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/ Ausgabe 2/2016 / 29 Zeitgeschichte Die geheimen Geschäfte der Stasi in der Schweiz Technologieschieber und Devisenbeschafer im Dienste von Schalck-Golodkowski Staatssekretär Alexander Schalck-Golod- kowski (fotograiert im März 1988), Stasi-Of- izier „im besonderen Einsatz“, war Chef des für die Beschaffung von Devisen und West- waren zuständigen Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im DDR-Außenhan- delsministerium Quelle: BArch, Bild 183- 1988-0317-312 / Fotograin: Eva Brüggmann Die neutrale Schweiz diente dem SED-Regime jahrzehntelang als Dreh- scheibe für umfangreiche Umgehungs- geschäfte. Im Vordergrund standen der Technologietransfer sowie Finanz- und Devisentransaktionen. Weil die Schweiz das internationale Embargo der West- mächte gegen den Ostblock ofiziell nicht mittrug, waren die eidgenös- sischen Exportbestimmungen deutlich weniger streng als in anderen Ländern. Die Schweiz schuf damit die Voraus- setzungen, dass sie für Schwarzhänd- ler zu einem Schluploch im Eisernen Vorhang und zu einem Umschlagplatz von Embargowaren zugunsten der DDR werden konnte. Unter dem Schutz des Bankgeheimnisses wurden zudem Gelder in Millionenhöhe gewaschen und auf Bankkonten versteckt. Ökonomischer Arm der Stasi Federführend bei diesen undurch- sichtigen Geschäftspraktiken war der Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo), der unter der Leitung von Staatssekretär Alexander Schalck-Go- lodkowski (1932–2015) stand. Unter seiner Führung hatte die DDR in den 1960er Jahren dieses verschachtelte Fir- menimperium aufgebaut. Der geheime Wirtschaftsapparat bestand im Jahr des Mauerfalls aus mindestens 160 Handels- gesellschaften, Briefkastenirmen und sonstigen Unternehmen im In- und Aus- land. Die KoKo gehörte ofiziell zum DDR-Ministerium für Außenhandel. Aufgrund seiner speziellen Aufgaben und seiner Sonderstellung innerhalb des DDR-Machtapparates war der Bereich eng mit dem Ministerium für Staatssi- cherheit (MfS) verlochten. Durch die di- rekte Unterstellung ihrer Führungsebene unter Stasi-Chef Erich Mielke war die KoKo faktisch eine Abteilung des MfS, ohne dessen Zustimmung und Kontrolle die geheimen Handels- und Finanzge- schäfte nicht hätten abgewickelt wer- den können. Zahlreiche ofizielle und inofizielle Mitarbeiter des MfS waren zudem in der KoKo beschäftigt. Ko- Ko-Chef Schalck-Golodkowski und sein Stellvertreter Manfred Seidel standen als „Ofiziere im besonderen Einsatz“ (OibE), beide im Rang eines Obersts, auf der Gehaltsliste des MfS. Schweizer Gehilfen der KoKo Die Auswertung von mehreren tausend Seiten Archivmaterial – darunter bislang unveröffentlichte Staatsschutzakten aus dem schweizerischen Bundesarchiv (BAR) in Bern, Akten aus der Stasi-Un- terlagenbehörde in Berlin (BStU) sowie Berichte der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages – förderte neue und teils brisante Erkenntnisse über die Umgehungsgeschäfte der KoKo und der Stasi in der Schweiz zutage. Die Verstrickungen des Schweizer Finanz- und Handelsplatzes mit dem MfS waren demnach viel enger als bislang bekannt. Zu den direkten oder indirekten Gehil- fen der Stasi in der Schweiz gehörten einheimische Unternehmer, Banker, Rechtsanwälte, Treuhänder und sogar Politiker. Auch die Rolle der schweize- rischen Behörden wirft Fragen auf. Denn die von der Stasi gesteuerten Geschäfte blieben dem schweizerischen Staats- schutz keineswegs verborgen, sondern spielten sich viele Jahre unter den Au- gen der schweizerischen Bundespolizei (Bupo) ab. Der „Statthalter“ in der Schweiz Einer der wichtigsten Technologieschie- ber in der Schweiz war Ottokar Her- mann. Seine Person soll im vorliegenden Artikel beispielhaft zur Illustration der Funktionsweise des geheimen Ostblock- handels dienen. Der deutsche Geschäfts- mann war, sinnbildlich gesprochen, Schalck-Golodkowskis Statthalter in der Schweiz. Während drei Jahrzehnten stand der Strohmann im Dienste der KoKo, die ihn mit der Beschaffung hoch- moderner Elektronik, wie beispielsweise Messtechnik und Fertigungsanlagen, beauftragte. Die DDR benötigte die- se Güter für den Aufbau einer eigenen Mikroelektronikindustrie. Hermann, der von den Schweizer Be- hörden als skrupelloser Geschäftsmann und „Weißkragengauner“ beschrieben wurde, stand bereits seit den 1960er Jahren als Lieferant von Embargogütern im Dienste des MfS. Er verfügte über ausgezeichnete Verbindungen bis weit in die Ministerien der DDR hinein und plegte konspirative Kontakte zu den späteren Ministern Gerhard Beil und Jochen Steyer. Hermann, der als Jugend- licher Mitglied der Waffen-SS gewesen war, genoss nicht nur das Vertrauen von Schalck-Golodkowski, sondern stand auch in engem Kontakt mit dessen Stell- vertreter Manfred Seidel, der mehrmals in der Schweiz weilte. IM „Rohloff“ Vom Tessin aus steuerte Ottokar Her- mann, der von der Staatssicherheit in

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/ Ausgabe 2/2016 / 29

Zeitgeschichte

Die geheimen Geschäfte der Stasi in der Schweiz

Technologieschieber und Devisenbeschafer im Dienste von Schalck-Golodkowski

Staatssekretär Alexander Schalck-Golod-kowski (fotograiert im März 1988), Stasi-Of-izier „im besonderen Einsatz“, war Chef des für die Beschaffung von Devisen und West-waren zuständigen Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im DDR-Außenhan-delsministerium Quelle: BArch, Bild 183-1988-0317-312 / Fotograin: Eva Brüggmann

Die neutrale Schweiz diente dem SED-Regime jahrzehntelang als Dreh-scheibe für umfangreiche Umgehungs-geschäfte. Im Vordergrund standen der Technologietransfer sowie Finanz- und Devisentransaktionen. Weil die Schweiz das internationale Embargo der West-mächte gegen den Ostblock ofiziell nicht mittrug, waren die eidgenös-sischen Exportbestimmungen deutlich weniger streng als in anderen Ländern. Die Schweiz schuf damit die Voraus-setzungen, dass sie für Schwarzhänd-ler zu einem Schluploch im Eisernen Vorhang und zu einem Umschlagplatz von Embargowaren zugunsten der DDR werden konnte. Unter dem Schutz des Bankgeheimnisses wurden zudem Gelder in Millionenhöhe gewaschen und auf Bankkonten versteckt.

Ökonomischer Arm der Stasi

Federführend bei diesen undurch-sichtigen Geschäftspraktiken war der Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo), der unter der Leitung von Staatssekretär Alexander Schalck-Go-lodkowski (1932–2015) stand. Unter seiner Führung hatte die DDR in den 1960er Jahren dieses verschachtelte Fir-menimperium aufgebaut. Der geheime Wirtschaftsapparat bestand im Jahr des Mauerfalls aus mindestens 160 Handels-gesellschaften, Briefkastenirmen und sonstigen Unternehmen im In- und Aus-land.

Die KoKo gehörte ofiziell zum DDR-Ministerium für Außenhandel. Aufgrund seiner speziellen Aufgaben und seiner Sonderstellung innerhalb des DDR-Machtapparates war der Bereich eng mit dem Ministerium für Staatssi-cherheit (MfS) verlochten. Durch die di-rekte Unterstellung ihrer Führungsebene unter Stasi-Chef Erich Mielke war die KoKo faktisch eine Abteilung des MfS, ohne dessen Zustimmung und Kontrolle die geheimen Handels- und Finanzge-schäfte nicht hätten abgewickelt wer-den können. Zahlreiche ofizielle und inofizielle Mitarbeiter des MfS waren

zudem in der KoKo beschäftigt. Ko-Ko-Chef Schalck-Golodkowski und sein Stellvertreter Manfred Seidel standen als „Ofiziere im besonderen Einsatz“ (OibE), beide im Rang eines Obersts, auf der Gehaltsliste des MfS.

Schweizer Gehilfen der KoKo

Die Auswertung von mehreren tausend Seiten Archivmaterial – darunter bislang unveröffentlichte Staatsschutzakten aus dem schweizerischen Bundesarchiv (BAR) in Bern, Akten aus der Stasi-Un-terlagenbehörde in Berlin (BStU) sowie Berichte der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages – förderte neue und teils brisante Erkenntnisse über die Umgehungsgeschäfte der KoKo und der Stasi in der Schweiz zutage. Die Verstrickungen des Schweizer Finanz- und Handelsplatzes mit dem MfS waren demnach viel enger als bislang bekannt. Zu den direkten oder indirekten Gehil-

fen der Stasi in der Schweiz gehörten einheimische Unternehmer, Banker, Rechtsanwälte, Treuhänder und sogar Politiker. Auch die Rolle der schweize-rischen Behörden wirft Fragen auf. Denn die von der Stasi gesteuerten Geschäfte blieben dem schweizerischen Staats-schutz keineswegs verborgen, sondern spielten sich viele Jahre unter den Au-gen der schweizerischen Bundespolizei (Bupo) ab.

Der „Statthalter“ in der Schweiz

Einer der wichtigsten Technologieschie-ber in der Schweiz war Ottokar Her-mann. Seine Person soll im vorliegenden Artikel beispielhaft zur Illustration der Funktionsweise des geheimen Ostblock-handels dienen. Der deutsche Geschäfts-mann war, sinnbildlich gesprochen, Schalck-Golodkowskis Statthalter in der Schweiz. Während drei Jahrzehnten stand der Strohmann im Dienste der KoKo, die ihn mit der Beschaffung hoch-moderner Elektronik, wie beispielsweise Messtechnik und Fertigungsanlagen, beauftragte. Die DDR benötigte die-se Güter für den Aufbau einer eigenen Mikroelektronikindustrie.

Hermann, der von den Schweizer Be-hörden als skrupelloser Geschäftsmann und „Weißkragengauner“ beschrieben wurde, stand bereits seit den 1960er Jahren als Lieferant von Embargogütern im Dienste des MfS. Er verfügte über ausgezeichnete Verbindungen bis weit in die Ministerien der DDR hinein und plegte konspirative Kontakte zu den späteren Ministern Gerhard Beil und Jochen Steyer. Hermann, der als Jugend-licher Mitglied der Waffen-SS gewesen war, genoss nicht nur das Vertrauen von Schalck-Golodkowski, sondern stand auch in engem Kontakt mit dessen Stell-vertreter Manfred Seidel, der mehrmals in der Schweiz weilte.

IM „Rohloff“

Vom Tessin aus steuerte Ottokar Her-mann, der von der Staatssicherheit in

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Die geheimen Geschäfte der Stasi in der Schweiz

IM „Martin“, alias Günther Forgber, war einer der wichtigsten Embargohändler und Devi-senbeschaffer der DDR. Quelle: BAR, E4320C#1995/261#213*, Az. 14/168, Verdächtige Agenten/FORGBER Günther, 10.01.1928 / (135:0)14/168, 1967–1990

einer IM-Vorlaufakte (IM = Inofizieller Mitarbeiter) unter dem Decknamen „Rohloff“ geführt wurde, ein internati-onales Netz von DDR-Tarnirmen, das eigens für die Beschaffung von Devisen und Hochtechnologie sowie zur Geld-wäsche geknüpft wurde. Mit seiner Hil-fe wurde das Tessin zu einer der wich-tigsten Außenhandelsstellen der DDR im westlichen Europa.

Im Zentrum des von Hermann kon-trollierten Firmengelechts standen die Firmen Beisa S.A. und Intrac S.A., bei-de mit Sitz in Lugano. Der stellvertre-tende KoKo-Chef Manfred Seidel war an den Gesellschaften zu großen Teilen beteiligt. Die Intrac und ihre West-Ber-liner Tochtergesellschaften waren in die Beschaffung von Embargogütern, na-mentlich von Hightech-Geräten, und in die Finanzierung solcher Umgehungs-geschäfte direkt eingebunden. Die Beisa und ihre Tochterirmen wurden dagegen zur Erwirtschaftung von Devisen einge-setzt.

Wie wichtig die Intrac als Drehschei-be für den Außenhandel der DDR war, lässt die folgende Zahl erahnen: Nach Schätzungen der schweizerischen Bun-despolizei belief sich der Jahresumsatz der Intrac Ende der 1970er Jahre auf 400 Millionen (Schweizer) Franken.1

Geldwäsche und schwarze Kassen

Die Devisenerwirtschaftung lief im We-sentlichen nach folgendem Schema ab: Westliche Unternehmen, die mit der DDR Handel treiben wollten, waren gezwungen, als Provisionen getarnte Schmiergelder an SED-Parteiirmen mit Sitz in Westdeutschland zu bezahlen. Die Firmen leiteten dann die Gelder un-ter Umgehung des westdeutschen Fis-kus in die Schweiz, wo sie auf Geheim-konten deponiert oder nach Ost-Berlin geschleust wurden.

Das Zollfahndungsamt von West-Ber-lin beschuldigte Hermann, als verant-wortlicher Geschäftsführer der Firma Chemo-Plast zwischen 1969 und 1973 „fortgesetzt schwerwiegende Zuwiderhand-

lungen im deutschen Außenwirtschaft- und

Kapitalverkehr und im innerdeutschen Wa-

ren- und Zahlungsverkehr“ begangen zu haben. Der Bericht des Zollfahndungs-amtes von 1976 zeigt exemplarisch die vielfältigen Tricks, denen sich Hermann im West-Ost-Handel bediente, auf. Dazu

gehörten unerlaubte Dreiecksgeschäfte, ungemeldete Devisenzahlungen, unge-nehmigte Transithandelsgeschäfte sowie nicht gemeldete Provisionszahlungen aus dem Ausland. Die Hermann zur Last gelegte Deliktsumme betrug fast 30 Millionen DM.2

Illegale Parteieninanzierung

Die von der KoKo erwirtschafteten De-visen dienten nicht nur zur Beschaffung von Westwaren, sondern auch zur Fi-nanzierung der westdeutschen Kom-munistischen Partei (DKP). Die SED unterstützte die DKP jährlich mit 60 bis 70 Millionen DM (West-Mark). Eine zentrale Rolle in der illegalen Parteien-inanzierung spielte die von Ottokar Hermann 1969 gegründete und von ihm kontrollierte West-Berliner Firma Che-mo-Plast, die er später unter das Dach der Tessiner Briefkastenirma Rexim stellte. Mit einem jährlichen Umsatz von 400 Millionen DM zählte Chemo-Plast mit Abstand zu den inanz- und umsatz-stärksten Handelsirmen innerhalb der KoKo. Die Gewinne der Chemo-Plast und anderer westdeutscher Parteiir-men, die unter dem Dach der Rexim fungierten, lossen zur Tessiner Mutter-gesellschaft und von dort direkt nach

Ost-Berlin. Über die Tarnirma Rexim wurde die Hauptmasse der Finanzie-rungsgelder zugunsten der DKP abge-wickelt, analysierte die schweizerische Bundespolizei bereits im Jahr 1975.

Die Gewinne der Beisa-Firmengrup-pe lossen separat auf das sogenannte Mielke-Konto. Die Verwendung der da-rauf geparkten Gelder verantwortete der Chef des MfS selbst. Nach seinen Vorga-ben wurden die Gelder im Wesentlichen zur Finanzierung von Stasi-Operationen und zur Versorgung der Nomenklatura mit Westwaren verwendet.

Millionen an Schwarzgeld lossen so, das heißt an den westdeutschen Fi-nanzbehörden vorbei, über die Schweiz in die DDR und somit in die Kassen der SED und des MfS. Verdeckte Ge-winnausschüttung und Steuerhinterzie-hung unter Verletzung steuerrechtlicher Vorschriften der Bundesrepublik waren gängige Praxis im KoKo-System. Aus Sicht der Bundesrepublik waren solche Geschäfte illegal, weil sie gegen das Militärregierungsgesetz Nr. 53 (MRG 53), das die wirtschaftliche Tätigkeit der DDR einer Genehmigungsplicht unter-stellte, verstießen. Das MRG 53 stellte Devisenzahlungen, die ohne Genehmi-gung der zuständigen bundesdeutschen Behörden an Unternehmen der DDR erfolgten, unter Strafe. Auch die Grün-dung und Führung einer aus der DDR heraus betriebenen Firma in der Bundes-republik war genehmigungsplichtig.

Stasi-Residentur in Lugano

Ottokar Hermanns Intrac S.A. diente nicht nur zur Tarnung der West-Ost-Schiebereien. Der Firmen-standort in Lugano war zugleich eine Art Residentur des MfS, wo sich Sta-si-Ofiziere und Reisekader der Au-ßenhandelsabteilungen der DDR die Klinke in die Hand gaben. Obwohl die schweizerische Bundespolizei über Na-men von Stasi-Agenten, die mit der In-trac in Kontakt standen, verfügte und über die dubiosen Aktivitäten der Firma spätestens seit Ende der 1960er Jahre de-tailliert im Bilde war, erteilte die Schwei-zer Botschaft in Ost-Berlin bis in die späten 1980er Jahre weiterhin großzügig Einreisebewilligungen an ostdeutsche Geschäftspartner der Intrac, darunter hochrangige Stasi- und KoKo-Mitarbei-ter. Diese konnten so legal in die Schweiz

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Zeitgeschichte

einreisen, um hier unbehelligt ihren Ak-tivitäten nachzugehen. Die häuigen Besuche deuten darauf hin, dass sich die DDR-Kader in der Schweiz sicher fühlten und dort keinerlei Repressalien befürchteten.

So hielt sich beispielsweise Günther Forgber, ein wichtiger Kontaktmann Ottokar Hermanns, in den 1970er und 1980er Jahren, oft begleitet von seiner Frau, regelmäßig in der Schweiz auf. Der langjährige Stasi-IM war damals einer der wichtigsten Embargohändler und Devisenbeschaffer der DDR. Der schwei-zerischen Bundespolizei war Forgbers geheimdienstlicher Hintergrund bereits Ende der 1960er Jahre bekannt gewor-den. Trotzdem durfte Forgber, alias IM „Martin“, jahrelang problemlos ein- und ausreisen: Die Schweizer Botschaft in Ost-Berlin stellte dem Stasi-Agenten seit den frühen 1970er Jahren und bis zum Ende der DDR Dauervisa aus.3

Was die Geheimdienste wussten

Wie Staatsschutzakten aus dem schwei-zerischen Bundesarchiv belegen, stand Ottokar Hermann viele Jahre lang un-ter Beobachtung der für die Spiona-geabwehr zuständigen schweizerischen Bundespolizei.4 Diese hatte demnach früh Kenntnis von seinen geheimen Ge-schäften: Die ersten Einträge in die Per-sonenkarteikarte (Fiche) Hermanns er-folgten bereits 1969. Damals lagen dem schweizerischen Staatsschutz erstmals Hinweise über die geheime Unterstüt-zung der DKP durch die von Hermann kontrollierten Tarnirmen Rexim be-ziehungsweise Chemo-Plast vor. Der Bundespolizei wurden seinerzeit die umfangreichen Berichte des bundes-deutschen Verfassungsschutzes von 1976 und 1983 über deutsche und schweize-rische kommunistische Wirtschaftsun-ternehmen, darunter die von Hermann

kontrollierten Firmen, zugespielt. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) war nicht ahnungslos. Das ganze Aus-maß von Hermanns Schiebereien wur-de spätestens nach dem Überlaufen des Doppelagenten Horst Schuster, der 1983 in den Westen gelohen war, bekannt. Trotzdem konnte Hermann seinen Ge-schäften weiterhin ungestört nachgehen. Noch im März 1988 warnte der BND die Bundesregierung zum wiederhol-ten Male vor den „Aktivitäten der Firma

Intrac beim illegalen Technologietransfer“ und namentlich vor Hermann, der, so die Erkenntnisse des BND, „seit vielen

Jahren einschlägig als Technologie-Beschaf-

fer bekannt ist“.5 Hermann, der mit diesen geheimen

Umgehungsgeschäften ein Vermögen machte, wurde nach 1990 vorgeworfen, sich in großem Stil an DDR-Vermögen bereichert zu haben. Trotz schwerer Vor-würfe und zahlreicher Indizien konn-

Im Visier der schweizerischen Spionageabwehr: Der Eintrag in der Staatsschutz-Karteikarte vom 17. Oktober 1979 legt nahe, dass die schweizerische Bundespo-lizei über Hermanns Stasi-Verbindungen und dessen Verwicklungen in Geschäfte mit Embargowaren informiert war. Quelle: BAR, E4320-01C#1996/203#219*, Az. 112-01, Fiche Ottokar Anton Vincenz Hermann, 1969-1989

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Die geheimen Geschäfte der Stasi in der Schweiz

1 Vgl. BAR, E4320C#1995/261#618*, Allgemein verd. Wahrnehmungen/Firma Intrac S.A., 1969–1981, Erkenntnisse aus Telefonkontrolle zu Ottokar Hermann und Intrac S.A., 30.10.1979.2 Vgl. ebd., Schlussbericht des Zollfahndungsamtes Berlin, 23.1.1976.3 Vgl. BAR, E4320C#1995/261#213*, Verdächtige Agenten/FORGBER Günther, 1967–1990.4 Vgl. BAR, E4320-01C#1996/203#219*, Staatsschutziche Ottokar Hermann, 1969–1989.5 BND-Meldung TWI, 22.3.1988, MAT A 16, Anlage 3, S. 348 f.; zit. n.: Abweichender Bericht von Ingrid Köppe, Berichterstatterin der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen im 1. Untersuchungsausschuss des 12. Deutschen Bundestages zum Bereich Kommerzielle Koordinierung und Alexander Schalck-Golodkowski, dort S. 137.

Quellennachweise / Anmerkungen

Gedruckte und ungedruckte Quellen (zusammenfassende Auswahl)

– Staatsschutzakten aus dem Schweizerischen Bundesarchiv (BAR, E4320): Personen- karteikarten (Fichen), Personen- und Sachdossiers – MfS-Akten des BStU (HA XVIII, AG BKK)– Berichte des 1. Untersuchungsausschusses des 12. Deutschen Bundestages zum Bereich Kommerzielle Koordinierung und Alexander Schalck-Golodkowski („Werkzeuge des SED-Regimes“) (Drucksachen 12/3462, 12/3920, 12/4500, 12/4832, 12/4970, 12/7600, 12/7650, 12/8595)– Zweiter Zwischenbericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR (Bundestags-Druck- sache 12/6515)– Bericht des 2. Untersuchungsausschusses „Treuhandanstalt“ des 12. Deutschen Bundestages (Drucksache 12/8404)– Abweichender Bericht von Ingrid Köppe, Berichterstatterin der Gruppe Bündnis 90/ Die Grünen im 1. Untersuchungsausschuss des 12. Deutschen Bundestages zum Bereich Kommerzielle Koordinierung und Alexander Schalck-Golodkowski (<http://stasi.derwesten.de/iles/koeppe-bericht_ht.pdf>, abgerufen am 21.2.2014, Link nicht mehr gültig)– Bericht des 2. Untersuchungsausschusses des 13. Deutschen Bundestages (DDR-Vermögen) (Drucksache 13/10900)– Berichte der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR über das Vermögen der SED (Bundestags-Drucksachen 13/11353, 15/1777, 16/2466)

Literaturhinweis:

Ricardo Tarli: Operationsgebiet

Schweiz. Die dunklen Geschäfte der

Stasi, Zürich: orell füssli Verlag 2015,

256 Seiten, ISBN 978-3-280-05554-0;

26,95 Euro.

te der Schwarzhändler, der Mitte der 1980er Jahre einen Schweizer Pass er-hielt, nie juristisch zur Verantwortung gezogen werden.

Im Visier der Schweizer Behörden

DDR-Außenhändler, Stasi-Agenten und DDR-Strohmänner in der Schweiz stan-den seit Ende der 1960er Jahre im Visier der schweizerischen Bundespolizei. Dennoch blieben sie meist unbehelligt –obwohl die Umgehungsgeschäfte, die jahrzehntelang und im großen Stil über die Schweiz abgewickelt wurden, zu schweren wirtschaftspolitischen Ver-stimmungen mit den USA führten.

Die Repräsentanten des DDR-Regimes sowie deren Schweizer Geschäftspartner und Hintermänner konnten, so gewinnt man den Eindruck, ihren Aktivitäten in der Schweiz offenbar ungestört nach-gehen. Dabei irritiert die Passivität der Schweizer Behörden, weil sie überhaupt nicht zum ofiziellen Selbstbild der Schweiz im Kalten Krieg passt: Die Bun-despolizei verstand sich als Bollwerk ge-gen eine vermeintliche kommunistische Unterwanderung der Schweiz, woraus

sie die Legitimität für die Bespitzelung hunderttausender Schweizer Bürger schöpfte. Es wäre höchst interessant und dringend geboten zu untersuchen, welche Motive dem Gewährenlassen zu-grunde lagen.

Aufarbeitung tut Not

Die Schweiz hat eine gründliche Aus-einandersetzung mit diesem wenig rühmlichen Kapitel ihrer jüngeren Geschichte bislang vermieden. Die historische Aufarbeitung der DDR-Aus-landsspionage in der Schweiz und der Verstrickungen des Finanzplatzes mit dem Honecker-Regime ist zwar mehr-mals Gegenstand parlamentarischer Vorstöße gewesen, die jedoch ausnahms-los versandeten oder abgelehnt wurden. Obwohl die Schweizer Landesregierung 1992 ihre Bereitschaft signalisierte, Auf-klärung über die wirtschaftskriminellen Machenschaften der KoKo bzw. des MfS in der Schweiz zu leisten, ist eine umfas-sende Untersuchung bislang ausgeblie-ben.

Ricardo TarliJournalist, Berlin

Die Schweizer Botschaft in Ost-Berlin (foto-graiert im März 1973) stellte Stasi-Agenten wie Günther Forgber (IM „Martin“) jahrzehn-telang Dauervisa aus. Quelle: BArch, Bild 183-M0322-344 / Fotograf: Peter Koard