die chemie übernimmt wieder
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b Die Gesamtzahl der angekün-digten Übernahmen in der Chemie steigt seit Jahresbeginn ebenso wie die Zahl der Transaktionen mit ver-öffentlichten Werten des Kaufprei-ses (Abbildung 1). Obwohl die Werte der ersten Quartale 2012 hinter Quartalsrekordwerten wie im vierten Quartal 2010 zurück-bleiben, scheint die chemische In-dustrie wieder verstärkt überneh-men zu wollen.
Viele Marktteilnehmer halten den 8. Dezember 2011 für einen Wendepunkt. An diesem Tag setz-te die Europäische Zentralbank ein Zeichen gegen die Kreditklemme als Symptom der Finanzkrise und offerierte den Geschäftsbanken Anleihen mit günstigen Kredit-konditionen und dreijähriger Laufzeit. Die Banken hatten bis Ende Dezember 2011 ein Volumen von mehr als 500 Mrd. Euro abge-rufen.
Insbesondere eine Megatransak-tion hat in den vergangenen beiden Quartalen für Aufsehen gesorgt: Solutia aus St. Louis, MO/USA, wurde vom US-Chemiekonzern Eastman Chemical für 4,7 Mrd. US-Dollar gekauft. Das einst aus ei-ner Abspaltung vom Fotokonzern Eastman Kodak hervorgegangene Unternehmen will damit vor allem seine Geschäfte in Asien stärken. Mit der Übernahme von Solutia hat Eastman Chemicals die Rückflüsse aus dem Verkauf der Polyethylen-terephthalat(PET)-Geschäftsaktivi-täten in die Erweiterung vor allem seiner Spezialchemiegeschäfte in-vestiert.
Die Transaktionswerte aller Übernahmen, summiert in den je-weiligen Quartalen, zeigen ebenfalls eine Erholung, wenn auch nicht so signifikant wie bei der Anzahl (Ab-bildung 2). Dies dürfte vor allem am Finanzierungsumfeld liegen,
das zurzeit höhervolumige Über-nahmen und Fusionen erschwert.
Bei der regionalen Verteilung der Transaktionen lässt sich feststellen, dass asiatische, insbesondere chi-nesische Unternehmen vermehrt Spezialchemiegeschäfte aus dem Westen kaufen. Während sich Käu-fer aus den entwickelten Volkswirt-schaften bei der Analyse eines Ziel-unternehmens vornehmlich an dessen finanzieller Performance ausrichten, vergewissern sich chi-nesische Kaufinteressenten zu-nächst, dass das Intellectual Pro-perty des Zielunternehmens, also Patente, Marken und Knowhow, tatsächlich einzigartig ist. Dabei geht es den Asiaten meistens nicht in erster Linie um die Eroberung neuer Märkte, sondern darum, die Belieferung der schnell wachsen-den Heimatmärkte sicherzustellen.
Gleichzeitig gibt es weiterhin Kaufinteressenten aus den reiferen
Bernd Schneider
Seit Beginn des Jahres steigen Anzahl und Wert der Deals pro Quartal. Asiaten sind immer häufiger als
Käufer oder Verkäufer bei grenzüberschreitenden Transaktionen vertreten.
Die Chemie übernimmt wieder
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Abb. 1. Quartalsweiser Verlauf der Anzahl an Chemietransaktionen seit 2010. (Datenquellen: Thomson One Banker, Lincoln International)
Nachrichten aus der Chemie| 60 | September 2012 | www.gdch.de/nachrichten
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westlichen Ländern für Unterneh-men in Ländern in (Süd-)Ostasien, Südamerika oder dem Nahen Os-ten. Motivation ist dabei meist die Partizipation am dortigen über-durchschnittlichen Wachstum so-wie der Zugang zu Rohstoffquel-len.
Blick ins zweite Halbjahr
b Unter der Voraussetzung, dass die Eurokrise kontrollierbar bleibt, dürfte sich die Transaktionsaktivi-tät weiter dynamisch entwickeln. Dafür spricht das fundamentale Umfeld: Die chemische Industrie kennzeichnet im Vergleich mit an-deren Industrien nach wie vor ein insgesamt hoher Fragmentierungs-grad. Weiterhin sind zahlreiche Chemieunternehmen noch immer in den Händen von Finanzinvesto-ren, die üblicherweise ein Unter-nehmen nur für einen begrenzten Zeitraum (etwa drei bis sieben Jah-re) halten und dann wieder ver-kaufen wollen oder müssen. Schließlich bringen stark wachsen-de Großunternehmen aus den Wachstumsregionen wie den Bric-Staaten (Brasilien, Russland, In-
dien, China) genügend Kapital mit, um sich Zugang zu Kunden und Technologie in den reiferen Ländern zu erwerben. Jedenfalls deuten angekündigte Verkäufe an, dass – mindestens bezogen auf den durchschnittlichen Transaktions-wert – das Jahr 2012 Potenzial hat, sich zu einem Rekordjahr zu ent-wickeln.
Beispiele an größeren Chemie-unternehmen, die sich nach Markt-berichten im Verkaufsprozess be-finden, sind der Titandioxid-Pig-mentspezialist Sachtleben Chemie – er gehört der amerikanischen Rockwood-Gruppe –, die Perfor-mance-Coatings-Einheit von Du-pont, der Teerchemikalien-Herstel-ler Ruetgers – gehört dem Finanz-investor Triton – und Borregaard vom norwegischen Industriekon-zern Orkla, der sich auf Produkte auf Basis einer Bioraffinerie mit Holz als Rohstoff spezialisiert.
Bernd Schneider ist promovierter Chemiker
und Kaufmann und verantwortet den Bereich
Chemie bei der Investmentbank Lincoln Inter-
national in Frankfurt. Das Unternehmen ist
fokussiert auf die Beratung des Verkäufers bei
grenzüberschreitenden Transaktionen.
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Abb. 2. Quartalsweiser Verlauf des Gesamtwerts aller Chemietransaktionen mit einem Einzelwert von mindestens 50 Mio. US-Dollar.
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Messer übertrifft Milliarde
b Das Industriegaseunternehmen Messer erhöhte im vergangenen Jahr den Umsatz um 13 % auf knapp 1 Mrd. Euro und übertraf damit erstmals die Milliardenmar-ke. Der Ebitda lag bei 241 Mio. Euro. Als Wachstumstreiber erwie-sen sich insbesondere Asien und Peru. „Aber auch der Wiederein-tritt in den deutschen Gasemarkt war ein wichtiger und richtiger Schritt“, sagte Stefan Messer, Ei-gentümer und Vorsitzender der Ge-schäftsleitung der Messer Gruppe.
Air Liquide und BMS
b Die französische Air Liquide in-vestiert 100 Mio. Euro in eine An-lage für Wasserstoff und Kohlen-monoxid auf dem Gelände von Bayer Materialscience (BMS) im Chempark Dormagen. Die Gase ge-hen an BMS, die sie zur Herstellung von Polyurethanen benötigt, aus denen Polster, Reifen und Klebstof-fe entstehen.
Kurz notiert