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Nikos Grammenos
Das andere Hellas
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Der Anfang
Als ich sehr klein war, hörte ich bei einem Großfamilien Treffen
meinen Großvater mütterlicherseits folgende Version über die
Entstehung Griechenlands erzählen.
"Als der liebe Gott, Kinder, die Welt geschaffen hat, hatte er ineinem großen Trog alle Bestandteile aus denen die Welt besteht.
Sand, Erde, Steine, Pflanzen, Blumen, Gräser, eben alles was es
um uns herum gibt. Er machte viele Länder um die ganze
Sphäre herum und als er fertig war, merkte er, dass in seinem
Trog noch einige Steine übrig geblieben waren. Kurzer Hand
nahm er den Trog und schüttete die Steine ins Meer und so istGriechenland daraus entstanden. Als er aber vom Himmel
herunter schaute und sah das, was geworden war, überlegte er,
dass es nicht gerecht sei nur so viele Steine diesem Land zu
geben und so wenig Erde. Zum Ausgleich verfügte er, dass
dieses Land immer gutes Licht haben soll, damit die Menschen
nicht über die Steine stolpern. Und so, liebe Kinder, ist das
Licht der Sonne in Griechenland vom lieben Gott uns garantiert
als Geschenk für alle Zeit".
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INHALTSVERZEICHNIS
Einführende Gedanken 4
Gastfreundschaftliche Gesinnung 14
Philoxenia und Philotimia 23
Improvisation und Spontaneität 26
Die Haustaufe der kleinen Olga 33
Durch die Schlucht von Samaria 37Von Patmos nach Nisyros 43
Falsche Erwartung 57
Geld oder Leben 62
Die guten Freunde von Hellas 70
Wie denkt der Grieche darüber? 76
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P R O L O G
zu
DAS ANDERE HELLAS von Dr. Nikos Grammenos
In dieser Arbeit, die sich primär an deutscheLeser richtet, wird, von Dr. Med. Nikos
Grammenos, der Versuch unternommen auf dieunfairen Veröffentlichungen über sein
Herkunftsland Hellas auf seine schriftstellerischeArt und Weise eine Antwort zu geben.
Bekanntlich haben einige Zeitungen undZeitschriften in Deutschland die Wirtschaftskrise
in Hellas zum Anlass genommen und gemäß der
Logik der Auflagenmaximierung ihrer Blätter,zahlreiche unfaire Berichte und Kommentare zurKrisenlage in Hellas publiziert. Dabei wurde so
getan als ob allein die Griechen die Verursacherder Krise gewesen wären. Vergessen wurde vonden Redakteuren dieser Zeitschriften und
Zeitungen sowohl die moralische Mitschuld dereuropäischen Geldgeber Banken und
Versicherungsgesellschaften: Sie kauftenbewusst höchstverzinsliche und daher
risikoreiche Anleihen/Wertpapiere desGriechischen Staates. Des Weiteren wurde auch
die Tatsache ignoriert, dass in neun von zehn
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Korruptionsaffären ausländische Unternehmen -und vor allem deutsche Unternehmen - beteiligtwaren. Die Grammenos-Antwort auf die obenerwähnten Publikationen ist indirekt, sie besteht
aus zahlreichen persönlich erlebten, leichtverständlichen, angenehmen Kleingeschichten,
die er und/oder seine Deutsche Freunde in
Griechenland erlebt haben. Er und seinedeutsche Freunde haben, nämlich, regelmäßig
das Griechische Osterfest in Griechenlandgefeiert. In den letzten 25 Jahren haben sie
mehr als zwanzig unterschiedlich Orte in Hellasbesucht und so Land und Leute lieben und
hochschätzen gelernt. In diesem Jahr (2016)
haben sie, z.B., das Osterfest in Kastoria,gelegen in Nord-West Mazedonien gefeiert.Wie bereits vorher gesagt, Herr Dr. Nikos
Grammenos, Arzt vom Beruf, aus Ano Milia beiKaterini in Mazedonien, seit 1957 inDeutschland, Gründungs- und Führungsmitglied
der Parteiorganisation „Zentrumsunion –
Griechische Demokratische Jugend im Ausland“
(ZU-EDIN im Ausland, 1967-1974), Herausgeberdes antidiktatorischen monatlich erschienenen
Magazins PRESSEDIENST der ZU-EDIN inSüddeutschland, Poet und Schriftsteller von
über 25 Büchern, ist enttäuscht von, ja auch ein
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wenig wütend mit den unfairen undverantwortungslosen Publikationen in der BRD.Dabei haben sich einige griechischeMassenmedien genötigt gesehen entsprechend
zu reagieren. Es wurde also ausführlich über dieunbeschreiblichen Verbrechen der Wehrmacht
im besetzten Griechenland, auf die „Endlösung
der Judenfrage“, auf die Zerstörungen vonInfrastruktur (Griechenland und Jugoslawien
wurde damals mit 1.200 deutschen unditalienischen Bombern zerbombt) sowie auf das
noch nicht zurückgezahlte BesatzungsdarlehenGriechenlands an Deutschland berichtet. Diese
griechischen Massenmedien haben also
ihrerseits den Widerstand des deutschen Volkesgegen das Naziregime sowie denbedeutungsvollen Beitrag des heutigen
Deutschlands zur friedlichen Entwicklung undEinigung in Europa völlig außer Acht gelassen.
Als ich das Manuskript in deutscher Sprache las,
dachte ich, dass die Arbeit erstens mit Fotosversehen werden sollte und zweitens auch insGriechische übertragen werden. Was auch
ziemlich schnell getan wurde.
Ich bin nämlich der Auffassung, dass die Arbeit
auch einen enormen weiterbildenden Inhalt hat.
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Ich hatte zunächst an die jungen Griechinnen undGriechen der zweiten und dritten Generation inDeutschland gedacht. Sie würden, wenn sie beideAusgaben hätten, sowohl „Das Andere Hellas“
besser verstehen als auch ihr Griechischverbessern sowie ihre Kenntnisse der
griechischen Mythologie, auf die des Öfteren in
der Arbeit hingewiesen wird, erweitern können.
Abschließend wünsche ich, dass die Publikationim Internet von recht vielen
Griechenlandinteressierten gelesen wird.
Myrodis Athanassiou
Wettenberg, 2. Juli 2016
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Einführung
Ich wollte immer ein Buch schreiben, in dem weniger die
Elegien vergangenen und auch verlorenen Ruhmesgepriesen werden, sondern etwas von dem berichtetwird, was meine Geburtsheimat niemals verloren hat.
Etwas was sie, so zu sagen, autochthon besitzt. Etwas was
in ihren Genen, in den Bausteinen ihrer Natur liegt unddeshalb von niemandem zerstört oder verfälscht werdenkonnte und kann.Etwas von der Seele dieses Landes.
Natürlich weiß jeder gebildete Mensch über die
Errungenschaften der Griechen der Antike.Es gibt keinen Bereich der Geistesgeschichte der nichtdavon entscheidend beeinflusst worden ist.
All das wurde zur Genüge gepriesen und besungen in derdramatischen, epischen und lyrischen Dichtung, in der
Musik, Malerei, Architektonik, den Naturwissenschaftenund selbst in der Politik in der jeder zivilisierte Mensch
heute sich als Demokrat bezeichnet.Nein, darüber wollte ich kein Buch schreiben, das haben
mehrmals begabtere Menschen schon lange vor mirgetan.
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Jedoch eine wohlmeinende und realistische Beschreibung,des modernen Hellas, ist eine Seltenheit. Mein Buch solltedas heutige Hellas aus den Gräbern der Antike befreien
und ins Licht einer neuen, zweieinhalb Jahrtausendezählenden Epoche versetzen. Das Land der Hellenen ist
zwar ein schönes Land, es aber allein als touristischeKulisse zu benutzen dazu ist es viel zu schade.
Von der Orthodoxie beherrscht, hat Hellas, nebenüberlebenswichtigen Gewohnheiten, auch verknöcherte
Strukturen entwickelt, die sich als fortschrittsfeindlicherwiesen haben. Nicht zu verkennen ist jedoch die
Tatsache, dass die Hellenen eine der sehr wenigenVölkerschaften sind die nicht islamisiert wurden während
fast fünfhundertjährigen Besatzung durch die Osmanen.
Es ist unredlich zu übersehen, dass die fremden
Herrschaften, seit der Eroberung Griechenlands durch dieRömer 162 v.Ch. bis 1830 n.Ch. eine massive Hemmung
der hellenischen Sprache, Kultur und Religion bewirkthaben, ohne jedoch sie zu ersticken. Einen wichtigen
Anteil zu deren Rettung hatte sicherlich die OrthodoxeKirche, indem sie die Rolle der Beschützerin für Religion
und Sprache übernahm. Dass sie die Schule ersetzt hätteist ein Märchen. Sie ersetzte sozusagen die nicht
vorhandenen nationalen Institutionen, selbst wenn manim nach hinein feststellen muss, dass sie einerseits einiges
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versäumt hat, andererseits sich viel zu sehr mit der Politikverbunden hat.
Als gebürtiger Grieche möchte ich die Hellsichtigkeit des
verehrten Griechenlandbesuchers auf etwas anderes
lenken. Etwas viel Wertvolleres - wie ich glaube - als nurden Wunsch historisch berühmte Trümmer zu
fotografieren. Etwas anderes als die Gräber einer derältesten und sehr wohl auch der einflussreichsten
Kulturen der Welt. Es ehrt jeden Touristen, dass er ausden entferntesten Winkeln der Erde aus Australien, Japan,
China, Kanada, Amerika und natürlich aus Europa auf derAkropolis von Athen, dem Amphitheater von Epidaurus,
den Gräbern der Makedonischen Könige in Vergina oderder Mykener im Peloponnes, die Olympia Städte von Elis,
sowie neben den Säulen von Delphi, Knossos, Pella, KapSounion, Dion usw. gestanden haben möchte.
Es ist zweifelsohne ein erhebender Moment "Antigone"oder "Elektra" von Sophokles oder Aischylos oder
Euripides im antiken Amphitheater von Epidaurus zuerleben.
Davon haben sich berühmte Männer wie Hugo vonHofmannsthal, Richard Strauß, Gerhard Hauptmann,
Eugene O’Neill inspirieren lassen. Selbst Sigmund Freudbenutzte dieses Thema als Erklärungsmuster einer seiner
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Theorien. Man erkennt sich wieder, ob Deutscher,Österreicher, Franzose oder Schwede und istgewissermaßen "zu Hause" wenn man "Die Wolken" des
Aristophanes unter dem abendlichen HimmelMakedoniens heute im Amphitheater von Dion erlebt und
feststellt, dass zwischen 423 v.Ch. und 2016 n.Chr. dieGesellschaftskritik immer noch die gleichen Inhalte hat,
und dass die schlechte Seite immer gewinnt.Ebenso ist der Generationenkonflikt, zwischen damals
und heute der gleiche geblieben.Das alles aber ist Hellas einmal g e w e s e n.
Heute ist es so nicht mehr. Das heutige Griechenland istein moderner, zugegebenermaßen schlecht organisierter
Staat mit allen Stärken und Schwächen vergleichbarerdemokratischer Staaten. Ein Land jedoch der
unbeschreiblichen Lichteffekte, vor allem was das Blaudes Himmels und des Meeres angeht. Man kann die
Schönheit dieses Landes nicht so ohne weiteresbesichtigen und schon gar nicht nackt am Strand auf
einem Frottierhandtuch liegend oder mit einemFotoapparat vor den Ruinen eines antiken Tempels oder
Amphitheaters. Noch weniger kann man Hellas beurteilenauf Grund von Zahlen statistischer Erhebungen der Troikaoder der Touristikbranche.
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Bereits in mythologischer Zeit verehrten die GriechenHelios den Sonnengott gemeinsam mit Selene derMondgöttin und Eos der Morgenröte als die Götter des
Lichts. Ein Land in dem Leute leben deren zum Teilfolkloristischer Kitsch für die Verehrung des Lichts heutenoch anhält, muss man mit hellerem Auge sehen.
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Kastanienbaum in Pierien
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Der Griechenland Besucher, der mit der Absicht nachHellas fährt dort die Schönheit zu bewundern, betrügtsich selbst. Denn die Schönheit der Dinge liegt in der Seele
dessen der sie sieht . So ist er oft enttäuscht, dass der edleGeist, den er zu finden hoffte, keinen Deut mehr als nur
eine Fata Morgana ist. Würde er etwas bescheidenereMaßstäbe ansetzen, als seine Erwartungen waren, müssteer sich am Ende nicht ärgern.
Gastfreundschaftliche Gesinnung
Die Hellenen sind ein Volk mit einer merkwürdig
mystischen Daseinsseligkeit, welches sich vehement
weigert erwachsen zu werden und sich den "modernen"Herausforderungen der sich ständig wandelnden Realität
zu stellen. Ein Volk, von dem man zuweilen den Eindruckhat, dass es sich seit Jahrhunderten in die innere
Emigration zurückgezogen hat. Je länger man sich imLande der Hellenen aufhält und zwar je weiter weg von
den Sammelstellen des Tourismus umso deutlicher, jaschärfer wird die eigene Wahrnehmung für das Bild eines
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anderen Griechenland konturiert.Die meisterhaften Fotos der Tourismus-Industrie könnennur Impuls sein für eine vorgefasste Meinung. Doch dieses
Hellas zu verlassen, und in ein anderes, nämlich dasheutige, Hellas einzutauchen um es richtig kennen zu
lernen, muss man die Seele dieser Erde berühren. Amaller einfachsten geht das, wenn man einen x-beliebigen
Griechen auf dem Lande um Hilfe bittet.Ein deutscher Professor der Medizin erzählte mir
folgende Begebenheit, die deutlicher als jede andereBehauptung das veranschaulicht, was ich meine.
Mit seiner Frau besuchte der Professor während derSommerferien Griechenland. Zwei Monate zuvor hatte
der angesehene Humanist und Griechenland-Verehrer mitseiner Frau einen Kurs für die neugriechische Sprache in
der Volkshochschule Berlin besucht.Mit einem unscheinbaren VW-Käfer folgte der Liebhaber
der hellenistischen Antike der klassischen Route von Nordnach Süd.
Nach ausgiebigen Aufenthalten in Athen und Delphiüberquerte er bei brütender Hitze um die Mittagszeit des
Augusts den Isthmus von Korinth und beschloss dann dienach Argos führende Hauptverkehrsroute zu verlassen,
um gemächlicher über die Lande nach Epidaurus zufahren. Nach einer stundenlangen Irrfahrt durch die
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Gegend strandete er im Niemandsland.Die Schotterpiste endete vor einem ärmlichen Gehöft.Einige wenige Olivenbäume umrahmten ein kleines Haus
und außer, dem monotonen Gezirp der Zikaden war allesstill. Der Professor stellte den Motor ab und ging zu der
baufälligen Brettertür des Grundstückgeländes.Bevor er sie aufstoßen konnte um einzutreten, öffnete
sich die Haustür und eine schwarzgekleidete alte Frau tratheraus und kam ihm entgegen. Der Professor grüßte
höflich und versuchte erst in unverständlichergriechischer, dann in englischer und in deutscher Sprache
der alten Frau zu erklären, dass er auf dem Weg nachEpidaurus sei, sich jedoch heillos verfahren habe. Die Alte
lächelte unergründlich und stand wie eine schwarze Säuleunbeweglich vor ihm. Er begriff, dass sie ihn nicht
verstanden hatte und während er in seinen Taschen nachLangenscheidts kleinem Lexikon für Neugriechisch
kramte, verschwand die Frau wortlos in ihrem Häuschen.Er stand eine kurze Weile unentschlossen, wie
angewurzelt da und wusste nicht was er davon haltensollte, als plötzlich geräuschlos die alte Frau wieder aus
dem Haus kam mit einem emaillierten Blechteller in derHand den sie dem verblüften Professor anbot. Er enthielt
eine Scheibe Brot, daneben ein Häufchen Salz und in derMitte des Tellers eine kleine Lache Olivenöl.
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"Oriste!" sagte sie mit freundlichem Lächeln.Dies ist keine erfundene, folkloristische Erzählung sondernSitte aus längst vergangener Zeit, die sich bis heute noch
erhalten hat. Es ist keine übliche Geste höflich-zivilisierterArt, sondern eine Hierotelestie, eine heilige Handlung. Ein
uralter Ritus, der dem Wert eines Gastes angemessenwar. Das war der Verhaltenskodex gegenüber jedem
"Xenos", was im griechischen sowohl Fremder als auchGast bedeutet.
Eine archaische, sparsam disziplinierte Ritualhandlung die
Zeit und Raum überwand, ja selbst das kurzlebige Dasein,zeigte dem Professor was selbstlose Gastlichkeit
bedeutet. Mit diesem Ritual dokumentierte die alteGriechin, dass das Wichtigste in diesem Augenblick dasLeben war und sonst nichts. Brot, Salz und Öl sind
Grundelemente des Daseins. Der gesuchte Weg nach
Epidaurus war von untergeordneter Bedeutung. Ganz undgar zweitrangig.
Dem Professor stiegen Tränen in die Augen.Er, der in London, New York, Wien, Paris, Oslo, Rom oder
Tokyo zu Hause war, erlebte so etwas an einem derunbedeutendsten Flecken unseres Planeten.
Der deutsche Schriftsteller Erhart Kästner resümiert inseinem Buch "Griechische Inseln" (Inselverlag
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Frankfurt/M, S.124), nach der Beschreibung eineroffensichtlich verschwenderischen Ausstattung einerHochzeit auf der steinigen Insel Kalymnos, wie folgt:" Fünfhundert Pfund also: für eine Freude, gepufft in die
blaugoldene Luft und von niemandem niemals vorher und
nachher bereut. Das ist Griechenland." Richtig! Das ist Griechenland heute.
Was ist Geld im Vergleich zu einem der elementarstenBedürfnisse der menschlichen Seele:Dem Glücksgefühl?
In den achtundfünfzig Jahren meines bisherigen Lebens inDeutschland habe ich einige freudige Familienfeste
mitgemacht, aber Ähnliches nicht erlebt. Und ich denke,dass es auch in Skandinavien oder in England so etwasnicht gibt. Hier wird wohl mehr gerechnet.
Fürwahr! Was ist eigentlich das Geld wert gegenüber
einem Lebensgefühl der Glückseligkeit, welche von einerfreundlichen Gesinnung ausgeht und nichts mit Gewinn
und Berechnung gemein hat.
Nun ist die Gastfreundschaft keine spezifisch griechische
Sitte. Von den kalten Polarregionen über die Lebens-
feindlichen Steppen und Wüsten der Erde bis hin zu denabgelegenen, unzivilisierten Winkeln der Ozeanischen
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Archipele ist das Phänomen der Gastfreundschaft festerBestandteil aller Kulturen. Doch wie es auch mit allenanderen Dingen im Leben ist, gibt es auch hier graduelle
Unterschiede. Es leuchtet jedem ein, dass es nicht dasgleiche ist ob man etwas tut in der Erwartung einen
Nutzen davon zu haben, oder aber ob man es ohne einesolche Erwartung tut. Es ist nicht das gleiche ob man
etwas aus Gewohnheit tut oder unterlässt, oder ob eseinem bewusst ist warum man es so und nicht anders
macht. Ohne in die Lobeshymne der Antike zurück zufallen sei erwähnt der Mythos von Philemon und Baucis,
dem alten phrygischen Bauernehepaar, welches Zeus undseinem Begleiter Hermes - trotz seiner Armut - für deren
Übernachtung ihr eigenes Ehebett zur Verfügung gestellthabt. Oder die Bewirtung der drei Fremden durch
Abraham oder von Jesus in Emmaus. Es soll damit gesagtwerden, dass gastfreundschaftliche Gesinnung zwar
überall existiert, aber nicht überall den Heilscharakter hatwie im oben erwähnten Fall der peloponnesischen Witwe.
Das war nicht Gewohnheit sondern tief verwurzelte,moralisch verankerte Sitte. Ein hohes, sehr hohes Maß an
Menschlichkeit an welches sich der Gastgeber Griecheauch heute noch gebunden fühlt.
Der nachfolgende Textabschnitt stammt aus meinemReisetagebuch ins Nestos-Tal aus dem Jahre 1992.
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Es gibt nicht allzu viele Gelegenheiten in meinem Leben
wo ich sehr stolz darauf sein kann, dass ich Grieche bin.Doch heute bin ich es, aus tiefster Seele.
Soeben sind wir zurückgekehrt aus Zarkadia dem Domizil
der Familie K. wo wir eingeladen waren. Es war eine
Gastfreundschaft wie aus homerischer Zeit. Die
Herzlichkeit und Aufrichtigkeit dieser beiden Freunde
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gegenüber meinen zehn deutschen Freunden, kann nurvon einem sehr begabten Literaten gebührend
beschrieben werden.
Ich versuche es mit einfachen Worten:
In der wohlig warmen guten Stube des kleinen gastlichen
Hauses, die voll mit Werken der Händearbeit der Anastasia war, fühlten wir uns sofort warm.
Die Sauberkeit und geschmackvolle Ausstattung, die ein
wenig an ein Puppenhäuschen erinnert, zeugen von viel
Liebe, Hingabe und Geschmack. Der einzige Gegenstand,
der wie ein Fremdkörper herum stand, war der Fernseher
in einem atmosphärisch herrlichen Haus. Selbst Penelope,die treue Gattin des herumirrenden Odysseus hatte sicher
nichts Wärmeres bei der Rückkehr ihres geliebten Mannes
zu bieten. Die österliche Tafel war voll von selbst
hergestellten Köstlichkeiten. Drei verschiedene Pitas mit
Lauch, Käse und Spinat. Weinbergschnecken als Stifado,
Moussaka, Marouli Salat, Kalamatas beste Oliven undTarama, in vollendeter Zubereitung mit
Frühlingsknoblauch gespickt.
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Wir brauchten nur „die Hände zu heben zum köstlichbereiteten Mahle1“.
Natürlich durfte nicht fehlen Kaffee und Kuchen allerlei
Art. Ich war so gesättigt von der Hingabe meiner Freunde
die ich in Deutschland kennenlernte, dass ich nur wenig
essen konnte und mit drei Glas Retsina war ich schon
gesättigt. Auf dem Rückweg zur 3 km entfernten
Bushaltestelle, wie einst Philemon und Baucis ihre Gäste
Zeus und Hermes, begleiteten Theodoros und Anastasia
ihre Gäste wie selbstverständlich.
Danke meine Freunde. Danke!
1 Homer, Odysee, 8. Gesang „Und sie erhoben die Hände zum
leckerbereiteten Mahle“
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Philoxenia und Philotimia
Zeugnisse, eines anderen Hellas, haben wir alsFreundesgruppe die bis heute einundzwanzigmal
das Osterfest immer an einem anderen Ort inGriechenland gefeiert hat, sehr oft erlebt.
Zu dieser Grundeinstellung hat die Orthodoxie - trotzzahlreicher Ungereimtheiten in ihrer Dogmatik - in
hohem Maße beigetragen indem sie mit der"Philoxenia" einen Glaubensschwerpunkt geschaffen
hat.Es ist ungeschriebenes Gesetz, dass jeder die
kostenlose Gastfreundschaft griechisch orthodoxerKlöster in Anspruch nehmen kann, unabhängig vonNationalität und Glaubensrichtung. Somit kann jede
Art von Fremdenfeindlichkeit durch die
gastfreundliche Gesinnung ausgeschlossen werden.Philoxenia ist die Samariterin der Integration von
Fremden. Eng verwandt mit der Philoxenia ist diePhilotimia. Das Wort Philotimia konnte ich im
deutschen Lexikon als Achtungswürdigkeit finden. Imgriechischen stammt es von dem Verb filo (φιλώ) ab,
welches " ich liebe" bedeutet und time (τιμή), welchesEhre, Preis und auch Wert, Anerkennung, Ansehen
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heißt. Eine Eigenschaft die jeden Griechenkennzeichnet ist das Filotimo.Filotimo - das Wort gibt es nur im Griechischen - ist
nicht übersetzbar. Es beschreibt ein Lebensgefühl,welches einen in die Lage versetzt sich im Lande der
Hellenen wohl zu fühlen. Filotimo ist noch etwas mehrals Gastfreundschaft. Selbst für einen studierten
Griechen ist es nicht einfach die genaue Bedeutung, alsauch die dahinter stehende Philosophie, zu erklären.
Filotimo geht weit über gastfreundschaftlichesVerhalten hinaus. Ehre, Stolz, Empfindsamkeit und
Würde sind darin enthalten. Alle diese Bedeutungensind irgendwie richtig, aber sie geben den griechischen
Sinn nicht genau wieder. Es ist für einen Griechen einschwerer Vorwurf ihn als jemandem ohne diese
Eigenschaft zu beschimpfen.Ein Grieche ohne Filotimo ist ein toter Grieche.
Um die griechische Seele zu finden, muss man nicht indie “All Inklusive Angebote“ der Tourismusbranche
gehen. Hellas ist mehr als Sonne, schöne Strände,Retsina, Souvlaki, Tsatziki und Zorbasmusik.
Die griechische Urkraft hat all das, was existenzwichtigwar, in Form von Sitte erhalten und alles was dem
Nutzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dientzur moralischen Norm erklärt. Das ist der Grund
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weswegen, warum selbst in den abgelegenstengriechischen Landstrichen, eine lebendige Traditiondiese Bevölkerung heute noch prägt. Dort spürt man
diesen Geist intensiver als in den Städten. Dort trifftman fast bei jedem Schritt Beispiele der Improvisation,
einer Eigenschaft die „dem Griechen“ ganzoffensichtlich innewohnt.
Der griechische Dichter Giorgos Seferis (13.03.1900 -
20.09.1971), Diplomat und Poet,
Literaturnobelpreisträger von 1963, schrieb imDezember 1957 folgenden Satz:
"Es ist einfacher, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr
passt, als dass ein griechischer Politiker Griechenland
begreift".
Griechenland ist nicht mehr ein antiker Gedanke,
sondern ein Staat mit ehrenwerten, schwer zubändigenden Bürgern, deren erfindungsreicher Kampf
ums Überleben bereits mit der Geburt beginnt.Nicht selten ist es so, dass der Philhellene - in Kenntnis
der altgriechischen Geschichte - griechischer ist als derGrieche selbst. Mit eleganter Leichtigkeit und
blühender Gestik versteht der Grieche zu verbergen,dass die alten Mythen ihn nur amüsieren. Schließlich
hat er von ihnen nie ein Stück Brot bekommen. Er hatgelernt, die Armut mit Anstand zu tragen. Sicherlich
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ein Zeichen gefestigter Selbstbeherrschung.Auch das ist Hellas.
Improvisation und Spontaneität
Das, was man dem Griechen nicht streitig machen konnte,war und ist sein Wille zur Freiheit und da er diesen Willen
nicht frei fordern konnte, entwickelte er die Begabung zurImprovisation, Spontaneität, Anpassungsfähigkeit und
trickreichen Flexibilität gegenüber Macht und Gewalt.Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff
Improvisation für jeden spontanen praktischen Gebrauchkreativer Einfälle zur Lösung von aufgetretenen
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Problemen benutzt. Am deutlichsten sichtbar aber sindWerke dieser Improvisation bei Festivitäten, in derPlanung alles Ungeplanten und auf dem Bausektor in der
griechischen Provinz. Halbfertige Bauruinen stehen jahrelang überall in der Landschaft herum bis irgendwann
eine Veränderung eintritt.Die Ruine wird verputzt.
Über kurz oder auch lang kommen Fenster und Türendazu und irgendwann raucht es aus dem Kamin und mit
Musik, Tanz und fröhlichem Gelage wird der Erfolg des"eigenen Daches" gebührlich gefeiert.
Der rational planende Westeuropäer hält ein solchesVorgehen schlicht für dumm. Wenn Du nicht genug
Kapital hast um etwas zu vollenden, dann fange es garnicht erst an. Warte, bis Du die notwenige Summe
zusammen gespart hast und dann fange an. Das ist dieübliche rationale Denkweise.
Doch der Grieche denkt hier anders. In seiner langenGeschichte wurde er ständig enteignet, vertrieben,
versklavt, im wahrsten Sinne des Wortes "besitzlos"gemacht. Das Dach über dem Kopf sein eigen zu nennen
ist daher höchstes Gut."In meiner eigenen Hütte bin ich der Herr" singt stolz und
selbstbewusst einer der populärsten griechischenVolkssänger des vorigen Jahrhunderts. Getrieben von der
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Ungeduld sieht es so aus als ob er glaubt, dass zu vielwägen und nicht wagen der Hauptgrund des Misserfolgessei.
Ich habe oben gesagt dass trotz aller Pressionen der Willezur Freiheit die Improvisationsfähigkeit
perfektionierte.Dort aber, wo die Griechen wahre Meister der
Improvisation sind, ist das Meistern einer unerwartetauftretenden Notwendigkeit zur Ausrichtung einer
Festivität.Ein Erlebnis von mir selbst soll das, was ich mit typisch
griechischer Improvisation meine, veranschaulichen.Nach dem Sturz der Obristen im Jahre 1974 bat mich mein
Professor für Chirurgie ihn nach Hellas zu begleiten. Seinbester Jugendfreund war als Besatzer in Griechenland
während des Krieges gefallen und irgendwo in Pierienbegraben worden. Um ihm die letzte Ehre zu erweisen,
wollte er einen Eindruck von dem Land bekommen in dassein Freund, als Nicht-Nazi, strafversetzt worden war. Es
war in der Karwoche und wir waren mit einemMietwagen der Marke Opel unterwegs, als plötzlich der
Motor des Gefährtes anfing zu stottern und dann seinenGeist endgültig aufgab. Wir befanden uns in der Nähe des
Dorfes Karytsa. Um Hilfe zu holen, lief ich in das Dorf underfuhr, dass es sogar eine Autowerkstatt dort gab.
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Das defekte Fahrzeug wurde mit zahlreichen Helfernbergauf bis zur Werkstatt geschoben und während derAutomechaniker sich bemühte den Schaden zu beheben,
suchte ich nach einer Möglichkeit etwas zum Essen zubekommen. Das einzige Lokal, das man uns empfohlen
hatte, war wegen des Feiertages geschlossen. Es war jaKarfreitag. An diesem Tag herrscht im Orthodoxen Hellas
neben strengem Fasten, auch "Trauer-Ruhe".Es wird nur das Notwendigste getan. Als die Wirtin des
Lokals hörte dass wir Fremde sind und wegen einer Pannegestrandet waren, sagte sie:
" Wir haben strenges Fasten, aber da ihr Fremde seid,werden wir sehen, was wir für euch machen können."
Sie bat uns um etwas Geduld und bot uns an vor demLokal in herrlicher Sonne Platz zu nehmen. Nach wenigen
Minuten sahen wir sie mit umgebundener Schürze inihrem Garten verschwinden, während ein kleines
Mädchen von etwa acht bis zehn Jahren uns zwei TassenKaffee und frisches Wasser auf einem Blechtablett
brachte. Alles geschah lautlos und fast wieselbstverständlich, ohne viele Worte. Es dauerte keine
ganze Stunde und die Wirtin des einzigen Lokals vonKarytsa, am Ost Hang des Berges Ossa, servierte dem
verblüfften deutschen Professor und mir eine ausKürbisblüten, Spinatblättern, Frühlingszwiebeln und
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verschiedenen Kräutern hergestellte köstliche Gemüse-Pita. Eine der köstlichsten, die ich je gegessen habe."Fleisch, Käse, Butter und Eier sind heute von unserer
Kirche strengstens untersagt", sagte sie entschuldigend„aber da ihr unterwegs seid, ist etwas Olivenöl erlaubt.
Ich hoffe es schmeckt ihnen."Solches Erleben ist Griechenland.
Begebenheiten dieser Art zwingen geradezu den Besucherdes griechischen Bodens selbst die Steine, aus denen
dieses Land fast nur besteht, mit anderen Augen zusehen. Alles erscheint heller, durchsichtiger, freundlicher,
menschlicher. Es ist sicher so, dass es woanders genausoschöne und helle Landschaften gibt wie hier, aber
nirgendwo sind diese Landschaften so beseelt vom Geistder Menschen die dort gelebt haben und heute dort
leben.Nirgendwo auf der Welt hat das Lorbeerblatt die gleiche
Bedeutung, den gleichen intellektuellen, kulturellenkultischen, und künstlerischen Wert wie hier. Es ist
höchstens ein gutes Gewürzblatt für den Linseneintopf,mehr nicht. Doch hier ist Daphne (griechisch Δάφνη -
Lorbeerbaum), die Tochter des Flussgottes Peneios, deram Fuße der Berge Ossa und Olymp in die Ägäis mündet,
Priesterin der Mutter Erde. Unsterblich in sie verliebt,verfolgt sie der Sonnengott Apoll und bedrängt sie so
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sehr, dass sie ihren Vater um Hilfe anfleht. Dieserverwandelt sie daher in einen ewig grünen Baum. Deshalbist der Lorbeerbaum in Hellas viel, viel mehr als ein Baum.
Hier im Tempe-Tal ist der Mensch niemals allein, selbstwenn keiner um ihn herum läuft. Hier spürt man die
Anwesenheit der schönen Daphne, der schlanken, elegantim Schritt sich wogenden Syranx (Schilfrohr), eine spröde
Landschönheit die in eine Pflanze verwandelt wurde. Manfühlt sich beobachtet durch tausende hinter den dicken
Platanenstämmen versteckter Augen. Der hässliche HirtenGott Pan, die Quellnymphen und selbst der Flussgott
Peneios sind anwesend. Hier sind die Nymphen alspersonifizierte Naturgeister überall präsent. Jeder Baum,
jede Grotte, Jede Wiese, hat seine gute Nymphe die denMenschen geräuschlos hilft, denn Lärm vertragen die
guten Naturgeister nicht. Eine Nymphe lebt so lange wiedas was sie repräsentiert. Mit dem Tod der Eiche stirbt
auch seine Nymphe, und ebenso ist es auch mit demVersiegen einer Quelle.
Überall auf der Welt ist ein Olivenbaum nichts anderes alsein immergrüner, rüstiger und unauffälliger Nutzbaum.
Ob in Spanien, Italien, Tunesien, Marokko oder auf derkleinasiatischen Halbinsel, überall ist er ein Holz, Schatten
und Früchte spendender Baum. In Hellas jedoch ist derOlivenbaum wesentlich mehr.
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Hier ist er etwas Beseeltes, etwas Lebendiges.Er ist für die Griechen, mehr als für die gesamte westlicheWelt, ein unschätzbares Kulturgut. Der Kranz aus Zweigen
des Olivenbaums war die Trophäe der Olympioniken, dasÖl der Olive war das "pure flüssige Gold" nach Homer und
der "Große Heiler" nach Hippokrates.Der Besucher griechischen Bodens der Olivenbäume in
Amphissa fotografiert auf dem Weg nach Delphi, wirdfeststellen, wenn er die Bäume nicht nur durch das
Objektiv seiner Kamera, sondern auch mit seinemseelischen Auge anschaut, dass selbst der Schatten der
Blätter silbrig schimmert. Ein grünlich, silbriges Etwas,umgeben von einem unerschöpflichen Vorrat an
Himmelsblau. Wer dort steht ist nicht mehr nur Tourist,sondern ein Pilger.Er atmet die Seele Griechenlands.
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Das Tempe Tal
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Die Haustaufe der kleinen Olga
Es ist eine angeborene Leidenschaft der Griechen nebenBeharrlichkeit, bäuerlichem Fleiß und Unternehmungslust
auch dem Nichtstun zu frönen.Denn es gibt drei Dinge, die sich mit dem griechischen
Charakter nicht vereinen lassen:Gewalt, Macht und Gehorsam. Das griechische Wort für
Gewalt ( Βία=Wia ausgesprochen) stammt aus derMythologie. „Bia“ war die Tochter der „Styx“, was die
Verhasste bedeutet und ihr Bruder war „ Kratos“, wasMacht bedeutet. In der neugriechischen Sprache ist„Kratos“ gleichbedeutend mit Staat. Dadurch erklärt sichvielleicht das gestörte Verhältnis des Griechen zu seinem
Staat. Er misstraut jeder Macht und verhält sich nichtgerade förderlich ihr gegenüber. Er weiß, dass Macht
einen schwer kontrollierbaren Einfluss auf alle Bereichedes Lebens hat, weswegen von alters her das Streben
nach Macht in Hellas strafbar war. Wer nach Machtstrebte wurde in die Verbannung geschickt. Der Grieche
zieht es vor die Gesetzestreue, also den Gehorsam, erst zuseinem Vorteil auszulegen und dann zu Gunsten der
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Allgemeinheit, also auch des Staates.Er ist unbeugsam und lässt sich nicht zwingen. Selbst ausscheinbar ausweglosen Situationen versucht er durch
Spontaneität und Improvisieren einen Ausweg zu findenum diese zu überwinden.
Folgende Situation habe ich selbst in meiner bäuerlichenVerwandtschaft erlebt. Meine Tante Olga, Ehefrau eines
Bruders meiner Mutter, wurde im Hof ihres Anwesensschwer verletzt. Die 86 Jährige war dabei einen
Aussenkamin anzuzünden um die Ziegenmilch ihrerkleinen Herde für die Käseherstellung zu kochen, als sie
von einem Ziegenbock hinterrücks angegriffen wurde.Der Schlag, den sie abbekam war so heftig, dass sie sich
mehrfach überschlug und dabei zwei Rippen brach.Da ich zu dieser Zeit mit meiner Frau und zwei Kindern,
meinem Freund und Kollegen Dr. Karl E. und seinerkleinen Tochter dort weilte, hat man uns eiligst geholt.
Unsere Feststellungen waren so schwerwiegend, dass unsunbedingt eine Einweisung in das Krankenhaus notwendig
erschien. Alle Versuche meine Tante Olga davon zuüberzeugen, dass sie ins Krankenhaus musste, fruchteten
jedoch nicht. Eine Einweisung lehnte sie kategorisch ab."Bevor ich sterbe möchte ich bei der Taufe dabei sein",
sagte sie. Zur Erklärung sei gesagt: Die erste Enkelin derTante Olga hatte ihr erstes Kind geboren. Ein Mädchen
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und dieses Urenkelkind sollte den Namen der Ur-Omabekommen, Olga. Am darauf folgenden Sonntag - dasUnglück geschah an einem Dienstag - sollte in der Stadt in
der die junge Familie wohnte und zwar in derBischofskirche der Heiligen Analypsis, die Taufe
stattfinden. Dort war ein Vetter der jungen Mutter,Archimandrit Dionysios, zuständig und somit galt die
Taufe dort als eine besondere Ehre. Die gesamteGroßfamilie hatte sich inzwischen im Haus der Tante Olga
versammelt und mitsamt den Nachbarn wurde, weit überdie vier Wände des Hauses meiner Tante hörbar,
debattiert was geschehen solle. Irgendwann, aber geraderechtzeitig bevor die Resignation und Ratlosigkeit um sich
greifen konnte, meldete sich die jüngste Enkelin der TanteOlga zu Wort und schlug vor, die Taufe eben hier im
Hause abzuhalten. Dann wäre die Oma dabei und müssenicht bewegt werden. So schnell wie bei dieser
Familiensitzung habe ich keine andere Sitzung erlebt beider man sich einigte. Meine Cousine Sofia, die zweite der
vier Töchter der Tante Olga - jetzt Oma Sofia - servierteKaffee und bevor der Mokka ausgetrunken war hatten
schon die Vorbereitungen für eine Haustaufe begonnen.Mein Freund und ich besuchten die Tante jeden Tag, auch
an besagtem Sonntag.Die Taufe fand statt mit dem Archimandriten neben dem
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Bett der malträtierten Ur-Oma Olga in einer Plastikwanneund alle waren gekommen.Als wir das Haus meiner Tante verließen resümierte der
bayerischer Kollege:" Das, mein lieber Freund, ist Hellas".
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Durch die Schlucht von Samaria
Die Mitternachtsmesse zum Osterfest in Chania war sehr
eindrucksvoll. Meine deutschen Freunde, sechs Ehepaare,meine Frau und ich hatten beschlossen die Schlucht vonSamaria zu durchwandern. Wir fuhren am Ostermontag,
den 12. April 1987, mit dem Bus nach Omalos, einem Dorf
in 1200 m Höhe, nachdem wir unser Gepäck mit einemTaxi nach Agia Galini in der Messara Ebene zu einem
vorbestellten Hotel geschickt hatten. Unsere Planung saheine Übernachtung am Ende der Samaria-Schlucht imkleinen Ort Agia Roumeli vor.
Obwohl die offizielle Eröffnung der Schlucht am 1. Mai
erfolgt, wagten wir diese Wanderung wegen des sehrguten Wetters trotzdem und bewältigten die
siebzehneinhalb Kilometer von der Mitte der Insel bis zumLibyschen Meer ohne Probleme. Die Samaria Schlucht ist
die drittgrößte Schlucht Europas mit zum Teil bis zu 600msteil abfallenden Felswänden und einer reichen
Vegetation mit prächtigen Platanen, Pinien, Kiefern undZypressen. An der engsten Stelle, der sogenannten
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"eisernen Pforte" ist sie nur 3-4 Meter breit.Die Übernachtung in Agia Roumeli hatte ich telefonischvon Deutschland aus abgemacht und den Wirt gebeten
für die vierzehnköpfige Gruppe ein Zicklein zu braten. Beiunserem Eintreffen in Agia Roumeli gegen 16:40 Uhr
drehte der Wirt Manolis tatsächlich einen Spieß vorseinem kleinen Hotel. Das knusprig gegrillte Tier, dazu der
ebenso köstliche Rotwein sind in der Erinnerung allerBeteiligten einer der unvergesslichen Höhepunkte unserer
kretischen Wanderungen.Nach unserer Planung sollte am nächsten Tag die
Weiterreise bis Hora Sfakion mit dem Schiff erfolgen,denn eine andere Verbindung gibt es nicht. Doch über
Nacht kam ein Sturm auf und die See war so aufgewühlt,dass die kleine Barkasse, die als eine Art Taxi für die
Touristen zwischen Agia Roumeli und Hora Sfaktionfungiert, nicht anlegen konnte. Bis die See sich beruhigt
hatte und wir fahren konnten war es bereits Nachmittag.Bei unserer Ankunft in Hora Sfakion erfuhren wir, dass der
letzte Bus nach Agia Galini bereits abgefahren war undder nächste erst am folgenden Tag fahren würde.Diese
Situation habe ich damals in meinem Reisebericht wiefolgt beschrieben.
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Samaria
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Ein vorläufiges EndeFür die planerische SichtHält uns die Realität vor Augenː Unser Bus fährt heute nicht.
Tägliches ArbeitsmittelGriechischer Amtsfunktion,
ist bei sämtlichen Hellenendie Improvisation.
″Diese Busfahrt heute endet Vierzig Kilometer weit″ deutet an der kleine Schaffner
"weiter geht nichts, tut mir leid".
Nach Plakias durch Serpentinen
stöhnend fährt dahin der Bus,
wo der Trupp die Tagesreise eigentlichbeenden muss.
Die Fortuna hatte heimlich
unsre Weiterfahrt bestimmtund im Herzen des Busfahrers
Menschlichkeitsgefühl geimpft.
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Für die Sonderfahrt die DrachmeOrdentlich hat sich bewährtund die vierzehn mit Piloten
stiegen in das Museal Gefährt.
Trotz Bezahlung war die Geste,echter Griechen-Freundschafts-Akt.
Wer erhofft in dieser LageMit dem Glück sich keinen Pakt?
Die Euphorie der Stimmung
Von uns hätte den NobelFür den Kreter Georg übrig,
als er hielt vor dem Hotel.
Es war spät in der Nacht des gleichen Tages als wir in AgiaGalini ankamen. Dort hatte die besorgte Hotelwirtin
bereits Erkundigungen bei der Polizei angestellt hatte, obes keinen Unglücksfall auf der Strecke gegeben habe.
Auch diese unbürokratische Hilfsbereitschaft einesBusfahrers, das ist Hellas.
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Von Patmos nach Nisyros
Alles was ich zu berichten weiß in diesem Buch sind
eigene Erlebnisse und nachprüfbare Zeugenberichte.
Vieles sind authentische Erlebnisse von unserenGruppenreisen immer zur Osterzeit und jedes Mal aneinem anderen Ort. Insgesamt waren wir 21 Mal in
Hellas. Bei einer dieser Reisen hatten wir ein kleines Schiffin Kos gemietet und wollten die Inselwelt des Dodekanes
befahren. Die Schiffsbesatzung bestand aus dem Kapitän
Joannis Mastoros und dem Maschinisten, Navigator,Smutje und einfachen Matrosen Manolis Skevophylax, mitdiesem für deutsche Zungen fast unaussprechlichen
Familiennamen, dessen Ursprung aber aus der
orthodoxen Kirchenordnung stammt und "Wächter derHeiligen Gefäße" bedeutet.
Wir feierten eine turbulente Auferstehungsmesse inKefalos auf Kos mit viel Knallerei und fuhren am zweitenOstertag nach Patmos. Nach dem Besuch der Grotte, in
der Johannes die Visionen zu seiner Offenbarung hatte
und die Apokalypse schrieb, besuchten wir das Kloster der"Apokalypsis des Johannes".
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Fels der Höhle des Johannes
Der Empfang durch den Abt war ein Höhepunkt unseresPatmos Besuches.
" Kalos Orisate!" „seid willkommen“ begrüßte er uns aufGriechisch.
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"Kalo sas wrikame", „ gut euch gefunden zu haben“ antwortete ich auf Griechisch.Es war deutlich zu sehen, dass der Gesichtsausdruck des
alten Mönchs sich aufklärte. Hatte ich vorher das Gefühleine Art Dysphorie zu entdecken, strahlte er jetzt
väterliche Güte aus."Wissen sie, wir legen keinen großen Wert darauf als
Tourismusmagnet zu wirken", sagte er unverhohlen."Allehrwürdiger Pater" versicherte ich, so respektvoll ich
konnte, „ ich versichere Ihnen! Das sind meine Freundeund hier in Hellas meine Gäste. Wir alle sind keine
gewöhnlichen Touristen, sondern wir sehen uns alschristliche Pilger, selbst außerhalb von Kirchen und
Heiligen Klosterstätten sind wir Pilger auf hellenischemBoden."
Der Abt war offensichtlich zufrieden über meineZusicherung und er lud uns zum traditionellen Kaffee ein.
Wann und wie er seinem Protosyngelos2 und demBibliotheka die Order gegeben hat uns das Sehenswerte
im Kloster zu zeigen, hatte niemand von uns bemerkt.Nach einer überwiegend philosophischen Unterhaltung
im Refektorium des Klosters, sahen wir Schätze von vortausend Jahren, verborgen in diesem Kloster.
2 Protosyngelos ist der erste Pfarrer oder Mönch in derKirchenhierarchie
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Neben Evangelarien, goldenen Gefäßen für die Liturgie,prächtigen Priestergewändern mit Goldstickereien ausbyzantinischer und zaristischer Zeit, Mitren bestückt mit
Smaragden, Saphiren und anderen Edelsteinen, sowieeiner großen Ansammlung von Hirtenstäben,
geschmückt mit Silber und Gold, werden hier KaiserlicheBullen und Papyri aufbewahrt. Ich bin sicher, dass in den
unzähligen Verstaubten Regalen einige ungeleseneglanzvolle Texte menschlichen Geistes zu finden sind.
Am Eingang zur Bibliothek liest man aus der Anthologie
des Johannes Stobaios ( 5 Jhrdt. n.Chr.) den Satz "Ψυχής ιατρόν" ( Psichis iatron) was "Arzt der Seele" bedeutet
und sich auf diese Schriften bezieht.Seit der Antike war und ist die Insel ein Fluchtort.Nach der Ermordung seiner Mutter Klytemnestra und
ihres Liebhabers Aegist (Aigistos), von den Erynien
verfolgt, floh Orest, der Sohn des Königs von MykeneAgamemnon, nach Patmos.
Hier hoffte er den Plagegeistern des personifiziertenGewissens Alekto die "unaufhörliche Verfolgung",
Megaire, zu Deutsch Megäre der "neidische Zorn" undTisiphone, die den "Mord rächende" zu entkommen.
Wohl vergeblich.Zur Römerzeit war Patmos auch Verbannungsort.
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Johannes, der Evangelist, war hier als Verbannter wie erin seiner brieflichen Einleitung zur Offenbarung ( Off. 1,9 )schreibt: "Johannes an die sieben Gemeinden der Provinz
Asia…" In den imposanten Mauern eines der wichtigsten
Heiligtümer der Orthodoxie spürt man hautnah wasdieses Hellas bedeutet: Anstand, Sitte und Moral liegen
hier überall in der Luft.Wenn der Pilger nicht in einem Winterschlaf des
Konsumverstandes liegt, wird er merken, dass er sich inein anderes Hellas befindet.
Wir waren nicht lange auf der See Richtung Süden, als es
plötzlich zwischen den Inseln Lipsi und Leros sehrstürmisch wurde. Unser Boot - ein umgebautesFischerboot mit dem Namen Kefalos - lag flach auf dem
Wasser und wurde gehörig hin und her geschleudert.
Zeitweilig sah man die Wellen über dem Dach der Kabine.Erfahrene Seeleute wissen, dass der Sturm im „Aigaion“
zur Sommerzeit oft wütet.Obwohl es draußen sehr stürmisch zuging war die Sicht
klar. Kein Nebel, keine Wolken, kein grauer, sondernblauer Himmel. Nur unser Gemüt war getrübt.
Als unser Boot die Schattenseite der Insel Leros erreichte,war der Spuk schlagartig vorbei.
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Nach einer Übernachtung auf der Insel Leros fuhren wirweiter nach Kalymnos.Viel haben wir von Leros nicht gesehen, obwohl es auch
hier genug Sehenswertes gegeben hätte. Kalymnos isteine gebirgige Insel und nur ein Zehntel ihrer
Gesamtfläche ist eben und halbwegs fruchtbar.Die Kalymnioten waren schon immer Seeleute oder
überwiegend Schwammtaucher. Den durch dieSchwammfischerei erworbenen Wohlstand vergangener
Zeit kann man erahnen in der Hauptstadt der Insel Pothia,an deren Hafenmole die bronzene Gorgone die Besucher
empfängt. Über der Stadt und vor dem Nonnenkloster"Ton Agion Panton" (Aller Heiligen) steht ein riesiges
Kreuz aus Beton, als Zeichen der Wiedervereinigung derInsel mit Griechenland. Vom faschistischen Italien besetzt
wurden die Dodekanes Inseln erst 1946 wieder griechisch.Trotz aller Versuche die Kultur und den Wechsel der
Insulaner zum Katholizismus zu erreichen, blieben dieseihrer Tradition und der Orthodoxie treu. Nur für einen
kurzen Aufenthalt fuhren wir in den durchMandarinenhaine berühmten Golf von Vathi. Während
meine Freunde sich in der idyllischen Oase verteilt hatten,setzte ich mich mit der ältesten Dame unserer Gruppe in
das kleine Kaffee direkt am Hafen. Frau Gudula hatteetwas mehr unter den Sturm am Vortag gelitten und ihr
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Magen rebellierte noch heftig. Die freundliche Wirtin,eine Mittvierzigerin, hörte sich meine Story an undversicherte mir, dass sie etwas Gutes für den Magen der
Gudula hätte.Sie ging flink ins Lokal und kehrte mit einem kleinen sehr
intensiv duftenden Blümchen- und Kräuterstrauß zurück.Sie stellte das Väschen vor Gudula und sagte:
"Der Geruch der Kräuter wird Ihre Säfte anregen undwenn Sie etwas trinken, dann wird es gleich besser.“
Tatsächlich, der Duft war betäubend. Der kleine Straußbestand aus Thymian, in der Mitte ein stärkerer Zweig
Salbei mit zwei, drei Blüten Majoran, Lavendel, Rosmarinund dreiblättrigem Basilikum.
Es dauerte keine zehn Minuten und die Wirtin brachtezwei Mokkatässchen Kaffee. Den einen hatte ich für mich
bestellt, den zweiten stellte sie vor Frau Gudula ab miteiner halben Zitrone und einer wenige Zentimeter großen
Honigwabe. Sie presste den Saft der Zitrone in den Kaffee,zupfte einen Stängel aus dem Kräuterstrauß heraus und
rührte in der Mokka Tasse herum. Danach empfahl sieder Gudula das Getränk langsam zu trinken.
Zwischendurch sollte sie die duftende Honigwabe essen.Auch das ist Hellas - ohne Säulen!
Unsere weitere Planung sah vor, dass wir in Nisyros tafelnsollten. Per Funk hatte Kapitän Joannis in Mandraki, dem
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Hauptort der Insel, unsere Ankunft gegen 14 Uhrangekündigt und bei dieser Absprache ein Ferkel bestellt.In Nisyros laufen Schweine und Ziegen frei herum und
sind halb verwildert.Wie die Besitzverhältnisse geregelt sind ist selbst mir als
Griechen nicht klar geworden. Im Hauptort der InselMandraki, was kleiner Pferch heißt, empfing uns schon
am Kai der Duft gegrillten Fleisches.Die abseits der Touristenströme gelegene Insel ist noch soetwas wie das ursprüngliche Hellas.
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Die meisten Besucher kommen nur stundenweise vonKos herüber um Sehenswertes am Vulkan zu besichtigen.Vom Hafen Mandraki bis zum am leichtesten
zugänglichen Stefanos-Krater führt der Fußweg durchBimssteinfelder und karge Kräutervegetation, sowie hie
und da an Büschen aus Kermes-Eichen vorbei Bevor manden Rand des Kraters erreicht, erheben sich links nord-
östlich nackt und grau zwei Vulkankegel. Der höchsteheißt Profitis Ilias und misst fast 700 m. Der Abstieg zum
Boden des Kraters ist unproblematisch. Dort sieht manmehrere Öffnungen, die sog. Fumarolen, aus denen
heißer Dampf entweicht. Die Temperatur ist so hoch, dassman ein rohes Ei innerhalb einer Minute kochen kann.
Rings um die Öffnungen gibt es gelbliche Kristalle vomausströmenden Schwefel, den man von weitem auch mit
der Nase wahrnimmt. Im einzigen VulkanmuseumGriechenlands, das es hier auf der Insel gibt, kann man
zum Teil sehr seltene Gesteine sehen. Es handelt sich umsog. „Skarn Steine“. Steine aus einer Mischung
verschiedener Mineralien. Überwiegend aus Kalk,Magnesium, Silizium, Aluminium, wie Spinell (MaAl2O4 ),
Dropsid (CaMa[Si12O6], Walastonit (CaSiO3). Andereseltene Steine bestehen aus Granat und Pyroxen.
Die Insel Nisyros gehört - nach Lesart der Geologen - indie Kategorie der "vulkanisch aktiven Inseln des
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Kykladischen Bogens" in Griechenland. Sogenannte"hydrothermische Explosionen" gab es zuletzt 1871 -1873 und 1878. Daher wird diese Insel geophysikalisch
ständig überwacht.Der Ausblick über die östliche Ägäis ist von dort oben
unbeschreiblich. Es gehört ein exzellentes erzählerischesTalent dazu, die Farbnuancen des Meeres an den
Übergängen vom Wasser zum Festland angemessen zubeschreiben. Er ist wie ein Panoramabild aus der
Vogelperspektive. So sieht man die zahlreichenSteininseln und Inselchen wie große Meeressäuger im
unendlichen Blau sich tummeln. Hier liegt einewohltuende, wildromantische Einsamkeit vor, bei der mitSchweigen der schöne Tag verspricht wieder zu kommen.
Die Umgebung, in welcher der Mensch sich den größten
Teil des Tages aufhält, bestimmt seinen Charakter , sagte
der Altgrieche Antiphon von Rhamnus 480 - 411 v.Chr.und tatsächlich unterscheidet sich der Charakter eines
Insulaners sehr von dem eines Bergbewohners.Als wir unsere Wanderung auf dem Vulkan beendeten
und in das Lokal von Manolis zurückkehrten, waren auchdie letzten Fleischstücke des geschlachteten Ferkels
duftend auf einer reich beladenen Tafel angerichtet. Nachder erstarrten Lava begann nun ein genüssliches Leben
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bei Manolis dem Hirten, Bauer, Fischer, Gastronomen undMusiker. Über die gastfreundschaftliche Gesinnung derHellenen habe ich bereits Einiges gesagt, aber hier in
Nisyros war ein ungeplantes, spontanesUnterhaltungsprogramm hinzugekommen. Die Güte eines
Landes – so behaupten Kenner - kann man daranermessen, wie gut man dort isst. "Das Land, in dem das
Essen schlecht ist, kann nicht gut sein." Ich will hier keineVergleiche mit anderen Ländern anstellen, egal ob
europäische wie Italien, Frankreich, Schweden,Deutschland oder Andere - ob sie besser oder schlechter
sind. Dass aber die griechische Küche einenliebenswerten Charakter aufweist, ist unumstritten. Trotz
ihrer Schlichtheit und Armut an Raffinesse, ist sie geadeltdurch die Herzlichkeit mit der sie dargeboten wird und
den Dank mit dem sie angenommen wird. Das liegt wohlauch daran, dass die angebotenen Gaben echt sind.
Naturrein würde man hier sagen oder biofrisch. Immersind die Oliven, ob grün oder schwarz, als Erstes auf dem
Tisch. Ebenso der weiße Fetakäse, der Quark oderJoghurt, der grob aussehende Bauernsalat mit den
fleischigen Tomaten, Zwiebeln, etwas Paprika und demduftenden Olivenöl in triefender Menge.
Das Grillen von Fleisch ist für die Griechen eine halbeOpferung. Bei jedem Familienfest ist die Antwort auf die
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Frage:"Was machen wir zum kommenden Fest?""Wir Grillen" (Θα ψήσουμε).
Das Olivenöl ist in Hellas, genauso wie das Brot, etwasHeiliges. Der Gast bekommt niemals altes Brot serviert.
Das immer frische Brot in reichlicher Menge wird nurangeschnitten und nicht in akkurat dünnen, gezählten
Scheibchen auf den Tisch gebracht.Auch bei Trinkgelagen unterscheidet sich der Grieche
wesentlich von den nordischen Menschen.Man trinkt in Hellas einen auf die Gesundheit aller, einen
auf die gegenseitige Gesundheit und noch einen auf dieeigene Gesundheit. Dann ist in der Regel mit dem Trinken
Schluss, denn danach, beginnt die Musik und natürlich,der Tanz.
Der Deutsche trinkt mit einem kurzen "zum Wohl" undfast immer mit deutscher Korporationsroutine.
Mit einem kühlen Skol trinken die Dänen, Norweger,Schweden, Finnen und Isländer auf die Gesundheit. Es
gibt einen skandinavischen Witz, den ich in Schweden vonJägern gehört habe, der dies verdeutlicht:
Stieg und Björn sitzen wortlos vor der Hütte nach der Jagdund Björn füllt zwei Schnapsgläser. Stieg nimmt das Glas,
hebt es hoch und sagt zu seinem Kameraden "Skol"."Wollen wir trinken oder schwätzen?" tadelt ihn der
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andere.Nach dem dritten "Giamas" (Γειά μας), was auf unsereGesundheit bedeutet, holte Manolis, der Wirt, seine
Geige aus seiner Küche und fing an zu spielen.Die Melodien gingen ins Mark. Joannis, unser Kapitän,
schob die Stühle zur Seite und begann zu tanzen. Einelangsame klagende Melodie, Rembetiko genannt, und ein
merkwürdig anmutender Tanz boten den Anwesendendeutschen Touristen eine interessante Show. Würdevolle,
angemessene Schritte, ernste Miene und Anspannung inder Körperhaltung verrieten die Leidenschaft, die den
Tänzer beseelte.Hier leben Menschen, die lebend sich am Leben freuen."Ich fand auf dem Dodekanes, Genuss und edle Hoffnung,
denn unergründlich ist der Aegaeis dunkle Pracht, doch
das Herz ist nicht einsam" , steht auf dem Fotoalbumwelches die "Wackeren Hellenen" (so nannte sich unsere
Gruppe) dem ältesten unter uns zu seinem 76. Geburtstagam 10. Mai 1990 schenkten.
"Es ist nicht nötig tanzen und singen zu können, schon
dass einem danach zu Mute ist, genügt für einen
gelungenen Tag", meinte der Wirt indem er seinendeutschen Tischnachbarn, unseren Dr. med. Peter G. zum
Tanzen zu animieren versuchte.Die Landschaften des Klangs spiegeln die Seele
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Griechenlands wider als ob man sich in einem uferlosenStrom befindet. Nur das Licht umhüllt alles. Es gibt einenins Mark gehenden Rhythmus ohne krasse Kontraste.
Ein lautes Geltungsbedürfnis von stiller Eindringlichkeit,bescheidener Höflichkeit und schlauer Widerstands-
losigkeit spiegelt die Tanzchoreographie wieder.In der plastischen Poesie und der Durchsichtigkeit der
Gefühle zeigt sich die formbildende Kraft dermelancholischen Musik griechischer Folklore.
Dass dieses großartige Land – in dem selbst der einfachsteGrieche mehr als dreitausend Jahre altes Blut in den
Adern hat - zum allgemeinen Spott nicht nur derKabarettisten und Karnevalisten geworden ist, liegt
allerdings an den Griechen selbst. An uns gebürtigen Neu-Hellenen.
Wir haben uns die Selbstbestimmung rauben lassen.Leider ist auch das heutzutage Hellas.
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Falsche Erwartung
Die gegenwärtige, lebendige griechische Landschaft darfnicht als Bild reflektorischen Vergleichs zur antiken und
klassischen Epoche dienen. Dazu haben Jahrhunderte vonBesetzung, Zerstörung, Plünderung und Sklaverei, viele
Trümmer und Schutt aufgeschichtet. Eine voneuphorischer, philhellenischer Begeisterung geleitete
"Ausgrabung" darin verborgene Schätze zu entdecken, hatzwar den Schatz des Priamos3, oder die goldene Maske
des Agamemnon4 ans Tageslicht gebracht, dafür aberwichtige Zeugnisse der historisch existenziellen
Entwicklung der Hellenen übersehen, bei Seite gelegtoder zum Teil zerstört.Ein Paradebeispiel falscher Vorstellung ist die Halbinsel
des Peloponnes und speziell Arkadiens.
In der Phantasie der Europäer war Arkadien das Synonymfür idyllisches Leben. Die Arkadier hielten sich selbst für
3 Heinrich Schliemann grub im alten Troja einen Goldschatz aus,
der der Schatz des Priamos genannt wurde. 1881 schenkte er die8000 Objekte dem deutschen Volk. Im 2en Weltkrieg raubten die
Sowjets ihrerseits aus dem Völkerkundemuseum diesen Schatz der
sich bis heute in Russland befindet.4 Die in einem Grab in Mykene von H. Schliemann ausgegrabene
goldene Maske befindet sich im Nationalmuseum in Athen.
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die älteste griechische Volksgruppe. rau, unbelastet vonmühsamer Arbeit und ohne gesellschaftlichenAnpassungsdruck inmitten einer bergigen Landschaft und
verbunden mit einer idyllischen Natur, lebten sie mit ihr inparadiesischer Harmonie.
So stellte sich zumindest das Leben in Arkadien derRömische Dichter Vergil (70-19 v.Chr.) in seiner Bucolica
vor und nach ihm viele Literaten und Künstler derdarstellenden Künste, vorwiegend in der Zeit der
Renaissance.In Jacques Offenbachs Oper "Orpheus in der Unterwelt"
besingt der Prinz von Arkadien sein herrliches Leben als ernoch in Arkadien lebte. Natürlich entsprach das nicht der
Wirklichkeit, ebenso wie manch anderes mehr, was manaus eigener Sehnsucht den Griechen andichtete.
Das war und ist nicht Hellas.Nicht die Griechen sind schuld an einem falschen Bild von
sich, sondern diejenigen, die sie so haben wollten, wie sieselbst in ihre Sehnsucht zu sein wünschen. Wahr ist, dass
die Bewohner Lakoniens und Messeniens, dessenzentraler Anteil Arkadien ist, bereits seit der Steinzeit dort
lebten. Aus den zehn Büchern des altgriechischenHistorikers Pausanias (2. Jh. n.Ch.) erfahren wir, dass die
Arkadier (Buch III), Lakonier (Buch IV), Messenier (Buch VII), Achaier und Arkadier (Buch VIII), die
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Nachfolger der Leleker, Achaier und der Dorer seien.Sir James Georg Frazer (1854-1941), schottischerEthnologe und Philologe und Mitglied der königlichen
Akademie in Edinburgh, der eine Übersetzung desPausanias geschrieben hat (6. Band 1898), schreibt:" Ohne ihn (Pausanias) die Ruinen Griechenlands wären
ein Labyrinth ohne Beweis, ein Rätsel ohne Antwort."
Diese Hymnen des antiken Griechenlands, sogerechtfertigt sie auch gewesen sein mögen, haben den
heutigen Griechen nur geschadet.Der Mensch - Grieche wurde nur als ethnologisches
Objekt, kaum anthropologisch betrachtet. Man sah in ihmnur ein Vergleichsobjekt zu den idealisierten Griechen der
Antike.Dabei hat man völlig übersehen, dass der Mensch
Grieche, auch Subjekt ist. Damit stellt sich die Frage auchnach seinen qualitativen Eigenschaften wie Personalität
Selbstbestimmung, und Entscheidungsfreiheit.Konnte aber ein Jahrhunderte lang versklavter und
unterdrückter Grieche sich entscheidungsfreientwickeln?
Kann man wirklich nach den Gesetzen der Logikbehaupten, dass es möglich ist selbst zu bestimmen was
man will und dies natürlich auch in die Tat umzusetzenwenn man in Ketten liegt?
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Ist es denkbar, dass ein Mensch einen einwandfreienCharakter entwickelt unter Barbarei und Ausschluss vonBildung?
Im nach hinein sieht es so aus, als ob die europäischeSehnsucht ihre Ursprünge an den "Küsten des Lichts" zu
zementieren, durch dilettantisches politisches Vorgehen,falsche Verehrung und Bereicherung ihrer Kulturstätten
mit antiker Raubkunst, vieles zerstört hat. Die Griechenwaren niemals ein Nationalstaat.
Sie hatten immer nur Stadtstaaten. Ich vermute, dassetwas davon in den Genen auch der heutigen Hellenen
liegt. Es geht nach meiner Ansicht über denRegionalpatriotismus der überall auf der Welt vorhanden
ist hinaus. Der Kreter lobt sein Öl als das Beste,wohingegen der Peloponnesier Seines für das allerbeste
hält und wiederum der Mytiliniote Einspruch dagegenerhebt, während der Attiker nicht einmal darüber redet.
Denn sein Öl hat sowieso das beste Aroma und denmildesten Geschmack. Am gesündesten aber sei sein Öl,
posaunt aus der östlichen Ägäis der Rodier, denn sein Ölhat den niedrigsten Säuregehalt. Wie dem auch sei, die
griechische Seele ist nicht nur in puncto Öl uneinig. Esscheint so zu sein als ob die Hellenische Seele genetisch,
oder eher epigenetisch, eine wichtige Prägung erfahrenhat. So wie das Oberhaupt einer Familie wünscht den
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bestmöglichen Ruf zu genießen, so scheint es auch mitgrößeren Gesellschaftsgruppen zu sein. So entwickelte jede Polis einen übertriebenen Patriotismus der bis heute
die Neu-Hellenen plagt.Es darf nicht sein, dass der Nachbar einen besseren Ruf
genießt. Der Grieche neidet den Erfolg des Nachbarn. Soerklärt sich die gefühlsbetonte, fast immer
leidenschaftlich gesteigerte Verteidigung der eigenenPosition. Allein durch seine (des Hellenen) Anwesenheit,
unabhängig davon ob etwas dabei geleistet wird odernicht, resultiert die Berechtigung eines irrationalen
Präsenzstolzes. Nicht die Leistung, die Präsenz zählt.So ist nun mal Hellas heute auch.
Ich kenne viele deutsche Touristen die von der Begierdebeseelt, Hellas und natürlich die alten Trümmerstätten
vergangenen Ruhms zu sehen, erfüllt waren. Je öfter sieaber Griechenland besuchten, umso mehr bemerkten sie
bei ihren Begegnungen mit den Griechen, dass dieHinterlassenschaften aus der Antike zwar Zeugnisse einer
grandiosen Epoche sind, dass sich jedoch eine großeDiskrepanz zwischen dem Damals und dem heute zeigt.
Sie sind tote Kulturzeugnisse. Sie sind die prächtige Fruchteines Baumes, welcher lange, lange in der Kühlkammer
der Zeit gelegen hat. Sie haben ihre Anmut und Schönheitnicht eingebüßt, aber in den Ästen des nachgewachsenen
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hellenischen Baums von heute hängen sie nicht mehr. Siesind tot und konserviert!Das, was heute lebt, ist eine andere Baumart und ihre
Früchte sind vielleicht äußerlich nicht so prächtig,schmecken aber keinesfalls weniger gut, denn sie
wachsen und gedeihen in der gleichen Landschaft undernähren sich von der gleichen Erde wie die antiken. Sie
saugen die Säfte der gleichen Erde und das, was sichnicht verändert hat, ist die Gewissheit des täglich
wiederkehrenden Lichtes. Wenn man, das andere Hellastreffen will, muss man auf die Berge steigen. Es muss
nicht gleich der legendäre Olymp sein, das reichen auchandere griechische Berge wie die Spitze der Caldera von
Santorin, denn auch dort oben in Perissa knapp 600 müber dem Meer ist garantiert, dass das reinigende Licht
des Helios vorhanden ist, worauf man sich auch imheutigen Hellas verlassen kann.
In diesen Fluten der Ost-Aegaeis ist Europa getauftworden bevor sie überhaupt geboren war.
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Geld oder Leben
Der echte Europäer - der mit der Seele Hellas besucht -wird im Lande feststellen, dass die Zähigkeit und
Beharrlichkeit bäuerlichen Gleichmuts für das Recht desBürgers gegen die Gleichgültigkeit und Arroganz der
bürokratischen Staatsordnung ein notwendigesÜberlebensinstrument geworden ist. Natürlich bedeutet
dies Ärger und Verlust von Zeit und Energie. So wird das,was in der Demokratie für das Wohlergehen des Bürgers
als unerlässliches, echtes Gemeinschaftsgut erkanntwurde, missverstanden und letzten Endes auch
missbraucht.Für die aktuelle Situation, in der sich das heutige Hellas
befindet, fällt mir ein griechisches Märchen ein, welchesdas Verhältnis zwischen Europa und Griechenland
veranschaulicht.Es erzählt die Geschichte des Hirten Filotimos - über die
Filotimia habe ich bereits einiges geschrieben - und derGoldschlange Chrysoula (die Vergoldete).
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Der Hirte lebte bescheiden, jedoch unbeschwert mitseiner Frau ihrem Sohn Giannis und der kleinenSchafherde unter dem hellenischen Himmel auf dem Berg
Flampouro. Eines Tages sah er während der Melk-Zeiteine Schlange aus einem Loch heraus kommen und
zwischen seinen Schafen ihm entgegen kriechen. Er standvon seinem Melkstein auf um besser zu sehen um was für
eine Schlange es sich handelte. Aber das Tier,offensichtlich geängstigt, kroch wieder in sein Loch. Da
der Hirte ein neugieriger Grieche war und wissen wollteum was für eine Schlange es sich handelte, nahm er ein
Schälchen, füllte es mit frischer Milch und stellte es vordas Schlangenloch.„Schlängchen", rief er, „komm heraus und trink die süßeMilch!"
Als er am nächsten Tag nachschaute, war die Milchausgetrunken.
Er füllte erneut das Schälchen legte es vor dasSchlangenloch und rief:
"Schlängchen, komm heraus und trink die süße Milch ausmeinem Schälchen!"
Tatsächlich, die Schlange traute sich heraus und trank vorseinen Augen das Schälchen leer.
Der Hirte Filotimos staunte nicht schlecht, als er amnächsten Tag das leere Schälchen holen wollte um es mit
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Milch zu füllen da fand er ein Goldstück daneben. VollerFreude lief er schnell zu seiner Frau und erzählte ihr dasGeschehene.„Meinst du, dass das Goldstück echt ist?" fragte er seineFrau, denn er hatte noch nie ein Goldstück in seinen
Fingern gehabt und war sich über die Echtheit nicht imKlaren. Die Hirtenfrau legte die Goldmünze zwischen die
Zähne und biss drauf. Sie war echt. Der Schäfer warüberglücklich und beschloss anstatt einmal täglich dreimal
- morgens, mittags und abends - der Schlange das mitMilch gefüllte Schälchen vorzusetzen. So bekam er anstatt
einem, drei Goldstücke täglich. Innerhalb kurzer Zeit warer ein reicher Mann und beschloss zu verreisen. Sein
seligster Wunsch war es, das Heilige Grab zu besuchen. Erhinterließ seiner Frau die Order, der Goldschlange dreimal
täglich das Schälchen voller Milch zu geben bis er wiederzurück sei.
Der kleine Hirtensohn Giannis war inzwischen groß genugum hinter seiner Mutter her zu rennen und so kam es,
dass er eines Tages während er im Pferch herum sprangund die Lämmchen streichelte, versehentlich auf die
Goldschlange sprang und ihren Schwanz abtrennte. Vorlauter Schmerz richtete sich die Schlange auf und biss den
Knaben in die Wade. Der Junge verstarb an dem giftigenSchlangenbiss und wurde begraben. Der einzige Trost für
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die unglückliche Mutter war die reich gestalteteBeerdigung. Von diesem Tag an zeigte sich dieGoldschlange nicht mehr. Das Schälchen mit der Milch
wurde nicht berührt und kein Goldstück fand sichdaneben. So war durch das Unglück nicht nur das einzige
Kind des Hirten gestorben, auch die reiche Geldquelle warversiegt.
Nach seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land war derHirte doppelt betrübt. Er wollte wissen warum die
Goldschlange nicht mehr seine Milch trinke und so ging erzu seinem Pferch, bückte sich vor dem Schlangenloch und
rief:„ Schlängchen, warum kommst nicht mehr heraus und
warum trinkst du nicht mehr meine Milch?"Aus dem Loch hörte er die Schlange antworten:„Ich habe dich vergoldet und du hast mich verstümmelt.Ich traue mich nicht in die Gesellschaft ohne Schwanz.
Was soll ich den anderen Goldschlangen sagen! Meinguter Name ist mit meinem fehlenden Schwanz dahin."
Der Hirte war sprachlos. Er konnte nicht verstehen waswichtiger war. Der Schwanz der Goldschlange oder das
Leben seines Sohnes.
Es ist vermutlich richtig, dass romantische Vorstellungen
über eine bestehende Kontinuität zwischen demklassischen Hellas und dem neuen Staat Griechenland
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großen Schaden angerichtet haben. Unter der Ägide der"Schutzmächte" England, Frankreich und Russland, nachder Befreiung von der osmanischen Herrschaft, sollte
diese These auf die Stärkung des Nationalbewusstseinsder Hellenen günstigen Einfluss haben. Doch dass die
Neu-Griechen heute noch viel zu sehr von der Antiken Zeitzehren ist kein Geheimnis. Ob jedoch diese Art von
Nationalstolz immer nützlich gewesen ist, darfbezweifelt werden. Es trübt oft die Sicht für das Machbare
in der Realpolitik und führt zu abwegigen Vorstellungenwie beispielsweise die der sog. "Großen Idee".
Das stark idealisierte Hellas, gegründet 1830 mit KönigOtto aus Bayern, hatte nichts mit dem Antiken Hellas
gemein außer seiner Geschichte. Das Licht der Antikeüberwog gegenüber der Dunkelheit von über vierhundert
Jahren osmanischer Sklaverei. Auf die Tausend Jahredavor will ich mich nicht einlassen. Man kann durchaus
eine Parallele zur heutigen Situation zwischen Hellas undEuropa ziehen. Die damaligen - und auch heutigen -
"Freunde" Griechenlands diktieren dem schwachen Landihre Vorstellungen von Lebensqualität, Recht und
Fortschritt. Doch die Griechen haben eine andereVorstellung vom Glück und das zeigt sich eben in allen
Bereichen des täglichen Lebens. Es geht um Dinge, dieman zu tun und zu erleben wünscht. Ohne diese ist das
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eigene, dieses ganz besondere Leben nichts wert, denn esbleibt unvollkommen. Es wäre, sagen die Griechen, „Fidikolowo“ (Φίδι κολοβό), Schwanzlose Schlange. Das
bedeutet nicht nur freudlos, sondern sogar Gift für dasLeben. Ein zwar begonnenes aber nicht vollendetes
Kunstwerk. Es nützt dir nichts, wenn du traurig bist für alldas was du nicht erlebt hast. Kein Mensch kann je
glücklich werden, wenn er bedenkt was er alles versäumt.Nein! Jeder Augenblick ist ein Glücksfall, wenn man ihn
nicht mit einem anderen vergleicht, der gewünscht wird.Jetzt und hier lebt er und nur jetzt kann er die Freude
genießen, die ihm die Situation bietet. Würde er sieverpassen, aus Überlegungen die das Zukünftige
berücksichtigen, wäre das ein nicht wieder gut zumachender Verlust. Eine ungenutzte Chance. Ob diese
Gelegenheit wieder kommt ist ungewiss, aber auch wennsie wieder kommt ist er vielleicht nicht mehr da. In eine
Zukunft zu planen die niemand beeinflussen kann, hieße jedes Mal wenn man sich freuen und glücklich sein wollte,
erst zu bedenken wie es wäre, wenn eine ähnliche,zukünftige Chance eventuell noch besser wäre.
Ein kopfnüchterner moderner Mensch plant und rechnetexakt was er beispielsweise im kommenden Jahr mit
seiner freien Zeit machen wird. Er muss genau wissen,wohin er verreisen wird, in welchem Hotel er wohnen
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wird, in welchen Zimmer, ob mit Blick zum Meer oder zurBergspitze, was er für Halbpension oder All Inclusivebezahlen wird, mit welcher Fluggesellschaft er fliegen
wird, usw., usw. Der normale Hellene hält dies für absurd.Wer weiß, was in 6 - 8 Monaten sein wird?
Man hört ihn sagen: Έχει ο Θεός= Echi o theos (Gott weiß,was kommt). Diese Denkweise der Griechen wird
fälschlicherweise als Sorglosigkeit oder Schlampereiangesehen und gewertet.
Doch sie hat eine philosophische und moralische Tiefe,wenn man es richtig bedenkt.
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Die guten Freunde von Hellas
Was und wie die guten Freunde Griechenlands über die
Hellenen und ihr Land denken, dokumentiert deutlich ihreHaltung gegenüber ihren Kunstwerken. Über den Raub
antiker Kunst durch die amerikanische Marine,italienische, französische, englische, österreichische
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organisierte Kriminalität im ganz großen Stil, auch vonBayern, Deutschen und Esten, beschreibt (dokumentiert)der griechische Richter und Schriftsteller Theodor
Panagopoulos.5 Fast jeder Mensch, der sich für Kunst interessiert, kennt
das berühmte Pariser Museum Louvre. Dort kann maneines der schönsten Werke glyptischer (plastischer) Kunst
bewundern, die sog. "Venus von Milo". Von den zwölfMillionen Besuchern des Pariser Louvre (pro Jahr) weiß
vermutlich nur ein verschwindend kleiner Teil vonArchäologen und Kunsthistorikern wie dieses
Prachtstück antiker griechischer Kunst nach Parisgelangte.
Ich will es dem verehrten Leser und der verehrten Leserinkurz schildern, denn es ist ein Beispiel dafür, ja
symptomatisch für das reale Verhältnis der sog."Freunde Griechenlands" zu dem Bild der Romantiker. In
der südlichen Ägäis und am Rande des Kykladen Archipelsliegt die Kleine Insel Milos. Im Februar 1820 hat der Bauer
Theodor Kentronas, bei Arbeiten auf seinem Acker, eineGruft frei gelegt, die aus drei verschiedenen Kammern
bestand. In der mittleren Kammer stand die marmorneStatue einer nackten Frau von unbeschreiblicher
5 Die Kleinen Buchstaben der Geschichte, ENALIOS Verl. 2. Ausg.
Ap2009 S.457)
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Schönheit. Mit der linken Hand verbarg die nackteSchönheit ihre linke Brust, während sie mit der rechteneinen Apfel hielt. Der Bauer lud die Statue auf seinen
Maulesel und versteckte sie in seiner Scheune. Erinformierte den Ortsvorsteher und den Popen, wie heute
noch auf dem Lande verfahren wird. Das was danachgeschah ist fast unglaublich. Ich werde die Details nichtausführlich darlegen aber so viel sei gesagt: Interesse
bekundeten die Türken, die einen kräftigen Bakschischerwarteten und so sollte die Statue nach Konstantinopel
verschifft werden. Aber auch die Bayern wollten dieStatue haben, denn ein Bayer hätte das antike Areal in
dem der Acker des Bauern lag - in dem die Statuegefunden wurde - gekauft. Die Engländer waren ebenfallsalarmiert. Ein französischer Marineoffizier, der gerade im
Hafen von Milos wegen schlechten Wetters ankerte,
wollte die Staue sehen und beauftragte den dortigenKonsul die Statue zu kaufen.
Die Verhandlungen scheiterten.Die französische Marine fuhr nach Konstantinopel und
drei Monate später schickte der französische Botschafter,Charles Francois de Riffandeau Marquis de Riviere, seinen
Botschaftssekretär Marcellus nach Milos mit der Orderdie Statue mit allen Mitteln zu erwerben.
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Die Verhandlungen mit dem griechischen Dragoman(Übersetzer, Dolmetscher) waren für die Franzosenfruchtlos und die Statue sollte auf einen Brick (engl. Brig =
griechischer Transport-Zweimaster) verladen werden. Beidieser Gelegenheit überfielen die Franzosen die Griechen
und in einer richtigen Schlacht wurde die Göttin derSchönheit, Anmut und Liebe ihrer beider Arme beraubt
und nach viermonatiger Seereise durch der Aegaeis, überRhodos, Zypern, Alexandria, Piräus und schließlich
Smyrna, wo sie auf ein anderes Kriegsschiff verladenwurde, fand sie ihre endgültige Heimat im Louvre. Dort
hat man sie nicht nur ihrer Heimat, sondern auch ihresNamens beraubt. Die Aphrodite von Milos heißt nun die
"Venus von Milo".Es lebe die Freundschaft!
Aus den Memoiren des Analphabeten Makrygiannis,
(1797-1864) berühmter Widerstandskämpfer undGeneral im Befreiungskampf gegen die Türken, kann man
über den Freundschaftsdienst der SchutzmächteGriechenlands einen entgegengesetzten Schuss ziehen.
Ebenso erschütternd ist das Schicksal Spartas, wie man esim Buch des Juristen und Schriftstellers Theodoros
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Panagopoulos und in französischen und englischenDokumenten lesen kann6.
Wenn sie, verehrter Gast in Hellas, nicht nursonnenhungriger Urlauber sind, dann haben sie sicherlich
auch die Thermopylen besucht und sich neben demDenkmal der dort gefallenen dreihundert Spartaner und
ihrem König Leonidas fotografieren lassen. Undvermutlich haben sie als bewusster Europäer auch die
legendäre Heimat dieser Verteidiger europäischen Bodens(vermutlich 11. August 480 v.Chr.) sehen wollen, Sparta!
Hier wurde auch Ihre europäische Heimat verteidigt. Ichkann mir ihre Enttäuschung so richtig vorstellen, wenn sie
vergeblich nach dem Stadt-Staat Sparta suchen, so wie sieihn sich vorgestellt haben. Es gibt keine Säulen, keineTempel, keine Trümmer, keine Gräber, nichts. Absolut
nichts.
Was ist geschehen mit der Stadt, deren Namen um denganzen Globus Bewunderung und Respekt hervorruft?
6 Deux Inscriptions attiques inedites copies par l’Abbe Michele
Fourmont (Parisinus suppl.gr 854) oder:Witten by: The Editors of
Encyclopedia Britannica. Richard Payne Knigth published: An
Analytical Essay the Greece Alphaber and Collection of 26 from
Amyclae. 1811.
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Was ist aus dem Stadt-Staat Sparta geworden?Hier ein dokumentarischer Bericht der Erschütterung.
„ Ich suche in den Häusern, den Scheunen, den Läden,
überall, selbst in den Klosetts (Toiletten). Ich bin auch in
Brunnen herabgestiegen, um Marmorplatten mit Namen
oder Schriften zu finden."
Dieser Aufzählung folgt eine Reihe von Ortsnamen wo dertüchtige katholische Abbe Michele Fourmont7,Gesandter
des Königs Ludwig des XV., der mit Erlaubnis der hohenPforte in Konstantinopel Hellas frei bereisen, erforschen
und ausgraben durfte. Er schreibt stolz, dass er jedenBerg, jeden Hügel, jede Ruine und selbst jeden Haufen
Steine untersucht habe von Attika, Athen, Argos, Mykene,Nauplia, Ermione, Korinth, Sikyon und ebenso alle Klöster,die allerdings von den Türken schon alle verbrannt
worden waren. Schließlich kommt er nach Sparta.„Hier habe ich alles dem Erdboden gleich gemacht. Bis zuden Fundamenten alles ausgegraben. Von der großen
Stadt ist kein einziger Stein auf dem anderen geblieben.
7 “Das Kleingeschriebene der Geschichte" (Ausg. II, April 2009,
ENALIOS Verlag, Athen) London by Longman u.a. Jan. 1820.
Memoirs relating to Europeans and Asiatic Turkey, and otherCountries of East. (Bergwerke für Silber und Gold Laurion,
Amykäischer Marmor, Literarische Betrügereien des Abbe
Fourmont von Lord Eberdeen (1690-1746) Veröffentlicht Allg.
Lit.Zeitung
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Seit einem Monat mit Hilfe von dreißig und einige Malevierzig oder sechzig Mitarbeitern, reißen wir ab,zerstören, vernichten Sparta".Na bravo, Herr Pfarrer!
Besonders stolz ist der Gottesmann - Teufelsdiener wärepassender - aus Frankreich, dass er seinem König
mitteilen darf, dass er in seiner Frömmigkeit selbst dieRuhe der Toten - des wahren Glaubens wegen - hat stören
müssen, denn er habe die Asche des Königs Agesilaos II(um 443 v.Ch.), dessen Grab er gefunden habe, "in denWind verstreut".
Das gleiche Schicksal hatte die Urne des Königs Lysandros,bekannt als Lysander, Feldherr und Flottenadmiral derSpartaner 408 v. Chr. und des Orest, Sohn des Königs
Agamemnon von Mykene, deren Gräber er auch gefunden
und zerstört habe „und keinen Stein auf dem anderengelassen".
Wie denkt der Grieche darüber?
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In seinem Buch "Nachtzug nach Lissabon" beschreibt der
Autor Pascal Mercier (S.107) den kurzen Dialog zwischendem Griechen Doxeiades und dem Schweizer Gregorius.
"Haben sie den Eindruck, dass die Leute sie sehen, wie siesind?" fragt der Schweizer
Der Grieche bricht in schallendes Lachen aus."Natürlich nicht!" antwortet er.Der Schweizer denkt sich wohl:
Macht es dem Griechen nichts aus wie man ihn sieht und
was man von ihm denkt, oder ist er so abgestumpft, dass
er es gar nicht merkt?
Man würde noch hinzufügen können: muss denn derschwache Grieche die Dummheiten der Stärkerenerdulden?
Oder ist es vielleicht so, dass er die erstrebenswertepythagoreische innere Unabhängigkeit erreicht hat?
Der werte Leser und die verehrte Leserin dieses Bucheswerden sich vielleicht wundern über so viel Historie obwohlanfänglich gesagt wurde, das neue Hellas sei davon zu
reinigen.
Mir geht es hier nicht um den geschichtlichen WertGriechenlands in der Welt allgemein und in Europa im
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Besonderen, sondern um das emotionale Verhältnis derheutigen Griechen zu ihren europäischen Freunden.Würden sie einen Freund haben wollen der sie ausraubt,
bestiehlt und selbst die Ehre der Toten verletzt? Könnten sieeinen Freund als solchen akzeptieren, der sie bekriegt, das
Land verwüstet, ihr Hab und Gut stielt und dann meint miteiner förmlichen Entschuldigung sei alles wieder gut?
Können sie wirklich einem solchen Freund trauen? Würdensie sich, wenn sie in Not geraten, auf diesen Freund
verlassen wollen?Muss denn der Schwache – es ist von politischer Schwäche
die Rede – sich die Willkürlichkeiten des Stärkeren immergefallen lassen?
Das ist das griechische Dilemma heute noch.Das ist heute Hellas.
Es berührt die hellenische Seele merkwürdig, wenn manversucht die Hellenen als einen barbarischen, Menschen
opfernden Volksstamm zu diskreditieren. Hierfür sind dieBetrügereien des Franzosen Abbe Fourmont ein trauriges
Beispiel. Ebenso die Thesen des Deutschen Jacob PhilippFallmerayer (1790-1861). Lesen sie folgendes Zitat von ihm:" Das Geschlecht der Hellenen ist in Europa ausgerottet…
Denn auch nicht ein einziger Tropfen edlen und ungemischten
Hellenen Blutes fließt in den Adern der christlichen
Bevölkerung des heutigen Griechenland".
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Trotz all dieser Demütigungen, trotz Abbe FourmontsAntiquitätenraub, Betrügereien und Fälschungen oderThomas Bruce, 7th Earl of Elgin8, der den gesamten
marmornen Fries der Akropolis, Fragmente, Teile derMetopen des Ost- und Westgiebels, sowie eine der
Karyatiden9 abmontieren ließ und dem LondonerMuseum für 35.500 Pfund Sterling verkaufte, dafür aber
großzügigerweise der Stadt Athen eine Uhr schenkte, umnur die Spitze der perfidesten und übelsten Grabräuber zu
nennen - und unzähliger anderer Antiquitäten-Hehler und –Schmuggler - haben sich die Hellenen bis jetzt besonnen
und sehr ruhig verhalten. Obwohl an diesen hellenKüsten Europa erwachte, haben die Europäer bis heute
kein lobenswertes Verhältnis den Griechen gegenüber anden Tag gelegt.
Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit falsch, wenn
Journalisten, Filmemacher und Literaten erzählen, dassnämlich jede grundlegende, oder richtiger gesagt, jeder
8 Thomas Bruce 7th Earl of Elgin (20.07.1766-14.11.1841) war
Botschafter im osmanischen Reich b/ Sultan Selim II. Mit Erlaubnis
des Sultans betrieb er systematischen Kunstraub, und verschiffte
zwischen 1801 und 1812 die sog. "Elgin Marbles" nach London woer sie verkaufte.9 Karyatide=aus Karyai b/ Sparta. Weibliche Skulpturen als
tragende Dachsäulen der Korenhalle Erechtheion auf der
Akropolis 5.Jah. v.Chr.
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Anlass zur grundlegenden Änderung der Lebens- undVerhaltensweise, ein hoch dramatisches Ereignisvoraussetzt. Nicht selten sind solche Momente in der Tat
der Grund dafür. In den meisten Fällen aber bewirkenSolches die stillen Momente. Es liegt nicht am Donner und
der Flamme der Dramatik, die etwas zerstört um Neuesentstehen zu lassen aus Angst - was die Regel ist - oder
aus dem Gefühl der Hoffnung etwas Besseres zuerreichen. In der Stille findet eine Bewusstseinsänderung
statt. In der Ruhe ändert sich die Einsicht gegenüber einerbis dahin für richtig gehaltenen Überzeugung. Ohne es
beschwören zu können glaube ich, dass viele ehrlicheFreunde Griechenlands, beseelt von einer romantischen
Vorstellung dessen, was sie von Hellas gehört odergelesen haben, ihre Reisen in die Aegaeis unternehmen.
Dort erleben sie das turbulente Leben der modernenTouristikindustrie und nicht die notwendige
bewusstseinsverändernde Stille, welche erforderlich wäredas Bild des vergangenen Hellas- in ihrer Phantasie- mit
dem jetzigen Hellas zu versöhnen.Im üppigen Angebot der All-Inclusive-Maschine gerät der
Besucher in einer Falle. Anstatt der stillen Minute vor denRuinen der Athena Pronaia vor dem Tore des Apollon
Heiligtums in Delphi erlebt er eine Menschenansammlungvon über vierzig Reise-Bussen mit Seinesgleichen.
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Es dauert lange Zeit bis er allein vor den drei Säulen desTholos lächelnd fotografiert wird um, wenn er braungebrannt zurück nach Hause kommt, seinen Freunden
zeigen zu zeigen dass er Hellas besucht hat. Nicht dieserTempel ist dann wichtig, sondern er selbst. Nicht dass dies
falsch wäre, das ist es nicht, aber es hat in der Vorstellungvom alten zum neuen Hellas die Kluft nur vertieft. Er wird
über seine Erlebnisse am Strand, an der Hotelbar, derFischtaverne, dem köstlichen Wein, dem Essen, den
Busreisen und der herrliche Sonne berichten und hie undda auch in seine Erzählung Anekdoten einflechten über
den betrügerischen Kellner, oder die schlampigeKlomontage in seinem Hotelzimmer.
Es ist aber zweifelsohne so, dass Griechenland und diedort lebenden Menschen zu den schönsten Geheimnissen
der europäischen Geistesgeschichte gehören.
Um das zu begreifen, muss man „das andere Hellas“ entdecken.
Es ist schon krass, wenn Theoretiker der menschlichenVernunft sich anmaßen die Denkweise der Hellenen zu
kennen, obwohl sie nie erfahren haben wasRechtlosigkeit für das Individuum bedeutet.
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Die nicht erlebt haben was Willkür, Raub, Mord,Vergewaltigung und sadistische Quälereien eines Volkesüber mehrere Jahrhunderte hinweg bedeuten und was
dies alles hinterlassen hat. Nicht allein die Ethik - obaristotelisch oder christlich - ist hier gefragt, sondern vor
allem das Naturrecht des Lebens. Es ging Jahrhundertelang allein um Überleben oder Tod. Um die
Weiterexistenz eines ganzen Volkes. Das Unfassbare istnun im Schoß Europas, in der sogenannten Diskussion
über Hellas, geschehen. Wortreiche, in diplomatischeFloskeln gehüllte, kaltherzige Höflichkeiten, typische
Hülsen ohne Inhalt. "Wir sind uns darüber einig, dassGriechenland Hilfe braucht." sagt der
Kommissionspräsident Jose-Manuel Barroso (23.03.56)und wortgleich auch sein Nachfolger Jean Claude Juncker.
Ich erinnere hier nur an die Monate lang andauerndeBerichterstattung und die Statements europäischer
Politiker über alle Informationskanäle. Niemand, keineinziger Regierungschef oder gewichtiger Diplomat, hat je
das geringste Anzeichen von Verständnis gezeigt – außerWorthülsen - angesichts der dramatischen Lage der
Hellenen. Wie könnte man auch angesichts der stromartigangewachsenen Flut von "Urteilen" europäischer Politiker
und Journalisten erwarten, dass es zu einer Besinnungkommt?
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Bilder, Worte, Spekulationen, Meinungen, sind derartigangewachsen in einer reißenden, wilden Flut vonEmotionen, deren Wucht alles mit sich riss, ohne einen
einzigen Ast rettender Vernunft übrig zu lassen:Die Griechen sind faul.
Die Griechen lügen.Die Griechen sind Diebe.
Die Griechen sind Betrüger.Kann man einen solchen Strom beeinflussen?
Kann man eine solche Flut bändigen?Kann man sie umleiten ohne die gleichen Mittel (Zahn um
Zahn) anzuwenden? Denn wer Anklagen gegen anderewiderholt vermehrt sie nur, er beseitigt sie nicht.
Bringt es etwas Lüge mit Lüge und Betrug mit Betrug zubekämpfen?
Es ist überflüssig hierzu einen Humanisten um sein Urteilzu fragen. Das Wort hat hier der beherrschte, kalte, und
schlechte Stil diplomatischer Informationsfloskeln. ImLaufe seiner langen Geschichte hat der Grieche alles, was
der menschliche Geist hervorgebracht hat, von dem "allesin Maßen", einer der konzentriertesten Weisheiten, bis zu
den aufgeblasensten Tiraden der Sophisten undRhetoriker erlebt. Alles! Sein großer Fehler ist es, dass
ihm die Fähigkeit zu unterscheiden zwischen Freund undFeind fehlt, denn für ihn ist jeder Fremde zuerst ein Gast
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und somit Gastfreund, und so hält er jeden für seinenFreund. Er hat wohl erfahren und sich ins Gedächtnisgeschrieben, dass man nicht unbedingt das Gesagte für
wahr halten kann. Um dem Dilemma zu entgehen, redeter selbst auch viel, oft ohne den tieferen Sinn dessen was
er sagt gründlich zu überlegen. Und so entstehenMissverständnisse, die durch das weiterdiskutieren nur
vermehrt und vergrößert werden.Gefragt, ist stattdessen entweder, "amykläischesSchweigen" oder nur Besonnenheit.