24 - Stunden Frauennotruf
Gewalt gegen Frauen im sozialen Nahraum Interdisziplinäre Ringvorlesung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Sommersemester 2007
Dr in Angelika Breser
• Stalking
24 - Stunden Frauennotruf
Stalking – Ausmaß und Definition
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Ausmaß von Stalking
In Großbritannien werden jährlich 600.000 Frauen und 250.000 Männer gestalkt.
Budd T., Mattinson J., The extent and nature of stalking: findings from the British Crime Survey, 2000
In Amerika sind jährlich 1 Million Frauen und 400.000 Männer von massivem Stalking
betroffen. Tjaden P., Thoennes N., Stalking and Domestic Violence, US Department of Justice, 1998
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Ausmaß von Stalking
In Deutschland sind 12 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben
von Stalking betroffen.Dressing H.,Hühner C., Grass P., Studie Stalking in Deutschland, Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim,2004
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Stalking heißt
Trotz ausdrücklichem Wunsch einer Person,
in Ruhe gelassen zu werden,
sucht und erzwingt der Stalker gegen deren
Willen wiederholt und mit verschiedenen
Mitteln eine Kontaktaufnahme.
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Stalking heißt
Telefonterror SMS/E-Mail-Sendungen, Briefsendungen Abpassen, Warten vor Haus oder Arbeit Verfolgen, Ausspionieren, Gerüchte verbreiten subtile Drohungen Zerstörung von Eigentum Körperliche Übergriffe
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Stalking - Beziehungsformen
Mit Beziehungskontext nach einer Zufalls- oder Kurzbekanntschaft in Anschluss an eine Intimbeziehung bei familiärer Gewalt und nach einer Trennung
Ohne Beziehungskontext in beruflichen Situationen Verfolgen von prominenten Personen zufällige Zielperson
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Opfer-Täter Konstellation
80 % der Opfer sind Frauen
90% der Täter sind Männer
60-70% der Opfer kennen den Täter
Findings from the National Violence Against Women Survey" ,Patricia Tjaden and Nancy Thoennes , 1998
The extent and nature of stalking: findings from the British Crime Survey, Budd and Mattinson, 2000
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Opfer-Täter Konstellation
60 % der Opfer hatten eine Intimbeziehung zum Täter bevor das Stalking begann.
80 % der weiblichen Stalking Opfer, die durch ihren Ex-Partner gestalkt wurden, erlebten auch in ihrer Beziehung Gewalt.
Tjaden,P., Thoennes N. (1998).Stalking and domestic violence. The third Annual Report to Congress under the Violence Against Women Act, U.S. Department of Justice, Washington, D.C.
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Was macht Stalking aus?
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Was macht Stalking aus ?
Das Eindringen in die Lebens-(Privat-)Sphäre einer anderen Person – gegen deren Willen
Die Wiederholung, Dauer und Beharrlichkeit der Handlungen
Die scheinbare Ausweglosigkeit
Die immanente Bedrohung und Angst vor körperlicher Gewalt
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Was macht Stalking aus ?
Der fortwährende Kontrollverlust über das eigene Leben und über die Handlungen des Täters
Das Erleben des Täters als übermächtig
Die lebensverändernden, freiheitseinschränkenden Auswirkungen
Die Verinnerlichung der Einschränkungen
Die Erschöpfung der Betroffenen
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Was macht Stalking aus ?
Die Vielschichtigkeit der Stalkinghandlungen und Mittel
Die massiven Auswirkungen auf psychischer, körperlicher, sozialer und ökonomischer Ebene
Der Ex-Partner als Täter – Wissen über dessen etwaige Gewaltbereitschaft
Der unbekannte Täter – erhöhte Angst vor dessen Unberechenbarkeit
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Stalking – rechtliche Situation in Österreich
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Anti-Stalking–Gesetz seit 1.7.2006
§ 107a (1) Wer eine Person widerrechtlich beharrlich verfolgt (Abs.2), ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.
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Anti-Stalking–Gesetz seit 1.7.2006
(2) Beharrlich verfolgt eine Person wer, in einer Weise, die geeignet ist sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt
1. ihre räumliche Nähe aufsucht2. mittels Telekommunikation Kontakt herstellt3. Waren oder Dienstleistungen bestellt4. Dritte zur Kontaktaufnahme veranlasst
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Anti-Stalking–Gesetz seit 1.7.2006
§ 382g EO: Möglichkeit einer Einstweiligen Verfügung (EV) zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre beim zuständigen Bezirksgericht zu beantragen. (Kontaktverbot, Aufenthaltsverbot…)
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Zahlen aus der Gerichtsstatistik
100 Verurteilungen nach § 107a StGB in Österreich seit Juli 2006
104 einstweilige Verfügungen gem.§ 382g EO in Österreich von Juli 2006 bis Dezember 2006
60 einstweilige Verfügungen alleine in Wien von Juli 2006 bis Dezember 2006
Quelle: Bundesministerium für Justiz, Pressekonferenz am 27.3.07
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Zahl der Anzeigen in Wien
481 polizeiliche Anzeigen nach
§ 107a StGB von Juli 2006 bis Dezember 2006
Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik, Bundespolizeidirektion Wien
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Zahlen im Frauennotruf
2006:
Jeder 7. telefonische Erstkontakt und jedes 4. persönliche Erstgespräch hat das Thema Stalking zum Inhalt.
1996:
Jeder 19. telefonische Erstkontakt und jedes 15. persönliche Erstgespräch zum Thema Stalking.
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Stalking und seine möglichen Auswirkungen
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Traumatisierende Faktoren und ihr Bezug zu Stalking
Unvorhersehbarkeit und Plötzlichkeit (Fehlende Kontrolle über das Agieren des Täters)
Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit (Angst vor körperlicher Gewaltanwendung)
Bedrohung des eigenen Lebens (Angst vor Ermordung)
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Traumatisierende Faktoren und ihr Bezug zu Stalking
Bedingung der Ausweglosigkeit
Bedingung intensiver Furcht und Ohnmacht
(nahe) bekannte Bezugsperson als Täter
RESIGNIEREN
VERHANDELN
BEUNRUHIGUNG
ANGST
VERLEUGNEN
OHNMACHT
STALKING : OPFERDYNAMIK
PHASENVERLAUF
WUT
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Was macht den Kontaktabbruch für Stalkingopfer so schwierig?
Angst vor Eskalation (körperliche Gewalt)
Angst vor gänzlichem Kontrollverlust über den
Täter
Verinnerlichung der Einschränkungen (Verlust
der Realitätsebene)
Erleben des Täters als übermächtig
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Mögliche Auswirkungen und Folgen
Körperlich Herz-, Kreislaufbeschwerden, diffuse Schmerzzustände,
Psychosomatosen, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände
Psychisch Depression, Angst, Hilflosigkeit, Schreckhaftigkeit, Selbstwertverlust, Schuld, Schamgefühle
Sozial Isolation, Rückzug, Minderung der Kontaktfähigkeit,
Verlust der Selbstständigkeit (ökonomische Abhängigkeit)
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Folgen: Beschränkungen
70 Prozent der Stalking-Opfer sind von massiven Auswirkungen auf ihren persönlichen Lebensstil betroffen:
Bewusste Vermeidung sozialer Kontakte Wechseln des Wohnsitzes Arbeitsplatzwechsel oder Verlust Probleme in neuer Beziehung
The extent and nature of stalking: findings from the British Crime Survey, Budd and Mattinson, 2000
The toll of Stalking: The relationship between features of stalking and psychopathology of victims, Blaauw, Winkel, 2000
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Folgen: Gesundheitsschädigung
80 % Angstgefühle, Panikattacken
70 % Chronische Schlafstörungen
40 % Posttraumatische Belastungsstörung
20 % Selbstmordgedanken Pathé, M., Mullen, P. E. (1997): The impact of stalkers on their victims, British Journal of Psychiatry,
Kamphuis, J. H., Emmelkamp, P.M.G. (2001): Traumatic Distress Among Support-Seeking Female Victims of Stalking, American
Journal of Psychiatry
Hall, D. M. (1998): The Victims of Stalking, in: Meloy, J. Reid (ed.), The Psychology of Stalking. Clinical and Forensic Perspectives,
San Diego
24 - Stunden Frauennotruf
Stalking – Beratung
Säulen im Umgang mit Stalkingopfern
Täter-Opfer Bezug Schutzmöglichkeiten / Sicherheitspläne
besprechen
Psychische Ebene / Aufklärung/Information
Handlungsebene über Stalkingdynamik / über
rechtliche Möglichkeiten
Schamgefühle wertfreie Begegnung
Verändertes Weltbild Respektvoller Umgang
Gefährdung Sicherheit
Kontrollverlust Struktur
Vertrauensverlust Beziehung
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Wichtig in der Beratung
Klare Linie der Parteilichkeit: Stalking ist Unrecht
Struktur, Klarheit und Transparenz
Ernstnehmen der Belastung der Betroffenen
Psychoedukation
Bewusstmachung der Lebenseinschränkung
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Wichtig in der Beratung
Starke Stützfunktion im Aufrechterhalten der Konsequenz (Kontaktabbruch) gegen den Stalker
Unterstützung in der Öffentlichmachung des Leidens (vertrauenswürdiges soziales Umfeld)
Erstellung eines individuellen Sicherheitsplans gemeinsam mit Klientin
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Anti-Stalking-Gesetz - Veränderungen in der Beratung
Position des Gesetzgebers: Stalking ist Unrecht, Stalking ist strafbar
- Klarheit und Bestätigung für Betroffene
- Unterstützung im Anerkennen: Stalking ist
Gewalt, Stalking wirkt traumatisierend
- Unterstützung gegen relativierende Bemerkungen des sozialen Umfeldes
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Angebote und Arbeitsweise unserer Beratungseinrichtung
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Kriseneinrichtung für Frauen und Mädchen mit sexuellen, körperlichen oder psychischen Gewalterfahrungen
0-24 Uhr telefonische und persönliche Beratung durch Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen und
Juristinnen
Betreuungen und Begleitungen zur Anzeige, ins Spital, zu Gericht
Fortbildungen für Institutionen
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24 - Stunden Frauennotruf
Seit 1996 über 55.000 telefonische und persönliche Kontakte
Etwa 5500 telefonische und 1000 persönliche Gespräche pro Jahr
6.885 Beratungskontakte im Jahr 2006
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24 - Stunden Frauennotruf
40% der Betroffenen wenden sich innerhalb
24 Stunden nach der Tat an den Frauennotruf
Thematik bei persönlicher Beratungen ist: 40% Vergewaltigung
33% familiäre Gewalt
12% sexueller Missbrauch in der Kindheit
11% Psychoterror
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Mythenbildung
Der Glaube an den Mythos dient der
Angstabwehr.
Je höher Mythen in der Gesellschaft akzeptiert
werden, desto höher ist die Angstabwehr bzw.
umso mehr wird Gewalt verharmlost.
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Mythenbildung und Sprachgebrauch
„Das ist ja gar keine richtige Gewalt.“
„Sie ist ja selbst schuld!“
„Er ist ja genauso arm!“
„Wenn mir das passiert, stell ich das ab!“
Beziehungstat
Seitensprung vertuschen
„Sie hat es ja provoziert“
Der unbekannte Täter
Opfer-Täterbeziehung – Vergewaltigung § 201
N= 468
KRIMINALSTATISTIK ÖSTERREICH 2005
Bekanntschaftsverhältnis43%
Zufallsbekanntschaft21%
familiäre Beziehung mit Hausgemeinschaft
19%
familiäre Beziehung ohne Hausgemeinschaft
7%
in keiner Beziehung9%
keine Angabe1%
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Beratungsangebote des Frauennotrufs
Psychologisch Psychoedukation, Stabilisierung, Entlastung etc. Kurz- bis mittelfristiges Beratungsangebot
Rechtlich Information über polizeiliches Anzeigenprocedere und rechtliche Möglichkeiten, Gerichtsverfahren,
Opferrechtepsychosoziale und juristische Prozessbegleitung
SozialInformation über Hilfseinrichtungen, soziale Unterstützungsangebote
Grundsätze der Beratungsarbeit
Anonymität
Parteilichkeit
Vertraulichkeit/Datenschutz
Empowerment
Selbstbestimmtheit
MA - Frauennotruf
der Stadt Wien
im 24-Stunden Frauennotruf
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Grundhaltung in der Beratungsarbeit
Gewalt ist mit NICHTS zu entschuldigen!
Die Betroffene hat NIEMALS Schuld an der Tat!
Die Verantwortung hat ALLEIN der Täter!
Ein Gewaltdelikt IST ein Verbrechen und eine Verletzung der Menschenrechte!