“die ddr-fahne gehörte zum messebild” · heute wer-den die maschinen in dritter generation bei...

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Deutsch/deutsche Verhältnisse auf der interpack: Eine geschichtliche Entwicklung | Die „interpack“ wird 50. Das impliziert förmlich einen deutsch/deutschen Rückblick aus ost-deutscher Sicht. Für neue verpackung schaut Reinhardt Balzk, langjähriger Außenhandelsdirektor des Kombinats Nage- ma, mit den Augen des DDR-Managers auf diese Erfolgsmesse, die auch in den Augen der DDR-Ver- packungswirtschaft eine Muss-Veranstaltung darstellte. W er im Verpackungsmaschinen- bau, im Maschinenbau für die Süßwarenindustrie und der Packmittelindustrie etwas erreichen möchte, muss in Düsseldorf Präsenz zei- gen. Die interpack unter dem Dach der Messe Düsseldorf, früher Nordwestdeut- sche Ausstellungsgesellschaft – kurz No- wea – bildet das weltweite Innovations- zentrum. Demzufolge gilt zwingend: Ein Aussteller muss den anspruchsvollen An- forderungen des fortschrittlichen techni- schen Standes entsprechen. Für die Nagema Dresden war die inter- pack eine Erfolgsgeschichte. Wenn hier von Nagema die Rede ist, dann sind der Verpackungsmaschinenbau Dresden (VMB), die Maschinenfabrik Heidenau (Mafa), die Schokoladen-Verarbeitungs- maschinen Wernigerode (Schokomasch bzw. Schokotech), die Rapido Radebeul und später auch der Nahrungsgüter- maschinenbau Neubrandenburg ge- meint. Sie waren in der Vereinigung volkseigener Betriebe (VVB) Nagema Dresden und ab 1970 im Kombinat Nage- ma Dresden zusammengeschlossen. Na- gema steht für Na- (Nahrungsmittel) ge- (Genussmittel) ma- (Maschinenbau). Und es steht für einen der ehedem welt- weit größten Verpackungsmaschinen- betriebe. Zuletzt wurden ca. 4.500 Mit- arbeiter beschäftigt, die Gesamtbilanz zeigt Produktion und Verkauf von etwa 30 – 35.000 Maschinen zwischen 1945 – 1990. Noch heute führt das Internet-Por- tal Wikipedia ein eigenes Datenblatt un- ter dem Stichwort Nagema. DDR-Technik in Düsseldorf Die Entwicklung des Unternehmensver- bundes steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der interpack. An- gefangen hat die Nagema in Düsseldorf zunächst bescheiden: Zur Gründung wurden wir nicht eingeladen. Die Grün- de lassen sich nicht mehr genau eruieren. Zur zweiten Veranstaltung, 1960, reist ei- ne kleine Studiendelegation der VVB Na- gema an den Rhein. Paul Auerbach von Schokopack- dem Vorgänger der Ver- packungsmaschinenbau VMB – gehörte dazu und berichtete darüber. 1966 folgt eine langsame Annäherung: In einer Halle des befreundeten Unter- “Die DDR-Fahne gehörte zum Messebild” nehmens Schwelm im Düsseldorfer Stadtteil Flingern, Höherweg, erfolgt eine erste Präsentation der DDR-Technik. Über Firmeneinladungen, verschiedene Druckerzeugnisse, Handzettel u. ä.wur- den Kunden informiert und mit einem Wartburg-Camping von A. Schulze zu Schwelm chauffiert. Selbst Kunden aus den USA fanden uns, stellte er fest. Von Reinhardt Balzk* 60]neue verpackung 4.2008 Ostaussteller mit wettbewerbsfähiger Technologie Der VMB Dresden hatte den größten An- teil am Nagema-Stand und präsentierte sich optimal. Es ist keine Erfindung von mir sondern Kundenmeinung: Als wir die neue Baureihe EK 1 für Hartkaramellenver- packung ausstellten, soll kolportiert wor- den sein, „wenn ihr etwas Neues sehen möchtet, müsst ihr zur Nagema gehen“. Sie galt als echte Messe-Neuheit, eine Hochleistungsmaschine mit 1300 Ein- schlägen in der Minute, mit neuen tech- nischen Ansätzen. Die ersten Kunden wa- ren Storck, Halle/Westfalen, für die Weich- karamellenverpackung niederländische und argentinische Hersteller. Heute wer- den die Maschinen in dritter Generation bei Theegarten- Pactec gebaut und be- stimmen das interna- tionale Niveau. Ähn- liches Aufsehen wurde mit der SF erzielt, einer Maschine zum Füllen von Kartons mit Flach- beutelpackungen. Sie brachte einen erhebli- chen Rationalisierungs- effekt. Zeitzeugen, wie P. Auerbach, Verkaufschef VMB stellt fest: Al- lein Haribo kaufte damals für seine Betrie- be mehr als 60 Maschinen. Diese Technik bietet heute Jensen in Dresden/Sobrigau in weiterentwickelter Form an. Die Fairness gebietet zu sagen, Grundlage war eine Entwicklung der Süßwarenindus- trie der DDR, die dann ein Team um Manfred Woelk vom VMB konstruktiv und technolo- gisch bearbeitete und zum Erfolg führte. Toss in Freital führt eine Produktion von Verpackungsmaschinen fort, die nach mo- dernen Entwicklungen (CAD/CAM) an der TU Dresden zu Zukäufen durch Marktführer wie Rowema und Bosch führte. Im Übrigen über- ließ damals bereits der VMB eine Lizenz für ein Patent zur Fertigung von Formschultern der japanischen Firma Kawa Shima. Verpackungslinien vom VMB waren schon auf den Ausstel- lungen 1973 und 1975 zu sehen. Die Gruppe der Süßwaren- maschinen vertraten Mafa Heidenau. Schokoladen-Ver- arbeitungsmaschi- nen/ Schokotech Wernigerode, stieß erst 1980 zur Nage- ma, war aber von An- fang an auf dem Nagema-Stand integriert. Die Kakaopressen waren hinsichtlich Pa- rameter, Kakaobutter-Ausbeute und Leis- tung, aber auch in ihrer optischen Wir- kung beeindruckend, und entsprachen ... wird 50 Jahre

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Page 1: “Die DDR-Fahne gehörte zum Messebild” · Heute wer-den die Maschinen in dritter Generation bei Theegarten-Pactec gebaut und be- ... Sowjetunion und China, und was gleich wichtig

Neue Verpackung 2006 04/2008, S. 60, 27.03.2008, 13:50, SB

Deutsch/deutsche Verhältnisse auf der interpack: Eine geschichtliche Entwicklung | Die „interpack“ wird 50. Das impliziert förmlich einen deutsch/deutschen Rückblick aus ost-deutscher Sicht. Für neue verpackung schaut Reinhardt Balzk, langjähriger Außenhandelsdirektor des Kombinats Nage-ma, mit den Augen des DDR-Managers auf diese Erfolgsmesse, die auch in den Augen der DDR-Ver-packungswirtschaft eine Muss-Veranstaltung darstellte.

W er im Verpackungsmaschinen-bau, im Maschinenbau für die Süßwarenindustrie und der

Packmittelindustrie etwas erreichen möchte, muss in Düsseldorf Präsenz zei-gen. Die interpack unter dem Dach der Messe Düsseldorf, früher Nordwestdeut-sche Ausstellungsgesellschaft – kurz No-wea – bildet das weltweite Innovations-zentrum. Demzufolge gilt zwingend: Ein Aussteller muss den anspruchsvollen An-forderungen des fortschrittlichen techni-schen Standes entsprechen.

Für die Nagema Dresden war die inter-pack eine Erfolgsgeschichte. Wenn hier von Nagema die Rede ist, dann sind der Verpackungsmaschinenbau Dresden (VMB), die Maschinenfabrik Heidenau (Mafa), die Schokoladen-Verarbeitungs-maschinen Wernigerode (Schokomasch bzw. Schokotech), die Rapido Radebeul und später auch der Nahrungsgüter-maschinenbau Neubrandenburg ge-meint. Sie waren in der Vereinigung volkseigener Betriebe (VVB) Nagema Dresden und ab 1970 im Kombinat Nage-ma Dresden zusammengeschlossen. Na-gema steht für Na- (Nahrungsmittel) ge- (Genussmittel) ma- (Maschinenbau). Und es steht für einen der ehedem welt-weit größten Verpackungsmaschinen-betriebe. Zuletzt wurden ca. 4.500 Mit-arbeiter beschäftigt, die Gesamtbilanz zeigt Produktion und Verkauf von etwa 30 – 35.000 Maschinen zwischen 1945 – 1990. Noch heute führt das Internet-Por-tal Wikipedia ein eigenes Datenblatt un-ter dem Stichwort Nagema.

DDR-Technik in Düsseldorf Die Entwicklung des Unternehmensver-bundes steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der interpack. An-gefangen hat die Nagema in Düsseldorf zunächst bescheiden: Zur Gründung wurden wir nicht eingeladen. Die Grün-

de lassen sich nicht mehr genau eruieren. Zur zweiten Veranstaltung, 1960, reist ei-ne kleine Studiendelegation der VVB Na-gema an den Rhein. Paul Auerbach von Schokopack- dem Vorgänger der Ver-packungsmaschinenbau VMB – gehörte dazu und berichtete darüber.

1966 folgt eine langsame Annäherung: In einer Halle des befreundeten Unter-

“Die DDR-Fahne gehörte zum Messebild”

nehmens Schwelm im Düsseldorfer Stadtteil Flingern, Höherweg, erfolgt eine erste Präsentation der DDR-Technik. Über Firmeneinladungen, verschiedene Druckerzeugnisse, Handzettel u. ä.wur-den Kunden informiert und mit einem Wartburg-Camping von A. Schulze zu Schwelm chauffiert. Selbst Kunden aus den USA fanden uns, stellte er fest.

Von Reinhardt Balzk*

60]neue verpackung 4.2008

Ostaussteller mit wettbewerbsfähiger Technologie

Der VMB Dresden hatte den größten An-teil am Nagema-Stand und präsentierte sich optimal. Es ist keine Erfindung von mir sondern Kundenmeinung: Als wir die neue Baureihe EK 1 für Hartkaramellenver-packung ausstellten, soll kolportiert wor-den sein, „wenn ihr etwas Neues sehen möchtet, müsst ihr zur Nagema gehen“. Sie galt als echte Messe-Neuheit, eine Hochleistungsmaschine mit 1300 Ein-schlägen in der Minute, mit neuen tech-nischen Ansätzen. Die ersten Kunden wa-ren Storck, Halle/Westfalen, für die Weich-karamellenverpackung niederländische und argentinische Hersteller. Heute wer-den die Maschinen in dritter Generation bei Theegarten-Pactec gebaut und be-stimmen das interna-tionale Niveau. Ähn-liches Aufsehen wurde mit der SF erzielt, einer Maschine zum Füllen von Kartons mit Flach-beutelpackungen. Sie brachte einen erhebli-chen Rationalisierungs-effekt. Zeitzeugen, wie P. Auerbach, Verkaufschef VMB stellt fest: Al-lein Haribo kaufte damals für seine Betrie-be mehr als 60 Maschinen. Diese Technik bietet heute Jensen in Dresden/Sobrigau

in weiterentwickelter Form an. Die Fairness gebietet zu sagen, Grundlage war eine Entwicklung der Süßwarenindus-trie der DDR, die dann ein Team um Manfred Woelk vom VMB konstruktiv und technolo-gisch bearbeitete und zum Erfolg führte. Toss in Freital führt eine Produktion von Verpackungsmaschinen fort, die nach mo-dernen Entwicklungen (CAD/CAM) an der TU Dresden zu Zukäufen durch Marktführer wie Rowema und Bosch führte. Im Übrigen über-ließ damals bereits der VMB eine Lizenz für ein Patent zur Fertigung von Formschultern der japanischen Firma Kawa Shima. Verpackungslinien vom VMB waren

schon auf den Ausstel-lungen 1973 und 1975 zu sehen. Die Gruppe der Süßwaren-maschinen vertraten Mafa Heidenau. Schokoladen-Ver-arbeitungsmaschi-nen/ Schokotech Wernigerode, stieß erst 1980 zur Nage-

ma, war aber von An-fang an auf dem Nagema-Stand integriert. Die Kakaopressen waren hinsichtlich Pa-rameter, Kakaobutter-Ausbeute und Leis-tung, aber auch in ihrer optischen Wir-kung beeindruckend, und entsprachen

... wird 50 Jahre

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Neue Verpackung 2006 04/2008, S. 61, 27.03.2008, 13:51, SB

Es folgt ein deutsch/deutscher Auf-stieg: Zunächst in einem Zelt als Messe-teilnehmer, bis wir 1973 ordentliche Aussteller mit Hallenplatz wurden. An-gekommen in der ersten Liga. Angekom-men in den schönen, neuen Messe-Hal-len, nicht zu vergleichen mit den Messe-hallen in Leipzig am Völkerschlacht-Denkmal. Die Beteiligung wuchs mit der Messe. Schließlich wurden wir in Düssel-dorf einer der größeren Aussteller in den 70 und 80er Jahren, bis zur letzten Ge-meinschaftsbeteiligung im Jahr 1990.

Mit den Nachfolgebetrieben nach der Wende – Pactec-Theegarten, Petzold- Heidenauer, Schokotech-Wernigerode- ergeben sich nunmehr über 40 Jahre er-folgreiche Messebeteiligung, die bis ins Jahr 2008 reicht.

Kontaktpflege zum beiderseitigen Nutzen Aus Westdeutschland kam anfangs tat-kräftige Unterstützung. Es standen uns einige Persönlichkeiten hilfreich zur Sei-te: Vertreter Franz Genter, Ratzeburg, die Firma Bosse, Bad Honnef, und später

auch Otto Hänsel, dessen Vater einen Betrieb in Freital bis 1949/50 besaß. Mit dem Präsidenten und Ehrenprä-sidenten der interpack pflegten wir guten Kontakt, zum beiderseitigen Nutzen und für gemeinsame Projekte in Dubai, Südost-Asien und anderswo.

1978 belegte die Nagema 700 qm Ausstellungsfläche in der Halle 10, nun-mehr angemietet durch den Außenhan-delsbetrieb ‚Transportmaschinen‘. Her-bert Schuchardt, Messe- Verkaufsdirek-tor, berichtet darüber im Magazin ‚DDR-Export‘, für 1984 gibt Heinz Lauer-bach für die Na-gema in seinen Unterlagen 1.066 qm Stand-fläche an. Der Höhepunkt war erreicht. 1990 la-gen wir bei rund 1.000 qm in Halle 15.

Die gleichbe-rechtigte Teilnah-

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das ein Re-Inkasso nur bei nicht ver-tragsgerechter Lieferung oder irgend-welchen Mängeln zuließ. Offiziell waren wir in Düsseldorf und auch weltweit über ‚Unitechna‘, dann ‚Transportmaschinen‘ und später ‚Fort-schritt-Landmaschinen‘, jeweils ansäs-sig in Berlin, vertreten. Die Zuordnung geschah nicht ohne Probleme, aber ein großes Unternehmen bietet auch viele Vorteile. Die für Nagema zuständigen Mitarbeiter wanderten über alle drei Unternehmungen mit uns und sorgten für Kontinuität. Da der Import von Ausrüstungen auch über diese Firmen lief, bekamen wir auch Einsichten in Konditionen des Wettbewerbs und die Einkäufer infor-

mierten uns selbst-verständlich über besondere Erzeug-nisse.

Schnörkellos aber auch schmucklos:

Westdeutsche Un-ternehmen präsen-

tierten sich nicht anders als die Firmen der DDR,

hier die VEB Maschinenfabrik Heidenau.

Als die Kra-watten noch breit und Ka-ros groß wa-ren: DDR-Stände freu-ten sich regen Interesses.

Weltstandard. Der jetzige Betrieb Pet-zold-Heidenauer führt diese Tradition fort und erreichte 1996 mit der neuen 14t-Topfpresse große Anerkennung. Eine Neuentwicklung der 80er Jahre war die Conticonche. Es handelt sich um eine Technik zum Verfeinern und Auf-schließen der Kakaomasse bei deutlicher Leistungssteigerung gegenüber dem Chargenbetrieb. Die Entwicklung war ei-ne Coproduktion mit der Technischen Universität Dresden. Die konservative Branche tat sich schwer. Der Vorstands-sprecher eines großen Konzernes führte mich zum klassischen Längsreiber, Gra-nitbecken und Granitwalzen, und sagte: „Conchieren, das ist etwas wie hexen und blaufärben, man muss daran glauben“ und blieb zunächst bei alten Technologie. Der Triumph gelang fast 20 Jahre später, als das führende Unternehmen Mars in den USA eine Erprobung vornahm und Maschinen bestellte. Spricht das aber

Ganz sachlich und informativ: Konzentriert auf das Gespräch –

zu sehen gab es nach heutigen Maßstäben ei-gentlich nichts.

nicht auch für den Ideenvorlauf des Her-stellers? Der relativ kleine Betrieb in Wernigero-de, der heute zur Sollich-Gruppe gehört, war schon früher ein leistungsstarker Be-trieb für Schokoladen-Überziehmaschi-nen: Super 40/41/ 80/81 und Weiterent-wicklungen wurden zu hunderten ge-baut und verkauft. Aber schon zu Beginn der Messe-Beteiligung waren die Maschi-nen für die Pralinen-Verpackung (HPM) sehr gefragt und werden heute noch ge-baut. Zu erwähnen sind auch die Tempe-riermaschinen. Rapido-Radebeul hat mit seinem Be-triebsteil Waffelbackanlagen angeboten und der Nahrungsgütermaschinenbau Neubrandenburg Konstruktionen der Mafa, weil deren Kapazitäten restlos aus-gebucht waren. In den Nagema-Be-trieben wurden welt-weit einmalige Serien gebaut und verkauft, si-cher getragen durch den enormen Bedarf der Sowjetunion und China, und was gleich wichtig war: sofort bezahlt. Im Rat für gegenseitige Wirt-schaftshilfe (RGW) gab es ein so ge-nanntes ‚Sofortbezahlungsverfahren‘,

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me musste erkämpft werden – Wettbewerb dominierte den Mes-se-Ausschuss der interpack, in den wir es niemals geschafft haben. Po-litische Unschuld konnten wir bei einigen Rednern der feierlichen Er-öffnungen auch nicht vermerken. Ich entsinne mich an „Entgleisun-gen“ des Vorstandsvorsitzenden ei-nes großen Lebensmittelkonzerns oder eines FDP-Vorsitzenden.

„Auch wir wurden in der BRD observiert“ Aber auch die Diplomaten der DDR-Han-delsvertretung beargwöhnten unsere Aktivitäten, so zum Beispiel unsere Be-teiligung an einer Geburtstagsgala des damaligen Messechefs Kurt Schoop. Für uns galt dies als selbstverständliche Kontaktpflege, für unsere Diplomaten aber als Anmaßung. Als leitende An-gestellte von Staatsbetrieben waren wir nicht wirklich unabhängig. Auch wir wurden in der BRD observiert, wie die spektakuläre Festnahme des Nagema-Generaldirektors später zeigte. In unseren Marketingaktivi-täten blieben wir aber weitestgehend

selbständig. Zusammenfassend lässt sich eine ko-

operative Zusammenarbeit mit der Düs-seldorfer Messeleitung bestätigen. Kurt Schoop empfing den zuständigen Staats-

sekretär des DDR-Ministeri-ums in Beglei-tung des Nage-ma-Generaldi-rektors Gruppe. Wir bekamen den Raum, den wir wollten. Und die DDR-Fahne gehörte zum Messebild.

Andere RGW-Länder, im Ver-gleich, blieben dagegen unterre-

präsentiert: Ma-schinenproduzenten wie ZVS Brno, Tschechien, Spomasz, Polen, die Ungarn, waren ausschließlich mit Informations-ständen vertreten, ebenso wie die russi-schen Produzenten. Dagegen bildeten ih-re Expertendelegationen und Einkäufer gern gesehene Gäste, kamen sie doch als Kunden von Wnikiprodmasch und Tech-nopromimport Moskau. Uns erwiesen sie Höflichkeitsbesuche, schließlich waren wir bestens miteinander bekannt und trafen uns regelmäßig. Geschäfte wurden auf einen anderen Zeitpunkt vertagt. Ver-tragsabschlüsse mit den RGW-Ländern

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verlegten wir gern auf die Leipziger Früh-jahrsmesse, jeweils jährlich im März stattfindend. Die interpack bot uns die Chance zum direkten Vergleich mit dem Wettbewerb und der Gewissheit, alle in-teressierten Experten der Anwender-Branchen vor Ort zu haben. Bewusst suchten wir deshalb auch die räumliche Nähe zu anderen Verpackungsgrößen wie Bosch oder SIG. Unsere Chancen la-gen in den Produkten. Besondere Events, z. B. eine Rhein-Dampferfahrt zu Reprä-sentationszwecken, gaben die schmal be-messenen Devisen nicht her.

Dewag baute die Messestände Bauherr des Messestandes war die De-wag Leipzig, kreative Architekten, Desig-ner und Text-Bild-Gestalter. Wir waren eine der ersten Messebeteiligungen, die Hochkojen zeigte und sparte damit Platz und Geld. Die Mediendesigner nutzten z. B. schön zusammengestellte Produkte der Anwender unserer Maschinen für Werbung auf Glanzpapier. Ein damals in-teressantes Thema blieb die Freiheit des privaten Besuchs der Messe. Das war schlicht und einfach aufgrund der res-triktiven staatlichen Reise-Beschränkun-gen der DDR nicht möglich. Der Staat traute seinen Bürgern nicht, warum wohl?

Das Messeteam des Kombinates, zu-letzt etwa 30–35 Personen, plus Monteu-re für Auf- und Abbau, etwa zehn Tech-niker für Studienzwecke oder Vorträge, wurde ausschließlich aus funktionellen und betriebswirtschaftlichen Überlegun-gen zusammengestellt. Aufgewertet wur-de die Nagema-Delegation durch die Fi-nanzierung der Reise einiger Professoren der TU Dresden für Gutachten, Vorträge und Begleitung der Forschungsarbeit.

Voraussetzung allerdings: Der Wissen-schaftler war Mitglied des Reisekaders. Als ich geltend machte, wir bräuchten ein paar junge hübsche Gesichter für das Empfangsbord und sie auch für die Reise-kaderbestätigung durchgesetzt hatten, wurden sie dennoch nicht mitgenom-men. Nach 1990 ein messepolitischer Durchbruch: Gert Schwarze, Geschäfts-führer der Pactec/VMB und bis 2007 Ge-schäftsführer von Theegarten-Pactec, wurde Mitglied im Messeausschuss der interpack. Heute ist der Geschäftsführer von Theegarten-Pactec, Erhard Rustler, Präsident des interpack-Beirats. �

Limo-Service à la DDR: Am Anfang wurden die Besucher mit einem Wartburg-Shuttle zur Ausstellung bei einem befreundeten Unter-nehmen gelockt.

Großes Ge-heimnis: Vor Messe-beginn waren alle Maschinen geheimnisvoll verhüllt.

War eigentlich immer ein Aktivposten des DDR-Maschinenbaus: Süßwarenmaschinen auf der interpack.

Geruhsame Messegeschäftigkeit: Auch im 20. Jahr des Bestehens der DDR waren die ost-deutschen Unternehmen auf dem alten Mes-segelände in Düsseldorf mit von der Partie.

*Autor: Reinhardt Balzk, damals Direktor für Außen-wirtschaft der Nagema 1970–90, Prokurist der Nage-ma AG bis 1992, auf Basis zahlreicher Quellen und ei-gener Erlebnisse.