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Warum die Schuldenbremse die Handlungsfähigkeit Hessens bedroht
Achim Truger
IMK in der Hans-Böckler-Stiftung
Vortrag auf der Aktions-, Vernetzungs-
und Informationstagung der
Plattform für ein handlungsfähiges Hessen
in Frankfurt am 22. Januar 2011
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Ertappt beim Unwort…
„Die Hessische Landesregierung hält die Änderung des Grundgesetzes und den damit verbundenen Konsolidierungszwang im Sinne einer generationengerechten und nachhaltigen Finanzpolitik für alternativlos.“
(Website des Hessischen Finanzministeriums:http://www.hmdf.hessen.de/irj/HMdF_Internet?uid=2a100c10-2de3-b21f-012f-31e2389e4818; Hervorhebung A.T.)
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Grundsätzliche Probleme der Schuldenbremse
Hohe Defizite und schlechte Finanzlage Hat Hessen „über seine Verhältnisse gelebt“?
Eine ausgeblendete Ursache: Massive Steuersenkungen
Düstere Zukunftsaussichten: Hessische Finanzpolitik unter der Schuldenbremse
Es gibt wirtschafts- und sozialverträglichere Alternativen der Haushaltskonsolidierung
Schuldenbremse in die hessische Landesverfassung?
Inhalt
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Die Schuldenbremse…
eine Strukturkomponente: Eine „strukturelle“ Verschuldung wird nur noch in sehr engen Grenzen zugelassen
für Bund: 0,35% des BIP ab 2016 für Länder: 0,0% ab 2020schrittweiser Übergang ab 2011Konsolidierungshilfen für Notlagenländer (Bremen, Saarland,
Berlin, SLH, Sachsen-Anhalt)
eine Konjunkturkomponente:
Sie vergrößert oder beschränkt die Verschuldungsmöglichkeiten symmetrisch je nach Konjunkturlage über die strukturelle Komponente hinaus (Diagnose gemäß EU-Kommissionsverfahrenbei der Haushaltsüberwachung für Bund; noch unklar für Länder)
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Nulldefizit ökonomisch nicht zu rechtfertigen: Stattdessen: Ziel der mittelfristigen Konstanz der
Schuldenstandsquote braucht kein Defizit von null, sondern von gegenwärtig etwa 0,8 - 1,0 Mrd. Euro.
alternativ Neuverschuldung in Höhe der Nettoinvestitionen zulässig – das wäre Generationengerechtigkeit: Unsere Kinder und Kindeskinder bezahlen über den Schuldendienstunsere heutigen Investitionen in ihre Zukunft (gegenwärtig wären etwa 1,4 Mrd. Euro zulässig)
Das würde den Konsolidierungsbedarf in ökonomisch sinnvoller Art und Weise um ein bis zwei Drittel verringern!
… und ihre grundsätzlichen Probleme
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„strukturelle“ Defizite müssen bis zu einem Stichtag zurückgeführt werden das kann gefährlich für die Konjunktur werden
„strukturelles“ und „konjunkturelles“ Defizit müssen technisch-statistisch getrennt werden, damit die Haushalte „mit der Konjunktur atmen“ können
das ist technisch nicht zweifelsfrei möglich und führt zu pro-zyklischer Politik das Problem kann sich im Übergang zum Stichtag gefährlich aufschaukeln
… und ihre grundsätzlichen Probleme
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Ja, aber die Euro-Krise???Figure 1:
10-year government bond yields, selected countries, January 2007 – November 2010
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Austria Belgium GermanySpain Finland FranceGreece (GR) Ireland ItalyLuxembourg Netherlands Portugal
Source: ECB, authors’ calculations.
Die Zinsen für „unsolide“ Schuldner schießen in die Höhe!
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Irland und Spanien haben 3%-Kriterium des SWP bis zur Krise nie verletzt
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Schuldenstand vor der Krise:Musterschüler Spanien und Irland…
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Die öffentlichen Defizite in den meisten Krisenländern (und auch bei uns) waren etwas Gutes:
Sie haben die Wirtschaften vor dem freien Fall bewahrt und das Finanzsystem und viele Arbeitsplätze gerettet.
Die Ursache liegt in der fehlenden Regulierung der Finanzmärkteund der falschen Wirtschafts- und Verteilungspolitik vor der Krise
Und ausgerechnet dafür sollen nun die Sozialstaaten durch brutale Kürzungsprogramme bluten
Wenn Deutschland und die anderen Überschussländer nun auchnoch fiskalpolitisch auf die Bremse treten, dann droht der ganze Euroraum über kurz oder lang in Stagnation zu versinken
Gerade die Eurokrise erfordert eine expansive Finanzpolitik in Deutschland!
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Grundsätzliche Probleme der Schuldenbremse
Hohe Defizite und schlechte Finanzlage Hat Hessen „über seine Verhältnisse gelebt“?
Eine ausgeblendete Ursache: Massive Steuersenkungen
Düstere Zukunftsaussichten: Hessische Finanzpolitik unter der Schuldenbremse
Es gibt wirtschafts- und sozialverträglichere Alternativen der Haushaltskonsolidierung
Schuldenbremse in die hessische Landesverfassung?
Inhalt
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Hohes Defizit im Landeshaushalt
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Über „die Verhältnisse gelebt“?
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Über „die Verhältnisse gelebt“?
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Über „die Verhältnisse gelebt“?
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Deutschland: Vize-Weltmeister in sparsamer Ausgabenpolitik!
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Die Einnahmen sind das Problem – nicht die Ausgaben!
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Grundsätzliche Probleme der Schuldenbremse
Hohe Defizite und schlechte Finanzlage Hat Hessen „über seine Verhältnisse gelebt“?
Eine ausgeblendete Ursache: Massive Steuersenkungen
Düstere Zukunftsaussichten: Hessische Finanzpolitik unter der Schuldenbremse
Es gibt wirtschafts- und sozialverträglichere Alternativen der Haushaltskonsolidierung
Schuldenbremse in die hessische Landesverfassung?
Inhalt
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Eine ausgeblendete Ursache
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Schuldenbremse = Steuersenkungsbremse?!?
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Schuldenbremse = Steuersenkungsbremse?!?
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Schuldenbremse = Steuersenkungsbremse?!?
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Schuldenbremse = Steuersenkungsbremse?!?
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Grundsätzliche Probleme der Schuldenbremse
Hohe Defizite und schlechte Finanzlage Hat Hessen „über seine Verhältnisse gelebt“?
Eine ausgeblendete Ursache: Massive Steuersenkungen
Düstere Zukunftsaussichten: Hessische Finanzpolitik unter der Schuldenbremse
Es gibt wirtschafts- und sozialverträglichere Alternativen der Haushaltskonsolidierung
Schuldenbremse in die hessische Landesverfassung?
Inhalt
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Düstere Aussichten: IMK-Beispielrechnung
Wie stark dürfen die Ausgaben im hessischen HH von 2010 bis 2020 wachsen, wenn das „strukturelle Defizit“ 2020 null sein soll?
optimistisches Szenario: nominal 1,7 % pro Jahr pessimistisches Szenario: nominal 1,3 % pro Jahr
Problem: Von 1993 bis 2008 lag der Durchschnitt bei 2,4 % pro Jahr
ohnehin schon restriktive Ausgabenpolitik müsste noch erheblich verschärft werden „Operation sichere Zukunft“ 2 und ff. drohen!
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Düstere Aussichten: IMK-Beispielrechnung
Wie hätte der Haushalt 2008 ausgesehen, wenn von 1998 bis 2008 die Ausgaben statt um 2,4 % pro Jahr um optimistisches Szenario: nominal 1,7 % pro Jahr pessimistisches Szenario: nominal 1,3 % pro Jahrgestiegen wären?
Die Ausgaben wären um 1,2 Mrd. Euro (6 %) bzw. 1,7 Mrd. Euro (8 %) geringer ausgefallen! das wären 65 % bzw. 95 % der öffentlichen Investitionen!
oder 17 % bzw. 24 % des Personaletats 2008!
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IMK-Beispielrechnung
Quelle: Hessisches Finanzministerium, 8.9.2010
28 Quelle: Hessisches Finanzministerium, 24.08.2010
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Grundsätzliche Probleme der Schuldenbremse
Hohe Defizite und schlechte Finanzlage Hat Hessen „über seine Verhältnisse gelebt“?
Eine ausgeblendete Ursache: Massive Steuersenkungen
Düstere Zukunftsaussichten: Hessische Finanzpolitik unter der Schuldenbremse
Es gibt wirtschafts- und sozialverträglichere Alternativen der Haushaltskonsolidierung
Schuldenbremse in die hessische Landesverfassung?
Inhalt
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so lange die Schuldenbremse im Grundgesetz steht, muss man sie natürlich einhalten
aber man KANN versuchen, die Gestaltungs-spielräume sinnvoll auszunutzen
und man MUSS die einnahmenseitige Voraussetzungen für ihre Einhaltung schaffen
Einhaltung der Schuldenbremse ohne Kürzungsorgie ermöglichen!
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Wahl des KonjunkturbereinigungsverfahrensBund hat mit Verfahren der EU-Kommission ein sehr intransparentes und anfälliges Verfahren gewählt
Möglichst Verfahren mit träger Strukturkomponente wählen (wie in der z.B. Schweiz)
Wahl der Budgetsensitivität meistens pauschal und sehr ungenau
Möglichst exakte Schätzung versuchen
Stellschrauben der Schuldenbremse
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für den Bund Präzisierung in Art. 115 GG + Ausführungsgesetz + Verwaltungsvorschriften durch BMF und BMWI
für Länder eigentlich nur Art. 109 GG
+ Bedingungen für Konsolidierungshilfen
+ evtl. Druck über Stabilitätsrat
Aber sonst: viel mehr Freiheiten als der Bund !
Stellschrauben auf Länderebene
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Konjunkturbereinigungsverfahren (s.o.)
Budgetsensitivität (s.o., aber auch Chance für Kommunen!)
volkswirtschaftliches BIP oder Länder-BIP?
Nebenhaushalte?
Privatisierungserlöse? Finanzielle Transaktionen?
Gestaltung des Übergangs?
aber: mehr Spielraum nicht immer sinnvoll und häufig mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden!
Linderung möglich, aber fundamentale Probleme können nicht finanztechnisch gelöst werden!
Stellschrauben auf Länderebene
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Der Staat ist auf allen Ebenen unterfinanziert
Weitere Entstaatlichung programmiert
Um das zu beheben bzw. zu verhindern bedarf es deutlicher Steuererhöhungen Diese können ökonomisch und
verteilungspolitisch unproblematisch vorgenommen werden
Steuererhöhungen sind ALTERNATIVLOS…
Behebung des fundamentalen Einnahmenproblems
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Ausgangspunkt: Hohe Defizite und schlechte Finanzlage
Ursachenforschung: Hat Hessen „über seine Verhältnisse gelebt“?
Eine ausgeblendete Ursache: Massive Steuersenkungen
Düstere Zukunftsaussichten: Hessische Finanzpolitik unter der Schuldenbremse
Wirtschafts- und sozialverträglichere Alternativen der Haushaltskonsolidierung?
Schuldenbremse in die hessische Landesverfassung?
Inhalt
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NEIN!
(faktisch) Wenn die Schuldenbremse im GG vom Bundes-
verfassungsgericht kassiert würde oder sie aus anderen Gründen zurückgenommen würde, bliebe Hessen trotzdem auf seiner Schuldenbremse sitzen
Wenn es eh so schlimm ist, ist es dann nicht egal, ob man die Bremse noch in die Landesverfassung schreibt?
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NEIN!
(politisch) Sie würde nur von der Diskussion um die
zentralen Stellschrauben ablenken!
Sie würde der Landesregierung quasi einen Frei-brief für ihre Kürzungs- und Streichpolitikerteilen
Der politische Diskurs würde sich nur noch um Konsolidierung und nicht mehr um zentraleZukunftsinvestitionen drehen
Man würde auf jegliches Drohpotenzial gegenüber dem Bund verzichten
Wenn es eh so schlimm ist, ist es dann nicht egal, ob man die Bremse noch in die Landesverfassung schreibt?
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NEIN!zur Schuldenbremse in Hessen
deshalb:
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Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!