VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 1
3.7 Sonderprobleme
3.7.1 Ausnutzung der Symmetrie und Antimetrie Durch die Ausnutzung der Symmetrie und Antimetrie kann der Grad der statischen Unbestimmtheit (u. a. mit Hilfe eines Ersatzsystems) und somit der Rechenaufwand reduziert werden. Die wichtigsten Eigenschaften der Kraft- und der Verformungsgrößen eines symmetrischen Tragwerks unter symmetrischer und antimetrischer Last sind im Folgenden anhand eines einfachen Beispiels anschaulich dargestellt.
Im Allgemeinen gilt:
Größe
w w' = -ϕ w'' und M w''' und Q u' und N u
symmetrisch s a s a s a
Bel
astu
ng
antimetrisch a s a s a s
Unter Benutzung der obigen Bedingungen kann ein Ersatzsystem zum ursprünglichen System gewählt werden. Beispiele für mögliche Ersatzsysteme sind auf den folgenden Seiten angegeben. Durch die Lastumordnung kann eine beliebige Last in eine symmetrische und eine antimetrische Last zerlegt werden.
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 2
Beispiele für die Zerlegung der Lasten
F / 2F / 2F / 2F / 2F
+=
symmetrisch antimetrisch
F / 2F / 2F / 2F / 2F
+=
symmetrisch antimetrisch
F / 2F / 2F
+=
symmetrisch antimetrisch
/ 2F / 2F
2p
2p
2p
2pp
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 3
F X1 X1 X2 X2
X3 X3
F
3.7.1.1 Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Symmetrie und Antimetrie im KGV 1.) Wahl des symmetrischen statisch bestimmten Grundsystems Symmetrisches statisch bestimmtes Grundsystem bzw. halbes Grundsystem:
1 1
2 2
3 3
1 symmetrisch: 1 symmetrisch: 1 antimetrisch:
X MX MX M
= ⇒= ⇒= ⇒
⇒ 1 3
13 31
2 323 32
0
0
M M dxEI
M M dxEI
δ δ
δ δ
⋅= = =
⋅= = =
∫
∫
Im Allgemeinen: 1 0sa s aM M dxEI
δ = ⋅ =∫
1 2
3
. .
X und X sind symmetrische LastenX ist eine antimetrische Last
X1 = 1
M1
X2 = 1
M2
X3 = 1
M3
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 4 Eine symmetrische Ms-Fläche integriert mit einer antimetrischen Ma-Fläche gibt den Wert Null!
11 12 13 11 12
21 22 23 21 22
31 32 33 33
00
0 0
δ δ δ δ δδ δ δ δ δδ δ δ δ
⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎢ ⎥ ⎢ ⎥=⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎣ ⎦ ⎣ ⎦
→ 11 12 1 10
21 22 2 20
33 3 30
00
0 0
XXX
δ δ δδ δ δ
δ δ
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥⋅ =⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎣ ⎦ ⎣ ⎦ ⎣ ⎦
⇒
1011 12 1
2021 22 2
33 3 30
XX
X
δδ δδδ δ
δ δ
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤⋅ = ⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎣ ⎦ ⎣ ⎦ ⎣ ⎦
⋅ = Entkopplung der Gleichungen!
Das ursprüngliche System wird in 2 Gleichungssysteme niedrigerer Ordnung entkoppelt, welche einfacher zu lösen sind! Bemerkung: In dieser Methode ist eine Aufteilung der Lasten in symmetrische und antimetrische Lastgruppen nicht erforderlich! 2.) Berechnung am halben System (Ersatzsystem) Die Lasten können in symmetrische und antimetrische Lasten zerlegt werden. Es gilt im Allgemeinen: In einem symmetrischen System unter symmetrischen Lasten existieren nur symmetrische statische Überzählige. Die antimetrischen statischen Überzähligen verschwinden. Die zugehörigen M-Linien sind symmetrisch. In einem symmetrischen System unter antimetrischen Lasten existieren nur antimetrische statische Überzählige. Die symmetrischen statischen Überzähligen verschwinden. Die zugehörigen M-Linien sind antimetrisch. Beweis für symmetrische Lasten: M0 ist symmetrisch. Da M3 antimetrisch ist, erhält man:
∫ =⋅= 00330 dx
EIM
Mδ
M0
F/2 F/2
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 5 Aus
30333 δδ −=⋅ X folgt
03 =X .
Als unbekannte statische Überzählige bleiben also
20222121
10212111
δδδδδδ−=⋅+⋅−=⋅+⋅
XXXX
.
Die entgültige M-Linie ist symmetrisch.
Beweis für antimetrische Lasten: M0 ist antimetrisch. Da M1 und M2 symmetrisch sind, erhält man:
∫∫ =⋅==⋅= 0,0 0220
0110 dx
EIM
MdxEIM
M δδ .
Aus
20222121
10212111
δδδδδδ−=⋅+⋅−=⋅+⋅
XXXX
erhält man
021 == XX .
M0
F/2
F/2
M
F/2 F/2
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 6 Als unbekannte statische Überzählige bleibt also nur
30333 δδ −=⋅ X .
Die entgültige M-Linie ist antimetrisch.
Aus den obigen Überlegungen kann das ursprüngliche System wie folgt aufgeteilt werden:
F / 2F / 2F / 2F / 2F
+=
symmetrisch antimetrisch
1X1X
2X3X
M
F/2
F/2
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 7 Äquivalent dazu können zwei halbe Systeme benutzt werden. Zu jedem halben System wird jeweils ein passendes neues Auflager auf der Symmetrielinie eingeführt.
F / 2F / 2F / 2F / 2F
+=
symmetrisch antimetrisch
/ 2F / 2F
2-fach statisch unbestimmt
2sa =
1-fach statisch unbestimmt1aa =
Allgemein: s aa a a= +
3.) Wahl der unbekannten statischen Überzähligen als symmetrische und antimetrische Kräftepaare Falls die statischen Überzähligen auf den beiden Seiten der Symmetrieachse gewählt werden, dann ist es manchmal zweckmäßig, diese in symmetrische und antimetrische Kräftepaare aufzuteilen. Das obige System ist 2-fach statisch unbestimmt. Wählt man System a) als statisch bestimmtes Grundsystem, dann sind die M-Linien unter der alleinigen Wirkung von 1X und 2X weder symmetrisch noch antimetrisch. Daher ist 012 ≠δ und damit eine Entkopplung der Bedingungs-gleichungen nicht möglich.
F
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 8
F
X1 X2
a)
Y1 =1
c) M1-Linie
Y1 =1 Y2 =1
d) M2-Linie
Y2 =1
Teilt man nun 1X und 2X in symmetrische und antimetrische Kräftepaare 1Y und 2Y gemäß
212211 , YYXYYX −=+= auf und wählt man System b) als statisch bestimmtes Grundsystem, dann erhält man ein symmetrisches Kräftepaar 1Y und ein antimetrisches Kräftepaar 2Y als neue unbekannte statische Überzählige. Die neuen Kräftepaare ( 1Y , 2Y ) und die ursprünglichen statischen Überzähligen ( 1X , 2X ) haben die folgenden Beziehungen
)(21),(
21
212211 XXYXXY −=+= .
=
Das symmetrische Kräftepaar 1Y ergibt eine symmetrische 1M -Linie (Bild c), während das antimetrische Kräftepaar 2Y zu einer antimetrischen 2M -Linie (Bild d) führt. Daraus folgt
02112 =⋅= ∫ dx
EIM
Mδ ,
und somit
1011 1 10 1
11
2022 2 20 2
22
Y Y
Y Y
δδ δδδδ δδ
⋅ = − ⇒ = −
⋅ = − ⇒ = −.
Die Bedingungsgleichungen sind jetzt als verallgemeinerte Verträglichkeitsbedingungen (Kompa-tibilitätsbedingungen) zu verstehen. Nach der Bestimmung von 1Y und 2Y können die ursprünglichen statischen Überzähligen 1X und 2X ermittelt werden.
F
Y1
Y2
b)
Y1
Y2
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 9 Bemerkungen: • Eine Aufteilung der Lasten in symmetrische und antimetrische Lasten ist bei der obigen
Vorgehensweise nicht erforderlich. • Das hierbei betrachtete Problem kann auch mit 2 halben Systemen gelöst werden. Dabei müssen
die Lasten auch in symmetrische und antimetrische Lasten zerlegt werden.
3.7.1.2 Weiteres Beispiel für die Ausnutzung der Symmetrie und Antimetrie
F
/ 2F
p
2p
/ 2F / 2F2p
/ 2F
2p
+
symmetrisch antimetrisch
6 4 2 3 3 5a = + ⋅ − ⋅ =
1. Lösungsmöglichkeit am halben System Bei dieser Methode ist eine Zerlegung der Lasten in symmetrische und antimetrische Lasten erforderlich.
/ 2F2p
/ 2F2p
5 2 2 2 3 3Sa = + ⋅ − ⋅ = 4 2 2 2 3 2aa = + ⋅ − ⋅ =
Im Allgemeinen: 5s aa a a= + =
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 10 2. Lösungsmöglichkeit am ganzen System In dieser Methode ist eine Zerlegung der Lasten in symmetrische und antimetrische Lasten erforderlich. Die statischen Überzähligen werden als symmetrische und antimetrische Kräftepaare eingeführt.
2X
1X 1X
5X
3X
4X 4X
3X
3.7.1.3 Beispiel für ein symmetrisches Tragwerk unter symmetrischer Last
q
P
l
P
1h
2h
l
1 , 11, ,SA A I 2 , 22
, ,SA A I3 , 33, ,SA A I
4 , 44, ,SA A I 5 , 55
, ,SA A I
7 0 3 1 4a = + − ⋅ =
Wegen der Symmetrie des Tragwerks und der Lasten können die statischen Überzähligen (Kraftgrößen) ebenfalls symmetrisch angesetzt werden.
2a
antimetrischa =
3s
symmetrischa =
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 11
2 1X = 3 1X =
1 1X = 4 1X =
1 , 11, ,SA A I 2 , 22
, ,SA A I3 , 33, ,SA A I
4 , 44, ,SA A I 5 , 55
, ,SA A I
1 4X X= 2 3X X=
Voraussetzungen für den obigen Ansatz:
1 3 , , 1 31 3
4 5 , , 4 54 5
, ,
, ,S S
S S
A A A A I I
A A A A I I
= = =
= = =
Symmetrische Lageranordnung Stäbe mit gleichem EI
Vorteile:
In der Mittelstütze entsteht kein Biegemoment, da die Verdrehung über der Mittelstütze Null ist.
Die δik-Zahlen sind nur für die Hälfte des Gesamttragwerks zu berechnen. Eine weitere Möglichkeit bietet sich durch Trennung des Tragwerks in zwei eigenständige Tragwerke auf der Symmetrieachse an.
2 1X =
1 1X =
1 , 11, ,SA A I ,3 3 3, ,
2 2 2SAA I
4 , 44, ,SA A I
3 1X =
4 1X =
,3 3 3, ,2 2 2
SAA I2 , 22, ,SA A I
5 , 55, ,SA A I
1 4X X= 2 3X X=
Hierbei muss beachtet werden, dass die Querschnittswerte der mittleren Stütze für die Überlagerung halbiert werden müssen! Befinden sich Einzellasten auf der Symmetrieachse, so müssen auch diese halbiert werden! Weiterhin muss beachtet werden, dass sich die Momente der mittleren Stütze unterhalb des Gelenkes aufheben, da sich 2X und 3X nur im Vorzeichen unterscheiden
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 12
3.7.1.4 Beispiel für ein symmetrisches Tragwerk unter antimetrischer Last
q
l
P1h
2h
l
1 , 11, ,SA A I 2 , 22
, ,SA A I3 , 33, ,SA A I
4 , 44, ,SA A I 5 , 55
, ,SA A I
7 0 3 1 4a = + − ⋅ =
Wegen der Symmetrie des Tragwerks und der Antimetrie der Lasten können die statischen Überzähligen nur im symmetrischen Teil symmetrisch angesetzt werden. Im antimetrischen Teil müssen hingegen auch die statischen Überzähligen antimetrisch angesetzt werden. Symmetrischer Teil:
2 1X = 3 1X =1 1X = 4 1X =
1 , 11, ,SA A I 2 , 22
, ,SA A I3 , 33, ,SA A I
4 , 44, ,SA A I 5 , 55
, ,SA A I
2q2
P2P
1 4X X= 2 3X X=
Auch hier, im symmetrischen Fall, bleibt die mittlere Stütze aus den oben genannten Gründen momentenfrei!
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 13 Antimetrischer Teil:
2 1X = 3 1X =1 1X = 4 1X =
1 , 11, ,SA A I 2 , 22
, ,SA A I3 , 33, ,SA A I
4 , 44, ,SA A I 5 , 55
, ,SA A I
2q2
P2P
1 4X X= − 2 3X X= −
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 14
3.7.1.5 Beispiele für die Ersatzsysteme bei symmetrischen und antimetrischen Lasten 1.) Beispiel für die Wahl eines äquivalenten Ersatzsystems bei Symmetrieachse im Feld
2.) Beispiel für die Wahl eines äquivalenten Ersatzsystems bei Symmetrieachse auf dem Stab
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 15
3.7.1.6 Zahlenbeispiele
Beispiel 1: Berechnungen an 2 Halbsystemen
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 16
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 17
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 18
EI, l
EI, l
EI, l
EI, l EA EA
q
q
X1 X2
q
Y1
Y2
Y1
Y2
l22
l22
Y1 Y1
M1
q 4
2ql4
2ql
M0
l22
l22
Y2 Y2
M2
24
2ql
12
2ql
M
Beispiel 2: Berechnungen mit symmetrischen und antimetrischen statischen Überzähligen Gegeben: Vertikale und horizontale Stäbe: const., SEI EA GA= = = ∞
Diagonalstäbe (Pendelstäbe): 26 2 EIEAl
= ⋅
Gesucht: M-Linie
VORLESUNGSMANUSKRIPT BAUSTATIK I, II (UNVERTIEFT) 19
∑∫ −=+⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛⋅⋅⋅−=⋅⋅+⋅=
EIqlllql
EIl
EAN
NdxEIM
M4820
22
8311 42
01
0110δ
∑∫ −=+⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛⋅⋅⋅−⎟⎟
⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛⋅⋅⋅⋅−=⋅⋅+⋅=
EIqlllql
EIllql
EIl
EAN
NdxEIM
M48
29022
8311
22
43114
4220
20
220δ
( )∑∫ =⋅⋅⋅⋅+⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛⋅⋅⋅⋅=⋅⋅+⋅=
EIll
EAlll
EIl
EANNdx
EIMM
31
11
111 2111222
22
3114δ
( )∑∫ =⋅⋅⋅⋅+⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛⋅⋅⋅⋅=⋅⋅+⋅=
EIll
EAlll
EIl
EAN
NdxEIM
M3
22
2222 21112
22
22
3114δ
∑∫ =⋅⋅+⋅== 021
212112 l
EANNdx
EIMMδδ
Aus
20222
10111
δδδδ−=⋅−=⋅
YY
erhält man
qlY
qlY
1623
482
22
202
11
101
==
=−=
δδ
δδ
.
Daraus folgt
)Druck( 24
24
)Zug(24
25
212
211
qlYYX
qlYYX
−=−=
=+=.
Die endgültige M-Linie erhält man aus
22110 MYMYMM ⋅+⋅+= .