26Cg . .SIASa- .-73 Prim. Univ. Prof. Dr. Günter Huemer
Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger
Puchberger Straße 31
An das
Landesgericht Salzburg
Postfach 522
5020 Salzburg
Betrifft:
4600 Wels Landesgericht Salzburg Eingelang1 1 l Jan. 2016 ..... Uhr
..... Min .
....... fac11 .......... Halb5chr. ....... Beil. .................................... Akte.
Wels, 04. Jänner 2016
Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens 25 CG 37/15 g
Klagende Partei:
1. Beklagte Partei:
2. Beklagte Partei:
Wegen:
Verlassenschaft nach Isabella Jandrisevits
Prim. Univ. Doz. Karl Miller
Halleiner Krankenanstaltenbetriebs-gmbH
284.436 Euro samt Anhang
(Schadenersatz/Gewährleistungsanspruch)
Anästhesiologisches Gutachten
Es soll ein Gutachten zu folgenden Fragen/Punkten erstattet werden: * ob die Behandlung der Isabella Jandrisevits im Zusammenhang mit der
Operation am 1 7. 09. 2009 entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst
vorgenommen wurde oder inwieweit nicht,
25 CG 37/15 g G.Huemer
* über die Auswirkungen einer allfällig nicht den Regeln der ärztlichen
Kunst entsprechenden Vorgangsweise auf den Gesundheitszustand der
Isabella Jandrisevits,* wie bzw. durch welche Ursachen es zum Gehirnschaden bei Isabella
* Jandrisevits kam,
ob es Erfahrungswerte gibt, dass eme Herzstillstand während der
Einleitung einer Operation trotz rechtzeitiger und fachgerechter
Reanimation zu einem Gehirnschaden infolge Hypoxie des Gehirns
führen kann.
Die Vorgeschichte der Frau Jandrisevits darf als bekannt vorausgesetzt werden.
Im folgenden Gutachten wird auf den Zeitraum vom 14.09.2009 bis 18.09.2009
und vor allem auf die perioperativen Abläufe der Operation am 17 .09 .2009
emgegangen.
Am 14.09.2009 wurde Frau Jandrisevits zur Durchführung emes geplanten
Magenbandwechsels stationär aufgenommen. Am 15.09.2009 wird dieser
Eingriff durchgeführt. Zwei Tage später, am 17.09.2009 musste aufgrund einer
Komplikation eine Revisionsoperation durchgeführt werden. Dabei zeigte sich
eine Dünndarmläsion mit einer 4-Quadrantenperitonitis. Beide Operationen
wurden von Prim. Univ. Doz. Dr. K. Miller durchgeführt. Die Anästhesie wurde
bei beiden Eingriffen von Prim. Dr. Reschen durchgeführt.
Perioperativer Zeitraum vom 16. bis 18.09.2009
Am ersten postoperativen Tag dem 16.09.2009 klagt die Patientin mehrmals
über Bauchschmerzen und Übelkeit. Nach Verabreichung von Schmerzmitteln
und Antiemetika (Medikamente gegen Übelkeit) kommt es zu einer Besserung.
Eine Kontrastmitteluntersuchung des Magens ergibt zu diesem Zeitpunkt keine
Auffälligkeiten, insbesondere keinen Hinweis auf eine Perforation.
25 CG 37/15 g G.Huemer 2
In der Nacht vom 16. auf den 17.09.2009 um 03:15 Uhr ist im Dekurs der
Fieberkurve (Beilage./ la) festgehalten, dass Frau Jandrisevits über heftige
Bauchschmerzen klagt. Trotz der Verabreichung von starken Schmerzmitteln
(Dipidolor und Perfalgan) kommt es zu keiner Besserung. Der Bauch ist
gespannt und druckschmerzhaft. Patientin klagt über gelegentliches Aufstoßen,
sie ist agitiert und besorgt. In ähnlicher Weise wird der Zustand der Patientin im
Pflegebericht (Beilage./ la) vom 17.09.2009 um 03:00 Uhr festgehalten.
In der Fieberkurve vom 17.09.2009 liegen keine dokumentierten Daten über
Herzfrequenz, arteriellen Blutdruck, Flüssigkeitsbilanz und Körpertemperatur
vor. Der letzte Eintrag eines arteriellen Blutdrucks bzw. der Körpertemperatur
ist am 16.09.2009 zu finden.
Die Patientin erhielt am 16. und 17.09.2009 jeweils lOOOml emer
Infusionslösung (Aminomel) intravenös verabreicht. Für den 15.09.2009 ist eine
Harnmenge von 750ml eingetragen. Am 16. und 17.09.2009 sind keine Einträge
der Harnmenge zu finden. Am 16.09.2009 ist festgehalten, dass die Patientin
Spontanharn (SPH) hatte. Es ist davon auszugehen, dass an diesem Tag der
Blasenkatheter entfernt wurde.
Am 17 .09 .2009 findet man in der Fieberkurve folgenden Vermerk: Sono, (Frage
freie Flüssigkeit?), Labor
Eine Ultraschalluntersuchung des Abdomen am 17 .09 .2009 ergibt folgenden
Befund: ,, Postoperativer Zustand, reichlich freie Flüssigkeit im gesamten
Abdomen. Darmschlingen zeigen keine Peristaltik. Je nach der Klinik CT-
Abklärung, hauptsächlich bei Verdacht a u f freie Luft, überlegenswert.
Die Labordaten vom 17 .09 .2009 um 08: 19 Uhr (Beilage./1) zeigen eme
Leukozytenzahl im Normbereich (7200/ul), sowie deutlich erhöhte Parameter
des roten Blutbildes ( Erythrozyten, Hämoglobin und Hämatokrit).
Das Serum Kreatinin, als Zeichen einer Nierenfunktionseinschränkung ist mit
2.0 mg/dl deutlich erhöht. Das CRP und das Procalcitonin (bestimmt um
25 CG 37/15 g G.Huemer 3
09:49Uhr) sind als Zeichen der vorliegenden Infektion bzw. Sepsis deutlich
erhöht.
Eine weitere Kontrolle des Blutbildes um 09:49 Uhr ergibt keine wesentliche
Veränderung.
Bei einer weiteren Laborkontrolle um 11.57 Uhr ( etwa 20 Minuten nach der
Reanimation der Patientin im OP-Saal) ist erstmals eine Gerinnungsanalyse
dokumentiert. Dabei fällt ein deutlich erniedrigter Wert des Quick-Tests auf.
Ein normaler Quick-Wert, ist von einer adäquaten Funktion der Leber (in
diesem Organ werden wichtige Gerinnungsfaktoren gebildet) abhängig. Somit
lag zu diesem Zeitpunkt eine fassbare Funktionseinschränkung der Leber vor.
Blutgasanalysen zur Einschätzung der metabolischen Funktion lagen nicht vor.
Darstellung des Narkoseablaufs bei Frau Jandrisevits vom 17.09.2009
anhand der Ausdrucke eines elektronisch erfassten N arkoseprotokolls.
Überblick dokumentierter Zeitpunkte: 10:45 Epiduralkatheter Th8/Th9 10:55 Patient im OP 11 :00 Anästhesie Start 11:01 Intubation 11 :30 Defibrillation 12:07 Chirurgie Start 13 :23 Chirurgie Ende
Um 11 :00 Uhr ist die epidurale Verabreichung von 37,5mg Naropin
(Lokalanästhetikum) über emen Epiduralkatheter dokumentiert. Die
Narkoseeinleitung erfolgt um 11 :05 mittels Gabe von Propofol 1 % l 50mg und
Fentanyl 50mcg. Im Anschluss wird das Muskelrelaxans Esmeron 70mg
verabreicht und die endotracheale Intubation durchgeführt. Ab diesem Zeitpunkt
ist auch die Zufuhr des Narkosegases Sevofluran mit einer Konzentration von
2,5Vol% dokumentiert.
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Hämodynamische (Herz-Kreis 1 aufparameter) und Oximetrl sehe
(Lungenfunktion) Daten im Zeitraum zwischen 11 :00 und 13:00 Uhr
Zur besseren Übersicht ist eine graphische Darstellung der intraoperativen,
anästhesiologischen Abläufe entlang der Zeitachse angeführt:
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Abbildung: Detailansicht aus dem Narkoseprotokoll. Verlauf der Herzfrequenz (HR), pulsoximetrischen Sättigung (SP02), arterieller Blutdruck nichtinvasiv und invasiv (NIBP und ART), zentraler Venendruck (CVP), C02 in der Ausatemluft (C02%), Konzentration des Narkosegases Sevofluran (Sev%). Reanimationsphase und 1. Intraoperative Blutdruckmessung wurden von mir hinzugefügt.
25 CG 37/15 g G.Huemer 5
Die Herzfrequenz beträgt zum Zeitpunkt der Narkoseeinleitung 110/min. Ab
etwa 11 :05 Uhr kommt es zu einem Abfall der Herzfrequenz auf Werte
zwischen 60 und 80/min. Zwischen 11: 10 und 11 :20 Uhr sind Herzfrequenzen
von O bis 30/min festgehalten. Ab 11 :20 Uhr sind wieder Aufzeichnungen der
Herzfrequenz dokumentiert. Diese bewegen sich vorerst zwischen 120 und
150/min. Anschließend, ab etwa 11 :30 Uhr ist bis zum OP Ende eine stabile
Herzfrequenz um die 120/min dokumentiert.
Arterielle Blutdruckwerte fehlen im Narkoseprotokoll bis etwa 12: 10 Uhr. Der
erste festgehaltene, nicht invasiv gemessene Blutdruckwert beträgt um 12: 10
Uhr 95/55mmHg. Ab etwa 12:30 Uhr bis zum Operationsende ist eine
kontinuierliche, invasive arterielle Blutdruckmessung mit systolischen
Blutdruckwerten um die 1 OOmmHg dokumentiert.
Die Aufzeichnungen der pulsoximetrischen Sättigung im Narkoseprotokoll
(SP02)sind lückenhaft. Dem Ausdruck eines Detailprotokolls (Rl/a und Rl/b)
Sind folgende SP02 Werte zu entnehmen:
10:59 Uhr 86% 11:01 94% 11 :05 64% 11: 11 56% 11: 13 75% 11: 14 88% 11: 16 89% 11: 17 80% 11: 18 82% 11: 19 88% 11 :20 90% 11 :24 55% 11 :26 96% 11 :28 97% Ab 11 :26 Uhr bis zum Operationsende sind die SP02 Werte im Wesentlichen
wieder im Normalbereich. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die
Qualität der ermittelten SP02 Werte m der Phase emes
25 CG 37/15 g G.Huemer 6
Herzkreislaufzusammenbruchs und im Schockgeschehen äußerst unzuverlässig,
Artefakt überlagert und deshalb weitgehend unbrauchbar sind.
Der Abfall des endtidalen C02 (in der Ausatemluft) wurde bereits extensiv
abgehandelt und ist mit Sicherheit nicht auf eine Fehlintubation zurückzuführen,
sondern Ausdruck eines Herz-Kreislaufzusammenbruchs mit konsekutivem
Herzkreislaufstillstand.
Das Narkosegas Sevofluran wurde nach der endotrachealen Intubation mit etwa
2,5Vol% verabreicht. Um etwa 11 :40 Uhr ist ein letzter Wert des Narkosegases
mit 1,2Vol% festgehalten. Offensichtlich wurde die Zufuhr des Narkosegases
zum Zeitpunkt des Herz-Kreislaufstillstandes gestoppt.
Rekonstruktion der Reanimation anhand des vorliegenden Narkoseprotokolls
und Stellungnahme von Prim. Dr. Reschen (Bel lage./7)
Bei Betrachtung des Verlaufs, im Sinne eines kontinuierlichen Abfalls von
Herzfrequenz und endtidalem C02 (Blutdruckwerte flir diesen Zeitraum liegen
nicht vor), zeichnet sich die bedrohliche Situation, die schließlich um 11: 10 Uhr
zum Herz-Kreislaufstillstand führt, bereits ab. Um 11: 10 Uhr wird mit einer den
Standards entsprechenden Reanimation begonnen. Dabei werden repetitive
Dosen von Adrenalin verabreicht und mit einer mechanischen Herzmassage
begonnen. Diese wird zumindest über 10 Minuten hinweg durchgeführt. Um
11 :20 Uhr ist erstmals wieder eine Herzfrequenz von etwa 70/min festgehalten.
Ab 11 :22 Uhr normalisieren sich die Werte von Herzfrequenz und endtidalem
C02 und bleiben bis zum Ende der Operation stabil.
Literaturdaten zur Sepsis
Bereits im Jahr 1992 (1) wurde von führenden intensivmedizinischen
Gesellschaften eine Definition der Sepsis erarbeitet und publiziert. Diese
Definition hat bis heute Gültigkeit. In sämtlichen zu diesem Thema publizierten
Daten dient diese als Grundlage. Diese Definition basiert auf dem Schweregrade 25 CG 37/15 g G.Huemer 7
bzw. der Dynamik der septischen Erkrankung. Dabei werden 4 Schwere grade
unterschieden.
Wobei die leichteste Form em sogenanntes SIRS (Systemic Inflammatory
Response Syndrom) darstellt; darunter versteht man die systemische Reaktion
des Gesamtorganismus auf eine beliebige Noxe (Bakterien, Viren, Trauma etc.)
Von einem SIRS wird gesprochen wenn 2 oder mehr der folgenden Kriterien
vorliegen:
1. Körpertemperatur >38 Grad oder< 36 Grad
2. Herzfrequenz über 90/min
3. Spontanatemfrequenz >20 Atemzüge/min oder paC02<32mmHg
4. Leukozyten> 1200 oder <4000
Die nächste Stufe ist als Sepsis definiert. Diese unterscheidet sich von der SIRS
durch den zusätzlichen Nachweis eines Keims (Bakterium, Pilz etc.).
Die nächste Stufe wird als schwere Sepsis bezeichnet und ist durch zusätzliches
Vorliegen von Organdysfunktionen, Minderdurchblutung, Hypotension
(niedriger Blutdruck), Oligurie (geringe Harnmenge), Laktazidose (Anhäufung
von Laktat als infolge der Minderdurchblutung) gekennzeichnet.
Die schwerste Form wird als septischer Schock bezeichnet. Im Septischen
Schock bestehen die Zeichen der Minderperfusion (Laktazidose, Oligurie) trotz
adäquater Volumentherapie weiter.
Sämtliche klinische Forschungsergebnisse und daraus resultierende
Therapeutische Strategien und Guidelines (2) zur Behandlung der Septischen
Erkrankung beziehen sich auf die beiden letzteren Schweregrade (schwere
Sepsis und septischer Schock), da diese mit einer sehr hohen Mortalität
verbunden sind.
Die intensivmedizinische Behandlung zu und ab dem Zeitpunkt der Diagnose
einer schweren Sepsis muss auf eine Optimierung und Aufrechterhaltung einer
adäquaten Organperfusion ausgerichtet sein. Dazu ist eine frühe zielgerichtete
Volumentherapie (3) m Kombination mit der Verabreichung von25 CG 37/15 g G.Huemer 8
Katecholaminen (Medikamente zur Hebung des Blutdrucks bzw. zur
Verbesserung der Herzleistung) angezeigt. Dieses intensivmedizinische Konzept
ist auf ein möglichst rasches Erreichen von Zielgrößen definierter Parameter
(zentraler Venendruck 8-12mmHg, mittlerer arterieller Blutdruck > 65mmHg,
Harnvolumen > 0,5ml/kgKG Harnvolumen und zentralvenöse
Sauerstoffsättigung > 70%) ausgerichtet.
Wenn man die Befundkonstellation von Frau J andrisevits am Morgen des 1 7.
09.2009 anhand der vorliegenden Daten betrachtet befand sich die Patientin
bereits in dem Stadium einer schweren Sepsis. Zum einen wird bei ex post
Betrachtung eine bereits zu diesem Zeitpunkt vorliegende schwere Sepsis durch
das im Rahmen der Revision beschrieben Bild (Dünndarmperforation mit
konsekutiver 4-Quadrantenperitonitis) bestätigt. Zum anderen war anhand der
Labordaten vom 17.09.2009 eine deutliche Einschränkung der Nieren- und
Leberfunktion erkennbar.
Stellungnahme zu den gestellten Fragen *
*
ob die Behandlung der Isabella Jandrisevits im Zusammenhang mit der
Operation am 17. 09. 2009 entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst
vorgenommen wurde oder inwieweit nicht,
über die Auswirkungen einer allfällig nicht den Regeln der ärztlichen
Kunst entsprechenden Vorgangsweise auf den Gesundheitszustand der
Isabella Jandrisevits,
In Beantwortung dieser 2 Fragen wird auf die präoperative Evaluierung und auf
das intraoperative Management der Patientin eingegangen.
Präoperative Evaluierurnz der Patientin am 17.09.2009
Wie bereits oben festgehalten ist ex post betrachtet in den Morgenstunden des
17.09.2009 bei der Patientin das klinische Bild einer schweren Sepsis zu
erkennen gewesen und somit eine eindeutige Indikation zur Revisionsoperation 25 CG 37/15 g G.Huemer 9
vorgelegen. Da zu diesem Zeitpunkt keine Daten über Blutdruck, Herzfrequenz,
Körpertemperatur, Flüssigkeitsbilanz, Harnmenge, Blutgasanalysen zur
Einschätzung der Stoffwechsellage vorlagen, wurde der Zustand von Frau
Jandrisevits möglicherweise nicht als schwere Sepsis eingeschätzt.
Nach Einlangen der Laborbefunde am Morgen und Vormittag des 17.09.2009
wurde die schwere Sepsis der Patientin bestätigt. Die Labordaten zeigen eine
bereits deutliche Funktionseinschränkung von Leber und Niere. Die erhöhten
Parameter des roten Blutbildes (Erythrozyten, Hämoglobin und Hämatokrit)
sind auf einen relativen Volumenmangel zurückzuführen. Der Fieberkurve ist zu
entnehmen, dass die Patientin am 16.09.2009 und am 17.09.2009 bis zur
Revisionsoperation lediglich 2xl000ml Infusionslösung (Aminomel) verabreicht
bekommen hat. Im Hinblick auf das Bild einer schweren Sepsis war diese
Infusionsmenge nicht ausreichend, da die intensivmedizinische Behandlung zu
und ab dem Zeitpunkt der Diagnose einer schweren Sepsis auf eine
Optimierung und Aufrechterhaltung einer adäquaten Organperfusion
(Versorgung mit Substraten und Sauerstoff) ausgerichtet sein muss. Wie bereits
erwähnt, ist dazu ist eine frühzeitige adäquate, zielgerichtete Volumentherapie
in Kombination mit der Verabreichung von Katecholaminen (Medikamente zur
Hebung des Blutdrucks bzw. zur Verbesserung der Herzleistung) angezeigt.
Spätestens in den Morgenstunden des 17 .09 .2009 war die Diagnose einer
schweren Sepsis zu stellen gewesen. Diese Schwere Sepsis hätte eme
Erweiterung von intensivmedizinischen Maßnahmen im Hinblick auf eme
Optimierung der Patientin für die bevorstehende Revisionsoperation zur Folge
haben müssen. Zu diesen Optimierungs-Maßnahmen zählen:
Engmaschige Überwachung der Herz-Kreislaufparameter (arterieller Blutdruck
und Herzfrequenz), Erfassung der Körpertemperatur, der spontanen
Atemfrequenz und Aufzeichnung der Flüssigkeitsbilanz.
Eine invasive kontinuierliche Überwachung des arteriellen Blutdrucks und
Bestimmung von Blutgasanalysen zur Einschätzung der respiratorischen aber 25 CG 37/15 g G.Huemer 10
vor allem auch der metabolischen (Stoffwechsel) Situation um gegebene
Abweichungen zu korrigieren, wäre angezeigt gewesen. Die Bestimmung des
Serum-Lactat Spiegels, ein Indikator für das Ausmaß der metabolischen
Entgleisung im Rahmen einer schweren Sepsis wäre indiziert gewesen.
Das Setzen eines zentralvenösen Zugangs zur gezielten Verabreichung von
Voumen, zur präzisen kontinuierlichen Gabe von Katecholaminen
(Medikamente zur Stärkung des Herzkreislaufsystems) sowie zur Einschätzung
des zentralen Venendrucks zur Steuerung der Volumengabe wäre vorteilhaft
gewesen.
Die Verabreichung emes Antibiotikums ist in der Fieberkurve nicht
dokumentiert. Die Gabe eines Antibiotikums wäre jedenfalls indiziert gewesen.
Intraoperatives Management der Patientin am 17.09.2009
Somit befand sich die Patientin zum Zeitpunkt der Narkoseeinleitung bereits im
Stadium einer schweren Sepsis. In diesem Stadium dominiert, wie bereits
erwähnt, falls, wie 1m gegenständlichen Fall keine präoperativen
Stabilisierungsmaßnahmen vorgenommen wurden, eine hypotone (niedriger
arterieller Blutdruck) Kreislaufsituation. Diese hypotone Kreislaufsituation
wurde durch die Medikamente zur Narkoseeinleitung verstärkt. Nahezu alle
Einleitungsnarkotika wie etwa das verwendete Propofol führen nach Injektion
zu emem Blutdruckabfall. Unmittelbar nach der Intubation wurde die
Anästhesie mit dem Narkosegas Sevofluran weitergeführt. Dieses Narkosegas
hat ebenfalls einen vasodilatatorischen (Weitstellung der arteriellen Gefäße)
Effekt und führt zu einer weiteren Senkung des arteriellen Blutdrucks. Ein
weiterer Faktor der eine Blutdrucksenkung zur Folge hat ist die verabreichte
Epiduralanästhesie. Durch Injektion des Lokalanästhetikums m den
Epiduralraum kommt es zu einer Blockade des sympathischen Nervensystems,
welche in der Folge immer zu einem Abfall des arteriellen Blutdrucks führt.
25 CG 37/15 g G.Huemer 11
Mit großer Wahrscheinlichkeit haben die genannten Effekte, die nachweislich
den arteriellen Blutdruck senken, in Kombination mit der Ausgangslage der
Patientin, welche sich in einer schweren Sepsis befand zum Zusammenbruch des
Herz-Kreislaufsystems mit konsekutivem Herz-Kreislaufstillstand geführt.
Da bis etwa 12:00 Uhr keine Aufzeichnungen über den Verlauf des
intraoperativen arteriellen Blutdruck vorlagen, konnte die Dynamik und das
Ausmaß des drohenden Herz- Kreislaufzusammenbruchs nicht erfasst werden.
Ich halte fest, dass eine zeitgerechte Diagnose des schweren septischen
Zustandsbildes von Frau Jandrisevits am Morgen des 17.09.2009 zu einer
umfassenden Evaluierung im Sinne eines engmaschigen hämodynamischen,
oximetrischen und metabolischen Monitorings hätte fuhren müssen. Durch
derartige Maßnahmen, wie oben bereits angeführt, wäre die Patientin
möglicherweise in einem stabileren Zustand in die Revisionsoperation
gegangen.
Ich halte weiters fest, dass em adäquates, engmaschiges intraoperatives
Monitoring, Vermeidung von Substanzen (Propofol, Sevofluran) und
Maßnahmen wie das Setzen einer Epiduralanästhesie bei einer schwer
septischen Patientin, den drohenden Herzkreislaufzusammenbruch einerseits
früher hätte erkennen lassen und andererseits möglicherweise verhindern hätte
können.
*
*
Wie bzw. durch welche Ursachen es zum Gehirnschaden bei Isabella
Jandrisevits kam.
ob es Erfahrungswerte gibt, dass eme Herzstillstand während der
Einleitung einer Operation trotz rechtzeitiger und fachgerechter
Reanimation zu einem Gehirnschaden infolge Hypoxie des Gehirns
führen kann.
25 CG 37/15 g G.Huemer 12
Ob es im Rahmen emes Herz-Kreislaufstillstandes zu emer Hirnschädigung
kommt kann von vielen Faktoren abhängen. Im Vordergrund steht in erster
Linie die Dauer des zerebralen Sauertoffmangels. Weiters spielen
Körpertemperatur, metabolischer (Stoffwechsellage) Status sowie
vorbestehende Schädigungen zum Zeitpunkt des Herz-Kreislaufstillstandes eine
entscheidende Rolle. Im gegenständlichen Fall einer Patientin mit dem
klinischen Bild einer schweren Sepsis ist die Toleranz gegenüber einem
Sauerstoffmangel deutlich reduziert. Dadurch kann bereits durch eine vor dem
Herz-Kreislaufstillstand bestehende ausgeprägte Minderdurchblutung der
Organe und im Speziellen des Gehirns eine grenzwertige Versorgung mit
Sauerstoff vorliegen. Nach Eintreten des Herz-Kreislaufstillstandes reicht dann
ein sehr kurzes Zeitinterval, dass es zu einer irreversiblen hypoxischen
Schädigung des Gehirns kommt.
Eine derartige Situation ist bei Frau Jandresevits höchstwahrscheinlich
vorgelegen. Die intraoperativen Aufzeichnungen zeigen ab 11 :00 Uhr ein
kontinuierliches Absinken der Herzfrequenz bis um etwa 11 : 10 Uhr der Wert O
dokumentiert ist. Da keine Blutdruckwerte für diesen Zeitraum verfügbar sind,
ist es auch nicht möglich zu sagen wie ausgeprägt der Herz-Kreislaufeinbruch
und die daraus resultierende Minderdurchblutung in dieser Phase war.
Zu welchem Zeitpunkt es zum Herz- Kreislaufstillstand gekommen ist und wann
lässt sich anhand der Protokolle nicht exakt rekonstruieren. Es ist anzunehmen,
dass bereits einige Minuten vor dem Abfall der Herzfrequenz auf 0, der mit
11: 10 Uhr festgehalten ist, keine ausreichende Perfusion (Durchblutung) mehr
vorgelegen hat. Der Start der Reanimation um etwa 11: 10 Uhr ist plausibel und
nachvollziehbar. Es wurde dann laut Stellungnahme von Prim. Reschen eine
intensive, richtlinienkonforme Reanimation durchgefiihrt.
Bei Vorliegen eines schweren septischen Zustandsbildes ist es durchaus
denkbar, dass es aufgrund emer bereits bestehenden, ausgeprägten
Minderdurchblutung vor dem Herzkreislaufstillstand, auch bei fachgerechter 25 CG 37/15 g G.Huemer 13
Durchführung der Reanimationsmaßnahmen
Hirnschädigung durch Hypoxie gekommen ist.
Zusammenfassung und Ergebnis
zu emer bleibenden
Bei Frau Jandrisevits, die am 15.09.2009 wegen emes geplanten
Magenbandwechsels operiert wurde ist es postoperativ in den frühen
Morgenstunden des 17.09.2009 zur Ausbildung eines septischen Zustandsbildes
im Sinne einer schweren Sepsis gekommen. Diese schwere Sepsis mit
deutlichen Zeichen von Organdysfunktionen (Leber, Niere) wurde nicht als
solche erkannt. Entsprechende diagnostische und therapeutische Maßnahmen
wie Erweiterung des hämodynamischen (invasive kontinuierliche
Blutdruckmessung) und respiratorischen (serielle Blutgasanalysen) Monitorings
zur Korrektur bzw. Optimierung der septisch bedingten Organminderperfusion
sind ausgeblieben.
Am 17.09.2009 um ca. 11 :00 Uhr ist bei Frau Jandrisevits im Zustand einer
präoperativ nicht adäquat therapierten schweren Sepsis die Narkose zur
Revisionsoperation eingeleitet worden. Ein adäquates, engmaschiges
intraoperatives Monitoring und Vermeidung von Substanzen (Propofol,
Sevofluran) und Maßnahmen (Epiduralanästhesie) die bekannterweise den
arteriellen Blutdruck senken hätten bei der schwer septischen Patientin den
drohenden Herzkreislaufzusammenbruch einerseits früher erkennen lassen und
andererseits möglicherweise verhindern können. Als Ursache für den
Gehirnschaden bei Frau Jandrisevits ist höchstwahrscheinlich eine bereits im
Rahmen der schweren Sepsis vor dem Revisionseingriff vorgelegen
Minderperfusion des Gehirns anzuführen. Diese Minderperfusion hat zur Folge,
dass die Toleranz gegenüber einem Sauerstoffmangel nach Eintreten des Herz-
Kreislaufstillstandes reduziert ist und das Zeitintervall bis es zu einem
irreversiblen Schaden des Gehirns kommt, deutlich verkürzt ist. In einer
derartigen Situation kann es auch bei fachgerechter Durchführung der 25 CG 37/15 g G.Huemer 14
Reanimationsmaßnahmen zu einer bleibenden Hirnschädigung durch Hypoxie
kommen.
Als ursächlich für diesen septischen Verlauf ist eine Dünndarmläsion mit einer
4-Quadrantenperitonitis, anzusehen. Ob eine adäquate intensivmedizinische
Behandlung oder aber auch eine frühzeitigere chirurgische Intervention die
Progredienz des dramatischen septischen Verlaufs der Patientin bis hin zum
intraoperativen Kreislaufstillstand mit konsekutiver hypoxischer Schädigung des
Gehirns möglicherweise verhindern hätte können, kann nicht mit Sicherheit
beantwortet werden, da selbst bei jungen Patienten unter Ausschöpfung
sämtlicher therapeutischer Optionen der Ausgang nicht vorausgesagt bzw. die
Sepsis nicht immer beherrscht werden kann.
Quellen
1. Bone RC et al „Definitions for Sepsis and Organ failure and gudelines
fort the use o f innovative therapies in sepsis. The ACCPISCCM
Consensus Coeference Committe"
Chest 1992; 101: 1644-1655
2. Dellinger RP et al „ Surving Sepsis Campaign: International guidelines
for management o f sepsis and septic shock"
Intensive Care Medicine 2008; 34(1): 17-60
3. Rivers E et al „Early Goal Directed Therapy in the Treatment o f Severe
Sepsis and Septic Shock"
The New England Journal ofMedicine 2001; 345:1 1368-1377
Prim. Univ. Prof. Dr 1 /
Günter Huemer l /
25 CG 37/15 g G.Huemer 15