die blaue spur: maurice wallion ermittelt. ein schwedenkrimi aus den 1920er ja

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Eine Familientragödie in einer noblen Villengegend vor den Toren Stockholms: Der Wissenschaftler Dr. Artur Hesselman wirkt schon seit Monaten reizbar und nervös. Keiner darf sein Arbeitszimmer betreten – nicht einmal seine Tochter Pauline. Dafür gehen regelmäßig Unbekannte bei ihm ein und aus. Als Pauline eine rätselhafte blaue Zickzacklinie an der Gartentür findet, macht sie sich große Sorgen. Zu Recht, denn noch in derselben Nacht fallen drei Schüsse, und Dr. Hesselman wird tot in seinem Zimmer aufgefunden. Der Detektivreporter Maurice Wallion verspricht Pauline, den Mord an ihrem Vater aufzuklären. Schon bald wird er mit kniffligen Fragen konfrontiert: Was hat es mit dem Postpaket aus Hamburg auf sich, das der Ermordete einige Wochen zuvor erhalten hat? Was verschweigt der alte Diener John Andersson? Wer ist die Frau mit Akzent, die Wallion am Telefon rät, den Fall nicht weiter zu verfolgen? Was bedeutet die blaue Spur – und wohin führt sie?

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Page 1: Die blaue Spur: Maurice Wallion ermittelt. Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Ja

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Page 2: Die blaue Spur: Maurice Wallion ermittelt. Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Ja

Julius Regis

Die blaue Spur

Maurice Wallion ermittelt.

Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Jahren

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Julius Regis

Die blaue Spur

Maurice Wallion ermittelt.

Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Jahren

Original: Leipzig, Buchverl. Axia [Zenith-Verl.], E. Stolpe, 1928

Übersetzung: E. von Kraatz

Überarbeitung, Umschlaggestaltung: Null Papier Verlag

Published by Null Papier Verlag, Deutschland

Copyright © 2014 by Null Papier Verlag

1. Auflage, ISBN 978-3-95418-531-3

www.krimischaetze.de

Page 4: Die blaue Spur: Maurice Wallion ermittelt. Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Ja

Inhaltsverzeichnis

Über krimischaetze.de............................................................5

Über den Autor.........................................................................7

Über den Romanhelden Maurice Wallion.........................9

Über dieses Buch.....................................................................11

Handelnde Personen.............................................................13

Erstes Kapitel...........................................................................15

Zweites Kapitel.......................................................................75

Drittes Kapitel.......................................................................140

Viertes Kapitel.......................................................................198

Fünftes Kapitel.....................................................................256

Sechstes Kapitel..................................................................302

Siebentes Kapitel.................................................................345

krimischaetze.de.................................................................394

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Über krimischaetze.de

Kriminalromane sind heutzutage erfolgreich wie nie. Krimi-Klassiker? Da denken die meisten sofort an Aga-tha Christie (1890-1976) oder Edgar Wallace (1875-1932). Tatsächlich gehörten die britischen Autoren zu den ersten, die in den »wilden« 1920er Jahren ins Deutsche übersetzt wurden. Krimi-Fans kennen oft auch den Schweizer Friedrich Glauser (1896-1938), den Namensgeber des Glauser-Preises – eine der wichtig-sten Auszeichnungen für deutschsprachige Krimi-Autoren. Wie vielfältig die Krimi-Szene in der Weima-rer Republik war, ist in der breiten Öffentlichkeit je-doch vollkommen in Vergessenheit geraten. Für kri-mischaetze.de haben sich Jürgen Schulze, Verleger des Null Papier-Verlages, und Sebastian Brück, Autor und Journalist, zusammengetan, um alte Krimi-Bestseller neu zu entdecken und als E-Book verfügbar zu machen – überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit er-klärenden Fußnoten versehen.

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Das krimischaetze.de-Programm startet zunächst mit sechs Titeln – sowohl Übersetzungen aus dem Englischen (S.S. Van Dine) und Schwedischen (Julius Regis), als auch deutschsprachige Originale: In je zwei Fällen ermitteln Philo Vance, der »amerikanische Sher-lock Holmes«, und Maurice Wallion, der »Detektivre-porter« und »Urvater« von Stieg Larssons »Milleni-um«-Protagonist Mikael Blomqvist. Ebenfalls vertreten sind die vergessenen Werke zweier jüdischer Autoren: Die in Budapest, Paris und San Sebastián spielende Kri-mikomödie »Fräulein Bandit« des Österreichers Joseph Delmont sowie der humorvolle Kriminalroman »Das verschwundene Haus – oder: Der Maharadscha von Breckendorf« des Frankfurters Karl Ettlinger.

In Zukunft werden bei www.krimischaetze.de regel-mäßig weitere Titel erscheinen.

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Über den Autor

Julius Regis Pettersson schuf die erste schwedische Krimiserie, in der ein Journalist die Hauptrolle über-nimmt. Seine Maurice-Wallion-Romane waren ein großer Erfolg – sowohl in seiner Heimat, als auch dar-über hinaus (Übersetzungen unter anderem ins Engli-sche und Deutsche).

Regis wurde 1889 in Stockholm als Sohn einer Kauf-mannsfamilie geboren und machte 1909 im Stadtteil Södermalm seinen Schulabschluss. Danach studierte er an der Stockholms Högskola Literaturgeschichte und arbeitete als Schlussredakteur in einem Verlag. Neben-bei begann er zu schreiben: Meist kurze Abenteuerge-schichten – stark beeinflusst von dem in Schweden sehr populärem Jules Verne –, die in verschiedenen Li-teraturzeitschriften erschienen. Von den ersten Erfol-

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gen angespornt, kündigte er seine Stelle und startete eine erfolgreiche Doppelkarriere als Filmkritiker und von Arthur Conan Doyle und Gaston Leroux inspirier-ter Kriminalschriftsteller. Außerdem war er als Über-setzer tätig und verantwortete unter anderen einige schwedische Ausgaben der Werke von Robert Louis Stevenson. Regis war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Er starb 1925, mit nur 35 Jahren und auf dem Höhepunkt seiner Karriere, an einer chronischen Herzmuskelentzündung.

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Über den Romanhelden Maurice

Wallion

In Schweden galt Maurice Wallion in den 1910er und 1920er Jahren als einheimische Antwort auf Sherlock Holmes: Allerdings ist er robuster als sein Londoner Vorbild – und weniger exzentrisch. Heute könnte man ihn genauso gut als eine Art »Urvater« von Stieg Lars-sons Protagonisten Mikael Blomkvist bezeichnen: Wal-lion ist nämlich kein herkömmlicher Privatdetektiv, er ist Journalist. Sein Ruf eilt ihm voraus: Der »Detek-tivreporter« und »Problemjäger« vom Dagens Kurir.

Maurice Wallion wohnt am Valhallavägen im noblen Stockholmer Bezirk Östermalm Mit seiner breiten Stirn und dem vorspringenden Kinn ist er zwar nicht beson-ders gutaussehend, wohl aber eine energische und

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charismatische Persönlichkeit, die Menschen für sich einnimmt. Er hat eine tiefe Stimme, graue Augen und ein scharfgeschnittenes, stets glattrasiertes Gesicht. Wallion ist elegant gekleidet, raucht viel und glaubt nicht an Zufälle: Er sieht in jedem Ereignis das Glied ei-ner Kette, »und wenn man diese Kette verfolgt, findet man allemal die Erklärung.« Wallion kann sehr char-mant sein – wenn er jedoch in gefährliche Situationen gerät, in denen ihm seinen intellektuellen Fähigkeiten nicht mehr weiter helfen, zögert er keine Sekunde, sei-ne Fäuste einzusetzen.

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Page 11: Die blaue Spur: Maurice Wallion ermittelt. Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Ja

Über dieses Buch

Eine Familientragödie in einer noblen Villengegend vor den Toren Stockholms: Der Wissenschaftler Dr. Artur Hesselman wirkt schon seit Monaten reizbar und ner-vös. Keiner darf sein Arbeitszimmer betreten – nicht einmal seine Tochter Pauline. Dafür gehen regelmäßig Unbekannte bei ihm ein und aus. Als Pauline eine rät-selhafte blaue Zickzacklinie an der Gartentür findet, macht sie sich große Sorgen. Zu Recht, denn noch in derselben Nacht fallen drei Schüsse, und Dr. Hessel-man wird tot in seinem Zimmer aufgefunden. Der De-tektivreporter Maurice Wallion verspricht Pauline, den Mord an ihrem Vater aufzuklären. Schon bald wird er mit kniffligen Fragen konfrontiert: Was hat es mit dem Postpaket aus Hamburg auf sich, das der Ermordete ei-nige Wochen zuvor erhalten hat? Was verschweigt der

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alte Diener John Andersson? Wer ist die Frau mit Ak-zent, die Wallion am Telefon rät, den Fall nicht weiter zu verfolgen? Was bedeutet die blaue Spur – und wo-hin führt sie?

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Handelnde Personen

Maurice Wallion: Journalist mit detektivischen Fähig-keiten

Dr. Artur Hesselman: Gelehrter mit merkwürdigen Gewohnheiten

Pauline Hesselman: Seine Tochter

Steno Beyler: Ihr Cousin. Journalist beim Dagens Kurir und Freund von Maurice Wallion

John Andersson: Der alte Hausdiener der Familie Hes-selman

Agnes Brandt: Zimmermädchen der Hesselmans

Anna Nielsson: Köchin der Hesselmans

Bredin: Arzt und Nachbar der Hesselmans

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Hedenborg: Polizeikommissar, Leiter der Ermittlungen

Ferlin: Oberkonstabler bei der Kriminalpolizei

Storm-Nissen: Bekannter norwegischer Berufseinbre-cher

Thander: Geborener Schweizer, Konsul von Costazuela

Max Gallenberg: Privatdetektiv, spezialisiert auf Erbstreitigkeiten und Ehescheidungen

Malte Beckman: Redakteur beim Dagens Kurir

Nikelson: Australisch-schwedischer Aussteiger, lebt auf einer einsamen Insel in den Schären.

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Erstes Kapitel.

Was sich am Abend des 25. Mai ereignete.

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1.

E ine blaue Zickzacklinie an der Gartentür?«

»Ja, auf der weißen Farbe.«

Steno Beyler blickte das junge Mädchen verwun-dert an. Sie lachte nicht und ihr Antlitz leuchtete weiß unter dem Kirschbaum.

»Eine blaue Zickzacklinie?«, wiederholte er.

Dabei beugte er sich vor und sah, dass Paulines Au-gen voller Angst und Unruhe waren. Ihm war, als ob diese Unruhe auf seltsame Weise mit der regenschwe-ren, grauen Dämmerung übereinstimmte, die sich langsam auf Garten und Villa herabsenkte.

»Was meinst du, Pauline?«, fragte er hastig.

Eine der weißen Blüten fiel auf ihr blondes Haar. Sie erschauerte und zog ihr Spitzentuch fester um sich.

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»Ich meine, dass ich aus Papa nicht mehr klug wer-de«, sagte sie leise. »Warum war er heute Morgen so erregt? Schau mal, von hier aus kannst du die Tür se-hen, die von Papas Arbeitszimmer in den Garten führt. Als ich heute Morgen herauskam, entdeckte ich eine dicke, zickzackförmige Linie daran, die wie von einem spielenden Kind mit Blaustift gezeichnet war. Ich rief nach Papa, und da geriet er ganz außer sich. Niemand weiß, wer diese Nacht im Garten gewesen ist, aber wer immer es gewesen sein mag, er hat weiter nichts getan, als diese Linie zu zeichnen und dann seines Weges zu gehen.«

»Ein Dummer-Jungen-Streich!«, warf Steno Beyler ein.

»Und doch …«, sagte das junge Mädchen und blick-te ihm in die Augen … »und doch war Papa so aufge-regt, dass er ohne ein Wort zu sagen in sein Zimmer zurückgekehrt ist!«

Cousin und Cousine betrachteten einander wortlos.

»Liebe Pauline«, begann Steno nach einer Weile, »ich muss gestehen, dass die Nervosität deines Vaters

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mir nicht nur heute aufgefallen ist. Manchmal kommt er mir geradezu verwandelt vor. Seit wann ist er ei-gentlich so … so nervös?«

Paulines Lippen zitterten. »Papa ist so merkwürdig geworden«, flüsterte sie. »Reizbar und menschenscheu – du weißt ja, dass er mir seit Monaten nicht mehr er-laubt, seinen Flügel des Hauses zu betreten. Und auch niemand anderem. Er sagt, es störe ihn bei der Ar-beit…«

Sie hielt plötzlich mitten im Satz inne, und beide drehten sich um. Doktor Hesselmans große, breit-schultrige Gestalt kam ihnen langsam auf dem Kiesweg entgegen. Er ging etwas gebeugt, mit den Händen auf dem Rücken, und die Augen hinter der Brille blickten abwesend und müde.

Steno, der von klein auf respektvoll zu dem schweigsamen Wissenschaftler aufgeschaut hatte, fas-ste ihn scharf ins Auge, und dabei bemerkte er plötz-lich, wie alt und krank sein Onkel trotz seiner noch nicht fünfzig Jahre aussah.

»Papa!«, sagte Pauline in scheuem Ton.

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Der Doktor blieb stehen und blickte auf. »Ach so, ihr seid da!«, brummte er gutmütig. »Macht, dass Ihr rein kommt.«

Pauline schmiegte sich an ihn. »Musst du heute Abend arbeiten?«, fragte sie leise.

Ihr Vater strich nervös mit der Hand über seinen Bart. »Arbeiten? Arbeiten?«, murmelte er mit einem zerstreuten Blick durch die Brille. »Ja, ich werde arbei-ten … natürlich …«

»Du solltest dir ein wenig Ruhe gönnen, Onkel!«, warf Steno Beyler in übertrieben munterem Ton ein.

Doktor Hesselman antwortete nicht. Er blieb einen Augenblick schweigend stehen und setzte dann seinen Weg fort, als ob er sie schon völlig vergessen hätte. Die beiden jungen Leute blickten ihm stumm nach, bis er durch die Gartentür in seinem Arbeitszimmer ver-schwand.

Dann ergriff Steno die Hand seiner Cousine und zog sie durch seinen Arm.

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»Die Frühlingsluft ist kalt«, sagte er. »Komm her-ein.«

Sie kehrten durch die großen Glastüren zwischen den vorspringenden Flügeln der Villa in den Speisesaal zurück.

»Weißt du, mit welcher Art von Arbeit dein Vater sich augenblicklich beschäftigt?«, fragte Steno nach-denklich.

Pauline schüttelte den Kopf. »Er spricht nicht dar-über, und ich wage ihn nicht zu fragen. Und der alte John weiß es auch nicht.«

»John Andersson sagt nicht mehr, als er will«, be-merkte Steno nach einer Weile.

»Ja, er ist sehr verschwiegen«, räumte Pauline ein. »Er ist übrigens der einzige, der bei Papa aus- und ein-gehen darf. Ach, ich wünschte mir, er würde seine Ar-beit bald abschließen! Manchmal ist im Laboratorium die ganze Nacht hindurch Licht. Stell dir vor, Steno, ich habe selbst gesehen, dass fremde Menschen abends durch den Garten bei ihm eingelassen wurden, und ich darf nicht hinein!«

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Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen.

»Beruhige dich, Pauline, seine Nerven sind über-reizt, weil er zu angestrengt arbeitet.«

Sie trocknete sich die Augen und fuhr fort: »Hast du nicht auch das Gefühl, als ob etwas Unbekanntes, Un-heimliches im Hause wäre, etwas Schreckliches, das uns umgibt, ohne dass wir es sehen können? Aber nie-mand, niemand sagt mir etwas! Papa schließt sich die ganzen Tage über ein, und ich bin immer allein.«

Sie stand auf und trat ans Fenster. »Im Arbeitszim-mer ist Licht«, sagte sie. »Da wird er wieder die Nacht hindurch arbeiten.«

Steno erhob sich und zündete eine Zigarette an.

»Bei Nachtarbeit fällt mir ein, dass ich heute Abend nicht mehr in die Redaktion muss«, bemerkte er. »Ich kann also über Nacht hierbleiben, wenn es zu deiner Beruhigung beitragen würde.«

»Oh, tu das, Steno!«, bat sie. »Du kannst ja wie im-mer oben im Salon auf dem Sofa schlafen.«

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Der Journalist sah auf die Uhr. »Es ist gleich acht«, sagte er. »Ich werde meine Hauswirtin anrufen und ihr sagen, dass ich hier übernachte.«

»Ich danke dir«, sagte sie leise und ging nach oben, um die erforderlichen Anordnungen zu treffen. Steno blickte ihr gedankenvoll nach und begab sich dann in die Halle, um zu telefonieren.

Gerade als er wieder aufhängte, öffnete sich die Bi-bliothekstür, und Doktor Hesselman kam heraus. In der Halle war es bereits so gut wie ganz dunkel.

»Ist John hier?«, fragte der Doktor erregt.

»Nein, ich bin’s«, erwiderte Steno. »Ich bleibe die Nacht hier, wenn du nichts dagegen hast, Onkel.«

Der Doktor blieb eine Weile stehen, ohne zu ant-worten. »Diese Nacht?«, brummte er. »Nun, für Pauline ist es vielleicht das Beste.«

Steno fuhr zusammen. Am besten für Pauline? Warum das? Im selben Augenblick kam der alte Diener die Treppe herunter.

»Soll ich abschließen?«, fragte er.

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»Ja«, befahl der Doktor, »schließ’ zu und überprüfe noch einmal alle Fenster und Türen. Und dann komm zu mir.«

Die Bibliothekstür schloss sich wieder. Steno Beyler stand schweigend dabei und sah zu, wie der Diener erst die großen Haustüren nach vorn hinaus und dann die Glastüren im Speisesaal sehr sorgfältig verschloss. Dann verschwand der Diener im Bibliothekszimmer, und Steno hörte, wie er auch diese Tür hinter sich zu-schloss.

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2.

as junge Mädchen war kaum eingeschlafen, als es auch schon zu träumen begann.D

Mit halb offenem Mund und auf der Brust gefalte-ten Händen lag sie regungslos im Bett. Ihr Kopf war unnatürlich stark zurückgebogen, und die blauen Äderchen an den Schläfen schwollen an.

Einmal sagte sie ohne zu erwachen mit lauter, kla-rer Stimme: »Papa!«

Als die Uhr in der Halle unten mit grellen und hart-näckigen Tönen elf schlug, öffnete sie plötzlich die Au-gen, ohne ihre Lage zu ändern, sank aber bald wieder ins Land der Träume zurück …

Dann weckten sie zwei dumpfe, harte Laute kom-plett auf. Sie fuhr in die Höhe und lauschte. Was war das, was sie gehört hatte? Etwas, was sie nicht ge-träumt hatte? Zitternd hielt sie den Atem an.

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Beim dritten dumpfen Widerhall sprang sie aus dem Bett und machte Licht. Sie rannte zum Fenster, zog den Vorhang auf und blickte zum Arbeitszimmer ihres Vaters hinüber. Jetzt war es da unten dunkel, aber eine Fensterscheibe stand offen, und die Gardine bewegte sich leise. Im ganzen Haus herrschte tiefe Stille.

Außer sich, klopfte sie an die Wand und schrie: »Steno! Steno!«

Keine Antwort. Jetzt sah sie, dass die Gartenpforte angelehnt stand, und im Nu wurde ihr klar, was für ein Laut es gewesen war, der sie geweckt hatte.

Es waren drei Revolverschüsse gewesen.

Im nächsten Augenblick war sie angekleidet und draußen auf dem Flur. Mit geballten Händen schlug sie gegen die Salontür.

»Steno, wach’ auf!«, schrie sie atemlos. »Wach’ auf, ich hab’ Angst, dass etwas Fürchterliches geschehen ist.«

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Drinnen fiel ein Stuhl um, und ihr Cousin kam und öffnete. Er war in Hemdsärmeln. »Was ist denn?«, murmelte er verschlafen.

»Oh, Steno, schluchzte das junge Mädchen, ich glaube, jemand hat Papa erschossen!«

»Gott im Himmel!«, rief Steno Beyler und blickte sie plötzlich hellwach an.

Er lief an ihr vorüber und stürzte die Treppe hinun-ter, um dort ohne Zögern heftig an die Bibliothekstür zu hämmern.

»Onkel!«, rief er laut. »Onkel, bist du wach?«

Er bekam keine Antwort. Als er sich umsah, stand Pauline dicht hinter ihm.

»Geh’ weg!«, sagte er. »Es geht nicht mit rechten Dingen zu. Ich will die Tür aufbrechen …« Er stemmte den linken Fuß gegen einen Türflügel und packte den Türgriff mit beiden Händen. Im nächsten Augenblick war es geschehen. Ein langer Splitter brach aus dem Holzwerk heraus, und die Tür gab krachend nach. Sie stürzten ins Zimmer hinein, und der Journalist machte

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Licht. Ein starker Pulvergeruch schlug ihnen entgegen. Das Zimmer war leer, aber aus dem Laboratorium kam jemand mit lauten, schweren Schritten die Wendel-treppe herab. Es war der alte Diener, und sein Gesicht war grau vor Erregung.

Ohne auf die beiden jungen Leute zu achten, ging er zaudernd auf die Tür zum Arbeitszimmer zu, legte den Kopf dagegen und sagte leise: »Hier ist John!« Er lauschte, da aber keine Antwort kam, sprang er wie ein Wolf gegen die Tür, schüttelte sie mit aller Gewalt und schrie: »Lasst mich ’rein, zur Hölle! Lasst mich ’rein!«

»Wir müssen die Tür aufbrechen«, rief Steno.

»Ja, Herr Beyler«, erwiderte der Diener. »Ich habe nur Angst, dass es schon zu spät ist.«

Steno antwortete nicht. Er warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, die krachte, aber standhielt.

»Beide zugleich!«, keuchte der Journalist.

Minutenlang bearbeiteten sie die Tür wie die Ber-serker – aber vergeblich.

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Page 28: Die blaue Spur: Maurice Wallion ermittelt. Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Ja

»Durchs Fenster!«, rief der Diener plötzlich mit flammenden Augen. »Durchs Fenster!«

Steno wollte mit, aber der Diener hielt ihn zurück. »Sie dürfen sie nicht allein lassen«, sagte er leiser und deutete auf die schreckensbleich, aber regungslos da-stehende Pauline. »Sie brauch Sie.«

Er stürmte hinaus, und Steno kehrte zu der ver-schlossenen Tür zurück und legte das Ohr ans Schlüs-selloch, um zu horchen. War jemand drinnen? Er hätte darauf schwören können, dass er hinter der Tür Schritte hörte, aber nur für einen Augenblick – gleich darauf war alles still.

»Wenn jemand da ist, so öffnen Sie!«, rief er aus und klopfte von neuem.

Doch drinnen blieb es totenstill. Jetzt hörte er ein kratzendes Geräusch: Das musste der Diener sein, der durchs Fenster kletterte. Ein gedämpfter Laut der Überraschung folgte, und dann war wieder nichts zu hören.

»Öffnen sie, John!«, schrie der Journalist und häm-merte gegen die Tür. »Öffnen sie! Was ist geschehen?«

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Eine Hand tastete am Schloss herum. Der Schlüssel rasselte. Nach einer Minute atemloser Spannung ging die Tür auf, und sie sahen die verzweifelte Geste, mit der John ihnen die Hände entgegenstreckte.

Die Deckenleuchte warf helles Licht übers Zimmer. Vor dem Schreibtisch lag Artur Hesselman mit ausge-streckten Armen tot am Boden. Neben ihm ein Revol-ver.

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3.

ie Gardinen bewegten sich immer noch sachte im Luftzug, auf dem Fußboden lagen zwei oder

drei Papiere. Es war ganz still und schweigsam im Zim-mer, aber nichts konnte schweigsamer, unheimlich stiller und regungsloser sein als die lang ausgestreckte tote Gestalt, die auf der braunen Korkmatte lag.

D

Steno Beyler richtete sich auf.

»Pauline«, sagte er leise, indem er das junge Mäd-chen emporhob, »sei ein tapferes Mädchen! Dein Vater hat nicht gelitten. Er ist tot umgefallen, sobald die Ku-gel ihn traf.«

Sie lag still und starr in seinen Armen, und er blick-te über ihr Haupt hinweg zu dem alten Diener hinüber, der mit schlaff herabhängenden Armen dastand.

»Rufen sie das Zimmermädchen«, befahl er ihm.

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Mit schleppenden Schritten ging der Alte durch die Bibliothek hinaus, ohne sich umzusehen. Jetzt standen die beiden allein vor dem Toten, dessen Antlitz mit of-fenen, seltsam stillen und rätselhaften Augen zu ihnen emporgewandt lag.

Das junge Mädchen machte sich los und ging ihm voran aus der Tür. Er sah sie auf einen Stuhl sinken und das Gesicht in den Händen verbergen. Dann begab er sich ans Telefon, um die Polizei anzurufen.

Als er John mit dem zitternden Zimmermädchen herunterkommen hörte, wandte er sich ihnen zu und sagte: »Die Polizei wird bald hier sein. Bis dahin darf im Arbeitszimmer nichts angerührt werden. Sie müssen da Wache halten, John. Agnes, stehen sie dem Fräulein bei.«

»Ich brauche keinen Beistand«, sagte Pauline mit leiser Stimme.

Er drehte sich um: Sie stand bleich, aber ruhig hin-ter ihm. »Ein Arzt muss jedenfalls kommen«, fuhr sie fort. »Ich werde Doktor Bredin anklingeln. Er war ein guter Freund von Papa und wohnt nebenan.«

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»Tu das!«, sagte Steno – ganz überrascht von ihrem Mut.

Während Pauline telefonierte, kehrten Steno und John ins Arbeitszimmer zurück. Steno untersuchte die Gartentür und stellte fest, dass sie verschlossen, aber nicht verriegelt war. Sie hatte ein Patentschloss. Er blickte sich im Zimmer um. Plötzlich trat er auf die Bi-bliothekstür zu. »Sehen Sie her!«, rief er. »Hier in Mannshöhe steckt eine Kugel im Türpfosten. Die ande-re«, seine Stimme schwankte, »die andere drang dem Doktor durchs linke Auge ins Gehirn. Aber die dritte Kugel? Das Fräulein sagt, es seien drei Schüsse gewe-sen. Haben Sie sie gehört, John?«

»Ja, Herr Beyler«, erwiderte John mit undeutlicher Stimme. »Ich hörte sie oben in meinem Zimmer und lief herunter.«

»Und die Tür war verschlossen«, murmelte der Journalist. »Was haben sie gesehen, als sie durchs Fen-ster hereingestiegen sind?«

John sah ihm gerade in die Augen. »Nichts weiter als dies«, lautete seine Antwort.

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Im selben Augenblick klopfte es laut an der Tür. Steno Beyler öffnete.

Ein Polizist in Uniform kam herein, machte jedoch angesichts des Toten halt. Steno berichtete mit knap-pen Worten.

Der Beamte salutierte und sagte: »Ich bin herge-schickt worden, um dafür zu sorgen, dass alles unbe-rührt bleibt, bis der Herr Kommissar kommt. Er ist schon unterwegs.«

Gleich darauf erschien Doktor Bredin, der ganz au-ßer sich war. »Was ist denn nur geschehen?«, flüsterte er Steno auf dem Wege nach dem Arbeitszimmer zu. »Das ist unfassbar!«

Steno deutete auf den regungslos ausgestreckten Körper.

»Herrgott!«, murmelte der alte Graubart erschüt-tert. »Mein lieber, alter Freund!« Er war so aufgeregt, dass er kaum die Untersuchung vorzunehmen ver-mochte. Sie nahm nicht viel Zeit in Anspruch.

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»Für mich bleibt nichts zu tun«, sagte er dumpf, als er sich wieder erhob. »Artur ist umgefallen, wie er stand, und auf der Stelle tot gewesen.«

Sie kehrten in die Bibliothek zurück. Pauline kam ihnen mit gegen die Brust gedrückten Händen entge-gen, und als sie den alten Doktor ansah, flackerte eine wahnwitzige Hoffnung in ihren Augen auf.

Aber er schüttelte sachte den Kopf. Sie blieb re-gungslos stehen. »Steno!«, entfuhr es ihr. »Steno, du musst mir helfen!«

Er hielt ihre Hand in der seinen, ohne gleich zu ant-worten. Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Ich weiß jemand, der uns helfen könnte«, sagte er.

»Wen meinst du?«

»Ich meine Maurice Wallion!«

»Den Detektivreporter?«, rief Doktor Bredin aus.

»O ja, ja, der kann uns gewiss helfen«, flüsterte Pau-line mit fieberhaftem Eifer. »Telefoniere doch gleich mit ihm!«

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Nach wenigen Minuten kehrte der Journalist zu-rück. »Er kommt«, war alles, was er sagte.

Maurice Wallion! Der Name übte eine unbeschreib-lich beruhigende Wirkung auf beide aus. Der Stern des »Dagens Kurir«, der Detektivreporter von europäi-schem Ruf – Maurice Wallion würde kommen!

»Wo bleibt denn der Kommissar?«, wandte Steno sich ungeduldig an den Polizisten.

»Ich glaube, er kommt gerade«, erwiderte dieser.

Ein Auto fuhr an der Straßenfront vor. Man hörte Schritte, und eine gebieterische Bassstimme ertönte in der Halle. Gleich darauf erschien in der Tür zum Ar-beitszimmer ein hochgewachsener, muskulöser Mann mit struppigem, graumeliertem Schnurrbart. Seine kleinen scharfen Augen nahmen mit einem raschen Blick alle Einzelheiten des Zimmers in sich auf und blieben an den Anwesenden hängen.

»Ich bin der Polizeikommissar Hedenborg«, sagte er, »und muss Sie vor allen Dingen bitten, mir ihre Na-men zu nennen, meine Herren.«

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Das geschah. Nun ging der Kommissar ans Werk und legte die Sachlage mit wenigen, kurzen Fragen klar. Doktor Bredins Aussagen interessierten ihn ganz besonders. Während er zuhörte und dann und wann lebhaft nickte, fuhren seine Blicke fortwährend im Zimmer herum.

»Selbstmord ist also ausgeschlossen«, bemerkte er, während er den Revolver aufhob. »Drei Schüsse abge-feuert. Aus diesem Smith & Wesson Kaliber 38 ist einer von ihnen abgegeben worden. Die übrigen sind auch scharfe Patronen. Hier am Schreibtisch ist das Schub-fach halb aufgezogen: Da wird die Waffe vermutlich gelegen haben. Der Tote hat auf den Mörder geschos-sen, bevor er selbst niedergeschossen wurde. Hat ein Diebstahl stattgefunden?«

Beyler schüttelte den Kopf. Der Kommissar sah sich wieder um. Plötzlich entdeckte er das Schussloch im Türpfosten und nahm es genau in Augenschein.

»Vom Fenster aus abgefeuert, auf jemand, der von der Bibliothek aus hereinkam«, murmelte er. »Ist das

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der Schuss, den der Tote abgab? Dann ist der Mörder durch diese Tür gekommen, Herr Beyler.«

»Das ist unmöglich«, entgegnete Steno Beyler be-stimmt. »Der Mörder ist ganz zweifellos durch das Fenster hereingekommen.«

Der Kommissar lehnte sich aus dem Fenster, verließ das Zimmer dann durch die Glastür und ging in den Garten hinaus. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er zurückkehrte.

»Hat einer von Ihnen die Gartenpforte geöffnet?«, fragte er lebhaft, fuhr aber ohne eine Antwort abzu-warten fort: »Die Frage kommt übrigens erst später an die Reihe. Jetzt wünsche ich, dass alle Personen, die um Punkt elf Uhr in der Villa anwesend waren, sich hier versammeln und zu meiner Verfügung halten.«

Er nahm eine sorgfältige Untersuchung der Leiche vor, und als er sich wieder erhob, nahm er den Polizi-sten beiseite und stellte mit leiser Stimme ein paar ha-stige Fragen.

Zwei Männer in Regenmänteln mit dicken Stöcken in den Händen traten ein.

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»Einer an der Gartenpforte, und der andere am Haupteingang«, kommandierte der Kommissar.

Die beiden Beamten verschwanden im Dunkeln.

»Zünden Sie alle Lichter im Hause an und öffnen Sie die Gardinen, damit wir ein wenig Licht in den Garten bekommen«, lautete der nächste Befehl.

Nach wenigen Minuten strahlte das ganze Haus in gespenstisch-festlicher Beleuchtung, wie zu Ehren der stillen Gestalt unten im Arbeitszimmer. Im Speisesaal waren die Köchin, das Zimmermädchen, der Diener, Beyler und Pauline versammelt. Doktor Bredin war nach Hause gegangen.

Sobald die beiden Beamten eine gründliche Durch-suchung des Arbeitszimmers und seiner Umgebung vorgenommen hatten, erschienen sie im Speisesaal. Der Kommissar setzte sich oben an den Tisch und zog ein Notizbuch hervor.

»Ich werde einige Fragen stellen«, begann er.

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4.

a ertönte wieder eine Hupe. Der Kommissar blickte auf. »Was ist denn das?«, fragte er ver-

drießlich.D

Steno und Pauline wechselten einen Blick und gin-gen dann hastig auf die Diele hinaus.

»Das ist er!«, flüsterte Steno.

Pauline öffnete die Haustür. Der wachhabende Be-amte redete mit einer hohen Gestalt, die ebenfalls mit einem Regenmantel umhüllt war.

»Ich komme vom ›Dagens Kurir‹«, hörte sie eine ungewöhnlich tiefe und beherrschte Stimme sagen.

»Treten Sie ein, Herr Wallion!«, sagte Pauline mit einem Seufzer der Erleichterung.

Der Fremde lüftete den Filzhut, und seine ruhigen grauen Augen hefteten sich mit durchdringendem, aber freundlichem Blick auf das junge Mädchen.

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»Guten Abend, Fräulein Hesselman«, sagte er, wäh-rend er ihrer Aufforderung folgte. »Hallo Beyler! Ich fasse dies als deinen Auftrag auf.«

»Natürlich!«, erwiderte Steno und schüttelte dem Kollegen sehr herzlich die Hand.

Pauline betrachtete Maurice Wallion verstohlen, während er den Mantel ablegte. Sein scharfgeschnitte-nes, glattrasiertes Gesicht mit der breiten Stirn und dem vorspringenden Kinn machte trotz aller Unschön-heit einen energischen, Willensstärken Eindruck. Er und Beyler wechselten einige hastige, leise Fragen. Dann richteten sich die festen, grauen Augen wieder auf Pauline.

»Fräulein Hesselman«, sagte er, und seine tiefe Stimme ging so zu Herzen, »ich kann Ihnen vorläufig nichts weiter sagen, als dass ich alles tun werde, um Ihnen zu helfen.«

Jetzt ließ sich von der Speisesaaltür die überraschte Stimme des Kommissars vernehmen: »Was sehe ich? Wie kommen Sie denn hierher, Herr Wallion? Bedeutet

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das wieder ein Zusammenarbeiten von Presse und Polizei?«

»Sie haben es erraten«, erwiderte Wallion mit ei-nem flüchtigen Lächeln. »Es ist ja nicht das erste Mal, nicht wahr?«

»Erinnern Sie mich nicht an das unselige Brownin-grätsel«, versetzte der Beamte mit scheinbarem Ver-druss. »Na, dann kommen Sie nur ’rein! Ich bin im Be-griff, ein vorbereitendes Verhör der Dienstboten vor-zunehmen.«

Sie gingen alle zusammen zum Speisesaal.

»Hast du eine Zigarette, Beyler?«, fragte Wallion, indem er Platz nahm. »Eine mit Goldmundstück? Dan-ke!« Er lehnte sich in seiner gewohnten, still abwarten-den Art im Stuhle zurück und heftete seinen Blick auf den Beamten.

»Um elf Uhr abends befanden sich sechs bekannte Personen in diesem Gebäude«, begann der Kommissar. »Die Köchin Anna Nielsson, das Zimmermädchen Agnes Brandt und der Hausdiener John Andersson schliefen jeder in seiner Dachkammer, Fräulein Hessel-

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man schlief ebenfalls, und auch Herr Beyler war auf ei-nem Stuhl im Salon sitzend eingeschlummert. Nur Doktor Hesselman arbeitete in seinem Schreibzimmer. Etwa zehn Minuten nach elf knallten laut Fräulein Hes-selmans Aussage aus dem Zimmer des Doktors drei Schüsse, durch die auch John Andersson aus dem Schlaf geweckt wurde. Was taten Sie, als sie die Schüs-se hörten, Andersson?«

»Ich sprang aus dem Bett, warf mich in die Kleider und stürzte die Wendeltreppe hinunter. Die Tür …«

»Halt! Was dachten Sie, während sie das taten?«

»Ich dachte, dass ein Unglück geschehen wäre.«

»Ein Unglück? Nicht vielmehr ein Verbrechen?«

»Nein.«

»Sie hielten die drei Laute also nicht mit Bestimmt-heit für Revolverschüsse?«

»Nein.«

»Waren Sie der Meinung, dass die Töne aus dem Arbeitszimmer kamen?«

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»Ja.«

»Nun möchte ich wissen, was Sie sahen, als Sie durch das Fenster des Arbeitszimmers hereinkletter-ten?«

»Nichts weiter als den tot am Boden liegenden Herrn Doktor.«

»Aber das Fenster stand offen und das Licht brann-te, wie Sie schon sagten?«

»Ja.«

»Waren die Fensterhaken eingesetzt?«

»Nein.«

»Welchen Weg schlugen Sie ein, um ans Fenster zu gelangen?«

»Ich lief durch die Halle und die Glastür im Speise-saal.«

»Bemerkten sie im Garten oder draußen vor dem Fenster etwas Ungewöhnliches?«

»Nein.«

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Der Kommissar unterbrach das Verhör, um seine Notizen durchzulesen.

»Darf ich eine Frage an Andersson richten, Herr Kommissar?«, fragte Wallion ruhig.

»Gewiss!«, erwiderte der Beamte mit einem Anflug von Neugier.

»Andersson«, fuhr der Journalist fort, »Sie sagen, Sie hätten angenommen, dass ein Unglück geschehen sei, und seien daher aus dem Bett gesprungen und in die Kleider gefahren?«

»Ja.«

»Wie kam es denn, dass Sie sich dennoch Zeit lie-ßen, einen Kragen umzulegen und Ihre Krawatte so sorgfältig zu binden?«, fragte Maurice Wallion langsam.

Der Diener verzog keine Miene. »Das fand ich nor-mal«, sagte er.

Der Kommissar hatte Wallion rasch und beistim-mend zugenickt. »Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, An-dersson?«, fragte er nach einer Pause in ernstem Ton.

»Jawohl, Herr Kommissar!«

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»Gut. Sie ist zu Protokoll genommen. Ihr Zimmer wird noch in Augenschein genommen werden.«

Der Diener machte eine gemessene Verbeugung.

»Fräulein Hesselman«, fuhr der Kommissar freund-lich fort, »Sie sind gewiss, dass Sie drei Schüsse hör-ten?«

»Ja«, sagte Pauline.

»Was taten Sie zuerst?«

Das junge Mädchen berichtete.

»Sie wussten gleich, dass es Revolverschüsse wa-ren?«

»Ja, ich habe selbst schon oft mit einem Revolver auf eine Scheibe geschossen.«

»Ah!«, machte der Kommissar und blickte auf. »Be-sitzen Sie einen eigenen Revolver?«

»Nein, ich habe mit dem Revolver meines Vaters geschossen«, erwiderte Pauline.

»Ist es dieser?«

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Der Kommissar legte den gefundenen Revolver vor sie hin.

»Nein«, sagte das junge Mädchen hastig. »Nein, das ist er nicht. Mein Vater hatte einen Browning.«

Der Kommissar machte ein verblüfftes Gesicht. »Was sagen Sie dazu, Herr Wallion?«, fragte er nach ei-ner Weile.

Der Journalist zuckte stumm die Achseln.

Nun wurden die beiden weiblichen Dienstboten ei-nem kurzen Verhör unterzog, doch ihnen war nichts weiter als »ja« oder »nein« zu entlocken.

Maurice Wallion trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, während der Kommissar ein paar Minuten nachdachte. Mit einem Male wandte er sich ganz un-vermutet an Steno Beyler: »Was ist Ihnen – abgesehen von dem Toten – als ungewöhnlich aufgefallen, als Sie ins Arbeitszimmer eindrangen?«

»Nichts weiter als einige Papierfetzen auf dem Fuß-boden.«

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»Haben Sie wirklich weder da noch vorher etwas bemerkt, was von dem Mörder stammen könnte?«

Steno berichtete von den Schritten, die er hinter der Tür vernommen zu haben meinte. Die Blicke des Kommissars und des Detektivreporters hefteten sich wieder auf John Andersson.

»Da müssen Sie schon im Garten gewesen sein, An-dersson«, sagte Hedenborg. »Bleiben Sie dabei, dass niemand im Zimmer war, als Sie hineinstiegen?«

»Ja«, erwiderte der Diener ebenso eintönig wie vor-hin.

Kommissar Hedenborg blickte sich im Kreis der An-wesenden um und wurde immer missmutiger. »Das muss einstweilen genügen«, schloss er endlich. »Die Hauptsache ist, dass gleich mit Nachforschungen be-gonnen wird. Sie können sich auf Ihre Zimmer bege-ben, dürfen aber nicht das Haus verlassen«, fügte er zu den Dienstboten gewandt hinzu und erhobt sich.

»Eine wichtige Sache haben Sie vergessen, Herr Kommissar!«, bemerkte Wallion, der sitzengeblieben war.

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Der Kommissar zog die Augenbrauen zusammen. »Was meinen Sie?«, fragte er. »Dies ist ja nur ein vor-läufiges Verhör. Sprechen Sie sich bitte aus.«

»Fräulein Hesselman«, fuhr Wallion fort, »wie hör-ten Sie die drei Schüsse?«

»Ich verstehe nicht recht«, entgegnete Pauline er-staunt.

»Wie klangen sie? Folgten sie rasch aufeinander oder in Abständen?«

»Ach, ich verstehe!«, rief das junge Mädchen und überlegte einen Augenblick. »Die beiden ersten Schüs-se erfolgten fast gleichzeitig und weckten mich voll-ständig. Dann verging eine gute Minute, bis der dritte Schuss knallte.«

»Und das können Sie beschwören?«, fragte Wallion.

»Ohne jeden Zweifel.«

»Das ist das Wichtigste, was wir bis jetzt erfahren haben!«, rief der Journalist mit blitzenden Augen. »Nun müssen wir uns das Haus etwas genauer ansehen.«

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»Wir werden mit dem Garten anfangen«, sagte der Kommissar.

Im selben Augenblick erlosch das elektrische Licht …

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5.

s wurde stockdunkel. Der Kommissar rannte ge-gen Wallion an und stieß einen Fluch aus.E

»Was sind das für Possen?«, rief er zornig. »Machen Sie augenblicklich Licht!«

Ein Schalterknipsen war zu hören. »Es geht nicht«, sagte die Stimme des Polizisten.

Der Kommissar stürmte so hastig aufs Fenster zu, dass ein Stuhl umfiel. »Geben Sie acht, dass niemand das Haus verlässt!«, schrie er mit lauter Stimme dem Kollegen an der Gartenpforte zu.

Maurice Wallion hatte seine Taschenlampe ange-steckt, und ihr weißer Strahl beleuchtete die Anwesen-den. »Es wird wohl Kurzschluss sein«, bemerkte er ge-lassen. »Suchen Sie den Diener. Er ist nicht hier.«

»John!«, rief Pauline.

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Keine Antwort. Steno ging in die Bibliothek und rief die Wendeltreppe hinauf. »Ja, Herr Beyler«, tönte die Stimme des Dieners von oben herab, »ich komme so-fort.«

Nichtsdestoweniger dauerte es mehrere Minuten, bis er herunterkam. Inzwischen hatte der Detektivre-porter festgestellt, dass es sich tatsächlich um einen Kurzschluss handelte, und bat den Diener, nach Reser-vesicherungen zu suchen. Nach langem Suchen fand er welche, und nach einer guten Viertelstunde brannte das Licht wieder.

»Das war kein Zufall«, knurrte der Kommissar. »Wissen Sie, wie es gekommen ist, Andersson?«

»Nein«, erwiderte der Diener eintönig.

Der Kommissar war nun misstrauisch geworden. Der Polizist und einer der Kriminalbeamten begannen das ganze Haus zu durchsuchen, während der Kom-missar selbst dem Journalisten folgte und ihn vor der Tür des Arbeitszimmers im Garten fand.

Wallion beleuchtete den Erdboden mit seiner Ta-schenlampe. »Sehen Sie, Herr Kommissar«, sagte er,

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»hier in dem weichen Erdreich auf dem Beet sieht man tiefe Spuren von Füßen, die aus dem Fenster kamen. Da ist er heruntergesprungen, und hier können Sie eine Reihe langer Schritte in Richtung Pforte sehen. Auf dem Kiesweg sind sie nicht so deutlich, aber hier und da findet man auch dort Fußspuren. Zum Fenster hin sind keine anderen als die des Dieners Andersson zu entdecken. Durchs Fenster hereingekommen ist der Mörder also jedenfalls nicht.«

Er war weitergegangen, bis er an der Längsmauer zwischen den beiden Flügeln stand, an der er hin und her leuchtete.

»Was suchen Sie da, Herr Wallion?«, fragte der Kommissar.

»Etwas, das nach meiner Augenmaßschätzung ge-rade hier zu finden sein muss«, sagte der Journalist, der ihm den Rücken zuwandte. »Da ist es schon!«

Der andere trat hastig näher. An der Stelle dicht ne-ben der Glastür, die seine Lampe erhellte, war ein Teil des Bewurfs abgebröckelt – mit einem runden Loch in der Mitte.

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»Da steckt die dritte Kugel«, bemerkte Wallion. »Lassen Sie uns ins Arbeitszimmer zurückkehren.«

Dort fanden Sie den Polizisten. Die Durchsuchung des Hauses war völlig ergebnislos gewesen.

Maurice Wallion bückte sich über den Toten und untersuchte ihn nachdenklich.

»Herr Kommissar, wollen Sie nicht gestatten, dass die Leiche ins Schlafzimmer hinaufgetragen wird?«

Der Kommissar ging ohne zu antworten neben dem Körper auf die Knie und begann ihn akribisch zu unter-suchen. Zwischendurch machte er sich am Schreib-tisch Notizen.

Endlich sagte er: »Die Leiche kann weggebracht werden.«

Maurice Wallion winkte Steno, der den Diener An-dersson holte und den Toten mit ihm nach oben trug. Man hörte ihre schweren Schritte auf der Treppe. Bald darauf kamen beide wieder herunter.

Maurice Wallion war mit einem Male verschwun-den, ohne dass sein Freund wusste, wohin.

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Der Kommissar durchsuchte den Schreibtisch und machte dann und wann eine leise Bemerkung.

Jetzt kehrte der eine Kriminalbeamte zurück.

»Nun?«, fragte sein Vorgesetzter eifrig.

»An der einen Seite grenzt die erste Villa ganz un-ten direkt an die Schienen der Lidingöbanan.1 Wenn nicht gerade jemand vorbeigekommen ist oder sich drüben auf der bewaldeten Anhöhe verborgen gehalten hat, kann niemand die Flucht des Mörders beobachtet haben.«

»So! Und auf der anderen Seite?«

»Da sind ebenfalls Villen – vier Stück –, aber kein Mensch hat etwas gemerkt, umso weniger, da die Sa-che sich an dieser Front des Hauses abgespielt hat. Auch die Schüsse sind nirgends gehört worden.«

Der Kommissar zerrte an seinem grauen Schnurr-bart.

1 Seit 1914 verbindet die Lidingöbanan – eine Vorortstraßenbahn – die Insel Lidingö über eine Brücke mit dem Zentrum Stockholms.

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»Messen Sie die Fußspuren auf dem Beet!«, kom-mandierte er.

Der Beamte verschwand, während der Kommissar regungslos stehenblieb. Wenig später kam Maurice Wallion gleich einem langen, dunklen Schatten aus dem Garten herein. Der Kommissar rief ihm heftig ent-gegen: »Wie haben Sie es geschafft, die Kugel in der Hausmauer zu finden?«

In Wallions Augen blitzte es auf. »Ich schloss auf ihre Lage, als ich das Loch in der Gardine entdeckte«, erwiderte er langsam.

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6.

r ging auf den schweren Fenstervorhang zu und breitete die Falten auseinander. Der Kommissar

erblickte ein kleines rundes Loch im Stoff.E

»Die Kugel ist also durchs offene Fenster gegangen und drüben in die Mauer gefahren«, sagte er. »Dann lässt sich annehmen, dass Doktor Hesselman etwas Verdächtiges hörte, hereinstürzte und auf den Unbe-kannten schoss, der hier am Fenster stand und schon beim Eintritt des Doktors einen Schuss abgefeuert hat-te, der in den Türpfosten eindrang«, murmelte der Kommissar nachdenklich.

»Wenn der Doktor aus der Bibliothek hereinkam und, an der Tür beschossen wurde«, sagte Wallion, »ist es da glaubhaft, dass er noch bis an den Schreibtisch gelaufen ist, ehe er den Schuss erwiderte? Hätten Sie das getan?«

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»Seine Waffe lag vielleicht im Schreibtisch«, wandte der Kommissar ein. »Die aufgezogene Schublade lässt darauf schließen.«

»Würde der Mörder ihn nach der Waffe greifen und schießen lassen und dann noch eine volle Minute zö-gen, ehe er selbst wieder feuert? Nein, es gibt noch eine andere Lösung, die einzig realistische.«

»Und die wäre?«

»Dass Doktor Hesselman selbst öffnete und den Mörder einließ.«

Steno Beyler stieß einen Laut der Überraschung aus. »Unmöglich!«, sagte er. »Dann noch eher der Die-ner.«

»Der Diener hatte hier nichts zu tun. Nein, der Doktor selbst saß am Tisch und schrieb, als die Unbe-kannten ankamen und eingelassen wurden.«

»Die Unbekannten!?«, riefen Steno und der Kom-missar wie aus einem Munde.

»Ja«, entgegnete Wallion, »ich sagte die Unbekann-ten, weil es mindesten zwei gewesen sein müssen.«

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»Wie sonderbar! Warum denn?«

»Aus mehreren Gründen. Vor allem, weil die Schussfolge sonst unerklärlich wäre. Nehmen wir als wahrscheinlich an, dass der dritte den Doktor getötet hat. Dass er den durchs Fenster gegangenen Schuss selbst abfeuerte, liegt auf der Hand. Warum nicht an-nehmen, dass er die beiden ersten Schüsse abgegeben hat? Dann lässt sich alles zusammenreimen.«

Er setzte sich an den Schreibtisch.

»Hier sitzt der Doktor«, fuhr er fort, »und dort auf dem Stuhl am Fenster sitzt der eine und da neben der Tür zur Bibliothek der andere von seinen unheimlichen nächtlichen Gästen. Er befindet sich in Lebensgefahr – blitzschnell holt er den vielleicht schon bereitgehalte-nen Revolver hervor – und schießt. Beim unerwarteten Anblick einer Waffe reißt der Schurke am Fenster einen Flügel auf und springt hinaus, so dass die Kugel nur durch die Gardine und drüben in die Mauer fährt. Den zweiten Schuss feuert der Doktor im selben Au-genblick gegen die Tür ab, wo sein anderer Gegner steht. Dieser zieht sich in die Bibliothek zurück. Der

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Doktor stellt das Licht ab und steht im Dunkeln. Eine Minute lang belauschen die beiden gegenseitig jede Bewegung des anderen, der Doktor sieht im Dunkeln schlechter, und der andere schießt zuerst. Der folgen-de Schuss ist der Todesschuss. Nun schließt der ande-re die Tür zur Bibliothek ab, macht kaltblütig Licht und sucht nach dem, was der Zweck ihres Kommens war und was sie von dem Doktor eingefordert hatten! Als er nach einer Weile gestört wurde, ist er vermutlich ent-flohen, ohne das Gesuchte gefunden zu haben.«

»Weshalb glauben Sie, dass die Leute gekommen sind, um etwas einzufordern?«

»Das geht daraus hervor, dass nichts gestohlen wurde. Doktor Hesselman ließ sie ein, um mit ihnen über ihre Wünsche zu verhandeln. Erst als er diese ab-schlagen musste, trat die Katastrophe ein.«

»Und der Revolver?«, fragte der Kommissar schon halb überzeugt. »Es fehlte ja nur eine Kugel.«

»Ja, das stimmt, Fräulein Hesselman hat jedoch schon ausgesagt, dass er ihrem Vater nicht gehört. Wenn der andere seine Waffe beim Suchen aus der

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Hand legte, kann er leicht die verkehrte erfasst haben, als er die Flucht ergriff.«

Der Kommissar schlug mit der Hand auf den Tisch. »Das stimmt!«, rief er aus. »So wird es gewesen sein.«

Steno Beyler musste daran denken, dass Pauline ge-sagt hatte: »Ich habe gesehen, dass fremde Menschen durch den Garten hereingelassen wurden«, und er-zählte es mit erregten Worten.

»Davon muss auch der Diener wissen«, sagte der Kommissar, der ihm aufmerksam zuhörte. »Rufen Sie ihn doch her!«

Anderssons Blicke richteten sich gleich auf Maurice Wallion, als er hereinkam. Dieser betrachtete ihn mit gelassener Miene, während der Kommissar eine Frage nach der anderen stellte. War es dem Diener bekannt gewesen, dass unbekannte Personen den Doktor be-suchten? Ja. Wusste er, wer sie waren? Nein. Hatte er sie gesehen? Nein. Hatte der Doktor diese Leute oder jemand anders heute Abend erwartet? Ganz gewiss nicht.

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Jetzt ergriff Maurice Wallion plötzlich das Wort. »Andersson«, mahnte er in scharfem Ton, »sagen Sie die Wahrheit! Wer ist der andere Mann? Nicht der Kleine, der aus dem Fenster sprang, sondern der hoch-gewachsene Mensch, der zehn Minuten nach dem Mord zur Gartenpforte hinausging?«

Der Diener wurde noch bleicher. »Ich weiß es nicht«, sagte er.

»Sie können gehen«, sagte der Kommissar barsch. »Aber zur ersten Untersuchung werden Sie vorgela-den. Jetzt muss ich die junge Dame mit einigen Fragen belästigen.«

Mit diesen Worten verschwand er in der Bibliothek. Wallion trat dicht an seinen Kollegen heran. »Sag’ mir vor allem, ob du etwas über die blaue Schrift an der Gartenpforte weißt«, fragte er leise.

Steno fuhr einen Schritt zurück. »Die blaue Schrift!«, rief er staunend aus. »Aber es war ja gar kei-ne Schrift! Es war ja nur eine Zickzacklinie.«

Maurice Wallion steckte die Hände in die Taschen: »Potztausend!«, war alles, was er sagte. Er ging hinaus

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und beleuchtete die Außenseite der Tür. Steno folgte ihm. Auf dem weißgestrichenen Holz sah man nur noch die fast ganz verwischten Überreste einer mit Blaustift gezeichneten, unregelmäßigen Zickzacklinie.

»Du hast recht«, sagte der Detektivreporter nach-denklich. »Es ist keine Schrift. Es ist nichts weiter als eine Zickzacklinie … ein Kinderspiel. Und trotzdem …«

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7.

n diesem Augenblick ertönte in der Bibliothek ein Schrei. Er kam aus Paulines Mund und ging in hefti-

ges Schluchzen über.I

Der Detektivreporter antwortete nicht, sondern ging rasch hinein. Im Bibliothekzimmer saß Pauline Hesselman und weinte, mit dem Kopf auf den Armen, verzweifelt und fassungslos. Als er sich über sie beugte, nahmen Wallions graue Augen einen milderen Blick an. »Sehen Sie mir ins Gesicht!«, sagte er leise und ein-dringlich.

Das junge Mädchen hob den Kopf und begegnete seinem Blick. Sie erbebte, und ihr Schluchzen ver-stummte.

»Weshalb weinen Sie?«

Sie suchte nach Worten und trocknete ihre Augen. Wallion bekam einen eigentümlichen Zug um den

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Mund und trat auf Hedenborg zu. »Was haben Sie das Fräulein gefragt?«, fragte er.

»Ich fragte nur, ob sie glaubte, dass Doktor Hessel-man vor seinem Tode ganz richtig bei Verstand gewe-sen sei«, erwiderte der ganz erhitzt und verwirrt aus-sehende Kommissar. »Es war eine ganz natürliche Fra-ge. Erstens ist es seltsam, dass ein schwedischer Ge-lehrter skrupellos zum Revolver greift und ihn geladen in Bereitschaft hält, und zweitens, dass er so eigen-tümlichen Besuch empfängt. Dazu kommt noch, dass er sich monatelang mit Symptomen von Verfolgungs-wahn in seinen Zimmern absondert, und viertens dies hier!«

Er zeigt Wallion einige Papierfetzen, die er in der Hand hielt. »Die habe ich in seinem Schreibtisch ge-funden: ein sinnloses Gekritzel – Zickzacklinien, wie Kinder sie zum Spaß zeichnen.«

Maurice Wallion betrachtete die Papiere mit zu-sammengezogenen Brauen. Steno blickte über seine Schulter und sah, dass sie über Kreuz mit ebensolchen Zickzacklinien wie die an der Gartenpforte bedeckt

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waren. Als er etwas sagen wollte, bedeutete Wallion ihm durch einen Wink zu schweigen.

»Und das hat Sie so erschüttert?«, wandte der Re-porter sich an das junge Mädchen.

Sie nickte.

»Dann kann ich nur annehmen, dass die Frage des Kommissars Sie in Ihren eigenen Besorgnissen bestärkt hat?«

»Ja, das ist es ja, was mich so verzweifelt macht!«, rief Pauline aus. »Steno, du weißt, wie sonderbar Papa in der letzten Zeit war. Glaubst du, dass er noch ganz – ganz und gar er selbst war?«

Steno erwiderte ohne Zögern: »Ich glaube, dass er nervös und überreizt war, Pauline, aber an seinem Ver-stand habe ich keine Sekunde gezweifelt.«

»Mir fällt jetzt so vieles ein«, murmelte sie. »Manchmal vergingen Tage, an denen er seine Zimmer nur zu den Mahlzeiten verließ. Dann war es, als ob er mich überhaupt nicht sähe. Und das Licht im Labora-torium brannte ganze Nächte hindurch. Einmal, als ich

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im Salon am offenen Fenster saß, sah ich ihn in seinem Schlafzimmer das Fenster aufmachen. Er sah mich nicht, aber gleich darauf hörte ich meinen großen, starken Vater dort drinnen laut weinen! Und dabei sprach er mit sich selbst, als ob er ganz außer sich wäre.«

»Hörten Sie, was er sagte?«, warf Wallion ein.

»Ja, er schrie geradezu und sagte so ungefähr: ›Ich halt’ es nicht mehr aus, es nimmt ja kein Ende. Das Be-ste wäre, ich täte es selbst!‹ Es klang so unheimlich, dass ich Herzklopfen bekam.«

»Mehr hörten Sie nicht?«, fragte der Kommissar, der eifrig mitschrieb.

»Nein, an diesem Tag nicht. Aber nachher kam die Sache in der Halle…«

»Die Sache in der Halle?«

»Der Tag, an dem mein eigener Vater mich nicht erkannte«, fuhr das junge Mädchen langsam fort. »Ich kam die Treppe herunter, als ich meinen Vater vor-sichtig von draußen in die Halle hereintreten sah. Ich

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weiß nicht warum, aber ich bekam es mit der Angst zu tun, und ich blieb mitten auf der Treppe stehen, und da sah er mich und fuhr zusammen. Ein paar Sekunden lang starrte er mich an, und dann geschah das Entsetz-liche, dass er den Hut abnahm und mich höflich wie eine Fremde grüßte. Ich war wie außer mir und lief zu ihm hinunter, und da wurde er ganz ruhig und küsste mich auf die Wange. Dann ging er in die Bibliothek und schloss hinter sich ab.«

»Wenn ich nicht irre, war der Doktor etwas kurz-sichtig«, bemerkte Wallion.

»Ja, aber dennoch … und dann kam hinzu …«

»Was?«

»Dass er nach Tabaksqualm roch, als er mich küs-ste. Er, der von jeher Nichtraucher gewesen war, ver-brauchte jetzt Unmengen von Zigarren. Manchmal sah ich ihn den ganzen Tag in seinen Zimmern rauchen.«

»Traten alle diese Veränderungen seit einem be-stimmten Zeitpunkt auf?«, fragte Wallion.

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»Ja«, erwiderte Pauline nachdenklich, »ich glaube, dass sie mir zuerst vor ungefähr zwei Monaten aufge-fallen sind. Aber bedrückt und bekümmert war Papa schon lange vorher.«

Wallion griff nach den auf dem Tisch liegenden Pa-pieren und nahm die blauen Zickzacklinien erneut in Augenschein. Steno Beyler machte große Augen, als er sah, dass sein Kollege die Papierfetzen mit einem Male rasch in die Tasche steckte, ohne dass der Kommissar es bemerkte. Dieser setzte jetzt sein Verhör fort: »Wenn Sie sich an die geheimnisvollen Fremden erin-nern, die durch den Garten zu Besuch kamen, können Sie mir die Leute vielleicht beschreiben? Wann haben Sie diese gesehen?«

»Nur ein paarmal im Laufe der letzten Wochen«, erwiderte Pauline, »und immer nur abends. Manchmal war es ein magerer kleiner Mann in weitem Mantel und weichen, Filzhut, der meistens nur eine Viertelstunde oder höchstens eine halbe Stunde dablieb.«

»Das ist wichtig«, bemerkte der Kommissar eifrig. »Die Fußspuren auf dem Beet lassen vermuten, dass

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derjenige, der zum Fenster hinaussprang, ein kleiner, leichter Mensch gewesen sein muss. Ist Ihnen an dem Auftreten dieses Menschen etwas aufgefallen?«

»Nein«, sagte Pauline. »Nein … das heißt …«, sie stockte, »nein, aber…«

»Na?«

»Damals, als Papa so weinte … ich weiß nicht, aber mir ist, als ob mir dunkel vorschwebte …«

Sie begegnete Wallions intensivem Blick.

»Ich glaube, dass der kleine Mensch da gerade draußen an der Gartenmauer stand und zum Fenster hinaufsah«, fuhr sie langsam fort. »Aber es ist nichts weiter als ein unbestimmter Eindruck.«

»Jedenfalls ist es immerhin etwas«, sagte der Kom-missar zufrieden. »Haben Sie bei anderen Gelegenhei-ten andere Besucher beobachtet?«

»Ja, einmal kam nachmittags eine elegante dunkel-gekleidete Dame und hatte eine lange Unterredung mit meinem Vater. Als sie wieder fortging, war sie sehr er-

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regt, und meinen Vater bekam ich an jenem Tage über-haupt nicht mehr zu sehen.«

Wallion schien an etwas anderes zu denken, denn er bemerkte in zerstreutem Ton: »Ich wüsste gern, ob der Doktor auch einen hochgewachsenen Mann emp-fangen hat, einen Mann, der nach der Höhe des Kuge-leinschlags im Türpfosten ungefähr ebenso groß wie er gewesen sein muss – mit einem Wort, ob der Doktor vor dem Mord mit dem anderen Mann in Verbindung gestanden hat, von dem wir wissen, dass er letzte Nacht hier gewesen ist?«

Der Kommissar nickte beistimmend und blickte Pauline an, die sofort erwiderte: »An einen solchen Mann erinnere ich mich nicht. Ich habe alles gesagt, was ich weiß.«

Maurice Wallion auf die Uhr.

»Es ist schon nach eins«, sagte er zu Steno Beyler. »Ich muss fort und werde zwei Spalten für die erste Seite schreiben. Ein Bild von Doktor Hesselman haben wir schon vorliegen, das trifft sich gut. Bleibst du hier?«

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Steno nickte nur, während der Kommissar Wallion mit sich zur Tür zog.

»Ich überlege mir, ob ich John Andersson schon jetzt als verdächtigen Komplizen festnehmen lasse«, sagte er, und Wallion spürte, dass sein Ratschlag ge-fragt war.

»Tun Sie das nicht«, erwiderte er in ernstem Ton. »Der Diener kam ja von oben aus seinem Zimmer her-unter, und die Tür des Mordraums war von innen ver-schlossen.«

»Aber Sie glauben doch auch, dass er uns etwas verschweigt, das müssen Sie zugeben.«

»Ja, aber es lässt sich nicht beweisen«, entgegnete Wallion. »Übrigens, Sie machen sich zu viel aus Ihrer Theorie über Doktor Hesselmans Unzurechnungsfä-higkeit. Das ist zu einfach. Das Rätsel liegt bedeutend tiefer.«

»Fräulein Hesselman gab doch zu …«

»Sie gab zu, dass es im Leben ihres Vaters in der letzten Zeit gewisse eigentümliche Vorkommnisse

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gab«, fiel Wallion ihm lebhaft ins Wort. »Vergessen Sie aber nicht, dass uns der Grund für diese Vorkommnis-se unbekannt ist. Ich weiß nur, dass der Doktor unse-rer Redaktion noch vor wenigen Wochen ein verspro-chenes Manuskript geschickt hat. Eine Reihe von Arti-keln über die chirurgischen Wundertaten des Amerika-ners Carrel. Diese Artikel sind das Beste und Klarste sind, was jemals über die Sache geschrieben worden ist. Nur ein sehr gesundes und klares Gehirn kann es ausgearbeitet haben, und das beweist immerhin auch etwas.«

Ein Paar kleine, starke Hände umfassten seinen Arm. Pauline hatte seine letzten Worte gehört.

»Glauben Sie wirklich, dass Papa gesund war?«, rief sie aus, und ihr Gesicht erhellte sich.

»Meiner Überzeugung nach ganz gewiss«, erwider-te der Journalist und nahm ihre Hände in die seinen. »Da draußen im Dunkel der Nacht befinden sich Män-ner, die das geheimnisvolle Benehmen Ihres Vaters aufklären könnten. Und ich verspreche Ihnen, dass sie schließlich dazu gezwungen sein werden.«

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Die grauen Augen nahmen einen dunkleren Glanz an und blickten einen Augenblick wie in weite Ferne.

»Ich komme morgen wieder«, fügte er dann hinzu und begab sich zu seinem Auto nach draußen. Als er einstieg, begann ein dichter, stiller und kalter Regen niederzugehen. Als er mit dem Auto davonfuhr, sah er sich um und betrachtete die einsame Villa.

Durch den Regenschleier hindurch erstrahlte sie immer noch Fenster für Fenster in voller Erleuchtung.

*

Das bisher Geschilderte trug sich am Abend des 25. Mai zu.

Am nächsten Morgen brachte der ›Dagens Kurir‹ einen eingehenden Bericht über den Fall Hesselman und die vorläufigen Untersuchungen.

Die stolze Überschrift lautete:

»Berichterstatter des ›Dagens Kurir‹ als Erster zur Stelle. – Bringt die Polizei auf die Spur. – Beweist, dass Mörder mindestens zu zweit waren.«

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Am 26. Mai sprach ganz Stockholm von nichts an-derem als dem rätselhaften Mord.

Doch von der blauen Spur wusste nur einer, und der schwieg.

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