die fragestellung

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Zeller Meinungsfreiheit und Komm unikationsterror 1 Die Fragestellung Die dänische Tageszeitung, Jyllands Posten (JP), veröffentlicht am 30. September 2005 unter der Überschrift „Mohammeds Gesicht“ 12 Karikaturen des islamischen Religionsstifters Mohammed. Es ist bekannt, dass es innerhalb des Islam verboten ist, Allah oder Mohammed bildlich darzustellen. In einem Artikel erklärt JPs Kulturredakteur, Flemming Rose, dass er dänische Karikaturisten gebeten hat, Mohammedkarikaturen zu zeichnen, um einen in Dänemark (und anderen westlichen Ländern) um sich greifenden Hang zur Selbstzensur von kritischen Äußerungen gegen den Islam zu stoppen. Die Veröffentlichung der Karikaturen soll daher demonstrieren, dass sich die Zeitung/der Redakteur/die Karikaturisten nicht aus Angst vor gewaltsamen islamistischen Reaktionen – s. z.B. Theo van Gogh - in der Ausübung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit hindern lassen wollen. Über einen Zeitraum von 5 Monaten, von Oktober 2005 bis Februar 2006, finden zunächst von Vertretern dänischer Muslime, später von Muslimen in aller Welt immer heftigere Protestaktionen gegen die Veröffentlichung der Mohammedkarikaturen statt. Die Aktionen kulminieren im Januar 2006 mit einem Boykott dänischer Waren in Saudiarabien und im Februar mit Demonstrationen und Brandanschlägen gegen die dänische Botschaft in Damaskus, das dänische Konsulat in Beirut. Die Proteste werden von muslimischer Seite damit begründet, dass die Veröffentlichung der Mohammedkarikaturen nur die Spitze des Eisbergs einer in der dänischen Öffentlichkeit verbreiteten generell ausländer- und speziell islamfeindlichen Haltung ist. Die Frage ist daher: wenn man die Veröffentlichung der Mohammedkarikaturen und die mehrere Monate hindurch erfolgten Reaktionen und Aktionen von muslimischer und dänischer Seite als einen zusammenhängenden Kommunikationsverlauf (Ricœurs Diskursereignis) versteht – was ist dann der übergeordnete Sinn (Ricoeur: objektiver Sinn) – der „gemeinsame Nenner“ – dieser Kommunikation?

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Page 1: Die Fragestellung

Zeller Meinungsfreiheit und Kommunikationsterror

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Die FragestellungDie dänische Tageszeitung, Jyllands Posten (JP), veröffentlicht am 30. September 2005 unter der Überschrift „Mohammeds Gesicht“ 12 Karikaturen des islamischen Religionsstifters Mohammed. Es ist bekannt, dass es innerhalb des Islam verboten ist, Allah oder Mohammed bildlich darzustellen. In einem Artikel erklärt JPs Kulturredakteur, Flemming Rose, dass er dänische Karikaturisten gebeten hat, Mohammedkarikaturen zu zeichnen, um einen in Dänemark (und anderen westlichen Ländern) um sich greifenden Hang zur Selbstzensur von kritischen Äußerungen gegen den Islam zu stoppen. Die Veröffentlichung der Karikaturen soll daher demonstrieren, dass sich die Zeitung/der Redakteur/die Karikaturisten nicht aus Angst vor gewaltsamen islamistischen Reaktionen – s. z.B. Theo van Gogh - in der Ausübung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit hindern lassen wollen.

Über einen Zeitraum von 5 Monaten, von Oktober 2005 bis Februar 2006, finden zunächst von Vertretern dänischer Muslime, später von Muslimen in aller Welt immer heftigere Protestaktionen gegen die Veröffentlichung der Mohammedkarikaturen statt. Die Aktionen kulminieren im Januar 2006 mit einem Boykott dänischer Waren in Saudiarabien und im Februar mit Demonstrationen und Brandanschlägen gegen die dänische Botschaft in Damaskus, das dänische Konsulat in Beirut. Die Proteste werden von muslimischer Seite damit begründet, dass die Veröffentlichung der Mohammedkarikaturen nur die Spitze des Eisbergs einer in der dänischen Öffentlichkeit verbreiteten generell ausländer- und speziell islamfeindlichen Haltung ist.

Die Frage ist daher: wenn man die Veröffentlichung der Mohammedkarikaturen und die mehrere Monate hindurch erfolgten Reaktionen und Aktionen von muslimischer und dänischer Seite als einen zusammenhängenden Kommunikationsverlauf (Ricœurs Diskursereignis) versteht – was ist dann der übergeordnete Sinn (Ricoeur: objektiver Sinn) – der „gemeinsame Nenner“ – dieser Kommunikation?

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Zeller Meinungsfreiheit und Kommunikationsterror

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Vorgangsweise: „Produktion“

Produktion als epistemologisch-methodologischer Begriff. Kants Synthese, später: Konstruktivismus, Modellierung.

Produktion/Konstruktion als Gegenstück zu Reduktion. ‚Produktion‘ bedeutet eig. ‚Hervorbringung‘ oder ‚Vorführung‘. Eine produktive Erklärung führt vor (macht vor), wie ein Untersuchungsgegenstand zustande kommt und woraus er hervorgeht. Reduktion – Zurückführung – führt einen gegebenen Gegenstand auf andere Gegenstände, aus denen er besteht und hervorgeht zurück. Reduktion von G besagt: G ist nichts anderes als G-1 + G-2 + ... G-n. Reduktion kann nicht emergente (neue) und holistische (Ganzes mehr als Summe der Teile) Phänomene erklären.

Der Begriff ’Sinn’ kann nicht reduktionistisch, sondern kann nur ”produktionistisch”/konstruktivistisch erklärt werden.

Produktion/Konstruktion ist keine subjektivistische, sondern eine subjektivistisch-objektivistische Methodologie. Nähe zur Phänomenologie. Unterschied: Sinn ist nicht nur ein Subjekt-Objekt, sondern ein Subjekt-Objekt-Subjekt. Sinn entsteht in der Interaktion von Subjekten mittels und in Bezug auf Objekte.

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Philosophie als SinngebungRobert Musil: Sinngebung als Aufgabe der Literatur (vgl. Musil 1978). Fiktive und faktische Sinngebung. Philosophie verstehbar als existentielle Sinngebung – Sinngebung unter „Einsatz des eigenen Lebens“. Ethisches Ziel der Philosophie: der Gemeinsinn, der Lebenssinn – so zu leben und handeln, dass die Entfaltung und Entwicklung der eigenen Fähigkeiten (Lebenskräfte) die Entfaltung und Entwicklung anderer Lebensformen und Lebewesen befördert. (

Philosophische Sinngebung resultiert in der Mentalität einer Person oder Gruppe.

Sinn ist ein sowohl kognitives, ästhetisches, praktisch-instrumentelles und ethisches Phänomen. – Phänomen = das, was sich für ein Bewusst-Sein zeigt bzw. erlebbar ist.

Die Mentalität einer Person/Gruppe drückt sich in ihren kognitiven, ästhetischen, praktischen und ethischen Wertmassstäben aus.

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Informationsmetaphysik

Metaphysische Grundlage menschlicher Kommunikation. Komplementarität von Masse, Energie und Information oder – epistemologisch – von Gegenstand, Ereignis und Sinn/Bedeutung.

Die Komplementarität von Medium (Gegenstand), Kommunikation (Ereignis) und Information (Sinn/Bedeutung).

Information als potentieller Sinn des Wirklichen (Informationsquelle, Sender), der durch Übertragung (Wirkung, physische Kommunikation) durch ein physisches Medium (Signal, Zeichen) von einem mediumsensiblen Empfänger empfangen, ”übersetzt” (transduziert) und kognitiv bearbeitet als (bewusster) Sinn realisiert werden kann.

Metaphysik = Metatheorie des Seienden im allgemeinen

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Modell 1

Informationsquelle

Informationsquelle

Informationsquelle

Medium: Umgebungs-licht

Empfänger

Aus: Gibson 1986, 71

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Kommunikationsmilieu: Gibson – biologisches Kommunikationsmilieu

Wahrnehmung, Erfahrung möglich durch informationell strukturierte Umwelt und anatomisch-physiologisch umweltangepasste Organismen. Biologisches Kommunikationsmilieu.

Wahrnehmung durch umweltangepasste, organisch verankerte Wahrnehmungssysteme. Gibsons Beispiel des Wahrnehmungssystems für die Gesichtswahrnehmung.

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Array of ambient light‚Array‘ bedeutet einerseits ‚Zurschaustellung´ (display), anderer-seits ‚geordnete Reihe‘ oder ‚Struktur‘,. ‚Ambient light‘ bedeutet ‚Umgebungslicht‘. Beides zusammen: ‚sichtbare Struktur des Umgebungslichts‘.

Licht fungiert als Informationsträger (Medium), wenn es nicht nur als physische Energie Lichtrezeptoren stimuliert, sondern gleichzeitig auch als strukturierte Zurschaustellung (Sichtbarmachung) der Eigenschaften und Relationen eines leuchtenden oder lichtreflek-tierenden Gegenstands (Informationsquelle) wirkt.

Als optischer Informationsträger bedeutet ‚Umgebungslicht‘, dass wir auf der Erdoberfläche nicht nur Lichtsignale von Lichtquellen, sondern von allen leuchtenden und lichtreflektierenden Dingen in der Umwelt empfangen. Wir befinden und bewegen uns also in einer Lichtumgebung bzw. in einem Sichtmilieu.

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Neurale und ökologische Information – visuelles

PerceptionssystemLaut Gibson ist es das Umgebungslicht und nicht die durch das physische Licht (Energie) hervorgerufenen Nervenimpulse, die die Informationen enthalten/ transportieren, die wir wahrnehmen (vgl. Gibson 2004, 161)

Das visuelle Perzeptionssystem besteht nach Gibson (2004, 78) aus folgenden Organen:

• Linse, Pupille, Vorkammer, Retina

• Auge mit Augenmuskeln in der Augenhöhle Augenbewegung, Stabilisierung

• beide Augen binokulares Sehen

• Augen in einem beweglichen Kopf Auffangen von Umweltinformation

• Augen in beweglichem Kopf und Körper Superorgan zum Aufsammeln von Umweltinformation entlang von Lokomotionspfaden in der Umwelt.

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Soziales Kommunikationsmilieu:Bourdieu: Praxisfeld - Kommunikationsfeld

Habitus, Kapital, Feld – die subjektive, objektive und soziale Form von „Sinnpotentialen“ – d.i. von physisch verankerten Strukturen, die (bestimmte Formen von Sinnbildung ermöglichen). Bourdieus Praxislogik kann als Grundlage einer dynamischen Kommunikationslogik aufgefasst werden.

Habitus – das, was eine Person (sozialer Akteur) aufgrund ihrer Erfahrung, ihres Wissens und praktischen Fähigkeiten verwirklichen kann.

Kapital – durch menschliche Produktion hergestellte Sinn-Gegenstände/Artefakte, die als Mittel zur Realisierung von Absichten/Zielen benutzt werden können (ökonomisches, soziales, kulturelles Kapital).

Feld – System von Relationen zwischen Akteuren (Habitus) und Kapitalien, das die Realisierung bestimmter Sinnbildungsformen ermöglicht (z.B. Gewerbe, Unterricht, Forschung, Kunst, Politik, Gesundheitswesen, Verwaltung).

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PraxislogikEin soziales Praxisfeld kann auch als Regelstruktur zur Produktion und zum Verstehen von Sinn aufgefasst werden. Eine solche Regelstruktur kann man als eine praktische Logik zur ”Ableitung” (Herstellung, Anwendung) von praktischen (vergegenständlichbaren) Sinnformen auffassen.

Ein Feld lässt bestimmte Sinnbildungen bzw. ein bestimmtes Sinnverständnis zu und schließt andere aus. Das hängt von den im Feld vorhandenen Formen von Habitus und Kapital ab.

Praxisfelder sind offene Systeme, in denen neue Formen von Habitus/Kapital (neue Akteure, neue Handlungsmittel) hinzukommen und alte ausscheiden können – und es laufend tun.

Praxisfelder sind daher veränderliche bzw. dynamische Handlungs-Regelsysteme bzw. Handlungs-Logiken.

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Modell 2: Bourdieu, Gibson

HAB KAPHND

Physische Umwelt + Praxisfeld

HabitusRadfahren

können

KapitalSinnobjekt:

Fahrrad

Radfahren Ortsbewegung

K

K

Habitus: Handlungs-kraft

Kapital: Sinnobjekt/ Handlungs-mittel

Umwelt: informationsstrukturiertes System von Objekten und Organismen. Feld: sinn-strukturiertes System von Akteuren (Habitus) und Kapitalformen

Handlung: Realisierung von Sinn durch HAB mithilfe von KAP in einem Sinn-Feld

ERG

Ereignis (ERG): Veränderung in der Umwelt

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KooperationsprinzipGrice

Damit andre verstehen können, was ich mache oder äußere, müssen sie herausfinden können, was ich mit meiner Äußerung will. Was aber soll ein Akteur/Kommunikator (AUT) tun, um seine Intention für seinen Interaktions-/Kommunikationspartner (ADR) verständlich zu machen? Umgekehrt: was soll ein ADR machen, um zu verstehen, was AUT meint, d.h. welche Absicht er/sie mit seiner/ihrer Äußerung/Handlung verbindet?

Grices 1989 a Antwort: die beiden Kommunikations-/Interaktionspartner müssen kooperieren:

Our talk exchanges do not normally consist of a succession of disconnected remarks, and would not be rational if they did. They are characteristically … cooperative efforts; and each participant recognizes in them, to some extent, a common purpose or set of purposes, or at least a mutually accepted direction. (Grice 1989 a, 26)

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Implikatur‚Implikatur‘ ist ein von Grice erfundenes Kunstwort, um den Unterschied zwischen dem konventionellen oder Standardsinn einer Äußerung/ Handlung und ihrem aktuellen Sinn in einer vorliegenden Äußerungs-/ Handlungssituation erfassen zu können.

Beispiel (nach Grice 1989a): A fragt B, wie es einem Bekannten C an seinem neuen Arbeitsplatz in einer Bank geht. B antwortet: „Gut, glaube ich. Er mag seine Kollegen, und ist nach wie vor auf freiem Fuß.“ Der letzte Halbsatz von B ergibt nur Sinn mit dem Rest, wenn man davon ausgeht, dass B etwas andeuten will gegenüber A, das er aus irgendeinem Grund nicht direkt aussprechen möchte. Z.B. dass er sich wundert, dass C, der schon einmal wegen Betrugs gesessen hat, noch keinen Versuch gemacht hat, etwas von dem Geld, mit dem er es in der Bank zu tun hat, in die eigene Tasche fließen zu lassen.

Grice stellt folgende Kommunikationsregeln auf, um nicht nur den in einer Äußerung logisch impliziten, sondern auch den situationslogisch (pragmatisch) implikativen Sinn einer Äußerung/Handlung für den Kommunikations-/Interaktionspartner verständlich zu machen.

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Kommunikationslogik:Grice

Quantität: 1. Mach deinen Kommunikationsbeitrag so informativ, wie es die jeweilige

Absicht des Wortwechsels erfordert. 2. Mach deinen Beitrag nicht mehr informativ als notwendig.

Qualität (generell): versuche deinen Beitrag zu etwas zu machen, das wahr ist. (Spezieller):

1. Sag nichts, was du für falsch hältst.

2. Sag nichts, wofür du keine hinreichende Evidenzgrundlage hast.

Relation: sei relevant.

Modalität (generell): drück dich verständlich aus. (Spezieller):1. Vermeide Unklarheit in deinem Ausdruck.

2. Vermeide Mehrdeutigkeit.

3. Fass dich kurz (vermeide unnötige Ausführlichkeit).

4. Sei ordentlich.

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Kommunikationshermeneutik:Ricoeur

Objektivierung von Sinn: Übergang von Diskursereignis zu Kommunika-tionssinn. Äußerung als Ereignis und als Text – Text als objektiver Sinn. Sprachtext, Schrift und Handlungstext.

Sprechhandlungsmodell: Kommunikator, Kommunikationsmittel, Kommuni-kationsobjekt/-produkt.

Handlung und Geschichte. Hermeneutik der Geschichte(n).

Ricœurs hermeneutische und Bourdieus praktische Logik: eine Logik der Bildung und Veränderung von Sinnkriterien und Wertmassstäben, d.h. von Mentalität.

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4 Dimensionen des Diskurses (Ricoeur 2002, 50-51)

Diskurs (im Ggs. zu Sprache als System*) = Sprachereignis – Rede oder Schrift – Ereignis der Sinngebung. (Sprach)Sinn wird realisiert durch (Sprach)Handlungen.

Diskursdimensionen

Diskursinstanz: Diskurs wird zeitlich und gegenwärtig (= situiert) durch Kommunikationshandlungen realisiert [INS]; kann aber auch aus einer Folge von verschiedenen K-Situationen bestehen SIT = {ins-1, ins-2, ..., ins-n})

Subjekt: im Ggs. zu einem Sprachsystem hat ein Diskurs ein Subjekt (Sprecher, Schreibender, Autor [AUT] – ist dynamisch zu verstehen als Menge von Kommunikationshandlungen von AUT = {aut-1, aut-2, …, aut-n})

Welt: im Ggs. zu Sprache als Zeichenstruktur verweist ein Diskurs auf eine Welt von Gegenständen (Gegenstandsbereich [OBJ = {obj-1, obj-2, …, obj-n} = Menge von Objekten, die die Kommunikationssituation/Welt um AUT und ADR ”bevölkern”])

Kommunikation: im Ggs. zu Sprache als Kommunikationsvoraussetzung hat ein Diskurs einen konkreten Adressaten (Hörer, Leser, Kommunikationspartner [ADR] ist dynamisch zu verstehen als Menge von Kommunikationshandlungen von ADR = {adr-1, adr-2, …, adr-n})

*System von Lauten/Zeichen – Phonetik System von Bedeutungen – Lexikon System von Strukturen - Grammatik

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Dimensionen einer K-Struktur

INS (Kommunikationsinstanz) = (AUT, UWT, ADR, HSTins) – Struktur von Autoren, Adressaten in einer Umwelt mit einer Geschichte; INS kann auch als Menge verschiedener Instanzen aufgefasst werden INS = {ins-1, ins-2, ..., ins-n}

AUT (Autor, Akteur) = (HABaut, MENaut) – Struktur von Fähigkeiten auf einer Mentalitätsgrundlage; AUT kann auch eine Menge versch. Instanzierungen desselben oder eine

Menge versch. Autoren sein; AUT = {aut-1, ..., aut-n}

ADR (Adressat, Mitakteur) = (HABadr, MENadr) – analog zu AUT; auch ADR = {adr-1, ..., adr-n}

HAB (Habitus) = (EMP, RAT, ÄST, HDL, ETH) – Struktur von Fähigkeiten: EMP: Wahrnehmungsfähigkeit, RAT: Denkfähigkeit, ÄST: Sensibilität, HDL: Handlungsfähigkeit, ETH: Verantwortungsbewusstsein; HAB entwickelt/verändert sich in Anpassung an UWT

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Dimensionen einer K-Struktur

MEN (Mentalität) = WERT (EMP, RAT, ÄST, HDL, ETH) – Struktur von Werten in Bezug auf Fähigkeiten; WERT: Vorbild, Schema, Muster, Vorschrift, Norm mentaler Aktivität

UWT (Umwelt, Komm.-Feld, Praxis-Feld) = AUT/ADR(OBJ, KAP, PRÄ, REL, LOK) – Struktur von physischen Objekten (OBJ) und praktischen Handlungsmitteln (KAP) mit best. Eigenschaften (PRÄ), Relationen (REL) und raum-zeitlicher Lokalisierung (LOK) in Bezug auf einen AUT oder ADR; UWT entwickelt/verändert sich in Wechselwirkung zwischen AUT/ADR und OBJ/KAP

HST (Historie) = (INS-1, INS-2, ..., INS-n) – Folge von Kommunikations- bzw. Interaktionsinstanzen

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Kommunikationsinstanz: Sprechhandlungsniveaus und inwieweit sie textlich/bildlich objektivierbar sind

1. lokutionär*: Äußerung eines sinnvollen Satzes (Redehandlung) – ”würdest du die Tür öffnen?”

2. illokutionär**: Realisieren einer bestimmten Handlung (indem wir sprechen) – Aufforderung

3. perlokutionär***: Realisieren von etwas durch eine Handlung (durch unser Sprechen) – bewirken, dass du die Tür öffnest

*veräußerlicht im Satz; der Satz wird zur Aussage (= identischer Satzinhalt, kann schriftlich ausgedrückt werden); ** veräußerlicht durch grammatische Aussagemodi (Indikativ, Imperativ, Konjunktiv) + Körperausdruck (kann nur teilweise schriftlich ausgedrückt werden); ***kann nicht mit grammatischen Mitteln ausgedrückt werden (d.h. kann nicht schriftlich ausgedrückt werden ) – die perlokutionäre Handlung wirkt durch direkten Einfluss auf Gefühle und Stimmungen.

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Objektivierbarkeit von Sinn, Übergang von Sinnbildung zu

Sinnkriterien (Normen)Ricœurs hermeneutische Theorie der Sinnobjektivierung kann zur Erklärung des Übergangs von situativer/m Sinnbildung und Sinnverstehen zu übersituativen, historischen, menschlichen Sinnvorbildern (Normen und Werten – kognitiver, ästhetischer oder praktischer Art; vgl. Gadamers 1990 ”eminente Werke”) – verstanden werden.

Brandom 1994 hat gezeigt, und vor ihm Wittgenstein 1970 (Über Gewissheit), dass das als ein Übergang von der Handlung zur Norm (Handlungsvorbild oder H-Vorschrift) oder von Erfahrung (Wahrnehmung, situativem Sinnverstehen) zur Logik (axiomatischem/regelhaften Sinnverstehen) erklärbar ist.

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Sinnraum: ein soziales Kommunikationsmodell

Autor - (K)-Handlung – Medium – Sinn-Objekt/Produkt – Adressat.

Verständigung, Verständnis als Resultat interaktiver, kommunikativer Reflexion.

Ricoeur/Kant: reflexive Wahrscheinlichkeitslogik der Verständigung.

Peirce: Abduktion von Sinnentwürfen. Reflexivität/Zirkularität von Sinnbegründung.

Sinnraum/Kommunikations-/Praxisfeld

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Reflexivität, Abduktion‚Reflexivität‘ – Bewusstsein von Bewusstsein Selbst-Bewusstsein. Anderer Ausdruck für Verstehenszirkel. Sinn ist ein holistischer Begriff – eine Struktur von Sinnelementen (z.B. Satz, Text, Figur, Bild) bedeutet mehr und anderes als die Summe/Folge/Konfiguration der einzelnen Elemente. Hermeneutischer (Verstehens-)Zirkel: das Detail ist nur verständlich in Verbindung mit dem Ganzen, das ganze ist nur verständlich in Verbindung mit den Details. Verstehen eines Sinnzusammenhangs beruht auf einem Vorverstehen, das sich laufend am wachsendem Sinn-Zusammenhang (Text) bewähren bzw. entsprechend verändert/angepasst werden muss. Das gilt sowohl für diskursive(s), textliche(s) oder bildliche(s) Verständigung/Kommunikation bzw. Verstehen.

Abduktion: Wahrscheinlichkeitsschluss, rationelles Vermuten; eig. logischer Fehl-schluss, der von einer Regel und einem Einzelfall auf eine mögliche/wahrschein-liche Verbindung zwischen Regel und Fall in Form einer Hypotese/Vermutung schliesst:

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Abduktionsbeispiel

Prämisse 1 (Regel): alle dänischen Staatsminister (bisher) sind männlichen Geschlechts und haben blaue Augen.

Prämisse 2 (Fall): mein Bruder, Axel, ist männlichen Geschlechts und hat blaue Augen.

Konklusion (Hypothese): mein Bruder ist dänischer Staatsminister.

Um die Plausibilität/Wahrscheinlichkeit dieses logischen Fehlschlusses zu testen, muss man die Hypothese mit anderen verfügbaren Daten meinen Bruder betreffend in Verbindung setzen. Da mein Bruder öst. Staatsbürger ist, in Wien lebt, kein Wort dänisch spricht und pensioniert ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Konklusion wahr sein könnte, minimal.

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ADRAUT

MDPD

MDPD

PDMD

Modell 3

AUTADR

ADRAUT

MDPD

PDMD

MDPD

PDMD

AUTADR

Sinnraum/Interaktions-/Kommunikationsfeld

K-HD

K-HD

COD/PR

COD/PR

MITT

MITT

SINN 1

SINN 2.1

SINN 2.1.2

SINN 2.1.2.1

Legende:

AUT: Autor, Sender, Sprecher, Schreiber, Zeichner, ... ADR: Empfänger, Hörer, Seher, ... K-HD: Kommunikations-Handlung MITT: Mitteilung MD: Medium PD: Produktionsmittel COD: Codierung PR: Herstellung

Sinnzirkel

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Kommunikation und EthikDer Sinnzirkel ästhetischen, logischen und praktischen Verstehens und der entsprechenden sinnlichen, symbolischen und praktischen Verständigungsformen kommt durch Kooperation von AUT/ADR zustande.

Kant, Wittgenstein, Ricoeur: die praktisch-ethische Realisierung von Sinn als Test ästhetisch-logischer Sinngebung.

Wittgensteins Sprachspiel und Schmidts Kommunikationsspiel. Anwendung: Zellers 1998 Literaturspiel – das Durchspielen (Drama, Broch) – fiktiver (experimenteller) Sinnentwürfe.

Kommunikation/Interaktion: abduktiver Entwurf und praktischer Test von Sinnentwürfen. Sinnentwürfe bewähren sich durch kommunikativ/interaktive „Objektivierbarkeit“ bzw. (historische) Verallgemeinerbarkeit – d.i. als Verwirklichung von vorbildlichem (ethisch haltbarem) Gemeinsinn.

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Visuelle Semiotik: Theorie visueller Sinnbildung

Die Kommunikation mittels ikonischer Zeichen beruht nicht (nur) auf der Ähnlichkeit des Bildes mit dem Abgebildeten. Laut Eco 1976 beruht jede ikonische Abbildung auf einem kulturell erlernten Code.

Bilder haben Sinn innerhalb oder in Bezug auf bestimmte visuelle (und andre, d.i. insgesamt kulturelle) Kommunikationsfelder.

Laut Eco 1976 konstruiert das ikonische Zeichen „ein Modell von Beziehungen (unter graphischen Phänomenen), das dem Modell der Wahrnehmungsbeziehungen homolog ist, das wir beim Erkennen und Erinnern des Gegenstandes konstruieren“ (o.c., 213).

In Kombination mit Gibsons ökologischem Wahrnehmungs- und Bourdieus praxislogischem Sinnbildungsmodell besagt das, dass sowohl das Herstellen wie das Verstehen von Sinn-Bildern sich kulturell erlernter Wahrnehmungs- und Darstellungscodes bedient. Codes sind Sinnbildungsmuster – sowohl in operationeller (Vorschriften!) als auch in figurativer (Vorbilder!) Hinsicht.

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Beispiel

Die nebenstehende Karikatur ist eine der 12 Mohammedkarikaturen von Jyllands Posten 2005. Sie stellt Mohammed mit einer Orange im Turban dar, auf der „PR-Stunt“ steht. Mohammed selbst sieht dem Autor Kåre Bluitgen, der eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Karikaturen spielt, ähnlich. Das Bild von der Orange im Turban stammt aus dem Lustspiel „Aladdin“ des dänischen Romantikers, Adam Oehlenschläger (1779-1850). Aladdin ist hier das Sinnbild eines Glückspilzes, dem alles, was er sich wünscht, mühelos in den Schoss bzw. wie eine Orange in den Turban fällt.

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Beispiel Forts.Der Witz dieser Karikatur ist nur für jemanden verständlich, der in dänischer Kultur, genauer gesagt in dänischer Literaturgeschichte bewandert ist.

Ein pikanter Hintergrund ist, dass die gegenwärtige dänische Regierung seit Jahren daran gearbeitet hat, immer neue Kriterien zur Erlangung der dänischen Staatsbürgerschaft für Zuwanderer und Asylsuchende aufzustellen. Neben Sprachkenntnissen, müssen Ansucher sich auch prüfen lassen, inwieweit sie mit markanten Werken und Ereignissen der dänischen Geschichte und Kultur vertraut sind.

Nicht zuletzt die dänische Rechtsaußen-Partei, Dänische Volkspartei, verlangt immer neue Verschärfungen (dän. ”stramninger”) der Ausländergesetze.

Der konservative Kulturminister, Brian Mikkelsen, hat als flankierende Maßnahme der Rechtsdrehung und Neonationalisierung der dänischen Politik durchgesetzt, dass ein sog. ”Kulturkanon”, d.h. eine Liste mit den wichtigsten dänischen Kulturleistungen aufgestellt worden ist. Dieser Kanon ist verbindlich für den Schulunterricht, durch den u.a. Immigrantenkinder zu dänischen Staatsbürgern mit anderem ethnischen Hintergrund herangebildet werden sollen.

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Semiotische CodesSemiotik, Zeichenlehre, beschäftigt sich mit den verschiedenen Zeichentypen und Formen ihrer kommunikativen Verwendung. Code = (Regel der) Zeichenverwendung.

Laut Peirce 1991 muss jedes Zeichen als eine dreistellige Relation zwischen einem repräsentierenden Zeichen („Repräsentamen“), einem repräsentierten Gegenstand („Objekt“) und einem Zeichen und Gegenstand verbindenden „Interpretanten“ aufgefasst werden. Man kann auch sagen: jedes Zeichen besteht aus einem Gegenstand, der als Zeichen dient, einem anderen Gegenstand, der dadurch bezeichnet wird, und einem Bewusstseinsakt, wodurch das Zeichen mit dem Zeichen verbunden wird.

Daraus kann man schließen: es gibt keine Zeichen „an sich“ bzw. jedes Zeichen bedarf eines interpretierenden – d.i. Zeichen und Bezeichnetes verbindenden – Bewusstseins (Interpretant). Zeichen haben eine Objekt-Subjekt-Objekt Struktur. Zeichen sind also Sinn-Objekte, wobei der Sinn durch den Interpretanten mithilfe eines Codes – einer Zeichen und Bezeichnetes verbindenden Sinn-Regel hergestellt wird.

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Peirces triadische Zeichenrelation, Erstes, Zweites, Drittes

Zeichen

Repräsentamen

etwas = Ding

Erstes

Bezeichnetes

Objekt

etwas = Ding

Zweites

Bewusstsein

Interpretant

jemand = Person

Drittes

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Sinntriade

Peirces Zeichenmodell macht klar, dass ein Gegenstand nur in Relation zu einem anderen Gegenstand (Objekt) und ein Bewusstsein (Interpretant), das diese Relation erfährt oder selbst herstellt, ein Zeichen (Repräsentamen) sein kann.

Aber Gegenstand kann andererseits auch nur in Relation zu einem anderen Gegenstand, der für ein Bewusstsein als Zeichen für diesen Gegenstand dient, als (erkennbares) Objekt für dieses Bewusstein erfasst sein.

Ein organisches Wesen schließlich kann nur als Bewusstsein in Bezug auf ein Objekt fungieren, das für ihn/sie durch einen anderen Gegenstand (Zeichen) erkennbar (sinnvoll!) ist.

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Bildzeichen, Wahrnehmungsmodelle

Eco 1976: „Wenn das ikonische Zeichen mit irgendetwas Eigenschaften gemeinsam hat, dann nicht mit dem [bezeichneten, JZ] Gegenstand, sondern mit dem Wahrnehmungsmodell des Gegenstandes“ (o.c., 213).

Laut Gibson 1986 und Piaget 1973 ist unser Wahrnehmungssystem ein umweltange-passtes Evolutionsresultat und laut Bourdieu 1993 sind unsere Wahrnehmungs- und Denkmodelle praktisch kulturangepasste Geschichtsresultate. Dabei ist ‚Geschichte‘ sowohl persönlich, als auch überindividuell zu verstehen und ‚Evolution‘ sowohl phylogenetisch (Artentwicklung) als auch ontogenetisch (individuelle Reifung und Bildung). Menschen sind also artmäßig mit Wahrnehmungs- und Denkorganen ausgerüstet, die individuell in einer physisch-sozialen Umwelt reifen und altern und deren sinnbildende und sinnverstehende Anwendung persongeschichtlich innerhalb kultureller Milieus erlernt und weiterentwickelt werden.

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Sinnbildung, Bildverstehen

Derselbe Sinn kann in (kulturell) verschiedenen Kommunikationsmilieus verschieden hergestellt bzw. gebildet werden.

Dasselbe (Bild)Zeichen, kann in (kulturell) verschiedenen Kommunika-tionsmilieus verschieden verstanden (rekonstruiert) werden.

Kommunikative Verständigung und kommunikatives Verstehen setzt voraus (K-Logik!), dass sich die Kommunikationspartner, AUT und ADR, nicht nur auf dasselbe Zeichen (Repräsentamen) und Bezeichnete (Objekt), sondern auch auf den jeweils anderen Interpretanten des K-Partners, d.i. auf dessen Wahrnehmungsmodell, Denkmodell, Gefühlsmodell, Handlungsmodell, beziehen.

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Kommunikation als interkultureller Lernprozess

Gadamers 1990 „Horizontverschmelzung“ kann auf dem Hintergrund des obigen Kommunikationsmodells als ethisch motivierter, interkultu-reller Lernprozess verstanden werden. ‚Kultur‘ ist hier breit als jegliche Art sozialen Praxis- und Wertmilieus zu verstehen und umfasst sowohl binnengesellschaftlich wie zwischengesellschaftlich unterscheidbare Sinnbildungs- und Sinnverständigungsmilieus.

Ethisch motivierte Kommunikation setzt die gegenseitige Wertschätz-ung der Sinnbildungsmodelle und Sinn(vor)bilder des Kommunikations-partners voraus. Der Maßstab müssen gegenseitig anerkennbare Grundwerte sein. Formell: Kants kategorischer Imperativ. Praktisch: Realisierung des kommunikativen Sinnzirkels – „gegenseitiges kennen- und verstehen lernen“.

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Kommunikationsmodell als Analyseinstrument

Wie die Grice‘sche Kommunikationslogik zeigt, besteht zwischenmensch-liche Kommunikation nicht nur in der Sendung (Zeichenkonstruktion: Codierung), Mediierung (Zeichenäußerung), Empfang (Zeichenerken-nung) und Bearbeitung (Zeichenrekonstruktion: Decodierung) von Information.

Da Codierung und Decodierung (mehr oder weniger) verschiedenen Kommunikationsmilieus angepasst sind, können Kommunikationspartner nur herausfinden, ob sie mit denselben Informationen dasselbe meinen (denselben Sinn verbinden), indem sie ihr Verständnis der Äußerung des anderen dem anderen wieder kommunikativ zur Verfügung stellen.

Ethisch motivierte – d.h. auf Verständigung und nicht bloß auf Information abgezielte – Kommunikation ist kein Austausch (Aktion-Reaktion) von Information, sondern ein spiralförmig dialektisch-reflexiver Kooperations- und Verständigungsprozess. – Der hermeneutische Zirkel.

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Abbau von Vorurteilen

Verständigung kommt nur zustande in einem dynamischen Kommuni-kationsprozess – z.B. in Form von Wittgenstein-Schmidt-Zellerschen „Kommunikationsspielen“ – in dem die jeweiligen Kommunikations-partner ihr jeweiliges Vor-Verständnis und ihre jeweiligen Vor-Urteile explizit machen (Brandom 1993) und in Hinblick auf deren praktische Folgen exemplarisch „durchspielen“. Dabei versucht sich AUT mit Hinblick auf das von ihm/ihr Geäußerte in die Lage von ADR zu versetzen – d.h. sich auszudenken, was seine/ihre Äußerung praktisch für ADR bedeuten würde. Umgekehrt versucht sich ADR in die Motive und Intentionen von AUT zu versetzen, d.h. sich auszudenken, was AUT mit seiner/ihrer Äußerung bezwecken wollte, wenn es seine/ihre, d.i. ADRs eigene, Äußerung wäre.

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BeispielRothstein & Rothstein 2006 liefern in ihrem Buch über die Mohammedkarikaturen „Die Bombe im Turban“ ein Beispiel dafür, wie sich durch ein Gedankenexperiment Vorurteile abbauen lassen. Um sich in die Gefühlswelt von Muslimen, die sich durch die Mohammedkarikaturen kollektiv beleidigt fühlten, hineinversetzen zu können schlagen sie westlichen Lesern mit ihrem individualistischen Kulturhintergrund vor:

„Angenommen, wir hören jemanden sich negativ über unser eigenes Kind äußern, z.B. seine Kindergartenpädagogen. Die Eltern wollen ihren Jungen aus dem Sonnenblumenraum abholen und hören zufällig das Gespräch von zwei Angestellten in der Küche: ‚Anton ist aber auch wirklich kein sehr liebenswertes Kind! Unschön und ohne Ausstrahlung. Die anderen Kinder mögen ihn auch nicht! Ich kann gut verstehen, dass sie nicht mit ihm spielen wollen. Man hat wirklich wenig Lust sich mit ihm abzugeben, oder?‘ Wie reagieren die Eltern? Sie werden unsicher, unglücklich und skeptisch. Die weinen, fühlen sich ohnmächtig und werden wütend darüber. Sie beklagen sich und geben ihren Jungen in einen anderen Kindergarten. Zusammen mit ihren Freunden sind sie sich einig, dass die Pädagogen ein Haufen unsympathischer Idioten sind, und wenn sie weiter darüber nachdenken, fallen ihnen zahllose Beispiele dafür ein, wie inkompetent und unmöglich sich diese Menschen aufgeführt haben. Dafür hassen sie sie den Rest ihres Lebens.“ (o.c., 64)

So oder ähnlich, kann man sich nach Meinung der Autoren vorstellen, müssen sich Muslime in einem Land fühlen, das ihnen wie die politische Rechte in Dänemark immer wieder von neuem zu verstehen gibt, wie unerwünscht sie in diesem Land sind. Jyllands Postens Aktion zur angeblichen Verteidigung der Meinungsfreiheit erscheint dann nur wie ein Vorwand, um einmal mehr eine schon seit Jahrzehnten (Glistrup: Fortschrittspartei) verächtlichgemachte Minorität anzugreifen.

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Resümee: Kommunikations-Zwickmühle

Dieselben Informationen können in verschiedenen Informationsmilieus ganz verschiedene Bedeutung annehmen: die Mohammedkarikaturen als ein Ausdruck von Meinungsfreiheit – jedenfalls nach Ansicht der politischen Rechten in Dänemark – wird von fundamentalistischen Islamanhängern als Verhöhnung von Muslimen aufgefasst. Auf diese Weise entsteht eine kommunikationstheoretische Zwickmühle – Unterdrückung von Meinungsfreiheit ist schlecht, Verhöhnung von Menschen – gleichgültig aus welchem Grund – ist auch schlecht. Beide Seiten einer Kommunikationskrisen-Situation meinen daher berechtigte Argumente für falsche Ziele zu haben: Die politische Rechte im Westen verteidigt Menschenrechte und demokratische Grundwerte zur Aufrechterhaltung einer inhumanen, fremdenfeindlichen und privatkapitalfreundlichen Politik. Nicht der Mensch, sondern der Erfolg, die Profitmaximierung und private Bereicherung steht hier im Zentrum. Die islamischen Fundamentalisten im Nahen und Fernen Osten, aber auch in westlichen Immigrationsländern verteidigen religiös begründete Moralregeln zur Aufrechterhaltung einer inhumanen, frauenfeindlichen, patriarchalischen und autoritätsfreundlichen Politik. Nicht der einzelne Mensch, sondern die religiöse Autorität bestimmt, was richtig und falsch ist.