die stasi - kein staat im staate - kas.de · pdf file1953 bereits mehr personal als die...

9
These 12 Die Staatssicherheit war kein Staat im Staate. Das MfS verstand sich selbst als „Schild und Schwert der Partei“. Verantwortlich für den Unrechtsstaat und Totalitarismus in der DDR war die SED mit ihren Führern an der Spitze, die die DDR selbst als „Diktatur des Proletariats“ und nicht als demokratisches Gemeinwesen bezeichneten. Die SED hat im Dezember 1989 die Chance nicht genutzt, mit ihrer Vergangenheit zu brechen – sie hat sich nur um- benannt und lebt in der Erblast der Diktatur weiter. —·—·— Die Stasi – Kein Staat im Staate Hubertus Knabe Zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR sind wir immer noch mit den Erblasten der SED-Diktatur konfrontiert. Vor allem das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), wie sich die Geheimpolizei in der DDR großspurig nannte, be- schäftigt uns bis heute. Nicht nur im Sport machen ehema- lige DDR-Trainer von sich reden, die dem MfS als Spitzel dienten und ihren Schutzbefohlenen gesundheitsgefähr- dende Dopingmittel verabreichten. Auch in ostdeutschen Parlamenten und im Bundestag sitzen – freilich aus- schließlich in den Fraktionen der Linken – etliche frühere Stasi-Mitarbeiter. Selbst in Westdeutschland kommt es bis in unsere Tage zu spektakulären Enthüllungen – etwa wenn der Polizist, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss und das Fanal für die Radikalisierung der Studen- tenbewegung gab, sich plötzlich als Spitzenagent des DDR- Staatssicherheitsdienstes entpuppte. 133

Upload: hoangdan

Post on 06-Feb-2018

217 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

Page 1: Die Stasi - Kein Staat im Staate - kas.de · PDF file1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im Deutschen Reich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten,

These 12Die Staatssicherheit war kein Staat im Staate. Das MfSverstand sich selbst als „Schild und Schwert der Partei“.Verantwortlich für den Unrechtsstaat und Totalitarismusin der DDR war die SED mit ihren Führern an der Spitze,die die DDR selbst als „Diktatur des Proletariats“ undnicht als demokratisches Gemeinwesen bezeichneten.Die SED hat im Dezember 1989 die Chance nicht genutzt,mit ihrer Vergangenheit zu brechen – sie hat sich nur um-benannt und lebt in der Erblast der Diktatur weiter.

— · — · —

Die Stasi – Kein Staat im Staate

Hubertus Knabe

Zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR sind wir immernoch mit den Erblasten der SED-Diktatur konfrontiert.Vor allem das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), wiesich die Geheimpolizei in der DDR großspurig nannte, be-schäftigt uns bis heute. Nicht nur im Sport machen ehema-lige DDR-Trainer von sich reden, die dem MfS als Spitzeldienten und ihren Schutzbefohlenen gesundheitsgefähr-dende Dopingmittel verabreichten. Auch in ostdeutschenParlamenten und im Bundestag sitzen – freilich aus-schließlich in den Fraktionen der Linken – etliche frühereStasi-Mitarbeiter. Selbst in Westdeutschland kommt es bisin unsere Tage zu spektakulären Enthüllungen – etwawenn der Polizist, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorgerschoss und das Fanal für die Radikalisierung der Studen-tenbewegung gab, sich plötzlich als Spitzenagent des DDR-Staatssicherheitsdienstes entpuppte.

133

Page 2: Die Stasi - Kein Staat im Staate - kas.de · PDF file1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im Deutschen Reich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten,

Die Stasi, wie der Volksmund in der DDR das MfSebenso angstvoll wie verächtlich nannte, war in der Tatnicht irgendein Geheimdienst. Auch bei der Errichtungdes kommunistischen Überwachungsstaates legten dieDeutschen einen besonderen Perfektionismus an den Tag.Mit 10.000 hauptamtlichen Mitarbeitern hatte das MfS1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im DeutschenReich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten, so dass am Ende über 91.000 Mitarbeiter einGebiet mit der Einwohnerzahl von Nordrhein-Westfalenbewachten. Damit übertraf man sogar die Sowjetunion,wo statistisch auf einen KGB-Mitarbeiter 595 Bürger ka-men, während in der DDR ein Stasi-Mitarbeiter für ganze180 Menschen zuständig war.

Das MfS besaß dabei eine nur in totalitären Staaten mög-liche Machtfülle: Es war nicht nur Inlands- und Auslands-nachrichtendienst in einem (in der Bundesrepublik sindbeide Aufgabenbereiche voneinander getrennt), sondernhatte auch Befugnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft.So konnte es Telefone abhören, Briefe abfangen, geheime In-formanten einsetzen, Festnahmen vornehmen, Ermittlungs-verfahren durchführen und die Beschuldigten in eigenen Un-tersuchungsgefängnissen vernehmen. Durch offizielle undinoffizielle Verbindungen hatte es zudem Zugriff auf allestaatlichen Institutionen, vom Gesundheitswesen über dieSparkassen bis zu den sogenannten volkseigenen Betrieben.Eine parlamentarische Kontrolle seiner Arbeit gab es ebensowenig wie die Möglichkeit, ein Verwaltungsgericht gegenseine Maßnahmen in Anspruch zu nehmen.

„Hauptwaffe des MfS“ – wie es der Minister für Staats-sicherheit Erich Mielke auszudrücken pflegte – waren dieInoffiziellen Mitarbeiter (IM). Trotz wachsender technischerMöglichkeiten galten die geheimen Informanten als wich-tigste und zuverlässigste Quelle der Überwachung. Expertenan der Juristischen Hochschule des Staatssicherheitsdiens-

134

Hubertus Knabe

Page 3: Die Stasi - Kein Staat im Staate - kas.de · PDF file1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im Deutschen Reich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten,

tes in Potsdam beschäftigten sich jahrzehntelang mit derFrage, wie man Menschen am besten zur Denunziation be-wegen kann. Dutzende MfS-Mitarbeiter schrieben darüberihre Diplom- und Doktorarbeiten, die Quintessenz fand inumfangreichen Richtlinien ihren Niederschlag. Auch beiden Ausmaßen des Spitzelnetzes übertraf der DDR-Staats-sicherheitsdienst alles vorher Dagewesene und hatte 1989mehr als 180.000 IM im Einsatz. Die Kreisdienststelle imbeschaulichen Jena besaß viermal so viele Informanten wiedie Gestapo in der Großstadt Frankfurt am Main.

Neben den Informanten bediente sich das MfS einer – inder DDR offiziell verbotenen – flächendeckenden Kontrolledes Post- und Telefonverkehrs. Mit speziellen Maschinenöffnete es täglich 90.000 Briefe und kontrollierte deren In-halt. Allein in Ostberlin hörten über 400 Mitarbeiter inzwanzig Abhörstudios rund 20.000 Telefonanschlüsse ab.Besondere Ereignisse wie die jährlichen Kundgebungenzum 1. Mai wurden stets mit einem Großaufgebot vonSicherheitskräften kontrolliert. Beim DDR-Besuch vonBundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 1981 kamen zumBeispiel über 33.000 Mann zum Einsatz, die sogar die Pas-santen vor dem Dom in Güstrow zu mimen hatten. Dawundert es nicht, dass der Etat des MfS fast jedes Jahr ummehr als hundert Millionen Mark auf 1989 mehr als vierMilliarden Mark wuchs, obwohl die DDR damals kurz vorder Zahlungsunfähigkeit stand.

Aufgabe des MfS war es, die Diktatur der SED zu schüt-zen. Zu diesem Zweck wollte es möglichst über jeden Bür-ger wissen, wie dieser dachte und ob man sich politisch aufihn verlassen könnte. Aus dem Netz der Informanten undder Kontrolle von Briefen und Telefongesprächen bekamdas MfS ständig entsprechende Hinweise. Zudem führte essogenannte Sicherheitsüberprüfungen durch, die vor allemPersonen mit Leitungsaufgaben betrafen. Die Hauptfrage,so betonte Mielke immer wieder, lautete: „Wer ist Wer“.

135

Die Stasi – Kein Staat im Staate

Page 4: Die Stasi - Kein Staat im Staate - kas.de · PDF file1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im Deutschen Reich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten,

Hatte sich eine Person verdächtig gemacht, legte derStaatssicherheitsdienst Ausgangsmaterial an, das, wennsich der Verdacht erhärtete, in eine Operative Personen-kontrolle (OPK) oder einen Operativvorgang (OV) überführtwurde. Das bedeutete, dass ein MfS-Offizier den Betroffe-nen nach einem schriftlichen Maßnahmeplan systema-tisch ausforschen ließ. In der Regel wurden dazu in den Be-trieben oder Wohngebieten Vertrauensleute befragt sowieder Post- und Telefonverkehr überwacht; fast immer ka-men IM zum Einsatz. Während bei der OPK die vorbeu-gende Überwachung im Vordergrund stand und sie manch-mal auch in die Anwerbung einer Person münden konnte,ging man beim OV vom Verdacht einer „Straftat“ aus.Ohne dass der Betroffene davon wusste, führte das MfS ge-heimdienstliche Ermittlungen gegen ihn – zum Beispielwegen Landesverrats oder staatsfeindlicher Hetze.

Entsprechend Mielkes Vorgabe, gegen Bedrohungen derSED-Herrschaft möglichst „vorbeugend“ vorzugehen, griffdas MfS häufig bereits im Planungsstadium zu – etwawenn jemand lediglich vorhatte, die DDR illegal zu verlas-sen. Greifkommandos der Hauptabteilung VIII verhaftetenihn dann und brachten ihn in eine der siebzehn Unter-suchungshaftanstalten des MfS. Das „Untersuchungs-organ“ des MfS leitete sodann ein förmliches Ermittlungs-verfahren ein und der sogenannte Untersuchungsführerversuchte, den Beschuldigten in monatelangen Verhörenunter strikter Isolation und ohne anwaltlichen Beistand zueinem Schuldeingeständnis zu bewegen. Auf diese Weisesollten die vorhandenen Erkenntnisse des MfS „offiziali-siert“ werden, ohne dass die geheimen Methoden der Infor-mationsbeschaffung bekannt wurden.

War dieses Ziel erreicht, konnte der Beschuldigte vorGericht gestellt werden. Das MfS fertigte dazu einen Ab-schlussbericht, der die Grundlage für die Anklageschriftbildete. Meist legte es auch das Strafmaß fest, das von der

136

Hubertus Knabe

Page 5: Die Stasi - Kein Staat im Staate - kas.de · PDF file1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im Deutschen Reich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten,

gleichgeschalteten DDR-Justiz nur noch exekutiert wurde.Insgesamt kamen in der DDR auf diese Weise mehr als200.000 Menschen aus politischen Gründen ins Gefängnis.Eine wachsende Zahl von ihnen wurde nach einiger Zeit andie Bundesrepublik verkauft. Im Rahmen des sogenanntenHäftlingsfreikaufs kassierte die DDR rund 3,5 MilliardenDM für knapp 34.000 Gefangene.

Aus Imagegründen bemühte sich die SED in den 1970erund 1980er Jahren, die Verhaftung prominenter Kritikermöglichst zu vermeiden. Der MfS-Richtlinie 1/76 zufolgesollten sie stattdessen mit sogenannten Zersetzungsmaß-nahmen „zersplittert, gelähmt, desorganisiert und isoliert“werden. Die Liste der dafür vorgesehenen Maßnahmenreichte von der systematischen Diskreditierung des öffent-lichen Rufes über die gezielte Organisierung beruflicherMisserfolge bis zur künstlichen Erzeugung von Misstrauenund gegenseitigen Verdächtigungen. IM verbreiteten zudiesem Zweck gezielt Gerüchte oder schürten Konflikte.Auch über Vorgesetzte, Lehrer, Polizisten, Ärzte etc. wur-den die Betroffenen heimlich unter Druck gesetzt und be-einflusst. Mit anonymen Briefen oder kompromittierendenFotos versuchte das MfS sogar Familien- und Freund-schaftsbeziehungen zu zerstören – eine „leise Form desTerrors“, wie der Schriftsteller Jürgen Fuchs den staatlichorganisierten Psychoterror nannte.

Für den Fall innerer Spannungen sollte das MfS auf zen-tralen Befehl etwa 11.000 als „feindlich“ eingestufte Bürgervorsorglich in Isolierungslager einliefern. Zum Einsatz beiUnruhen und zur Sicherung der Machtzentralen stand eineigenes „Wachregiment“ mit 11.000 Bewaffneten bereit.Mit über 125.000 Pistolen und 77.000 Maschinenpistolenverfügte der Staatssicherheitsdienst über ein Waffenarse-nal, das seine friedliche Auflösung 1989/90 immer nochwie ein Wunder erscheinen lässt.

Anders als es dem einfachen Bürger erscheinen mochte,

137

Die Stasi – Kein Staat im Staate

Page 6: Die Stasi - Kein Staat im Staate - kas.de · PDF file1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im Deutschen Reich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten,

war das MfS dennoch kein Staat im Staate. Seine Anweisun-gen erhielt es vielmehr von der SED, als deren „Schild undSchwert“ es sich stets verstand. Obwohl das MfS formalzur DDR-Regierung gehörte, hatte es laut seinem geheimenStatut zuerst den Direktiven des Politbüros zu folgen.

Wer in der DDR die Macht ausübte, stellte die 1968 inKraft getretene Verfassung gleich im ersten Artikel klar:Die DDR, hieß es da, ist „die politische Organisation derWerktätigen unter der Führung der Arbeiterklasse und ih-rer marxistisch-leninistischen Partei“. In der DDR hattendeshalb weder das Parlament noch die Regierung etwas zusagen. Alle wichtigen Entscheidungen wurden vielmehrvon der SED und ihrer Führungsspitze, dem Politbüro, ge-troffen.

Die Diktatur der SED – und nicht des Proletariats, wiedie Propaganda behauptete – war nahezu allumfassend. Je-des Gesetz musste, bevor es der DDR-Volkskammer vor-gelegt wurde, zuvor vom Politbüro genehmigt werden. Die-ses leitete auch die gesamte Regierungsarbeit und denStaatsapparat an. Als Herr über die verstaatlichte Wirt-schaft entschied es zudem über den Großteil der wirt-schaftlichen Belange. Alle wichtigen Positionen im Landedurften nur mit Zustimmung der SED durch sogenannteNomenklaturkader besetzt werden. Zudem existierte in al-len DDR-Institutionen zur Durchsetzung und Kontrolleder SED-Herrschaft eine Parallelstruktur aus Parteileitun-gen und Parteisekretären. Die persönliche Macht des SED-Generalsekretärs ging soweit, dass er sogar über die Ver-hängung von Todesurteilen entscheiden konnte.

Auch die Aufgaben des MfS wurden demgemäß – wie al-les in der DDR – in Plänen festgelegt, die das Zentralko-mitee (ZK) der SED beschloss. Diese bildeten den Rahmenfür die zentralen Planvorgaben, die Erich Mielke jedes Jahrfür das Ministerium erließ. Angeleitet und beaufsichtigtwurde dessen Arbeit von der Abteilung Sicherheit des ZK,

138

Hubertus Knabe

Page 7: Die Stasi - Kein Staat im Staate - kas.de · PDF file1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im Deutschen Reich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten,

die jahrelang den späteren SED-Generalsekretären ErichHonecker und Egon Krenz unterstand. Auch innerhalb desMfS gab es eine SED-Parteiorganisation, die die politischeKontrolle ausüben sollte.

In der Praxis war es allerdings der SED-Chef selbst, derdie Grundlinien der Sicherheitspolitik bestimmte undauch in Einzelfragen – zum Beispiel bei der Verhaftung pro-minenter Dissidenten – dem MfS Anweisungen erteilte.Während in den 1950er Jahren das Politbüro über Festnah-men und sogar Todesurteile entschied, bildete sich in den1970er Jahren die Praxis heraus, dass Honecker und Mielkeaktuelle Sicherheitsfragen nach den Sitzungen nur nochunter vier Augen erörterten. Ein ähnliches Macht- und Ab-hängigkeitsverhältnis gab es in den Bezirken und Kreisender DDR, wo der örtliche SED-Vorsitzende nicht nur diehöchste politische Autorität, sondern auch Chef der soge-nannten Einsatzleitungen war, in denen die Leiter vonMfS, Polizei und anderen Institutionen die Sicherheitslageüberwachten.

Entgegen der in den offiziellen Medien und bei den Wah-len vorgespiegelten 99-prozentigen Zustimmung der Be-völkerung zum real existierenden Sozialismus verfiel dasPolitbüro der SED niemals auf den Gedanken, das MfS alswichtigstes Machtmittel aus der Hand zu geben. Die SED-Führer wussten genau, dass ihre Herrschaft ohne denStaatssicherheitsdienst in kurzer Zeit zusammenbrechenwürde.

Als die friedliche Revolution im Herbst 1989 die SED-Diktatur tatsächlich ins Wanken brachte, taten der neueGeneralsekretär Krenz und sein Regierungschef Hans Mo-drow alles dafür, das MfS vor dem Untergang zu retten. Zudiesem Zweck wurde Mielkes Stellvertreter WolfgangSchwanitz zum neuen Chef des Staatssicherheitsdienstesernannt. Die Geheimpolizei erhielt nun den Namen „Amtfür nationale Sicherheit“, später sollte sie etwas unverfäng-

139

Die Stasi – Kein Staat im Staate

Page 8: Die Stasi - Kein Staat im Staate - kas.de · PDF file1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im Deutschen Reich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten,

licher „Verfassungsschutz“ und „Nachrichtendienst“ hei-ßen. Auch Gregor Gysi, der am 9. Dezember 1989 zum Vor-sitzenden der SED gewählt wurde, plädierte damals für denunverzüglichen Aufbau eines solchen DDR-Geheimdiens-tes. Zugleich trat er entschieden gegen die angebliche Dis-kriminierung von Stasi-Mitarbeitern und ihrer Familienauf. Auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED erklärteer 1989, „dass viele Genossen dieses Ministeriums stetspflichtbewusst und ehrlich die ihnen erteilten Aufträge,die sie sich nicht aussuchen konnten, erfüllt haben“. SeinePartei werde sich deshalb stets auch für die Interessen der„Staatsbürger in Uniform“ einsetzen.

Doch die protestierende DDR-Bevölkerung ließ sich vondem Etikettenschwindel der SED nicht täuschen. In zahl-reichen Städten besetzten Bürger die Dienststellen desMfS und vor der Ost-Berliner Stasi-Zentrale fordertenZehntausende Demonstranten die vollständige Auflösungdes Staatssicherheitsdienstes. Unter diesem Druck lenktedie Modrow-Regierung schließlich ein und veranlasste dieEntlassung aller 91.000 Stasi-Mitarbeiter.

Im Gegensatz zum DDR-Staatssicherheitsdienst wurdedie Partei, die ihn geschaffen hatte, weder aufgelöst nochverboten. Die neue Führung unter Gysi sorgte vielmehr da-für, dass sie sich unbeschadet in die Demokratie hinüber-retten konnte. Auf dem Außerordentlichen Parteitag imDezember 1989 beschwor er die Delegierten, dass eine Auf-lösung der SED eine „Katastrophe für die Partei“ sei. Ihre44.000 (!) hauptamtlichen Mitarbeiter würden mit einemSchlag arbeitslos und ihr riesiges Vermögen herrenlos.„Auflösung und Spaltung der Partei sollten deshalb nichtfür uns in Frage kommen“, so Gysi.

Stattdessen versuchte man es mit einem zweiten Etiket-tenschwindel. Die SED wurde in „SED-PDS“ umbenannt,später in „PDS“, „Linkspartei“ und „Die Linke“. Ins-gesamt benannte sich die Partei, die sich selbst als „rechts-

140

Hubertus Knabe

Page 9: Die Stasi - Kein Staat im Staate - kas.de · PDF file1953 bereits mehr Personal als die Gestapo im Deutschen Reich. Alle zehn Jahre verdoppelte sich die Zahl seiner Be-schäftigten,

identisch“ mit der SED bezeichnet, viermal um, um ihreVerantwortung für Unfreiheit, Diktatur und wirtschaftli-chen Niedergang in der DDR zu vertuschen.

Von der Tätigkeit des MfS hat sich „Die Linke“ bisheute nicht klar distanziert. Im Bundestag kämpft sie viel-mehr dafür, dass die früheren Stasi-Mitarbeiter ihre über-durchschnittlichen DDR-Renten zurückerhalten und dassdie Möglichkeit von Stasi-Überprüfungen in Deutschlandendgültig abgeschafft wird. In den Parlamenten weigert siesich nicht nur, ihre Abgeordneten überprüfen zu lassen,sondern betraut bewusst ehemalige Stasi-Mitarbeiter mithohen Ämtern in Partei und Fraktionen. In Brandenburgarbeiteten zum Beispiel sowohl der Parteichef als auch dieFraktionsvorsitzende als Spitzel, ein Spitzenduo, das inkeiner anderen Partei in Deutschland möglich wäre.

Das SED-Regime wird von der Partei „Die Linke“ bisheute als „legitimer Versuch“ bezeichnet, einen sozialisti-schen Staat auf deutschem Boden zu errichten. Sein Geistund Personal leben in der Partei bis heute fort.

Literatur

Giesecke, Jens: Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi1945–1990. – erw. und aktual. Neuausgabe. – München: Deut-sche Verlags-Anstalt, 2006.

Knabe, Hubertus: Honeckers Erben. Die Wahrheit über die Linke. –Berlin: Propyläen, 2009.

Schroeder, Klaus: Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft1949–1990. – München/Wien: Hanser, 1998.

141

Die Stasi – Kein Staat im Staate