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Königs Abi-Trainer Daniel Christoph Teevs Die Welt Kafkas Deutsch-Abitur Niedersachsen 2014

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Königs Abi-Trainer

Daniel Christoph Teevs

Die Welt Kafkas

Deutsch-Abitur Niedersachsen 2014

Über den Autor:

Daniel Christoph Teevs, geb. 1978, arbeitete während des Studiums als freier Mitar-beiter für einige Lokalzeitungen sowie das Max-Planck-Institut für Geschichte in Göt-tingen. Er hat ein Unterrichtsmodell zu der Erzählung Die Verwandlung von Franz Kafka erstellt. Heute unterrichtet er an einem niedersächsischen Gymnasium die Fä-cher Deutsch, Latein und Geschichte.

1. Auflage 2013ISBN: 978-3-8044-3216-1© 2013 by Bange Verlag GmbH, 96142 HollfeldAlle Rechte vorbehalten! Druck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in an-deren als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt oder gespeichert und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

Hinweis:Die Rechtschreibung wurde der amt lichen Neuregelung angepasst.

Trotz umfangreicher Bemühungen ist es uns nicht gelungen, für die Illustration auf der Seite 74 den Rechteinhaber ausfindig zu machen. Der Verlag ist für ent- sprechende Hinweise dankbar. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

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Vorwort ..................................................................................................................... 5

I. VorAusgesetztes WIsseN

teIl A: INHAltlIcHe uNterrIcHtsAspeKte

1. schwerpunkttexte – Vorbemerkung ............................................................... 10

1.1 Zu Die Verwandlung ......................................................................................... 101.2 Zu Erstes Leid (erhöhtes Anforderungsniveau) ............................................... 14

2. unterrichtsaspekte ............................................................................................ 16

2.1 Das isolierte Subjekt in der alltäglichen Selbstbehauptung ........................... 162.2 Macht und Unterwerfung in menschlichen Beziehungen ............................. 162.3 Strukturmerkmale epischer Texte (Erzählung, Parabel) ................................. 182.4 Deutungsoffenheit des Parabolischen (erhöhtes Anforderungsniveau) ....... 19

teIl B: MetHoDIscHes WIsseN

1. operatoren für das Fach Deutsch .................................................................... 20

2. stichworte zur textanalyse .............................................................................. 21

Dramenanalyse ................................................................................................. 21 Gedichtanalyse .................................................................................................. 21 Analyse epischer Texte ...................................................................................... 21 Analyse von Sachtexten .................................................................................... 22 Gestaltendes Erschließen von Texten ............................................................... 22

3. textsortenwissen .............................................................................................. 23

Textsorten .......................................................................................................... 23 Erörterung ......................................................................................................... 23 Kommentar ....................................................................................................... 23 Interpretation .................................................................................................... 23 Inhaltsangabe ................................................................................................... 24 Textvergleich ..................................................................................................... 24 Gestaltungsaufgabe ......................................................................................... 24

4. tipps für das Verfassen von Klausur-texten (nicht nur im Fach Deutsch) .............................................................................. 25

Inhalt

4

II. ÜBuNgsAuFgABeN

teIl A: gestAltuNg Der AuFgABeNVorscHläge uND BeWältIguNg Der AuFgABeN

teIl B: ÜBuNgsAuFgABeN, HINWeIse, tIpps uND lösuNgs- MöglIcHKeIteN

Übungsaufgabe 1: Untersuchendes Erschließen eines literarischen Textes .......................................... 30Übungsaufgabe 2: Untersuchendes und erörterndes Erschließen eines pragmatischen Textes (Inhaltsangabe und textgebundene Erörterung) ................................................... 43Übungsaufgabe 3: Untersuchendes und erörterndes Erschließen eines pragmatischen Textes (Textanalyse und textgebundene Erörterung) ........................................................ 50Übungsaufgabe 4: Gestaltendes Erschließen eines literarisches Textes ................................................ 61Übungsaufgabe 5: Adressatenbezogenes Schreiben auf der Basis untersuchenden Erschließens pragmatischer Texte ................................................................................................. 72

literaturverzeichnis .................................................................................................. 78

Inhalt

5

Vorwort 1

AdressatenDieser Band der Prüfungsvorbereitungen richtet sich in erster Linie an Schülerinnen und Schüler insbesondere im Bundesland Niedersachsen, die im Jahr 2014 das Zen-tralabitur im Fach Deutsch ablegen. Darüber hinaus kann diese Lernhilfe aber auch grundsätzlich zum Training von Klausuren und Abituraufgaben eingesetzt werden. Sie sind zum selbstständigen Üben und zur systematischen Vorbereitung auf das Abitur und für Klausuren in der Oberstufe gedacht.

VoraussetzungenFranz Kafka gehört mit den in diesem Band aufgeführten Schwerpunkttexten zum unabdingbaren Unterrichtsstoff dieses Jahrgangs. Die Kenntnis seiner Erzählungen Die Verwandlung und Erstes Leid 2 wird als Wissen für die Bewältigung der Abitur-aufgaben vorausgesetzt. Es muss davon ausgegangen werden, dass alle verbindlich vorgeschriebenen Texte gelesen und im Unterricht behandelt worden sind. Dennoch entstehen Unterschiede zwischen den einzelnen Lerngruppen hinsichtlich des zu-sätzlichen Materials und der Art und Komplexität der Vermittlung. Letztlich muss es den Schülerinnen und Schülern aber möglich sein, durch Wissenstransfer die gefor-derten Aufgaben im Abitur zu bewältigen.

schwerpunkt dieses BandesAus diesem Grund enthält dieser Band keine genaue Darlegung der Unterrichts-inhalte, er bietet schwerpunktmäßig keine Sachanalyse der für das Zentralabitur vorgeschriebenen Texte, sondern beschränkt sich im ersten Teil stichwortartig auf die Wiederholung und Festigung der grundbegriffe des im Unterricht erworbenen Wissens. Dies schließt Literaturkenntnisse, aber auch methodisches Wissen ein.Im zweiten Teil nun sind Beispiele für mögliche Abituraufgaben und Hinweise für deren Bewältigung enthalten. Musterlösungen für einzelne Aufgaben sind zur Er-gänzung beigefügt. Dabei sind bei den Aufgaben literarische Texte ebenso einbe-zogen wie Sachtexte. Die geforderten Antworten zielen auf eine große Bandbreite von Aufsatzformen ab. Hier liegt der Schwerpunkt dieser Lernhilfe.

gestaltung der AufgabenbeispieleDie im Abitur vorgelegten und zu bearbeitenden Texte sind in der Regel nicht den verbindlich vorgeschriebenen Werken entnommen, sondern stammen aus den Schü-lern unbekannten Texten. Dennoch muss die Auswahl so vorgenommen werden, dass es dem Schüler möglich ist, durch Wissenstransfer die Aufgaben zu bewältigen. Im Fach Deutsch werden allen Schüler/innen im Abitur normalerweise zwei Alterna-tivvorschläge zur Auswahl vorgelegt, die sich auf unterschiedliche Schwerpunktthe-

1 Das Vorwort folgt der Darstellung von Margret Möckel: Thematischer Schwerpunkt: Soziales Drama. Deutsch-Abitur Niedersachsen 2009 und 2010. Hollfeld: Bange Verlag, 2009 (= Königs Abi-Trainer), S. 5 f.

2 Erstes Leid ist lediglich für die Kurse auf erhöhtem Niveau verbindlicher Unterrichtsinhalt.

Vorwort

6

men beziehen.3 In den beiden Aufgaben jedes Aufgabenvorschlages muss außer-dem ein Semesterübergriff enthalten sein.Die hier gestalteten Aufgabenbeispiele beschränken sich zu Übungszwecken in ers-ter Linie auf den Schwerpunkt Die Welt Kafkas, nehmen also bewusst keine weite-ren Schwerpunkte in den Blick, entsprechen in der Gestaltung jedoch den zu erwar-tenden Aufgaben.

unterscheidung der verschiedenen AnforderungsniveausEin Blick auf den verbindlich vorgeschriebenen zusätzlichen Text für die Kurse auf erhöhtem Anforderungsniveau zeigt, dass keine entscheidenden Unterschiede mehr bestehen. Da in beiden Kursformen vierstündiger Unterricht erteilt wird, sind auch die Anforderungen an zusätzliche Texte gesunken. Die Entwicklung der Abiturauf-gaben seit Einführung des Zentralabiturs folgt dieser Tendenz. Die vorgelegten Tex-te für die Kurse auf erhöhtem oder normalem Anforderungsniveau weisen keine so gravierenden Unterschiede mehr auf, die Aufgabenstellung beschränkt sich für beide Kursarten auf zwei Aufgaben. Allerdings stehen den Kursteilnehmern auf erhöhtem Niveau 80 Minuten mehr Bearbeitungszeit zur Verfügung. Bei den Kur-sen auf erhöhtem Anforderungsniveau weist der Erwartungshorizont der letzten Abiturdurchgänge demzufolge lediglich höhere Anforderungen an Umfang und Fachsprachlichkeit auf. Aus diesem grund werden in diesem Band keine unter-scheidungen zwischen Aufgaben für Kurse auf erhöhtem oder normalem Anfor-derungsniveau gemacht. In einer Übungssituation ist es auch für die Schüler des grundlegenden Niveaus günstig, sich mit den differenzierteren Antwortmöglich-keiten auseinanderzusetzen. Unterschiede bei den Antworten entstehen dann im konkreten Fall des Abiturs vor allem durch die geringere Zeit für die Bewältigung der Aufgaben.

gestaltung der lösungsmöglichkeitenDie in diesem Band ausgeführten Lösungen für die einzelnen Aufgaben müssen aus-drücklich als Möglichkeiten verstanden werden. Es lässt sich – wie bei der Durchsicht von Abituraufsätzen immer wieder erkennbar ist – eine Vielzahl von sehr unter-schiedlichen Antworten denken, die sich qualitativ nicht unterscheiden. Es ist bei der Vorbereitung des Abiturs dennoch nötig, konkrete Beispiele für die Umsetzung von Überlegungen zur Bewältigung der Aufgaben durchzugehen.

3 Die Schüler der Kurse auf erhöhtem Niveau werden möglicherweise aus drei Vorschlägen wählen können, da einer dem bundeseinheitlichen Zentralabitur folgt: In der Abiturprüfung 2014 wird für das erhöhte Anforderungsniveau eine Abituraufgabe mit dem Titel „Erörterndes Erschließen pragmatischer Texte: Texterörterung“ aus den drei Themenfeldern Lesen / Literatur, Sprache und Medien zur Wahl gestellt (vgl. die Vorschläge 2 und 3 in diesem Band).

Vorwort

7

zielsetzungDiese Abiturlernhilfen sollen dazu beitragen, den Transfer von Wissen aus dem Un-terricht auf neu zu erarbeitende Texte und Aufgaben schnell und sicher zu ermögli-chen. Dies bezieht sich auf folgende Bereiche: Anwendung von Kompetenzen bei der Analyse und Interpretation von literari-

schen Texten und Sachtexten; Entwicklung von Sicherheit bei der durch die Aufgabenstellung geforderten Leis-

tung (Textsorte, Stil, Merkmale) und der zu erwartenden Gewichtung dieser Auf-gabe;

Training von verschiedenen Formen des Schreibens, der Gestaltung des Schreib-prozesses und der Überarbeitung eigener Texte;

Schärfung des Blickes für mögliche Fehlerquellen bei der Abfassung der Abiturar-beit.

Vorwort

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I. VorAusgesetztes WIsseN

teil A: Inhaltliche unterrichtsaspekteteil B: Methodisches Wissen

Verbindliche lektüreFranz Kafka: Die Verwandlung(erhöhtes Anforderungsniveau: Erstes Leid)

Verbindliche unterrichtsaspekteDas isolierte Subjekt in der alltäglichen SelbstbehauptungMacht und Unterwerfung in menschlichen Beziehungen(erhöhtes Anforderungsniveau: Deutungsoffenheit des Parabolischen)

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teil A: Inhaltliche unterrichtsaspekte

1. schwerpunkttexte – Vorbemerkung

Für alle Schüler, die 2014 in Niedersachsen im Fach Deutsch eine schriftliche Abitur-prüfung ablegen, gilt das sogenannte Kerncurriculum (= Lehrplan) Deutsch für die gymnasiale Oberstufe. 4 eines von den beiden 2014 verbindlich vom Kultusministe-rium vorgegebenen themen lautet „Die Welt Kafkas“.5 Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Wahlpflichtthema aus dem Kerncurriculum, von denen jeder Deutsch-Abiturient sieben bearbeitet. Dazu kommen noch die dazugehörigen sieben Pflicht-module, die der Lehrplan vorsieht. Doch erfahrungsgemäß sind die vom Ministerium hervorgehobenen Themen zentrale Untersuchungsobjekte in der schriftlichen Abi-turprüfung.

1.1 Zu Die Verwandlung6

erzählung, entstanden Ende 1912, veröffentlicht im Herbst 1915.Zu den Hauptfiguren:

gregor samsa ist Handelsvertreter, Junggeselle, zu Hau-se wohnend, unzufrieden mit seinem Leben, vor al-lem mit seinem Beruf und den Dienstreisen. Er ist vor

Erzählbeginn der pflichtbewusste Ernährer der Familie. So versäumt er in fünf Jahren nicht einen einzigen Arbeitstag. Er arbeitet die Schulden seines Vaters ab und finanziert seiner Familie eine große Wohnung mit zwei Dienstboten. Diese ist bis auf das Ende (Ausflug ins Grüne) der einzige schauplatz des Geschehens. Gregors Vater, ein gescheiterter Geschäftsmann, wirkt vorzeitig gealtert. Er ist zuletzt recht träge gewesen, liest lediglich die Tageszeitung, gewinnt aber im Verlauf der Handlung seine von ihm wieder beanspruchte Rolle als Familienoberhaupt zurück. Gregors Mutter ist von schlechter Gesundheit, das unauffälligste Mit-glied der Familie, das am meisten Mitleid für Gregors Situation aufbringt. grete, die 17-jährige schwester Gregors, spielt Geige, versorgt ihren Bruder mit Es-sensabfällen, entsorgt seine Möbel. Zunächst scheint sie Gregor recht fürsorglich zu behandeln, später begegnet sie ihm sehr feindselig (= leitmotiv Verwandlung).gliederung der erzählung in drei annähernd gleich lange Kapitel, in denen Ver-

wandlungen geschehen: Abscheu der Familie Gregor ge-genüber wächst; Gregor fühlt sich zunächst trotz der Verwandlung zu einem „Ungeziefer“ „ganz wohl“

4 Siehe: http://db2.nibis.de/1db/cuvo/ausgabe/kurse2.php?thema=6105 http://www.nibis.de/nli1/gohrgs/13_zentralabitur/zentralabitur_2014/01DeutschHinweise2014_04_2012.pdf6 Ausführlich dazu: Krischel, Volker: Textanalyse und Interpretation zu Franz Kafka: Die Verwandlung. Hollfeld:

Bange, 2. Auflage 2012 (=Königs Erläuterungen und Materialien. Band 432).

Hauptfiguren

Aufbau

1.1 Zu Die Verwandlung

11

(I. Kapitel), dann wird er verwundet (II. Kapitel), was schließlich zu seinem Tode führt (III. Kapitel); aus der kindlichen Schwester wird eine heiratsfähige Frau, aus dem in der Vergangenheit lethargischen Vater der vitale Ernährer der Familie (= leitmotiv Verwandlung).Berühmter erster Satz der Erzählung: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhi-

gen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ 7

unvermittelter erzählbeginn, der rätselhaft wirkt: Ein Vertreter liegt morgens im Bett, den langsamen Prozess des Erwachens beobach-tend. Dabei bemerkt er die erwähnte Verwandlung. Diese absurde Situation wird mit fortlaufender Erzähldauer immer plastischer beschrieben.Bereits der erste Satz signalisiert: Der personale erzähler, dessen perspektive sich

meist auf Gregors Wahrnehmung beschränkt, ist unzu-verlässig, er täuscht den Leser möglicherweise. Bsp.: Das doppeldeutige Verb sich finden im ersten Satz kann sich

entdecken oder aber sich halten für ausdrücken – folglich Käfer-sein oder Käfer-schein bedeuten. Der Erzähler kommentiert das Geschehen nirgendwo, sondern überlässt den irritierten Leser sich selbst. Modaladverbien wie „vielleicht“ (32-mal) und „möglicherweise“ treten gehäuft auf. Demzufolge herrschen keine eindeuti-gen Verhältnisse, stattdessen ist der Rezipient selbst als Interpret gefragt.zwei mögliche Deutungsansätze: Eine tatsächliche Verwandlung Gregors geschieht,

die er selbst entdeckt, oder eine gedachte Verwandlung wird erlebt, die auf einer Einbildung der Figur beruht: „ ‚Wie wäre es, wenn ich noch etwas weiterschliefe und

alle Narrheiten vergäße‘ “, dachte Gregor. Er „war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellungen allmählich auflösen würden.“ Die Hauptfigur diagnostiziert also er-staunlich gelassen Anzeichen einer verzerrten oder gar gestörten Wahrnehmung bei sich selbst.Für letztere Interpretation spricht, dass Gregor vernünftig handelt: Er überlegt, er spricht, er plant. D. h., er bleibt unzweifelhaft in seiner Innensicht ein denkender Mensch.Gregors Mutter scheint seine beschwichtigenden Worte zu Beginn der Erzählung auch erfassen zu können: Die „Mutter beruhigte sich mit dieser Erklärung“ ihres Sohnes, dass er gleich aufstehen werde. Die anderen Figuren können oder wollen Gregors Äußerungen dagegen nicht (mehr) verstehen. Der Prokurist (=Geschäftsfüh-rer): „Das war eine Tierstimme“. Diese Aussage ist erneut mehrdeutig, da lediglich der Klang der Stimme, nicht aber der Inhalt der Äußerung beurteilt wird. Gregor schiebt die Veränderung seiner Stimme später auf eine „Verkühlung“, eine „Berufs-krankheit der Reisenden“. Die Hauptfigur stellt also einen Zusammenhang zwischen Beruf und Verwandlung her. Und sie zweifelt „nicht im geringsten“, dass die Stimm-veränderung auf die berufsbedingte Erkältung zurückzuführen ist.

7 Wegen der zahlreichen unterschiedlichen Ausgaben und der leichten Überschaubarkeit der Erzählung wird auf die Angabe von Seitenzahlen verzichtet.

Berühmter erster Satz

Erzählperspektive

Deutungsansätze

1.1 Zu Die Verwandlung

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1.2 Zu Erstes Leid (erhöhtes Anforderungsniveau)8

Kurze erzählung, die im Frühjahr 1922 entstand und im Herbst desselben Jahres in der Zeitschrift Genius erschien und auch Künstlerparabel genannt wird (vgl. 2.3).1924 ließ Franz Kafka Erstes Leid als eine von vier Erzählungen im Sammelband Ein Hungerkünstler erscheinen, dem letzten Buch vor seinem Tod.Zu den Hauptfiguren: Erzählt wird die Geschichte einer Zirkusfigur, die fortwährend

Kunst schaffen muss. Nur hoch oben unter dem Zeltdach erträgt der trapezkünstler sein Leben. Sein ständiger Be-gleiter ist ein Impresario, der sich einzig und allein um

das Wohl des Artisten sorgt. Impresario meint Manager des Künstlers, beide Figuren bleiben namenlos und werden nur mittels ihrer Berufe bezeichnet (d. h., eine allge-meine Aussage wird angestrebt, typisch für eine parabel).Die Trapezkunst wird gleich zu Beginn durch einen erzählerkommentar als eine der schwierigsten Kunstformen dargestellt. Das Ausharren auf dem Trapez ist nach Auskunft des Erzählers anfänglich dem „Streben“ nach Perfektion geschuldet, später ist es lediglich eine schlechte „Ge-wohnheit“.Der Kontakt zur Außenwelt erfolgt über Diener und ist auf das Nötigste beschränkt.Für die Zirkusverantwortlichen ist der Trapezkünstler ein „außerordentlicher, uner-setzlicher Künstler“, weswegen sie ihn mit allen Freiheiten ausstatten.Den Trapezkünstler stellt seine eingeschränkte Lebensform zufrieden, während ihn

Reisen von einem Auftrittsort zum nächsten zutiefst ver-stören. Die Ortswechsel entreißen ihn stets für eine ge-wisse Zeit seinen vertrauten Bedingungen, die er für sei-ne Kunst benötigt. Auf einer dieser Reisen fordert der Künstler plötzlich

zwei trapeze, nie wieder werde er lediglich auf einem turnen.Ein unvermittelter Weinkrampf setzt ein – der Künstler zeigt sich noch eigenwilliger als zu Beginn und zudem plötzlich gealtert.Nun zeichnet sich ein Konflikt ab, weil der Protagonist unprofessionell gehandelt

hat. Schlimmer noch: Sobald der Künstler altert, verliert er seinen Reiz, das wird am Ende des Textes angedeutet, wenn der Impresario die erste Alterserscheinung wahr-

zunehmen glaubt. Nun zeichnet sich das Ende einer Ära ab, in welcher der Artist unersetzlich war. Hierauf spielt der titel an: Lassen die Kräfte des Künstlers nach, kann er seiner Bestimmung nicht mehr folgen. Dann bleibt ihm nur noch das leid.Kühle, protokollartige sprache, allwissender (also auktorialer) erzähler, der bereits im ersten Satz kommentierend eingreift. Der Erzähler kennt die Motive der Figuren, beispielsweise weshalb die Zirkusdirektion die Marotten des Trapezkünstlers duldet. Zugleich findet passagenweise auch eine Einschränkung dieser Perspektive statt: „schien er zu schaudern“, offenes ende.

8 Ausführlich dazu: Bernhardt, Rüdiger: Textanalyse und Interpretation zu Franz Kafka: Erstes Leid. Hollfeld: Bange, 2013 (Online-Publikation).

Hauptfiguren

Zufriedenheit mit eingeschränkter Lebensform

Ende einer Ära

1.2 Zu Erstes Leid (erhöhtes Anforderungsniveau)

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Deutungsmöglichkeit I: Die Erzählung ist eine sogenannte Künstlerparabel, da sie sich mit dem Leben eines Kunstschaffenden beschäftigt. Kurz gefasst geht es in der Erzählung um die Frage: Un-ter welchen Bedingungen kann große Kunst entstehen?

In erster Linie ist hier an die Schriftstellerei zu denken. Das Trapez (= Bildebene) steht für den Schreibtisch des Autors (= sachebene), nur dort existiert er (Metapher = tra-pezkünstler) wirklich. Reisen, die stellvertretend Ablenkungen aller Art symbolisie-ren, sind der natürliche Feind des Künstlers. Das Gepäcknetz (der provisorische Schreibtisch am Urlaubsort) kann die Zirkuskuppel (den heimischen Arbeitsort) nie ganz ersetzen.Das Zirkusleben ist allein dadurch geprägt, dass der Zuschauer unterhalten werden muss. Der Zuschauer will seinem Alltag für wenige Stunden entfliehen, er nutzt die Kunst als Ablenkung, während das Artistendasein für den Künstler das Leben ist.Deutungsmöglichkeit II: Hier ist an Kafkas schwierige Künstlerexistenz zu denken.

Kafka war gezwungen, seine Schreibarbeit häufig durch Dienstreisen zu unterbrechen. Das betrübte ihn sehr, weil ihm auf diese Weise die Konzentration auf das We-

sentliche – das Schreiben – abhandenkam. Dem Leser begegnet eine traurige Gestalt, die die Gefahren der Künstlerexistenz versinnbildlicht, beim Impresario ist an Max Brod zu denken, der Kafka in vielfacher Weise zu unterstützen versuchte.Weitere Deutungsmöglichkeit: Das schicksal des angepassten Juden wird themati-siert, der als Angehöriger der jüdischen Minderheit ebenfalls in einer Mehrheitsge-sellschaft leben muss. Ihm fehlen die Wurzeln, die Traditionen und Gemeinschaften, die ihn an die Erde binden, weil er sich seiner religiösen Identität entledigt hat. Zentrale Themen der Parabel sind dann Heimatlosigkeit und entfremdung.

Künstlerparabel

Kafkas Künstlerexistenz

1.2 Zu Erstes Leid (erhöhtes Anforderungsniveau)

16

2. unterrichtsaspekte

Die Unterrichtsaspekte beziehen sich auf die verbindlich vorgeschriebene Lektüre und sind daher im werkbezogenen Kapitel schon mitberücksichtigt. Im Folgenden sind daher Überschneidungen mit den werkbezogenen Stichworten unvermeidlich, was aus Gründen der Systematik jedoch in Kauf genommen wird.

2.1 Das isolierte Subjekt in der alltäglichen Selbstbehauptung

Die Isolation wird in den Erzählungen räumlich veranschaulicht: Gregor sitzt hinter verschlossenen Türen, während der Trapezkünstler durch die große Höhe die Abge-hobenheit seiner Lebensform dokumentiert. Die beiden Figuren leben also in ihrer je eigenen abgeschotteten Welt.Während in Die Verwandlung von einem „immer wechselnde(n), nie andauernde(n),

nie herzlich werdende(n) menschliche(n) Verkehr“ Gre-gors die Rede ist, heißt es in Erstes Leid über den Artis-ten, „sein menschlicher Verkehr war eingeschränkt“. Das

bedeutet, beide Figuren bewegen sich außerhalb der Gesellschaft, sind also Außen-seiter. Auf die Künstlerexistenz bezogen heißt das, dass echte Kunst nur vom Einzel-gänger geschaffen werden kann.Beiden Texten gemein ist die Darstellung einer aus den Fugen geratenen Welt, der

Einzelne muss tagtäglich um sein Überleben kämpfen. Der Anblick Gregors wird den Familienmitgliedern zuse-hends unangenehm, der Trapezkünstler beginnt zu al-tern und droht die Unterstützung des Impresarios zu

verlieren, sobald er nicht mehr in der Lage ist, seine Kunst auszuüben.Als Gregor zusammenbricht und nicht mehr arbeiten kann, erhält er keineswegs die benötigte Fürsorge der Familie und des Arbeitsgebers, im Gegenteil wird er zum Tier degradiert und isoliert, weil er seine menschliche Existenz nicht länger eigenständig sichern kann. Sein Vater nimmt ihn im Gespräch mit dem Prokuristen nicht in Schutz. Es gibt keinerlei familiären Zusammenhalt, auf den Gregor setzen könnte, sondern eine radikale Autoritätsgläubigkeit des Vaters, wie sie für die Gesellschaft im späten Kaiserreich typisch ist.

2.2 Macht und Unterwerfung in menschlichen Beziehungen

Die Verwandlung: Von zentraler Bedeutung ist der Machtkampf zwischen Vater und sohn: „Der Vater

ballte mit feindseligem Ausdruck die Faust“, von der „der tödliche Schlag auf den Rücken oder auf den Kopf“ droht. Der Apfel verletzt Gregor schließlich tödlich, wo-mit er den Wettkampf verliert.

Vereinzelung

Überlebenskampf des Einzelnen

Vater

2.1 Das isolierte Subjekt in der alltäglichen Selbstbehauptung

17

Doch nicht nur vom Vater droht Gregor Gefahr: „Warum war nur Gregor dazu ver-urteilt, bei einer Firma zu dienen, wo man bei der kleins-ten Versäumnis gleich den größten Verdacht fasste?“ Dieser doppelte Superlativ versinnbildlicht, wie sehr Gre-

gor missbraucht und ausgebeutet wird. Noch in der Stunde der Not schleudert ihm sein Chef den Satz „Ihre Leistungen in der letzten Zeit waren also sehr unbefriedi-gend“ entgegen.Daraufhin verteidigt sich Gregor mit einer langen Rede über die Nachteile des Rei-sens: „Ich arbeite gern; das Reisen ist beschwerlich, aber ich könnte ohne das Reisen nicht leben.“ Der Chef solle sich an seine früheren Leistungen erinnern: „Halten Sie im Geschäft meine Partei! Man liebt den Reisenden nicht, ich weiß.“ Man unterstelle ihm ein leichtes, angenehmes Arbeitsleben. Aber der Chef dürfe sich aufgrund sei-ner besseren Einsicht in die wirklichen Verhältnisse von dieser üblen Nachrede nicht beeinflussen lassen, sondern müsse die Partei seiner Handelsvertreter ergreifen. Das zeichne einen guten Chef aus. Gregor zeigt hier Einsicht in psychologische Beeinflus-sungsversuche durch Konkurrenten, der Chef erweist sich jedoch als dilettantischer Ignorant, der sich angewidert abwendet.Auch der zuständige Kassenarzt kennt „nur gesunde, aber arbeitsscheue Menschen“.Einzig soziale Anpassung ermöglicht in dieser von einem brutalen Nützlichkeitsden-

ken geprägten Welt das Überleben. Der Sohn/Angestell-te muss automatengleich funktionieren, ansonsten wird er entsorgt. Hier werden also die Vorgesetzten und die

Familie als Ausbeuter entlarvt, z. B. durch die ironische Frage: „Waren denn alle Angestellten samt und sonders Lumpen, gab es denn unter ihnen keinen treuen, ergebenen Menschen, der, wenn er auch nur ein paar Morgenstunden für das Ge-schäft nicht ausgenutzt hatte, vor Gewissensbissen närrisch wurde und geradezu nicht imstande war, das Bett zu verlassen?“Den Figuren und dem Leser werden die Folgen dieser Ausbeutung durch Gregors Verwandlung in eine „traurige und ekelhafte Gestalt“ verdeutlicht.„Kafkas Text zeigt die tödlich endende Verwandlung von Machtbeziehungen im raum privater Intimität“ (Zitat aus der Kafka-Biografie von Peter-André Alt, S. 332).Die Eltern gewinnen die alte Autonomie zurück, der Vater wird wieder zum Patriar-

chen. „Die Sphäre bürgerlicher Intimität erscheint als symbolischer Schauplatz von Herrschaftsbeziehungen“ (Alt, S. 333), ein auf den Psychoanalytiker sigmund Freud zurückgehender Gedanke. Gregors Verwandlung setzt

eine ungeheure Dynamik in Gang: Vater und Tochter erblühen erneut bzw. blühen auf, zunächst noch weinend, verwandelt der Vater sich zum gnadenlosen Apfelbom-ber, die Tochter entwickelt sich zur erwachsenen Frau, während Gregor sich zurück-entwickelt und schließlich stirbt.Im Vaterbrief von 1919 wird Kafka das Aufbegehren des Kindes gegen die Allmacht

des Vaters als „Kampf des Ungeziefers“ bezeichnen, das „nicht nur sticht, sondern gleich auch zu seiner Lebenser-haltung das Blut saugt“ (vgl. Übungsaufgabe 4) Diese

Metapher dient dazu, den vom Geld des Vaters lebenden Sohn und den Schauspieler

Chef

Ausbeutung

Verwandlung setzt Dynamik in Gang

Vaterbrief von 1919

2.2 Macht und Unterwerfung in menschlichen Beziehungen

20

teil B: Methodisches Wissen9

Das zum Abitur vorausgesetzte methodische Wissen bezieht sich auf: Fähigkeiten zur Untersuchung, Erörterung und Erschließung von literarischen

und nicht-literarischen Texten (= Sachtexten) Kenntnisse über elementare Merkmale der verbindlich vorgegebenen Schwer-

punkttexte (siehe Teil A) Kenntnis der Fachterminologie Kenntnis der Arbeitsanweisungen/Operatoren und ihrer Paraphrasen (vgl. das

Folgende) Kenntnis der geforderten Aufgabenarten: Analyse, Interpretation, Erörterung,

gestaltendes Erschließen von Texten

1. operatoren für das Fach Deutsch

Übergeordnete Operatoren analysieren, interpretieren (vorrangig II) erörtern (vorrangig III) gestalten (vorrangig III)

Operatoren für den Anforderungsbereich I (Reproduktion)

(be)nennen, beschreiben, wiedergeben, zusammenfassen, darstellen

Operatoren für den Anforderungsbereich II (Reorganisation und Transfer)

erschließen, erklären, erläutern, in Bezie-hung setzen, vergleichen, einordnen

Operatoren für den Anforderungsbereich III (Reflexion und Problemlösung)

begründen, (über)prüfen, (kritisch) Stellung nehmen, sich auseinandersetzen mit, beur-teilen, bewerten, entwerfen

9 Dieses Kapitel folgt der Darstellung von Margret Möckel: Thematischer Schwerpunkt: Soziales Drama. Deutsch-Abitur Niedersachsen 2009 und 2010. Hollfeld: Bange Verlag, 2009 (= Königs Abi-Trainer), S. 17 ff.

1. Operatoren für das Fach Deutsch

21

2. stichworte zur textanalyse

Dramenanalyse Angabe zu Titel, Autor, Inhalt in einem Satz Epochenzuordnung, Art des Dramas bei Szenenanalysen: Einordnung der Szene in den Kontext Inhalt und Thema der Szene Figuren und Figurenkonstellationen genau beschreiben (Charakterisierungen,

Motive, Absicht; Textbelege, Zitate einbauen) Sprache der Charaktere und deren Funktion (Wortwahl, Stilfiguren, Satzbau, so-

zialer Status ausgeprägt durch Sprache) Redeanteile, Ausgewogenheit der Kommunikation dramatische Gestaltung (Verfremdung, Kontraste etc.) Bedeutung der Szene für das Gesamtdrama kurze wertende Stellungnahme in sachlichem Stil

gedichtanalyse einleitender Satz zu Titel, Autor, Thema/Motiv, Textsorte Inhalt Struktur des Gedichtes, Aufteilung in Strophen, Zeilen, Rahmen etc. Metrik, Reim, Versfuß, Versmaß sprachlich-stilistische Gestaltung (rhetorische Mittel, Bildgebrauch, Satzbau,

Wortwahl, Wortfelder, Interpunktion etc.) und deren inhaltliche Funktion besonders hervorgehobene Textteile (z. B. durch Inversion, Zeilenanfang oder

-ende, Einzelstellung, Wiederholung, Kontrastierung, Anapher, Hyperbel etc.) und deren Bedeutung für die Gedichtaussage

Epochenzuordnung und Auswertung für die Gedichtaussage abschließende Betrachtung zum Thema, evtl. Bezug zur Gegenwart

Analyse epischer texte Titel, Textsorte, Autor, Erscheinungszeitpunkt, Thema Inhalt Erzähler (Erzählhaltung, Perspektive, Standort, Erzählverhalten) Erzählerrede, Figurenrede, Bewusstseinsstrom etc. Struktur des Textes (Gliederung, Haupt- und Nebenhandlung, Chronologie) Rückblicke, Vorausdeutungen Textverklammerung Leitmotive und zentrale Metaphern Darstellung der Figuren (Konzeption, Charakterisierung, Konstellation zueinander) Stilmittel und ihre inhaltliche Funktion Satzgestaltung Gestaltung von Anfang und Ende des Textes Raum und Raumgestaltung

2. Stichworte zur Textanalyse

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3. textsortenwissen

textsorten:fiktionale – nicht fiktionale, literarische – nicht literarische Texte (= pragmatische Texte)appellative, darstellende, ausdrückende Texte

erörterung„Gedankliche Auseinandersetzung mit Problemen und Streitfragen; Darlegen des Für und Wider, um den Leser durch Argumente zu überzeugen. Die Darstellung ist möglichst objektiv, klar gegliedert, mit einer Ordnung der Argumente nach ihrem Gewicht und unter Einbeziehung von Erfahrungsbeispielen. Ein abschließendes Ur-teil wird angestrebt, wegen der Fülle der möglichen Argumente aber nicht immer erreicht.“10

textAuFBAu: sprAcHlIcHe MIttel DAFÜr:

a) linear (fortlaufend entwickelte Argumen-tation)

Weiterhin, erstens, zweitens, drittens..., außer-dem, darüber hinaus, auch etc.)

b) dialektisch (Position und Gegenposition)

Sprachliche Mittel dafür: andererseits, sicherlich kann angenommen wer-den, dass..., dennoch..., trotz aller Überzeugungs-kraft dieser Argumente muss gesagt werden..., wenn einerseits..., muss aber auch andererseits...

c) fortlaufend antithetisch (Argumente dafür werden jeweils mit einem Gegenargument verknüpft)

Fazit sprachlich erkennbar machen: Daraus ergibt sich, im Endergebnis, mein Resümee lautet also, folglich, Fazit:, kurzum:

KommentarDarstellung eines Sachverhaltes und kritische Stellungnahme dazu; eigene Meinung (häufig zu finden in der Presse, im Rundfunk und Fernsehen zu aktuellen Ereignis-sen)

InterpretationInterpretationshypothese, genaue Analyse sinntragender Elemente des Textes (literarisch oder pragmatisch), Bestimmung ihrer Bezogenheit aufeinander und ihrer Wechselwirkung, inhaltliche Funktion formaler Merkmale, Gesamtdeu-tung des Textes, Verifizierung der Interpretationshypothese, Themenbestimmung Zu berücksichtigende Elemente: Struktur, formale Mittel der Textgestaltung, stilisti-

10 Wilfried Klute: Warum eine Abhandlung keine Story ist. Gebrauchsformen der Sprache – Sprachbetrachtung. Deutsch. Unterrichts-Materialien für Lehrkräfte. Sekundarstufe II. Grundwerk der Loseblattsammlung 629. Freising: Stark, 1999, 10.2.8, S. 20 f.

3. Textsortenwissen

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4. tipps für das Verfassen von Klausur-texten (nicht nur im Fach Deutsch)

operatoren genau beachten. Sie führen zu einer bestimmten geforderten Texts-orte, die unbedingt umgesetzt werden muss. Außerdem sind sie den drei An-forderungsbereichen zugeordnet. Dies wiederum lässt Rückschlüsse auf die Gewichtung der Aufgabe zu (Schwerpunkt liegt auf Anforderungsbereich II, Re-organisation und Transfer).

Den text gründlich bearbeiten. Eine genaue Textanalyse, Markierungen im Text, Randbemerkungen und Unterstreichungen sind eine unerlässliche Vorarbeit.

schriftsprache und gesprochene sprache unterscheiden. In einer schriftlichen Ab-iturarbeit haben Wörter wie „total“, „egal“, „normal“, Redensarten und Floskeln nichts zu suchen.

Aussagen am text belegen. Ihre Thesen müssen Sie mithilfe des Textmaterials der Klausur und den im Unterricht gelesenen Werken überprüfbar machen. Beispiels-weise: Gregor denkt wie ein Mensch: „Seine Meinung darüber, dass er verschwin-den müsse, war womöglich noch entschiedener als die seiner Schwester.“ (S. 32). Natürlich verlangt in der Abiturklausur niemand, dass Seitenzahlen auswendig herbeizitiert werden. Üblicherweise geben Sie den ungefähren Wortlaut wieder, etwa: Gregor ist gegen Ende der Erzählung der Meinung, er dürfe seiner Familie nicht länger zur Last fallen. Oder: Das belegt, dass er der Meinung ist, er dürfe der Familie nicht zur Last fallen …

zitiertechnik beachten. Textbelege müssen möglichst flüssig in den Text integriert werden, die genaue Seiten- und Zeilenangabe folgt in Klammern (Z. x–y). Niemals eine Aneinanderreihung von Zitaten anstelle eines eigenen Textes setzen (z. B. in der Zusammenfassung). Das Wort „Zitat“ taucht niemals im Text auf, schon gar nicht mit anschließendem Doppelpunkt.

Indirekte rede verwenden. Werden Gedanken aus dem Text wiedergegeben, so ist in der Regel der Konjunktiv I zu verwenden. Beispiel: Das sei Ironie, glaubt der Schriftsteller Martin Walser. Man habe diese Metapher häufig falsch aufgefasst. Der Erzähler täusche …

Den text erkennbar gliedern. Setzen Sie, wenn ein Gedanke zu Ende geführt ist, einen Absatz als Gliederungssignal. Formulieren Sie eine vollständige und mög-lichst kreative Einleitung (vgl. die Übungsaufgaben). Ein Fazit ist unverzichtbarer Bestandteil jedes Textes. Mögliche Inhalte: Die Wiederholung des wichtigsten Er-gebnisses, die abschließende Beurteilung oder ein Ausblick auf weitere Fragestel-lungen.

persönliche Bewertungen und urteile unterlassen. Aussagen wie „ich finde“ oder „ich denke“ sollten generell unterbleiben. Ihre Korrekturleser werden oh-nehin annehmen, dass Sie Ihre eigene Meinung entfalten. Also: „Der Autor hat Unrecht, wenn er behauptet …“ statt „Ich finde, der Autor hat Unrecht, wenn er behauptet …“

4. Tipps für das Verfassen von Klausur-Texten

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II. ÜBuNgsAuFgABeN

teil A: textwiederholungenteil B: Übungsaufgaben, Hinweise, tipps und lösungsmöglichkeiten

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teil A: gestaltung der Aufgabenvorschläge und Bewältigung der Aufgaben11

Üblicherweise gibt es in der Abiturprüfung Deutsch zwei Aufgaben, die vorwiegend die Anforderungsbereiche II und III abdecken, aber ebenfalls den Anforderungsbe-reich I einbeziehen. (Zu den Anforderungsbereichen siehe S. 20 des vorliegenden Bandes.) In der jüngeren Vergangenheit wurden jedoch auch Aufgaben ausgewählt, die eine Textwiedergabe erforderten, etwa: „Fassen Sie die Hauptgedanken …“ Ge-wichtungen werden im Abitur nicht angegeben, allerdings legen die Operatoren eine bestimmte Wichtigkeit der jeweiligen Antwort nahe. So wird eine Inhaltsan-gabe weniger stark gewichtet als eine Erörterung. Beim Operator „Erörtern Sie …“ wird eine deutlich ausführlichere Auseinandersetzung mit der Frage verlangt als beim Operator „Nehmen Sie Stellung …“Alle Operatoren zielen auf eine bestimmte Textsorte ab, deren inhaltliche und sti-listische Merkmale unbedingt berücksichtigt werden müssen. Alle Aufgaben sind textgebunden, d. h., sie beziehen sich stets auf einen vorgelegten text oder text-ausschnitt, der entsprechend gründlich untersucht und ausgewertet werden muss. Das bedeutet, dass auch bei der zweiten Aufgabe immer an einen textbezug ge-dacht werden muss, auch wenn die Aufgabe das nicht ausdrücklich fordert. In der Abiturklausur können auch mehrere Texte vorgelegt werden. Der Textbegriff kann dabei sehr weit gefasst sein, also neben literarischen Texten aller Gattungen auch Sachtexte sowie Zeichnungen, grafische Darstellungen, Statistiken, Comics etc. bis hin zu Filmsequenzen umfassen.2014 nimmt Niedersachsen am bundesweiten Versuch teil, eine länderübergreifende Abiturprüfung zu schaffen. Zu diesem Zweck wurden Aufgaben entworfen, welche die teilnehmenden Bundesländer ins Abitur integrieren können. Im Fach Deutsch bezieht sich dies für den aktuellen Jahrgang auf die Kurse auf erhöhtem Niveau. Deren Schüler bekommen einen Abiturvorschlag (von mindestens zwei Vorschlägen, wahrscheinlich wird es sogar drei geben) vorgelegt, der aus dem genannten Auf-gabenpool stammen wird. Diese sogenannte Zentrale Aufgabe wie folgt gestaltet sein: Die Schüler bekommen einen Sachtext (in der Sprache des Kultusministeriums pragmatischer Text) vorgelegt, den sie analysieren und diskutieren sollen.12 In den Probeaufgaben des Ministeriums macht die Analyse 40 Prozent der Endnote und die Erörterung 60 Prozent aus. In der zentralen Abituraufgabe 2014 wird ein Autor/Journalist möglicherweise über ein Lektüreerlebnis berichten. Anschließend könn-ten die Schüler das kritisch mit den eigenen Leseerfahrungen abgleichen (vgl. die Übungsaufgaben II und III).

11 Teil A folgt der Darstellung von Margret Möckel: Thematischer Schwerpunkt: Soziales Drama. Deutsch-Abitur Nie-dersachsen 2009 und 2010. Hollfeld: Bange Verlag, 2009 (= Königs Abi-Trainer), S. 22 f.

12 Siehe: http://www.nibis.de/nli1/gohrgs/13_zentralabitur/zentralabitur_2014/20120416MusteraufgabenDE.pdf

Teil A: Gestaltung der Aufgabenvorschläge und Bewältigung der Aufgaben

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teil B: Übungsaufgaben, Hinweise, tipps und lösungsmöglichkeiten

Übungsaufgabe 1: untersuchendes erschließen eines literarischen textes

AuFgABeNstelluNg

1. Interpretieren Sie den vorliegenden Anfang des Textes Ein Bericht für eine Akademie.

2. Vergleichen Sie die literarische Gestaltung dieses Werkes von Franz Kafka mit Ihnen bekannten Texten des Autors.

text

Franz Kafka

Ein Bericht für eine Akademie

Hohe Herren von der Akademie!Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht über mein äffisches Vorleben einzureichen.In diesem Sinne kann ich leider der Aufforderung nicht nachkommen. Nahezu fünf Jahre trennen mich vom Affentum, eine Zeit, kurz vielleicht am Kalender gemessen, unendlich lang aber durchzugaloppieren, so wie ich es getan habe, streckenweise begleitet von vortrefflichen Menschen, Ratschlägen, Beifall und Orchestralmusik, aber im Grunde allein, denn alle Begleitung hielt sich, um im Bilde zu bleiben, weit von der Barriere. Diese Leistung wäre unmöglich gewesen, wenn ich eigensinnig hätte an meinem Ursprung, an den Erinnerungen der Ju-gend festhalten wollen. Gerade Verzicht auf jeden Eigensinn war das oberste Gebot, das ich mir auferlegt hatte; ich, freier Affe, fügte mich diesem Joch. Da-durch verschlossen sich mir aber ihrerseits die Erinnerungen immer mehr. War mir zuerst die Rückkehr, wenn die Menschen gewollt hätten, freigestellt durch das ganze Tor, das der Himmel über der Erde bildet, wurde es gleichzeitig mit meiner vorwärtsgepeitschten Entwicklung immer niedriger und enger; wohler und eingeschlossener fühlte ich mich in der Menschenwelt; der Sturm, der mir aus meiner Vergangenheit nachblies, sänftigte sich; heute ist es nur ein Luftzug, der mir die Fersen kühlt; und das Loch in der Ferne, durch das er kommt und durch das ich einstmals kam, ist so klein geworden, dass ich, wenn überhaupt die Kräfte und der Wille hinreichen würden, um bis dorthin zurückzulaufen, das Fell vom Leib mir schinden müsste, um durchzukommen. Offen gesprochen, so gerne

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Übungsaufgabe 1

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ich auch Bilder wähle für diese Dinge, offen gesprochen: Ihr Affentum, meine Herren, sofern Sie etwas Derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine. An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht: den kleinen Schimpansen wie den großen Achilles.In eingeschränktestem Sinn aber kann ich doch vielleicht Ihre Anfrage beantwor-ten und ich tue es sogar mit großer Freude.Das erste, was ich lernte, war: den Handschlag geben; Handschlag bezeigt Offen-heit; mag nun heute, wo ich auf dem Höhepunkt meiner Laufbahn stehe, zu je-nem ersten Handschlag auch das offene Wort hinzukommen. Es wird für die Akademie nichts wesentlich Neues beibringen und weit hinter dem zurückblei-ben, was man von mir verlangt hat und was ich beim besten Willen nicht sagen kann – immerhin, es soll die Richtlinie zeigen, auf welcher ein gewesener Affe in die Menschenwelt eingedrungen ist und sich dort festgesetzt hat. Doch dürfte ich selbst das Geringfügige, was folgt, gewiss nicht sagen, wenn ich meiner nicht völlig sicher wäre und meine Stellung auf allen großen Varietébühnen der zivili-sierten Welt sich nicht bis zur Unerschütterlichkeit gefestigt hätte:Ich stamme von der Goldküste. Darüber, wie ich eingefangen wurde, bin ich auf fremde Berichte angewiesen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck – mit dem Führer habe ich übrigens seither schon manche gute Flasche Rotwein ge-leert – lag im Ufergebüsch auf dem Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur Tränke lief. Man schoss; ich war der einzige, der getroffen wurde; ich bekam zwei Schüsse.Einen in die Wange; der war leicht; hinterließ aber eine große ausrasierte rote Narbe, die mir den widerlichen, ganz und gar unzutreffenden, förmlich von ei-nem Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat, so als unterschiede ich mich von dem unlängst krepierten, hie und da bekannten, dressierten Affentier Peter nur durch den roten Fleck auf der Wange. Dies nebenbei.Der zweite Schuss traf mich unterhalb der Hüfte. Er war schwer, er hat es ver-schuldet, dass ich noch heute ein wenig hinke. Letzthin las ich in einem Aufsatz irgendeines der zehntausend Windhunde, die sich in den Zeitungen über mich auslassen: meine Affennatur sei noch nicht ganz unterdrückt; Beweis dessen sei, dass ich, wenn Besucher kommen, mit Vorliebe die Hosen ausziehe, um die Ein-laufstelle jenes Schusses zu zeigen. Dem Kerl sollte jedes Fingerchen seiner schreibenden Hand einzeln weggeknallt werden. Ich, ich darf meine Hosen aus-ziehen, vor wem es mir beliebt; man wird dort nichts finden als einen wohlge-pflegten Pelz und die Narbe nach einem – wählen wir hier zu einem bestimmten Zwecke ein bestimmtes Wort, das aber nicht missverstanden werden wolle – die Narbe nach einem frevelhaften Schuss. Alles liegt offen zutage; nichts ist zu ver-bergen; kommt es auf Wahrheit an, wirft jeder Großgesinnte die allerfeinsten Manieren ab. Würde dagegen jener Schreiber die Hosen ausziehen, wenn Be-such kommt, so hätte dies allerdings ein anderes Ansehen, und ich will es als Zeichen der Vernunft gelten lassen, dass er es nicht tut. Aber dann mag er mir auch mit seinem Zartsinn vom Halse bleiben.Nach jenen Schüssen erwachte ich – und hier beginnt allmählich meine eigene Erinnerung – in einem Käfig im Zwischendeck des Hagenbeckschen Dampfers. Es

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Übungsaufgabe 1

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war kein vierwandiger Gitterkäfig; vielmehr waren nur drei Wände an einer Kis-te festgemacht; die Kiste also bildete die vierte Wand. Das Ganze war zu niedrig zum Aufrechtstehen und zu schmal zum Niedersitzen. Ich hockte deshalb mit eingebogenen, ewig zitternden Knien, und zwar, da ich zunächst wahrscheinlich niemanden sehen und immer nur im Dunkeln sein wollte, zur Kiste gewendet, während sich mir hinten die Gitterstäbe ins Fleisch einschnitten. Man hält eine solche Verwahrung wilder Tiere in der allerersten Zeit für vorteilhaft, und ich kann heute nach meiner Erfahrung nicht leugnen, dass dies im menschlichen Sinn tatsächlich der Fall ist. Daran dachte ich aber damals nicht. Ich war zum erstenmal in meinem Leben ohne Ausweg; zumindest geradeaus ging es nicht; geradeaus vor mir war die Kiste, Brett fest an Brett gefügt. Zwar war zwischen den Brettern eine durchlau-fende Lücke, die ich, als ich sie zuerst entdeckte, mit dem glückseligen Heulen des Unverstandes begrüßte, aber diese Lücke reichte bei weitem nicht einmal zum Durchstecken des Schwanzes aus und war mit aller Affenkraft nicht zu ver-breitern.Ich soll, wie man mir später sagte, ungewöhnlich wenig Lärm gemacht haben, woraus man schloss, dass ich entweder bald eingehen müsse oder dass ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu überleben, sehr dressurfähig sein werde. Ich überlebte diese Zeit. Dumpfes Schluchzen, schmerzhaftes Flöhesuchen, mü-des Lecken einer Kokosnuss, Beklopfen der Kistenwand mit dem Schädel, Zun-genblecken, wenn mir jemand nahekam – das waren die ersten Beschäftigungen in dem neuen Leben. In alledem aber doch nur das eine Gefühl: kein Ausweg. Ich kann natürlich das damals affenmäßig Gefühlte heute nur mit Menschenworten nachzeichnen und verzeichne es infolgedessen, aber wenn ich auch die alte Af-fenwahrheit nicht mehr erreichen kann, wenigstens in der Richtung meiner Schilderung liegt sie, daran ist kein Zweifel.Ich hatte doch so viele Auswege bisher gehabt und nun keinen mehr. Ich war festgerannt. Hätte man mich angenagelt, meine Freizügigkeit wäre dadurch nicht kleiner geworden. Warum das? Kratz dir das Fleisch zwischen den Fußze-hen auf, du wirst den Grund nicht finden. Drück dich hinten gegen die Gitter-stange, bis sie dich fast zweiteilt, du wirst den Grund nicht finden. Ich hatte kei-nen Ausweg, musste mir ihn aber verschaffen, denn ohne ihn konnte ich nicht leben. Immer an dieser Kistenwand – ich wäre unweigerlich verreckt. Aber Affen gehören bei Hagenbeck an die Kistenwand – nun, so hörte ich auf, Affe zu sein. Ein klarer, schöner Gedankengang, den ich irgendwie mit dem Bauch ausgeheckt haben muss, denn Affen denken mit dem Bauch.Ich habe Angst, dass man nicht genau versteht, was ich unter Ausweg verstehe. Ich gebrauche das Wort in seinem gewöhnlichsten und vollsten Sinn. Ich sage absichtlich nicht Freiheit. Ich meine nicht dieses große Gefühl der Freiheit nach allen Seiten. Als Affe kannte ich es vielleicht und ich habe Menschen kennenge-lernt, die sich danach sehnen. Was mich aber anlangt, verlangte ich Freiheit we-der damals noch heute. Nebenbei: mit Freiheit betrügt man sich unter Menschen allzuoft. Und so wie die Freiheit zu den erhabensten Gefühlen zählt, so auch die entsprechende Täuschung zu den erhabensten. Oft habe ich in den Varietés vor

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Übungsaufgabe 1

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meinem Auftreten irgendein Künstlerpaar oben an der Decke an Trapezen han-tieren sehen. Sie schwangen sich, sie schaukelten, sie sprangen, sie schwebten einander in die Arme, einer trug den andern an den Haaren mit dem Gebiss. ›Auch das ist Menschenfreiheit‹, dachte ich, ›selbstherrliche Bewegung.‹ Du Ver-spottung der heiligen Natur! Kein Bau würde standhalten vor dem Gelächter des Affentums bei diesem Anblick.Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg; rechts, links, wohin immer; ich stellte keine anderen Forderungen; sollte der Ausweg auch nur eine Täuschung sein; die Forderung war klein, die Täuschung würde nicht größer sein. Weiter-kommen, weiterkommen! Nur nicht mit aufgehobenen Armen stillestehn, ange-drückt an eine Kistenwand.[…]

(1377 Wörter); der Text wurde im Oktober 1917 erstmals in der Zeitschrift Der Jude veröffentlicht.

sacherklärungen:

Titel Akademie Vereinigung von Wissenschaftlern

Z. 26 Achilles Heldengestalt der Antike, die lediglich an der Ferse verwundet werden konnte

Z. 37 Varietébühnen eine Mischung aus Theater und Zirkus, für akrobatische, musikalische, tänzerische etc. Vorführungen

Z. 39 goldküste historische Bezeichnung für einen Küstenabschnitt in Westafrika

Z. 40 Firma Hagenbeck Zoo-Betreiberfamilie aus Hamburg, Carl Hagenbeck (1844–1908) beauftragte pro Jahr mehrere Jagdexpedi-tionen, die in Afrika Tiere einfingen

Z. 82 Durchstecken des schwanzes

zoologischer Irrtum Kafkas, Schimpansen haben keine Schwänze

erläuteruNg Der AuFgABeNstelluNg

zu teIlAuFgABe 1

Der Auftrag „Interpretieren Sie“ gehört laut Kerncurriculum zu den sogenannten übergeordneten Operatoren. Er signalisiert, hier ist ein literarischer Text zu unter-suchen. Der Text ist mit den jeweils angemessenen textanalytischen Verfahren zu erschließen und anschließend zu deuten. Die Analysekategorien dürften aus dem Deutschunterricht bekannt sein, werden im Folgenden aber noch einmal stichwort-artig genannt. Wird ein literarischer Text interpretiert, gilt es, die folgende Leitfra-ge zu beantworten: Welche verschlüsselte Botschaft ist im Text versteckt? Und bei vieldeutigen Texten lautet die Frage: Welcher Erklärungsansatz lässt sich am besten

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Übungsaufgabe 1

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begründen? Denn eine Deutung muss lediglich schlüssig belegt sein, sie muss nicht alles erklären können. Und nebenbei gesagt, revolutioniert ein Abituraufsatz die Kafka-Forschung nur in den seltensten Fällen.

MetHoDIscHe uND INHAltlIcHe MöglIcHKeIteN Der AuFgABeNBeWältIguNg

zu teIlAuFgABe 1

Zum Standard einer Textuntersuchung – gleich, ob Literatur oder Sachtexte behan-delt werden – gehören: Inhaltsangabe, die in sachlicher und knapper Form die wichtigsten Erzählschritte

wiedergibt Erschließung der Textgliederung Bestimmung der Textsorte (Kurzgeschichte, Erzählung, Roman, Sachtext) Formulierung einer Deutungshypothese Auswertung der erzähltechnischen Mittel (Zeitstruktur, Erzählsituation und -per-

spektive, Sprache, Metaphern)

scHreIBplAN

zu teIlAuFgABe 1

Vorbereitung der Interpretation (d. h. genaue textanalyse und Bewertung der Aussagen und geschehnisse, strukturierung der Analyseergebnisse)

1. einleitung Autor, Textsorte (Erzählung), Entstehungszeitpunkt, HandlungskernDeutungshypothese, d. h., es ist eine Vermutung zu formulieren, wie der Text zu interpretieren ist (die übertragene Bedeutung der zentralen Metapher – der sprechende Affe – ist dem Leser zu veran-schaulichen)

2. Inhaltsangabe Nennung der wichtigsten Inhalte (zentrale Merkmale der Hauptfi-gur, Schauplatz, Handlung)

3. gliederung des vorliegenden textauszuges

Der Beginn der Erzählung lässt sich in zwei Abschnitte untergliedern:1. Abschnitt (Z. 1–38): Rahmenerzählung:

Einleitung des berichtenden Affen2. Abschnitt (Z. 39–124): Binnenerzählung:

Bericht von der Gefangennahme bzw. Gefangenschaft

Übungsaufgabe 1

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4. erzählerische Mittel und Deutung

zeitstruktur: zweiter Abschnitt ist eine Rückblende, zeitraffendes Erzählen, Zeitsprünge erzählsituation: Auftrag einer Akademie an einen Schimpansen, über sein „äffisches Vorleben“ zu berichten; Rotpeter drückt sich sehr gewählt auserzählperspektive: auktorialer Ich-Erzähler, der kommentiert, ein-ordnet und vorausdeutetverschiedene Deutungsangebote, weil über die menschliche Natur, die Kunst und das Erzählen philosophiert wirdeine mögliche Deutung: der Affe steht metaphorisch für einen angepassten Juden in Westeuropa um 1900, seine Sprache spiegelt sein Bildungsstreben wider, seine Narben die Jahrhunderte der Verfolgung und Ausgrenzung

5. Fazit Bilanz der wesentlichen Ergebnisse und/oder Überleitung zu Aufgabe 2

lösuNgsMöglIcHKeIt

zu teIlAuFgABe 1

Ein sprechender Schimpanse namens Rotpeter schildert in Ein Bericht für eine Aka-demie seine Lebensgeschichte. Er stamme von der Gold-küste und sei dort vor bald fünf Jahren eingefangen worden. Heute sei er ein gefeierter Varietékünstler. Zu lesen ist diese Erzählung von Franz Kafka aus dem Jahr

1917 als satirische Beschäftigung mit dem Anpassungswillen der Juden (= Deutungs-hypothese).Die Erzählsituation erklärt Rotpeter wie folgt: Er solle einem wissenschaftlichen Ver-band von seiner Vergangenheit als frei lebender Affe berichten. Dies sei ihm jedoch nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich, weil er mit seiner Vergangenheit als wil-des Tier radikal brechen musste, um sich der Menschenwelt anpassen zu können. Er musste alle Erinnerungen und Gewohnheiten aus der äffischen Periode ablegen, um sich vermenschlichen zu können. Der Verzicht auf Erinnerungen an diese Zeit sei Voraussetzung für seine Menschwerdung gewesen.Rotpeter erzählt von seiner Gefangennahme durch Jäger des Hagenbeckschen Tier-

parks, wie er dabei verwundet worden sei, weswegen er noch heute hinke. In der Gefangenschaft habe er zu-nächst die Ausweglosigkeit seiner Situation begreifen

müssen, um eine Ausflucht zu finden. Es gebe in der Menschenwelt keine Freiheit, nur Auswege. Das ist die paradoxe Situation am Ende des vorliegenden Textauszugs.In den ersten vier Absätzen des Textes wird der Erzählanlass, die Auftragsarbeit für eine Akademie, ausgeführt. Rotpeter beginnt mit einer formellen Anrede der Ad-ressaten, womit der Ich-Erzähler seine Kultiviertheit dokumentiert: Er erweist sich als ein den Wissenschaftlern ebenbürtiger Gesprächspartner. Der Affe unterstellt darüber hinaus, dass sich auch die Herren von der Akademie einmal von ihrer Her-

Einleitung und Erzählsituation

Inhalt und Gliederung

Übungsaufgabe 1

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kunft entfernt hätten, und begibt sich somit endgültig mit ihnen auf eine Entwick-lungsstufe. In diesem Abschnitt erklärt er, warum er sich angeblich nicht an seine Vorgeschichte als frei lebender Affe erinnern kann (Z. 4–23). Anschließend schränkt er seine ablehnende Haltung zum Anliegen der Akademie wieder ein und erklärt, was von seinem Bericht erwartet werden kann (Z. 23–38). Der erzählerische Rahmen wird also eingangs veranschaulicht. Nun beginnt die Binnenerzählung (Z. 39–124) von der Gefangennahme und dem Transport nach Europa, wobei dieser Abschnitt immer wieder von Vorausdeutungen und Kommentaren des Ich-Erzählers unterbro-chen wird.Die Sprache des Berichts ist meist sachlich und betont nüchtern. Sein pseudo-wissen-

schaftliche Charakter wird somit hervorgehoben. Ledig-lich während der Attacken auf einen Journalisten, der Rotpeters Zivilisiertheit in Frage stellt, fällt der Affe aus

der Rolle des kühl analysierenden Berichterstatters. Hier verfällt der Ich-Erzähler in Folterfantasien, wenn er sich wünscht, dass dem Reporter jeder Finger einzeln abge-trennt werden möge. Grund für diesen Hass ist: Der Redakteur habe behauptet, Rotpeter unterdrücke seine „Affennatur […] noch nicht ganz“ (Z. 53). Überdies be-zeichnet er den zweiten Feuerstoß, der ihn bei seiner Gefangennahme am Bein ver-letzte, als „frevelhaften Schuss“ (Z. 60). Somit fallen in diesem Abschnitt zwei emo-tionsgeladene Aussagen, auf die später noch einzugehen ist. Der Berichterstatter blickt wie schon angedeutet mit fünfjähriger Distanz auf seinen Eintritt in die Men-schenwelt zurück. Er ordnet die autobiografischen Informationen, kennzeichnet Fremdperspektiven und bezweifelt, ob nachträgliches Erinnern an die eigene Ge-schichte überhaupt zuverlässig sein kann (Z. 83–86). Es könne lediglich eine Annähe-rung an die historische Wirklichkeit – „an die alte Affenwahrheit“ (Z. 93 f.) – erwar-tet werden. Zusammengenommen heißt das, ein auktorialer Ich-Erzähler inszeniert seine Geschichte, indem er den Leser durch die Geschichte lenkt.Bemerkenswert ist, wie breit das stilistische Repertoire dieses Affen ist: Eingangs ist

der Satzbau hypotaktisch (also verschachtelt); lange, kunstvoll gebaute Sätze und direkte Anreden in der Höf-lichkeitsform (z. B. Z. 1 f.) dienen einem ironischen Spiel:

Der zivilisierte Schimpanse wird nämlich nicht etwa nach dem rätselhaften Prozess seiner Menschwerdung gefragt, was eigentlich im Interesse der Forschung wäre. Stattdessen reduzieren die Wissenschaftler und der oben erwähnte Journalist den angepassten Affen, obwohl er gebildet ist, stumpf auf seine Herkunft. Die Satire entlarvt somit einen Rollentausch: Der einstmals Wilde ist jetzt der Weise, die Intel-lektuellen sind dagegen unfähig, vorurteilsfrei zu denken. Das Anliegen, er solle über sein „äffisches Vorleben“ berichten, wird als geistlose Anfrage ohne wissen-schaftlichen Erkenntniswert demaskiert. In dem Bericht des Affen (ab Z. 39) dominie-ren dann kurze, einfach gestaltete Sätze. Die tierische Vergangenheit der Figur wird bloß aufgezählt (vgl. z. B. die asyndetische Reihung: „Dumpfes Schluchzen, schmerz-haftes Flöhesuchen, müdes Lecken einer Kokosnuss, …“, Z. 87 f.). Das schlichte Ge-fühlsleben des wilden Tieres spiegelt die protokollartige Sprache des Erzählabschnit-tes insofern wider, als das Fehlen von Bildung und die Erinnerungslücken durch die unvollständigen Sätze veranschaulicht werden. Gegen Ende der Passage erfolgt ein

Sprache

Erzählerische Mittel

Übungsaufgabe 1