hiibschmann immer mit einer Infektion der Muskulatur gegeben sei. Deshalb seien diese Fitlle ganz aIlgemeir/ auf Grund des anatomischen Befundes und ohne Prfifung des Blutes und der Muskulatur auf das wirkliehe Gegebensein einer tuberkul6sen Infektion zu sterilisieren. Eine bakteriologische Durch- prfifung der fibrigen nichtinfizierten Organe haben Nieberle und Meyn aber offenbar nieht vorgenommen. Der Einblick in die Ausbreitungsweise der tuber- kulSsen tnfekt ion im KSrper wird aber um so interessanter und fiihrt zu einer ganz best immten Auffassung fiber den l~ahmen, in dem sich das tuberkul6se Infektionsgesehehen abspielt, je eingehender der Tierk6rper in seinen nicht ver~nderten Teilen auf das Gegebensein oder Freisein yon latenter Infektion mi t Tuberkelbaeillen untersueht wird. Nieberle ist an diegen yon mir gemachten Feststellungen vorbeigegangen und hat den gestaltenden t taupt fak tor f fir das tuberkulSse Geschehen unter Antehung an die Rccnkesche Allergielehre in den verhhderten Reaktionslagen gesucht.- Na.ch Meyn gehen bes t immte Verlaufs- formen der Tuberkulose mit Bakterie/~mien einher. Die hierbei schubweise in das Blur gelangenden Bakterien werden von den Uferzellen des Blut- und Lymph- stromes erfal~t und damit wieder aus der Blutbahn entfernt. I)ie bakteriologisehe Untersuchung yon Muskelproben gestat te am sichersten, ob eine tuberkul6se Bakteris bestanden habe oder nieht.

Die Allergie ist jedenfalls als ver~nderte Reaktionslage niehts Primares, sondern etwas Sekunditres, niehts Urs~chliehes sondern Gewordenes. Sie ist F01ge des Infektionsgeschehens. Die Hauptursache dieses Geschehens aber sind die Infektionserreger selbst, aus deren Wirkungsweise auf das mesenchymale Gewebe bzw. das retieulo-endotheliale System die morphologischen Vor~nde- rungen und die Allergie als ver~nderte Reaktionslage entspringen. Beide sind Folgen der Wirkungsweise der Infektionserreger; sie gehen bei der reaktiven Entztindung nebeneinander her. Desha lb kann nicht die Allergie der gestaltende Haupt fak tor im tuberkul6sen Gescheimn sein, sondern er liegt in den Tuberkel- 5acillen al8 In[ektions- bzw. Entziindungserregern, die als solche zugleich auch Allergene sind.

Bei meinen Untersuchungen fiber den Ablauf der bakteriellen Infekti0n im

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Die Ausbreitungsweise der tuberkul6sen Infektion im lebenden K6rper. II. 539

KSrper mit septic~mischen Bakterien wurde beim chronischen Ablauf der Infek- t ion immer wieder nut ein BefaUensein des lymphatisehen Systems festgestellt. Erst wenn die Infektionserreger yore lymphatischen System starken Besi~z er- griffen und yon diesem aus in das Blur eingeschwemmt wurden, t ra t das akute Stadium auf der Grundlage des vorangegangenen chronischen Stadiums in Er- scheinung. - - Bei hoher Virulenz der Erreger i~nderte sich der Ablauf der Infektion aber dergestalt, da~ die Infektionserreger zun~ehst sehr schnell in das Blur gelangten, kurze Zeit darauf aber wieder aus dem Blute verschwanden und dann eine schnell sieh entwickelnde akute Allgemeinin/ektion, Sepsis aeutissima, ein~ra~.

Die tuberkul6se Infektion verl~uft im allgemeinen in Form der ehronischen Tuberkulose. Im Gegensatz zu den T ie ren tr i t t beim Menschen nicht selten die akute Miliartuberkulose und zuweilen auch eine sehr sehnell verlaufende tuber- kul6se Sepsis in Erseheinung. Der ehronische Ablauf der tuberkulSsen Infektion beruht neben der Unbeweglichkeit der Tuberkelbacillen und des relativ lang- samen Waehstums der Tuberkelbacillen darin, dab sich durch das ~berstehen leiehter Infektionen eine gewisse immunisatorische Resistenz des KSrpers gegen- fiber neuen infektionen entwickelt. Die Tuberkelbacillen ben6tigen, um sich im K6rper vermehren zu kSnnen, zun~chst des Eintri t tes in das lymphatische Gewebe, yon wo aus sie fiber den Weg der S~ftestr6mung oder durch Aufnahme in Wanderzellen dann bis zum ni~chstgelegenen Lymphknoten kommen.

Dor~, wo sich der Tuberkelbaeillus im lymphatischen Gewebe festlagert, beginnt das spi~ter makroskopisch in Erscheinung treterLde tuberkul6se Geschehen in Form einer Wechselwirkung zwischen Tuberkelbaeillen und den Zellen mesen- chymaler Herkunft, das in einer gleichzeitigen Vermehrung der Tuberkelbacillen und mesenchymaler Zellen als Folge einer yon den Tuberkelbacillen und deren Toxinen ausgehenden Reizwirkung auf diese reaktiven Zellen besteht. Wenn die Tuberkelbaeillen als spezifisehe Parasiten dieser mesenchymalen Zellen ange- sprochen werden und der Satz yon Haent]ens [vgl. Z. Tub. 9, 54 (1906)] aner- kannt wird, daI~ ohne Bindegewebe und die desse~ ZeUen um/lieflenden Sgi/te kein Tuberkel denlcbar ist, so tr i t t das Hauptcharakterist ikum der Wirkungsweise der Tuberkelbaeillen darin zutage, spezi/ischer Entziindungserreger i m Mesenchym zu sein. Das Vorhandensein dieser Entzfindungserreger im K6rper wird aus den besonders gearteten Entziindungsprodukten im Mesenchym makroskopisch er- kannt.

Schon auf Grund dieses Kerngeschehens ergibt sich, dab zwischen Tuberkel- bacillen und dem lymphatischen System engste Beziehungen bestehen und dab die Beziehungen der Tuberkelbacillen zum Blut nur yon nachgeordneter Bedeu- tung sind. Das Blur nimm~ die mit Tuberkulosebaeillen beladene Lymphe wobl in sieh auf, ohne eine ausgesproehene Produk~ionsst~tte fiir Tuberkelbacillen zu sein. Mit der Blutlymphe werden die Tuberkelbacillen den Organe n zuge]iihrt, die als Pr~idile]ctionssitze ]iir tuber]cuiSse Metastasen bekannt sind. Eine unge- hemmte Vermehrung der Tuberkelbacillen, wie sie bei den typischen Septic~mie- erregern in Erscheinung t r i t t l finder im allgemeinen bei der tuberkul6sen Infek- tion des Blutes nicht start. W i r sehen vielmehr gerade aus dem Auftreten der .akuten Miliartuberkulose im Ansehlul~ an starke Einschiibe von Tuberkelbacillen

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�9 540 M. Miiller:

vom lymphatisehen System her, wie sehr und wie schnell sich das Blut der in ihm enthaltenen Tuberkelbacillen durch Ablagerung in den Gefii]bindegewebs- apparat und d ie P~etieuloendothelien der durehbluteten und fiir die Aufnahme und Ablagerung yon Tuberkelbacillen pr~d]sponierten Organe entledigt, so dab nach einiger Zeit im Blute selbst keine Tuberkelbacillen mehr naehweisbar sein ksnnen. Es t r i t t Mso die besondere Beziehung der Tuberkelbacillen zum' Mesen- chym zutage. - - In der den Tuberkelbacillen zugeschriebenen besonderen Be- ziehung zum Blute ~ol l te aber der Grund fiir die Gemeingefi~hrliehkei~ des Fleisches tuberkulSser Sehlachttiere fiir den Menschen ]iegen - - eine Lehre, an der in der Fleischbeurteilung bis hente noch festgehalten wird.

Es bedurfte daher einer Kli~rung der l~rage, ob und in welchem Umfange in tuberkul6s erkrankten Sehlachttierk6rpern Tuberkelbacillen in den makro- skopisch nieht ver~nderten Organen vorkommen und nachweisbar .sind. Die Durchprfifung der Muskulatur mit den zugeh6rigen intermuskuliiren Lymph- knoten, des Blutes und der tuberkulosefrei erscheinenden Organe mul~te zeigen, ob die Erkenntnisse fiber den Ablauf der Infektion, die auf Grund der syste- matisehen Durehprfifung yon Tieren, die mi~ leicht nachweisbaren Erregern auf dem Ffitterungswege infiziert worden waren, auch fiir den langsam sich ab- wickelnden Ablauf der tuberkulSsen Infektion im TierkSrper Geltung batten. Gleichzeitig muBte sich damit ergeben, ob und inwieweit die theoretisch aufge- stellte und immer wieder abgei~nderte Blutinfektionslehre fiir die Beurteilung tuberkulSser Schlachttiere Geltung hat te oder nieht.

Ieh begann seinerzeit meine Untersuehung in Gemeinschaft mit Mitre! hinsichtlich des latenten Vorkommens yon Tuberkelbacfllen in der Leber und in der Milz solcher tuberkulSser Schlaehttiere, die bestimmungsgemaB noeh als verkehrstauglich zu erachten waren. Nach meinen systematischen Untersuchun- gen fiber den Ablauf der Infektion bei Versuehstieren bat ten Sich bei Infektionen mit schwach virulenten Bakterien Leber und Milz h~ufig als latent infiziert er- wiesen, ohne dab sich auch das Blur zur Zeit der Prfifung als infi~iert erwies. Die Infektion yon Leber und Milz war immer das Infektiol{sstadium, das der Dureh- setzung der Lymphlcnoten mit den betreffenden Infektionserregern zu folgen pflegte.

Bei 33 gepriiften iilteren Rindern erwies sich yon 29 l$IilzpreBs~ften die Milz 10mal latent infiziert und von 21 Leberprel3ss die Leber 8real als latent infiziert. Es erwiesen sich somit bei den geprii/ten Schlachttieren die JLeber und Milz in 36% der geprii/ten Orffane als verborgen mit Tuberkelbacillen beladen, obwohl die genannten Organe bei der Besehau'keine tuberkul6sen Veri~nderungen erkennen ]ieBen und deshalb nach den gegebenen Bestimmungen zum Genul3 fiir den Mensehen zugelassen wurden.

Bei tier Betrachtung der positiven Ergebnisse unter den gepriiften Lebern und Milzen ergab sich, dab ein positives Ergebnis insbesondere dann erzielt wurde, wenn gleiehzeitig aueh eine sehwere tuberkul6se Erkrankung der Lunge vorlag. Bemerkenswert war auch, dab bei gleichzeitiger Verimpfung von Leber und Milz ein und desselben Tieres sich stets beide Organe als keimhaltig erwiesen. In dem gleichzeitigen Vorkommen von Tuberkelbacillen in Lnnge, Leber und Milz mul3te also ein Faktor gegeben sein, der diese Organe zur vorzugsweisen

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Die Ausbreitungsweise der tuberkul6sen Infektion im lebenden K6rper. II. , 5 4 ]

Aufnahme von Tuberkelbacillen geeignet macht. - - Die Lunge ist das emte Capil- far/liter/iir die in das ven6se Blur eingeschwemmten Tuberkelbakterien. In Leber und Milz abet sind es die Reticuloendothelien, die die im Blurs vorhandenen Tuber- kelbacillen au/nehmen und an das lymphatische System abgeben. Auch k6nnen dutch L6sung der Reticuloendothelien aus dem Verbande weitere Verschleppungen au] dem Blutwege nach der Lunge entstehen, we dann einesteils eine Absaugung der TuberkelbaciUen in das lymThatische Systeht unter dem Zugrundegehen der phagocytdren ZeUen his in die regioniiren Lymphknoten hinein, anderenteils sine Ansiedlung yon Tuberkelbacillen im Interstitium der Lunge er/olgt.

Hinsichtlich der fleischhygienischen Bedeutung der gemachten Fest- steUungen sagte Mittel:

,,Da gerade die untersuchten Organe und insbesondere die Leber bei der Zubereitung ffir den GenuB des Menschen nur kurzen Kcchprozeduren unter- woden werden, die fiir eine Abt6tung der Tuberkelbacillen durch die Erhitzung nicht immer Gewtihr leis~en, so muB der oben erwiesene Keimgehalt menschlicher 5[ahrungsmittel zu Bedenken AnlaB geben und nach erfolgter Nachpriifung und Wiirdigung yon maBgebender Stelle zu einer teilweisen ~nderung der Ausffih- rungsbestimmungen zum Fleischbeschaugesetz in bezug auf die Beurteilung von nicht sichtlich tuberkul6s erkrankten Organen schwer tuberku]6ser Schlacht- tiers ffihren."

Ishiwara land bei gleichartigen.Untersuchungen fiber das Vorkommen von Tuberkelbacillen im gesund erscheinenden EutergeWebe tuberkul6ser Schlachttiere unter 26 gesund erscheinenden Eutern 5 F~lle latenter Infektion. �9

Ich schrieb damals zu diesen l%ststellungen, dab sis uns dazu zwingen, die Beurteilung der Ge/ahrengr6fle, die aus dem Genu[3 yon Fleisch und Organen tuber- lcul6ser Tiers resultieren kann, auf eingehende Untersuchungen zu basier die die Priifung yon Muskulatur, Blur und den sonstigen nicht tuberkul6s veriinderten Organen zahlreicher Tiere auf das Vorhandensein eder Freisein yon Tuberkel - bacillen zum Gegenstand haben. Auf Grund derartig gesammelter Befunde wfirden wir uns eine zutreffende Vorstellung machen k6nnen, wie wir uns den Infektionsweg in den versehiedenen Stadien der tuberkul6sen Infektion vorzu- s~ellen haben.. DaB die bisherige Ansehauung fiber die Art und Weise der Keim. verschleppung nach der Blutinfektionslehre hierbei zu verlassen sei, werde er- kenntlieh. .

Hdutle prfifte dann unter meiner Leitung 1. ob bei ~uberkul6sen Kdlbern eine tuberkul6se Infektion der Muskulatur

naehweisbar ist; �9 2. ob bei K~lbern mit nicht lokaler Tuberkulose sine Blutinfektlon nach- weisbar ist;

3. ob Blut- und Muskelinfektion in nachweisbarem Zusammenhang stehen; 4. ob ein tuberkul6ser Muskellymphknoten als Erkennungsmerkmal ffir

sine h~matogen infizierte Muskulatur gelten kann; 5. ob unver~nderte Lymphknoten als frei yon tuberkul6ser Infektion an-

zusehen sind. Die gefundenen Tatsaelien sollten die Grundlage bilden Zur Beangwortung

.tier Frage, in welcher Weise wir uns den Ablauf der tuberkul6sen Infektion bei

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den K/~lbern vorzustellen haben und inwieweit die derzeitige fleischbeschauliche Beurteilung tuberkulSser K~lber als zutreffend zu erachten ist.

Leonpacher ffihrte die gleichen Prfifungen an tuberkulSsen Schweinen dureh. Summarisch betrachtet ergaben diese Priifungen folgendes:

Bei dO K~ilbern mit ausgebreiteter Tuberkulose fanden wir, dab yon 81 ge- priiften Muskellymphknoten 31 Lymphknoten verborgen keimhaltig waren und yon 28 Blutpriifungen dieses sieh einmal als latent infiziert erwies.

Bei 33 tuberkulSsen Schweinen ergab sich, dab yon 74 gepriiften Fleisch- lymphknoten 21 und yon 26 Blutprtifungen dieses sich 2mal latent infiziert erwies.

Bei 37 Muskelprii/ungen yore Kalb und 66 Muskelprii/ungen vom Schwein konnten in keinem Falle bei beiden Tiergattungen TuberkeIbacillen nachgewiesen werden.

Somit zeigte sieh, daft die In/elction des Blutes bei tuberkul6s be/undenen K~ilbern und Schweinen ein sehr seltenes Vorkommnis ist und daft eine In]elation der Mus- kulatur mit TuberkelbaeiUen bei beiden Schlachttiergattungen iiberhaupt nicht nach- weisbar war, wgihrend die geprii/ten intermuskuldren Lymph~noten sich bei den Ki~;Ibern in 36,1% der geprii/ten Fdlle und bei den Schweinen in 28,4 % deq" gel~rii]ten Fiille als latent mit Tuberlcelbaeillen beha/tet erwiesen. Im Muslcelgewebe tuber- lcul6ser Kdlber und Schweine liegt somit iiberhaupt ]ceine als beaehtlich anzusehende In/ektionsge/ahr /iir den /leischesse~en Menschen.

Mit diesen Feststellungen. aus der Durchl~riifung tuberkul6scr K~lber und Schweine ergab sich aber auch das Fehlgehen der Blutinfektionslehre fiir beide Sehlachttiergattungen. Die Befunde ausgebreiteter Tuberkulose bei geschlach- teten Kitlbern und Schweinen marten also eine andere Deutung finden, als ihnen auf Grund der Blutinfektionslehre gegeben wurde. Denn es zeigte sieh hier o/]en- kundig dab besondere Gebundensein der tuberlcul6sen In/ektion an das lymphatisehe System. Demgegeni~ber trat das Vorkommen yon Tuberkelbacillen im hiimolischen System: vollkommen in den Hintergrund. Dieses kalm nur als ein Einschub vom lymphatischen System her bewertet werden, dem im iibrigen in fleischhygieni- scher Hinsicht keine weitere Bedeutung zukam, da sieh der Muslcelp~reflsa/t bei beiden Tiergattungen in allen Fiillen als /rei vo~ ]edem Gehalt a n Tuberlcelbacillen erwies. Dabei zeigtel/die tuberkulSs infiziert befundenen Kiilber in 36 yon ins-

gesamt 40 F~llen das mehr oder weniger ausgebreitete Gegebensein yon miliarer Tuberkulose, ohne daft in 27 Blutprii]ungen dieser K(ilber mit Miliartuberlculose im Blute Tuberkelbaeilleu naehgewlesen wurden.

Bei den 42 durchprtiften Schweinen zeigten 21 Schweine in meist wenig ausgebreiteter Weise das Gegebensein miliarer Tuberkulose. Trotz des Gegeben- seins miliarer Tuberkulose neben weiteren tuberkulSsen Ver~nderungen der verschiedensten Grade, insbesondere in Lunge, Leber,. Milz, Nieren, Knochen- mark, Lymphknoten, Gelenken und intermuskul~rem Bindegewebe, wurden bei 26 Blutprtifungen nur 2real in sp~irlicher Weise Tuberkelbacillen im Blute durch die Tierimpfung nachgewiesen, w~hrend in 66 gepri~/ten Muskelprefisd/ten nieht ein einziges Mal Tuberkelbaeillen nachgewiesen werden konnten. Das Muskel- gewebe erweist sich also beim Schwein wie beim Kalb auch beim Gegebensein yon Miliartuberkulose als resistent gegeniiber tuberkul6ser In]ektion. Hierau/ beruht

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Die Ausbreitungsweise der tuberkulSsen Infektion im lebenden KSrper. II. 543

die weitgehende Unsch~idlich]~eit de~ Fleisches tuberkulSser Schweine und Kdlber ]iir den Menschen als Fleischesser 1.

In Verbindung mit Ishiwara und Siebinger habe ieh dann weiterhin dltere Kiihe und Ochsen mit fortgeschrittener sehwerer, und schwerster tuberkulSser Erkrankung hinsichtlieh des Vorkommens yon Tuberkelbacillen in nicht er- krankten Organen und K6rperteilen geprfift, um ein auf festgestellten Tatsachen sich grfindendes Bild fiber die Beziehungen der tuberkulSsen Infektion zum lymphatischen und hs System zu erhalten.

Gleiehartige Untersuchungen beim Menscheu liegen in beschr~nktem Um- range nur yon Schi~rmann vor. Schiirmann bezeichnet das latente Verweilen von Tuberkelbacillen in nicht erkranktem Gewebe als Bacillose im Gegensatz zu der morphologiseh erkennbaren Tuberkulose. Bei Menschen, die auBer einem abgeheitten Prim~rkomplex keine ~natomischen Vers hasten, land Schiirmann durch Prfifung yon Lungen-, Milz- und Lymphknotengewebe mittels des Tierversuches fortsehreitende Tuberkulose. - - Er gliedert die Bacillose in eine Hgimo-, Lympho- und Histobacillose auf. Die LymphobaeiUose steht der Histobacillose nahe. Sie ist mit der Histobacillose in Lymphknoten, die jegliche

I . Erkrankung' vermlssen lassen, feststellbar. Die H~mobacillose ist naeh Schiir. mann um so hi~ufiger, je ausgedehnter die Tuberkulose der Lunge ist.

Unter Anwendung dieser Bezeichnung 8ehiirmanns war bei unseren Unter- suchungen die Histobaeillose gegeben bei

51 geprtiften Milzen in 28 F~llen = 54,9% 26 ,, Lebern in . . . . . . 13 ,, ~ 50,0% 37 ,, Eutern in . . . . . . 9 ,, = 24~33% 21 ,, Nieren in . . . . . . 7 ,, = 23,3% 5 ,, Pankreas in . . . . . 2 ,, = 40,0%

140 gelariiften Organen in . . . . . 59 Fallen = 42,1%

Dus Vorliegen einer LymphobaciUose ergab sieh bei 88 geprfiften intermusku- li~ren Lymphknoten in 49 F~llen = 55,5%. Das Vorliegen einer Hdmobacillose ergab sich bei 50 Prfifungen yon Herzblut in 23 F~llen ---- 46 %. Ferner wurden bei 72 Muskelprfifungen fin 4 Fifllen im Prel~saft Tuberkelbacillen nachgewiesen --~ 5,5%.

Gegeniiber den bei K~lbern und Schweinen gemachten Feststellungen zeigt sich somit bei s Rindern mit fortschreitender generalisierter chronischer Tuberkulose eine sehr beachtliche Zunahme der H~mobacillose und auch ein gewisses Ansteigen der Fi~lle, in denen sich der Pre[~saft aus der Muskulatur infolge des Gegebens~ins einer eapilli~ren Hiimobaeillosis als tuberkelbacillen- haltig "erweist.: Der nachweisbare Gehalt der Muskulatur bleibt aber gegen- fiber dem nachweisbaren Gehalt des Blutes um das aehtfaehe zuriick. Da es sieh. hierbei nu t um schwache Infektionen im Gebiet der Muskelcapillaren handelt, erweist sieh mithin auch bei fortsehreitender generalisierter chroniseher Tuber- kulose ~lterer R inde r deren Musl~ulatur im Gegensatz zu einer nicht selten gegebenen H~mobacillose in der Regel als frei von feststellbarer tuberkuliiser

1 Von der protokollarischen Darlegung der Ergebnisse der bakteriologischen Durchpriifung tuberkulSser Kitlber und Schw~ine muB aus Griinden der Raumersparnis Abstand genommen werden.

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Infektion. Aus dem Vorliegen einer H~imobacillose kann mithin nicht ohne weiteres au] das Vorliegen einer tuberkul6sen ln]ektion der Muskulatur geschlossen werden.

Die H~imobacillose kann eine :solche des ven68en Blutes oder des arteviellen Blutes oder beider Blutarten sein. Die Bacillose des venSsen Blutes t r i t t bei sehwerer progredienter Erkrankung der Lymphknoten, also des lymphatisehen Systems zutage und wird somit dureh das EinflieBen tuberkelbacillenhaltiger Lymphe yon der Trunci lymphatici her in die Hohlvene verursacht. Bei schwerer abscedierender Hepatitis tubereulosa wird das venSse Blut teils als mit Tuber- kelbacillen beladen, tells aber aueh als frei von solchen befunden; jedenfalls dfirfte aber von hier aus mit zeitweiligen Einschiiben yon Tuberkelbacillen in

dam venSse Blur zu rechnen sein. Mit l%ficksicht auf die notwendig ge.wordene Einsebrs des Umfanges

der .Beitriige zur Klinilc tier Tuberkulose ist es nicht mSglich, die aus den Durch- prfifungen gewonnenen Erkenntnisse mit einer Kasuistik in den Einzelheiten zu belegen. Es sei daher diesbezfiglich auf die kasuistischen Angaben verwiesen, die ich in der Dtseh. Schlachthofztg 1941, H. l l , 17, 22 und 23 und 1942, H. 3, 5 und 13 in meinen Ausffihrungen fiber: Das verborgene Vorkommen von Tuberkel- bacillen in Fleisch, Blut und normal erscheinenden Organen tuber]cul6s erI~rankter Schlachttiere - - gemacht habe.

Die tuberkulSse Baeillosis unterscheidet sich yon anderen Bacfllosen septic- s Art dadurch, dab bei" einer Bacillosis des venSsen und auch des arteriellen Blutes keine Allgemeininfektion des tuberkulSs erkrankten KSrpers eintritt . Selbst stark durchblutete Organe wie Niere Und Euter lassen in dem durchprfiften Organteil zuweilen bei Hs arteriosa das Vorliegen einer tuberkulSsen Infektion vermis.sen. - - So verschieden aber die einzelnen F~lle in anatomischer und bakteriologischer Hinsieht sind, su ]aBt sieh doch ein gewisser Rhythmus im Ablauf der tuberkulSsen Infektion bei einer Gesamtbetrachtung yon der Tuberkulose und Bacillose in den erkrankten Tierk6rpern erkennen. Der Ein- schub yon Tuberkelbacfllen in das venSse Blur vom lymphatisehen System her mit der Lymphe wird hauptsiichlich in der Leber und der Lunge yon den G e f ~ - endothelien wieder abgefangen und die TuberkelbaciUen dem ]ymphatischen System dieser Organe zugefiihrt. Hieraus erklart sieh die vorzugsweise Erkran- kung dieser beiden Organe durch eine Superinfektion endogener t terkunft , soweit nieht die Lunge auch durch eine Infektion exogener Herkunft erkrankt ist. Da etwa ein Fiinftel des durch die Lungen. flie0enden Blutes seinen Weg fiber den arteriovenSsen Nebensehlul~ des Pleuracapillarnetzes nimmt, so erklart sich hieraus einesteils das leiehte ~bergrei fen der tuberkulSsen Infektion s die Pleura und BrusthSMe ais lymphatischem Raum und andererseits das ~ber t re ten von Tuberkelbacillen in das arterielle Blur. Die in ~las arterielle Blut gel~ngenden Tuberkelbacillen werden dann durch die Blutlymphe dergestalt in den Reticulo- endothelien und Intersti t ien tier durehbluteten Organe abgelagert, dal3 die schwache arterielle H~mobaeillose zu neuen Einzelmetastasen in den pr~dispo- nierten Organen, die starke arterielle H~mobacillose aber zur multiplen Miliar. metastase im Mesenchym dieser Organe als dem Ausdruck fiir die erfolgte Rfick- lagerung der Tuberkelbacil|en in das lymphatisehe System fiihrt. Der der A u s -

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breitung der tuberkul6sen In/ektion im Ki~rper zugrunde liegende Rhythmus besteht somit darin, daft die Ausbreitung der tuberkul6sen In/ektion vom lymphatischen System her iiber das hdmolische System in weitere Bereiche des lymphatischen Systems zuriick er/olgt. Der Tuberkelbacillus bleibt also auch im Blut bzw. in der Blutbahn Lymphparasit, weil er an den lymphatischen Anteil des Blutes gebunden bleibt und yon diesem au8 wieder in das lymphatische System zuriicktritt, um bier dutch Erzeugung yon Metastasen sich wieder weiter au/ Kosten des be/allenen K6rpers zu vermehren. Durch diese spezifische Beziehung der Tuberkelbacillen zum lymphatisehen System werden die Tuberkelbacillen yon der Blutlymphe i n den Gef~flbindegewebs~pparat und die Reticuloendothelien abgelagert bzw. auf phagocytarem Wege in Bindegewebszellen aufgenommen..Der tuberkulSs befallene K6rper verseucht sich so mehr und mehr selbst in Form einer v o m Prim~rherd ausgehenden Generalisatlon dergestalt, daft die Tuberkelbaeillen sich vom befallenen KSrper selbst in passiver Weise ausstreuen lassen, um nach effolgter Anlagerung im lymphatisehen System dann mit ihrer aktiv zerstSrenden T~tigkeit in Form lymphogranulomatSser Wueherungen und ki~siger Degenera- tionen zu beginnen.

Der Grund ffir die Ablagerung und Festlagerung der Tuberkelbacillen in bestimmten mit der Lymphe und dem Blur in engem Konnex stehenden Organen, an deren Spitze die Lymphknoten der befallenen Organe stehen und denen die stark durchbluteten Parenchyme der Lunge, der Leber, der Milz, der Nieren, des Euters und des Knochenmarks folgen, liegt mithin in der besonderen Beziehung ~ler TuberlcelbaciUen zu den Zellen mesodermaler Herkun/t. Aus diesem Charakter des Tuberkelbacillus als ausgesproehenem Bindegewebsparasiten entspringt nicht nur seine Ansiedelungsneigung in mesenchymulen Zellen, sondern aueh die Pro- duktion mesenchymaler ZeUen als morphologisehem Ausdruek des tuberkul6sen Gesehehens im Bindegewebe infolge der yon den sieh vermehrenden Tuberkel- bacillen ausgehenden Reizwirkung auf das Bindegewebe.

Eine In/elction der Muskulatur bei gegebener BaIcteridmie /indet in der Regel nicht statt, weft das Muskelgewebe den unbewegliehen Tuberkelbacillen keine

�9 Angriffsfl~che bietet, Kommen bei st~rkerer Beladung des arteriellen .Blutes Tuberkelbaefllen mit dem Blutstrom in die Muskelcapillaren, so werden sie bier yon den arteriellen Capillaren in die venSsen Capillaren hinfibergeschleust, um dann in den Organen mit einem besonderen Adaptionsverm6gen fiir die im Blut vorhandenen Tuberkelbaeillen angelagert bzw. dem lymphatischen System zu- geffihrt z'u werden. In den Muskelcapillaren finden die in der Blutlymphe ent- haltenen Tuberkelbacillen keine Ansiedlungsm6glichkeit, weil die Endothelien der Muskelkapillaren kein corpuscul~res Speicherungsverm6gen wie die I-Iistio- eyten und Retieuloendothelien besitzen, sondern den osmotischen Austausch y o n Sauerstoff und Kohlens~ure bei der Muskelatmung zu vermitteln haben. Eine sog. Muskeltuberkulose kommt daher mlr ausnahmsweise einmal zustande,

wenn Tuberkelbacillen die MSgliehkeit zur Ansiedelung im intermuskuliiren Bindegewebe in besonderer Weise finden. - - So siedeln sich bei schweren Pleuri- tiden und Peritonitiden TuberkelbaciUen im intermuskuls Bindegewebe der ~Intercostalmuskeln und der Zwerchfellmuskulatur durch ttineinwachsen yon der Serosa aus an oder es finder von tuberkul6sen Knochen. und Gelenkserkrankungen

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aus l~ngs der Lymphbahnen und Bindegewebsziige ein proliferative s Eindringen yon Tuberkelbacillen in das Bindegewebe des angrenzenden Muskelgewebes statt, so daft dieses in degenerative Mitleidenschaft gezogen wird. Das Entstehen einer allgemeinen tuberkulSsen Myositis ist mithin auch beim Gegebenseln einer arte- riellenBak~eri~mie nickt mSglieh, weft das Muskelgewebe und die Muskelcapillaren die ffir die Bildung tuberkulSser Proliferationen notwendigen Voraussetzungen nieht enthalten. Aus der Verkennung dieses Umstandes entsprang die lange Zeit gegeben gewesene ~berscb~tzung der Gefahr, die indem Genu{~ des Fleisches tuberkul6ser Schlachttiere bei einer Ausbreitung der Tuberkulose auf dem Blut- wege liegen sollte. D e n n die In'fektion des Blutes mit Tuberkelbacillen sollte nach der ehema]s gegebenen Auffassung zu einer Allgemeininfektion der Muskula- tur tuberkul~ser Schlachttiere im Sinne septic~miseher Infektionen ffihren, und hieraus sollte dann die Gemeingef~thrlichkeit des Fleisches tuberkul~ser Schlacht- tiere entspringen. Die Tuberkelbacillen baben weder eine besondere Beziehung zum Muskelgewebe wie etwa die Triehinellen zu den Muskelfasern, wodurch das Fleisch triehinSser Schweine gemeingefs wird, noeh haben sie eine besondere Beziehung zum Blute wie die Pir~Jplasmen zu den roten BlutkSrperchen. Sie sind weder Blur- noch ~uskelparasiten, sondern ausgesprochene Parasiten der Lymphe und des Mesenchyms: Infolge ihrer langsamen Vermehrungs]ghigkeit und der Unbewegliehkeit gehSren die Tuberkelbaeillen auch nieht zu den den ganzen K5rper nach Art der .Sept!c~mieerreger durehsetzenden, im Blute sich leicht und nachhaltig vermehrenden Krankheitserregerm - - Er kann im Blute vor- kommen, wenn er in dieses mit der Lymphe yon erkrankten Organen her ein- gesehleppt wird, Aber er bleibt auch im Blut ein Lymphparasit, weft er ~on der Blutbahn aus wieder an die Organe abgegeben wird; die in direkter Beziehung zum lymphatischen System stehen und damit Prs ffir die Ent- stehung tuberkulSser Metastasen sind. - - Der Tuberkel isb nach Ascho]] als das Produkt der Einwirkung der Tuberkelbacillen auf die Retieuloend0thelien, die Bindegewebszellen und die Wanderzellen des Bindegewebes (Histiocyten) anzu- sehen, wobei sein Autbau nach dem Organ, in dem er sieh entwiekelt, wechselt. Haentgens hat das in dem sehon erw~hnten Satz ausgech.iickt :,,Ohne Bindegewebe und die dessen Zellen umflieI3enden Safte ist kein Tuberkel denkbar." Mag dieses Geschehen sieh nun im Gef~Bbindegewebsapparat oder im reticuloendothelialen System abspielen, die Tuberkelbacillen sind es, die als Reiz-.und Fremdk6rper das Mesenehym aktivieren. Hierdureh entstehen unter gleichzeitiger Ver~nde- rung der Reaktionslage die entzfindliehen Zellwucherungen und Exs[ldationen, (lie dem tuberkulSsen Geschehen das besondere Gepr~ige geben. So verursacht die leicI~te Hs dutch Ablagerung der in der Blutlymphe enthaltenen Bakterien in den Organen, die -die Tuberkelbacfllen aus der Blutlymphe mit Hilfe phagoeytierender :Endothelien oder durch Resorption in die Interstitien aufnehmen, d ie dtronische Form der Tuberkulose, w~hrend die starke H~mo- bacillose dureh die massenhafte Erzeugung yon Metastasen in den gleichen Organen das Entstehen der alcuten Miliartuberkulose vom Boden ehronischer Tuberkulose her bedingt.

Das Muskelgewebe nimmt a n dieser Wechselbeziehung der Blutlymphe zu phagocytierenden Gewebsetementen nicht teil, da den Capillarendothelien der Mus-

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kulatur ein Speicherungs- und Phagocythoseverm6gen gegenfiber den Tuberkel- baeillen nieht zukommt. In den MuskelcapiUaren spielen sich osmotische, kolloi- dale Vorg/~nge in Form der Membrandiffusion ab, weshal~ Tuberkelbacillen, die in Muskelcapillaren gelangen, bier nicht wie in der Lunge, der Leber und anderen Organen mit besonderer Beziehung zum reticuloendothelialen System abgefangen und festgelagert oder weiter in das lymphatisehe System versehleppt werden, sondern mit dem Blute yon der arteriellen Blutbahn fiber die Muskelcapillaren in die ven6se Bhltbahn hiniibergespiilt werden, um dann in den Organen, die als Pr/i~tilek~ionssitze ffir ~uberkul6se Metastasen bekannt sind, ihre Anlagerung und Riicklagerung in das retieuloendotheliale und lymphatisehe System zu finden. - - In diesem Verschlepptwerden der Tuberkelbacillen vom lymphatischen System iiber die Blutbahn in das lymphatisehe System zuriick, liegt der Circulus vitiosus der Tuberkelbacillen, yon dessert Intensit~it der Grad der Ausbreitung der tuberkuI6sen E.rlcrankung in den emp/iinglichen Organen des be/allenen K6rpers abhiingt.

Aus der Verkennung dieser besonderen Beziehung der Tuberkelbacillen zum lymphatischen System und Mesenehym hat die Blutinfektionslehre eine weit- gehende Sch/~dlichkeit aIs vermeintlich notwendige Folge des Hineingelangens von Tuberkelbacillen in die Blutbahn angenommen und auf dieser Annahme die Lehre yon der Sch~dlichkeit des Fleisches tuberkul6ser Sehlachttiere bei Bak- teri~mie aufgebaut. Wird der Tuberkelbacillus abet als Parasit mit besonderer Beziehung zum Mesencbym und zur Lymphe erkannt, so ergibt sich daraus nicht nur der biologische Grund fiir die weitgehende Unsch/~diichkeit des Fleisehes tuberkul6s erkrankter Schlaehttiere. Auch der Verbleib der in das Blur ge- langten Tuberkelbacitlen und die Bildung von Metastasen in den fiir die tuber- kul6se tterderkrankung prfi~lisponierten Organen finder in der besonderen Be- ziehung der Tuberkelbaeillen zum reticuloendothelialen bzw. lymphatisehen System seine Erkl/~rung, ohne dab es notwendig ist, besondere Hypothesen hier- fiir aufzustellen, Es war, wie schon LeBlanc betont hat, der unzureichende Einbliek in den Ablauf der Ausbreitungsweise der tuberkul6sen Infektion, der dazu gefiihrt hat, die hypothetischen Abwehrkr/~fte des Organismus als Haupt- ursache ffir die Krankheitsgestaltung und den Krankheitsverlauf anzusprechen. Schon der Vergleieh der tuberkulosen Infektion m i t anderen bakteriellen In- fektionen erlaubt nicht, sagt Le Blanc, dab man die A]lergie f fir das Mittel der

Klarung aller Infektionsvorg/~nge bei der Tuberkulose h/ilt und dai] man in ihr den ausschlaggebenden Faktor fiir die gesamte Krankheitsgestaltung und den Krankheitsverlauf erblickt.

])as Eintreten der Tuberkelbaefllen in den K6rper yon den Schleimh~uten oder kleinen Hautverletzungen aus 16st entziindliche, im mesenchymalen Gewebe sich abspielende Vorg/~nge aus, bei denen die Histiocyten als Frel]-und Wander- zellen eine besondere Rolle spieIen. In der aus der Vermehrung der Tuberkel- baeillen entspringenden Reizwirkung auf das mesenehymale Zellgewebe und deren atypischer Wucherung eine Abwehrreaktion zu erblicken, erseheint im Hinblick auf die bei den Schlachttieren zutage tretenden, niebt selten fast un- geheuerlieben Zellwucherungen im mesenehymalen Gewebe wenig ang/~ngig. Bilden doch Hyperplasien der Lymphknoten bis zu Faustgr6Be keine Seltenheit. In besonderen Fs steigert sich deren Umfang bis zu KopfgrSfle, wie auch

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Leberverg1"SBerungen um das zwanzigfache bis zum Gewicht von mehr als einem Zentner beobachtet werden. Trotz der Vielgestaltigkeit der tuberkulSsen Ver- ~nderungen sind die histologischcn Bilder all dieser Ver/inderungen immer wieder beherrscht yon Z~llen mesenchymaler Abkunft in ihren verschiedenen Formen und Lagerungen. In der biologischen Wechselwirkung zwischen den sich vermehren- den Tuberkelbacillen und den hierdurch zur Vermehrung angeregten Mesenchym- zellen !iegt n~ithin der gestaltende Haupt]aktor /iir das tuberkul6se Geschehen. Aus diesem Geschehen entspringt auch die verdinderte Reaktionslage.'

Hiibschmann hat bei seiner wertenden Betrachtung der tuberkul(isen Pro- zesse beim Menschen angeslchts des vielfachen Versagens der Abwehrmal~nahmen des menschlichen Organismus gegeniiber den Tuberkelbacillen die Frage aufge, worfen, ob es bei dieser Sachlage einen Sinn habe, bei der Tuberkulose yon Ab- wehrvorgiingen zu sprechen und diesen bewuBt oder unbewul~t das Merkmal der Zweckm~lligkeit beizulegen. - - Diese Frage drs sich auch bei der Tuber- kulose der Schlachttiere auf, wenn 2Yieberle hier in dcr fortschreitenden produk- riven und exsudativen tuberkultisen Entziindung einen Abwehrvorgang yon seiten des KSrpers erblickt.

Ich glaube nicht, dal] es ang/~ngig ist, in dea Histiocyten Zellen zu sehen, die die Tuberkelbacillen in sich aufnehmen und unschiidlich machem Man miil~te sonst auch bei den Schlachttieren in den schweren tuberkulSsen Veriinderungen. zweckm~Bige Abwehrreaktionen erblicken. Ebenso beruht doch auch die zum Tode fiihrende tuberkul6se Erkrankung darauf, dal~ die vermeintlichen Abwehr- kr/~fte des KSrpers nicht in der Lage sind, die Lebenst/itigkeit der TuberkelbaciUen zu behindern. Die gestellte ]?rage zwingt uns, in der Tuberkulose das zu Sehen, was sie als ein G~schehen im Gesamtrahmen des Lebens ist, n/imlich ein Zu,vam- menleben zweier ungleichartiqer Zellarten, der Tuberkelbacillen und der Zellen meso- dermaler Herkun/t im lebenden K6rper. Dieses Zusammenleben ende~ in allen F/s in denen es zu einer Gesundheitssch/~digung des befallenen K6rpers kommt, zu dessen Ungunsten. Be t rach te t man unter diesem Gesichtspunkte die tuberku]Sse Entziindung, s o kommt man der sch/idigenden Komponente des tuberkulSsen Entzfindungsvorganges n~her, aIs wenn man in ihr einen Abwehr- vorgang erblickt. Die Tuberkelbacitlen sind nun einmal yon Natur aus auf einen Parasitismus im lebenden K~rper angewiesen, Weft die Tuberkelbacillen gefahr- liehe Krankheitserreger sind, muB die Hauptabwehr gegen sic, wie Hiibschmann sagt, darin liegen, die Krankhei t im Keime zu ersticken, unbeschadet der Einflul3- nahme auf den Ablauf der natiirlichen Reaktionsv0rg/~nge.

Die I-/istiocy~en spie!en jedenfalls im tuberkul/~sen Geschehen eine besondere Rolle, well sie als Wanderzellen mit PhagocytosevermSgen Tuberkelbacillen in sich aufnehmen und weitersehleppe n, Schort Robert Koch hat diese Bedeutung der Wanderzellen bei de r Ausbreitung der Tuberkuloseerkannt, indem er sagte: , ,Denn eine Wanderzelle, welche den TuberkelbacilIus in sieh aufgenommen hat, iibBrnimmt keine so gefahrlose Last, wie wenn sie etwa Zinnober oder Tusche- k6rnchen verschluckt. Mit le tz teren beiden kann sie noch weite Wege zurfiek-

�9 legen; aber unter dem delet/~ren EinfluB des Tuberkelbacillus t reten Ver/~nderun- gen ein, welche die Wanderzellcn bald zum Absterben br ingen . Ob nun die Wanderzelle zugrunde geht und die Bacillen yon anderen an Ort und Stelle vor-

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handenen Zellen fibernommen werden, muff dem zpeziellen darauf geriehteten Studium iiberlassen werden," - - Ascho]/hat die Gesamtheit der mit Speieherungs- und Phagocytoseverm6gen versehenen Zellen als reticuloendotheliales System bezeichnet. Fiir die Ausbreitung der tuberkul6sen Infektion im lebenden K6rper hat dieses System insofern eine besondere Bedeutung bekommen, weiles in der Abwehr. der Ausbreitung der tuberkul6sen Infektion weitgehend versagt und damit das tuberkul6se Geschehen begfinstigt. Ascho]/ selbst sag t nach dieser Hinsieht in seiner zusammenfassenden Abhandiung fiber das reticuloendotheliale System: ,,Es darf nicht unterlassen werden, auch die Kehrseite der reticuloendo- thelialen Reaktion bei chronischen Infektionskrankheit~n hcrvorzuheben, n~m- lich die M6glichkeit, dab die wandernden Histioeyten die aufgenommenen Bacil- len, z.B. den Phthisebacillus, versehleppen und sie an anderer Stelle dutch Selbstzerfal] wieder freigeben. So tragen sie anscheinend selbst zur Verbreitung der Krankheit bei." Tritt die Funktion des reticuloendothelialen Systems bei anderen Infektionen im Sinne der Abwehr und Bereinigung zutage, so versagt es ffir die tuberku16se Infektion doch als Abwehr- und Selbstsehutzsystem.

Dureh den yon den Tuberkelb'acillen ausgehenden Reiz werden die im Binde- gewebe seBhaft gewordenen Histiocyten wieder protoplasmareich und mobil zu nicht fixen Bindegewebszellen, die sich unter Bildung junger, phagoeytierender Wanderzellen teilen. Ebenso 16sen sieh die mit Bakterien beladenen Zellen des

.retieuloendothelialen Systems aus ihrem Zellverband, gelangen in die Blur- und Lymphbahn und maehen damit Platz fiir neue nachwaehsende .Zellen ihres Systems. Die durch die Histioeyten bewirkte Versehleppung von Tuberkelbacil- len ist somit bei der Ausbreitung der tuberkul6sen Infektion ein sehr beaehtliches Geschehen und die Phagoeytose der Tuberkelbacillen durch die Histioeyten kommt ifichts weniger als einer Vernichtung oder, wie Nieberle sagt, einem Einschlui~ der Bakterien in ein Gef~ngnis gleich. Die Tuberkelbacillen sind vielmehr aus. gesprochene Reizlc6rper, die eine Proli/eration der retikuliiren und endothelialen Zellen in einer das normale Verhalten der Zellen st6renden Weise dergestalt bewirken, daft der be/allene K6rper mittels der Gewebs-, Lymph- und BlutstrSmung ]iir eine Yerschleppung der /rei oder in Wanderzellen vorhandenen Tuberkelbacillen selbst sorgt. Da die Lunge und die Leber die vonder Blutlymphe am sts dureh- flossenen und mit phagoeytlerenden Ze]len ausgestatteten Organe sind, erkls sich hieraus aueh die starke Ablagerung freier und an Wanderzellen gebundener Tuberkelbaeillen in diesen beiden 0rganen, sobald eine venSse oder arterielle H~mobacillose gegeben ist.

Die mit dem Blur in die Lungen gelangten Wanderzellen als Trager yon Tuberkelbacillen werden naeh Ascho/[ infolge einer spezifischen Verdauungskraft der Lunge ffir Wanderzellen in den Capillaren abgesiebt und verdaut, so dal] dami~ die mit der Blutlymphe in die Lunge gelangten Tuberkelbaeillen dem phagocyt~ren Verm6gen der Alveolarepithelien unterliegen und dem lympba- tischen System der Lunge zugeffihrt werden k6nnen, in dem sie entweder im Interstitium oder in den Lymphknoten der Lunge dann ihre proliferative T~tig. keit beginnen k6nnen. Die Lungenpleura enthitlt unter ihrem Deckepithel ein sehr gefs lockeres Bindegewebe, dessen Histiocyten naeh Nahrath dem reticuloendothelialen System im weiteren Sinne angeh6ren und ein starkes Reak-

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tionsverm6gen auf Fremdk6rper entwiekein. Da ein Ffinftel des Lungenblutes seinen Weg fiber diesen arteriovenSsen NebenschluB des Pleuraeapillarnetzes nimmt: erkl~rt sieh hieraus die gr61~e Reaktionsf~higkeit der Pleura gegenfiber der Reizwirkung angelagerter Tuberkelbaeillen. Auch die fl~chenf6rmig ausge- breiteten tuberkulSsen fibroplastischen Wueherungen, die insbesondere beim Rind in der Brust- und Bauchh6hle in Erscheinung treten, diirften im wesent- lichen fiber den Weg angelagerter, infizierter Histioeyten ihre Entstehung finden. Die nieht in der Lunge zuriickgehaltenen, in das arterielle Blur gelangenden Bak- terien iinden dann in den Organen die M6glichkeit zur Anlagerung und Metasta- senbildung, deren Endothelien phagoeytieren. ~ber den Weg der Kup]]erschen Sternzellen wird so insbesondGre die Leber nicht etwa von eingesehwemmten Tuberkelbaeillen befreit, sondern im Gegentefl mit Tuberkelbacillen beladen.

Die Produktion yon Histiocyten im mesenchymalen Gewebe unter der an- reizenden Einwirkung yon Tuberkelbacillen bewh'kt also nicht nur nieht eine Entseuehung des befallenen K6rpers yon den Tuberkelbacillen, sondern vielfaeh eine sehr weitgehende Verseuehung des lymphatiseh-mesenchymalen Systems mit einem folgenden sehr starken Bacillengehalt in den mesenchymalen Wuche- rungen wie aueh in den lymphatischen Exsudaten in der Brust- und Bauchh6hle, 0hne dab dadurch andererseits aber eine Verseuehung des ganzen K6rpers mit Tuberkelbacillen zustande kommt. Gerade hierin driiekt sieh die Gebundenheit der tuberkul6sen Infektion an das lymphatische System im weiteren Sinne des Wortes uus. Denn auch die im lymphatischen Anteil des Blutes enthaltenen TuberkeI- bacillen streben in 19assiver Weise framer wieder in dab lymphatische System zuriiek. Dal~ bei schweren Tuberkuloseformen auch die M6glichkeit des Durebgeschleust- werdens von Tuberkelbaeillen dutch die Muskeleapillaren besteht und ws ist nach den gemachten Darlegungen und den Ergebnissen der angeffihrten Durch- prfifungen fast selbstverst~ndlieh. Eine besondere Gefahr ffir die menschliche Gesundheit kann hieraus aber nicht erwaehsen, weil ein solches Geschehen nur bei Tierk6rpern mit schwc~er fortgeschrittener Tnberkulose gegeben ist und das Fleisch der Tiere mit schwerer Tuberkulose nicht in den freien Verkehr kommt, sondern unter sanit~tspolizeflicher Kontrolle steht. Gcwil~ kann kein Zweifel dariiber bestehen, daB, ebenso wie die Lymphe sich st~indig in das Blut eI gieBt, auch die in der Lymphe der Lymphst~mme enthaltenen Tuberkelbacillen framer wieder in das Blut eingesehoben werden. Wenn die Blutinfektionslehre aber framer wieder in der Bakteri~mie das Moment erblickt, das eine Sch/idlichkeit des Fleisches tuberkul6ser Schlaehttiere und deshalb die StGrilisation des Fleisehes dieser Tiere bedinge, to mUB dem doch entgegengehalten we~den, daft sich bei keinem tuberkulSsen Tier dcr Beginn dieter Einwanderung der Tuberkelbaeillen in das Blut best;mmen l~iflt und da~, wie meine Durchpriifungen tuberkulSser Sehlaehttierk6rper erkennen lassen, selbst bei fortgeschrittener generalisierter chronischer Tuberkulose es ohne bakteriologische Untersuchung nicht m6glieh ist, das Fehlen oder Vorhandensein yon Tuberkelbaeillen in einem Teile oder im ganzen Blute tuberkulSser Schlaehttiere iestzustellen. Bei allen Formen der fortsehreitenden ehronisehen Tuberkulose besteht die M6glichkeit, dab Tuberkel- baeillen in die Blutbahn mit der Lymphe eing'eschwemmt werden. Diese Blut- infektion kann aber nicht mit Muskclinfektion gleiehgesetzt werden. WiG ja

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i i b e r h a u p t der Muskel infekt ion im tuborku lSsen Geschehen keine besondere B e d e u t u n g z u k o m m t .

D e r Bvhaup tung der Ver te id iger de r B lu t i n f ek t i ons l eh re , dab in der tuber - kulSsen Bak te r i~mie die Ursache der Sch~dl ichkei t des F le isches tuberku lSser Sch lach t t i e re fiir den Menschen zu suchen sei, s tel le ich d a h e r den Satz gegenfiber , daft der Tuberkelbacillus ein Parasit des Mesenchyms und des reticuloendothellalen Systems ist und als solcher in keiner ntiheren Beziehung zum Muslcelgewebe steht. - - Die erfahrungsgem~B bekann te , wei tgehende UnschAdlichkei~ des Fle isches tuberkul( i ser Schlacht t ie re , die schon yon Rudolf Virchov u n d Robert Koch den Ver te id igern tier Blu t in fek t ions lehre gegenfiber v e r t r e t e n worden ist , f inder in d ieser besonderen Beziehung de r Tuberke lbae i l l en zum l y m p h a t i s c h e n Sys t em ihre Begr i indung.

Es i s t n i ch t , ,der TuISerkelbacil lus", sondern es s ind ,,die Tuberke lbac i l i en" , die be i de r Vornahme der Beur t e i lung tube rku lSse r Sch lach t t i e re zu beki~mpfen sind, u m u n t e r mSgl ichs te r Verwer tung des F le i sehes tuberku lSse r Tiere die G~sundhei~ des Menschen zu sehfitzen. Die Tuberkulose man i f e s t i e r t s ieh makro - skopiseh als t t e r d e r k r a n k u n g in den m i t e lnem A d a p t a t i o n s v e r m 5 g e n fiir Tuber - ke lbaci l len a u s g e s t a t t e t e n Organen. Die Er fassung und unschAdliche Bcse i t igung dieser tuberku lSs e r k r a n k t e n Organe mul3 d a h e r die H a u p t a u f g a b e der F le iseh- beschau sis Diszipl in de r iiffen~lichen Gesundhe i t spf lege sein. ~ Die tuberkulSse Bakteridmie ist als latentes Geschehen bei der makroslcopischen Untersuchung tuber- kul6ser Schlachttiere nicht /eststellbar, und da das tuberkulSse Ge, ehehen yon/righ- zeitiy beginnenden Einschiiben yon Tuberkelbaeillen in die Blutbahn yon der Lymphe aus begleitet ist, ist dieses Geschehen auch in fleischhygienischer Hinsicht ohne bakteriologische Prii]ung nicht verwertbar. Die Zulassung des Fleisches tuberkul6ser Schlachttiere in den/reien Verkehr einerselts und die sanitdtspolizeiliche Beau]slch. tigung des Fleisches tuberkul6aer Tiere andererseits kann daher nicht yon der Grund- lage der Bakteridmie aus gesehehen, ,ondern es muff die au/ den verschiedenen Wegen er/olgende Ausbreitung der tuberkul6sen In/ektion im K6rper dergestalt beriiclcsichtigt werden, daft ~ede als i l enera l i s i e r t im Sinne RanIces bzw. als ausgebre i t e t in Erscheinung tretende tuberlcul6se Erkrankung der Schlaehttiere dem /reien Ver]cehr zu entziehen und der Vertrieb des Fieisehes dieser Tiere, so/ern er ala zulaflbar zu erachten iat, unfer sanitdtspollzeiliche Kontrolle zu stellen ist.

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