Download - AGAMBEN Was Ist Ein Dispositiv
Titel der italienischen Originalausgabe:
Che cos’é un dispositivo?
® Edizioni nottetempo, Rom 2006
1. Auflage
ISBN 978-3-03734-042-4
® diaphanes, Zürich-Berlin 2008
www.diaphanes.net
Alle Rechte Vorbehalten
Satz und Layout: 2edit, Zürich
Druck: Pustet, Regensburg
1.
Terminologischen Fragen kommt in der Philosophie besondere Bedeutung zu. Wie ein Philosoph, vor dem ich den größten Respekt habe, einmal sagte, ist die Terminologie das poetische Moment des Denkens. Das bedeutet nicht, daß die Philosophen ihre jeweiligen Termini technici notwendigerweise definieren würden. Platon hat seinen wichtigsten Begriff nie definiert: Idee. Andere hingegen, wie Spinoza und Leibniz, zogen es vor, ihre Terminologie more geometrico zu definieren.
Ich möchte die Hypothese aufstellen, daß das Wort »Dispositiv« als Terminus technicus für Foucaults Denkstrategie von entscheidender Bedeutung ist. Vor allem ab Mitte der 70er Jahre, als sich Foucault mit dem zu beschäftigen begann, was er »Gouvernementalität« oder die »Regierung der Menschen« nannte, verwendet er ihn sehr oft. Obgleich er ihn nie im strengen Sinn definiert hat, kommt er in einem Gespräch von 1977 so etwas wie einer Definition doch recht nahe:
»Das, was ich mit diesem Begriff zu bestimmen versuche, ist erstens eine entschieden heterogene Gesamtheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entschei-
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düngen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen, /curz, Gesagtes ebenso wie Ungesagtes, das sind die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen diesen Elementen herstellen kann.[...] unter Dispositiv verstehe ich eine Art - sagen wir- Gebilde, das zu einem historisch gegebenen Zeitpunkt vor allem die Funktion hat, einer dringenden Anforderung nachzukommen. Das Dispositiv hat also eine dominante strategische Funktion. [...]Ich habe gesagt, dass das Dispositiv von einer wesentlich strategischen Beschaffenheit wäre, was unterstellt, dass es sich dabei um eine bestimmte Manipulation von Kräfteverhältnissen handelt, um einen rationalen und abgestimmten Eingriff in diese Kräfteverhältnisse, um sie in irgendeine Richtung zu entwickeln, um sie zu blockieren oder um sie zu stabilisieren, sie zu verwenden. Das Dispositiv ist also immer in ein Machtspiel eingeschrieben, doch immer auch an eine oder an mehrere Wissensgrenzen gebunden, die daraus hervorgehen, es aber genauso auch bedingen. Das eben ist das Dispositiv: Strategien von Kräfteverhältnissen, die Arten von Wissen unterstützen und von diesen unterstützt werden.«1
1 M. Foucault, Dits et Ecrits: Schriften, Bd. III, S. 392-395.
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F a ssen w ir die drei P u nk te ku rz z u sam m en :
I a. Es ist eine heterogene Gesamtheit, die potentiell alles Erdenkliche, sei es sprachlich oder nichtsprachlich, einschließt: Diskurse, Institutionen, Gebäude, Gesetze, polizeiliche Maßnahmen, philosophische Lehrsätze usw. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen diesen Elementen herstellen kann.
b. Das Dispositiv hat immer eine konkrete strategische Funktion und ist immer in ein Machtverhältnis eingeschrieben.
c. Als solches geht es aus einer Verschränkung von Macht- und Wissensverhältnissen hervor. #
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2.
Ich möchte nun versuchen, eine kurze Genealogie dieses Terminus zu umreißen, zunächst innerhalb des Werkes von Foucault, dann in einem weiteren historischen Zusammenhang.
Ende der 60er Jahre, mehr oder weniger zu der Zeit, als Foucault Die Archäologie des Wissens schreibt, verwendet er nicht den Terminus Dispositiv, um den Gegenstand seiner Forschung zu bestimmen, sondern einen etymologisch verwandten, den er ebensowenig definiert: »positivité«, Positivität.
Ich habe mich oft gefragt, wo Foucault auf diesen Terminus gestoßen sein könnte - bis ich vor wenigen Monaten Jean Hyppolites Abhandlung Introduction à la philosophie de Vhistoire de Hegel noch einmal las. Sie wissen vielleicht um die enge Beziehung, die Foucault mit Hyppolite verband, den er zuweilen »meinen Lehrer« nannte (tatsächlich hatte Foucault während der khâgne am Lycée Henri IV und später an der Ecole normale bei Hyppolite Unterricht).
Der Titel des dritten Kapitels von Hyppolites Abhandlung lautet: Raison et histoire. Les idées de positivité et de destin (Vernunft und Geschichte. Die Ideen der Positivität und des Schicksals). Im Zentrum der Untersu-
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chung stehen zwei Hegelsche Werke aus der sogenannten Berner und Frankfurter Periode (1795-96), zum einen »Der Geist des Christentums und sein Schicksal«, zum anderen dasjenige, aus dem der uns hier interessierende Terminus stammt: »Die Positivität der christlichen Religion«. Hyppolite zufolge sind »Schicksal« und »Positivität« zwei Schlüsselbegriffe des Hegelschen Denkens. Für den Terminus »Positivität« gilt im besonderen, daß er bei Hegel in der Entgegensetzung von »natürlicher« und »positiver Religion« angesiedelt ist. Während die natürliche Religion auf ein unmittelbares und allgemeines Verhältnis der menschlichen Vernunft mit der Gottheit gerichtet ist, umfaßt die positive oder historische Religion die Gesamtheit der Glaubenssätze, Vorschriften und Riten, die in einer bestimmten Gesellschaft zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt den Individuen von außen auferlegt sind. »Eine positive Religion«, schreibt Hegel in einer von Hyppolite zitierten Passage, »fordert Gefühle, die durch Vorrichtungen gewaltsam hervorgetrieben und Handlungen, die nur auf Befehl und aus Gehorsam, ohne eigenes Interesse getan werden«.2
2 J. Hyppolite, Introduction à la philosophie de Vhistoire de Hegel, Paris 1983, S. 43 (1. Aufl. 1948).
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Hyppolite kann zeigen, daß der Gegensatz von Natur und Positivität insofern der Dialektik von Freiheit und Zwang und der von Vernunft und Geschichte entspricht. An einer Stelle, die der Neugier Foucaults wohl kaum entgangen sein dürfte, da sie mehr als nur eine Vorahnung vom Begriff Dispositiv gibt, schreibt er: »Man wird nun des Knotens der Fragen gewahr, die sich im Zusammenhang mit dem Begriff der Positivität stellen, aber auch der Versuche, die Hegel in der Folge unternahm, um die reine (theoretische und vor allem praktische) Vernunft und die Positivität, das heißt das historische Element dialektisch - eine Dialektik, die sich ihrer selbst noch nicht bewußt ist - aufeinander zu beziehen. Einerseits betrachtet Hegel die Positivität als ein Hindernis, daß der Freiheit des Menschen im Wege steht, und als solches wird sie verurteilt. Die positiven Elemente einer Religion oder, wie sich ergänzen ließe, eines gesellschaftlichen Zustandes zu untersuchen, heißt, das zu entdecken, was in ihnen dem Menschen durch Zwang auferlegt wird, das, was nicht in der Reinheit der Vernunft aufgeht; andererseits - und diese Sicht sollte sich im Laufe der Entwicklung Hegels durchsetzen - soll die Positivität mit der Vernunft versöhnt werden, die dann ihren abstrakten Charakter verliert und sich als dem konkreten Reichtum des Lebens angemessen erweist.
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Man sieht also, weshalb der Begriff der Positivität im Zentrum des Hegelschen Interesses steht«.3
Wenn laut Hyppolite »Positivität« das Wort ist, dessen sich der junge Hegel bedient, um das historische Element zu benennen, mitsamt seinen Vorschriften, Riten und Institutionen, die, obgleich den Individuen von einer äußeren Macht auferlegt, dennoch in den Glaubens- und Gefühlssystemen gleichsam verinnerlicht werden, dann bezieht Foucault durch die Übernahme dieses (später durch »Dispositiv« ersetzten) Ausdrucks Stellung gegenüber einem entscheidenden Problem, das auch sein eigenes ist: das Verhältnis, in dem die Individuen als Lebewesen mit dem historischen Element stehen, wobei dieser Ausdruck die Gesamtheit der Institutionen, Subjektivierungsprozesse und Regeln, in denen sich die Machtverhältnisse konkretisieren, bezeichnet. Anders als Hegel zielt Foucault jedoch nicht darauf ab, die beiden Elemente zu versöhnen. Noch möchte er den Konflikt, der zwischen ihnen besteht, hervorheben. Er will vielmehr untersuchen, auf welche konkrete Weise die Positivitäten (oder die Dispositive) in den Verhältnissen, Mechanismen und »Spielen« der Macht wirksam sind.
3 Ebd., S. 45f.
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3.
Es sollte nunmehr deutlich geworden sein, worauf meine Hypothese, daß der Ausdruck »Dispositiv« ein wesentlicher Terminus technicus in Foucaults Denken sei, abzielt. Es handelt sich nicht um einen spezifischen Begriff, der sich lediglich auf diese oder jene Machttechnologie bezieht. Es ist ein allgemeiner Begriff, der denselben weiten Bedeutungsumfang hat, wie ihn Hyppolite zufolge »Positivität« beim jungen Hegel hatte. In Foucaults Strategie tritt dieser Ausdruck an die Stelle jener Begriffe, die er kritisch »die Universalien« (les univer- saux) nannte .¡Bekanntlich hat es Foucault immer abgelehnt, sich mit eben jenen allgemeinen Kategorien oder Vernunftwesen zu beschäftigen, die er als »die Universalien« bezeichnet, wie der Staat, die Souveränität, das Gesetz, die Macht. Das bedeutet jedoch nicht, daß es in seinem Denken keine operativen Begriffe allgemeinerer Art gäbe. In der Foucaultschen Strategie nehmen die Dispositive eben genau die Stelle der Universalien ein: nicht einfach diese oder jene Polizeimaßnahme, diese oder jene Machttechnologie, jedoch ebensowenig eine durch Abstraktion gewonnene Allgemeinheit. Vielmehr sind sie, wie er im Gespräch von 1977 sagte, »das Netz
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(le réseau), das man zwischen diesen Elementen her- stellen kann«.
Wenn wir nun die Definition betrachten, die die französischen Wörterbücher der Umgangssprache für das Wort »Dispositiv« geben, zeigt sich, daß drei Bedeutungen des Begriffs unterschieden werden:
a. Eine juristische Bedeutung im engeren Sinne: »Das Dispositiv ist der Teil eines Urteils, der den Entscheid, den Rechtspruch getrennt von den Motiven enthält.« Also der Teil des Urteils (oder eines Gesetzes), der entscheidet und disponiert, das heißt anordnet.
b. Eine technische Bedeutung: »Die Weise, in der die Teile einer Maschine oder eines Mechanismus angeordnet sind, im übertragenen Sinn auch der Mechanismus selbst.«
c. Eine militärische Bedeutung: »Die Gesamtheit der zur Ausführung eines Planes angeordneten Maßnahmen.«
Alle drei Bedeutungen sind irgendwie in Foucaults Verwendung präsent. Doch Wörterbücher, insbesondere jene, die nicht historisch-etymologisch verfahren, sind darauf angelegt, die verschiedenen Bedeutungen eines Wortes zu unterscheiden und zu trennen. Diese Fragmentierung schuldet sich hier jedoch in der Regel der Entfaltung und Artikulation einer einzigen ursprüng-
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liehen Bedeutung, die man nicht aus dem Blick verlieren darf. Was ist, im Fall des Wortes »Dispositiv«, die ursprüngliche Bedeutung? Sicher ist, daß der Ausdruck sowohl im allgemeinen Sprachgebrauc h als auch in jenem Foucaults auf eine Gesamtheit von (zugleich sprachlichen und nichtsprachlichen, juristischen, technischen und militärischen) Praktiken und Mechanismen verweist, die das Ziel haben, einer Dringlichkeit zu begegnen und einen mehr oder weniger unmittelbaren Effekt zu erzielen. Doch aus welcher Denk- oder Handlungsstrategie, aus welchem historischen Kontext ist der moderne Terminus ursprünglich hervorgegangen?
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4.
Die letzten drei Jahre habe ich damit verbracht, eine immer mehr ins Detail gehende Untersuchung voranzutreiben, deren Ende ich eben erst abzusehen beginne. Annäherungsweise ließe sie sich als eine theologische Genealogie der Ökonomie bezeichnen. In den ersten Jahrhunderten der Geschichte der Kirche - sagen wir zwischen dem zweiten und sechsten Jahrhundert- kam dem griechischen Wort oikonomia in der Theologie eine entscheidende Funktion zu. Oikonomia bedeutet im Griechischen Verwaltung des oikos, des Hauses und im weiteren Sinn Führung, management. Es handelt sich, wie Aristoteles sagt [Pol. 1255 b 21), nicht um ein epistemisches Paradigma, sondern um eine Praxis, eine praktische Tätigkeit, die sich jeweils einem spezifischen Problem oder einer konkreten Situation konfrontiert sieht. Weshalb fühlten sich also die Kirchenväter genötigt, diesen Terminus in die Theologie einzuführen? Wie kam es, daß man plötzlich von einer »göttlichen Ökonomie« zu sprechen begann?
Tatsächlich ging es um ein äußerst heikles und vitales Problem, womöglich um die entscheidende Frage in der Geschichte der christlichen Theologie: die Dreifaltigkeit. Als man während des zweiten Jahrhunderts eine Drei
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faltigkeit göttlicher Personen, den Vater, den Sohn und den Geist zu diskutieren begann, gab es innerhalb der Kirche erwartungsgemäß erbitterten Widerstand von Seiten verständiger Leute, die mit Grauen dachten, auf diese Weise Gefahr zu laufen, den Polytheismus und das Heidentum wieder in den christlichen Glauben einzuführen. Um diese hartnäckigen Widersacher (die später als »Monarchianer«, das heißt Verfechter der Regierung durch einen einzigen bezeichnet wurden) zu überzeugen, fiel Theologen wie Tertullian, Hyppolit, Irenäus und vielen anderen nichts Besseres ein, als sich des Terminus oikonomia zu bedienen. Ihr Argument lautete ungefähr so: »Bezüglich seines Seins und seiner Substanz, ist Gott fraglos eins; was jedoch seine oikonomia betrifft, also die Weise, in der er sein Haus, sein Leben und die Welt, die er geschaffen hat, verwaltet, ist er dreifach. Wie ein guter Vater seinem Sohn die Ausführung gewisser Funktionen und Aufgaben anvertrauen kann, ohne deshalb seine Macht und seine Einheit zu verlieren, so vertraut Gott Christus die >Ökonomie<, die Verwaltung und die Regierung der Menschheitsgeschichte an.« Die Bedeutung des Terminus oikonomia differenzierte sich weiter aus, um schließlich insbesondere die Menschwerdung des Sohnes und die Ökonomie der Erlösung und des Heils zu bezeichnen (deshalb wird Christus in eini-
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gen gnostischen Sekten schlicht »der Mensch der Ökonomie«, ho anthröpos tes oikonomias genannt). Nach und nach wurde es den Theologen zur Gewohnheit, zwischen einem »Diskurs« - oder logos - der »Theologie« und einem »logos der Ökonomie« zu unterscheiden. Die oikonomia war also das Dispositiv, mittels dessen das Dogma der Trinität und die Idee einer providentiel- len göttlichen Weltregierung in den christlichen Glauben eingeführt wurden.
Doch wie nicht anders zu erwarten sollte der Bruch, den die Theologen auf der Ebene des Seins Gottes auf diese Weise umgehen und ausräumen zu können glaubten, an anderer Stelle wieder auftauchen: in Gestalt einer Zäsur, die in Gott Sein und Handeln, Ontologie und Praxis trennt. Dem Handeln (der Ökonomie, aber auch der Politik) fehlt jede Begründung im Sein: Dies ist die Schizophrenie, die die theologische Lehre der oikonomia der abendländischen Kultur hinterlassen hat.
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5.
Diese wenn auch kurze Darlegung sollte die zentrale Funktion, die der Begriff der oikonomia in der christlichen Theologie angenommen hat, deutlich gemacht haben. Schon seit Klemens von Alexandrien verbindet er sich mit dem Begriff der Vorsehung, und bedeutet nunmehr die heilbringende Regierung der Welt und der Menschheitsgeschichte. Wie aber lautet die Übersetzung dieses grundlegenden griechischen Wortes in den Schriften der lateinischen Kirchenväter? Dispositio.
Das lateinische Wort dispositio, von dem sich unser Wort »Dispositiv« ableitet, nimmt also den komplexen Bedeutungsumfang der theologischen oikonomia an. Die »Dispositive«, von denen Foucault spricht, bleiben in gewisser Hinsicht diesem theologischen Erbe verbunden und können also auf jenen Bruch zurückgeführt werden, der in Gott Sein und Praxis, seine Natur oder sein Wesen und sein die Welt der Geschöpfe verwaltendes und regierendes Wirken zugleich teilt und artikuliert.jDer Terminus Dispositiv bezeichnet also etwas, in dem und durch das ein reines Regierungshandeln ohne jegliche Begründung im Sein realisiert wird. Deshalb schließen die Dispositive immer einen Subjek-
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tivierungsprozeß ein, da sie ihr Subjekt selbst hervorbringen müssen.
Diese theologische Genealogie verleiht den Foucaultschen Dispositiven eine noch größere Prägnanz und stellt sie in einen Kontext, in dem sie sich nicht nur mit der »Positivität« des jungen Hegel verschränken, sondern auch mit dem »Gestell« des späten Heidegger, dessen Etymologie derjenigen von dis-positio, dis-ponere (das deutsche »stellen« entspricht dem lateinischen ponere) verwandt ist. Wenn Heidegger in Die Technik und die Kehre schreibt, daß »Ge-stell« gemeinhin »Gerät« bedeutet, er unter diesem Terminus jedoch »das Versammelnde jenes Stellens, das den Menschen stellt, d.h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens zu entbergen« versteht, wird die Nähe dieses Terminus zur dispositio der Theologen und zu den Dispositiven von Foucault evident. Die Gemeinsamkeit all dieser Termini besteht darin, auf eine oikonomia zu verweisen, das heißt auf eine Gesamtheit von Praxen, Kenntnissen, Maßnahmen und Institutionen, deren Ziel es ist, das Verhalten, die Gesten und die Gedanken der Menschen zu verwalten, zu regieren, zu kontrollieren und in eine vorgeblich nützliche Richtung zu lenken.
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6.
Ein methodologischer Grundsatz, von dem ich mich in meinen Untersuchungen immer habe leiten lassen, ist es, in den Texten und Kontexten, die ich bearbeite, das ausfindig zu machen, was Feuerbach als das philosophische Element bezeichnet, das heißt den Punkt ihrer Entwicklungsfähigkeit, den Zeitpunkt und locus, an denen sie entwickelbar sind. Wenn wir jedoch den Text eines Autors in diesem Sinne auslegen und entfalten, kommt der Moment, in dem man sich eingestehen muß, nicht weiter fortfahren zu können, ohne gegen die elementarsten Regeln der Hermeneutik zu verstoßen. Das bedeutet, daß die Entwicklung des in Rede stehenden Textes einen Punkt der Unentscheidbarkeit erreicht hat, an dem es unmöglich wird, zwischen Autor und Interpret zu unterscheiden. Obgleich dies für den Interpreten ein besonders glücklicher Moment ist, weiß er, daß es nun an der Zeit ist, von dem Text, den er analysiert, abxulassen und auf eigene Rechnung fortzuschreiten.
Deshalb lade ich nun dazu ein, den Kontext der Foucaultschen Philologie, in dem wir uns bislang bewegt haben, zu verlassen und die Dispositive in einen neuen Zusammenhang zu stellen.
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Ich möchte nichts Geringeres vorschlagen als eine allgemeine, recht grobe Aufteilung des Vorhandenen in zwei große Gruppen oder Klassen: einerseits die Lebewesen (oder die Substanzen), andererseits die Dispositive, von denen sich jene unablässig gefangennehmen lassen. Einerseits also, um die Terminologie der Theologen zu übernehmen, die Ontologie der Geschöpfe, andererseits die oikonomia der Dispositive, die darauf abzielen, jene zu regieren und zum Guten zu führen, lieh möchte also die schon sehr umfangreiche Klasse der Foucaultschen Dispositive noch weiter verallgemeinern: Als Dispositiv bezeichne ich alles, was irgendwie dazu imstande ist, die Gesten, das Betragen, die Meinungen und die Reden der Lebewesen zu ergreifen, zu lenken, zu bestimmen, zu hemmen, zu formen, zu kontrollieren und zu sichern. Also nicht nur die Gefängnisse, die Irrenanstalten, das Panoptikum, die Schulen, die Beichte, die Fabriken, die Disziplinen, die juristischen Maßnahmen etc., deren Zusammenhang mit der Macht in gewissem Sinne offensichtlich ist, sondern auch der Federhalter, die Schrift, die Literatur, die Philosophie, die Landwirtschaft, die Zigarette, die Schiffahrt, die Computer, die Mobiltelefone und - warum nicht - die Sprache selbst, die das vielleicht älteste Dispositiv ist, von dem sich vor Abertausenden von Jahren ein Pri
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mat - wahrscheinlich ohne sich über die ihm daraus erwachsenden Konsequenzen im klaren gewesen zu sein- allzu leichtfertig hatte gefangennehmen lassen.
Kurz, wir haben also zwei große Klassen, die Lebewesen (oder die Substanzen) und die Dispositive. Und zwischen den beiden, als Drittes, die Subjekte. Subjekt nenne ich das, was aus der Beziehung, sozusagen dem Nahkampf zwischen den Lebewesen und den Dispositiven hervorgeht. Natürlich scheinen sich die Substanzen und die Subjekte wie in der alten Metaphysik zu überlagern, jedoch nicht vollständig. Insofern kann ein und dasselbe Individuum, ein und dieselbe Substanz der Ort mannigfaltiger Subjektivierungsprozesse sein: der Mobiltelefonnutzer, der Internetsurfer, der Schreiber von Erzählungen, der Tangobegeisterte, der Globalisierungsgegner usw., usw. Deshalb entspricht dem maßlosen Anwachsen der Dispositive in unserer Zeit eine ebenso maßlose Vermehrung der Subjektivierungs- prozesse. Das könnte den Eindruck erwecken, daß die Kategorie der Subjektivität zunehmend ins Wanken gerät und ihre Konsistenz verliert; doch es handelt sich, um genau zu sein, nicht um eine Tilgung oder Überwindung, sondern um eine Disseminierung, die den Aspekt der Maskerade, der jeder personalen Identität schon immer anhaftete, zum Äußersten treibt.
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7.
Es ist gewiß nicht abwegig, das äußerste Entwicklungsstadium des Kapitalismus, in dem wir leben, als eine gigantische Anhäufung und Wucherung von Dispositiven zu bestimmen. Natürlich gibt es Dispositive, seit der homo sapiens auf den Plan getreten ist. Heute jedoch scheint es keinen einzigen Augenblick im Leben eines Individuums mehr zu geben, der nicht von irgendeinem Dispositiv geformt, kontaminiert oder kontrolliert wäre. Nun stellt sich die Frage, wie wir gegen eine solche Situation angehen können, welche Strategie wir in unserem alltäglichen Nahkampf mit den Dispositiven verfolgen müssen. Es geht nämlich nicht einfach darum, sie zu zerstören, noch, wie uns naive Leute weismachen wollen, sie auf die richtige Weise zu gebrauchen.
Als jemand, der in Italien lebt, das heißt in einem Land, in dem die Gesten und Verhaltensweisen der Individuen vom (liebevoll telefonino genannten) Mobiltelefon von Grund auf umgeformt wurden, habe ich einen unbändigen Haß auf dieses Dispositiv entwickelt, das die Beziehungen zwischen den Menschen noch abstrakter gemacht hat. Doch auch wenn ich mich so manches Mal dabei ertappt habe, Überlegungen anzustellen, wie man die Handys zerstören oder ausschalten und diejenigen,
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die sie nutzen, beseitigen oder zumindest bestrafen und wegsperren könne, glaube ich kaum, daß so das Problem auf angemessene Weise ausgeräumt werden kann. |Denn aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Dispositi
ve kein Unfall, in den die Menschen zufällig verwickelt wurden, sondern sie verdanken ihren Ursprung eben jenem Prozeß der »Hominisierung«, der die Tiere, die wir unter der Rubrik homo sapiens einordnen, »menschlich« werden ließ. Das Ereignis, das das Humane hervorgebracht hat, erzeugt im Lebewesen nämlich eine Art Spaltung, die in gewisser Weise die von der oikonomia in Gott bewirkte Spaltung von Sein und Handeln reproduziert. Diese Spaltung trennt das Lebewesen von sich selbst und unterbricht die unmittelbare Beziehung zu seiner Umwelt, das heißt zu dem, was Heidegger im Anschluß an Uexküll den Enthemmungsring nannte. Wird diese Beziehung unter- oder gar abgebrochen, entstehen dem Lebewesen die Langeweile - das heißt die Fähigkeit, die unmittelbare Beziehung mit dem Enthemmenden aufzuheben - und das Offene, also die Möglichkeit, das Ens als Ens zu erkennen, eine Welt zu bauen. Doch mit dieser Möglichkeit ist unmittelbar auch die Möglichkeit der Dispositive gegeben, die das Offene mit Apparaten, Gegenständen, gadgets, Firlefanz und technischem Gerät aller Art bevölkern. Mittels der Dispositive ver-
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sucht der Mensch das von sich abgesonderte tierische Verhalten leerlaufen zu lassen und so das Offene als solches, das Ens als Ens zu genießen. Am Ursprung jedes Dispositivs steht also ein allzumenschliches Glücksverlangen. Daß es dieses Verlangen in einen abgetrennten Bereich einschließt und subjektiviert, verleiht dem Dispositiv seine besondere Macht.
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8.
Die Strategie, die wir in unserem Nahkampf mit den Dispositiven verfolgen müssen, darf also keine einfache sein. Denn es gilt, das zu befreien, was mittels der Dispositive abgesondert und eingefangen wurde, und es wieder einem allgemeinen Gebrauch zugänglich zu machen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Begriff zu sprechen kommen, über den ich kürzlich zu arbeiten hatte. Es handelt sich um einen Terminus, der aus dem Gebiet des römischen Rechts und der römischen Religion stammt (nicht nur in Rom hängen Recht und Religion aufs Engste zusammen): Profanierung.
Laut dem römischen Recht waren jene Dinge heilig oder religiös, die auf irgendeine Weise den Göttern gehörten. Als solche waren sie dem freien Gebrauch und dem Verkehr der Menschen entzogen, konnten weder verkauft oder verpfändet noch zur Nutznießung überlassen oder mit Dienstbarkeit belastet werden. Als Sakrileg galt jede Tat, die diese ihre besondere Unverfügbarkeit verletzte oder übertrat, durch die sie ausschließlich den himmlischen Göttern (diese wurden ausdrücklich als »heilig« bezeichnet) oder den Göttern der Unterwelt (in diesem Kill nannte man sie einfach »religiös«) Vorbehalten war. Und wenn weihen (sacrare) der Terminus war, der das
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Heraustreten der Dinge aus dem Bereich des menschlichen Rechts bezeichnete, so bedeutete umgekehrt profanieren, sie dem freien Gebrauch der Menschen zurückzugeben. »Profan«, so kann der große Jurist Trebatius schreiben, »heißt im eigentlichen Sinn das, was einmal heilig oder religiös war, und nun wieder dem Gebrauch und dem Besitz der Menschen zurückgegeben wird.«
Insofern läßt sich als Religion definieren, was dem allgemeinen Gebrauch Dinge, Orte, Tiere oder Personen entzieht und in einen abgesonderten Bereich versetzt. Nicht nur gibt es keine Religion ohne Absonderung, sondern jede Absonderung enthält oder bewahrt in sich einen genuin religiösen Kern. Das Dispositiv, das die Absonderung vollzieht und regelt, ist das Opfer: Durch eine Reihe minutiöser, nach der Verschiedenheit der Kulturen variierender Rituale, die Hubert und Mauss geduldig inventarisiert haben, sanktioniert es in jedem Fall den Übergang von etwas vom Profanen zum Heiligen, vom menschlichen in den göttlichen Bereich. Doch was auf rituelle Weise abgesondert wurde, kann durch einen Ritus wieder dem profanen Bereich zurückgegeben werden. ¡Die Profanierung ist das Gegendispositiv, das dem allgemeinen Gebrauch zurückgibt, was ihm durch ein Opfer entzogen und abgesondert wurde. 1
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9.
Aus dieser Perspektive stellen sich der Kapitalismus und die modernen Figurationen der Macht als eine Verallgemeinerung und Radikalisierung jener Absonderungsprozesse dar, die für die Religion bestimmend waren. Bei näherer Betrachtung der soeben umrissenen theologischen Genealogie der Dispositive, die sie mit dem christlichen Paradigma der oikonomia, also der göttlichen Weltregierung in Zusammenhang brachte, wird jedoch deutlich, daß sich die modernen Dispositive von den traditionellen durch etwas unterscheiden, was ihre Profanierung besonders problematisch werden läßt. Je des Dispositiv schließt nämlich einen Subjektivierungs- prozeß ein, ohne den es nicht als Regierungsdispositiv funktionieren, sondern sich darauf beschränken würde, bloße Gewaltanwendung zu sein. So konnte Foucault zeigen, wie in einer Disziplinargesellschaft die Dispositive mittels einer Reihe von Praktiken und Diskursen, Kenntnissen und Übungen auf die Schaffung gelehriger, doch freier Körper zielen, die ihre Identität und ihre »Freiheit« in eben dem Prozeß ihrer Unterwerfung erlangen. Das Dispositiv ist also zunächst eine Maschine, die Subjektivierungen produziert, und nur als solche ist es auch eine Regierungsmaschine. Das Beispiel der Beichte
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ist hier aufschlußreich: die Formierung der abendländischen Subjektivität, die, obgleich gespalten, dennoch ihrer selbst Herr und gewiß ist, ist mit dem Jahrhunderte währenden Wirken des Dispositivs der Beichte untrennbar verbunden. In ihm wird ein neues Ich konstituiert, indem das alte zugleich negiert und auf sich genommen wird. Die vom Dispositiv der Beichte bewirkte Spaltung des Subjekts brachte also ein neues Subjekt hervor, das seine eigene Wahrheit in der Unwahrheit des verstoßenen Sünder-Ichs fand. Ähnliche Erwägungen können für das Dispositiv Gefängnis angestellt werden, dessen mehr oder weniger unvorhersehbare Konsequenz die Konstitution eines delinquenten Subjekts und eines entsprechenden Milieus war, die ihrerseits zum Subjekt neuer - diesmal vollkommen kalkulierter- Regierungstechniken geworden sind.
Was die Dispositive, mit denen wir es im momentanen Stadium des Kapitalismus zu tun haben, ausmacht, ist jedoch weniger, daß sie die Produktion eines Subjekts bewirken. Sie zeichnen sich vielmehr durch Prozesse der - wie wir es nennen könnten - Desubjektivierung aus. Ein Moment der Desubjektivierung wohnt freilich jedem Subjektivierungsprozeß inne. Wie wir gesehen haben, konstituierte sich das Ich des Büßers nur durch die eigene Negation; was wir jedoch jetzt beobachten
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können, ist, daß Subjektivierungsprozesse und Desub- jektivierungsprozesse wechselseitig indifferent werden und nicht mehr auf die Wiederzusammensetzung eines neuen Subjekts hinauslaufen, es sei denn in verhüllter, gleichsam gespenstischer Form.fln der Unwahrheit des Subjekts steht keineswegs mehr seine Wahrheit auf dem Spiel. Wer sich vom Dispositiv »Mobiltelefon« gefangennehmen läßt, wie intensiv auch immer das Verlangen, das ihn dazu getrieben hat, gewesen sein mag, erwirbt deshalb keine neue Subjektivität, sondern lediglich eine Nummer, mittels derer er gegebenenfalls kontrolliert werden kann; der Zuschauer, der seine Abende vor dem Fernseher verbringt, erhält im Tausch für seine Desubjektivierung nichts als die frustrierende Maske des zappeur oder die Einbeziehung in die Berechnung der Einschaltquote.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die wohlmeinenden Reden über die Technik, die behaupten, daß sich das Problem der Dispositive auf die Frage ihres richtigen Gebrauchs reduzieren lasse, in ihrer ganzen Vergeblichkeit. Offensichtlich ignorieren sie, daß jedem Dispositiv ein bestimmter Prozeß der Subjektivierung (oder, wie in diesem Fall, der Desubjektivierung) entspricht, was es absolut unmöglich macht, daß das Subjekt eines Dispositivs es »auf die richtige Weise« nutzen kann. Im übri-
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gen sind diejenigen, die solche Reden führen, ihrerseits ein Resultat des medialen Dispositivs, in dem sie gefangen sind.
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Die zeitgenössischen Gesellschaften verhalten sich also wie träge Körper, die von gigantischen Prozessen der Desubjektivierung durchlaufen werden, denen jedoch keine wirkliche Subjektivierung mehr entspricht. Das erklärt den Niedergang der Politik, die Subjekte und wirkliche Identitäten (die Arbeiterbewegung, die Bourgeoisie usw.) voraussetzte, und den Siegeszug der oiko- nomia, das heißt eines reinen Regierungshandelns, das nichts anderes im Blick hat als die eigene Reproduktion. Die Rechte und die Linke, die sich heute in der Verwaltung der Macht abwechseln, haben deshalb recht wenig mit dem politischen Kontext zu tun, aus dem die Termini stammen. Sie bezeichnen lediglich die beiden Pole ein und derselben Regierungsmaschine - denjenigen, der bedenkenlos auf die Desubjektivierung setzt und denjenigen, der sie lieber hinter der heuchlerischen Maske des guten demokratischen Bürgers verbergen möchte.
Dies erklärt jedoch auch die sonderbare Beunruhigung der Macht, die sie in eben jenem Moment überkommt, in dem sie sich dem folgsamsten und feigsten Gesellschaftskörper gegenüber sieht, den es in der Menschheitsgeschichte je gab. Es ist nur ein scheinbarer Wider-
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spruch, daß der harmlose Bürger der postindustriellen Demokratien (der bloom , wie er aufgrund eines überzeugenden Vorschlags genannt werden kann), der pünktlich ausführt, was ihm aufgetragen wurde, und zuläßt, daß sowohl seine alltäglichsten Gesten als auch seine Gesundheit, seine Zerstreuung und seine Beschäftigung, seine Ernährung und seine Wünsche bis ins kleinste Detail von Dispositiven gesteuert und kontrolliert werden,- womöglich gerade deshalb - von der Macht als potentieller Terrorist betrachtet wird. Während in Europa neue Bestimmungen allen Bürgern jene biometrischen Dispositive vorschreiben, die die im 19. Jahrhundert zur Identifizierung von rückfälligen Kriminellen eingeführten anthropometrischen Techniken (vom Fingerabdruck bis zum Fahndungsfoto) weiterentwickeln und perfektionieren, läßt die Videoüberwachung die öffentlichen Räume der Stadt zu Innenräumen eines riesigen Gefängnisses werden. In den Augen der Macht - und womöglich hat sie recht - ähnelt niemand dem Terroristen so sehr wie der allergewöhnlichste Mensch.Je durchdringender die Dispositive werden, je weiter
sie ihre Macht in jeden Bereich des Lebens ausdehnen, desto mehr sieht sich die Regierung einem unfassbaren Element gegenüber, das sich ihrem Zugriff umso mehr zu entziehen scheint, je gefügiger es sich diesem unter-
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wirft. Allerdings ist dieses Element weder revolutionär, noch ist es imstande, die Regierungsmaschine anzuhalten oder auch nur ernsthaft zu bedrohen. Denn anders als angekündigt, wohnen wir nicht dem Ende der Geschichte bei, sondern dem unermüdlichen Leerlauf der Maschine, die in einer Art ungeheuerlicher Parodie der theologischen oikonomia das Erbe der providentiellen Weltregierung angetreten hat, um die Welt - darin der ursprünglich eschatologischen Berufung der Vorsehung treu - nicht zu retten, sondern in die Katastrophe zu führen. Die Frage der Profanierung der Dispositive - das heißt des Verfahrens, mittels dessen das, was in ihnen eingefangen und abgesondert wurde, dem allgemeinen Gebrauch zurückgegeben wird - ist deshalb umso dringlicher. Um sie richtig stellen zu können, müssen jene, die sie sich zu eigen machen, in der Lage sein, sowohl in die Subjektivierungsprozesse als auch in die Dispositive einzugreifen, um jenes Unregierbare zum Vorschein zu bringen, das zugleich Anfang und Fluchtpunkt jeder Politik ist.
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TiqqunTheorie vom Bloom
Aus dem Französischen von Urs Urban ISBN 978-3-935300-32-2 / Französisch Broschur 114 Seiten, € 16,90 / CHF 31,00
»Bloom [blum], der, um 1914; unbekannter Herkunft, vielleicht vom russischen >Oblomov<, vom deutschen >Anna Blu- me< oder vom englischen >Ulysses<. - 1. Endzeitstimmung einer ans Sterbebett gefesselten Zivilisation, die sich von ihrem Untergang nur mehr abzulenken vermag, indem sie zwischen kurzen Phasen technophiler Hysterie und langen Abschnitten beschaulicher Kraftlosigkeit abwechselt. Es war, als lebte die blutleere Masse der Gehaltsempfänger im Bloom. >Tod dem Bloom!< (J. Frey) 2. In übertragener Bedeutung: Unter den sonderbaren Menschen einer Welt autoritärer Warenwirtschaft weit verbreitete Lebens-Form des Dämmerns und der Beliebigkeit - >bloomig, Bloomität, Bloomifizierung<. 3. Auch: die Gegenwart des eigenen Nachlebens (Nachlaß zu Lebzeiten). >Den Bloom haben<. 4. Sterbeurkunde klassischer Politik. 5. Geburtsurkunde einer ekstatischen Politik. 6. Geschichte: besiegelte durch seinen Aufstieg die Bildung der verschiedenen Zellen des Unsichtbaren Ausschusses<, eines anonymen Verschwörungsnetzwerks, das im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts nach einer Reihe von Sabotageakten und Aufständen schließlich die Warenherrschaft beseitigte. >I)ie Zuschauer erstarren, wenn der Zug vorbeifährt.< (K.)«
TiqqunKybernetik und Revolte
Aus dem Französischen von Ronald Voullie ISBN 978-3-03734-002-8 / Broschur 128 Seiten, € 10,00 / CHF 19,00
Schonungslos deckt das Autorenkollektiv Tiqqun die enge Verbindung zwischen dem Konzept der Kybernetik und den Techniken der Kontroll- und Kommunikationsgesellschaften auf. Mit seinem Imperativ der Zirkulation von Waren und Informationen und unter dem Alibi von Liberalismus und Demokratie ist der »kybernetische Kapitalismus« zu der gegenwärtig alles beherrschenden Ideologie geworden.Wie immer die Alternativen lauten, ob »Ökologie«, »Grenzen des Wachstums« oder »Partizipative Demokratie«, ein Jenseits von Tausch und Akkumulation wird mit solchen Reformkonzepten nicht zu erreichen sein. Vielmehr bedarf es radikalerer Mittel von Widerstand und Revolte: Kurzschluß und Abklemmen von Knotenpunkten, Verlangsamung und Fehlleitung - Taktiken einer notwendig diffusen Guerilla. »Eine Zone der Undurchsichtigkeit zu schaffen, in der man frei experimentieren kann, ohne die Informationsströme des Empires weiterzuleiten, bedeutet, >anonyme Singularitäten zu schaffen und die Bedingungen einer möglichen Erfahrung wiederherzustellen, einer Erfahrung, die nicht unmittelbar durch eine binäre Maschine, die ihr einen Sinn zuweist, plattgemacht werden kann...«
Jacques Rändere Zehn Thesen zur Politik
ISBN 978-3-03734-031-8 / Broschur 48 Seiten, € 5,00 / CHF 9,50
Nicht erst die traurige Realität der heutigen Demokratie, als bloße Herrschaft der Massen und ihrer Bedürfnisse, nicht nur die Omnipräsenz des Ökonomischen und seiner Verwerfungen erfordern es, Politik neu zu denken.
In Gestalt von zehn prägnanten Thesen und in expliziter Abwendung von den modischen Formeln eines »Endes« oder einer »Wiederkehr der Politik« fragt Jacques Ranciere nach dem Spezifischen, dem Eigentlichen von Politik. Sowohl von der Kategorie der Ökonomie als auch von jener der Staatlichkeit klar zu unterscheiden, ist das Eigentliche der Politik vielmehr in einer Beziehung zweier das Subjekt kontradiktorisch festlegender Termini zu suchen. Politik erscheint somit als eine im Kern paradoxale Handlung, die sich durch die Existenz eines Subjekts bestimmt, welches sich durch seine Partizipation an Gegensätzen definiert.
Bruno Latour Elend der Kritik
Aus dem Französischen von Heinz Jatho ISBN 978-3-03734-021-9 / Broschur 80 Seiten, € 8,00 / CHF 15,50
Der Wissenschaftsforscher Bruno Latour wendet sich gegen eine um sich greifende antiaufklärerische Haltung der Kritik, der Geisteswissenschaften, die unappetitliche Verwandtschaften hervorbringt. Wie erklärt es sich, daß unter Intellektuellen weithin unhinterfragt Verschwörungstheorien - etwa bezüglich des 11. September - als Wahrheiten ins Feld geführt werden? Bruno Latour macht in einem lange gepflegten, exzessiven Mißtrauen in unverrückbare Tatsachen, die allzu leichtfertig als ideologische Vorurteile ausgegeben werden, eine Hauptgefahr für diese beunruhigende (da selbstentmachtende) Bewegung aus. Generiert womöglich die Kritik selbst diese Effekte, hat sie ihre eigenen »kritischen« Werkzeuge nicht mehr im Griff? Ist Kritik ganz und gar zahnlos geworden?Latour fordert, das eigene Rüstzeug einer kritischen Betrachtung zu unterziehen - und, wenn nötig, komplett auszuwechseln: »Ist es etwa zuviel verlangt, von unser aller intellektuellen Existenz zu fordern, wenigstens einmal im Jahrhundert ein paar neue kritische Werkzeuge bereitzustellen? Ist es nicht äußerst demütigend, mitanzusehen, daß Militärs wendiger, wachsamer, innovativer sind als wir?«
Judith Butler, Gayatri Chakravorty Spivak Sprache, Politik, Zugehörigkeit
Aus dem Englischen von Michael Heitz und Sabine Schulz ISBN 978-3-03734-013-4 / Broschur 80 Seiten, € 8,00 / CHF 15,50
Dieses Buch vereint zwei der einflußreichsten Theoretike- rinnen des letzten Jahrzehnts. Im Streitgespräch erkunden Gayatri Chakravorty Spivak - gebürtige Inderin und führende Vertreterin der postcolonial studies - und die Philosophin und Feministin Judith Butler gemeinsam Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Staates in Zeiten der Globalisierung.In einer Welt kultureller, wirtschaftlicher, kriegerischer und klimatischer Verwerfungen, Krisen und Katastrophen, in einer Welt, die durch Migration, wechselnde Zugehörigkeiten und sich wandelnde Bindungen geprägt ist, werden Staaten immer mehr zu Provisorien und ihre Bewohner zunehmend »staatenloser«.
Das leidenschaftliche und engagierte Gespräch spannt einen Bogen vom Palästina-Problem zum Denken des Staates in der Aufklärung und der zeitgenössischen Philosophie; von einer kritischen Diskussion der Thesen Hannah Arendts und Giorgio Agambens zu der scheinbaren Detailfrage, ob die amerikanische Nationalhymne - wie schon einmal - auch mit spanischem Text gesungen werden sollte.
Giorgio Agamben Mittel ohne Zweck
Aus dem Italienischen von Sabine Schulz ISBN 978-3-935300-10-0 / Französisch Broschur 144 Seiten, € 18,90 / CHF 34,00
Warum konstituiert der Ausnahmezustand die Grundstruktur einer jeden staatlichen Ordnung? Weshalb hat der Begriff >Menschenrechte< ausgedient? Was hat die Ununterscheidbarkeit von Öffentlichem und Privatem zur Folge? Inwiefern ist das >Lager< der biopolitische >nomos< der Moderne? Was wäre der Ort und was der Raum einer künftigen >polis<?
Die hier versammelten Texte formulieren eine radikale Kritik von Politik im Zeitalter entleerter Kategorien. In engem Rückbezug auf Hannah Arendt, Carl Schmitt und Michel Fou- cault skizziert Giorgio Agamben neue Perspektiven des Politischen im Kontext der heutigen demokratisch-spektakulären Gesellschaften.
Entwürfe über die >Lebens-Form<, die Sprache als Ort des Politischen par excellence und das Gestische als eine Sphäre der >reinen Mittel ohne Zweck< markieren das Feld eines kommenden Denkens.