Deutschlandradio Körperschaft des öffentlichen Rechts Abteilung Wissenschaft und Bildung Redaktion: Carsten Schroeder
Deutschlandfunk
Studiozeit
Aus Kultur und Sozialwissenschaften
VATER UND SOHN Soziale und seelische Bedeutung eines Männerbundes
Feature von Andrea und Justin Westhoff Christi Himmelfahrt, Donnerstag, 17.05.2012 20.05 - 21.00 Uhr
Aufnahmedatum: Sprecher: Nicole Kleine Justin Westhoff Helmut Gauß
URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken verwendet werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig
DeutschlandRadio
Raderberggürtel 40 ♦ 50968 Köln ♦ Telefon Hörerservice: 0221-345-1831
M1: Rühmann (0’15“)
Wenn der Vater mit dem Sohne einmal ausgeht
und dann keiner gern nach Haus geht,
dann erleb’n sie unterwegs die dollsten Sachen
mal zum Weinen - mal zum Lachen …
Zit.: Nicht Fleisch, nicht Blut, die Liebe macht uns zu Vätern und Söhnen.
Sprin: Friedrich Schiller
Regie: M2 Musikakzent (Chaplin „The Kid“)
Zit.: Den Vater kann man bewundern; man kann bei ihm geborgen sein oder ihn
fürchten – schließlich ihn missachten.
Sprin: Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich.
Regie: Musikakzent (s.o.)
Zit.. Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, dem Enkel zerfällt’s.
Sprin: … sagt der Volksmund.
Regie: Musikakzent (s.o)
Sprin: Und Franz Kafka schreibt in seinem „Brief an den Vater“
Zit.: In deinem Lehnstuhl regiertest du die Welt. Deine Meinung war richtig, jede
andere war verrückt, überspannt, meschugge, nicht normal.
M3: Ton, Steine, Scherben
Aber ich will nicht werden, was mein Alter ist. Nee!
Ich will nicht werden, was mein Alter ist.
Zit.: Wenn ein Mann in der Therapie weint, ist es fast immer wegen seines Vaters.
Sprin: … behaupten die amerikanischen Psychologen Dan Kindlon und Michael
Thompson.
Regie: M2 – Musikakzent (s.o.)
Zit.: "Vater werden ist nicht schwer,
Vater sein dagegen sehr."
Sprin: … dichtete schon Wilhelm Busch.
Aber es kann Spaß machen. Der Fußballer Andreas „Zecke“ Neuendorf mit
seinem Sohn in einem Werbespot für ein Vater-Sohn-Turnier:
M4: Werbespot auf Musik (0’15“)
(Vater:) Ihr könnt weiter in der Bude hocken.
(Sohn:) Mammi in der Küche helfen, Euch die Haare schön machen.
(Vater:) Oder Ihr kommt endlich raus und spielt. Du und Dein Sohn.
(Sohn:) Du und Dein Vater.
Sprin: Die Beziehung zwischen Vater und Sohn – vielschichtig, mal innig, mal
konfliktvoll. In der Geschichte hing manchmal das Schicksal ganzer Völker
daran, wenn um die Herrschaftsnachfolge gestritten wurde. Oder es kann um
Wohl und Wehe eines Unternehmens gehen, wenn die Firmenpatriarchen nicht
loslassen oder die Jungen nicht in die großen Fußstapfen treten können. Kunst
und Literatur beschäftigten sich zu allen Zeiten mit der Vater-Sohn-Beziehung:
die Symbiose zwischen Mozart und seinem Vater, das Leiden Kafkas unter der
väterlichen Übermacht oder die Ambivalenz zwischen Thomas und Klaus Mann.
Bisweilen sorgen solche Konflikte für aktuelle Schlagzeilen, etwa wenn der Sohn
von Helmut Kohl in einem Buch öffentlich seine lieblose Kindheit verarbeitet.
Vater und Sohn – Zwei Seiten einer Medaille. Väter sind immer auch Söhne und
Söhne die potentiellen Väter von morgen.
Regie: M5 (Clapton, instrumental)
Zit.: Patriarch und Papa Patriarch und Papa Patriarch und Papa Patriarch und Papa –––– Väter Väter Väter Väter---- und Männerbilder und Männerbilder und Männerbilder und Männerbilder
Regie: Musik kurz hoch und weg
Sprin: Die Art der Wertschätzung des Vaters wandelt sich mit den Zeiten. So dachten
sich die Amerikaner Anfang des 20. Jahrhunderts beispielsweise einen Vatertag
aus, der im Juni stattfindet – parallel zum Ehrentag für die Mütter. Hierzulande
gibt es den Vatertag schon länger, sinnigerweise an Christi Himmelfahrt.
Vermutlich kam der Brauch Ende des 19. Jahrhunderts auf, zunächst in Nord-
und Ostdeutschland.
Regie: M6 – Atmo Vatertag
Spr: Kernelement war und ist die „Herrenpartie“, eine Fahrt mit Kutsche oder
Traktor-Anhänger oder aber Umzüge zu Fuß, in dem Fall mit einem kleinen
„Bollerwagen“ oder einer Schubkarre – dringend notwendig, um das längst
Wichtigste, um die alkoholischen Getränke zu transportieren. Meist ist der
Vatertag mittlerweile Gelegenheit für grölende junge Männer, die saufend und
raufend Männlichkeitsrituale zelebrieren. Ob sie die von ihren Vätern
abgeschaut haben, sei dahingestellt.
Sprin: Die Vaterposition war immer und ist weiter schwierig: Die Beziehung eines
Mannes zu seinem Kind ist nicht naturgegeben, sie muss gewollt und
entwickelt werden. Abgesehen von persönlichen Einstellungen hat jede Zeit ihr
Vaterbild, bestimmt durch die Kultur und Gesellschaft, umgekehrt diese auch
prägend.
O-Ton 1: von der Leyen (0'07")
Väter, die aktive Väter sind, sind keine Weicheier, meine Damen und Herren, sondern sie
sind das Trendmodell der Zukunft. (Klatschen, abgeblendet)
Sprin: … rief Ursula von der Leyen, damals noch Familienministerin, 2006 auf einem
CDU-Parteitag denen zu, die gegen Vätermonate beim Elterngeld waren.
Thomas aber ist einer dieser Trendsetter:
O-Ton 2: Thomas (0'15")
Meine Frau war das erste Jahr mit ihr zuhause, weil ich sie ja nicht stillen kann, aber jetzt,
nachdem das so über die Elterngeldregelung möglich ist, werde ich auf jeden Fall die zwei
Monate Elternzeit nehmen und dann die anderen Monate noch verkürzt arbeiten, bis sie
zwei Jahre ist.
Sprin: André Stern ist Autor des Buches „Mein Vater, mein Freund – das Geheimnis
glücklicher Söhne“.
O-Ton 3: Stern Sohn (0’20“)
Ich glaube, wie haben das große Glück, dass im Moment neue Paradigmen entstehen
können, und dass Väter nicht mehr nur die Rolle spielen, die man von ihnen Jahrzehnte
lang erwartet hat, und es ist sehr wichtig, dass es neue Vorbilder gibt, damit neue
Vätertypen entstehen können, Frauen von heute brauchen Männer von morgen, und daran
möchte ich arbeiten.
Sprin: Gemessen an den politischen Debatten und dem Medienecho scheint es so, als
sei der Typ „neuer Vater“ das aktuelle Leitbild. Die meisten jungen Frauen
wünschen sich, dass die Lasten der Kinderversorgung ebenso wie
Karrieremöglichkeiten partnerschaftlich geteilt werden. Das haben auch alle
Shell-Jugendstudien der vergangenen Jahre gezeigt, die der Bildungsforscher
Professor Klaus Hurrelmann seit langem leitet. Die potentiellen neuen Väter
selbst sind mehrheitlich zurückhaltender:
O-Ton 4: Hurrelmann (0’55“)
60 Prozent sind dazu nicht bereit. Wir haben aber die 40 Prozent der jungen Männer, die
bereit sind sich zu bewegen, die sich auch schon bewegt haben, die die Einstellung haben,
„so, ich muss es anders machen als mein Vater und mein Großvater, ich sehe auch als
eine Chance für mich, dass ich rauskomme aus die Rollengefängnis, der Starke und der
Fürsorger und der Brotverdiener zu sein, endlich kann ich mich da auch befreien und kann
mit meiner Partnerin zusammen daraus einen neuen und offeneren Weg gestalten“. Das
geht in die Richtung von mehr Weichheit, Offenheit, Gefühle zulassen, auch Bereitschaft
mit Kindern umzugehen, sich auf sie einzulassen, kritisch wird’s auf der Zeitachse, ob
wirklich dann, wenn man berufstätig ist, auch die Zeit frei gemacht wird, um sich um
eigene Kinder zu kümmern, viele junge Männer sind da noch sehr unsicher.
Sprin: Wer es dann tatsächlich probiert, kann viel gewinnen, sagt Thomas aus
Erfahrung mit seinem dritten Sprössling:
O-Ton 5: Thomas (0'07")
Also ich hab noch zwei ältere Söhne, und rückblickend kann ich sagen, wir haben ein
engeres, ein anderes Verhältnis als zu meinem größeren Sohn.
Sprin: Neu an den neuen Vätern ist zum Beispiel, dass sie sich absetzen vom Vater als
Familienoberhaupt an der Spitze einer strengen Hierarchie.
Zit.: Nach Gott kommt gleich der Papa …
Sprin: … hat Mozart, als Knabe, über seinen Vater gesagt.
Lange Zeit, bis weit hinein ins 18. Jahrhundert, war das europäische Vaterideal
der „pater familias“ – der Ernährer und Beschützer, der die Familie nach außen
vertrat, in der römischen Antike noch der Hausherr, dessen Macht und zugleich
Verantwortung sich nicht nur auf die leiblichen Nachkommen, sondern auf alle
unter einem Dach lebenden Menschen bezog. Zu den Kindern hält er bewusst
Distanz, das wird als Voraussetzung für die Möglichkeit von Erziehung
überhaupt angesehen. Zu große Nähe, Gefühle gelten als Schwäche, mindern
Respekt und Autorität. Besonders Jungen werden mit Härte behandelt, um sie
hart zu machen.
So ist der Vater nicht selten der Schrecken der Kindheit, wie ihn Friedrich
Schiller in seinem "Don Carlos" beschreibt:
Regie: M2 – Musik unter Gedicht
Zit.: Nein, o Gott! Ich hasse meinen Vater nicht,
doch Schauder und Höllenangst ergreifen
bei den zwo fürchterlichen Silben mich,
als hört ich alle Sünden meines Lebens
am Tag des Weltgerichts herunterlesen.
Kann ich dafür, wenn eine viehische
Erziehung schon in meinem jungen Herzen
der Kinderliebe zarten Keim zertrat?
Sprin: Das patriarchale Vaterbild ist auch entscheidend geprägt durch die jüdisch-
christliche Kultur.
Regie: Sprin und Zit. übereinander legen“
Sprin: Vater unser, der du bist im Himmel, // geheiligt werde dein Name, dein Reich
komme // dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden...
Zit.: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, // den Schöpfer des Himmels
und der Erde. // Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, // unsern
Herrn ...
Sprin: Nach jüdischer Vorstellung ist Gott Vater aller Menschen: in vielen Geschichten
als der strenge Patriarch beschrieben, bedingungslose Unterwerfung fordernd.
In der christlichen Botschaft ist er der Vater eines Sohnes, so treten neben
Macht und Gehorsam auch Momente von väterlicher Liebe und Fürsorglichkeit
auf.
Aber es sind auch gesellschaftliche Veränderungen, die das streng patriarchale
Vaterbild bröckeln lassen. Die Häuser, über die der pater familias Herr ist,
werden kleiner, viele der früheren Vaterfunktionen gehen verloren. Im Zuge der
Industrialisierung schließlich verändert sich die Arbeitswelt und damit auch die
Vaterschaft grundlegend:
Regie: Musik M2 unter Gedicht
Zit.: Der Mann muss hinaus
Ins feindliche Leben,
Muss wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muss wetten und wagen
Das Glück zu erjagen.
(…)
Und drinnen waltet
die züchtige Hausfrau,
die Mutter der Kinder,
und herrschet weise
im häuslichen Kreise.
Sprin: In seinem Gedicht „Die Glocke“ zeichnet Friedrich Schiller das neue
Familienbild seiner Zeit: Der Vater ist draußen: Versorger, unerlässlich für das
Wohl aller, mächtig zwar, aber ohne praktischen Einfluss, ein König, fremd in
seinem Reich. Zudem verliert der Vater mit der raschen Entwicklung der
modernen Arbeits- und Lebenswelt an Anschaulichkeit: Die Regeln, Normen
und Erfahrungen, die er in seiner Jugend macht, gelten eine Generation später
nicht mehr viel, er kann kaum noch Lehrer sein. In der jüngsten Geschichte
verschärft sich diese Situation noch, sagt Hans Bertram, Professor für
Makrosoziologie an der Berliner Humboldt-Universität:
O-Ton 6: Bertram (0’14“)
In der Nachkriegsgeschichte Deutschlands, beim Wiederaufbau das war eine Industrie-
gesellschaft mit Schichtbetrieb, es wurde auf die Familie keine Rücksicht genommen, und
man ging davon aus, dass der Mann dem Arbeitsplatz immer dann zur Verfügung steht,
wenn der Arbeitgeber das will.
Sprin: Gewiss gab es dagegen immer auch Widerstand: Beispielsweise kämpften die
Gewerkschaften schon in den 50er Jahren um mehr Zeit für die Familie mit dem
Slogan „Samstags gehört Vati mir!“. In den letzten Jahren schließlich mehrten
sich Ansätze, welche die Konturen eines neuen Vaterbildes deutlicher werden
lassen. Eberhard Schäfer, Geschäftsführer eines Berliner „Väterzentrums“ ganz
zuversichtlich:
O-Ton 7: Schäfer (0’16“)
Dass es so was gibt wie Väterzentren oder dass es wirklich ganz schnell ging, dass die
Väter diese Elternzeit angenommen haben, das sind für mich ganz deutliche Zeichen, dass
die Väter mehr und intensiver sich um ihre Kinder kümmern wollen als meinetwegen die
Generation davor.
Regie: M7 – Musik (Cocker, vocal)
Sprin: Aber obwohl jetzt soviel geredet und auch einiges getan wird für die neue, die
fürsorgliche Vaterschaft: Die Zahlen zeigen insgesamt ein anderes Bild:
Spr: Nur jeder fünfte Mann fragt in seinem Unternehmen überhaupt nach Elternzeit,
und die allermeisten von ihnen bleiben nur zwei Monate zu Hause;
teilzeitbeschäftigte Väter gibt es praktisch kaum. Und: Laut einer Studie der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit dem Titel „Männerleben“
arbeiten die Herren nach der Geburt des ersten Kindes tendenziell sogar mehr
als vorher.
Sprin: Dass der „neue Vater“ noch längst nicht das vorherrschende Modell darstellt,
bestätigt auch Dr. Dag Schölper, Geschäftsführer des „Bundesforum Männer“.
O-Ton 8: Schölper (0’40“)
Wir haben zwei parallel funktionierende Leitbilder: Das eine ist ein sehr positives, ein
neues, also partnerschaftliches, gemeinsam mit der Mutter sich stark in die
Kindererziehung und in die unmittelbare Betreuung einzubringen, und auf der anderen
Seite das weiterhin bestehende Modell des Vollzeit erwerbstätigen Mannes und das eben
auch als Teil von Väterlichkeit zu begreifen, zu sagen, er ist nach wie vor der
Haupternährer oder der Hauptverdiener, und das beißt sich ein stückweit, und ich glaube
aber, dass diese Wahrnehmung dessen, dass sich das beißt, schon auch als Fortschritt zu
begreifen ist, und jetzt stärker geguckt wird, wie kommen wir eigentlich daraus und wie
kriegen wir gute Brücken hin, um aus der Arbeitswelt in die Familie zu wechseln und
umgekehrt.
Sprin: Das zentrale Element des patriarchalen Vaterbildes ist bis heute sichtbar: der
Versorger. Für nahezu zwei Drittel der jungen Männer ist es sehr wichtig, erst
einen sicheren Arbeitsplatz zu haben und eine Familie ernähren zu können,
bevor sie Vater werden. Jugendforscher Klaus Hurrelmann:
O-Ton 9: Hurrelmann (0’43“)
Man kann fast sagen, die jungen Männer in Deutschland sperren sich in einem
traditionellen Rollengefängnis von Männlichkeit ein. Der Mann hat die Verantwortung als
Broterwerber tätig zu sein, das ist durchaus auch eine Belastung, man darf hier nicht nur
spöttisch auf die jungen Männer schauen, und welcher junge Mann wird belohnt dafür,
dass er sagt, „ja ich werde mich auch in die Erziehung meiner Kinder einmischen, ich
werde auch für einige Zeit den Haushalt übernehmen“, das ist noch gewöhnungsbedürftig,
während bei den jungen Frauen, die sagen, „ja ich will selbstverständlich auch berufstätig
sein“, schon die öffentliche Meinung, die Familienmeinung, die Gleichaltrigen, die
Freunde, im großen und ganzen nur durchgehend mit Zustimmung reagieren.
Sprin: Die Diskrepanz zwischen Wollen und Machen hat aber auch mit den Realitäten
der Arbeitswelt zu tun. Dag Schölper:
O-Ton 10: Schölper (0’30“)
Natürlich: Fragen der Arbeitszeit sind ganz wichtig, es muss gerade auf den Bereich
dessen, was übertariflich mehr gearbeitet wird, geschaut werden, dass wenigstens das
eingehalten wird, was im Arbeitsvertrag steht, ich denke da haben Männer ein ganz großes
Dilemma, dass sie einen Druck verspüren, etwas vorspiegeln zu müssen an Geschäftigkeit,
Tätigkeit, Anwesenheit, dass ihnen das Leben furchtbar schwer macht. Also selbst dann,
wenn sie nur ihre 40 Stunden arbeiten oder ihre 38, müssen sie ja auch noch sagen, sie
würden unendlich viel mehr arbeiten.
Sprin: Neue Arbeitszeitmodelle könnten Abhilfe schaffen, bei denen beispielsweise
Väter und Mütter in den ersten Jahren nach der Geburt eines Kindes je 30
Stunden arbeiten. Bisher aber hapert es an ganz praktischen Dingen, die
modernen Vätern das Leben erleichtern könnten.
O-Ton 11: Schölper (0’20“)
Wenn die Wickeltische in Unternehmen nur in den Frauen-WCs angebracht sind, dann gibt
es da Probleme für Männer mit Vereinbarkeit. Also es sind oft so ganz alltägliche Dinge,
die aber in den Blick kommen müssen, die es Vätern schwermachen. Vor allem, wenn sie
es nicht in der Selbstverständlichkeit erleben: „ach das ist vom Arbeitgeber in Ordnung,
wenn ich mal mein Kind stundenweise mitbringe“, so lange das nicht da ist, kommen sie
auch nicht auf den Gedanken.
Sprin: Zudem fehlt jungen potentiellen Vätern selbst ein klares Vorbild durch
wiederum ihre Väter, meint Jugendforscher Klaus Hurrelmann:
O-Ton 12: Hurrelmann (0’12“)
Hier haben wir ja vor allem die Bereitschaft der Väter, der heutigen Väter, zu akzeptieren,
dass ihre Töchter einen neuen Weg gehen. Die Unterstützung bei den Söhnen sieht nicht
so eindeutig aus. Da sind auch die Väter ambivalent. Da hat sich nicht so viel bewegt auf
der Vaterseite, was die männliche Rolle und die Unterstützung von Söhnen betrifft.
Regie: M7 – Musik (Cocker instrumental)
Sprin: Das Festhalten an veralteten Vaterbildern und deren machtvolle Wirkung zeigt
sich hier und heute vor allem in den muslimischen Migrantenfamilien, so
zumindest das gängige Klischee: Der Vater als „Pascha“ und die Söhne
selbstverständlich in seinen Fußstapfen. Aber so einfach ist das nicht:
O-Ton 13: Hurrelmann (0’48“)
Die soziale Herkunft spielt eine enorme Rolle dafür, wie man als junger Mann, als junge
Frau, seine eigene Rolle definiert. Das heißt konkret vor allem, je höher der Bildungsgrad
der Väter, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Väter über ihre
Geschlechtsrolle schon nachgedacht und hier und da Korrekturen vorgenommen haben,
und hier haben es die jungen Männer besonders schwer, bei denen die Väter noch eine
ganz traditionelle Elternrolle spie-len, und darunter sind naturgemäß dann viele mit einem
Zuwanderungshintergrund, wobei der Zuwanderungshintergrund kaum die Hauptrolle
spielt, sondern die Höhe des Bildungsniveaus, und da haben wir eben in Deutschland sehr
viele Zuwanderer, die mit einem verhältnismäßig niedrigen Bildungsniveau gekommen
sind, das ist der entscheidende Punkt hier.
Sprin: Formal sind in eher konservativen muslimischen Familien die patriarchalen
Strukturen nahezu unangefochten: Der Vater ist das Familienoberhaupt, für die
grundsätzlichen Vermittlung von Werten, Regeln und Ritualen zuständig, die
Mutter für die praktischen Alltagsdinge, gerade, was die Kinder angeht. Faktisch
aber haben Väter des Öfteren die Rolle des „geduldeten Tyrannen“: Der Rest
der Familie nimmt ihn nicht mehr ganz ernst und versucht, ihn möglichst
geschickt zu umgehen. Die Väter spüren dieses Nicht-dazu-Gehören mehr und
mehr, sagt der Psychologe Kazim Erdogan:
O-Ton 14: Erdogan (0’30“)
Die türkischen Väter, die Probleme haben, deren Zahl von Monat zu Monat, weil die Zahl
der Scheidungen sich dramatisch erhöht haben, und weil es immer mehr türkische Väter
gibt, die keine Rolle haben. Also diese typische Rolle für Männer mit türkischer Erziehung
nicht mehr vorhanden ist. und sie haben auch Schwierigkeiten, weil die Enttäuschung, die
Verzweiflung bei den türkischen Männern sehr, sehr groß ist und sie in einer
geschlossenen Gesellschaft leben.
Sprin: Aber auch hier gibt es Entwicklung: Kazim Erdogan zum Beispiel hat in Berlin
den „Gesprächskreis für türkische Väter“ gegründet. Zwischen 10 und 30
Männer aller Altersstufen kommen zu den einzelnen Sitzungen, die meisten
haben Eheprobleme, manche sind sogar alleinerziehend – ja, das gibt es auch
bei Türken –, und hier finden sie eine vertrauensvolle Atmosphäre, können
offen über ihre Probleme sprechen und Veränderung versuchen.
Und auch bei den jungen muslimischen Männern, den Söhnen, tut sich etwas:
O-Ton 15: Postulka (0’16“)
Jungs lieben ihre Väter, das wird sogar häufig so formuliert, und ob das jetzt sofort
bedeutet, dass sie das Rollenverständnis ihrer familiären oder ihrer Glaubenstradition
deswegen so eins zu eins übernehmen, ist ne andere Frage.
Sprin: … sagt Tobias Postulka, der in Berlin ein Jungen-Projekt der „Caritas“, leitet, das
vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund anspricht:
O-Ton 16: Postulka (0’33“)
Die befinden sich hier in einer sehr modernen Welt, in der sie sich einerseits an
Traditionen erinnern und andererseits ganz modernen Anforderungen genügen müssen,
und was ich beobachte, ist: einerseits sind sie doch so ein bisschen kraftorientiert und
kommen auch hier hin, und trainieren im Kraftraum, andererseits sind sie doch durch die
Bank oft so reflektiert, dass sie sagen, ja wenn meine Frau möchte, dass ich zuhause bei
den Kindern bleibe, kann ich mir das sehr gut vorstellen! Und das ist aus dem Mund von
15, 16-jährgen Macho-Jugendlichen, dann eine ganz große Überraschung.
Regie: M8 – Musik (Stevens instrumental)
Sprin: Junge Männer – und nicht nur solche mit Migrationshintergrund – haben heute
kein festes Rollenbild mehr, das mag man begrüßen. Aber sie haben auch keine
klaren Vorstellungen davon, welche Art von Vater sie sein wollen. Es gibt
verschiedene gesellschaftliche Bilder, die mehr oder weniger opportun sind,
doch es fehlt oft die konkrete Erfahrung, meint Jugendforscher Hurrelmann:
Männer, die ihren Söhnen zeigen, wie Väter sind, indem sie ihnen Väter sind.
O-Ton 17: Hurrelmann 13 (0’14)
Wir haben sehr viele Väter, die weichen aus, die sind nicht berechenbar, sie sind nicht im
richtigen Moment an der richtigen Stelle, und das hinterlässt böse bittere Spuren dann bei
den Kindern, vor allem auch bei den männlichen Kindern, und irritiert sie in ihrem eigenen
Männerbild.
Zit.: Was ist männlich? Ich weiß wie Männlichkeit riecht. Männlichkeit riecht nach
Tabak, nach Leder, nach Hasenbroten, nach Lack und Schweiß, kurz, sie riecht
wie die Tasche, die mein Vater bei sich trug, wenn er abends von der Arbeit
kam.
Sprin: Der Pädagoge Dieter Schnack.
Zit.: Früheste Erinnerung: seine Abwesenheit. In den ersten fünf Jahren meines
Lebens ging er frühmorgens, wenn ich noch schlief, zur Arbeit und kam erst
wieder nach Hause, wenn ich längst im Bett war. Ich war der Sohn meiner
Mutter und lebte ganz in ihrer Sphäre.
Sprin: Der amerikanische Schriftsteller Paul Auster.
Regie: M5 (Clapton, instrumental)
Zit.: Fehlende Väter, verlorene SöhneFehlende Väter, verlorene SöhneFehlende Väter, verlorene SöhneFehlende Väter, verlorene Söhne
Regie: Musik hoch und weg
Sprin: Lange war es nicht klar, die Säuglings- und Bindungsforschung hatte sich auf
die Mutter konzentriert, aber inzwischen ist unbestritten: Jungen brauchen
Väter. Frank Dammasch, Kinder- und Jugendtherapeut und Professor für
psychosoziale Störungen im Kindesalter an der Fachhochschule Frankfurt am
Main:
O-Ton 18: Dammasch (0’42“)
Für das Mädchen ist der Vater natürlich auch nicht unbedeutend, denn sie kann sich mit
den männlichen Anteilen des Vaters identifizieren und sich dadurch natürlich auch besser
von dieser Ähnlichkeitsbeziehung mit der Mutter lösen, und kann natürlich probehalber in
der so genannten ödipalen Phase auch ihre Verführungskompetenzen im Spiel mit dem
Vater in ungefährlicher Weise ausprobieren. Für den Jungen ist die frühe Beziehung zum
Vater allerdings noch bedeutungdsvoller. Der Junge braucht den Vater als Spiegel seiner
Männlichkeit. Für ihn ist es zentral wichtig, sich von der Weiblichkeit der Mutter zu lösen
und seine männlichen Anteile im Spiel mit dem Vater sich anzueignen.
Sprin: Väter gehen vom ersten Tag an deutlich anders mit Kindern um als Mütter –
abwechslungsreicher vor allem. Sie bieten ein emotionales Auf und Ab, in dem
das Kind lernt, unterschiedliche Gefühle besser auszuhalten, auszubalancieren
– und das spielerisch:
O-Ton 19: Dammasch (0’39“)
Während die Mutter eher ruhige, hamonische Spiele bevorzugt, bastelt, malt, und sich
dabei auch oft von ihrem Sohn leiten lässt, bevorzugt der Vater oft eher motorisch wilde
Spiele. Nicht selten sehen wir das ja auch auf dem Spielplatz. Also wir werden selten eine
Mutter sehen, die zum Beispiel ihr Kind in die Luft wirft, während wir das bei Vätern oft
sehen. Wir sehen dann die Jungs, die auf den Baum klettern und der Vater sagt: „komm
den nächsten Ast den schaffst Du auch noch“, und dann gucken wir auf die Mutter, und
dann sehen wir, die hält sich schon fast die Augen zu – also der Vater ist sehr wichtig, um
die motorisch aggressive Seite des Jungen - ja - zu formen, ist vielleicht das beste Wort.
Sprin: Diese Rollenverteilung ist selbstverständlich nicht naturgegeben. Jedenfalls aber
brauchen Kinder – wenn es irgend geht – beides, weibliche und männliche
Bezugspersonen – und eben den Unterschied zwischen diesen. In dieser
Dreieckeckskonstellation darf der Mann weder selbst eine Mutti suchen noch
von der Frau als Störenfried empfunden werden.
Wissenschaftliche Erkenntnisse über die Bedeutung von Vätern für Kinder sind
indessen die eine Sache, aber die Realität sieht oft anders aus.
O-Ton 20: Schäfer (0’25“)
Ich gehör zu der Generation der Männer, deren Väter überwiegend doch sehr distanziert
waren. Man hat den Vater überwiegend am Wochenende gesehen, wenn überhaupt; und
viele Männer in meiner Generation erzählen eigentlich das gleiche. Kann man auch in
vielen Büchern nachlesen. „Vater wer bist du“ – „Der ferne Vater“ und so weiter, da sind
viele, viele Geschichten erzählt worden von Söhnen, die nie richtig wussten, wer ihr Vater
ist.
Sprin: Zunächst auf die Ernährerfunktion reduziert, dann durch den Wandel der
Arbeitswelt auf einen Platz außerhalb der Familie verwiesen, verschwanden
Väter durch die beiden Weltkriege vielfach von der Bildfläche: Viele waren
gefallen oder kamen spät, schwer traumatisiert zurück. Als „vaterlose
Gesellschaft“ kennzeichnete dies 1963 der Psychoanalytiker Alexander
Mitscherlich.
Und Vaterlosigkeit bleibt ein Thema, nicht zuletzt, weil Männer in ihrem
Rollenbild verunsichert sind. Das nun auch wieder nicht zur Freude der Frauen:
Regie: M8 – Musik (Stevens instrumental)
Zit.: Männer, zieht die Strampler aus …
Spr: … unter dieser Überschrift beschrieben zwei Autorinnen 2012 in der Zeitschrift
„Stern“ die wachsende Zahl von risiko- und konfliktscheuen jungen Männern,
die "Generation Kuschel", zu erkennen am modischen Trend der Wollmützen
draußen wie drinnen, sowie am neuesten Modetrend: dem Riesenstrampler, ein
Einteiler aus weichem Nickystoff, sogar in Rosa zu haben. Offenbar ein
Ausdruck des Gefühls, dass das Leben nicht kratzen oder scheuern darf. Auch
Kinder würden da nur stören.
Sprin: Vielleicht kein Wunder also, dass so manche Frau glaubt, dass sie und das Kind
ohne Mann besser zurecht kommen. In Deutschland wird fast jede dritte Ehe
geschieden, in den meisten Fällen bleiben Kinder bei ihren Müttern, so dass
sich dadurch der Kontakt zu den Vätern verändert. Daran ist auch das
Scheidungsrecht nicht ganz unschuldig, meint der Berliner Familienforscher
Professor Hans Bertram:
O-Ton 21: Bertram (0’20“)
Ich denke, dass unsere Gesellschaft noch an diesem ganz alten Vaterbild festhält, nicht als
fürsorglicher Vater, sondern nur als Zahlvater, und dann Gerichte und Sorgerecht
letztendlich dazu führt, dass die Väter und die Söhne nicht die Beziehung haben, die
eigentlich die Söhne brauchen, um sich vernünftig zu entwickeln.
Sprin: Inzwischen hat sich das in Teilen geändert, nicht nur im Bewusstsein, auch
viele Gerichte fällen vaterfreundlichere Scheidungsurteile. Dennoch kriegen
Männer ihre Vaterrolle ohne den traditionellen Familienrahmen mitunter nicht
mehr hin, und dann stehen die Scheidungskinder mit ihren Müttern alleine da.
Und so haben viele Jungen überhaupt kaum noch Kontakt mit Männern. Von
Geburt bis weit in die Schule hinein sind sie fast ausschließlich von Frauen
umgeben: Mütter, Erzieherinnen, Lehrerinnen. Und dass diese beide
Geschlechter gleich behandeln, stimmt offenbar nicht, sagt der Therapeut Frank
Dammasch:
O-Ton 22: Dammasch (0'17")
Wir haben Erzieherinnen interviewt, die sagten dann, „ja zwischen Jungen und Mädchen
gibt’s überhaupt gar keine Unterschiede!“, und haben beobachtet: Jungen dürfen zum
Beispiel in den Kindergarten in der Regel ihre Pistolen, Schwerter nicht mitbringen,
Mädchen dürfen natürlich ihre Puppen oder ihre Diddl-Ordner mitbringen.
Sprin: Und auch der Soziologe Hans Bertram von der Humboldt-Universität kann
hierzu Selbsterlebtes beisteuern:
O-Ton 23: Bertram (0'19")
Ich erinnere mich immer noch, unsere siebenjährigen Söhne mussten alle ein Fußballnetz
sticken und zeigen, wie emanzipiert sie sind. Erstens wussten die gar nicht, wofür man ein
Fußballnetz braucht, weil die keine Fußbälle in Netzen trugen, na gut, das waren sicherlich
irgendwelche Fehlversuche, wie man die Gleichheit von Jungen und Mädchen herbeiführt.
Sprin: Bis heute ist die Lösung nicht in Sicht. Amerikanische Studien der 1990er Jahre,
inzwischen vielfach wissenschaftlich hierzulande bestätigt, zeigen: Jungen
geraten mehr und mehr in die Krise: Sie versagen häufiger in der Schule, finden
weniger Lehrstellen, scheinen schlecht gerüstet für das Leben in der
globalisierten Welt – „lauter Problembärchen“, heißt es in einem FAZ-Artikel.
Der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther beschäftigt sich schon länger mit
den „vaterlosen Jungen“ und sieht hierin nicht nur ein individuelles Problem:
O-Ton 24: Hüther (0'38")
Dann ist natürlich eine Gesellschaft nicht zu beneiden, die eine ganze Generation von
Jungs aufzieht, wo die Väter diese Vorbildrolle nur in beschränktem Maße wahrnehmen,
und wir dann nichts Dümmeres fertig bringen, als diesen nach Vorbildern suchenden
Jungs Fernsehprogramme und Computerspiele anzubieten, in denen dann solche
abstrusen Vorbilder vorgeführt werden: Muskelprotze, Gewalttäter, rücksichtslose Machos
– das ist unsere Schuld, wenn die Jungs dann am Ende so werden, liegt es daran, dass wir
ihnen keine anderen Vorbilder für ein männliches Rollenverständnis angeboten haben.
Sprin: Jungen brauchen Kontakt zu Männern, die selbst gerne Männer sind, und am
besten sollte einer davon der eigene Vater sein, sagt Hüther. Aber andersherum
brauchen Väter auch ihre Kinder.
Regie: Musik M9 (Gabriel inkl. Vocal)
O-Ton 25: Jürgen (0'07")
Ich bin Vater eines nichtehelichen Sohnes, und ich hab keinen Kontakt zu ihm und ich
leide da heute immer noch sehr stark darunter.
Sprin: Die veränderten gesellschaftliche Verhältnisse insgesamt machen den Status
als Vater heute prekärer, meint Dag Schölper vom „Bundesforum Männer“
O-Ton 26: Schölper (0’24“)
Das hat vor allem etwas mit einer veränderten Sicht auf Familie und Ehe zu tun, es ist
sicherlich so, dass durch die Zunahme von nicht-ehelichen Elternschaften, sprich der
zurückgehende Zwang, dass man verheiratet sein muss, bevor man in die Elternschaft geht
beziehungsweise dass man heiratet, wenn man eben schwanger geworden ist oder mit
einer Frau ein Kind erwartet, dass eben diese Rechtsklarheit nicht gegeben ist, die durch
den Ehevertrag entsteht.
Sprin: Kinder sind bei Scheidungen schon immer als emotionales Druckmittel benutzt
worden, und immer noch ist es möglich, dass Frauen den Männern die Kinder
fast komplett entziehen. Mitunter übernimmt das Kind dann die Sicht der
Mutter auf den „bösen Vater“. Viele solcher Geschichten hört Eberhard Schäfer:
O-Ton 27: Schäfer (0’38“)
Wir hier im Väterzentrum haben es ganz viel mit solchen Vätern zu tun, die nach
Trennungen mehr Kontakt zu ihren Kindern haben möchten, als ihnen qua Familienrecht
oder qua Auseinandersetzung mit der Ex-Partnerin zugestanden wird. Das muss man auch
mal ganz klar sehen, dass nicht alle Väter, wie es so wirklich häufig in den Medien
verbreitet wird, dann flüchten und nicht mehr zahlen. Der Kontakt wird unterbunden oder
wird reduziert, das verletzt diese Väter sehr, und aus Frust gehen sie immer weiter weg von
der ursprünglichen Familie, von ihren Kindern, also das ist eine Entfremdung und nicht
wirklich der Ausgangspunkt, ich möchte mit meinen Kindern nichts mehr zu tun haben.
Sprin: Und wenn die Frau wieder eine Beziehung eingeht, tritt ein neuer Mann in die
Familie, und so entsteht eine Konkurrenz zwischen zwei Vätern, weil der
leibliche durch das fehlende Zusammenleben viele seiner Funktionen an den
Neuen abgeben muss.
Das verstärkt emotional zugleich die uralte Unsicherheit über die biologische
Vaterschaft. Bis zur Entwicklung von genetischen Testverfahren konnten
Männer nie genau wissen, ob es ihr Kind ist. In dem Drama „Der Vater“ etwa
lässt August Strindberg einen der Protagonisten sagen:
Zit.: Für mich gibt es nichts komisches, als einen Vater zu sehen, der sein Kind
spazieren führt, oder einen Vater von „seinen Kindern“ reden zu hören. „Die
Kinder meiner Frau“ sollte er sagen. Haben Sie nie das Unklare ihrer Situation
empfunden, sind Ihnen nie leise Zweifel gekommen?
Sprin. Aber ist die ganze Diskussion um die Rechte biologischer Erzeuger, ist der
Anstieg von Vaterschaftstests, nicht Zeichen für die Rückkehr des alten,
patriarchalen Vaterbildes? Dag Schölper:
O-Ton 28: Schölper (0’48“)
Zum einen hat es was mit einer persönlichen Verletzung zu tun, und dann sind eben diese
Diskussionen ums Recht auch durchaus ein naheliegender Kampfplatz, um die eigenen
Frustrationen zu bearbeiten, zum anderen würde ich aber schon sagen, dass das Bedürfnis
sich zu kümmern, die Verantwortung zu tragen, schon an Gewicht und Stärke gewonnen
hat, an der Entwicklung des Kindes stärker teilhaben zu wollen, zu sehen, in welche Schule
sie gehen, welchen Beruf sie ergreifen, ob sie in eine Kirche gehen oder nicht, einfach dabei
zu sein und mit zu entscheiden oder eigenes Vorbild sein zu wollen, das ist, glaub ich,
schon stark geworden.
Sprin: Etwas jedenfalls hat sich über die Jahrhunderte wenig geändert: Die Zeugung
eines männlichen Stammhalters bestimmt oft die eigene männliche Identität
mit.
Zit.: Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr als Fortsetzung und
Wiederbeginn meiner selbst unter neuen Bedingungen.
Sprin: … schrieb zum Beispiel Thomas Mann bei Geburt seiner ersten Tochter.
Der Sohn als Fortführung und Sinngebung des eigenen Daseins.
Zit.: Es ist ein frommer Wunsch aller Väter, das was ihnen selbst abgegangen an den
Söhnen realisiert zu sehen, so ungefähr als wenn man zum zweiten mal lebte
und die Erfahrungen des ersten Lebenslaufes nun erst recht nutzen wollte.
Sprin: Goethe in: „Dichtung und Wahrheit“
Regie: M5 (Clapton, instrumental)
Zit.: Große Fußstapfen und bedrohliche NachfolgerGroße Fußstapfen und bedrohliche NachfolgerGroße Fußstapfen und bedrohliche NachfolgerGroße Fußstapfen und bedrohliche Nachfolger
Regie: Musik kurz hoch und weg
Sprin: Franz Kafka im „Brief an den Vater“:
Zit.: Ich wäre glücklich gewesen, dich als Freund, als Chef, als Onkel, als Großvater,
ja selbst als Schwiegervater zu haben. Nur eben als Vater warst du zu stark für
mich.
Sprin: Der Erzähler und Satiriker Mark Twain:
Zit.: Als ich 14 Jahr alt war, war mein Vater für mich so dumm, dass ich ihn kaum
ertragen konnte. Aber als ich 21 wurde, war ich doch erstaunt, wie viel der alte
Mann in sieben Jahren dazu gelernt hatte.
Sprin: Selbst wenn Vater und Sohn in einer Familie zusammen leben oder sonst ein
gutes Verhältnis haben: Dieser besondere Männerbund ist auch immer eine
potentiell konfliktreiche Beziehung, bei der beide einiges aushalten müssen.
Vieles davon findet sich schon in den uralten Erzählungen der
Menschheitsgeschichte. Die antike Mythologie um die Entstehung der Welt
kreist fast ausschließlich um den Vater-Sohn-Konflikt.
Regie: Musik M10, Kunze (Vocal)
Spr.: Der Göttervater Uranos verbannt seine Söhne ins Innere der Erde aus Angst, sie
könnten ihm seinen Thron streitig machen – einer von ihnen, Kronos,
angestachelt von der Mutter, kämpft daraufhin mit ihm und entmannt ihn. Der
entmachtete Vater wiederum prophezeit seinem Sohn: "So wie du mich vom
Throne gestoßen hast, wird dereinst dein eigener Sohn dich ebenfalls zu Fall
bringen!".
Sprin: Das Schicksal der Welt, der Menschen, liegt im Schicksal des Sohnes, auch im
Christentum, wo es im apostolischen Glaubensbekenntnis heißt:
Zit.: …gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinab gestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters ...
Sprin: Die „Himmelfahrt“, noch ganz wie in der griechisch-römischen Mythologie: Die
Heroen, Abkömmlinge der Götter mit normalsterblichen Frauen, werden zu
ihrem Vater gerufen und damit zugleich als Kinder anerkannt.
Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)
Sprin: Bei Siegmund Freud, in der Beschreibung des Ödipus-Komplexes, geht es in
dem Konflikt zwischen Vater und Sohn vor allem um männliche Identität, um
Konkurrenz....
Zit.: Der kleine Knabe legt ein besonderes Interesse für seinen Vater an den Tag, er
möchte so werden und so sein wie er, möchte in allen Stücken an seine Stelle
treten.
Sprin: Wenn die Entwicklung normal verläuft, gelingt das laut Freud nicht: Der Knabe
muss die Überlegenheit des Vaters anerkennen, und tut das auch, mit einer
gewissen Ambivalenz der Gefühle: Rivalität und Hass wechseln sich ab mit
Liebe und Idealisierung, bis zu dem innerseelischen Konflikt ein sozialer und
kultureller kommt: Spätestens wenn die Pubertät beginnt, gelangen beide in
dieser Rivalität auf Augenhöhe. Der Junge setzt sich mehr und mehr mit der
Welt, der Gesellschaft auseinander. Der Vater steht nun für „das Alte“, das der
Sohn verändern, überwinden will.
Zit.: Er wechselt die Stimme jetzt, sein Kehlkopf wächst, seine bloßen Beine sind
kolossal, seine Meinungen revolutionär.
Sprin: … schreibt Thomas Mann über seinen Sohn Klaus.
Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)
Sprin: Es geht jetzt um die Loslösung vom Vater, um die Unabhängigkeit des Sohnes,
um das Erwachsenwerden. Bei Hermann Hesse heißt es:
Zit.: Im langsamen Dahingehen dachte Siddhartha nach. Er stellte fest, dass er kein
Jüngling mehr, sondern ein Mann geworden sei. Er stellte fest, dass eines ihn
verlassen hatte wie die Schlange von ihrer alten Haut verlassen wird, der
Wunsch, Lehrer zu haben und Lehren zu hören.
Sprin: Die Literatur ist voll vom Motiv des Vater-Sohn-Konflikts. Es gibt unzählige
Beispiele für die mal mehr, mal weniger gelungene Loslösung. Franz Kafkas
„Brief an den Vater“ ist eines der berühmtesten:
Zit.: Manchmal stellte ich mir die Erdkarte ausgespannt und Dich quer über sie
hingestreckt vor. Und es ist mir dann, als kämen für mein Leben nur die
Gegenden in Betracht, die Du entweder nicht bedeckst oder die nicht in Deiner
Reichweite liegen.
Spr: Kafka schreibt den 74 Seiten langen Text 1919, mit 36 Jahren. Es ist eine einzige
Klage über den übermächtigen Vater, der zugleich aber tiefe Sehnsucht zeigt.
Sprin: Besonders schwer haben es Söhne, die mit einem berühmten, erfolgreichen
Vater auf demselben Gebiet konkurrieren. Klaus mit Thomas Mann zum
Beispiel:
Zit.: Es ist nicht zu leugnen, dass mein Name und der Ruhm meines Vaters mir den
ersten Start erleichtert haben …
Sprin: … schreibt Klaus in einem Brief. Aber er fügt hinzu:
Zit.: Ich habe meine unvoreingenommenen Leser noch nicht gefunden. Nicht nur
der Gehässige, auch der freundlich Gesinnte konstruiert zwischen dem, was ich
schreibe, und dem väterlichen Werk, instinktiv den Zusammenhang. Man
beurteilt mich als Sohn.
Sprin: Thomas Mann, der Vater und „Zauberer“, wie er von allen in der Familie
genannt wird, hat diese Situation durchaus wahrgenommen:
Zit.: Mein Verhältnis zu ihm war schwierig und nicht frei von Schuldgefühlen, da ja
meine Existenz von vornherein einen Schatten auf die seine warf.
Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)
Sprin: Weit mehr als individuelle Bedeutung hat der Vater-Sohn-Konflikt, wenn er in
der Politik ausgetragen wird:
Spr.: Alexander der Große zum Beispiel wollte von Anfang an seinen Vater Philipp in
allem übertreffen, erzählt die Legende, also agierte er noch rücksichtsloser und
brutaler als der ebenfalls sehr kriegerische König von Makedonien und schuf
tatsächlich ein riesiges Reich, das seinen Vater fast vergessen machte.
Sprin: Dass es auch anders geht, zeigt die biblische Geschichte von König David und
seinem Sohn Salomo:
Spr: Der berühmte König und erfolgreiche Feldherr Israels hinterlässt so große
Fußstapfen, dass sie sein Sohn niemals ausfüllen kann. Deshalb profiliert
Salomo sich gerade nicht als Kriegsherr, sondern durch Weisheit im Handeln.
Er geht seine eigenen Wege und so auch in die Geschichte ein.
Sprin: In neuerer Zeit ist das Problem der politischen Loslösung der Kinder von ihren
Vätern kaum mehr an einzelnen Namen und Personen festzumachen, sondern
ein gesamt-gesellschaftliches. Den Klassiker stellt die Auseinandersetzung der
„68er“ mit ihren Vätern dar und vor allem mit deren Verstrickung in den
Nationalsozialismus. Bernward Vesper etwa beschreibt in dem Roman „Die
Reise“ seinen Vater, einen Nazidichter, als einen …
Zit.: … der unsere Kindheit zerstört, unser Gehirn verwüstet, unseren Charakter
geschwächt, unsere Vernunft und Kritik erstickt und zu diesem Zweck die
heiligen Gefühle, die Kinder haben, missbraucht hat.
Sprin: Oder: Thomas Brasch, dessen Roman „Vor den Vätern sterben die Söhne“ eine
literarische Beschreibung nicht nur seiner eigenen Situation sein soll:
Spr: Er war als junger aufmüpfiger Künstler von seinem eigenen Vater, einem
linientreuen SED-Funktionär, an die Stasi verraten und ins Gefängnis gebracht
worden. Brasch war überzeugt, dass alle Söhne keine Chance gegen die
übermächtigen Väter hätten, die ihnen mit ihren festgefahrenen Ideologien die
Zukunft nehmen.
Regie: M10 Musik (Kunze vocal)
Sprin: Nicht immer war die Väterkritik derart rigoros, aber insgesamt geht es um
Distanzierung, Loslösung. Eine Frage in den Shell-Jugendstudien, die jetzt
schon fast 60 Jahre laufen, ist immer gleich geblieben: „Würdest Du die
eigenen Kinder genauso erziehen wie Du jetzt von deinen Eltern erzogen
worden bist?“ Dazu Studienleiter Klaus Hurrelmann:
O-Ton 29: Hurrelmann (0’25“)
Und da sind in den 60er, in den 70er Jahren natürlich heftige Abweisungen gekommen.
Selbstverständlich wollte man seine eigenen Kinder bis in die 1980er Jahre hinein nicht so
erziehen, wie man selbst erzogen worden war. Weil man raus wollte aus der engen
traditionellen, autoritären Atmosphäre, die im Elternhaus nach Auffassung der jüngeren
Generation noch herrschte.
Sprin: Das ist heute meistens ganz und gar nicht mehr so, sagt der Jugendforscher,
der inzwischen an der Hertie School of Governance in Berlin lehrt:
O-Ton 30: Hurrelmann (0’57“)
Was wir heute haben, ist keine kritische aktive Absetzung von die Eltern, weder bei den
jungen Frauen noch bei den jungen Männern. Das Gegenteil ist fast der Fall. Man sieht es
daran, dass die jungen Männer ja sehr lange im Elternhaus wohnen bleiben, viel länger als
die jungen Frauen, wahrscheinlich erleben die jungen Männer und die jungen Frauen
heute ihre Eltern nicht mehr als autoritär, also hier hat sich enorm was verändert, und das
bedeutet, die Spannung zwischen den Generationen, also auch die Spannung zwischen
Söhnen und Vätern, ist heute klein. Sie spielt sich irgendwo knisternd schon mal
zwischendurch ab, aber das sind keine großen Kräche und keine riesigen Konflikte, die sind
die Ausnahme.
Sprin: Für den Vater mag sich das zunächst wie eine gute Nachricht anhören, muss er
doch viel aushalten in der Zeit, da der Sohn erwachsen wird: Mehr und mehr
wird die Männlichkeit des Jungen zur Bedrohung, ein Zeichen, dass „man alt
wird“. Der Vater muss seinerseits loslassen, den Generationenwechsel
ermöglichen, Platz machen für das Neue. Aber viele schaffen das nicht, was
beispielsweise Jean-Paul Sartre maßlos wütend machte:
Zit.: Inmitten so vieler Männer, schreite ich von einem Ufer zum anderen, allein und
voller Missachtung für diese unsichtbaren Erzeuger, die ihren Söhnen das
ganze Leben lang auf dem Rücken hocken.
Sprin: Früher hingen die Geschicke ganzer Völker von einer gelungenen Übergabe der
Macht vom Vater an den Sohn ab – wie heute nur noch in Diktaturen, etwa in
Nordkorea. Aber der Streit um die Nachfolge stellt oft auch im modernen
Wirtschaftsleben ein echtes Problem dar: Jedes Jahr steht in tausenden von
Familienunternehmen in Deutschland ein Führungs- und Generationswechsel
an – und bei jedem dritten Mal geht das schief. Manchmal, weil die potentiellen
Nachfolger nicht wollen oder können, oft aber auch, weil der alte
Firmenpatriarch nicht loslässt.
Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)
Spr.: So tobte zum Beispiel in dem Medienunternehmen Neven DuMont 2010 ein
Machtkampf zwischen Vater und Sohn, der schließlich Züge einer Posse
annahm: Konstantin lamentierte zuerst öffentlich, dass sein Vater Alfred sich
ihm gegenüber verhalte "wie jemand, der seinen Hund mit einer Wurst am
Stock lockt". Offenbar wolle der 83-jährige sich – wörtlich – „als der letzte große
Verleger positionieren, dem in der zwölften Generation kein Geeigneter folgen
konnte." Ausgerechnet in der konkurrierenden Bildzeitung ließ der über 40-
jährige Sohn dann verlauten: "Ich will eine neue Führungskultur erzwingen“,
„Der Ball liegt jetzt bei meinem Vater." Der alte Patriarch hat das Spielgerät
auch prompt aufgenommen und seinen Sohn aller Posten enthoben.
Sprin: Im wirtschaftlichen oder auch politischen Bereich erfordert der
Generationswechsel immer einen besonderen Spagat: Der Sohn soll den Vater
und seine Lebensleistung respektieren, gleichzeitig aber ein eigenes Profil
zeigen. Er soll seinen eigenen Weg gehen, darf aber nicht weggehen, muss
jederzeit für die Nachfolge bereit stehen. Das „Prince-Charles-Phänomen“: Der
ewige Thronfolger will – und könnte – aber der Alte – in England: die Alte – lässt
die Macht nicht los.
In der bürgerlichen Welt der Väter und Söhne sieht heute zum Glück meist alles
viel entspannter aus.
O-Ton 31: Hurrelmann (0’24“)
Man arrangiert sich, man hat gelernt Kompromisse einzugehen, man kann sich anpassen,
die jungen Leute sind tolerant gegenüber manchen komischen Auffassungen und
Gewohnheiten der Älteren, das gilt aber auch umgekehrt, man lernt sogar voneinander,
also, das ist eine Kosten-Nutzen-Bewegung, die beiden Seiten etwas bringt, und das ist das
allerwichtigste heute.
Sprin: Aber diese fehlende Spannung zwischen den Generationen ist nicht nur positiv,
meint der Jugendforscher Klaus Hurrelmann:
O-Ton 32: Hurrelmann (1’07“)
Sie hat die Kehrseite, dass ich mich als junger Mann – ebenso wie als junge Frau – ganz
schwer nur in Abgrenzung von meinen Eltern neue erfinden kann als Angehöriger der
neuen Generation, die nun einmal neue Wege geht. Und so lassen sich junge Leute heute
auch abspeisen mit ziemlich schlechten Arbeitsbedingungen immer noch, sie gehen nicht
protestieren, und wo sind hier die jungen Männer, die traditionell eigentlich immer den
Ton angegeben haben, wenn es um solche Fragen ging, also hier hat sich einiges
verschoben, wo wir schon einmal ein bisschen kritisch hinschauen müssen, ob das eine
gute Entwicklung auf lange Sicht ist.
Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)
Zit.: Ein Genie mag taub werden wie Beethoven, dem Wahnsinn verfallen wie
Strindberg, den Freitod wählen wie Hemingway, Celan oder Pavese - vertrotteln
aber darf das Genie nicht.
Sprin: Das schreibt Tilman Jens in seinem Buch über die Demenz seines berühmten
Vaters Walter.
Dieses besondere Vater-Sohn-Konfliktfeld ist neu, den veränderten
Lebensverhältnissen, vor allem der gestiegenen Lebenserwartung, geschuldet.
Viel häufiger kommt es nun zum Ringen älterer Söhne mit ihren ganz alten
Vätern, wenn die Kräfteverhältnisse sich total verschoben haben.
Spr: Ein Beispiel ist Walter Kohl: Er hat 2011 ein Buch geschrieben über sein äußerst
schwieriges, oft schmerzhaftes Leben als „Sohn vom Kohl“. Die Schrift heißt
„Leben oder gelebt werden“ und im Untertitel „Schritte auf dem Weg zur
Versöhnung“. Die allerdings hat es faktisch nicht gegeben, im Gegenteil:
Helmut Kohl hat sich von seinem Sohn richtiggehend losgesagt. Versöhnung
meint in diesem Fall wohl auch eher, selbst seinen Frieden mit dem Vater zu
machen – so oder so.
Zit.: Durch das Schreiben begann ich, meinen langjährigen Irrtum zu akzeptieren,
dass ich Ansprüche an meinen Vater anzumelden hätte. Ein Kind kann sich
einen Vater wünschen, doch es kann keine Ansprüche emotionaler Art
einklagen. Hier ist das Leben grausam.
Sprin: Noch virulenter vielleicht und in Zukunft bedeutsamer wird es sein, wenn viele
Söhne schließlich die totale Umkehrung der Verhältnisse erleben: Wie der Vater
all seine Größe, Stärke, Übermacht verliert, zum Beispiel in der Demenz. Auch
das ist literarisch schon mehrfach in unterschiedlicher Weise verarbeitet
worden. Für Tilmann Jens war es ein trauriger Abschied, vor allem aber eine
wüste Abrechnung mit seinem Vater, dem er dessen Schwäche in der NS-Zeit
vorwarf.
Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger dagegen beschreibt den Zustand
des „Alten Königs in seinem Exil“ schamlos, aber zugleich auch fasziniert von
der Skurrilität des Alzheimerkranken. Manche Kritiker sagen, er stelle den Vater
zur Schau wie das „ehrgeizige Eltern mit ihrem Wunderkind tun“.
Regie: M5 (Clapton, instrumental)
Zit.: Ein Ein Ein Ein guterguterguterguter Vate Vate Vate Vater r r r –––– was ist das? was ist das? was ist das? was ist das?
Regie: Musik kurz hoch und weg
O-Ton 33: Stern Sohn (0’08“)
Bei mir war es so, dass mein Vater mir bedingungsloses Vertrauen schenkte, und er war
auch ein wichtiges Vorbild für mich.
Sprin: ...sagt André Stern auf youtube. Er hat ein Buch geschrieben „Mein Vater, mein
Freund – Das Geheimnis glücklicher Söhne“, und das zusammen mit seinem
Vater.
O-Ton 34: Stern Vater (0’11“)
Wichtig ist, dass ich keine Zukunftsvorstellung von meinen Kindern habe, weil ich ihnen
ihre Zukunft überlasse und versuche, was sie erleben, mit zu erleben.
Sprin: Selbstverständlich ist die Frage für Töchter genauso wichtig, aber für Söhne
kommt hinzu, dass das Vorbild des guten Vaters es ihnen erleichtert, selbst
wieder die Vaterrolle erfolgreich auszufüllen. Der Jugend- und Bildungsforscher
Professor Klaus Hurrelmann:
O-Ton 35: Hurrelmann (0’57“)
Er darf sich nicht verstellen, sondern muss seine persönlichen Merkmale auch in den
Kontakt zu seinen Kindern einbringen. Die müssen genau wissen, welche Stärken und
Schwächen er hat. Dann allerdings gehört zum guten Vatersein heute dazu, sich wirklich
einzulassen auf die Kinder und sie zu nehmen, wie sie sind, ihnen dann zu signalisieren,
wie er sie gerne verändern möchte, also der Vater ist selbstverständlich Erzieher, das
möglichst offen ankündigen, in welche Richtung das geht, das auf der Basis einer Bindung
zu machen, die eine Sicherheit dem Kind gibt, dass man als Vater anwesend ist, also nicht
aus dem Felde gehen und verschwinden, wenn’s mal heikel wird, sondern auch bei einem
Konflikt stehen zu bleiben, wer das schafft, ist ein guter Vater, keine großen
Besonderheiten, keine überirdischen und übermenschlichen Kräfte, das reicht.
Sprin: Dr. Dag Schölper vom Bundesforum Männer:
O-Ton 36: Schölper (0’34“)
Väterlichkeit begreife ich eher als das, was die gesellschaftliche Norm ist, und da muss
sicherlich auch diese Fürsorglichkeit, Verantwortungsbewusstsein und dergleichen mehr
drin sein und gleichzeitig aber auch die Bereitschaft, sich Schwierigkeiten auszusetzen, um
das auch durchzusetzen. Nicht immer zu sagen, „mein Arbeitgeber ist nicht gewillt, mir
Elternzeit zu geben über sagen wir sechs Wochen hinaus“, ohne aber indes das Gespräch
gesucht zu haben. Dieser Wille, etwas zu tun dafür und nicht zu hoffen, dass es einem
zufällt und quasi ohne große Mühen zu haben. Väterlichkeit ist eben auch anstrengend
und bedarf Engagements.
Sprin: Eberhard Schäfer vom Väterzentrum Berlin:
O-Ton 37: Schäfer (0’35“)
Gute Vaterschaft, das heißt, im Fachjargon „care-orientierte Vaterschaft“. Care: das
englische Wort für Sorge und Fürsorge und Versorgung, und das ist wissenschaftlich
fundiert und heißt: Väter, die fürsorglich sind, die üben einen ganz enorm positiven
Einfluss auf ihre Kinder aus. Also man weiß mittlerweile, dass Kinder sich besser
entwickeln und vor allen Dingen zufriedener aufwachsen, wenn sie Väter haben, die sie
aktiv begleiten, unterstützen und sich Sorgen um sie machen.
Sprin: Für beide wichtig ist Akzeptanz, die Begegnung auf Augenhöhe zwischen Vater
und Sohn. Und dafür gibt es gute wissenschaftliche Rückendeckung, sagt Hans
Bertram, Berliner Professor für Makrosoziologie:
O-Ton 38: Bertram (0’49“)
Es gibt eine amerikanische Längsschnittstudie, die hat auch den schönen Namen – jetzt
ins Deutsche übersetzt – „wie Väter für ihre Kinder sorgen“. Man hat also mit dieser Studie
angefangen irgendwann in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, und dann hat man
praktisch das bis heute durchgeführt. Und man sieht ganz deutlich, dass die immer besser
werdenden Verhältnisse zwischen den Vätern und den Söhnen auch für die Väter sehr
nützlich sind. Wenn sie ein relativ gutes Verhältnis mit ihrem Kind haben, wenn das so
zwischen 8 und 15 ist, weil da sehr viel passiert, dann haben sie auch, wenn das Kind 35
Jahre ist, ein relativ gutes Verhältnis. Wenn sie aber in diesem Alter, wo das Kind sich
entwickelt, das Kind nach ihrem eigenen Bild formen wollen, und dadurch viele
Spannungen haben, dann ist das Verhältnis mit 35 nicht mehr zu reparieren.
Sprin: Die Journalisten Stefan und Andreas Lebert schließlich geben in ihrer
„Anleitung zum Männlichsein“ folgenden Rat, wie es in dem Männerbund von
Vater und Sohn am besten läuft:
Regie: Musik M2 (Chaplin)
Zit.: Man muss aufpassen, dass die Berge, die sich hier auftürmen, nicht zu hoch
werden. Die Verletzung aus Teenagerzeiten nehme ich nicht mit in die Rente,
ich erzähle sie nicht mehr, auch nicht mir selbst. Ich leide nicht mein ganzes
Leben daran, dass ich meinen Vater enttäuscht habe, weil er es gern gesehen
hätte, dass ich Pilot werde. Ich quäle mich nicht bei jeder Krise meines Sohnes
mit der Frage, was ich falsch gemacht habe. Und wenn ich alt bin, jammere ich
nicht, dass er mich zu selten besucht.
Regie: Musik hoch und Ende