die bedeutung der organisation der radiumtherapie für die krebsbekämpfung

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Die Bedeutung der 0rganisation der Radiumtherapie fiir die Krebsbek~impfung ~. Yon Profi Dr. Werner, Heidelberg. (Eingegangen am 10. 1)ezember 1928.) In immer steigendem MaBe wendet sich neuerdings das Interesse tier 0ffentlichkeit der l~rage der Krebsbek~mpfung zu. Neben dem Problem der Verhiitung dieser Erkrankung, das sehr eng mit der Ent- wicklung unserer ~tiologisehen Erkenntnis zusammenh~ngt, ist es vor allem jeder Fortschritt der Therapie, der mit Aufmerksamkeit ver- folgt wird. In jiingster Zeit haben Berichte fiber besonders giinstige Ergebnisse der Radiumbehandlung, die in erster Linie aus dem Auslande stammen, Aufsehen erregt und Vergleiche herausgefordert, die uns mit Betriibnis efffillen mfissen. Denn es zeigt sich, dal3 wit den Erfolgen des Auslandes auf dem Gebiete der l%adiumbehandlung keineswegs etwas Gleichwertiges gegenfiberzustellen haben -- ohne unsere Schuld, da der Unterschied in der Tatsache begriindet ist, dal~ unser Sehatz an radioaktiven Sub- stanzen hinter jenem einiger anderer V61ker sehr wesentlich an Quan- tit~t zuriicksteht. Es gab Zeiten -- sie liegen allerdings bereits 11/2 Jahrzehnte zu- flick --, da wurde Deutschland auf dem Gebiete der Radiumbehandlung zu den fiihrenden L~ndern gez~hlt. Die Kriegszeit, welche unsere Weiterarbeit behinderte, und die sehweren 5konomischen Verh~ltnisse der Naehkriegszeit, die es uns nicht gestatteten, die kostbare radio- aktlve Substanz in genfigender Menge zu beschaffen, haben es mit sieh gebracht, dal3 uns in sehr wesentlichen Punkten die Ffihrung verlorenging. Sie werden nun in erster Linie fragen: Ist es denn wirklieh yon so entscheidender Bedeutung, fiber eine grol~e Menge radioaktiver Sub- :stanz zu verffigen, und kann man nicht dureh eine entsprechende Technik mit geringeren Quantit~ten auskommen ? Lassen Sie reich Ihnen die Antwort zun~chst auf Grund pers6nlicher Erfahrungen erteilen. Als wir im Jahre 1903 in Heidelberg zum ersten Male mit Radium zu arbeiten begannen, da verfiigten wir fiber 3 kleine Kapseln zu je 1 Vor~rag, gehalten im Deutsohen Zentralkomitee zur Erforsohung und Be- ]~mpfung der Krebskrankheit am 30. XI. 1928.

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Page 1: Die Bedeutung der Organisation der Radiumtherapie für die Krebsbekämpfung

Die Bedeutung der 0rganisation der Radiumtherapie fiir die Krebsbek~impfung ~.

Yon

Profi Dr. Werner, Heidelberg.

(Eingegangen am 10. 1)ezember 1928.)

In immer steigendem MaBe wendet sich neuerdings das Interesse tier 0ffentlichkeit der l~rage der Krebsbek~mpfung zu. Neben dem Problem der Verhiitung dieser Erkrankung, das sehr eng mit der Ent- wicklung unserer ~tiologisehen Erkenntnis zusammenh~ngt, ist es vor allem jeder Fortschri t t der Therapie, der mit Aufmerksamkei t ver- folgt wird.

In jiingster Zeit haben Berichte fiber besonders giinstige Ergebnisse der Radiumbehandlung, die in erster Linie aus dem Auslande stammen, Aufsehen erregt und Vergleiche herausgefordert, die uns mit Betriibnis efffillen mfissen. Denn es zeigt sich, dal3 wit den Erfolgen des Auslandes auf dem Gebiete der l%adiumbehandlung keineswegs etwas Gleichwertiges gegenfiberzustellen haben - - ohne unsere Schuld, da der Unterschied in der Tatsache begriindet ist, dal~ unser Sehatz an radioaktiven Sub- stanzen hinter jenem einiger anderer V61ker sehr wesentlich an Quan- t i t~t zuriicksteht.

Es gab Zeiten - - sie liegen allerdings bereits 11/2 Jahrzehnte zu- flick - - , da wurde Deutschland auf dem Gebiete der Radiumbehandlung zu den fiihrenden L~ndern gez~hlt. Die Kriegszeit, welche unsere Weiterarbeit behinderte, und die sehweren 5konomischen Verh~ltnisse der Naehkriegszeit, die es uns nicht gestatteten, die kostbare radio- akt lve Substanz in genfigender Menge zu beschaffen, haben es mit sieh gebracht, dal3 uns in sehr wesentlichen Punkten die Ffihrung verlorenging.

Sie werden nun in erster Linie fragen: Is t es denn wirklieh yon so entscheidender Bedeutung, fiber eine grol~e Menge radioaktiver Sub- :stanz zu verffigen, und kann man nicht dureh eine entsprechende Technik mit geringeren Quantit~ten auskommen ? Lassen Sie reich Ihnen die Antwort zun~chst auf Grund pers6nlicher Erfahrungen erteilen.

Als wir im Jahre 1903 in Heidelberg zum ersten Male mit Radium zu arbeiten begannen, da verfiigten wir fiber 3 kleine Kapseln zu je

1 Vor~rag, gehalten im Deutsohen Zentralkomitee zur Erforsohung und Be- ]~mpfung der Krebskrankheit am 30. XI. 1928.

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10 mg Radiumbromid, also im ganzen fiber 18 mg Radiumelement in der bekannten alten, unvolikommenen Fassung. Nach 2jahriger Arbeit mi t diesem diirftigen Ins t rumentar ium kam ieh zu der !3ber- zeugung, dab das t~adium in dieser Form und Menge kein ernsthafter Heflfaktor ist, sondern h6chstens ausreicht, um ganz kleine oberflaeh- liche Cancroide zur Ausheilung zu bringeR, welehe man dutch R6ntgen- behandlung oder Operation ebenso rasch und gut beseitigen kann.

Als wir nach Entdeckung des Mesothors in den Besitz einer 200 mg Radiumelement gleichwertigen Quant i ta t strahlender Snbstanz kamen, wurden die Ergebnisse mit einem Sehlage ganz anders. Man kennte distanzieren und filtern, bekam eine erheblich gr6[tere Tiefenwirkung und durite an Aufgaben herangehen, die noch kurz vorher als vSllig aussichtslos erschienen waren. In einem Bericht fiber die Tatigkeit des Samariterhauses bis zum Jahre 1914 konnte ich mitteilen, dab wir durch Bestrahlung mit radioaktiven Substanzen 88% aller uns zu- gegangenen Hautkrebse zur vollen Rfickbildung gebracht hatten, yon denen ein betrachtlieher Tell damals bereits mehrere Jahre geheilt geblieben war. Von einer groBen Anzahl anderer Tumoren, bei denen allerdings mit den verffigbaren Mitteln ein radikaler Erfolg nur in besonderen Fallen zu erzielen gewesen war, wurde wenigstens bei fiber 40% aller Kranken eine sehr wesentliche Besserung erreicht, zum Tell sogar tempera te Symptomfreiheit .

Neben der aul~eren Bestrahlung war ' da s Verfahren der In tubat ion zur Einlage yon BestrahlungskSrpern in die Tumoren und aul~erdem die Einspritzung yon adsorbierter Emanat ion oder Thorium-X-L6sung in die Tumoren und yon L6sungen beider Substanzen in die Vene geprfift worden, und zwar an ungefahr 2000 Fallen. Die instrumentelle Behandlung hat te dabei unzweifelhaft den Sieg fiber die Injektions- methoden davongetragen.

Ganz besonders eindrucksvoll war die Tatsache, dab auch einige Mamma- und Lippencareinome spurlos verschwanden, die wir mit Hilfe des l~ademanits (yon Kohlenpulver adsorbierter Emanat ion in Dosen) aus noch gr61~erer Distanz und mit h6herer Intensi ta t bestrahlen konnten, da uns auf diese Weise zeitweilig bis zu 400 mg Radium- element an strahlender Substanz zu Gebote standen, und auch beim Krebs der Zunge und der Mundschleimhaut Rfickbildungen bis zur Symptomfreiheit erzielt werden k0nnten.

Krb'nig, der mit noch welt grSl~eren Mesothor- und IR,adiummengen arbeitete - - wohl als erster in Deutschland - - , meldete noeh regel- maBigere Erfolge, nnd so stand man schon damals unter dem Eindruck, dab das Radium eine sehr wertvo]le ttilfe ffir die Bekgmpfung des Krebses werden kSnnte, wenn es nur gelange, die Bestrahlungen teeh- nisch riehtig, unbehindert durch die quanti tat iven Erfordernisse,

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durchzufiihren. Das dankbarste Objekt fiir die Radiumbehandlung war lange Zeit hindureh das Uteruscarcinom, und es ist Ihnen ja allen sicherlieh bekannt, dab ein lebhafter Konkurrenzkampf zwisehen l%adiumbehandlung, R6ntgentherapie Und Operation einsetzte. Gerade beim Geb~rmutterkrebs war es m6glich, mit den vorhandenen Mitteln Vollwertiges zu leisten, da dureh die anatomisehen Eigentfim]ichkeiten dieses Organs eine Nahbestrahlung m6glich und mit verh~ltnism~tl~ig geringen Radiummengen erfo]greieh durehffihrbar ist. Weder eine grol3e Distanzierung noch die Bedeckung ausgedehnter Oberfl~chen mit radio- aktiven Substanzen sind erforderlich, und diese sind es, welehe vor allem den Besitz bedeutender Quantit~ten strahlender Substanz n6tig machen.

Das Ausland vervol]kommnete unser altes Tunnellierungsverfahren dureh Einfiihrung der Nadel- und Spickmethode, die ebenfalls mit aueh bisher schon fiir uns ersehwinglichen Mengen radioaktiver Substanz ausgefiihrt werden k6nnen. Aber beide Verfahren sind an bestimmte Voraussetzungen" gebunden; sie eignen sich nur ffir gut zug~ngliche oder zug~nglich zu machende, umsehriebene, in ihrem Umfang und ihrer Begrenzung genau zu ijberblickende Tumoren, wenigstens wenn jene Methoden allein verwende t werden sollen. Geschwiilste, welche diese Eigensehaften nieht besitzen, bediirfen zum mindesten neben der Spickung noeh einer Distanzbestrahlung, und ffir diese braueht man wiederum grol~e l~adiummengen. '

Letztere sind also unumg~nglieh n6tig fiir alle F~tlle, bei denen man nieht dureh Nahbestrahlung oder Spiekung zum Ziele gelangt, und das ist ein sehr grol~er Prozentsatz der iiberhaupt fiir die Radium- behandlung geeigneten b6sartigen Neubildungen. Wohl kann man bei der Kombination der Strahlenbehandlung mit Operation oder Elektro- kaustik an radioaktiven Substanzen sparen, wenn man die Bestrahlung nicht yon aul~en vornimmt, wie dies bei der R6ntgennachbehandlung /iblich ist, sondern die radioaktive Substanz in die Wundh6hle legt und das Wundbet t ,,yon innen her" bestrahlt. Es mul~ aber darauf hingewiesen werden, dal3 dieses Verfahren, soviel wir bis jetzt wissen, nicht als gleiehwertiger Ersatz ffir dig Distanzbestrahlung gelten kann und jedenfalls nicht ohne andere Unterstfitzung zur Nachbehandlung geeignet erscheint, denn die vom Wundbet t welter entfernten Gewebs- teile werden bei Einlagerung des l~adiums in die Wundh6hle nicht gentigend bestrahlt, w~hrend sie bei der Distanzbestrahlung mit- betroffen werden.

Nun erhebt sich die Frage, ob man nicht die ~ul~ere Distanzbestrah- lung dureh eine l%6ntgenbehandlung zu ersetzen vermag, so dal~ man durch die Kombination der ~adiumbestrahlung mit der R6ntgeni- sierung in der Lage w~re, auf die grol3en Quantit~ten jener kostbaren Substanz zu verziehten. In dieser Hinsicht hat nun die Erfahrung

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gelehrt, dab die Radiumbestrahlung fiberall dort, wo sie in technisch vollkommener Weise mit den R6ntgenstrahlen konkurrieren kann, ihr fiberlegen ist, und zwar fiberlegen nicht nur in bezug auf die Zu- verl~ssigkeit und Schnelligkeit der momentanen Wirkung auf den Tumor, sondern auch hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der erreichten Erfolge. K o m m t es zur Ausheilung nach Radiumbestrahlung, so ist der Prozentsatz der Dauererfolge nach den bisherigen Erfahrungen immer grSBer als nach der ROntgenbehandlung, aber auch bei pal- liativen Erfolgen~ d. h. wenn nur vorfibergehende Symptomfreiheit oder auch nur teilweise R/ickbildung der Geschwulst erreicht wird,

i s t der Effekt yon l~ngerer Dauer. Ferner kommt noch dazu, dab die strah!engesch~digte H a u t immer

eher eine weitere Radiumbehandlung vertr~gt Ms eine l~Sntgen- bestrahlung yon ~hnlicher GrSGenordnung.

Man kann also kurz zusammenfassend sagen : Die l~adiumbehandlung ist auf den Erkrankungsherd wirksamer und fiir das normale Gewebe in der Umgebung schonender. Besonders schwerwiegend ist endlich der Umstand, dab ein an RSntgenstrahlen angepaGtes Carcinom nicht selten noch yon Radiumstrahlen beeinflul]t werden kann, eine Tatsache, auf die ich schon vor 15 Jahren hingewiesen habe. Das Radium ist also aus mehreren Griinden unersetzlich.

Das Ausland hat uns aber nicht .nur hinsichtlich der Quantit~t der verffigbaren Substanzen fiberflilgelt, sondern auch Organisationen ge- schaffen, welche die Auswertung der radioaktiven Substanz als thera- peutisches Hilfsmittel wirksamer gestalten. Es geschah dies haupt- s~chlich durch Einrichtung yon Radiumzentralen, d . h . Inst i tuten, welche nicht nur fiber eine groBe Menge Radium verffigen, sondern auch sich der Ausarbeitung der Applikationsmethoden mit groBer Intensi t~t und Sorgfalt widmen kSnnen.

In jfingster Zeit sind unsere Augen ganz besonders auf Schweden hingelenkt worden, wo Forssell in geradezu mustergiiltiger Weise auf diesem Gebiete t~tig ist. Er war in der Lage, durch Untersti i tzung der schwedischen Regierung und der schwedischen J~rzteschaft, ein ganz besonders wertvolles und grol]es Krankenmater ia l zu behandeln und die Resultate in einer bisher sonst unerreichten Weise zu kontrollieren. Obwohl ihm seit Jahren schon 2 g Radium 1 zur Verfiigung standen, so hat er doch die ~berzeugung gewonnen, dab er noch keineswegs allen Aufgaben, die an den l~adiotherapeuten herantreten kOnnen, gewachsen ist, und sich im wesentlichen auf best immte Geschwulstformen beschr~nkt, ffir welche er mit dem vorhandenen Schatz an radioaktiver Substanz

1 Zum Vergleiehe sei bemerkt, dab das Berliner Krebsinstitut n u r l g, das tteidelberger 1/4 g, wenige Stellen in Deutschland 100--200 rag, die groBen In- stitute des Auslandes aber 2--8 g besitzen.

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die Technik ungehemmt ausbauen konnte. Was er berichtet, mag Ihnen als Beispiel dafiir dienen, zu we]ehen Resultaten die riehtige Anwen- dung des Radiums ffihren kann. :

Beim oberflaehliehen Hautkrebs erzielte er 95% mehr als 5jahrigen Heilerfolg, wenn nur die wirklieh durehbehandelten Fglle in Betracht gezogen werden. Aber selbst mit Einschlul3 derjenigen, die sich vorzeitig der Behandlung entzogen, erreiehte er immer noch 86%. Bei dem infiltrierenden, tiefer greifenden Hautkrebs kamen 51% fiber 5jghrige Heilungen zustande, nach Ausschlu[3 der inoperablen Fglle 67%. Die absolute Heilungsziffer ffir alle Hautkrebse betrug 68 %, ffir die operablen F~lle 78%. Dazu ist allerdings zu sagen, dal3 natfirlieh Sitz und Aus- dehnung, vor allem Tiefenwachstum des Hautkrebses fiir den Erfolg der Behandlung entseheidend sind und man z. B. an einem verhgltnis- mgftig leichten Krankenmaterial mit geringeren Radiummengen sehr Gutes erzielen kann. Will man aber wirtdieh sehwere Fg~te heilen, so ist eine grol3e Quantit~t radioaktiver Substanz zur Distanz- und Flgchen- bestrahlung unumg~nglich n6tig.

Beim oberfl~chliehen Unterlippenkrebs kamen in 90% der F~lle fiber 5jghrige Heilungen zustande, beim infiltrierenden, tiefer greifenden in 34%, sofern man operable und inoperable zusammennimmt. Bei den operablen Fallen stieg der Prozentsatz auf 75 % ; die gesamte Heft- ziffer ffir den Unterlippenkrebs betrggt 68%, bei Aussehlul3 der in- operablen 86%.

Beim Oberlippenkrebs wurden alle Falle, also 100%, fiber 5 Jahre geheilt, wenn es sieh um oberfl~chliche beginnende Carcinome handelte, yon den tiefer greifenden infiltrierenden Formen nur 30%. Dies gilt jedoeh nur fiir diejenigen Carcinome, die noeh keine Drfisenmetastasen gehabt hatten. Waren bereits Driisenschwellungen vorhanden, so sah Forssell darin eine Indikation zur kombinierten Behandlung, d .h . zur Vorbestrahlung, Operation und Naehbestrahlung gegeben, da er mit reiner Radiumbehandlnng mit 'den verffigbaren Mitteln in diesen Fallen keinen radikalen Erfolg erzielen konnte.

Beim Carcinom der MundhShle wurde, wenn man alle Falle, die 0perablen und die inoperablen, zusammennimmt, sofern noch keine Drfisenmetastasen vorlagen, 31% mehr als 5ji~hrige Heilung erzielt. Schliel3t man die Fglle mit Drfisen ein, so sinkt der Prozentsatz auf 18%, da auch hier beim Vorhandensein yon Drfisenmetastasen ohne kombinierte Behandlung kein Dauererfolg erzielt werden konnte. Wurde jedoch chirurgiseh und radiologisch kombiniert vorgegangen, so schnellte, bei allen Fi~llen, o b sie nun Drfisenmetastasen hatten oder nicht, der Prozentsatz des mehr als 5ji~hrigen Erfolges auf 60% hinauf.

Beim Zungenkrebs war das Ergebnis dieser kombinierten Behandlung 59 %, beim sublingualen Carcinom 83 % und beim Unterkieferkrebs 33 %.

Zefl;schrift ffir Krebsforschung. 28. Bd. 16

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Sehr interessant gestalten sieh auch die Ergebnisse bei der Behand- lung von Sarkomen an einem viele hundert Falle umfassenden Material. Die reine Radiumbehandlung vermochte bei den allerdings zur Halfte inoperablen Primartumoren 24% tiber 5jahrige Heilung zu erzielen. Handelte es sich um Kranke mit Rezidiven oder Metastasen, dann wur- den nut 18% erreieht. Bei Kombination der t~adikaloperation mit grtindlieher Nachbestrahlung des Wundbettes und der Driisenregion schnellte jedoch der Prozentsatz der mehr als 5j~hrigen Heilungen auf 60 % hinauf. Bei der Nachbehandlung yon Sarkomen diirfte in leichteren Fallen, wie Forssellauch meint, die ~Iachbehandlung mit t~Sntgenstrahlen gentigen, bei den schwierigen aber ist aueh hier das Radium unent- behrlich.

Beim Uteruskrebs erreichte Forssell folgende Prozentsatze mehr a l s 5j~hriger Heilungen, wenn man alle mit Radium behandelten F~tlle beriieksiehtigt: beim Collumkrebs 22,4 %, beim Corpusoareinom 43,5 %. Bei den operablen F~llen aber wurden erzielt beim Collumkrebs 46,2%, beim Corpuskrebs 60 %. Es sind dies Zahlen, die der Gr6$enordnung naeh sich nieht wesentlioh yon den auch anderweitig berichteten unterscheiden.

Sehr bemerkenswert sind ferner die palliativen Ergebnisse, worunter _Forssell die Gesamtheit der tiberhaupt erreichten wesentliehen Besse- rungen versteht mit EinschluB der radikalen Heilungen und der temporar vollkommenen l~iiekbildungen, der Symptomfreiheit ohne Dauerhaftig- keit des Ergebnisses. So konnte er yon 4470 Fallen bei 38% einen sehr wesentlichen palliativen Nutzen erzielen. Naeh Abzug der mehr als 5 Jahre geheilt gebliebenen konnte immer noeh bei 20% der Kranken volle Riiekbildung ftir langere Zeit, allerdings ohne d~uernden Effekt, erreieht werden, bei Sarkomen bei 24%. Zieht man diejenigen FMle ab, welche vorzeitig aus der Behandlung fortblieben, so steigt der Prozentsatz der bis zur vollkommenen tempor~ren Symptomfreiheit ge- besserten Kranken auf 50%.

Fiir Deutschland wiirden, da wir jahrl~eh gegenw~rtig mit mindestens 50000 KrebsfMlen zu reehnen haben -- ieh weiB, dal~ diese Zahl nach unten abgerundet ist -- , in das Bereich der palliativen Wirksamkeit des l~adiums rund 22000 Kranke fallen, wenn man nur die yon l~orssell angegebenen Indikationen beriicksiehtigt. Von diesen 22000 Kranken wiirden, wenn man in der Lage ware, alle riehtig unter den in Stockholm

�9 gegebenen Bedingungen zu behandeln, 11000 temporar symptomfrei gemaeht werden kSnnen. Nun well3 ich aus eigener Erfahrung, dal~ raanehe Indikationen, die Forssell nicht naher bearbeitet hat, recht gute Chancen ftir sehr wesentliche palliative Ergebnisse bieten, und Mayer-Briissel, der Distanzbestrahlungen mit einem Apparat, der 4 g Radiumelement enth~lt, machen kann, steckt die Grenzen der palliativen Ergebnisse noeh erheblieh weiter:

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Bedeutung der Organisation der l~adiumtherapie fiir die Krebsbek~tmpfung. 225

'Alle Erfolge, fiber die tZorssell berichtet, und auch die Ergebnisse, die wir yon anderer Seite h6ren, unterseheiden sieh qualitativ in nichts yon den Erfahrungen, die wir mit kleineren l~diummengen sammeln konnten. Aber der Unterschied im Prozentsatz des Erfolges, Mso in der Regelm~l~igkeit des letzteren, ist sehr betr~ehtlich. Nur dort, we aus besonderen anatomischen un d biologischen Grfinden schon die Behand- lung mit relativ kleinen Radiummengen genfigend wirksam ist, werden auch bei uns ~hnliche Zahlen erreieht, wie sie .Forssell und einige andere ausl~ndische Autoren angeben.

Die natfirliehe Schlul~folgerung ist die, dab wir unbedingt t rachten mfissen, so viel l ~ d i u m zu erhalten, dal~ wir die besseren Ergebnisse des Ausl~ndes einzuholen vermSgen.

Allerdings ist dazu nieht nur die Vermehrung des Sehatzes an radio- aktiver Substanz erforderlich, sondern auch eine zweckentspreehende Organisation fiir seine Verwertung. Dureh die erw~hnte Tatsache, dal~ nur bei einem Teil der ffir die Radiumtherapie zug~nglichen Krebsf~lle die Behandlung mit grol~en Radiummengen notwendig ist, w~hrend bei anderen schon geringere Quantit~ten ausreiehen, wird die Organisation der Radiumbehandlung aul~erordentlich erleichtert, denn bei der sehr gro~en Zahl der Bestrahlungsbedfirftigen in Deutschland mfil~ten wir sonst ungeheure Mittel aufwenden, wollten wir allen diesen Kr~nken eine Grol~bestrahlung mit radioaktiver Substanz zug~nglich machen.

Wir kSnnen aber mit Rficksicht auf den erw~hnten Umstand die Einrichtung ~fir diese Gro/~bestrahlung auf wenige Zentralinstitute be- schr~nken, und es genfigt, ffir die mit geringeren Dosen zu behandelnden F~lle -- ich nenne in erster Linie den kleineren Hautkrebs und das Uteruscarcinom, die ja so iiberaus h~ufig sind -- , an mehreren anderen Punkten des Reiches weniger kostspielige Bestrahlungsgelegenheiten zu sehaffen. Dazu sind geringere Mittel erforderlich, da ja bereits an einer grSl~eren Anzahl yon Kliniken und Krankenh~usern Radium, wenn auch vorl~ufig meist noeh in ungenfigender Menge, vorhanden ist. Diese , ,Radiuminstitute" werden sieh unschwer so weir ausbauen lassen, dal~ sie ffir die Behandlung der nieht ffir ganz gro~e l~diummengen zu reser- vierenden F~lle ausreiehen.

Aber fiir letztere gilt es, gut ausgerfistete , ,Radiumzentralen" zn sehaffen. Vorl~nfig dfirften, wenn wir zun~ehst nur die sieheren Indi- kationen ins Auge fassen, 2--3 derartige Anstalten ffir ganz Deutsch- land genfigen.

Diese Zentralen, die natfirlich ffir alle Formen der Radiumbehandlung, nicht nur ffir die Grol3bestrahlung, ausgestattet sein und sowohl klini- sehen wie poliklinischen Betrieb umfassen mfi~ten, benStigen mindestens je 2, besser 3 oder 4 g Radium in den verschiedenen fiir die moderne Applikationsteehnik geeigneten Formen. Es w~re ferner zweekm~l~ig,

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diesen Radiumzentralen ein vollwertiges RSntgenlaboratorium an zu- gliedern. Immer wieder ergibt sieh Gelegenheit, beide Strahlenarten zu kombinieren, und da hat es sich naeh unserer eigenen Erfahrung ge- zeigt, dab es aul~erordentlich empfehlenswert ist, wenn beide Bestrah- lungsmethoden yon einer Hand durchgeffihrt werden, da sonst hinsicht- lich der Dosierung besondere Sehwierigkeiten entstehen. Auch flit das Studium der Abgrenzung zwischen der l~Sntgen- und I~adiumtherapie ist ja die MSglichkeit, beide Behandlungsmethoden nebeneinander anzuwenden, unbedingt erforderlich.

Ferner mu3 an diesen l~adiumzentralen aueh die Elektrokaustik geiibt werden und die MSglichkeit gegeben sein, kleinere vorbereitende chirurgisehe Eingriffe durehzufiihren. Dagegen diirfte sich fiir die Prfifung der Naehbestrahlung operierter F~lle mit groi~en Radiummen- gen eine Zusammenarbeit mit chirurgischen Kliniken und Abteilungen ganz gut organisieren lassen, indem letztere die Patienten, welehe sie der Naehbestrahlung zuzuffihren gedenken, der Radiumzentrale fiber- weisen, ohne dab die Vornahme der Operation in der Radiumzentrale selbst nStig w~re. Allerdings mfil~te man ffir minderbemittelte Kranke, wie es in Schweden bereits der Fall ist, nicht nur freie Reise, sondern unter Umst~nden freien Aufenthalt und unentgeltliche Behandlung in der l~adiumzentrale ermSglichen.

Ferner w~re es wfinschenswert, dal~ mit der Radiumzentrale aueh ein Laboratorium ~fir biologisch-experimentelle Arbeiten verknfipft wird, wie dies ja bei unseren Krebsinstituten nach der Idee ihrer Grfin- der verwirklieht erseheint ; ohne biologiseh-experimentelle Vorarbeit ist ja ein systematisehes Fortsehreiten der Therapie unmSglich und deshalb mfissen die Radiumzentralen zugleich Forschungsanstalten sein. Endlich miil3ten die l~adiumzentralen in der Lage sein, die K0mbination der Gro~bestrahlungen mit ehemo- und immunotherapeutisehen Methoden auf ihre Wirksamkeit zu priifen. Der klinische Betrieb mfil~te also einem Tell der Patienten einen l~ngeren Aufenthalt gestatten, als er zur blolten P~adiumbehandlung nStig ist.

Die Leiter der l~adiumzentralen und aller jener Krankenhaus- abteilungen, die mit mittleren Radiummengen arbeiten, sollten, wie Herr Professor Meyer aus Bremen vorgeschlagen hat, eine Art yon Radiumkommission bilden, die ]~hrlich einige Male zusammentritt, ihre Gedanken und Erfahrungen fiber Indikation, Technik und Ergeb- nisse austauseht, dabei, soweit dies mSglich ist, die jeweils besten Formen der Behandlung festlegt und aueh nach einem gemeinsamen I)lan be- stimmt, ~ nach weletien Indikationen die Zuweisung zu den Zentralen oder den .anderen Radiuminstituten zu erfolgen hat. Sie h~tte selbst- verst~ndlich, und das m6chte ich besonders betonen, dafiir zu sorgen, dab die Zusammenarbeit mit den anderen Fach~rzten, Inter-

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nisten, Chirurgen, R6ntgenologen, Otolaryngologen, Ophthalmologen usw. im Sinne dieser Besehliisse geregelt wird.

Nur unter der Voraussetzung eines ganz engen gegenseitigen Kon- taktes zwisehen Radiumtheraloeuten und anderen Faeh~irzten kann wirklieh im Laufe der Jahre eine 0ptimale Auswertung der Heilkraft des Radiums gew~ihrleistet werden.

Die Radiumzentralen h~itten ferner den Zweek, die Ausbildung an- derer Krzte, vor allem der in den Radiumins~ituten tgtigen Faehfirzte, in der zum Tell reeht subtilen Teehnik der t/adiumtherapie, die an Sehwierigkeiten keineswegs der R6ntgenbehandlung naehsteht, zu iiber- nehmen, und zwar in der Weise, dab auger theoretisehen Kursen, die der Leiter zu halten h~tte, eine' mindestens 3--6 Monate dauernde Mitarbeit im Betriebe der Anstalt geboten werden sollte.

Je naeh den Ergebnissen, welehe die Arbeiten in den Zentralen und die Beratungen in der Kommission zutage fOrdern, wiirde jeweils eine Versehiebung der Indikationen, bald im Sinne einer vermehrten Zentrali- sation, bald im Sinne einer DezentrMisation des Krankenmaterials der Bestrahlungsstellen durehzufiihren sein, u n d e s w~ire dann aueh nieht allzu sehwer, festzustellen, ob eine Vermehrung der , ,Zentralen" ge. boten, erseheint oder eine solehe der ,,Radiuminstitu~e" und ob die Ausriistung derselben geniigt.

Es mag hier der Eindruek erweekt werden, dab viel gefordert wird, allein es i s t z u beriieksiehtigen, dab es sieh um eine ~iul3erst wiehtige Aufgabe handelt, die vorl~iufig bei uns in Deutschland nut mangelhaft erftillt werden kann und deren bessere Bew~iltigung yon der vollkomme- neren Ausrtistung und Organisati0n abh~ngt.

Was die 6konomisehe Frage anbelangt, so ist zu bedenken, dag die einmal angesehafften radioaktiven Substanzen, wenn es sieh um Radium handelt, nieh~ dem Verbraueh unterliegen, wenigstens nieht in einem Mage, dag die Amortisation irgendeine Rolle spielt, zum Untersehiede

- yon den R6ntgenapparaten, die ja s~e~s naeh wenigen Jahren gewechselt werden miissen. Augerdem besteht die Mfgliehkeit, einen Teil der Un- kosten yon den zahlenden Patienten zuriiekzugewinnen. Die finanziellen Opfer w~ren also nieht besonders grog und stiinden in keinem Verhiiltnis zu dem Segen, der dureh derartige Einriehtungen gestiftet wiirdel

Was aber vor allem notwendig erseheint, ist die Bereitwilligkeit der ~rztesehaft zur Zusammenarbeit, und zwar zu einer selbstlosen Zu- sammenarbeit im Sinne einer oiotimalen Organisation, wie ieh sie in kurzen Striehen hier zu zeiehnen versuehte. Man kann vielleieht gewisse Details modifizieren, aber die Grundidee wird uns dureh die tatsfiehliehen Verh~iltnisse aufgezwungen. Sie hat ihre Lebensf~ihigkeit im Auslande bereits bewiesen, und wir sollten daran gehen, sie zum Wohle unserer Sehwerstkranken zu verMrkliehen.