Download - Alltag Konstanz
Universität Konstanz Geisteswissenschaftliche Sektion
Fachgruppe Geschichte
Studien zum Alltag in Konstanz
1945-1949
Wissenschaftliche Arbeit
im Rahmen der Landeslehrerprüfung für das Lehramt an Gymnasien
Eingereicht im Februar 2003
von
Hanna Sophia Reich Bernhard-Göring-Str. 155
04277 Leipzig
Prüfer: Prof. Dr. Lothar Burchardt
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INHALT Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................................5 Anmerkungen zur Zitierweise ........................................................................................5
EINLEITUNG........................................................................7
a. Thema der Arbeit ........................................................................................................7 b. Quellenlage .................................................................................................................8 c. Forschungsstand..........................................................................................................9 d. Zielsetzung und Gliederung der Arbeit ....................................................................11
I. LEBEN UNTER MANGELBEDINGUNGEN...............13
1.1 URSACHEN DES MANGELS ........................................................... 13 1.1.1 Globale Ursachen ................................................................................................13 1.1.2 Spezifisch deutsche Ursachen .............................................................................14
1.1.2.1 Kriegszerstörungen.......................................................................................14 1.1.2.2 Wirtschaftspolitik der Alliierten ...................................................................17
1.1.3 Zonenspezifische Ursachen: Die französische Zone ...........................................24 1.1.3.1 Ausgangslage und ökonomische Struktur der FBZ......................................24 1.1.3.2 Die französische Deutschland- und Wirtschaftspolitik ................................26
1.1.4 Lokale Ursachen: Konstanz.................................................................................29 1.1.4.1 Die Ausgangslage .........................................................................................30 1.1.4.2 Requisitionen und Demontage......................................................................33 1.1.4.3 Alltagssorgen der Bevölkerung ....................................................................35
1.2 ORGANISATION DES MANGELS.................................................. 45 1.2.1 Das NS-Bewirtschaftungssystem ........................................................................45 1.2.2 Die Übernahme des NS-Bewirtschaftungssystems durch die Alliierten .............46 1.2.3 Die Bewirtschaftung in der FBZ .........................................................................46 1.2.4 Organisation des Mangels auf lokaler Ebene: Konstanz .....................................47
1.2.4.1 Aufgaben des WEA Konstanz ......................................................................48 1.2.4.2 Städtische Maßnahmen zur Organisation des Mangels ................................50
1.3 FRAUENALLTAG IN ZEITEN DES MANGELS .......................... 53 1.3.1 Hausarbeit unter Nachkriegsbedingungen...........................................................54 1.3.2 Erweiterung der Hausarbeit .................................................................................59 1.3.3 Wertung der Frauenarbeit ....................................................................................61
II. LEBEN OHNE MÄNNER .............................................63
2.1 VIERZONENGEBIET ........................................................................ 63 2.1.1 Flüchtlinge und Kriegsgefangene........................................................................63 2.1.2 Veränderungen in der Alters- und Geschlechtsstruktur ......................................64
2.2 FRANZÖSISCHE ZONE.................................................................... 65 2.2.1 Flüchtlinge, Evakuierte und Kriegsgefangene.....................................................65 2.2.2 Veränderungen in der Alters- und Geschlechtsstruktur ......................................66
2.3 KONSTANZ ......................................................................................... 67 2.3.1 Flüchtlinge, Evakuierte und Kriegsgefangene.....................................................67 2.3.2 Veränderungen in der Alters- und Geschlechtsstruktur ......................................68
2.4 ALLTAG OHNE MÄNNER............................................................... 69 2.4.1 Frauenerwerbstätigkeit ........................................................................................70 2.4.2 Veränderungen in den Familienstrukturen ..........................................................74
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III. LEBEN MIT DEN BESATZERN................................79
3.1 AUFBAU DER FRANZÖSISCHEN MILITÄRREGIERUNG ...... 79 3.1.1 Aufbau der Militärregierung auf Zonenebene .....................................................79 3.1.2 Aufbau der Militärregierung auf lokaler Ebene: Konstanz .................................81
3.2 ALLTAG UNTER BESATZUNG ...................................................... 82 3.2.1 Der 26. April 1945: ‚Stunde Null‘ in Konstanz...................................................82 3.2.2 Unsicherheit, Rechtlosigkeit und Informationsmangel .......................................84
3.3 DIE BESATZUNG IN DEN AUGEN DER BEVÖLKERUNG ...... 90 3.3.1 Ablehnung und Selbstmitleid ..............................................................................91 3.3.2 Persönliche Kontakte...........................................................................................94
3.4 FRANZOSEN UND FRAUEN............................................................ 96 3.4.1 Die Besatzer in den Augen der Frauen ................................................................96 3.4.2 Deutsch-französische Paare .................................................................................97 3.4.3 Uneheliche Geburten ...........................................................................................99 3.4.4 Vergewaltigungen, Abtreibungen, Geschlechtskrankheiten .............................101 3.4.5 Diffamierung der „Franzosenliebchen“.............................................................103
SCHLUSS...........................................................................107
BIBLIOGRAPHIE ............................................................109
A. QUELLEN ........................................................................................... 109 A.1 Ungedruckte Quellen ...........................................................................................109 A.2 Gedruckte Quellen ...............................................................................................109
B. SEKUNDÄRLITERATUR................................................................. 110 B.1 Monographien ......................................................................................................110 B.2 Sammelbände.......................................................................................................112 B.3 Aufsätze ...............................................................................................................113
ERKLÄRUNG ...................................................................119
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Abkürzungsverzeichnis ABZ Amerikanische Besatzungszone
BBZ Britische Besatzungszone
CCFA Commandement en Chef Français en Allemagne
d.V. die Verfasserin
Ebd. Ebenda
f. folgende Seite
ff. folgende Seiten
FBZ Französische Besatzungszone
Fn. Fußnote
GMZFO Gouvernement Militaire pour la Zone Française d’Occupation
Hg. Herausgeber
Hgg. Herausgeber (plural)
LEA Landesernährungsamt
LWA Landeswirtschaftsamt
NV Normalverbraucher
OB Oberbürgermeister
SBZ Sowjetische Besatzungszone
StA KN Stadtarchiv Konstanz
Vgl. Vergleiche
WEA Wirtschafts- und Ernährungsamt
ZP Zuteilungsperiode
Anmerkungen zur Zitierweise Bei Erstnennung steht die vollständige bibliographische Angabe. Z.B. Griesinger, Annemarie.
1995. Erinnerungen an das Kriegsende 1945. Schwäbischer Heimatkalender 106, 39-41.
Bei allen weiteren Nennungen werden nur noch Autor, Erscheinungsjahr und Seitenzahl
aufgeführt. Z.B. Griesinger 1995:40.
Hat ein Autor mehrere Arbeiten mit gleichem Erscheinungsjahr veröffentlicht, stehen nach
dem Erscheinungsjahr lateinische Lettern. Z.B. Klöckler 1995a = Klöckler, Jürgen. 1995a.
Die Stadt Konstanz in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945-1947). Aspekte der
Wirtschafts-, Sozial- und Verwaltungsgeschichte. Montfort 47, 216-230. Klöckler 1995b =
Klöckler, Jürgen. 1995b. Zivilbevölkerung und französische Besatzung am Bodensee im Jahr
1945. Rorschacher Neujahrsblatt 85, 31-36.
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Einleitung
a. Thema der Arbeit Thema der vorliegenden Arbeit ist der Nachkriegsalltag unter französischer Besatzung in der
südbadischen Kleinstadt Konstanz am Bodensee.1 Ausgehend von der globalen und der
gesamtdeutschen Situation nach 1945 soll dargestellt werden, welchen Bedingungen der
Nachkriegsalltag in Konstanz unterworfen war, mit welchen Problemen sich die Konstanzer
Bevölkerung konfrontiert sah, welche Ursachen diese Probleme hatten und wie sie gelöst
wurden. Besondere Beachtung sollen dabei die Frauen finden, da ihr Alltag in
außergewöhnlich hohem Maße von den Bedingungen der Nachkriegszeit geprägt wurde.
‚Alltagsgeschichte‘ wird hier als Geschichte der Sorgen und Nöte der ‚kleinen Leute‘
verstanden, als Geschichte ihrer Erfahrungen, ihrer Einstellungs- und Handlungsweisen, ihrer
Lebens- und Aktionsformen, ihrer Ängste und Ressentiments.2
In einer so verstandenen Alltagsgeschichte der Nachkriegszeit kommt dem Aufbau der
Parteien und Verbände wenig Bedeutung zu. Angesichts der katastrophalen materiellen Lage
der Nachkriegsjahre fanden die Anstrengungen deutscher und alliierter Verantwortlicher zum
demokratischen Aufbau Deutschlands3 in den Gedanken der Zeitgenossen nur wenig
Widerhall.4 Ebenso wenig Interesse brachten die meisten Menschen der durchaus
beachtenswerten französischen Kulturpolitik sowie den französischen Bemühungen zur
Reformierung der Sozialpolitik oder dem französischen Sonderweg in der Entnazifizierung
entgegen. All diesen Bereichen wird daher im Folgenden nur wenig Platz eingeräumt
werden.5
Der zeitliche Rahmen der Arbeit umspannt die Jahre 1945 bis 1949. Dies entspricht den
Jahren zwischen der Besetzung Deutschlands und der Gründung der beiden deutschen Staaten 1 ‚Baden‘ bzw. ‚Südbaden‘ werden im Folgenden synonym verwendet, da sich während der Besatzungszeit lediglich der Südteil Badens unter dem Namen ‚Baden‘ unter französischer Besatzung befand. Nord-Baden befand sich unter amerikanischer Besatzung. Vgl. Kapitel 3.3.1. 2 Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert. 1996. Einleitung: Besatzungszeit als Erfahrung von Alltag und Politik. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 9-15. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3), hier 14. Einen Überblick der neueren Forschung zur Alltagsgeschichte geben ebd. Fn. 19-21. 3 Ist im Folgenden von ‚Deutschland‘ die Rede, ist damit das Gebiet der vier Besatzungszonen 1945-1949 gemeint. Für die Zeit vor 1945 wird der Terminus ‚Deutsches Reich‘ benutzt. 4 Wolfrum, Edgar. 1996a. Selbsthilfe gegen Resignation und Franzosenfeindschaft. Antifas und Gewerkschaften. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 53-74. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3), hier 64. 5 Den neuesten Forschungsstand zu Politik, Entnazifizierung und Sozialreformen geben wieder: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3).
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im Jahre 1949. Dieser politisch definierte Rahmen mag für die alltagsgeschichtliche
Ausrichtung dieser Arbeit unpassend erscheinen, doch decken sich sowohl 1945 als auch
1949 Ereignis- und Alltagsgeschichte. Mit der Besetzung Deutschlands - in Konstanz am 26.
April 1945 - begann für die Bevölkerung eine harte und entbehrungsreiche Zeit. Die alliierte
Besatzungspolitik wirkte in hohem Maße in den Alltag der Menschen hinein, und die
Anwesenheit der Besatzer strukturierte das tägliche Leben. Mit der Gründung der
Bundesrepublik Deutschland war Westdeutschland zumindest in Teilen zu einem souveränen
Staat geworden. Der Einfluss der alliierten Besatzungspolitik auf den Alltag der Bevölkerung
nahm damit rapide ab. Gleichzeitig entspannte sich sowohl die globale als auch die deutsche
Wirtschaftslage, so dass das Ende des den Nachkriegsalltag prägenden Mangels abzusehen
war.
b. Quellenlage Seit der Öffnung der französischen Archive Ende der 1980er Jahre kann die Quellenlage zur
französischen Besatzungszeit als reichhaltig bezeichnet werden.6 Die Colmarer Quellen
fanden aufgrund der alltagsgeschichtlichen Ausrichtung dieser Arbeit allerdings keine
Verwendung. Als sehr ergiebig für die Fragestellung dieser Arbeit erwiesen sich die S II
Bestände im Konstanzer Stadtarchiv. Die entsprechenden Akten erhellten in besonderer
Weise die Alltagssorgen der Konstanzer Bevölkerung und die städtischen Bemühungen zur
Organisation des Nachkriegsalltags.7 Die Auswahl der benutzten Akten erhebt keinerlei
Anspruch auf Vollständigkeit. Angesichts der thematischen Breite der vorliegenden Arbeit
konnten die Bestände des Stadtarchivs nur bedingt systematisch ausgewertet werden. Bei
allen verwendeten Akten handelt es sich demnach um Zufallsfunde. Dies gilt auch für alle
weiteren Konstanzer Quellen. Einen guten Einblick in die alltäglichen Sorgen und Nöte der
Konstanzer Bevölkerung gab das bisher unveröffentlichte Tagebuch des Konstanzer
Zeichenlehrers H.8 Hier sei Herrn Prof. Dr. Burchardt herzlichst für die freundliche Leihgabe
gedankt. Das Tagebuch fand neben diversen Erinnerungsberichten Konstanzer Bürger in allen
Kapiteln der Arbeit Verwendung.9
6 Wolfrum, Edgar. 1989. Das französische Besatzungsarchiv in Colmar. Quelle neuer Einsichten in die deutsche Nachkriegsgeschichte 1945-55. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 40, 84-90. 7 Vgl. Kapitel 1.1.4.3 und 1.2.4. 8 Tagebuch H., Privatarchiv Prof. Dr. Lothar Burchardt, Universität Konstanz. 9 Beck, Alois. 1950. Donnerstag, den 26. April 1945. In: Stadtrat Konstanz (Hg.). 1950. Unser Konstanz. Ein Heimatbuch. Konstanz: o.V., 33-38; Griesinger, Annemarie. 1995. Erinnerungen an das Kriegsende 1945. Schwäbischer Heimatkalender 106, 39-41; Hanloser, Manfred. 2000. Kriegsende in Konstanz. Erlebnisse um den Tag des Einmarsches der Franzosen in Konstanz am 26. April 1945. Badische Heimat 80, 528-532; Nägele, Karl Leo. 1988. Vor und nach der »Stunde Null«. Eine Plauderei. In: Maurer, Helmut (Hg.). 1988. Die Grenzstadt Konstanz 1945. Konstanz: Südkurier, 41-64; Schäfer, Franz. 1997. Petershauser Kindertage zwischen Vor- und Nachkriegszeit. In: Delphin Kreis (Hg.). 1997. Das Delphin Buch 5. Rund um Konstanz ... und dort selbst.
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c. Forschungsstand Die Geschichte der französischen Besatzungszone (FBZ) war lange ein Stiefkind der
Forschung. Die FBZ war nicht nur die kleinste und bevölkerungsärmste, und daher
uninteressanteste Zone, angesichts der bis weit in die Bundesrepublik hinein bestimmende
Politik der angloamerikanischen Alliierten schien eine eingehendere Beschäftigung mit der
FBZ auch wenig lohnenswert. Sie wurde zur „vergessenen Zone“.10 Bis Ende der 1970 blieb
die FBZ, von einigen Ausnahmen abgesehen, weitgehend unbeachtet.11 Hier ist vor allem die
Arbeit von F. Roy Willis zu nennen, die nach wie vor als Standardwerk angesehen werden
kann.12
Im Zuge der intensiveren Beschäftigung mit der deutschen Nachkriegsgeschichte seit Ende
der 1970er Jahre erhielt die FBZ erstmals einige Beachtung. 13 Bestimmend für diese Phase in
der Forschung war die überaus negative Bewertung der französischen Besatzungspolitik. Die
durchaus erkannten Leistungen der französischen Besatzungspolitik, etwa in der
Kulturpolitik, erschienen vor der als außerordentlich restriktiv bewerteten französischen
Wirtschaftspolitik lediglich als „accessoire“.14 Als Hauptvertreter dieser Forschungsrichtung
gilt Klaus-Dietmar Henke.15
Mit der Öffnung der Colmarer Archive begann eine intensivere Auseinandersetzung mit der
Geschichte der FBZ. Die Erkenntnisse, die aus den neu zugänglichen Quellen gezogen
werden konnten, hatten eine weitgehende Revision in der Bewertung der französischen
Besatzungspolitik zur Folge. Sie erschien nicht länger als unbarmherzige Ausbeuterpolitik,
sondern als in allen Bereichen durchaus eigenständige, von den USA unabhängige und
zukunftsweisende Politik.16 Hier ist vor allem die Habilitationsschrift von Rainer Hudemann
Konstanz: Labhard, 133-146. (= Konstanzer Beiträge zu Geschichte und Gegenwart. Neue Folge, 5); Sutter, Willi. 1989. 26. April 1945, neun Uhr. In: Geschichte und Geschichten aus Konstanz, Constanz und Constance. Konstanz: Südkurier, 64-68; Zang, Gert. 1995. Margarete Dittrich - Briefe an die Mutter, Alltag auf der Insel Reichenau 1945-1947. Rorschacher Neujahrsblatt 85, 37-42. 10 Dieser Ausdruck wurde bereits 1947 von der ‚Süddeutschen Zeitung‘ geprägt. Vgl. Wolfrum, Edgar. 1990. Französische Besatzungspolitik in Deutschland nach 1945. Neuere Forschungen über die „vergessene Zone“. Neue Politische Literatur 35, 50-62, hier 50. 11 Vgl. Müller, Karl-Friedrich. 1987. Das Jahr 1945 in Südbaden. Frankfurt a. M.: Lang. (= Mensch und Strukturen - Historisch-sozialwissenschaftliche Studien, 3), hier 13f. und 391f. 12 Willis, Frank Roy. 1962. The French in Germany 1945-1949. Stanford: Stanford University Press. (= Stanford Studies in History, Economics, and Political Science, 23). 13 Vgl. den Forschungsüberblick von Hudemann, Rainer. 1983. Französische Besatzungszone 1945-1952. In: Scharf, Claus & Hans-Jürgen Schröder (Hgg.). 1983. Die Deutschlandpolitik Frankreichs und die Französische Zone 1945-1949. Wiesbaden: Steiner, 205-248. 14 Henke, Klaus-Dietmar. 1983. Politik der Widersprüche. Zur Charakteristik der französischen Militärregierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Scharf, Claus & Hans-Jürgen Schröder (Hgg.). 1983. Die Deutschlandpolitik Frankreichs und die Französische Zone 1945-1949. Wiesbaden: Steiner, 49-90 hier 68. 15 Vgl. den Forschungsüberblick bei Klöckler, Jürgen. 1992. Französische Besatzungspolitik in Konstanz zwischen 1945 und 1949. Magisterarbeit Konstanz, 11. 16 Vgl. den Forschungsüberblick von Wolfrum 1990.
10
zu nennen.17 Bis heute folgt die Forschung im Wesentlichen den revisionistische Thesen
Hudemanns.18 Aufgrund der alltagsgeschichtlichen Ausrichtung der vorliegenden Arbeit
blieben die Ergebnisse der neueren Forschung zur französischen Besatzungspolitik jedoch
weitgehend unberücksichtigt.
Die Frauen der Nachkriegszeit erhielten erst mit der Frauengeschichtsforschung nach 1968
wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Bis Mitte der 1980er Jahre überwog in dieser
feministisch, teilweise marxistisch geprägten Forschung neben der berechtigten Bewunderung
für die Leistung der ‚starken Frauen‘ der Nachkriegszeit19 die Annahme, die
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nach 1945 seien in besonderer Weise dazu geeignet
gewesen, die überkommenen patriarchalischen Strukturen zu verändern. Da jedoch
offensichtlich keinerlei Emanzipationsbewegung stattgefunden hat, wurde die Nachkriegszeit
als ‚verpasste Chance‘ zu einer Emanzipation gesehen. Hier ist vor allem Annette Kuhn zu
nennen, die mit ihren Arbeiten zahlreiche Wissenschaftlerinnen beeinflusste.20
Im Zuge der ‚Restaurationsdebatte‘ wurde dieser Ansatz einer ‚verpassten Chance‘
fallengelassen.21 Im Verhältnis der Geschlechter hat es genauso wenig wie in Politik und
Wirtschaft eine ‚Stunde Null‘ gegeben. Seit Anfang der 1990er Jahre wird daher in der
Frauenforschung davon ausgegangen, dass die Bedingungen der Nachkriegsgesellschaft
lediglich auf dem Gebiet der privaten Geschlechterbeziehungen eine Veränderung zu Folge
17 Hudemann, Rainer. 1988. Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik. Mainz: Hase & Köhler. (= Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, 10). 18 Vgl. Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3). 19 Meyer, Sibylle & Eva Schulze. 1984. Wie wir das alles geschafft haben. Alleinstehende Frauen berichten über ihr Leben nach 1945; Meyer, Sibylle & Eva Schulze. 1985. Von Liebe sprach damals keiner. Familienalltag in der Nachkriegszeit. München: Beck. 20 Freier, Anna-Elisabeth & Annette Kuhn (Hgg.). 1984. Frauen in der Geschichte V: „Das Schicksal Deutschlands liegt in der Hand seiner Frauen“ - Frauen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Düsseldorf: Schwann. (= Geschichtsdidaktik, 20); Kuhn, Annette (Hg.). 1984. Frauen in der deutschen Nachkriegszeit. Band 1: Frauenarbeit 1945-1949, Quellen und Materialien. Düsseldorf: Schwann. (= Geschichtsdidaktik, 21); Kuhn, Annette (Hg.). 1986. Frauen in der deutschen Nachkriegszeit. Band 2: Frauenpolitik, Quellen und Materialien. Düsseldorf: Schwann. (= Geschichtsdidaktik, 22). 21 Einen ausführlichen Überblick über die Frauenforschung zur Nachkriegszeit seit 1985 gibt Höhn, Maria. 1993. Frau im Haus und Girl im Spiegel: Discourse on Woman in the Interregnum Period of 1945-1949 and the Question of German Identity. Central European History 26, 57-90, hier 58, Fn. 4-6. Zur ‚Restaurationsdebatte‘ vgl. Kocka, Jürgen. 1979. Neubeginn oder Restauration. In: Stern, Carola & H. A. Winkler (Hgg.) 1979. Wendepunkte deutscher Geschichte 1848-1945. Frankfurt am Main: Fischer, 141-168 sowie die Beiträge in den Sammelbänden von Broszat, Martin (Hg.). 1990. Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte. München, Oldenbourg. (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 61) und Broszat, Martin, Klaus-Dietmar Henke & Hans Woller (Hgg.). 1988. Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. München: Oldenbourg, 645-664. (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 26).
11
hatten, „nicht aber in politischen Verbänden oder gesellschaftlichen Institutionen.“22 Die
vorliegende Arbeit baut auf diesen Erkenntnissen der neueren Frauenforschung auf.23
Zur Lokalgeschichte liegen seit Ende der 1980er Jahre zahlreiche Arbeiten vor. Hier seien vor
allem Manfred Bosch und Karl-Friedrich Müller genannt, die sich beide mit der Geschichte
Südbadens befassen.24 Seit Beginn der 1990er Jahre ist die Konstanzer Stadtgeschichte
wiederholt Thema diverser Magister- und Zulassungsarbeiten an der Universität Konstanz
gewesen.25 Für die vorliegende Arbeit wurden vor allem die Untersuchungen von Jürgen
Klöckler und Karin Stei verwendet.26 Maßgeblich für alle Kapitel dieser Arbeit war der
sechste Band der Geschichte der Stadt Konstanz von Lothar Burchardt.27
d. Zielsetzung und Gliederung der Arbeit Ziel der Arbeit ist es, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in der Nachkriegszeit am
Beispiel von Konstanz zu schildern. Drei Faktoren prägten den Alltag der Nachkriegszeit:
erstens der Mangel an Lebensmitteln und sämtlichen anderen Gütern des täglichen Bedarfs,
zweitens der durch die Kriegsverluste bedingte hohe Frauenüberschuss und drittens die
Anwesenheit der Besatzer.
Im ersten Kapitel soll zunächst nach den Ursachen des Mangels gefragt werden. In einem
zweiten Schritt soll untersucht werden, wie der Mangel von den zuständigen Stellen
organisiert wurde.
Das zweite Kapitel gibt einen Überblick über die kriegsbedingten Veränderungen in der
Bevölkerungsstruktur, die einen hohen Frauenüberschuss zur Folge hatten.
Im dritten Kapitel soll geschildert werden, was es hieß, unter der ständigen Anwesenheit der
Besatzer zu leben. 22 Frevert, Ute. 1990. Frauen auf dem Weg zur Gleichberechtigung - Hindernisse, Umleitungen, Einbahnstraßen. In: Broszat, Martin (Hg.). 1990. Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte. München, Oldenbourg, 113-130. (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 61), hier 118. Vgl. auch Möding, Nori. 1989. Die Stunde der Frauen? Frauen und Frauenorganisationen des bürgerlichen Lebens. In: Broszat, Martin, Klaus-Dietmar Henke & Hans Woller (Hgg.). 1988. Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. München: Oldenbourg, 645-664. (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 26) und Willenbacher, Barbara. 1988. Zerrüttung und Bewährung der Nachkriegs-Familie. In: Broszat, Martin, Klaus-Dietmar Henke & Hans Woller (Hgg.). 1988. Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. München: Oldenbourg, 595-618. (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 26). Zur Kritik an dieser These vgl. Kuhn, Annette. 1991. Der Refamilialisierungsdiskurs nach ‘45. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 33, 593-606. 23 Vgl. vor allem Kapitel 2.4. 24 Müller 1987; Bosch, Manfred. 1988. Der Neubeginn. Aus deutscher Nachkriegszeit, Südbaden 1945-1950. Konstanz: Südkurier. 25 Vgl. die Biblographie in Burchardt, Lothar. 1996. Konstanz zwischen Kriegsende und Universitätsgründung. Hungerjahre »Wirtschaftswunder« Strukturwandel. Konstanz: Stadler. (= Geschichte der Stadt Konstanz, 6) 575ff. 26 Klöckler 1992; Stei, Karin. 1992. Die Ernährungslage der Stadt Konstanz in der französischen Besatzungszeit. Zulassungsarbeit Konstanz. 27 Burchardt 1996.
12
Am Ende eines jeden Kapitels wird untersucht werden, welche Auswirkungen die
geschilderten Faktoren - Mangel, Frauenüberschuss, Anwesenheit der Besatzer - auf den
Alltag der Frauen hatten. Es wird zu zeigen sein, dass die Arbeit der Frauen in hohem Maße
zur Überwindung der Mangelwirtschaft beitrug. Dass aus dieser überlebenswichtigen Rolle
der Frauen in der Nachkriegszeit jedoch keine Veränderung in der Verteilung der öffentlichen
Geschlechterrollen resultierte, zeigt der Blick auf die Frauen im zweiten Kapitel. Im dritten
Kapitel wird zu zeigen sein, dass die Anwesenheit der Besatzer in Form von
Liebesbeziehungen mit all ihren Folgen durchaus Auswirkungen auf den Alltag der Frauen
haben konnte, dass die weitaus größere Gefährdung der Frauen jedoch nicht von den
Besatzern, sondern vielmehr von der sozialen Stigmatisierung der Frauen durch ihr Umfeld
ausging.
13
I. Leben unter Mangelbedingungen In der Erinnerung der Zeitgenossen ist die Nachkriegszeit hauptsächlich durch den
allgemeinen Mangel geprägt. Es fehlte an allem, vor allem Nahrungsmittel waren knapp. Der
allgegenwärtige Mangel strukturierte in außergewöhnlich hohem Maße den Alltag der
Nachkriegszeit. Es ist daher für eine alltagsgeschichtliche Untersuchung unerlässlich,
zunächst den Blick auf diese Mangelwirtschaft zu richten.
Im Folgenden sollen zunächst die Ursachen des Mangels dargestellt werden. Dabei wird ‚von
oben nach unten‘, von der globalen Ernährungskrise der Nachkriegszeit bis zu den
Verhältnissen in Konstanz, vorgegangen werden. Es wird zu zeigen sein, dass für die
deutschen Verhältnisse der Nachkriegszeit die alliierte - und in besonderem Maße die
französische – Wirtschaftspolitik weitaus negativere Folgen hatte als die durch den
Bombenkrieg verursachten Zerstörungen an den Industrieanlagen und in der Landwirtschaft.
Den Abschluss dieses ersten Teils bildet eine Schilderung der Alltagsnöte der Konstanzer
Bevölkerung, die aus dem so verursachten Mangel folgten.
Im Anschluss daran soll gezeigt werden, welche Maßnahmen Besatzer und deutsche Stellen
trafen, um dem Mangel Herr zu werden. Hier wird deutlich werden, dass die wenig
kooperative Politik der Alliierten bei der Organisation des Mangels ursächlich für die
Probleme der Nachkriegszeit verantwortlich war. Die Bemühungen städtischer Stellen
konnten angesichts dieses von den Besatzungsmächten gegebenen Rahmens nur noch wenig
zur Verbesserung der misslichen Lage beitragen.
Die Auswirkungen der Nachkriegsprobleme auf das alltägliche Leben der Bevölkerung waren
beträchtlich. Daher schließt das erste Kapitel mit einer Schilderung des Hausfrauenalltags
unter Nachkriegsbedingungen ab. Da öffentliche Maßnahmen zur Organisation des Mangels
immer weniger griffen, rückte der von Frauen geführte Haushalt immer weiter ins Zentrum
privater Bemühungen zur Bewältigung des Mangels. Der Blick auf die Hausfrauen erlaubt
daher eine besondere Sicht auf den Alltag der Nachkriegszeit.
1.1 Ursachen des Mangels
1.1.1 Globale Ursachen Zumindest in ernährungswirtschaftlicher Hinsicht befand sich das besetzte Deutschland
keineswegs in einem ökonomischen Vakuum. Weltweit sank die Nahrungsmittelproduktion
um bis zu 30% im Vergleich zur Vorkriegsproduktion; die europäische Produktion fiel
14
kriegsbedingt sogar um 40% im Vergleich zum Vorkriegsniveau zurück.28 Missernten in den
großen Getreideexport-Ländern Kanada, Australien, Argentinien und in den Donauländern
verstärkten diese Entwicklung noch zusätzlich.29 Erst mit den Rekordernten von 1947 in den
USA und in Kanada entspannte sich die Situation wieder.30
Die Ernährungskrise der Nachkriegszeit stellte also kein spezifisch deutsches Phänomen dar,
sondern war vielmehr in eine weltweite Produktionskrise eingebettet, die sich auf
verschiedene Teile Europas und Ostasiens erstreckte.31 Der durch Zusammenbruch und
Zerstörung erhöhte Importbedarf Deutschlands ging damit mit einem weltweit gesteigerten
Bedarf nach Importgütern einher. Da sich das Deutsche Reich auch vor dem Kriege nur zu
80% hatte selbst versorgen können, musste die Situation prekär werden, zumal das besiegte
Deutschland nicht auf eine bevorzugte Behandlung in der Zuweisung der Importe rechnen
konnte.32
1.1.2 Spezifisch deutsche Ursachen Abgesehen von diesem globalen Wirtschaftrahmen prägten zwei Faktoren die deutsche
Nachkriegswirtschaft und damit den allgemeinen Mangel: die Kriegszerstörung und die
alliierte Wirtschaftspolitik. Wie zu zeigen sein wird, waren die kriegsbedingten Zerstörungen
jedoch weit weniger ausschlaggebend für den Mangel der Nachkriegszeit, als zunächst
angenommen. Lediglich die Zerstörung der Verkehrswege sollte ursächlich zum Mangel der
Nachkriegszeit beitragen.
1.1.2.1 Kriegszerstörungen Angesichts der in Trümmern liegenden Städte schien ein schneller Wiederaufbau der
deutschen Industrie aussichtslos. Doch der Anschein des totalen Zusammenbruchs täuschte.
Unter den Trümmern waren je nach Industriezweig lediglich 10 bis 25% der Anlagen
zerstört.33 Schwerwiegender als diese direkten Kriegsschäden waren für die industrielle
Produktion die durch Bombenangriffe verursachten Verluste an Rohstoffvorräten sowie der
28 Stei 1992:5. 29 Stei 1992:5. 30 Stei 1992:12. 31 Klöckler, Jürgen. 1995a. Die Stadt Konstanz in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945-1947). Aspekte der Wirtschafts-, Sozial- und Verwaltungsgeschichte. Montfort 47, 216-230, hier 219; Stei 1992:5; Grebing, Helga, Peter Pozorski & Rainer Schulze. 1980a. Die Nachkriegsentwicklung in Westdeutschland 1945-1949. Band 1: Die Wirtschaftlichen Grundlagen. Stuttgart: Metzler. (= Studienreihe Politik, 7a), hier 26. 32 Stei 1992:6. 33 Abelshauser, Werner. 1983a. Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (1945-1980). Frankfurt am Main: Suhrkamp, hier 21. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:6. Die Bombenschäden erreichten damit nicht einmal den Umfang des Zuwachses des Industriepotentials von 1936-1943. Ebd.
15
Zusammenbruch des Verkehrsnetzes.34 Zudem hatte die Umstellung der deutschen Industrie
auf die Kriegswirtschaft eine tiefgreifende Strukturveränderung bewirkt, die zum einen das
Verhältnis zwischen Konsum- und Schwerindustrie zugunsten letzterer verändert hatte, zum
anderen eine starke Überalterung der Betriebsmittel in der Verbrauchsgüterindustrie zur Folge
hatte.35
Auch in der Landwirtschaft waren die direkten Kriegsschäden durch Bombenangriffe und
Kampfhandlungen zu Lande relativ gering.36 Die empfindlichste Einbuße stellte der Verlust
der Ostgebiete dar.37 Ostpreußen, Pommern und Schlesien hatten nicht nur ein Viertel der
gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche ausgemacht, sondern waren auch
Überschussgebiete gewesen. So hatte der Osten 1937 60% der Roggen-, 60% der Kartoffel-
und 70% der Zuckerrübenernte erzeugt.38 Diese Erträge fielen nun weg. Der Zustrom der
Flüchtlinge aus eben diesen Gebieten verschärfte die Situation noch zusätzlich, da nun über
10 Mio.39 mehr Menschen von der verbliebenen Nutzfläche ernährt werden mussten.40 Wie
auch die Industrie litt die Landwirtschaft aber weit mehr an veraltetem Gerät, für das
Ersatzteile fehlten, und an dem zusammengebrochenen Verkehrssystem.41
Das Schienen- und Straßennetz sowie die Wasserwege waren Schwerpunktziele der alliierten
Luftangriffe gewesen.42 Ein Übriges hatten die systematischen Zerstörungen der sich
zurückziehenden deutschen Truppen getan.43 Dementsprechend hoch waren die Zerstörungen
auf diesem Gebiet und im Gegensatz zu den Fliegerschäden an den industriellen Anlagen
wogen sie weit schwerer.
34 Abelshauser,Werner. 1975. Wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948. Rekonstruktion und Wachstumsbedingungen in der amerikanischen und britischen Zone. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, hier 152. (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 30). 35 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:6. 36 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:7. 37 Stei 1992:7; Gries, Rainer. 1991. Die Rationen-Gesellschaft. Versorgungskampf und Vergleichsmentalität: Leipzig, München und Köln nach dem Kriege. Münster: Westfälisches Dampfboot, hier 27; Freier, Anna Elisabeth. 1986. Über die „naturwüchsige“ Deckung von Frauenhandeln und Tagespolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Kuhn, Annette (Hg.). 1986. Frauen in der deutschen Nachkriegszeit. Band 2: Frauenpolitik, Quellen und Materialien. Düsseldorf: Schwann, 39-54. (= Geschichtsdidaktik, 22), hier 40; Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:7. Die Ostgebiete konnten demnach neben der eigenen Bevölkerung 5-7 Mio. Menschen ernähren. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:2. 38 Stei 1992:7. Die Ostgebiete waren außerdem Hauptlieferant für Saatgut gewesen. Auch hieran mangelte es der deutschen Landwirtschaft ab 1945, Stei 1992:8, Fn. 38. 39 Benz, Wolfgang. 1998. Deutschland 1945-1949. Besatzungszeit und Staatengründung. Informationen zur politischen Bildung 259, 3-50, hier 13; Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:15. 40 Stei 1992:7; Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:7. Am ungünstigsten wurde das Verhältnis von Bevölkerungszahl zu Anbaufläche durch den Flüchtlingszustrom in der BBZ. Gries 1991:28. 41 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:7ff. 42 Abelshauser 1975:151. 43 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:9; Abelshauser 1975:152.
16
So wiesen alle Einrichtungen der Eisenbahn - Bahnhöfe, Schienennetz sowie Lokomotiven
und Wagen - gravierende Bombenschäden auf.44 Das wenige verbliebene Material war durch
die starke Beanspruchung der Kriegsjahre zudem größtenteils reparaturbedürftig. Doch
fehlten auch hier Ersatzteile.45 Dem desolaten Zustand des Eisenbahnwesens stand der
erhöhte Transportbedarf der Nachkriegszeit gegenüber. Nicht nur Waren aller Art mussten
transportiert werden, sondern auch immer mehr Fahrgäste. Die Verteilung der Ostflüchtlinge
auf die Besatzungszonen, die Rückführung Evakuierter, die Repatriierung der nach
Deutschland verschleppten Zwangsarbeiter und nicht zuletzt die zahlreichen ‚Hamsterfahrten‘
sorgten für ein Personenaufkommen, das das Vorkriegsniveau bei gleichzeitigem
Materialrückgang46 um 20% überstieg.47
Auch das Straßennetz wies hohe Kriegsschäden auf. Zu den direkten Schäden durch
Bombenangriffe traten auch hier Wartungsprobleme durch mangelndes Material und veraltete
Maschinen hinzu. Zusätzlich erschwerte der dezimierte Bestand an Kraftfahrzeugen sowohl
den privaten wie auch den öffentlichen Güter- und Personentransport. In Ermangelung
einsatzbereiter Fahrzeuge war der private PKW-Verkehr größtenteils zum Erliegen
gekommen. Der öffentliche Nahverkehr hatte, wie der Schienenverkehr auch, trotz
allgemeinen Mangels an Treib- und Schmierstoffen sowie an Ersatzteilen noch zusätzlich mit
einem erhöhten Personenaufkommen zu kämpfen. Einem am Vorkriegsstand gemessenem
halbierten Fuhrpark stand eine verdoppelte Zahl an Fahrgästen gegenüber.48
Die stärkste Zerstörung durch Bombenangriffe erlebten die Städte, wobei die Schäden
regional stark differierten. Einzelne Städte, wie z.B. Konstanz, blieben ganz verschont,49
andere mussten starke Verluste hinnehmen. So war das nahe Friedrichshafen zu rund 50%
zerstört, Großstädte wie Köln und Hamburg zu rund 70%. 50
In den drei Westzonen waren 45% der Wohnungen total zerstört, der restliche Bestand zu
einem Großteil schwer beschädigt.51 Dies zog massive Raumprobleme nach sich, die durch
die Unterbringung der Flüchtlinge, entlassener KZ-Häftlinge und der Besatzungstruppen noch
verschärft wurden. Für das Leben der Bevölkerung bedeutete dieser Wohnungsmangel eine
starke Belastung.52
44 Abelshauser 1975:152. 45 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:10. 46 Ende 1945 waren im Gebiet der ABZ und BBZ nur noch rund 40% der Lokomotiven betriebsbereit, rund 30% des übrigen rollenden Materials war schadhaft. Abelshauser 1975:152. 47 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:11. 48 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:12. 49 Vgl. Kapitel 1.1.4.1. 50 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:14. 51 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:30. 52 Vgl. Kapitel 1.1.4.1.
17
Insgesamt gesehen blieben die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kriegszerstörungen in
Industrie und Landwirtschaft hinter den Befürchtungen zurück. Das zusammengebrochene
Verkehrssystem sollte jedoch zu einem der entscheidenden Faktoren des wirtschaftlichen
Zusammenbruchs werden.53
1.1.2.2 Wirtschaftspolitik der Alliierten Die Kriegszerstörungen in Deutschland waren also für den Mangel der Nachkriegszeit nur
bedingt verantwortlich. In anderen Ländern Europas setzte trotz ähnlicher
Ausgangsbedingungen unmittelbar nach Kriegsende ein wirtschaftlicher Aufschwung ein.54
Dieser Aufschwung blieb in Deutschland aufgrund der alliierten Wirtschaftspolitik aus.
Ausschlaggebend sollte vor allem die gescheiterte interalliierte Wirtschaftspolitik sein.
Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1944 hatten sich die ‚Großen Drei‘ - Churchill,
Roosevelt und Stalin - auf eine Teilung Deutschlands verständigt.55 Im Sommer 1945 wurden
diese Pläne auf der Konferenz von Potsdam mit dem Potsdamer Abkommen bestätigt und
konkretisiert.56 Das Deutsche Reich wurde in vier Besatzungszonen eingeteilt,57 die deutschen
Ostgebiete kamen unter polnische Verwaltung. Jede Besatzungsmacht errichtete in ihrer Zone
eine Militärregierung, die unter Leitung eines Militärgouverneurs stand. Hauptziele der
alliierten Besatzungspolitik waren Entnazifizierung, Demilitarisierung und Demokratisierung
der deutschen Gesellschaft sowie die Kontrolle über die deutsche Wirtschaft.58 Damit sollte
zum einen ein Wiedererstarken Deutschlands ausgeschlossen werden, zum anderen die
Reparationsleistungen Deutschlands an kriegsgeschädigte Länder gesichert werden.
Deutschland sollte keine zentrale Regierung erhalten, jedoch wirtschaftlich als Einheit
behandelt werden.59 Um diese wirtschaftliche Einheit zu sichern, und zudem ein einheitliches
Vorgehen der vier Besatzungsmächte, z.B. bei Demontagen, zu gewährleisten, war bereits auf
der Konferenz von Jalta die Bildung des Alliierten Kontrollrates beschlossen worden. Er
nahm im Juni 1945 seine Arbeit als oberstes Organ der alliierten Verwaltung Deutschlands
53 So konnten viele Industriezweige nicht produzieren, da die für den Betrieb der Maschinen erforderliche Kohle zwar, wenn auch in zu geringen Mengen, vorhanden war, aber nicht transportiert werden konnte. Vgl. Kapitel 1.1.2.1. Zu den Auswirkungen des Transportproblems auf die Versorgung der Bevölkerung mit Hausbrand vgl. Kapitel 1.1.4.3. 54 Vgl. Kapitel 1.1.2.2. 55 Dabei sollte das Deutsche Reich nicht in mehrere einzelne Staaten zerstückelt werden. Zwar wurde der Morgenthau-Plan offiziell nicht revidiert, doch zeichnete sich bereits eine gemeinsame Besatzung Deutschlands durch die Alliierten ab. Abelshauser 1983a:13. 56 Vgl. den Auszug des Potsdamer Abkommens in Grebing, Helga, Peter Pozorski & Rainer Schulze. 1980b. Die Nachkriegsentwicklung in Westdeutschland 1945-1949. Band 2: Politik und Gesellschaft. Stuttgart: Metzler. (= Studienreihe Politik, 7b), 12ff. 57 Zur Bildung der FBZ siehe Kapitel 1.1.3.2. 58 Die alliierten Vorstellungen waren dabei keineswegs einhellig. Zu den Differenzen in der Deutschlandpolitik vgl. Grebing/Pozorski/Schulze 1980b:4ff. Zur französischen Deutschlandpolitik vgl. Kapitel 1.1.3.2. 59 Vgl. den Auszug des Potsdamer Abkommens in Grebing/Pozorski/Schulze 1980b:14.
18
auf. Mitglieder des Kontrollrates waren die Militärgouverneure der vier Zonen, zur
Beschlussfassung war Einstimmigkeit erforderlich. 60
Die beiden Eckpfeiler der alliierten Wirtschaftspolitik - Reparationsansprüche und industrielle
Abrüstung zur Vermeidung einer erneuten deutschen Aggression - schlugen sich im ‚Plan für
die Reparationen und das Niveau der deutschen Nachkriegswirtschaft in Übereinstimmung
mit dem Berliner Protokoll‘, kurz ‚Industrieplan‘, vom 28. März 1946 nieder.
Die gesamte deutsche Wirtschaft stand damit unter alliierter Kontrolle. Jegliche
kriegswichtige Industrie wurde ausgeschaltet, andere Bereiche durften nur eingeschränkt
arbeiten. Das Industriepotential sollte auf den Stand von 1932 herabgesetzt werden, das heißt,
auf 70% des Standes von 1936.61
Zunächst stellte der ‚Industrieplan‘ keine Beschränkung der deutschen
Wirtschaftsentwicklung dar, da die allgemeine Lage 1946 sowieso keine höhere Auslastung
der Industriekapazitäten erlaubte.62 Zudem kam er nicht zur Verwirklichung, da bald klar
wurde, dass von falschen Voraussetzungen ausgegangen worden war.63
Der ‚Industrieplan‘ von 1946 ging wie das Potsdamer Abkommen vom Sommer 1945 davon
aus, „daß Deutschland als wirtschaftliche Einheit behandelt wird.“64 Sehr bald aber zeigte
sich, dass die Zonengrenzen auch wirtschaftliche Grenzen waren. Handel zwischen den Zonen
galt als Außenhandel, sämtliche Ein- und Ausfuhren mussten in einem komplizierten
Verfahren von Stellen der jeweiligen Militärregierungen genehmigt werden.65 Die Industrie
litt stark unter dieser Zerschlagung alter Handelsbeziehungen, denn die Zonengrenzen
erschwerten in ungeahntem Maße den Austausch sowieso schon knapper dringend benötigter
Rohstoffe und Halbwaren.66
60 Grebing/Pozorski/Schulze 1980b:7. 61 Abelshauser 1983a:19. 62 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:43. 63 So zeigte sich nach der Volkszählung im Oktober 1946, dass sich bereits 66 Mio. Menschen im Vierzonengebiet aufhielten, eine Zahl, die im ‚Industrieplan‘ für 1949 angenommen worden war und auf deren Grundlage alle weiteren Berechnungen vorgenommen worden waren. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:43f. 64 ‚Der Plan für die Reparationen und das Niveau der deutschen Nachkriegswirtschaft in Übereinstimmung mit dem Berliner Protokoll vom 28. März 1946‘, I.a). Zitiert nach Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:50. 65 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:48. Wie sehr diese Politik gerade auch die zivile Produktion hemmte, zeigt das Beispiel der Kunstdüngerversorgung. Lagerstätten und Erzeugungsorte der drei Komponenten zur Herstellung des Kunstdüngers - Kali, Stickstoff und Phosphorsäure - waren über alle vier Besatzungszonen verteilt. In der BBZ und in der SBZ befanden sich Kaligruben, Phosphorsäure wurde v.a. im Saar- und Ruhgebiet produziert und die FBZ besaß mit dem BASF-Werk in Ludwigsburg eine Anlage zur Stickstoffherstellung. Ein Austausch zwischen den Zonen kam jedoch nicht zustande, und so sank nicht nur die Kunstdüngerproduktion, sondern auch die Ernteerträge fielen immer schlechter aus. Denn jede Tonne Stickstoffdünger hätte einen Mehrertrag von 16 Tonnen Getreide oder 80 Tonnen Kartoffeln ergeben. Stei 1992:12. 66 Burchardt 1996:101.
19
Es wurde auch sehr bald klar, dass Deutschland keineswegs in der Lage war „nach Zahlung
der Reparationen (...) ohne Hilfe von außen zu existieren“.67 Die Besatzungszonen drohten
sich zu einem Verlustgeschäft für die Besatzer zu entwickeln. Amerikaner und Briten sahen
sich sehr bald gezwungen, ihre Zonen durch Hilfslieferungen zu unterstützen.68 Sie drängten
daher wiederholt zu einer wirtschaftlichen Vereinigung Deutschlands.69 Dies stand jedoch in
Gegensatz zur französischen Politik, die die Dezentralisierung der deutschen Wirtschaft als
Garant für die eigene Sicherheit sah. Zudem sahen sich die Franzosen nicht an die in Potsdam
getroffenen Vereinbarungen bezüglich der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands gebunden,
da sie an der Konferenz nicht teilgenommen hatten.70 Die Sowjets standen einer
wirtschaftlichen Einheit Deutschlands zunächst positiv gegenüber. Dem amerikanischen Plan
einer wirtschaftlichen Vereinigung der einzelnen Besatzungszonen stimmten sie dennoch
nicht zu.71
So wurde lediglich für die am 1.1.1947 zur Bizone vereinigten Zonen der Amerikaner und der
Briten im Sommer 1947 ein revidierter ‚Industrieplan‘ vorgelegt, der von weitaus
realistischeren Zahlen ausging und eine Industriekapazität von 90% des Standes von 1936
anstrebte. Die Franzosen hielten bis 1948 an einer eigenen Wirtschaftspolitik fest. Erst unter
dem Eindruck des sich verhärtenden Ost-West-Konfliktes gab Frankreich den
angloamerikanischen Interessen nach.72
Besonders nachteilig wirkte die Außenhandelspolitik der Alliierten auf die deutsche
Nachkriegswirtschaft. Vor dem Krieg hatten die deutschen Einfuhren zu 40% aus Rohstoffen
und 35% aus Nahrungsmitteln bestanden.73 Die Ausfuhren hingegen zu 77% aus
hochwertigen Fertigwaren und nur zu 10% aus Rohstoffen.74 Das Potsdamer Abkommen und
alle weiteren alliierten wirtschaftspolitischen Maßnahmen untersagten aber gerade die
Produktion derjenigen Industriezweige, die maßgeblich für den Export produziert hatten.75
Um die lebensnotwendigen Nahrungsmittel einführen zu können, mussten daher die drei
Westzonen Rohstoffe wie Kohle und Holz ausführen.76 Dies war schmerzhaft, da diese Güter
in Deutschland selbst dringend benötigt wurden. Zudem erhielt die deutsche Wirtschaft durch
67 ‚Der Plan für die Reparationen und das Niveau der deutschen Nachkriegswirtschaft in Übereinstimmung mit dem Berliner Protokoll vom 28. März 1946‘, 1.e). Zitiert nach Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:50 68 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:45. 69 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:45f. 70 Vgl. Kapitel 1.1.3.2. 71 Grebing/Pozorski/Schulze 1980b:132. Bestimmend für die sowjetische Politik war die Forderung nach der definitven Regelung der Reparationsfrage. Ebd. 72 Vgl. Kapitel 1.1.3.2. 73 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:49. Die Zahlen gelten für das Gebiet der Westzonen. 74 Abelshauser 1983a:30. 75 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:49. 76 Abelshauser 1983a:30.
20
den Export von Rohstoffen weit geringere Erlöse, als es durch den Verkauf von Fertigwaren
möglich gewesen wäre,77 zumal Kohle und Holz von den Besatzungsmächten weit unter dem
Weltmarktpreis verkauft wurden.78 Erst mit der Währungsreform, dem Greifen des
Marshallplanes und dem Abbau der nationalen und internationalen Handelsschranken
erreichten die deutschen Exporte wieder den Vorkriegsstand.79
Die Demontagen von Industrieanlagen, die zum Zwecke der Reparation von allen vier
Besatzungsmächten bereits ab Mai 1945 vorgenommen wurden, erbitterten und empörten die
Zeitgenossen ungemein.80
Zu besonders hohen Entnahmen kam es in der FBZ und in der sowjetischen Besatzungszone
(SBZ), da beide Besatzungsmächte nicht nur besonders hohe Kriegsschäden in den eigenen
Ländern zu beklagen hatten, sondern zudem im Abbau der deutschen Industrie ihr gesteigertes
Sicherheitsbedürfnis befriedigt sahen.81 Beide Besatzungsmächte hielten sich nicht an den im
ersten ‚Industrieplan‘ festgehaltenen Reparationsumfang. Sowohl Briten als auch Amerikaner
sahen das wirtschaftliche Gleichgewicht Deutschlands gefährdet, zumal die geschwächten
Zonen zur Aufrechterhaltung der Eigenversorgung Lieferungen aus der britischen (BBZ) und
aus der amerikanischen Besatzungszone (ABZ) benötigten, die wiederum auf Lieferungen aus
der FBZ und aus der SBZ angewiesen gewesen wären. Nur durch Hilfsmaßnahmen der
Amerikaner und Briten an ihre eigenen Zonen konnte diese Versorgungslücke ausgeglichen
werden.82 Da die Briten und Amerikaner zu Recht fürchteten, dadurch indirekt die
Reparationen an Frankreich und die Sowjetunion zu unterstützen, stellten sie im Mai 1946 die
Entnahmen aus ihren Zonen vorrübergehend ein und verfügten einen Ausfuhrstopp an die
FBZ und die SBZ.83 Das Postulat der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands war damit
77 Abelshauser 1983a:30. 78 Abelshauser 1983a:31; Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:49. Aufgrund solcher Befunde wird in der Forschung oft vermutet, dass die alliierte Wirtschaftspolitik nicht nur der Wiedergutmachung und industriellen Abrüstung, sondern auch dem Ausschalten deutscher Konkurrenten auf dem Weltmarkt dienen sollte. Vgl. Grohnert, Reinhard & Edgar Wolfrum. 1996. Demontagen, Kaufmonopol, Nahrungsmittelentnahmen. Französische Richtlinien zur Wirtschaftspolitik. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 230-238. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3), hier 232; Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:44. 79 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:49. 80 Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie hielten 1951 über 20% der Befragten die Demontagen für den „größten Fehler, den die Besatzungsmächte seit 1945 gemacht haben.“ Die Wirtschaftspolitik der Alliierten wurde damit als ausschlaggebender Faktor für das negative Bild der Besatzungsmächte in der deutschen Bevölkerung angesehen, vor Lebensweise und Auftreten der Besatzung (14%), der Entnazifizierung (6%) oder der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten (3%). Noelle, Elisabeth & Erich Peter Neumann (Hgg.). ²1956. Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1947-1955. Allensbach: Verlag für Demoskopie, hier 140. 81 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:44. 82 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:45. 83 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:45.
21
endgültig Makulatur. Die westlichen Besatzungsmächte kamen bald zu der Einsicht, dass eine
zu rigide Demontagepolitik letztlich kontraproduktiv wirken würde. Bis 1951 wurde die Zahl
der zu demontierenden Betriebe zunächst in der Bizone, dann auch in der FBZ sukzessive
verringert, so dass von ursprünglich 1800 für die Westzonen veranschlagten Betrieben nur
667 demontiert wurden.84
Der durch die Demontagen verursachte Schaden an der deutschen Wirtschaft war, wie die
Kriegszerstörung an Industrieanlagen, vor allem psychologischer Natur.85 Angesichts der in
Trümmern liegenden Produktionsstätten musste der Abtransport der verbliebenen Anlagen
wie eine zusätzliche Bestrafung erscheinen. Unter den gegebenen Umständen hätten die
Kapazitäten jedoch gar nicht genutzt werden können.86 In den Westzonen wirkten sich die
Demontagen kurzfristig nicht negativ auf die Volkswirtschaft aus, langfristig ermöglichten sie
ab 1948 mit Hilfe des Marshallplans eine Modernisierung der deutschen Industrieanlagen, die
unmittelbar zu dem wirtschaftlichen Aufschwung der 1950er Jahre beitrug.87
Im Rückblick zeigt sich also, dass die direkte Kriegszerstörung weit weniger Ursache des
allgemeinen Mangels der Nachkriegszeit war, als von den Zeitgenossen angenommen. Allen
Industriebereichen gemeinsam war das Problem der zerstörten Verkehrswege. Sonstige
Bombenschäden wirkten sich vor allem auf die Wohnungslage aus, weniger auf die
Industrieanlagen. Auch die alliierten Demontagen schwächten die deutsche Wirtschaft in
geringerem Umfang als es zunächst erschien. Viel gravierender waren zum einen das Verbot
ganzer Industriezweige, die für den Export produziert hatten, zum anderen die unfruchtbare
Zusammenarbeit der Besatzungsmächte auf wirtschaftlicher Ebene, die ihren Ausdruck in den
undurchlässigen Zonengrenzen fand.
Gerade für die Nahrungsversorgung hatte diese Politik verheerende Auswirkungen. Alle drei
Westzonen waren landwirtschaftliche Zuschussgebiete.88 Ein zentral geregelter
Nahrungsmittelaustausch über die Zonengrenzen hinweg wurde jedoch bald aufgegeben, da er
nicht funktionierte.89 Die Folge war eine überaus ungleichmäßige Verteilung des
Vorhandenen, die durch die Transportprobleme nur noch verstärkt wurde. Daher differierten
die abgegebenen Kalorienmengen teilweise erheblich zwischen den Zonen, aber auch
84 Abelshauser 1983:25; Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:46f. 85 Abelshauser 1983a:25. 86 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:47. 87 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:47. 88 Die SBZ war auf dem landwirtschaftlichen Sektor weitgehend autark. Vgl. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:3. 89 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:29.
22
zwischen Regionen in den Zonen selbst.90 So erhielten die Bewohner der ABZ Mitte 1946
1300 Kalorien täglich, in der BBZ kamen 1050 Kalorien zur Verteilung, in der SBZ 1083. In
der FBZ standen der Bevölkerung im gleichen Zeitraum nur rund 900 Kalorien täglich zur
Verfügung.91 Da auch die Kalorienmenge der ABZ die vom Völkerbund festgesetzte tägliche
Mindestmenge von 2.400-3.000 Kalorien unterschritt, stellte die in der FBZ zur Verteilung
gekommene Menge nicht mehr als eine Hungerration dar.
Die Ernährung war denn auch das dringlichste Problem der Nachkriegszeit, unablässig kreiste
das Denken der Menschen um dieses Thema. Die Besatzungsmächte stellten fest, dass die
Moral der Bevölkerung auf das Engste mit der Versorgungslage verknüpft war.92 Das alliierte
Ziel, die Deutschen zu Demokraten zu ‚erziehen‘, hatte unter diesen Bedingungen wenig
Aussicht auf Erfolg. Die Menschen hatten wenig Sinn für den demokratischen Neuaufbau,
solange sie mit der Beschaffung des Nötigsten beschäftigt waren.93 Die ungenügende
Ernährung hatte zudem einen negativen Einfluss auf die Volkswirtschaft. Die langanhaltende
Unterernährung schwächte die Menschen. Schätzungen gehen davon aus, dass die
Arbeitsausfälle infolge des Hungers zwar nicht ausschlaggebend für die erst langsam wieder
in Schwung kommende Konjunktur waren, sie aber doch durchaus behindert haben.94
Trotz der für die Zeitgenossen desperaten Lage setzte in den drei Westzonen unmittelbar nach
Kriegsende ein bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung ein, der nur in der Bizone von
einem Einbruch im Hungerwinter 1946/47 unterbrochen wurde.95 So erreichte die industrielle
Produktion 1946 in der Bizone wieder rund 40% des Standes von 1936 (35% in der BBZ,
45% in der ABZ), in der FBZ knapp 30%.96 Dennoch unterschied sich die Entwicklung in den
drei Westzonen wesentlich von der der übrigen europäischen Länder. Trotz teilweise gleicher
Kriegszerstörung hatte dort unmittelbar nach dem Krieg ein wirtschaftlicher Aufschwung 90 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:29. 91 Bosch 1988:92. 92 Wolfrum 1996a:65. 93 Wolfrum 1996a:64; Wolfrum, Edgar. 1996b. Eine »irgendwie sozialistische Grundstimmung«. Sozialdemokraten und Kommunisten. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 112-145. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3), hier 141; Kluge, Ulrich. 1988. Die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der sogenannten »Stunde Null« 1945. Das Beispiel Konstanz. In: Maurer, Helmut (Hg.). 1988. Die Grenzstadt Konstanz 1945. Konstanz: Südkurier, 12-21, hier 18. 94 Abelshauser 1975:138. Als Beispiel für die hohen Arbeitszeitausfälle seien hier die Zahlen aus der Konstanzer Firma Herosé genannt. Bei Herosé verdoppelten sich durch Krankheit und Entkräftigung infolge des Hungers die Arbeitszeitausfälle. 1939 entfielen 3,7 Arbeitstage von 100, 1946 7 von 100. Stei 1992:83. 95 Abelshauser 1983a:36. Der Einbruch im Winter 1946/47 wird maßgeblich auf den Kohlemangel zurückgeführt, der viele Betriebe still legte. Der Kohlemangel wiederum ging weniger auf unzureichende Förderung als vielmehr auf fehlende Transportkapazitäten zurück. Für die FBZ lässt sich der Einbruch im Winter 1946/47 nicht feststellen. Vgl. Abelshauser, Werner. 1983b. Wirtschaft und Besatzungspolitik in der Französischen Zone 1945-1949. In: Scharf, Claus & Hans-Jürgen Schröder (Hgg.). 1983. Die Deutschlandpolitik Frankreichs und die Französische Zone 1945-1949. Wiesbaden: Steiner, 111-140, hier 123. 96 Abelshauser 1975:38.
23
eingesetzt, so dass das Vorkriegsniveau (Stand 1938) bereits 1947 um rund 10% überschritten
wurde. Im gleichen Zeitraum lag die westdeutsche Produktion dagegen lediglich bei rund
50% des Standes von 1938. Gleichzeitig ist jedoch ab 1947 ein gleichbleibender Aufschwung
zu erkennen, der bis weit in die 1950er Jahre anhielt.97 Die deutsche Entwicklung stellt sich
demnach als eine Verzögerung des allgemeinen europäischen Aufschwungs dar.98
Die Gründe für diese Verzögerung lagen dabei weniger in der kriegsbedingten Zerstörung, die
ja auch in vielen anderen Ländern Europas die Ausgangslage 1945 geprägt hatten, als in der
Wirtschaftspolitik der Alliierten, die sowohl den Interzonenhandel als auch den Außenhandel
massiv beschnitt. Eine ausreichende Versorgung der Industrie mit Rohstoffen und Halbwaren
war dadurch unmöglich, so dass die vorhandenen Industriekapazitäten, die immerhin eine
Produktion auf dem Stand von 1936 erlaubt hätten, nicht voll ausgenutzt werden konnten.99
Der ab 1947 verstärkt einsetzende Aufschwung ist demnach auch vor allem auf eine
veränderte alliierte Politik zurückzuführen. Der sich abzeichnende Ost-West Konflikt und die
Erkenntnis, dass bei gleichbleibender Politik die Besatzungszonen auf lange Sicht
Zuschussgebiete bleiben würden, bewegte zunächst die Amerikaner, dann auch die Briten zu
einer Änderung ihrer restriktiven Wirtschaftspolitik. Zudem waren vor allem die Amerikaner
nicht länger daran interessiert, die deutsche Wirtschaft zu zerschlagen, sie sollte nun vielmehr
im Dienste westlicher Ideen wieder funktionstüchtig gemacht werden.100 Dies schlug sich
nicht nur in immer weiter verringerten Demontagezahlen aus, sondern vor allem in einer
Zunahme von Rohstoff- und Halbwarenlieferungen.101 Hinzu kam das seit 1947 laufende
Programm des Marshallplanes und die für 1948 vorgesehene Währungsunion.102 Nachdem
Frankreich seit 1947 ebenfalls amerikanische Wirtschaftshilfe aus dem Marshallplan erhielt,
konnten auch in der FBZ die Entnahmen aus der laufenden Produktion verringert werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die schlechte Ernährungslage der Nachkriegszeit
einerseits globale Ursachen hatte, andererseits aber durch spezifisch deutsche Faktoren
bedingt war. Die Abtrennung der Überschussgebiete im Osten bedeutete eine harte Einbuße.
Die wenig kooperative Politik der Alliierten tat zusammen mit den kriegsbedingten
Transportproblemen ein Übriges. Die Ursachen der schlechten Versorgung mit sonstigen
97 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:60. 98 Abelshauser 1975:19. 99 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:49. 100 Burchardt 1996:301. 101 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:67. 102 Zum Marshallplan vgl. Holzamer, Hans-Herbert. 1997. Der Marshallplan: Geschichte und Zukunft. Landsberg: Olzog. Zur Währungsreform vgl. Brackmann, Michael. 1993. Vom Totalen Krieg zum Wirtschaftswunder: die Vorgeschichte der westdeutschen Währungsreform 1948. Essen: Klartext.
24
Gütern finden sich zum einen in der Vernachlässigung der Konsumgüterindustrie während des
Krieges. Zum anderen verhinderte die alliierte Wirtschaftspolitik die Wiederaufnahme der
Außenhandelsbeziehungen, was zu akutem Rohstoffmangel und damit zu Produktionsstopp in
der Industrie führte. Die Unterbindung des Interzonenhandels erschwerte darüber hinaus den
Austausch mit Gütern unter den Zonen. Hinzu kamen die Belastungen der Industrie durch
Demontage und Reparationsleistungen, auch wenn sie vergleichsweise geringere Folgen
hatten als die Kontrolle der Handelsbeziehungen.
1.1.3 Zonenspezifische Ursachen: Die französische Zone Fragt man auf der Ebene der französischen Besatzungszone nach den Ursachen für den
allgemeinen Mangel der Nachkriegszeit, zeigt sich auch hier, dass weniger die
kriegsbedingten Zerstörungen als vielmehr die restriktive Besatzungspolitik Hauptursache der
Misere war. Dies wird besonders deutlich, da das Gebiet der FBZ im deutschlandweiten
Vergleich verhältnismäßig wenig Kriegszerstörungen erlitt. So waren z.B. die Verkehrswege
größtenteils unzerstört geblieben. Dieser vergleichsweise guten Ausgangslage stand jedoch
die ungleich härtere Wirtschaftspolitik der Franzosen und die ungünstige industrielle Struktur
der Zone gegenüber. Französische Wirtschaftspolitik und unzureichende industrielle
Infrastruktur führten im Verbund dazu, dass die Alltagsbedingungen in der FBZ weitaus
härter waren, als in der ABZ und der BBZ.
Im Folgenden soll nun zunächst die Ausgangslage und ökonomische Struktur der FBZ
umrissen werden. Im Anschluss daran wird ein Überblick über die französische Deutschland-
und Wirtschaftspolitik gegeben.
1.1.3.1 Ausgangslage und ökonomische Struktur der FBZ Mit nur 8,5 % der Fläche des Deutschen Reiches von 1937 stellte die FBZ die kleinste
Besatzungszone dar.103 Das Gebiet der FBZ verfügte mit den Kohlegruben und Stahlhütten
der Saar zwar über einen wichtigen Teil der gesamtdeutschen Wirtschaft, auch die chemische,
optische und lederverarbeitende Industrie war stark vertreten, in Bezug auf die
Lebensmittelproduktion jedoch waren alle Länder der Zone im gleichen Maße wie die Bizone
starke Zuschussgebiete.104 Lediglich bei Wein, Tabak und Obst waren vor dem Krieg
103 Abelshauser 1983b:112. Die FBZ verfügte außerdem über nur 8% der landwirtschaftllichen Nutzfläche von 1939, 8% der Bevölkerung von 1939 und 8% der Industriellen Produktion von 1936. Grebing/Pozorski/Schulze 1980:3. 104 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:3. Lediglich die SBZ war auf dem landwirtschaftlichen Sektor annähernd autark. Ebd.
25
Überschüsse produziert worden.105 Die Ausgangsbedingungen der FBZ waren auf dem
Ernährungssektor also bedenklich.
Auch die Versorgungslage mit allen anderen Gütern musste angesichts der industriellen
Infrastruktur bedenklich werden. Nach der Räumung von Karlsruhe und Stuttgart durch die
Franzosen im Sommer 1945 „war die französisch besetzte Zone ein großstadtarmes Gebiet,
überwiegend geprägt von Landwirtschaft und Kleinindustrie - mit Ludwigshafen wies die
Zone lediglich eine Großstadt auf, gleichzeitig Sitz der einzig nennenswerten
Großindustrie.“106 Das Industriepotential der Saar stand der Zone im Zuge der sukzessiven
Angliederung des Saarlandes an Frankreich in immer geringerem Maße zur Verfügung.107.
Das bereits bescheidene Industriepotential der FBZ verteilte sich darüber hinaus sehr
ungleichmäßig über die Länder der Zone.108 Rheinlandpfalz tat sich vor allem in der
chemischen Industrie hervor, Württemberg-Hohenzollern und Baden verfügten über eine
große Textilindustrie.109 Insgesamt gesehen war die FBZ jedoch in hohem Maße agrarisch
strukturiert. Dies galt in besonderer Weise für Südbaden, unter französischer Besatzung
‚Baden‘ genannt.110
Seiner agrarischen Infrastruktur verdankte Baden auch die geringe Aufmerksamkeit alliierter
Bombenangriffe. Nur rund 20% des Wohnungsbestandes von 1939 war durch alliierte
Bombenangriffe zerstört worden. Damit befand sich Baden auf dem vorletzten Platz der
Länderstatistik und gehörte zu den am verschontesten Gebieten Deutschlands.111 Auch die
Zerstörung der Verkehrswege war vergleichsweise gering. Nur 10% des Schienennetzes
waren beschädigt.112
Angesichts der Ausgangsbedingungen in Landwirtschaft und Industrie konnte die FBZ nicht
darauf hoffen, sich in hinreichender Weise selbst zu versorgen. Da das alliierte
Interzonenhandelsverbot jeden Austausch mit anderen Zonen erschwerte, musste es über kurz
oder lang zu Versorgungsengpässen kommen. Dies war umso schmerzlicher, da die Franzosen
ihre Wirtschaftspolitik mit besonderer Härte betrieben. Die vergleichsweise geringen
Kriegszerstörungen in der FBZ, vor allem aber in Baden, konnten angesichts dieser Politik
keine Erleichterung mehr verschaffen. 105 Stei 1992:15. Umgerechnet auf Gesamtdeutschland produzierte die FBZ 1939 40% des Tabaks und 75% des Weines. Ebd. 106 Bosch 1988:12. 107 Willis 1962:100. 108 Vgl. die Übersicht bei Willis 1962:104. 109 Willis 1962:104. 110 Vgl. Die geringe industrielle Produktion im Vergleich zu den anderen Ländern der Zone. Willis 1962:104. 111 Bosch 1988:54. In der BBZ waren über 50 %, in der ABZ 35% der Wohnungen zerstört. Vgl. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:30. 112 Bosch 1988:54. In der BBZ waren hingegen im Mai 1945 nur 1.000 von ehemals 13.000 km des Schienennetzes befahrbar. Abelshauser 1975:152.
26
1.1.3.2 Die französische Deutschland- und Wirtschaftspolitik Frankreich war erst spät zu den Siegermächten gestoßen. Erst auf der Konferenz von Jalta
wurde den Franzosen eine eigene Zone zugestanden, was vor allem auf Churchills
Unterstützung zurückzuführen war.113 Die FBZ entstand aus Gebietsabtretungen der
Amerikaner und der Briten.114 Darüber hinaus erhielten die Franzosen einen vollberechtigten
Platz im Alliierten Kontrollrat.115 Zur Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 waren die
Franzosen dennoch nicht geladen. Daher sah sich Frankreich auch nicht an die dort
getroffenen Vereinbarungen gebunden.116
Die französische Deutschlandpolitik war keineswegs einheitlich und klar umrissen, dennoch
lassen sich drei Schwerpunkte ausmachen. Zum einen herrschte auf französischer Seite nach
drei Kriegen, den langen Jahren der deutschen Besatzung und durch die räumliche Nähe zu
Deutschland ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis.117 Die französische Besatzungspolitik musste
sich daher verstärkt darauf ausrichten, ein militärisches und wirtschaftliches Wiedererstarken
Deutschlands von vornherein auszuschließen. Zum anderen sollten Frankreich aus dem
Unterhalt der Zone keinerlei Kosten entstehen, die Zone sollte sich nicht nur selbst
wirtschaftlich tragen, sondern auch das Besatzungspersonal ernähren. Schließlich sollte die
FBZ aber auch noch zur Versorgung und zum Wiederaufbau Frankreichs beitragen.118
Die Umsetzung der sicherheitspolitischen Ziele versprach man sich einerseits durch
Demontagen, andererseits durch eine starke Dezentralisierungspolitik.119 Die Bildung
jeglicher Zentralgewalt sollte unterbunden und damit ein Erstarken Deutschlands in
wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht verhindert werden. Zur Durchsetzung ihrer Politik
machten die Franzosen mehrfach von ihrem Vetorecht im Alliierten Kontrollrat Gebrauch.120
Da Einstimmigkeit Voraussetzung für die Beschlussfassung im Kontrollrat war, konnte
Frankreich durch seinen Einspruch zahlreiche Pläne zur Errichtung zentraler
Verwaltungsstellen kippen. Die Weigerung Frankreichs, seine Zone in die seit 1947
bestehende Bizone einzubeziehen, war ebenfalls Ausdruck der französischen
Dezentralisierungspolitik.121 Auch innerhalb der eigenen Zone verfolgten die Franzosen diese
Dezentralisierungspolitik. Dies zeigte sich unter anderem in dem für das zentralistisch
113 Bosch 1988:10. Churchill unterstützte die französischen Forderungen nach einer eigenen Zone, da er einen baldigen Rückzug der Amerikaner aus Europa wie 1918 befürchtete und in Frankreich einen europäischen Partner in der Verantwortung für Deutschland sah. Grebing/Pozorski/Schulze 1980b:4. 114 Abelshauser 1983a:13f. 115 Grebing/Pozorski/Schulze 1980b:4. 116 Burchardt 1996:51. 117 Abelshauser 1983b:113. 118 Burchardt 1996:60. 119 Burchardt 1996:51. 120 Abelshauser 1983b:19. 121 Burchardt 1996:216.
27
strukturierte Frankreich so untypischen Aufbau der Besatzungsverwaltung von ‚unten nach
oben.‘122 Aber auch die französischen Vorstellungen bezüglich der politische Rolle, die man
den Ländern der Zone zukünftig zudachte, zeugen von dieser Dezentralisierungspolitik.123
Die Demontage betrieben die Franzosen mit besonderer Härte. Nur die SBZ musste mehr
demontierte Betriebe verkraften. Der badischen Industrie gingen bis 1948 Maschinen im Wert
von rund 70 Mio. Reichsmark verloren.124 Bis in den Sommer 1946 demontierten die
Franzosen zahlreiche Industrieanlagen, ohne auf die Vereinbarungen des Alliierten
Kontrollrates und die technischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Betriebe Rücksicht zu
nehmen. Die betroffenen Betriebe erhielten auch keine Requisitionsscheine, so dass die
abtransportierten Maschinen unwiederbringlich verloren waren.125 Diese ‚wilden
Demontagen‘ führten zu zahlreichen Protesten, auch auf französischer Seite. Man befürchtete
einerseits Klagen der anderen reparationsberechtigten Staaten - vor allem Polens und der
Sowjetunion - andererseits Unruhen unter der Arbeiterschaft, die durch die rigide
Demontagepolitik Arbeitsplätze und damit die Existenzgrundlage verlor.126 Bis in den
Sommer 1947 wurde daher in geordneteren Bahnen demontiert. Die Entnahmen dieser
zweiten Demontagewelle wurden nun auf das Reparationskonto angerechnet und deutsche
Stellen hatten bei der Auswahl der zu demontierenden Maschinen ein Mitspracherecht.127
Eine dritte Phase begann mit der Veröffentlichung der Demontageliste für die FBZ im
November 1947. Jetzt erst sollte mit der eigentlichen Demontage, dem Abbau der deutschen
Wirtschaft auf 80% der Leistungsfähigkeit von 1936, begonnen werden.128 Nach den bereits
erfolgten Demontagen erschien diese verspätete ‚offizielle‘ Demontagewelle als ein Affront
und rief auf deutscher Seite zahlreiche Proteste hervor.129 Diese dritte Demontagewelle sollte
jedoch nicht die letzte bleiben. Nach dem ersten Marshallplan-Programm und der
122 Vgl. Kapitel 3.1. 123 Die Dezentralisierungsvorstellungen nahmen, im Nachhinein gesehen, teilweise recht kurios anmutende Formen an. So schwebte De Gaulle ein loser Staatenbund der südwestdeutschen Länder vor, die allenfalls wirtschaftlich miteinender verbunden und vom Rest Deutschlands abgetrennt sein sollten. Baden dachte er in diesem Staatenbund eine besondere Rolle zu, es sollte gewissermaßen als Trabantenstaat Frankreichs fungieren. Wolfrum/Fäßler/Grohnert 1996b: 287. Diese Pläne stießen gerade in Baden nicht auf taube Ohren. So hatte z.B. der badische Wirtschaftsminister Leibbrandt fast deckungsgleiche Pläne: die ‚Republik Baden‘ sollte sich politisch und wirtschaftlich an Frankreich orientieren und nur lose mit anderen süddeutschen Ländern verbunden sein. Vgl. Wolfrum, Edgar. 1996c. Individueller Versorgungskampf statt kollektiver Mitbestimmung? Die Arbeiterschaft und Wirtschaftsreformen. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 239-259. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3), hier 250f. 124 Grohnert/Wolfrum 1996:230f. 125 Grohnert/Wolfrum 1996:230. 126 Grohnert/Wolfrum 1996:230ff. 127 Grohnert/Wolfrum 1996:231. 128 Grohnert/Wolfrum 1996:231. 129 Grohnert/Wolfrum 1996:231. So trat beispielsweise die badische Regierung aus Protest gegen diese neuerlichen Demontageforderungen geschlossen zurück. Ebd.
28
Währungsreform 1948 schien die Gefahr einer neuen Demontagewelle gebannt. Umso mehr
schmerzte es, als im Juli 1948 die vierte Demontagewelle angekündigt wurde.130 Durch
Verhandlungen konnte eine Anzahl an Erleichterungen erreicht werden, zumal die
Militärregierung sehr wohl die Gefahr einer Revolte der Arbeiterschaft sah und den deutschen
Stellen Rückendeckung gegenüber Paris gab.131 Diese Demontagewelle sollte die letzte
bleiben. Trotz der hohen Verluste zeigte sich jedoch auch hier im Rückblick, dass die
Demontagen weit weniger umfangreich und schädigend waren, als es zunächst den Anschein
hatte.132
Besondere Verbitterung riefen bei den Zeitgenossen neben den Requisitionen von Fahrrädrn,
Wohnraum, Kleidung etc die Lebensmittelentnahmen der Besatzer hervor. Vor dem
Hintergrund der französischen Besatzungspolitik waren sie aber nur folgerichtig, wollte
Frankreich jegliche Besatzungskosten vermeiden. Die Lebensmittelentnahmen der Franzosen
verschärften zwar den allgemeinen Mangel, ausschlaggebend waren sie jedoch nicht.133 In den
Augen der hungernden Bevölkerung erschienen diese Entnahmen dennoch skandalös, da es
sich in erster Linie um hochwertige Nahrungsmittel wie Fleisch und Milchprodukte handelte -
Dinge, die nur noch selten den Weg auf die deutschen Teller fanden.
Ausschlaggebend für den im Vergleich zur Bizone doch großen Mangel an Nahrungsmitteln
und allen Gebrauchsgütern in der FBZ war wie auch für die gesamtdeutsche Wirtschaft die
Wirtschaftspolitik der Besatzungsmacht. Dass die Franzosen dabei mit besonderer Härte
vorgingen, ist in der Forschung unbestritten.134 Neben den Entnahmen und Demontagen
zeichnete sie sich durch zwei Charakteristika aus: dem französischen Kaufmonopol sowie
Vergünstigungen beim Export deutscher Industrieprodukte und Rohstoffe nach Frankreich in
Form von Preisnachlässen um 30-40%, bei Holz mehr als 80%.135 Dabei handelte es sich um
Güter, die in Deutschland selbst dringend benötigt wurden: Kohle, Holz, Elektrizität und
Stahl, sowie Werkzeugmaschinen und Erzeugnisse der feinmechanischen Industrie.136 Da
Frankreich auf diese Güter auch noch ein Kaufmonopol beanspruchte, durch die
Preisnachlässe aber unter dem Weltmarktpreis einkaufte, musste es über kurz oder lang zu
einer negativen deutschen Handelsbilanz kommen. Das generelle Einfuhrverbot der 130 Grohnert/Wolfrum 1996:232. Auch diese Demontagewelle führte zum Rücktritt der badischen Regierung. Ebd. Vgl. auch Burchardt 1996:190. 131 Grohnert/Wolfrum 1996:232. 132 Stei 1992:24, Fn. 13. 133 Schätzungen gehen davon aus, dass durch die französischen Lebensmittelentnahmen der Bevölkerung zwischen 10-15% (Grohnert/Wolfrum 1996:235; Klöckler 1995a:219) der täglichen Kalorienmenge verloren gingen, bzw. 46 (Grohnert/Wolfrum 1996:235), 176 (Stei 1992:24) oder 200 (Burchardt 1996:82) Kalorien täglich. 134 Klöckler 1995a:218. 135 Grohnert/Wolfrum 1996:233f. 136 Burchardt 1996:165.
29
Franzosen verschärfte die Lage weiter. Der Industrie fehlten nach Verbrauch ihrer Lager
dringend Rohstoffe, diese konnten aber nicht eingeführt werden, eigene Rohstoffe mussten
ausgeführt werden. 1947 schließlich erreichte das Handelsdefizit der FBZ 7,5 Millionen US-
Dollar.137 Gleichzeitig sah sich Frankreich durch einen Devisenmangel nicht einmal mehr in
der Lage, die verbilligten Exporte zu zahlen, so dass der Wirtschaft der FBZ rund 35
Millionen US-Dollar an Exporteinnahmen fehlten.138 Eine Öffnung der Zone für
kaufkräftigere Handelspartner schien unerlässlich.
So kündigte sich ab 1948 ein Wandel in der restriktiven französischen Wirtschaftspolitik an.
Die Zunahme des Ost-West-Gegensatzes ließ nun die Sowjetunion und nicht mehr
Deutschland als Gefahr Nummer 1 erscheinen. Das französische Sicherheitsbedürfnis
gegenüber Deutschland war damit nicht mehr der entscheidende Faktor französischer
Überlegungen. Eine wirtschaftliche Öffnung der Zone und eine weniger auf Dezentralisierung
ausgerichtete Politik waren die Folge. Sie mündete schließlich 1948 in der Teilnahme der
FBZ an der Währungsreform der drei Westzonen und an der Gründung der Bundesrepublik
Deutschland 1949. Möglich wurde dieser Umschwung vor allem, da Frankreich seit 1947
Hilfen aus dem Marshallplan erhielt. Die Franzosen bedurften daher zum einen nicht mehr so
hoher Entnahmen aus der Zone, zum anderen war Frankreich nun wirtschaftlich so stark von
den USA abhängig, dass es nicht weiter eigene Wege in der Besatzungspolitik gehen konnte.
1.1.4 Lokale Ursachen: Konstanz Auf lokaler Ebene werden die Auswirkungen der französischen Wirtschaftspolitik für das
Leben der Zeitgenossen besonders deutlich. Auch in Konstanz litt die Bevölkerung weit mehr
unter der restriktiven französischen Wirtschaftspolitik als unter kriegsbedingten Zerstörungen,
zumal Konstanz als eine der wenigen Städte völlig unzerstört geblieben war. Hier soll
zunächst die Lage geschildert werden, in der sich Konstanz zum Zeitpunkt der Besetzung
befand. Es wird zu zeigen sein, dass Konstanz dabei äußerst gute Ausgangsbedingungen hatte,
die sich aber im Laufe der Besatzungszeit in ihr Gegenteil verkehren sollten. Anschließend
soll anhand lokaler Beispiele näher auf die französischen Requisitionen und Demontagen
eingegangen werden. Den Abschluss des ersten Kapitels bildet eine Schilderung der
Alltagsnöte, mit denen sich die Konstanzer Bevölkerung konfrontiert sah.
137 Grohnert/Wolfrum 1996:235. 138 Grohnert/Wolfrum 1996:236f.
30
1.1.4.1 Die Ausgangslage Konstanz unterschied sich 1945 zunächst von allen anderen Städten der FBZ dadurch, dass es
völlig unzerstört geblieben war.139 Die Nähe zur Schweiz und der Status als Lazarettstadt
verschonten die Stadt zudem vor Kampfhandlungen bei der Besetzung durch die
Franzosen.140 Mit dem Einmarsch der Franzosen am 26. April 1945 schlugen diese Vorteile
jedoch in ihr Gegenteil um.
Zwar blieben der Stadt die aufwändigen und kostspieligen Trümmerbeseitigungen und
Wiederaufbauarbeiten erspart,141 die viele Städte Deutschlands neben den sonstigen
Nachkriegsproblemen zu bewältigen hatten, doch verlockte gerade die Unzerstörtheit und
landschaftlich schöne Lage dazu, hier nicht nur prächtige Paraden zu veranstalten,142 sondern
ein Zentrum der Besatzungsmacht einzurichten.143 So befanden sich 1945/46 rund 8.000
Angehörige der Besatzungsmacht in Konstanz.144 Sie beanspruchten bis 1948 rund 20% der
320.000 m², die in Konstanz als Wohnraum zur Verfügung standen.145 Damit hatte 1946 jeder
139 Nur wenige deutsche Städte teilten dieses Glück, so z.B. Kempten in der ABZ und Güstrow in der SBZ. In der BBZ war keine vergleichbare Stadt unzerstört geblieben. Vgl. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:14. Als Grund für die ausgebliebene Zerstörung in Konstanz wurde gerne angegeben, die Konstanzer hätten auf eine Verdunkelung verzichtet, so dass die Stadt für die alliierten Bomber nicht von der neutralen und daher hell erleuchteten schweizer Nachbarstadt Kreuzlingen zu unterscheiden gewesen wäre. Diese nette Geschichte lässt sich allerdings nicht mehr aufrecht erhalten. Die Schweiz hatte bis in den September 1944 sehr wohl verdunkelt, so dass ein erleuchtetes Konstanz deutlich herausgestochen wäre. Moser, Arnulf. 2002. Konstanz und die Grenzlage im 20. Jahrhundert. In: Rosgartenmuseum Konstanz (Hg.). 2002. Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Erschienen anlässlich der Ausstellung „Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Vom Hitlergruß zum Petticoat. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960.“ Konstanz: Konstanzer Museumsjournal, 49-59, hier 54. Der Grund für die ausgebliebene Bombadierung ist vielmehr in der Tatsache zu suchen, dass die Alliierten keinerlei Informationen über Konstanz besaßen und es demnach auch nicht als Ziel ihrer Angriffe sahen. Burchardt, Lothar. 2002b. Arbeit und Beruf in Konstanz. In: Rosgartenmuseum Konstanz (Hg.). 2002. Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Erschienen anlässlich der Ausstellung „Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Vom Hitlergruß zum Petticoat. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960.“ Konstanz: Konstanzer Museumsjournal, 116-124, hier 121. Friedrichshafen hingegen stand auf Platz 10 der alliierten Bomberangriffsliste. Rügert, Walter. 1996. 50 Jahre nach Kriegsende. Von der »Stunde Null« zum »Anschwellenden Bockgesang« - Der Umgang mit der Erinnerung. Konstanzer Allmanach 42, 19-22, hier 19. 140 Burchardt 1996: 14; Klöckler 1995a:216. Im Vorfeld der Übernahme der Stadt durch die Franzosen war es zu geheimen Verhandlungen deutscher, schweizer und französischer Verantwortlicher gekommen, die eine kampflose Übergabe der Stadt vereinbart hatten. Burchardt 1996:14; Schoop, Albert. 1988. Die Ereignisse im Frühjahr 1945, von der Schweiz aus gesehen. In: Maurer, Helmut (Hg.). 1988. Die Grenzstadt Konstanz 1945. Konstanz: Südkurier, 65-79, hier 76. 141 Burchardt 1996:19. Die zerstörten badischen Städte waren auf staatliche Hilfe angewiesen, die das Land wegen der hohen Besatzungskosten nicht leisten konnte. So zog sich der Wiederaufbau über viele Jahre hin. Burchardt 1996:61. 142 Vgl. Kapitel 3.2.2. 143 In Konstanz befanden sich außer der Garnison der Besatzungstruppen auch die Stellen der Militärregierung für den Stadt- und den Landkreis Konstanz. Zum Aufbau der Militärregierung in Konstanz vgl. Kapitel 3.1.2. 144 Klöckler 1995a:220. 145 Klöckler 1995a:220. Die Zahl der Wohnungen beschreibt den Stand 1950. Da aber bis 1950 kaum gebaut wurde und die Stadt keine Verluste an Wohnraum aufzuweisen hatte, kann diese Zahl auch für die Jahre 1945-1949 angenommen werden. Erst mit dem Greifen des Marshallplanes und dem Boom nach der Korea-Krise kam es auch in Konstanz verstärkt zu einem Wohnungsbau. Klöckler, Jürgen. 2002b. Die Entwicklung und das Wachstum der Stadt Konstanz zwischen 1920 und 1960. In: Rosgartenmuseum Konstanz (Hg.). 2002. Mager
31
Franzose durchschnittlich 9,1 m² zur Verfügung, der deutschen Zivilbevölkerung blieben pro
Kopf lediglich 4,8 m².146 Noch 1950 lagen die Konstanzer mit 7,4 m² pro Kopf um zwei m²
unter dem südbadischen Schnitt und nahmen damit den letzten Platz der Statistik ein.147 Daran
änderte sich bis weit in die 1950er Jahre wenig, da die Franzosen ab 1950 zwar nur noch rund
10% der Wohnungen in Beschlag hielten,148 die Konstanzer Bevölkerung infolge der nun
eintreffenden Ostflüchtlinge aber anstieg.149 Trotz dieser im badischen Schnitt so schlechten
Konstanzer Zahlen muss jedoch bedacht werden, dass die Konstanzer zwar äußerst beengt,
jedoch in unzerstörten und - wenn Brennmaterial vorhanden war - heizbaren Räumen
lebten.150 Zudem handelt es sich bei allen Werten um Durchschnittswerte, die wenig über die
tatsächlichen Verhältnisse aussagen. So kann man davon ausgehen, dass den Angehörigen der
Militärregierung und ihren Familien rund 15 m² pro Person zur Verfügung standen, da ein
Großteil des Besatzungspersonals in Kasernen untergebracht war.151 Die Konstanzer
verfügten ebenso wenig alle über den gleichen Wohnraum. Geht man davon aus, dass einige
Bürger weit mehr Platz zur Verfügung hatten, ergibt sich zwangsläufig, dass viele mit noch
weniger als den durchschnittlich angegebenen Werten auskommen mussten.152 Die räumliche
Enge, die dadurch für viele Menschen zur alltäglichen Erfahrung wurde, ist heute kaum noch
vorstellbar.153 Tägliche Reibereien zwischen den Familienangehörigen dürften aufgrund der
Enge keine Seltenheit gewesen sein.
Die Bevölkerung lebte in ständiger Angst vor Wohnungsrequisitionen. Dies schlug sich auch
in den Quellen nieder. Der Konstanzer Handwerker Karl Leo Nägele schildert in einer
‚Plauderei‘ die Requisition seiner Wohnung. Das bange Hoffen, verschont zu bleiben, das
befürchtete Klingeln an der Haustür, die Ausweisung innerhalb weniger Stunden unter
Mitnahme nur weniger Gegenstände und schließlich die verzweifelte Suche nach einer neuen
Bleibe. Im Falle Nägeles eine baufällige Kammer im selben Haus, die er mit seiner Frau
und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Erschienen anlässlich der Ausstellung „Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Vom Hitlergruß zum Petticoat. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960.“ Konstanz: Konstanzer Museumsjournal, 20-48, hier 47. 146 Klöckler 1995a:221. 147 Klöckler 1995a:221. Auch im Vergleich mit der gesamten FBZ schnitten die Konstanzer schlecht ab: 1946 standen jedem Deutschen in der FBZ durchschnittlich 9,4 m² zu. Vgl. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:30f. 148 Die letzte beschlagnahmte Wohnung wurde erst 1956 freigegeben. Burchardt 1996:270. 149 Klöckler 1995a:221. Vgl. Kapitel 2.2.1. 150 Zur Versorgung mit Hausbrand vgl. Kapitel 1.1.4.3 und 1.2.4.2. 151 Klöckler 1995a:220f. 152 Burchardt 1996:269. 153 Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person betrug in (West-)Deutschland 1994 35 m². Vgl. Klöckler 1995:221.
32
teilte.154 Bei Nägele schimmert auch durch, was viele Zeitgenossen bewegte: das Gefühl,
ungerecht behandelt zu werden. „Ich fand eben keinen ausreichenden Grund für die
Requisition, weil ich nichts Unrechtes getan hatte und zeitlebens hilfsbereit war.“155
Verschärft wurde die Wohnsituation wie auch die allgemeine Versorgungslage zunächst noch
durch die Flüchtlinge und Verwundeten, die Konstanz als grenznahe Lazarettstadt in den
letzten Kriegsmonaten aufgenommen hatte. Die Bevölkerung hatte sich 1945 im Vergleich
zur Bevölkerungszahl von 1939 fast verdoppelt. Zu den ca. 38.000 Konstanzern kamen
zwischen 10.000 und 20.000 Wehrmachtsangehörige, darunter rund 5.000 Verwundete,156 und
rund 20.000 Evakuierte und Flüchtlinge, darunter auch rund 2.000 Ausländer,157 sogenannte
‚Displaced Persons‘, sowie illegal Zugezogene, so dass sich im Mai 1945 an die 70.000
Menschen in der Stadt befanden.158 Durch eine schnelle Rückführung aller ‚Nicht-
Konstanzer‘ konnte die Bevölkerungszahl bis Januar 1946 zwar wieder auf rund 39.000
zurückgeschraubt werden,159 bis dahin bedeutete aber die Überfüllung eine hohe Belastung
für die Stadt.
Die Nähe zur Schweiz entpuppte sich auch in anderer Hinsicht als negativer Faktor. Konstanz
befand sich zum einen in der fünf Kilometer tief entlang der Schweizer Grenze gezogenen
‚zone interdite‘, die nur mit Sondergenehmigungen, sogenannten ‚laissez-passers‘ betreten
oder verlassen werden durfte.160 Zum anderen war jeglicher Verkehr über den Bodensee
verboten,161 so dass sich die Konstanzer in einer äußerst isolierten Situation wiederfanden.162
Durch die für Deutsche seit der Besetzung hermetisch geschlossene Grenze nach Kreuzlingen
ging den Konstanzern nicht nur ein während des Krieges immer noch offengestandener
Informationskanal verloren,163 sondern vor allem das dringend benötigte Gemüse, das
Konstanzer Bauern auf dem jenseits der Grenze liegenden, aber sich im Besitz der Stadt
154 Nägele 1988:57ff. Wie sehr die Angst vor der Ausweisung aus den eigenen vier Wänden die Menschen beherrschte, zeigt auch das Tagebuch des Konstanzers H. Schilderungen von Ausweisungen der Nachbarn und die Angst, selbst bald die Wohnung verlassen zu müssen, ziehen sich durch das ganze Werk. Vgl. Tagebuch H. 155 Nägele 1988:59. Der große Bedarf der Franzosen machte bald klar, dass der ursprüngliche Plan deutscher Behörden und der Antifas, nur belastete Nationalsozialisten zu Requisitionen heranzuziehen, nicht aufrecht erhalten bleiben konnte. Spätestens ab Juli 1945 wurde die Last auf die gesamte Konstanzer Bevölkerung verteilt. Klöckler 1995a:218. In der Bevölkerung stieß das auf Unverständnis und trübte das deutsch-französische Verhältnis erheblich. Man fühlte sich beraubt und ungerecht behandelt. Burchardt 1996:32; Wolfrum 1996a:60. Vgl. Kapitel 3.3.1. 156 Kluge 1988:13. 157 Burchardt 1996:70. 158 Stei 1992:41. 159 Klöckler 1995a:217. Vgl. Kapitel 2.3.1. 160 Bosch 1988:47. 161 Dietrich, Agnes. 1966. Das geschah in Konstanz 1945-1966. Zwei Jahrzehnte Zeitgeschehen. Konstanz: Südkurier, hier 24. 162 Burchardt 1996:33. Zum Lebensgefühl unter den Bedingungen dieser Grenzlage vgl. Kapitel 3.2.2. 163 Burchardt 1996:25. Vgl. Kapitel 3.2.2.
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befindenden Tägermoos anbauten. Erst 1947 wurde die Grenze für einen eingeschränkten
‚Kleinen Grenzverkehr‘ und damit auch für die Gemüsebauern wieder geöffnet.164
Die Nähe zur Schweiz brachte jedoch nicht nur Nachteile mit sich. Konstanz profitierte über
viele Jahre hinweg von zahlreichen schweizer Hilfsaktionen, unter anderem mehrere
Schulspeisungen.165 Gerade Kindern musste so die Schweiz wie ein unerreichbares
Schlaraffenland erscheinen. Der in Konstanz aufgewachsene Franz Schäfer, damals 12 Jahre
alt, erinnert sich:
Kreuzlingen war mir völlig unbekannt und unerreichbar. Von der Seestraße schaute man zum Schweizer Ufer wie nach einem fremden, verbotenen Paradies. Erst nach Jahren gab es Tagespassierscheine dort hin. Eine Cousine meiner Mutter durfte in der Schweiz arbeiten. Sie konnte uns Kaffe und Sacharin schenken. Das waren exotische Dinge.166
Die Grenzlage brachte Konstanz also sowohl Vor- wie Nachteile, wobei die Nachteile wie
gezeigt wurde überwiegen sollten. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass sich Konstanz
trotz dieser für die Nachkriegszeit misslichen Grenzlage durchaus in einer privilegierten
Position wiederfand: da ihre Stadt unzerstört geblieben war, blieb den Konstanzern das
Schicksal der Ausgebombten und Flüchtlinge erspart.
1.1.4.2 Requisitionen und Demontage Konstanz unterschied sich in wirtschaftpolitischer Sicht nicht von den übrigen Städten der
FBZ. Auch hier sorgte kriegsbedingte Veralterung von Maschinen, Kleidung etc. im Verbund
mit der französischen Wirtschaftspolitik für eine trostlose Lage.
Als direkte Auswirkung dieser Wirtschaftspolitik erlebten die Bürger die Requisitionen, die
unmittelbar nach der Besetzung einsetzten. Requiriert wurde neben Wohnraum und
Nahrungsmitteln alles, was die Besatzungstruppen zur Deckung ihrer Bedürfnisse benötigten,
Möbel, Hausrat, Fahrzeuge aller Art, auch Fahrräder, Brennmaterial etc. Hinzu kamen
Requisitionen, die im eigentlichen Sinne Reparationsleistungen waren, denn sie dienten nicht
mehr dem Unterhalt der Truppe, sondern waren zum Transport nach Frankreich bestimmt:
Uhren, Ferngläser, Foto- und Radioapparate, Musikinstrumente u.a. Auch der Bedarf befreiter
KZ-Häftlinge wurde über die Requisitionen gedeckt.167
Franz Schäfer schildert den Verlust eines Sessels im lapidaren Ton der alltäglichen Erfahrung:
164 Burchardt 1996:212. Die hermetisch geschlossene Grenze sollte wohl auch verhindern, dass zuviel schlechte Nachrichten aus der FBZ in die Schweiz gelangten. Die Schweizer Presse kommentierte teilweise recht scharf die Verhältnisse in Konstanz und der FBZ. Vgl. Moser, Arnulf. 1995. Konstanz Mai 1945 - Französische Besatzung in Sichtweite der Schweiz. Rorschacher Neujahrsblatt 85, 25-30. 165 Burchardt 1996:88f,180f. 166 Schäfer 1997:141. 167 So mussten im Sommer 1945 innerhalb 24 Stunden 500 Männeranzüge, 500 Männerhemden, sowie Unter- und Nachtwäsche für die ehemaligen KZ-Häftlinge, die sich auf der Reichenau zur Erholung befanden, aufgebracht werden. Klöckler 1995a:218. Vgl. Buchwald, Carola et al. 1994. Die Reichenau im Sommer 1945. Erholung für KZ-Häftlinge aus Dachau - Evakuierung der Einwohner. Konstanz: Hartung-Gorre.
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Ein andermal [sic!] gab es Requisitionen von Möbeln und Hausgerät. Bei meinen Eltern wurde ein Sessel beschlagnahmt, der zur Möblierung einer Tribüne anläßlich von Militärparaden gebraucht wurde. (...) Unser Sessel kam natürlich nie zurück.168
Zunächst gingen diese Entnahmen mehr oder weniger ‚wild‘ vor sich, auch nach der
Einrichtung des zentralen Requisitionsamtes am 30. April 1945 kam es weiter zu
willkürlichen Requisitionen einzelner. Erst ab dem Herbst 1945 wurden bei Requisitionen
sogenannte ‚Requisitionsscheine‘ ausgestellt, die dem Inhaber einen finanziellen Ausgleich
zusicherten.169 Das Requisitionsamt war dafür zuständig, die von französischer Seite
gewünschten Güter zu beschaffen. Der französische Bedarf war enorm. 1946 erhielt das Amt
300 Aufträge pro Monat.170 Die Zahl der Aufträge ging bis 1949 zwar auf monatlich 150
zurück, aber nicht nur, weil der französische Bedarf geringer geworden wäre, sondern weil es
teilweise schlicht nichts mehr zu holen gab. So wurde es für das Requisitionsamt immer
schwieriger, das Gewünschte zu beschaffen. Die Requisitionen verschärften den allgemeinen
Mangel sehr. Da es weder für Geld noch auf Bezugsschein etwas zu kaufen gab waren für
ihren ehemaligen Besitzer alle Güter unwiederbringlich verloren.
Die Entnahmepolitik der Besatzungsmacht erreichte Konstanz erst mit der zweiten
Demontagewelle im September 1947. Die Konstanzer Industrielandschaft war hauptsächlich
von der Textilindustrie geprägt, daneben gab es noch einige Metall- und Elektrobetriebe,
sowie eine kleine chemische Industrie.171 Erst im Zuge des sich ausweitenden Luftkrieges
waren rüstungsrelevante Betriebe nach Konstanz gekommen, um im weniger gefährdeten
Konstanz zu produzieren. Diese Betriebe waren nun auch hauptsächlich von der Demontage
betroffen.172 Die Firmen Funkstrahl, Häusler und Schwarzwald Flugzeugbau wurden
vollständig, Degussa und die Rieterwerke teilweise montiert.173 Damit waren nur fünf der
insgesamt 60 Konstanzer Industriebetriebe von der Demontage in Mitleidenschaft gezogen,174
insgesamt blieb so der Stadt eine Totaldemontage ganzer Industriezweige wie etwa in
Friedrichshafen oder Villingen erspart.175 In allen anderen Bereichen unterschied sich die
Lage der Konstanzer Industrie jedoch nicht von der in anderen Städten der FBZ. Auch hier
168 Schäfer 1997:139f. 169 Klöckler, Jürgen. 1995b. Zivilbevölkerung und französische Besatzung am Bodensee im Jahr 1945. Rorschacher Neujahrsblatt 85, 31-36, hier 34. Die Entschädigung der Bürger geschah durch die Stadt, die sich das Geld ihrerseits vom Land holte. Das Land wiederum musste diesen Posten aus den Steuereinnahmen bestreiten. Insgesamt wurden so in der FBZ zwei Drittel der Steuereinnahmen zur Finanzierung der Requisitionen verwendet. In der ABZ und BBZ belief sich die Summe lediglich auf ein Drittel der Steuereinnahmen. Burchardt 1996:60. 170 Klöckler 1995a:218. 171 Klöckler 1995a:222. 172 Klöckler 1995a:222. 173 Burchardt 1996:190. 174 Burchardt 1996:191. 175 Burchardt 1996:190; Grohnert/Wolfrum 1996:232; Bosch 1988:156ff.
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war durch die Auswirkungen der französischen Wirtschaftspolitik nur eine eingeschränkte
Produktion möglich. So fehlte Kohle für den Betrieb dampfgetriebener Maschinen und auch
der Strom, der von der Schweiz geliefert wurde, war rationiert.176 Allenthalben machte sich
auch der durch die beschnittenen Außenhandelsbeziehungen verursachte Rohstoffmangel
bemerkbar.177 Zudem blieb fast kein Konstanzer Betrieb von Requisitionen verschont.178
Diese Entnahmen, teilweise als ‚Restitution‘ geraubter französischer Anlagen ausgegeben,
waren Teil der ersten Demontagewelle, der sogenannten ‚wilden Demontagen‘. Auch 1947
hatte sich an der Situation wenig geändert. Hinzu kam jetzt aber noch die durch die
fortdauernd schlechte Ernährung erheblich reduzierte physische Leistungsfähigkeit der
Mitarbeiter, die durch Krankheitsausfälle und Zeitverluste durch ‚Hamsterfahrten‘ noch
vermindert wurde.179 Einen Großteil der Energie verwandten die Firmen denn auch darauf,
über Kompensationsgeschäfte Nahrungsmittel für ihre Belegschaften zu besorgen.180
Alle diese Punkte trafen auch auf das Handwerk zu. Zwar waren die handwerklichen Betriebe
nicht von der Demontage betroffen, und hatten auch keine auswärtigen Geschäftskontakte.
Doch auch hier machte sich der Rohstoffmangel schmerzhaft bemerkbar.181 Eine Produktion
war demnach kaum möglich.
Abschließend lässt sich sagen, dass Konstanz unter den Demontagen weit weniger zu leiden
hatte, als andere vergleichbare Städte. Dies wirkte sich vor allem auf den Arbeitsmarkt positiv
aus. Darüber hinaus unterschied sich Konstanz jedoch nicht von anderen Städten. Der
allgemeine Mangel erschwerte auch hier jede industrielle und handwerkliche Produktion.
1.1.4.3 Alltagssorgen der Bevölkerung Die Bevölkerung erfuhr die Requisitionen als direkten Eingriff in die persönliche Sphäre. Die
weiteren Auswirkungen der französischen Wirtschaftspolitik waren weniger unmittelbar
erfahrbar, doch nicht weniger schmerzhaft. Der Nachkriegsalltag war durch Demontagen und
Handelsbeschränkungen in allen Bereichen des Lebens von Rohstoffmangel und
Energieknappheit geprägt. Gebrauchsgüter wurden immer knapper, die Lebensmittelrationen
immer kleiner. Um den Alltag zu bewältigen, war daher ein hohes Maß an Improvisation
nötig. Im Folgenden soll geschildert werden, welche Probleme den Alltag der Nachkriegszeit
176 Burchardt 1996:102. Vgl. Kapitel 1.2.4.3. 177 Burchardt 1996:102. 178 Burchardt 1996:102. 179 Burchardt 1996:191; Wolfrum 1996c:246. 1946 fielen in der Konstanzer Firma Herosé 7 Arbeitstage von hundert wegen Krankheit und Erschöpfung aus. 1939 waren es nur 3,7 von hundert gewesen. Stei 1992:83. 180 Burchardt 2002b:122. So tauschte Funkstrahl beispielsweise Radios aus eigener Produktion bei Alusingen gegen Aluminium ein, aus dem Kochtöpfe und Bratpfannen hergestellt wurden, für die wiederum Berufskleidung und Nahrungsmittel eingetauscht wurden. Burchardt 1996:86. 181 Burchardt 1996:103.
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beherrschten und wie die Konstanzer Bevölkerung damit umging. Es wird zu zeigen sein, dass
die immense Belastung, die das tägliche Improvisieren unter schwierigsten Bedingungen mit
sich brachte, die Menschen gereizt und nervös machte. Für dieses Kapitel wurden in höherem
Maße als bisher Konstanzer Quellen verwendet. Es handelt sich dabei neben den bereits
zitierten Erinnerungen Nägeles und Schäfers vor allem um ein Tagebuch, das ein Konstanzer
Zeichenlehrer zwischen 1945 und 1948 verfasste, sowie um die von Gert Zang
veröffentlichten Briefe einer Reichenauerin an ihre Mutter.182 Als besonders ergiebig
erwiesen sich die Akten des Konstanzer Stadtarchivs (StA KN). Vor allem aus den
Beschwerdenbriefen an das Wirtschafts- und Ernährungsamt (WEA) ließen sich zahlreiche
Schlüsse über die alltäglichen Sorgen der Menschen ziehen.
Der Mangel der Nachkriegszeit reichte in alle Bereiche des Lebens hinein. Glücklich war, wer
ein Paar funktionstüchtige Schuhe besaß. Reparaturen waren kaum möglich, da es an Leder
fehlte,183 neue Schuhe waren demnach so gut wie gar nicht zu bekommen. Wer wie Franz
Schäfer aus geplünderten Wehrmachtsbeständen ein Paar „uralte, ausgetretene
Soldatenstiefel“184 besaß, war fein heraus. Ansonsten hatte man „Holzsohlen, Klepperle
genannt, über die der Vater Riemen aus alten Rolladengurten genagelt hatte, oder man lief
barfuß.“185 Gerade die ‚Schuhfrage‘ wurde zu einem der dringlichsten Probleme der
Nachkriegszeit, da sich die vorhandenen Bestände durch die zahlreichen Kriegssammlungen,
die Requisitionen und nicht zuletzt durch die Abnutzung des Materials zusehends
erschöpften.186 Zudem mussten die meisten Gänge zu Fuß zurückgelegt werden, da ein
regelmäßiger Auto- und Busverkehr erst 1949 wieder in Gang kam, was die ohnehin
altersschwachen Schuhe weiteren Belastungen aussetzte. 1947 wurden denn auch Schuhe
neben Fahrradbereifung in den Klagen der Menschen am häufigsten genannt.187
Ähnlich verhielt es sich bei der Kleidung. Auch hier waren die Bestände aufgrund zahlreicher
NS-Sammlungen und französischer Requisitionen annähernd erschöpft. Selbst das Flicken,
Wenden oder Umschneidern von Kleidung war kaum möglich, da Kurzwaren aller Art
182 Tagebuch H.; Zang 1995. 183 So konnte ein Schuster mit dem vorhandenen Leder nur etwa jedem hundersten Kunden die Schuhe besohlen. Burchardt 1996:104. 184 Schäfer 1997:139. 185 Schäfer 1997:139. 186 Burchardt 1996:90. 187 StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950.
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fehlten.188 Dennoch wurden beispielsweise aus Herrensocken Kinderunterhosen
geschneidert,189 aus „rettungslos durchgelaufenen Socken neue“ gestrickt.190
Der Tagebuchschreiber H. gibt vom desolaten Zustand der Kleidung und den damit
verbundenen Sorgen eine so anschauliche Schilderung, dass sie hier in voller Länge zitiert
werden soll.
„Der Kragen ist infolge des viele Jahre alten Anzugs jeden Abend derart schmutzig, daß ich von Rechts wegen allmorgendlich einen frischen anziehen müßte. Man ist aber schon längst nicht mehr so heikel, besonders da man auch auf den Verschleiß und Waschmitteleinsparung achten muß. Weitaus die meisten Kragen sind zerrissen und an eine Neuanschaffung ist bei dem völligen Ausgekauftsein der Geschäfte durch die Besatzung bis auf weiters nicht zu denken. Die Krawatte, die dann daran kommt, ist schon viele Jahre alt und ziemlich fadenscheinig, so daß man sehr darauf achten muß, den Knoten so hinzubringen, daß die blödeste Stelle verdeckt ist. Von den beiden der Requisition entgangenen Anzügen zieht man immer den jeweils besseren an, bis er soweit ist, daß der andere einem wieder anständiger vorkommt. Die Socken bestehen, wie die Strümpfe der Frauen, bald nur noch aus Stopfstellen, und die Sockenhalter sind zwei rätselhafte Zusammensetzel aus Gummibandresten, die nicht mehr tun. Mein Bruder Erwin hat die Socken, soviel ich weiß, mit Schnüren an den Schultern befestigt. Das Schlimmste sind die Schuhe, und wenn ich überhaupt auf das Wetter achte, dann nur wegen ihnen. Von einer ganzen Sohle ist schon längst nicht mehr die Rede und auch auf den Seiten hat Wasser und Schnee freien Zutritt. Wenn von einer Wiederherstellung oder Instandsetzung noch gesprochen werden kann, sofern man nämlich dem Schumacher Leder und Nägel bringen kann, dann hält einen das monatelange Warten auf Rückgabe davon ab, sie aus der Hand bezw. [sic!] von den Füssen [sic!] zu geben. Wohl dem, der noch wie ich einen einigermaßen guten Mantel hat. Mein zweiter, der eigentliche Werktagsmantel besteht nur noch aus Flicken.“191
Ebenso rar wie Kleidungsstücke und Kurzwaren waren Haushaltsgegenstände aller Art. Zwar
produzierten gerade Konstanzer Firmen solche Güter,192 doch wurden sie in Nahrungsmittel
für die Belegschaft eingetauscht und waren so auf dem normalen Markt nicht zu
bekommen.193
Auch das zusammengebrochene Verkehrssystem erholte sich erst langsam. An größere Reisen
war zunächst schon wegen des französischen Verbotes nicht zu denken. Bis Oktober 1945
188 Burchardt 1996:90. Den Großteil des Bestandes beschlagnahmten die Franzosen, da sie zur Ausstattung ihrer Armee Stoffe und Garne aller Art dringend benötigten. Ebd. Zur materiellen Lage der französischen Armee, vgl. Burchardt 1996:13ff; Klöckler 1995b:31. 189 Brief einer jungen Mutter vom 8. 2. 1948 an den OB mit der Bitte um Zuteilung eines Bezugscheines. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950. 190 Burchardt 1996:109. 191 Tagebuch H., 20. 1. 1946. 192 So fertigten bis zu ihrer Demontage 1947/48 die Rieterwerke Kochherde an, die gegen Nahrungsmittel eingetauscht wurden. Die Firma Funkstrahl produzierte Kochtöpfe, die ebenfalls zum Tausch gegen Lebensmittel gedacht waren. Zang, Gert. 2002. Der lange Traum vom besseren Leben - Alltag in Konstanz 1920-1960. In: Rosgartenmuseum Konstanz (Hg.). 2002. Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Erschienen anlässlich der Ausstellung „Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Vom Hitlergruß zum Petticoat. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960.“ Konstanz: Konstanzer Museumsjournal, 81-99, hier 93. Stromeyer und Herosé tauschten Textilien gegen Nahrungsmittel. Burchardt 1996:86. Schätzungen gehen davon aus, dass auf diese Weise rund zwei Drittel der Produktion dem Markt verloren gingen. Burchardt 2002b:122. 193 So erhielt eine Bürgerin auf ihre Bitte um einen Herd einen negativen Bescheid mit dem Hinweis, dass selbst kinderreiche Familien keine Herde zugewiesen bekämen. Brief des WEA an den OB vom 19. 12. 1947. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950.
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waren beispielsweise zum Verlassen der Reichenau Passierscheine notwendig, die man nicht
ohne weiteres ausgestellt bekam.194 Doch selbst wer im Besitz eines ‚laissez-passer‘ war,
konnte sich nicht ohne weiteres fortbewegen. Züge fuhren nur bedingt,195 die zerbrochenen
Scheiben waren teilweise durch Holzbretter ersetzt.196 Ein öffentlicher Nahverkehr kam in
bescheidenem Umfang erst allmählich wieder in Gang.197 Die wenigen Busse, die ab 1949 auf
drei Linien verkehrten,198 wurden nicht mit Diesel betrieben, sondern
„waren so hoch wie die [Busse] in London. Sie hatten nämlich eine riesige Gastonne auf dem Dach und nahmen ihren Treibstoff im Gaswerk in der Gottlieberstraße auf. Die Lastwagen fuhren mit Holzgas.“199
Doch auch diese ‚alternative‘ Energiequelle war nicht unerschöpflich, und der
allgegenwärtige Mangel an Ersatzteilen sowie der durch Krieg und Requisition reduzierte
Fuhrpark führte nicht nur beim öffentlichen Nahverkehr, sondern auch beim privaten PKW-
Verkehr zu seinem fast vollständigen Erliegen.200 Als Transportmittel blieb das Fahrrad, doch
auch hier hatten Requisition und Abnutzung große Lücken in den Bestand gerissen. Nicht mal
auf jeden dritten Bewohner kam ein Fahrrad.201 Und wer stolzer Besitzer eines Fahrrads war,
„verkünstelte[n] sich, um aus den abgefahrenen Fahrradmänteln irgendwelche Polsterungen
auf die Felgen zu zaubern“.202 Die unzähligen Anfragen an das WEA zeigen, wie dringlich
das Problem der Fahrradbereifung war. Doch das WEA sah sich nicht in der Lage, der Misere
abzuhelfen. Das Missverhältnis zwischen Anfragen und lieferbaren Reifen betrug 30:1.203 Am
Beispiel der Fahrradbereifung lässt sich die Auswirkung der alliierten Wirtschaftspolitik
deutlich ablesen. Das WEA meldet am 10. 6. 1947 dem OB, „daß seit drei Monaten nicht ein
einziger Fahrradmantel dem Amt zur Verfügung gestellt wurde.“204 Wann neue Bereifungen
bereitstünden, so das WEA weiter, sei nicht abzusehen, da „die Reifen aus der
amerikanischen und englischen Zone kommen.“205 Damit war beim Stand der französischen
194 Zang 1995: 37. 195 Im Dezember 1945 verkehrten zum Beispiel erst fünf Zugpaare zwischen Singen und Konstanz. Burchardt 1996:112. 196 Schäfer 1997:143. 197 Burchardt 1996:110. 198 Der erste Busfahrplan der Nachkriegszeit trat am 15. 4. 1949 in Kraft. Die Busse verkehrten auf drei Linien, vom Schnetztor nach Allmannsdorf, vom Gaswerk nach Wollmatingen und von der Marktstätte nach Staad. StA KN S II 17085 Fahrpläne der städtischen Verkehrsbetriebe 1931-1950. Erst 1950 wurde in der Frequenz der Busverbindungen wieder Vorkriegsniveau erreicht. Die Linie 1 vom Schnetztor nach Staad verkehrte wieder im 15 Minuten-Takt. Ebd. Vor 1949 hatte es lediglich anlässlich der ‚Konstanzer Kulturwochen‘ für kurze Zeit eine Busverbindung von der Innenstadt nach Staad gegeben. Burchardt 1996:111. 199 Schäfer 1997:141. 200 Zang 2002:92. 201 Zang 2002:92; Dietrich 1966:30. 202 Schäfer 1997:141. 203 Brief des OB an einen Beschwerdenführer vom 13. 3. 1948. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950. 204 StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950. 205 StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950.
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Handelsbeziehungen mit der Bizone äußerst unsicher, ob überhaupt welche den Weg nach
Konstanz finden würden. Die Auswirkungen, die diese Transportprobleme auf den Alltag der
Bevölkerung hatten, sind in Zeiten des Zweit- und Drittwagens kaum noch vorstellbar. Lange
Fußmärsche waren an der Tagesordnung. Noch 1948 waren mindestens vier Kilometer
Fußmarsch zur Arbeitsstelle Voraussetzung für eine bevorzugte Behandlung bei der Abgabe
von Fahrradbereifung. Die Klage eines Schumachers, der Weg vom Wohnort in der
Petershauserstraße zur Werkstatt in der Wessenbergstraße sei ohne Fahrrad nicht zu
bewerkstelligen, wird daher vom WEA abgewiesen.206
Der Energiemangel machte sich nicht nur im Verkehrswesen bemerkbar. Auch die privaten
Haushalte blieben davon nicht verschont. Kohle war rar, da sie zum Großteil von den
Franzosen beschlagnahmt wurde. Zudem erschwerten die schlechten Verkehrsbedingungen
einen Transport.207 Da aber auch Gas und Strom äußerst knapp bemessen waren, zogen die
Konstanzer unmittelbar nach der Besetzung in den Mainauwald, um sich selbst mit Brennholz
zu versorgen:
„Da Vater im Dienst war, ließ es mir keine Ruhe. Ich nahm unseren Minileiterwagen, Beil und Fuchsschwanz und gesellte mich zu den Holzfällern. Kleine Stämmchen konnte ich mit diesem Werkzeug bewältigen. Daheim zersägte und spaltete ich das Holz, und die Mutter konnte auf ihrem alten Kochherd lange Zeit damit Suppen und Kartoffeln garen.“208
Die Franzosen unterbanden diesen wilden Holzeinschlag bald.209 Da jedoch bereits im August
1945 klar wurde, dass die Stadt nicht für ausreichende Kohlevorräte für den Winter sorgen
konnte, wurde nun der „geordnete Selbsteinschlag“ auf dem Bodanrück, im Linzgau oder im
Dettinger Wald angeordnet.210 Hierzu wurden die Konstanzer hinzugezogen, die mit
Fahrrädern den weiten Weg zurücklegten und mit mehr oder weniger Sachkenntnis die
Bäume fällten.211 Das Ganze wurde durch wenig geeignetes Werkzeug und die fehlenden
Transportmöglichkeiten noch zusätzlich erschwert. Nach dem Zeugnis eines Zeitgenossen
wurden aber auch Fachkräfte für den Einschlag sowie Kriegsgefangene für den Transport
eingesetzt, die die schwere Arbeit erleichterten:
„Im Winter 45/46 hatten wir einen Ster Holz zur Verfügung, der mit mangelhaftem, geliehenen Werkzeug nach Anweisung eines Försters im Dettinger Wald selbst geschlagen werden musste.
206 Schreiben des WEA vom 28. 7. 1948 an den OB. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950. 207 Burchardt 1996:185. Die Stadt hätte monatlich 700 Tonnen Kohle für Privathaushalte und öffentliche Gebäude gebraucht. Im Winter 1946/47 erhielt sie jedoch nur 400 Tonnen monatlich. Durch Transportschwierigkeiten konnten teilweise auch diese 400 Tonnen nicht mehr geliefert werden, so dass Schulen und Ämter geschlossen werden mussten. Burchardt 1996:184. 208 Schäfer 1997:139. 209 Vgl. die Anordnung der Militärregierung in: Dietrich 1966:20. 210 Burchardt 1996:92. Die Stadt selbst besaß keinerlei Vorräte mehr und die Kohleproduktion der FBZ wurde weitgehend von den Franzosen für eigene Zwecke beschlagnahmt. Ebd. 211 Burchardt 1996:92.
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Ein gefangener, deutscher Soldat mußte uns mit dem Pferdefuhrwerk den Transport bewerkstelligen.“212
Im folgenden Winter wurde die Selbstfällaktion wiederholt.213 Dennoch war die Versorgung
der Haushalte so ungenügend, dass bestenfalls ein Raum pro Wohnung geheizt werden
konnte.214 Damit verschärften sich die ohnehin schon bedrückend engen Verhältnisse in den
Wohnungen. Während der Kältewellen im Dezember 1945 und Januar 1946, vor allem aber
während des außergewöhnlich kalten Winters 1946/47 blieb daher oft keine andere
Möglichkeit, als Arbeiten in den ungeheizten Räumen dick vermummt zu verrichten. So
schreibt eine Reichenauer Hausfrau im Dezember 1945 an ihre Mutter: „Mit meinem Frost
geht es noch. Den Mantel habe ich auch an und die Handschuhe, besonders zum
Bettenmachen.“215 Vor allem Kinder waren, wie auch in anderen Städten, auf der Jagd nach
zusätzlichem Brennmaterial.
„Der östliche Teil der Konrad-Witz-Straße war vor fünfzig Jahren noch nicht geteert. Zur Festigung des Weges wurde die Schlacke aus der Krankenhaus-Heizung dort aufgeschüttet. In dieser Schlackeschicht entdeckten wir Kinder kleine, unverbrannte Kohlenstückchen. Schnell holten wir zu Hause einen Eimer und machten uns an die Schatzsuche nach den schwarzen ‚Diamanten‘, nur war die Ausbeute letzten Endes dann doch gering.“ 216
Erst ab Ende 1947 besserte sich die Versorgung mit Hausbrand. Kohle war zwar immer noch
knapp, doch konnte sie zumindest geliefert werden.217 Die Versorgung mit Strom war zwar
durch das Abkommen mit den Nordschweizer Elektrizitätswerken gesichert, doch musste für
den Strom Konstanzer Haushaltsgas in die Schweiz geliefert werden. Bereits während des
Krieges war die Gasversorgung für die Konstanzer Bevölkerung gesperrt worden, um die
Lieferungen in die Schweiz sicherzustellen.218 Da die Konstanzer notgedrungen auf Strom
auswichen, stieg der Verbrauch so stark an, dass die Stadt sich zu Zuzahlungen an die
Schweiz gezwungen sah. Diese waren aber durch den von den Franzosen verhängten totalen
Transferstop nicht möglich.219 Es blieb nur eine Verbrauchsbeschränkung. Ab Oktober 1945
verhängte die Stadt daher Stromsperren von sechs Stunden täglich an vier Wochentagen.220
Dies wirkte sich zwangsläufig auf den Alltag der Bevölkerung aus. Eine Hausfrau von der
Reichenau schrieb ihrer Mutter im Dezember 1945: „Jetzt gehen wir um acht ins Bett und
212 Schäfer 1997:141. 213 Burchardt 1996:93. 214 Burchardt 1996:92. 215 Zang 1995:39. Vgl. auch Burchardt 1996:184. 216 Schäfer 1997:142. 217 Burchardt 1996:185. 218 Burchardt 1996:93. 219 Burchardt 1996:93. 220 Burchardt 1996:93. Erst ein Jahr später konnten die Beschränkungen gelockert werden. Ebd.
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morgens nicht früher auf. Man muss ja so sehr Licht sparen, und in unserem Haus ist es so
schon dunkel; alle Tage ½ Kilowattstunde ist nicht viel.“221
Der Energiemangel erschwerte ungemein das Wirtschaften der durch den allgemeinen Mangel
sowieso schon sehr geplagten Hausfrauen.222 Es war nicht nur wenig da, was gekocht werden
konnte, auch das Kochen selbst ging nur zu bestimmten Uhrzeiten. Dieses Beispiel zeigt, dass
alle Probleme der Nachkriegszeit auf das Engste miteinander verknüpft waren.
Wie sehr die Probleme der Nachkriegszeit ineinander griffen, zeigt auch die Klage eines
Mannes, der sich außerstande sah, ohne Schuhe an der Selbstfällaktion im Herbst 1947
teilzunehmen und daher um eine Holzzuteilung bittet.223 Ohne entsprechende Kleidung wurde
jegliche Art von Arbeit erschwert. Die Eisenbahnergewerkschaft drohte 1947 gar mit Streik,
sollten sie nicht Kleidung und Fahrradschläuche erhalten.224 Da sich das gesamte
Verkehrssystem ohnehin nach wie vor in einer misslichen Lage befand, lag der Stadt sehr
daran, sie nicht noch durch einen Streik zusätzlich zu verschlechtern und bat das WEA um
Maßnahmen.225 Doch dieses konnte nur darauf verweisen, dass für die Einkleidung der
Eisenbahner die Bahnzentrale in Badenweiler zuständig sei und die Beschwerdenführer
außerdem schon bevorzugt mit Fahrradteilen versorgt worden wären.226
Das dringlichste Problem der Nachkriegszeit blieb jedoch bis Ende 1948227 die Ernährung.228
Hier machte auch Konstanz keine Ausnahme. Die geschilderten Ausgangsbedingungen der
Stadt hatten einerseits positive, andererseits aber auch negative Auswirkungen. So fehlte der
Stadt durch die Grenzlage und den See dringend benötigtes Umland, das zur Ernährung hätte
beitragen können. Andererseits brachte gerade diese Grenzlage den Konstanzern die
Vergünstigungen der Schweizer Hilfsaktionen229 und den Status einer Prioritätsstadt.230 Auch
221 Zang 1995:39, Brief vom 10. 12. 1945. 222 Vgl. Kapitel 1.3.1. 223 Schreiben an den OB vom 2. 3. 1948. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950. Die Holzzuteilung wurde von WEA und Fürsorgeamt zwar abgelehnt, da „der Mann als ewiger Bittsteller bekannt ist und sich nur drücken will“ (Schreiben des WEA an den OB vom 8. 3. 1948, StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950), dennoch gibt der Vorfall ein treffendes Bild der wechselseitigen Verzahnung aller Alltagsprobleme der Nachkriegszeit. 224 Schreiben an den OB vom 24. 2. 1947. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950. 225 Schreiben des OB an das WEA vom 24. 2. 1947. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950. 226 Schreiben des WEA an den OB vom 8. 3. 1947. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950. 227 1948 fielen bessere Ernten, das Ende der französischen Entnahmen und das Greifen des Marshallplanes zusammen, was die Ernährungssituation erheblich entschärfte. Vgl. Fäßler, Peter. 1996d. »Zum Sterben wirklich nicht mehr zuviel«. Die Versorgungskrise in Baden. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 213-229. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3), hier 214. 228 Verglichen mit ihrer Bedeutung für den Nachkriegsalltag wird die Ernährungslage in Konstanz hier nur sehr kurz behandelt, da mit der Arbeit von Stei 1992 bereits eine hervorragende und ausführliche Untersuchung für Konstanz vorliegt. 229 Stei 1992:105ff.
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in Konstanz waren die zur Verteilung kommenden Lebensmittelrationen seit Beginn der
Besatzungszeit gesunken und erreichten im Januar 1947 mit 824 Kalorien pro Kopf und Tag
ihre Tiefstand.231 Damit lag Konstanz wie die gesamte FBZ weit hinter den Kalorienzahlen
der beiden anderen westlichen Besatzungszonen, teilweise sogar hinter denen der SBZ.232 Im
Vergleich mit anderen Städten der FBZ schnitt Konstanz jedoch etwas besser ab. In Freiburg
kamen von 1946 bis 1948 durchschnittlich 50 Kalorien weniger pro Kopf und Tag zur
Verteilung.233 Dennoch blieb die Lage äußerst angespannt, da selbst Rekordzuteilung wie die
Kalorienausgabe im Dezember 1946 mit 1482 Kalorien234 weit von den für eine langfristige
minimale Versorgung notwendigen 1800 Kalorien pro Kopf und Tag entfernt lagen. Nicht
einmal die von den Alliierten auf der Potsdamer Konferenz festgelegten 1500 Kalorien pro
Kopf und Tag konnten erreicht werden. So blieb den Konstanzern nichts anderes übrig, als,
wie überall sonst auch, den mageren Speiseplan mit allen erdenklichen Mitteln zu bereichern.
Eine gute Möglichkeit bot der eigene Garten. Hier konnte Gemüse und Obst gezüchtet
werden, auch eine bescheidene Kleintierzucht war möglich.235 Wie begehrt diese Möglichkeit
der Eigenversorgung war, zeigt die Tatsache, dass die Stadt 1948 bereits 3080 Kleingärten
vermietet hatte, aber immer noch 250 Interessenten auf der Warteliste standen.236 Kinder
wurden auf die Felder geschickt, um die bei der Ernte liegengebliebenen Ähren zu sammeln.
Aus der mageren Ausbeute ließ sich Malzkaffe rösten. Auch das Bucheckernsammeln zur
Ölgewinnung war Kindersache.237 Eine weitere Möglichkeit, den Speiseplan zu bereichern,
bestand in den Kompensationsgeschäften. Da Geld kaum mehr einen Wert besaß, wurden
Dienstleistungen gegen Nahrungsmittel und diese wiederum gegen Sachwerte eingetauscht.
Legal war das nicht, doch schritten die Behörden dagegen ebenso wenig ein wie gegen die
allseits üblichen ‚Hamsterfahrten‘, die eine Verlegung der Kompensationsgeschäfte auf das
Land darstellte. Auch hier wurden Güter, die die Landbevölkerung benötigte, gegen
Nahrungsmittel für die Städter getauscht.238 Berechnungen zufolge konnte eine solche
230 Stei 1992:52f. Städte ab 20.000 Einwohner wurden als Prioritätsstädte klassifiziert. Diese Einstufung brachte den Bewohnern, die in der Regel nicht auf eine eigene landwirtschaftliche Produktion zurückgreifen konnten, eine leichte Erhöhung der Zuteilungen. Ebd. 231 Burchardt 1996:176. 232 Stei 1992:88. Mitte 1946 teilte die SBZ täglich rund 100 Kalorien mehr als die FBZ aus. Ebd. 233 Stei 1992:89. 234 Burchardt 1996:176. 235 Der Speiseplan konnte durch das selbst gezogene Gemüse beträchtlich angereichert werden. Annähernd die Hälfte dessen, was z.B. bei Familie H. im ersten Jahr der Besatzung auf den Tisch kam, stammte aus dem eigenen Garten. Vgl. Tagebuch H. 236 Burchardt 1996:84. Nimmt man an, dass Konstanz um die 11.000 Haushalte besaß und ein Großteil davon bereits ohne städtische Verpachtungen einen Garten besaß, kann man davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit der Konstanzer Bevölkerung direkten Zugriff auf einen Garten hatte. Ebd. 237 Schäfer 1997:141. 238 Burchardt 1996:84f.
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‚Hamsterfahrt‘ den Speiseplan pro Person und Tag um bis zu 500 Kalorien aufbessern.239 Es
war also nur zu verständlich, wenn die Stadt beide Augen zudrückte und die eigentlich
vorgeschriebenen Razzien im Großen und Ganzen unterließ.240
Die Grenzen zwischen stillschweigend zugelassenem ‚Hamstern‘ und dem durchaus nicht
tolerierten Schwarzmarkt waren naturgemäß sehr fließend.241 Zwar wurde letzterer von
professionellen ‚Schiebern‘ beherrscht und hatte demnach eindeutig kriminellen Charakter,242
jedoch speisten sich Kompensationsgeschäfte, ‚Hamstern‘ und Schwarzmarkt aus der
gleichen Quelle: der Unterschlagung der zur Abgabe vorgesehener Güter. Dem offiziellen
Verteilungssystem entgingen nach Schätzungen durch den Schwarzmarkt 20-30% der
landwirtschaftlichen Produktion.243 Doch auch Gebrauchsgüter aller Art waren auf dem
Schwarzmarkt erhältlich und entgingen demnach der Bewirtschaftung durch die Behörden.244
Noch einmal wirkte die besondere Lage von Konstanz als negativer Faktor. Fehlendes
Umland und Grenznähe ließen die Schwarzmarktpreise im Vergleich zum badischen
Durchschnitt enorm ansteigen.245 Sie betrugen für Zigaretten, Wein, Eier und Kaffe rund das
Doppelte gegenüber den Schwarzmarktpreisen anderer badischer Städte.246 Für ein Stück
Käse wurden 50 RM verlangt. Ein astronomischer Preis, da der durchschnittliche
Monatsverdienst bei 200-300 RM lag.247
Für die Bevölkerung waren Schwarzmarkt und ‚Hamsterfahrten‘ unerlässlich. Nur durch die
Versorgung in Eigenregie konnte verhindert werden, dass es zu Hungerkatastrophen kam. Die
offiziellen Mengen hätten eine Versorgung der Bevölkerung nicht sicherstellen können.248
Ein Nebenprodukt des durch die rigide Wirtschaftspolitik der Besatzer verursachten Mangels
war eine allerorten zu findende Aufweichung der Rechts- und Moralvorstellungen. Zwar war
allen bewusst, dass Tauschgeschäfte, ‚Hamsterfahrt‘ und Schwarzmarkt sich durchaus nicht
mehr im Rahmen der Legalität befanden, man setzte sich aber darüber hinweg. Die Notlage
239 Burchardt 1996:85; Stei 1992:108. 240 Burchardt 1996:85. 241 Zur Definition und Ursache des Schwarzmarktes vgl. Stei 1992:109f. 242 Professionelle Schwarzmarkttätigkeiten wurden im Gegensatz zum ‚Hamstern‘ auch nachdrücklich verfolgt. Stei 1992:114. 243 Burchardt 1996:83. 244 Burchardt 1996:185f. Mit der zunehmenden Entspannung auf dem Ernährungssektor stieg naturgemäß der Anteil dieser Güter an den umgeschlagenen Waren. Bei einer Razzia 1948 wurden neben Zigaretten und Süßstoff, die als Währungsersatz dienten, hauptsächlich Textilien, Schuhsohlen, Haushaltswaren und Nägel konfisziert. Lebensmittel bildeten nur noch den kleineren Teil der umgeschlagenen Güter. Ebd. 245 Klöckler 1995a:217. 246 Klöckler 1995a:227, Fn. 20. Die Preise waren damit ca. 20-50 mal so hoch wie die offiziellen Preise. Ebd. 247 Schäfer 1997:141. 248 Stei 1992:81.
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schien viele kleine Delikte zu entschuldigen.249 Stieß man jedoch bei anderen auf
Lebensmittel und sonstige Güter dunkler Herkunft, reagierte man ablehnend, da durch das
‚Organisieren‘ anderer die eigene Versorgung gefährdet wurde.250 Die oft beschworene
Solidarität der „nivellierten Notgesellschaft“251 der Nachkriegszeit stand auf unsicherem
Grund. Nicht Solidarität, sondern Neid beherrschte das Denken der Menschen.252 In den
Akten des WEA finden sich zahlreiche Belege dafür, wie genau beobachtet wurde, was die
Nachbarn hatten, wer was bekam. Jeder hatte das Gefühl, selbst zu kurz gekommen,
ungerecht behandelt worden zu sein.253
Die Akten geben weiterhin Auskunft über die Gereiztheit der Menschen, mit der sich die
Anspannung des täglichen Überlebenskampfes entlud.254 Gerade im Verkehr zwischen WEA-
Personal und Bevölkerung kam es wiederholt zu wüsten Szenen. Dabei wurden auf beiden
Seiten heute kaum noch vorstellbare Kraftausdrücke und Anschuldigungen von „Dämchen,
absolut unfähige Person“255 bis „alte Sau Zigeunerin [sic!]“ und „lange Kummerziege“256
gebraucht. Die Schuld an der Eskalation schob man sich jeweils gegenseitig zu. Auf jede
Beschwerde eines Bürgers findet sich eine Stellungnahme des jeweiligen WEA-Angestellten,
die selten in so gemäßigtem Ton gehalten ist wie die folgende: „Der Verkehr mit dem oft
übernervösen und gereizten Publikum in der Krankennahrungsabteilung ist nicht leicht und
gäbe vielfach unsererseits eher Veranlassung zur Beschwerde.“257 Das entnervte Personal des
WEA erwiderte den aufgebrachten Bürgern teilweise schlicht „Sie sind mir viel zu dumm.“258
Der allgemeine Mangel der Nachkriegszeit wirkte also bis in die Umgangsformen der
Menschen hinein.259
249 Die Notlage diente auch als Rechtfertigung für zahlreiche nächtliche Diebstähle von Feldern und aus Gärten. Burchardt 1996:85. 250 Burchardt 1996:86. 251 Schelsky, Helmut. 1953. Die Bedeutung des Schichtbegriffes für die Analyse der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft. In: Schelsky, Helmut. 1965. Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze. Düsseldorf: Diederichs, 331-335, hier 334. 252 Zur Kritik an Schelskys Konzept der „nivellierten Notgemeinschaft“ sowie zur Vergleichsmentalität der Nachkriegsgesellschaft vgl. Gries 1991. 253 StA KN S II 6746 Wirtschafts- und Ernährungsamt, Beschwerden und Reklamationen und S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950. 254 StA KN S II 6746 Wirtschafts- und Ernährungsamt, Beschwerden und Reklamationen. 255 Schreiben eines Bürgers an den Leiter des WEA vom 22. 6. 1947. StA KN S II 6746 Wirtschafts- und Ernährungsamt, Beschwerden und Reklamationen. 256 Schreiben eines Bürgers an den Leiter des WEA vom 21.5.1947. StA KN S II 6746 Wirtschafts- und Ernährungsamt, Beschwerden und Reklamationen. 257 Stellungnahme einer Schalterbeamtin des WEA vom 9. 9. 1946. StA KN S II 6746 Wirtschafts- und Ernährungsamt, Beschwerden und Reklamationen. 258 Stellungsnahme eines Schalterbeamten des WEA zur Klage eines Bürgers vom 13. 1. 1984. StA KN S II 6746 Wirtschafts- und Ernährungsamt, Beschwerden und Reklamationen. 259 Zwar finden sich auch schon vor 1945 ähnlich saftige Anschuldigungen, sie sind jedoch weit seltener als nach der Besatzung. Vgl. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschaftsamt 1939-1950.
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Wie gezeigt wurde, meisterten die Menschen mit viel Improvisationskunst ihren Alltag. Das
ständige ‚Organisieren‘, Reparieren und Improvisieren kostete viel Kraft und nahm einen
Großteil der Zeit ein. Es wundert daher wenig, wenn die meisten Menschen wenig Sinn für
anderes hatten. Die geringe Beteiligung der Bevölkerung am demokratischen Aufbau
Deutschlands hatte unter anderem in der täglichen Überbelastung der Menschen ihren
Ursprung.260
1.2 Organisation des Mangels Angesichts des krassen Mangels kamen die verantwortlichen Stellen nicht umhin,
Maßnahmen zu treffen, um den Mangel wenn nicht zu beheben, so doch gleichmäßig zu
verteilen.
Im Folgenden soll kurz umrissen werden, welche Grundlage das alliierte Versorgungssystem
hatte und wie die Organisation des Mangels in der FBZ geregelt war. Es wird zu zeigen sein,
dass die wenig kooperative Politik der Alliierten gerade auf dem Versorgungssektor
verheerende Folgen hatte. Anschließend wird ausführlicher auf die lokalen Stellen
eingegangen werden. In Konstanz mühten sich das WEA und die Stadt im Verbund mit
Kirchen und Gewerkschaften um eine gerechte Verteilung der knappen Vorräte und eine
Verbesserung der Lage.
1.2.1 Das NS-Bewirtschaftungssystem Um Hungerrevolten wie am Ende des Ersten Weltkrieges zu verhindern, hatten die
Nationalsozialisten bis zuletzt peinlich darauf geachtet, die Zivilbevölkerung ausreichend mit
Nahrungsmitteln zu versorgen.261 Dies wurde zum einen durch Anlegen großer
Getreidespeicher und der besonderen Unterstützung der Landwirtschaft, auch in Kriegszeiten,
erreicht.262 Zum anderen lieferte die rücksichtslose Ausbeutung der besetzten Gebiete
zusätzliche Lebensmittel und Gebrauchsgüter.263 Entscheidend für die gute Versorgung war
die zentrale Erfassung und Verteilung der vorhandenen Lebensmittel und Gebrauchsgüter, die
seit 1939 unter direkter Kontrolle des Reichsernährungsministeriums bzw. des
Reichswirtschaftsministeriums stand. Das entwickelte Rationierungssystem funktionierte so
260 Wolfrum 1996b:141; Kluge 1988:18; Freier 1986:64; Schubert, Doris. 1984. Frauenarbeit 1945-1949. Herausgegeben und eingeleitet von Annette Kuhn. (= Frauen in der deutschen Nachkriegszeit. Band 1: Frauenarbeit 1945-1949, Quellen und Materialien.) Düsseldorf: Schwann. (= Geschichtsdidaktik, 21), hier 65. 261 Die NS-Planer zogen ihre Lehren aus der katastrophalen, auf staatliches Versagen zurückzuführende Versorgungslage während des Ersten Weltkrieges und in den ersten Jahren der Weimarer Republik. Vgl. Stei 1992:1f; Gries 1991:21ff. 262 Stei 1992:2. Die Unterstützung der Landwirtschaft belief sich im wesentlichen auf eine gleichbleibende Versorgung mit Düngemitteln, Maschinen und Arbeitskräften, d.h. Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern. Ebd. 263 Stei 1992:3.
46
gut, dass die Bevölkerung erst ab 1942 gewisse Einschränkungen in der
Lebensmittelversorgung hinnehmen musste.264
1.2.2 Die Übernahme des NS-Bewirtschaftungssystems durch die Alliierten Nach der Besetzung übernahmen alle vier Besatzungsmächte im Wesentlichen das bestehende
Bewirtschaftungssystem.265 In Gestalt des Kontrollrates übernahmen die Alliierten zwar
gemeinsam die Kompetenzen des Reichsernährungsministeriums und des
Reichswirtschaftsministeriums, faktisch lag die Entscheidungs- und Verfügungsgewalt jedoch
bei den Militärregierungen der einzelnen Zonen. Wie schon für die Industrie geschildert, kam
es auch hier zu keinem fruchtbaren Austausch zwischen den Zonen, was sich fatal auf die
Versorgungslage der Bevölkerung auswirkte.
Das NS-Bewirtschaftungssystem büßte durch diese Kompetenzaufteilung eine seiner
wichtigsten Funktionen ein: die zentrale Erfassung und Verteilung des Vorhandenen.
1.2.3 Die Bewirtschaftung in der FBZ Selbst auf Zonenebene kam es nicht immer zu einer zentral geregelten Organisation.266 In der
FBZ standen einer zentralen Organisation nicht nur die allgemeinen Transport- und
Kommunikationsprobleme der ersten Nachkriegsmonate, sondern vor allem die jegliche
Bildung einer Zentralgewalt ablehnende französische Deutschlandpolitik entgegen.267
So behielt denn auch auf Zonenebene die Militärregierung zunächst alle Zügel in der Hand.
Mit der Verordnung 5 vom 5. September 1945 war die gesamte Wirtschaft - auch die
Landwirtschaft - der Militärregierung unterstellt worden.268 Sie kontrollierte die gesamte
industrielle und landwirtschaftliche Produktion sowie die Verteilung der Erzeugnisse. Als
zentrale deutsche Stelle fungierte auf Zonenebene lediglich der Zentralausschuss für
Ernährung, der die Aufgabe hatte, das Versorgungsgefälle zwischen den einzelnen Ländern
und städtischen und ländlichen Gebieten der Zone auszugleichen.269 Er blieb bis 1946 jedoch
relativ wirkungslos, da er lediglich beratende Funktion hatte und der Militärregierung
untergeordnet war.270 Erst ab Oktober 1946 vergrößerten sich seine Befugnisse, nun gehörten
264 Stei 1992:4. So sanken die Kalorienzahlen 1941/42 erstmals unter die vom Völkerbund gesetzten Normen von etwa 2400 Kalorien pro Kopf und Tag. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:28. Die Versorgung mit Gebrauchsgütern war durch die Umstellung der Industrie auf Kriegswirtschaft schon früher rückgängig, jedoch nicht bedrohlich. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:33. 265 Stei 1992:10. 266 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:29. 267 Stei 1992:31. Vgl. Kapitel 1.1.3.2. 268 Fäßler 1996d:216. 269 Fäßler 1996:216. 270 Stei 1992:31.
47
auch Erfassung und Rationierung der landwirtschaftlichen Produktion der FBZ in sein
Ressort.271
Auf Länderebene waren den Stellen der Militärregierung als deutsche Behörden die
Landesernährungsämter (LEA) und die Landeswirtschaftsämter (LWA) nachgeordnet.
Die Aufgabe der LEA war die Erfassung und Verteilung der vorhandenen Lebensmittel auf
Länderebene.272 Sie waren in allen Belangen der Militärregierung unterstellt und ab Oktober
1946 noch zusätzlich an die Weisungen des Zentralausschusses gebunden.273
Das LEA Baden hatte seinen Sitz in Freiburg.274 Von hier aus gingen Weisungen an die
Ernährungsämter der Kreise, die nach den Vorgaben des LEA das Vorhandene auf die Klein-
und Großhändler verteilten und den Bedarf der Kreisbevölkerung errechneten.
Ebenfalls in Freiburg saß das LWA Baden, eine Abteilung des Badischen Ministeriums der
Wirtschaft und Arbeit.275 Hier wurde die Produktion und Verteilung aller sonstigen Güter des
täglichen Bedarfs kontrolliert und auf die Wirtschaftsämter der Kreise und Städte verteilt.276
Das Hauptwirtschaftsamt Freiburg arbeitete dabei mit den verschiedensten Stellen der
Konsumgüterindustrie zusammen. In Fragen der Schuhbewirtschaftung wurde beispielsweise
die Zentrale für Lederwirtschaft in Lahr in die Planung der Verteilung miteinbezogen.277
1.2.4 Organisation des Mangels auf lokaler Ebene: Konstanz Das WEA Konstanz befand sich zunächst in der Römerstr. 15, seit Oktober 1945 in der
Wessenbergstr. 41.278 Hier bewährte sich noch einmal der glückliche Umstand, dass Konstanz
unzerstört geblieben war. Denn damit standen auch alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung
- Personal- und Aktenbestand sowie Diensträume - unversehrt zur Verfügung.279 Das WEA
Konstanz konnte daher ohne größere Schwierigkeiten seine Arbeit unmittelbar nach der
Besatzung wieder aufnehmen. Dies war umso wichtiger, da sich die länder- und
zonenübergreifenden Institutionen erst im Aufbau befanden. Zwar begannen die LEA auf
Anordnung der Militärregierung am 9. Mai 1945 bereits mit ihrer Arbeit, die Aktenlage zeigt
aber, dass das WEA Konstanz bis Anfang Juni größtenteils auf sich selbst gestellt war.280 Die
271 Stei 1992:31. Doch fand auch jetzt keine zentrale Lenkung statt, da Erzeuger und Verbraucher bei der Planung und Verteilung nicht einbezogen wurden. Stei 1992:20. 272 Stei 1992:38. 273 Stei 1992:38. 274 Stei 1992:37. Bis zur Räumung durch die Franzosen und der Besetzung durch die Amerikaner hatte das LEA Baden seinen Sitz in Karlsruhe. Vgl. ebd. Fn. 19. 275 StA KN S II 6753 Schuhe. 276 StA KN S II 6753 Schuhe. 277 StA KN S II 6753 Schuhe. 278 Stei 1992:34. Die Zusammenlegung des Wirtschafts- und Ernährungsamtes war eine Konstanzer Besonderheit. Ebd. Fn. 4. 279 Burchardt 1996:19. 280 Stei 1992:37.
48
Kontinuität in der Arbeit des WEA Konstanz wurde zum einen noch dadurch gefördert, dass
die Franzosen mit Nachdruck darauf verwiesen, „daß sämtliche früheren Gesetze und
Anordnungen [des NS-Bewirtschaftungssystems] unverändert und uneingeschränkt weiterhin
gelten, soweit diese nicht durch besonderen Erlass der Militärregierung geändert oder
aufgehoben worden sind und werden.“281 Zum anderen dadurch, dass auch durch
Entnazifizierungsmaßnahmen keine großen personellen Veränderungen innerhalb des WEA
stattfanden. Erst im September 1945 wurde der Leiter des WEA, Oberrechnungsrat
Maierhofer, durch Hermann Schneider ersetzt, der das Amt bis zur Auflösung des WEA im
Januar 1950 innehatte.282 Darüber hinaus wurden lediglich 8 der 69 Angestellten aufgrund
ihrer politischen Vergangenheit entlassen.283
1.2.4.1 Aufgaben des WEA Konstanz Die Aufgaben des WEA umfassten neben der Erfassung des Vorhandenen und der
Berechnung des Bedarfs der Konstanzer Bevölkerung die Verteilung der Lebensmittelkarten
und Bezugsscheine.284 Über die Stadt verteilt gab es vier Ausgabestellen für
Lebensmittelkarten und Bezugsscheine: In der Altstadt (Verkehrsamt), in Petershausen
(Mainaustr. 14), in Wollmatingen (Rathaus) und in Allmansdorf (Mainaustr. 150).285
Hier wurden in vierwöchigen Zuteilungsperioden (ZP) nach dem in den Kriegsjahren immer
weiter verfeinerten Verteilungssystem die Lebensmittelkarten ausgegeben. Die Verbraucher
wurden zunächst in ‚Selbstversorger‘, ‚Teilselbstversorger‘ und ‚Normalverbraucher‘ (NV)
unterteilt. Da sich im Stadtgebiet selbst mit dem, was ein Garten hergab, kaum jemand selbst
versorgen konnte, gehörten die Konstanzer überwiegend zur Gruppe der
‚Normalverbraucher‘.286
Über diese erste Differenzierung hinaus wurde die Bevölkerung in unterschiedliche
Altersgruppen eingeteilt. Es gab unterschiedliche Rationen für Kleinkinder, Kinder,
281 Erlass Nr. 19 des LEA Baden vom 29. 8. 1945. Zitiert nach Stei 1992:30f. 282 Stei 1992:34. Zur Persönlichkeit und Biographie Schneiders Vgl. Ebd. 34f. 283 Stei 1992:36, Fn. 14. Zur Entnazifizierung in der FBZ vgl. Grohnert, Reinhard. 1996. Die »auto-épuration«. Der französische Sonderweg in der Entnazifizierung. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 165-185. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3); in Konstanz vgl. Burchardt 1996 55ff., 119ff., 199ff. 284 Da sich in Konstanz das Wirtschafts- und das Ernährungsamt unter einem Dach befanden, gehörten außerdem Wohnungsamt, Fürsorgewesen und Requisitionsamt zu den Aufgaben des WEA Konstanz. 285 StA KN 6753 Schuhe und StA KN SII 6812 Korrespondenz Spinnstoffe 1945/46. 286 Stei 1992:18. Die Zahl der NV lag in Konstanz von 1945 bis 1948 zwischen 96,7 und 99,5 % der Gesamtbevölkerung. Ebd. Fn. 39. Im März 1948 kamen im Stadtkreis Konstanz auf 37.038 NV nur 595 Teilselbst- und 404 Selbstversorger. Damit hatte Konstanz nach Baden-Baden den geringsten Anteil von Selbstversorgern. Bosch 1988:89.
49
Jugendliche und Erwachsene. Zudem gab es Karten für Schwer- und Nachtarbeiter und
Sonderzuteilungen für werdende und stillende Mütter und Kranke.287
Die Lebensmittelkarten waren in verschiedene Abschnitte - ‚Marken‘ - unterteilt, für die man
gegen Vorlage in den Geschäften die entsprechenden Lebensmittel zu festgesetzten Preisen
kaufen konnte. Die gegen Waren eingetauschten Lebensmittelmarken wurden vom Händler
gesammelt und auf Abrechnungsbögen geklebt, die beim WEA abgeliefert werden
mussten.288 So behielt das WEA die Kontrolle über die abgegebenen und benötigten Güter.
Es gab allerdings keine Garantie dafür, dass auch tatsächlich alle Marken gegen Lebensmittel
eingetauscht werden konnten.289 War die entsprechende Ware nicht oder nur in geringer
Menge vorhanden, konnte das WEA Kartenabschnitte für ungültig erklären.290
Auch die Versorgung mit Nicht-Lebensmitteln war über ein Berechtigungsscheinsystem
geregelt. Um einen Bezugsschein für Kleidung, Schuhe, Seife, Möbel usw. zu erhalten,
musste man in einer der vier Kartenausgabestellen einen Antrag auf Bezugsschein stellen.
Hierzu musste mit zahlreichen Papieren belegt werden, dass man tatsächlich bedürftig sei.
Erging innerhalb von vier Wochen kein Bescheid, galt der Antrag als abgelehnt. Erhielt man
aber einen Bezugschein, konnte man in eines der Konstanzer Geschäfte gehen, um die Ware,
für die der Schein gut war, zu erwerben.291 Die Ware erhielten die Händler auf Zuweisung des
Badischen Ministeriums der Wirtschaft und Arbeit.292 Auch hier wurden die abgegebenen
Bezugsscheine wieder über den Einzelhändler an das WEA zurückgeleitet, so dass der
Verbrauch der Waren kontrolliert werden konnte. Oft genug konnte für den Bezugsschein
jedoch nur qualitativ schlechte Ware gekauft werden, manchmal gar keine, da die
Einzelhändler zu geringe Warenzuteilungen erhalten hatten.293 Im WEA wurde genauestens
vermerkt, wer wann für welche Güter einen Bezugsschein erhalten hatte. Nur so konnte eine
einigermaßen gerechte Verteilung gesichert werden. Wer glücklicher Besitzer eines
Bezugsscheines für Schuhe war, konnte nicht damit rechnen, innerhalb der nächsten Monate
einen Bezugsschein für Kleidung oder ähnliches zu erhalten.294
Kamen Güter zum Aufruf, die durch die gedruckten Lebensmittelkarten und Bezugsscheine
nicht gedeckt waren, benutzte das WEA die sogenannten Beiblätter, die zum Bezug von Obst,
287 Burchardt 1996:77. 288 Stei 1992:18. 289 Zang 2002:91. 290 Stei 1992:18f. 291 StA KN S II 6753 Schuhe. 292 StA KN S II 6812 Korrespondenz Spinnstoffe 1945/46. 293 So bat der Schuhhandel in Konstanz darum, sogenannte ‚Ladenhüter‘ ohne Bezugschein verkaufen zu dürfen. Bei den unverkäuflichen Schuhen handelte es sich um Schuhe aus Lederresten und Autoreifen. StA KN S II 6753 Schuhe. 294 StA KN S II 6753 Schuhe.
50
Gemüse, Fisch, Streichhölzern, Seife etc. berechtigten.295 Auch schweizer Spenden wurden
über die Beiblätter verteilt.296
Da viele Waren nicht in ausreichender Menge vorhanden waren, konnte man nur dann darauf
hoffen, etwas von dem Begehrten kaufen zu können, wenn man rechtzeitig zur Stelle war.
Schlangenbildung vor den Geschäften war die Folge. Auch die Aussicht, etwas ohne Marken
zu bekommen, ließ lange Schlangen vor den Geschäften wachsen.
„Sie [die Schlange] bildet sich überraschend schnell im Anschluß an Gerüchte. Die Hausfrauen scheinen über ein eigenes Nachrichtennetz zu verfügen, wenn es ‚irgendwo irgend etwas gibt‘, wenn in der Pferdemetzgerei beispielsweise Wurst ‚ohne‘ oder ‚fast ohne‘ (das heißt natürlich ohne Lebensmittelmarken) verkauft wird. Aber auch die geäußerte Meinung, daß dieser oder jener Bäcker helleres Brot habe, kann zu konzentrierter Schlangenbildung führen.“297
Offensichtlich reichte das von den NS-Planern übernommene Markensystem nicht mehr aus,
um das Vorhandene gleichmäßig zu verteilen. Dies lag vor allem daran, dass die zentrale
Erfassungs- und Verteilungsfunktion des NS-Systems durch die Zonengrenzen nicht mehr
aufrecht erhalten werden konnte. Auch die französische Dezentralisierungspolitik trug ihren
Teil dazu bei. Da es auf Zonenebene zu keiner tragenden zentralen Einrichtung gekommen
war, blieb den zuständigen Stellen auf Länder- Kreis- und Stadtebene nichts anderes übrig, als
den jeweiligen lokalspezifischen Mangel zu verwalten.
1.2.4.2 Städtische Maßnahmen zur Organisation des Mangels Auch die Stadt tat, was sie konnte, um die trostlose Lage zu verbessern. Bis 1950 war vor
allem die Nahrungsversorgung ständiges Thema des Stadtrates.298 Oft genug blieb jedoch
auch der Stadt nicht viel mehr, als den Mangel möglichst gut zu verwalten.
Der Stadt waren z.B. die oben erwähnten Schlangen ein Dorn im Auge. Sie versuchte den
Einzelhandel dazu zu bewegen, an die Wartenden Nummern zu verteilen, um sie anschließend
im 30 Minuten-Takt nach der Reihenfolge der Nummern zu bedienen.299 Die
Wirtschaftsgruppe Einzelhandel schloss sich diesem Vorschlag an und gab eine umfangreiche
Anleitung zur Schlangenbekämpfung heraus. Ab 30-40 Personen sollten die Ladeninhaber ihr
Geschäft schließen und an die Wartenden ‚Zeitzettel‘ verteilen, die dem Inhaber eine
bestimmte Uhrzeit angaben, zu der er wiederkommen solle.300 Bemerkenswert ist hieran, dass
erst ab 30-40 Personen eine Schlange als unerträglich empfunden wurde. Daraus lässt sich
295 Stei 1992:19; Dietrich 1966:29. 296 Stei 1992:19. 297 Dietrich 1966:68. 298 Burchardt 1996:232. 299 Schreiben des OB an die Inhaber der Geschäfte, Gaststätten und dergl. vom 28. 4. 1945. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). 300 Rundschreiben der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel Bezirksstelle Konstanz an alle Einzelhändler vom 6. 6. 1945. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).
51
schließen, dass die üblichen Schlangen weit mehr Personen umfassten.301 Man kann sich
vorstellen, dass es mehrere Stunden dauern konnte, bevor man eine solche Schlange
absolviert und den Verkaufstresen erreicht hatte. Auch vor den Behördenschaltern bildeten
sich Schlangen.302 Und auch hier musste man viel Zeit mitbringen, wollte man bis vorne
durchdringen, und nicht immer lohnte sich die Mühe. „Beim Wirtschaftsamt in der
Mainaustraße stand Mutter mehrmals morgens ab 5 Uhr Schlange, um einen Bezugsschein für
Schuhe zu erhalten, es war ohne Erfolg.“303 ‚Schlangestehen‘ wurde zu einer der
Hauptbeschäftigungen der Bevölkerung, vor allem der Hausfrauen.304
Da das Schlangestehen nicht nur zeitaufwändig, sondern für die unterernährten Menschen
auch sehr kräfteraubend war, erhielten Alte, Kranke und Schwangere Sonderausweise, die es
ihnen erlaubten, „sofort beim Betreten eines Geschäftes vorzugehen, so daß das
Schlangestehen“ fortfiel.305 Dies führte bei den Nichtbegünstigten allerdings oft zu
Beschwerden. Auch Missbrauch dieser Sonderausweise kam vor.306 Dass sich die Stadt noch
zwei Jahre nach Kriegsende mit solchen Problemen beschäftigten musste, zeigt, wie wenig
die von Stadt und Einzelhandelsverbänden erdachten Maßnahmen zur Bekämpfung der
Schlangen griffen. Trotz ‚Zeitzettel‘ wurde nach wie vor Schlange gestanden. Die
Beteuerungen von offizieller Seite, es werde nur aufgerufen, was tatsächlich da sei,307 fanden
wenig Gehör - zumal dies ja auch faktisch nicht immer der Wahrheit entsprach.
Um eine bessere Organisation bei der Verteilung der Waren zu gewährleisten, führte die Stadt
eine Kundenbindung für die Verbraucher an.308 Man musste sich verbindlich als Kunde eines
Geschäftes eintragen lassen und konnte nur hier Waren auf seine Lebensmittelkarte
erhalten.309 Waren, die in genügender Menge vorhanden waren, konnten vom Händler auch an
nicht eingetragene Kunden verkauft werden, Mangelwaren jedoch nur an vorgemerkte
Verbraucher.310 Dies sicherte dem Verbraucher zwar das Vorhandensein knapper Güter, die
Aussicht, in anderen Geschäften eventuell Waren zu bekommen, die auch an nicht
301 H. spricht von „40-50m lange[n] Anstehbänder[n]. Vgl. Tagebuch H., 27. 5. 1945. 302 Dietrich 1966:67f. 303 Schäfer 1997:141. 304 Vgl. Kapitel 1.3.1. 305 Zitat aus dem Schreiben eines Bürgers and den OB vom 24. 8. 1948, in dem der Schreiber die Einführung eines solchen Ausweises anregt. Der Antrag wurde am 5. 9. 1946 dem Stadtrat unterbreitet und am 9. 9. 1946 bewilligt. Die Sonderausweise waren im WEA erhältlich. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). 306 Schreiben des OB an den Einzelhandelsverband vom 18. 6. 1947. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). 307 Schreiben OB an das städtische Hauptverwaltungsamt vom 1. 10. 1946. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). 308 Stei 1992:51. 309 Stei 1992:51. 310 Stei 1992:52.
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vorgemerkte Kunden ausgegeben wurden, führte aber zu den oben erwähnten Gerüchten, da
oder dort sei dieses oder jenes zu bekommen, und damit zu den Schlangen vor den
Geschäften, die die Stadt eigentlich verhindern wollte.
Der Energieknappheit begegnete die Stadt mit den bereits erwähnten Stromsperren. Auch die
Konstanzer Ladengeschäfte blieben davon nicht verschont. Im Oktober 1945 wurden die
Öffnungszeiten beschränkt. Die Ladenbesitzer durften ihre Geschäfte nur noch täglich von 9
bis 12.30 und von 14 bis 16 Uhr geöffnet halten.311 Mit dieser Beschränkung sollten der
Heizmaterialbedarf und der Stromverbrauch gesenkt werden.312 Aus den gleichen Gründen
durften in den Wintermonaten 1946/47 die Bäckereien nur noch an bestimmten Tagen in der
Woche öffnen.313 Nur montags, freitags und samstags konnte uneingeschränkt eingekauft
werden. Am Mittwoch blieben die Bäckereien wie alle anderen Geschäfte ganztägig
geschlossen. Dienstags und donnerstags hatte jeweils nur die Hälfte der Bäckereien
geöffnet.314 Da die Konstanzer an ‚ihren‘ Bäcker gebunden waren, konnten sie also an zwei
Tagen in der Woche kein Brot kaufen.315
Den Mangel an Hausbrand versuchte die Stadt durch die Einrichtung von Wärmehallen zu
lindern.316 In vier Gaststätten - in der ‚Post‘ an der Marktstätte, im ‚Alemannen‘ in der
Hussenstraße, im ‚Roten Knopf‘ in der Paradiesstraße und in der ‚Gebhardshalle‘ in der
Gebhardstraße317 - konnten sich die Konstanzer kostenlos aufhalten und damit eigenes
Heizmaterial sparen.318 Die Wärmehallen waren täglich von 14 bis 18 Uhr geöffnet und
wurden gerne besucht.319
Die Stadt tat, was sie konnte, um den Mangel möglichst gerecht zu organisieren. Bis 1950
beschäftigte sich der Stadtrat in jeder Sitzung mit den Versorgungsproblemen, vor allem der
ungenügenden Lebensmittelversorgung.320 Doch nicht nur städtische Stellen mühten sich um
eine Verbesserung der Lage. Auch Kirchen und Gewerkschaften sahen in der Lösung der
311 StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). Die Öffnungszeiten wurden jeweils in der Presse bekannt gegeben. Ebd. 312 Schreiben des OB vom 7. 10. 1946. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). Aus den Akten geht hervor, dass es sich bei diesen Beschränkungen bereits um ein Zugeständnis an den Einzelhandel handelte. Aus Sorge um die „Lebendigkeit des Stadtbildes“ wurden die Öffnungszeiten weniger gekürzt, als es der Energiemangel verlangt hätte. Ebd. 313 StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). 314 StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). 315 Dies führte zu vielen Klagen, da daher schon am Montag bzw. Dienstag das Brot für die folgenden zwei Tage gekauft werden mußte. Durch die minderwertige Qualität des Mehls war das Brot jedoch schon nach einem Tag trocken. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). 316 Burchardt 1996:92.f. 317 Dietrich 1966:41. 318 Burchardt 1996:92f. 319 Dietrich 1966:41. 320 Burchardt 1996:232.
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Alltagsprobleme ihre dringlichste Aufgabe.321 Beheben konnten auch diese vereinten
Anstrengungen die Probleme freilich nicht. Erst die seit 1947 zaghafte, seit 1948 dann
spürbare Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage ließ auch die Alltagssorgen kleiner
werden.
Insgesamt wurde das Leben der Bevölkerung ungemein durch den Mangel der Nachkriegszeit
strukturiert. Die Tagesabläufe richteten sich nach Ladenöffnungszeiten, nach der Länge von
Schlangen und dem jeweiligen Angebot an Waren. Welche Auswirkungen dies auf den Alltag
der Hausfrauen hatte, ist Thema des folgenden Kapitels.
1.3 Frauenalltag in Zeiten des Mangels In einer Zeit des totalen Zusammenbruchs staatlicher Institutionen bekam die private
Organisation des Überlebens ungeheure Gewichtigkeit. Wie gezeigt wurde, versuchte die
Stadt in vereinten Kräften mit Gewerkschaften und Kirchen der Probleme der Nachkriegszeit
Herr zu werden. Angesichts der drückenden Wirtschaftslage mussten ihre Bemühungen
jedoch vergebens sein. Umso wichtiger war es für die Bevölkerung, selbst eine minimale
Versorgung an Nahrung, Kleidung, Gebrauchsgütern und medizinischer Betreuung
sicherzustellen. Ausdruck dieses ‚privaten Überlebenskampfes‘ waren die erwähnten
‚Hamsterfahrten‘, der Anbau eigenen Gemüses, das Flicken und Wenden von Kleidung, die
improvisierten Schuhe, die Selbstversorgung mit Hausbrand.
Trägerinnen dieses Überlebenskampfes nach 1945 waren in erster Linie die Frauen, genauer,
die Hausfrauen. Der von ihnen „hauptverantwortlich geführte Haushalt stellte bis 1947/48 die
alleinige Subsistenzbasis der (...) Familien dar.“322 Das hauswirtschaftliche Können der
Hausfrauen entschied über Leben und Tod der Familie, zumal sie durch Tod oder
Gefangenschaft der Männer oft genug als alleinige Ernährer der Familien fungierten.323 Ihr
hauswirtschaftliches Wissen befähigte sie, die kargen Lebensmittelrationen sinnvoll
einzuteilen, sie verfügten über die Kenntnis, Lebensmittel haltbar zu machen, sie waren in der
Lage, selbst Kleidung herzustellen und zu flicken und sie sicherten durch ihr medizinisches
Wissen eine entsprechende Grundversorgung.324 Indem sie, wenn auch mit einfachsten
321 Fäßler 1996d:213. Zu den Gewerkschaften in Baden: Wolfrum 1996a; in Konstanz: Burchardt 1996:124ff. Zu den Kirchen in Baden: Fäßler, Peter. 1996b. »Umkehr durch Verchristlichung«. Die Kirchen als Ordnungsfaktor. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 75-81. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3); in Konstanz: Burchardt 1996:129ff. 322 Kluge 1988:15. 323 Vgl. Kapitel II., besonders 2.4. 324 Ironischerweise waren die Hausfrauen gerade durch das NS-Konzept des ‚wehrhaften Haushaltes‘ auf ihre Rolle in den Nachkriegsjahren vorbereitet worden. Vgl. Freier 1986:52; Schubert 1984:59f. Des Weiteren hatten die Mangelzeiten von 1916-1924 und 1930 einen Lebensstil gefördert, zu dem „Sparsamkeit in der Haushaltsführung und andere Ausgaben mindernde hausfrauliche Tugenden und Fertigkeiten wie
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Mitteln, in den beengten Wohnverhältnissen für etwas Behaglichkeit und Ordnung inmitten
des Nachkriegschaos sorgten, leisteten sie darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur
psychologischen Überwindung der Krise.325
Alle Probleme der Nachkriegszeit trafen im privaten Haushalt aufeinander und wurden hier,
soweit es die Kräfte zuließen, gelöst. Der Blick auf die Arbeit der Frauen öffnet daher eine
besondere Sicht auf den Alltag der Nachkriegszeit. Aus diesem Grunde sollen im Folgenden
einige Beispiele für die Überlebensarbeit von Frauen aufgezeigt werden. In den Konstanzer
Quellen - vor allem im Tagebuch H. - finden sich zahlreiche Hinweise auf die besondere
Rolle der Hausfrauenarbeit in der Nachkriegszeit. Sie werden daher im Folgenden
ausführlicher als bisher zitiert.
1.3.1 Hausarbeit unter Nachkriegsbedingungen Im Zentrum der Frauenarbeit stand die Versorgung der Familienangehörigen mit Nahrung.
Die Lebensmittelknappheit der Nachkriegszeit strukturierte dabei in ungewohnt hohem Maße
den Alltag der Frauen.326 Zunächst galt es, die auf Lebensmittelmarken zu erhaltenden Waren
zu besorgen. Was auf welche Marke wann und wo zu erhalten war, wussten meist nur die mit
dem Einkauf betrauten Frauen. Dies war auch in Konstanz nicht anders. So kommentiert
Agnes Dietrich in einem ihrer zeitgeschichtlichen Artikel über den Konstanzer
Nachkriegsalltag sehr treffend: „Das Geheimnis der Zahlen und Buchstaben, die dieses
Markensystem birgt, erschließt sich im allgemeinen nur der sorgenden Hausfrau und auch ihr
nicht ohne Mühe.“327 Wie in Kapitel 1.2.4.2 geschildert wurde, konnte teilweise nur an
bestimmten Tagen und, nach Einführung der Kundenbindung, auch nur in bestimmten
Geschäften eingekauft werden. Um die Lebensmittelmarken einlösen zu können, mussten die
Hausfrauen daher sehr genau alle betreffenden Regelungen und Erlasse studieren. Die Erlasse
wurden zunächst über Plakate in den Lebensmittelgeschäften, später in der Regonalzeitung
‚Südkurier‘ bekannt gegeben.328 Das Einholen der Waren, das heißt, das Einlösen der
Lebensmittelmarken, ist mit heutigen Einkäufen kaum vergleichbar. Da sich vor allen Läden
lange Schlangen bildeten, mussten für einfache Einkäufe mehrere Stunden berechnet
Selbstschneidern, Ändern, Flicken und Stricken, intensive Gartennutzung, Konservierungs- und Vorratshaltung von Gemüse und Obst gehörten.“ Sywottek, Arnold. 1990. Konsum, Mobilität, Freizeit. Tendenzen gesellschaftlichen Wandels. In: Broszat, Martin (Hg.). 1990. Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte. München, Oldenbourg, 95-111. (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 61), hier 97. 325 Fuchs, Susanne. 1993. Frauen bewältigen den Neuaufbau. Eine lokalgeschichtliche Analyse der unmittelbaren Nachkriegszeit am Beispiel Bonn. Pfaffenweiler: Centaurus. (= Bonner Studien zur Frauengeschichte, 1), hier 20; Schubert 1984:50. 326 Fuchs 1993:23. 327 Dietrich 1966:29. 328 StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).
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werden.329 Diese Arbeit wurde überwiegend von Frauen übernommen, da die meist
arbeitstätigen Männer schwerlich die Zeit aufbringen konnten, die „40-50 m lange[n]
Anstehbänder“330 zu absolvieren. Für jede Ware musste lange angestanden werden. Der
Konstanzer H. notiert in sein Tagebuch: „Grete [die Tochter des Tagebuchautors, d.V.]
brachte nach zweistündigem Anstehen 3 kleine Blumenkohlköpfe nach Hause. Alles andere
war bereits ausverkauft.“331 Und etwas weiter heißt es:
„Gretel bringt aus der Stadt, wo sie von 9-1/2 12 im Metzgerladen anstehen musste: 300 g Rindfleisch, 150 g Fleischkäs und ohne Marken ½ Pf. Blutwurst, ferner Butter, 2 kg Brot und 2 Köpfe Weißkraut.“332
Da die Tochter des Tagebuchautors außer Fleisch- und Wurstwaren auch noch Butter, Brot
und Gemüse erworben hat, lässt sich unschwer vorstellen, wie lange der Einkauf in den zwei
oder drei verschiedenen Geschäften gedauert haben muss, wenn sie allein beim Metzger
schon 2,5 Stunden gewartet hat. Bezeichnenderweise scheint auch in der Familie des
Tagebuchschreibers das Einkaufen ausschließlich Frauenarbeit gewesen zu sein. Der Autor
war Zeichenlehrer in einer Konstanzer Schule. Da die Schulen erst wieder im Herbst 1945
öffneten, verfügte H. über sehr viel Freizeit.333 Dennoch erledigten Tochter oder Ehefrau des
Tagebuchautors die Einkäufe: „Außer den Lebensmitteln ist (..) so gut wie nichts mehr zu
kaufen und diese bringen immer Johanna [die Ehefrau des Tagebuchautors, d.V.] und Gretel
bei (...).“334
Auch das Anstehen an allen weiteren Schaltern der verschiedenen Behörden wurde aus
Zeitgründen zum Großteil von Frauen erledigt. Selbst für die Lebensmittelkarten musste man
in der Regel erst einmal anstehen. Sie wurden wöchentlich in den vier Ausgabestellen des
WEA ausgegeben.335 Sehr zeitaufwändig war das Anstehen für Kleidung und Schuhe, und
nicht immer lohnte sich die Mühe. Hier sei noch einmal die Passage aus den Erinnerungen
Franz Schäfers zitiert: „Beim Wirtschaftsamt in der Mainaustraße stand Mutter mehrmals
morgens ab 5 Uhr Schlange, um einen Bezugsschein für Schuhe zu erhalten, es war ohne
Erfolg.“336
329 Vgl. Kapitel 1.2.4.2. 330 Tagebuch H., 27. 5. 1945. 331 Tagebuch H., 15. 6. 1945. 332 Tagebuch H., 21. 7. 1945. 333 H. war von der Besatzungsmacht mehrere Stunden täglich zur Bewachung der französischen Plakate verpflichtet worden. Die restliche Zeit verbrachte er seinen Aufzeichnungen zufolge hauptsächlich mit Gartenarbeit und dem Erteilen von privatem Zeichenunterricht. 334 Tagebuch H., 20. 6. 1945. 335 Vgl. Kapitel 1.2.4.1. 336 Schäfer 1997:141.
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Anstehen um Nahrungsmittel, Kleidung, Schuhe, Lebensmittelkarten und mehr beanspruchte
also einen Großteil der Arbeitszeit der Frauen.337 Ähnlich zeitaufwändig konnte das
Zubereiten der Mahlzeiten sein. Bestand das Frühstück wie so oft aus „Kaffe sacharingesüßt
u. 3 Schnitten trockene[n] Brot[es]“338 war das Essen freilich schnell gerichtet. Mit den
wenigen Zutaten, die zur Verfügung standen, eine halbwegs vollständige warme Mahlzeit
zuzubereiten, konnte hingegen oft langwierig werden. Zunächst einmal erschwerte die
Energieknappheit das Wirtschaften.339 Nur zu bestimmten Zeiten wurde genügend Gas
geliefert, um überhaupt Kochen zu können. Das Kochen selbst war tägliche Improvisation. Da
die zugewiesenen Lebensmittelrationen sowohl in Menge als auch Art wöchentlich
schwankten, war eine vernünftige Kalkulation kaum möglich.340 Es musste verwendet
werden, was da war. Das Ergebnis waren teilweise recht abenteuerliche Kreationen. Hier sei
einer der zahlreichen Speisepläne aus dem Tagebuch H. zitiert:
„Frühstück: Kaffe mit drei Schnitten Butterbrot und ungezuckertem Eingemachten. Mittags: Gute Phantasiesuppe, gestreckter Hackbraten mit Erbsen-Phantasiegemüse und Salzkartoffeln. Dessert: Beerencreme aus Buttermilch, Kartoffelmehl und dazugedachtem Zucker. (...) Abends: Schalenkartoffeln mit einem Phantasiemüslein aus Sauermilch, Fleischresten und Kräutern, sowie etwas Käse mit Kümmel.“341
Diese Auflistung ist nicht unbedingt repräsentativ, da es sich um den sonntäglichen
Speiseplan handelt, der trotz des allgemeinen Mangels in der Regel etwas reichhaltiger ausfiel
als an den Werktagen. Unter der Woche kam in der Familie H. nur selten Fleisch oder Käse
auf den Tisch. Bezeichnend ist jedoch die Häufung improvisierter ‚Phantasiegerichte‘. Die
hauswirtschaftliche Leistung, die hinter diesen und ähnlichen ‚Phantasiegerichten‘ stand,
blieb nicht ungewürdigt:
„Ich wundere mich täglich über die Kunst der Frauen, Suppen herzustellen, die an die besten Friedenshotelsuppen heranreichen. Sonst ist die Kost ja ziemlich spärlich, aber auch hier zeigt sich Johannas [die Ehefrau des Tagebuchautors, d.V.] Tüchtigkeit und Erfindungsgabe, die stets für Abwechslung und Schmackhaftigkeit sorgt. Welch wundersame Wege hat sie im Verlauf der vergangenen Monate nicht doch schon eingeschlagen, um den ewigen Quellkartoffeln aus dem Weg zu gehen. Ich glaube, dass man, sofern es einmal wieder Friede werden sollte, gar nicht mehr für möglich halten wird, so vielerlei Zubereitungsarten der Kartoffel gehabt zu haben.“342
Der Erfindungsgabe der Hausfrauen ist es auch zu verdanken, dass der in der Nachkriegszeit
beliebte Witz selten Realität wurde: „Ehemann: ‚Was gibt es heute zu essen?‘ Ehefrau:
‚Kartoffeln.‘ Ehemann: ‚Und was gibt es dazu?‘ Ehefrau: ‚Gabeln.‘“343
337 Burchardt 1996:109. 338 Tagebuch H., 23. 7. 1945 339 Vgl. Kapitel 1.1.4.3. 340 Stei 1992:56. 341 Tagebuch H., 1. 7. 1945. 342 Tagebuch H., 13. 1. 1946. 343 Mündliche Mitteilung von Margarete Reich, Großmutter der Verfasserin.
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Die tägliche Improvisationskunst der Hausfrauen fand ihren Niederschlag in zahlreichen
Sparten der Frauenzeitschriften und in der Tagespresse.344 Hier wurden bewährte Notrezepte
veröffentlicht und Tipps zur Konservierung von Lebensmitteln gegeben. Selbst in Buchform
erschienen die Notrezepte. Franz Schäfer benutzte solch ein Rezeptbuch, wenn er in
Abwesenheit der Mutter den Haushalt führte.
„Bei Abwesenheit der Mutter war ich fürs Bettenmachen und fürs Kochen zuständig. Eines Tages entdeckte ich in der Buchhandlung Gess ein schmales Heftchen mit Sparrezepten. Eigentlich hätten sie Sparsamstrezepte heißen müssen. Aber mit ihrer Hilfe entwickelte ich mich zu einem guten Sparkoch: Kartoffelapfelkuchen, Ersatzsagosuppe, Ersatzheringe, Einfachstkartoffelsalat gehörten zu meinen Spezialitäten, die immer mit Kartoffeln, aber ohne Fett, Öl oder Zucker zubereitet wurden. Als Beispiel sei der Kartoffelsalat angeführt: Essig wurde mit etwas Mehl angedickt und die geschälten und gesalzenen Pellkartoffelschnitze damit übergossen.“345
Die Arbeit der Hausfrauen erschöpfte sich jedoch keineswegs in der Zubereitung
phantasievoller Notgerichte.
Da viele Güter auch auf Marken nicht erhältlich waren, fiel ihre Herstellung in den Bereich
des privaten Haushaltes. Aus gesammeltem Fallobst wurde Most gepresst, aus den nach der
Ernte liegengebliebenen Ähren Malzkaffe geröstet.346 Auch Tabak wurde selbst gezogen und
fermentiert.347 Da Reinigungsmittel ebenfalls nur sehr sporadisch zur Verteilung kamen,
wurde sogar Seife selbst hergestellt.348
Es ist anzunehmen, dass diese selbsthergestellte Seife nur ein Bruchteil der Reinigungskraft
industriell hergestellter Seife besaß. Für die Hausfrauen bedeutete dies, dass neben der kraft-
und zeitaufwändigen Nahrungsmittelzubreitung auch die weitere Hausarbeit durch den
allgemeinen Mangel massiv erschwert wurde. Zum einen kostete die Herstellung von
Reinigungsmitteln zusätzliche Zeit, zum anderen wurde das Putzen und Waschen selbst
weitaus kraft- und zeitaufwändiger. Selbst die auf Marken erhältliche Seife war nicht immer
brauchbar. Aus den Beschwerden der Bevölkerung an das WEA geht beispielsweise hervor,
dass die Seife, die im Juni 1946 nach langen Wochen endlich zur Verteilung kam, so scharf
war, dass sie die sowieso schon strapazierten Kleidungsstücke angriff.349
Auch die Instandhaltung der Kleidung war Aufgabe der Hausfrauen. Und auch hier
erschwerte der Mangel der Nachkriegszeit die Arbeit der Hausfrauen ungemein. Neue
Kleidungsstücke waren kaum zu bekommen, und Stoffe und Kurzwaren waren aufgrund der
344 Schubert 1984:42. 345 Schäfer 1997:144. 346 Schäfer 1997:141. 347 Zang 1995:41. 348 Freier 1986:50. 349 Schreiben des WEA vom 17. 6. 1946. StA KN S II 9526 Beschwerden über das Wirtschafts- und Ernährungsamt.
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desperaten Wirtschaftslage und des hohen französischen Bedarfs auf diesem Sektor äußerst
rar.350
„Die Hausfrau flickte ohne die erforderlichen Zutaten alte Kleidungsstücke immer wieder zusammen oder machte aus mehreren irreparablen Stücken ein neues; sie wendete, vergrößerte oder verkleinerte abgetragene Kleider, um sie weiter nutzen zu können. Sie strickte aus rettungslos durchgelaufenen Socken neue, arbeitete Hakenkreuzfahnen zu Spiel- oder Badehosen um, besohlte Schuhe mit den Resten durchgefahrener Fahrradmäntel und nähte aus Uniformteilen Winterkleidung.“351
All diese Arbeiten verrichteten die Frauen nicht nur unter den erschwerten Bedingungen, die
der Mangel an Nahrungsmitteln, Wasch- und Putzmitteln und Kurzwaren verursachte,
sondern auch in der drückenden Raumnot der Nachkriegszeit. Da sie ihre Arbeit zum größten
Teil zu Hause verrichteten, sahen sie „sich mehr als alle Familienmitglieder mit der
räumlichen Enge konfrontiert, die ihnen der Wohnungsmangel aufzwang; häufig bedeutete
das tägliche Vermittlungs- und Schlichtungsarbeit.“352 Auch unter dem Mangel an Hausbrand
litten die Frauen oft stärker als ihre Familienmitglieder. Da meist nur ein Raum pro Wohnung
geheizt werden konnte, musste ein Großteil der anfallenden Hausarbeiten bei eisigen
Temperaturen in dicker Winterkleidung verrichtet werden.353 Dies war auch in der Familie H.
nicht anders:
„Das Innenfenster in der Küche war heute früh, das erste Mal seit einigen Tagen, eisfrei, d.h. die Rinne war auf - u. die Eiszapfen am unteren Rahmen aufgetaut. Ich erwähne dies, um die Verhältnisse in der Küche nicht der Vergangenheit anheimfallen zu lassen. Während der ganzen Kältezeit werkeln nämlich die zwei Frauen [Ehefrau und Tochter des Tagebuchautors, d.V.] draußen in der Küche bei niedersten Temperaturen, da wir uns zwei Feuerstellen nicht leisten können.“354
Besonders schwer war die Versorgung von Säuglingen, da es weder Kindernahrung noch
Gummisauger zu kaufen gab.355 Auch Milch war knapp und die Mütter oft so entkräftigt, dass
sie nur wenig stillen konnten.356 Da auch Gummihosen rar waren, mussten Säuglingsmütter
mehrmals täglich Windeln waschen, was unter den geschilderten Umstanden eine große
Mehrbelastung bedeutete.
Angesichts dieser vielfältigen Zusatzbelastungen verwundert es wenig, dass ein traditioneller
Bereich der Hausfrauenarbeit zurückstehen musste: die Kindererziehung.357 In
zeitgenössischen Kommentaren finden sich zahlreiche besorgte Stimmen, die eine
350 Vgl. Kapitel 1.1.4.3. 351 Burchardt 1996:109. 352 Burchardt 1996:109. 353 Burchardt 1996:184; Zang 1995:39. 354 Tagebuch H., 20. 1. 1946. 355 Burchardt 1996:109. 356 Höhn 1993:60. 357 Schubert 1984:50.
59
Verwilderung der unbeaufsichtigten Kinder und Jugendlichen befürchteten.358 Die immens
gestiegene Jugendkriminalitätsquote der Nachkriegszeit scheint diese Befürchtungen mehr als
zu bestätigen, doch handelte es sich bei den meisten Delikten um die nach 1945 gängigen
Verstöße gegen die Bewirtschaftungsvorschriften: ‚Kohleklau‘, Felddiebstähle und
ähnliches.359 Vergehen also, der sich auch viele Erwachsene schuldig machten.360 Ein
langfristiger ‚moralischer Verfall‘ der Jugend fand jedoch nicht statt. Gerade Kinder aus
vaterlosen Familien scheinen durch die Notzeiten ein gesteigertes Verantwortungsgefühl
erworben zu haben. Sie zeigten sich in den ersten Jahren der Bundesrepublik „in Schule und
Ausbildung als besonders anpassungsbereit und aufstiegsmotiviert.“361
1.3.2 Erweiterung der Hausarbeit Da die offiziellen Lebensmittelzuteilungen in keiner Weise den Bedarf der Bevölkerung
decken konnten, war jede Familie darauf angewiesen, zusätzliche Quellen aufzutun. Da es den
meist arbeitstätigen Männern an Zeit mangelte, trugen auch hier die Hausfrauen die Hauptlast.
Sie bewirtschafteten den eigenen Garten, unternahmen ‚Hamsterfahrten‘ aufs Land und
tätigten Schwarzmarktgeschäfte. Die Hausarbeit trat damit aus dem traditionellen Raum des
privaten Haushaltes heraus und erfuhr so eine immense Erweiterung.
In der Familie H. bestand der überwiegende Teil der täglichen Nahrung aus selbstgezogenem
Gemüse.362 Hier war hauptsächlich der Ehemann für den Garten verantwortlich, was
ungewöhnlich ist. In vielen anderen Familien war die kleine Landwirtschaft Aufgabe der
Hausfrau.363
Die ‚Hamsterfahrten‘ waren auch in der Familie H. eindeutig Aufgabe der Frauen.364 H.
schildert eine solche Fahrt seiner Frau Johanna:
„Johanna und Paula (...) fahren in aller Früh’ nach Uhldingen, kommen schwer beladen und erzähllüstern abends zurück. Haben viel erlebt. Gegen Kleider, Socken, Handtasche und
358 Zur Situation der Jugend in Konstanz nach 1945 vgl. Burchardt, Lothar. 2002a. Jugend und Schule in Konstanz. In: Rosgartenmuseum Konstanz (Hg.). 2002. Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Erschienen anlässlich der Ausstellung „Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Vom Hitlergruß zum Petticoat. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960.“ Konstanz: Konstanzer Museumsjournal, 108-115, hier 111f. und Burchardt 1996:95ff. 359 Willenbacher, Barbara. 1988. Zerrüttung und Bewährung der Nachkriegs-Familie. In: Broszat, Martin, Klaus-Dietmar Henke & Hans Woller (Hgg.). 1988. Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. München: Oldenbourg, 595-618. (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 26), hier 598. 360 Vgl. Kapitel 1.1.4.3. 361 Willenbacher 1988:604. 362 Vgl. die zahlreichen Speisepläne im Tagebuch H. 363 Freier 1986:59. Vgl. auch Zang 1995:42, Brief von Himmelfahrt 1947. 364 Der Grund hierfür dürfte vor allem in der Tatsache zu finden sein, dass der Vater für die strapaziösen Landfahrten zu gebrechlich war. Als Lehrer hätte er im Sommer 1945 durchaus genügend Zeit für solche Ausflüge gehabt, da die Schulen bis in den Herbst 1945 geschlossen blieben.
60
dergleichen tauschten sie Kartoffeln, Mehl, Brühmehl, Vollmilch, Hühnerfutter und ein Brot ein.“365
Wie abenteuerlich solch eine Fahrt sein konnte, zeigt das Beispiel einer ‚Hamsterfahrt‘, die
die Tochter unternahm:
„Heute Abend kam Gretel von ihrer Bodmannfahrt zurück und zwar mit der Bahn, da ihr an für sich altersschwaches Fahrrad auf den von frz. Panzern und Lastwagen zerfurchten Straßen endgültig in Brüche ging. Schon auf der Hinfahrt hinter Radolfzell zerriß der Mantel und schließlich trat der Luftschlauch heraus, so dass sie eine große Lauferei hatte, bevor sie weiterfahren konnte. Sie hat Kartoffeln, Eier und Sacharin, sowie eine Menge Neuigkeiten mitgebracht.“366
Bemerkenswert ist, dass in beiden Passagen neben den Nahrungsmitteln auch Neuigkeiten als
‚Beute‘ der Fahrt erwähnt werden. Dies wirft ein Bild auf die Wichtigkeit mündlicher
Nachrichten in der Informationslosigkeit der Nachkriegszeit.367
Nach einer Studie aus den frühen 1950ern befand sich der Schwarzmarkt zum größten Teil in
der Hand von Frauen und Kindern.368 Für Konstanz finden sich in den Quellen, die dieser
Arbeit zugrunde liegen, keine Belege. Der Grund hierfür kann eventuell in der Zurückhaltung
liegen, die die Konstanzer Bevölkerung dem Schwarzmarkt entgegenbrachte.369 Dem illegalen
Charakter des Schwarzmarktes gemäß, sind verlässliche Zahlen kaum zu finden. Zudem
dürften Beteiligte sich wohlweislich über ihre aktive Rolle in professionellen
‚Schiebergeschäften‘ ausgeschwiegen haben. Man kann jedoch mit ziemlicher Sicherheit
annehmen, dass die Konstanzerinnen, wenn auch nicht als ‚Schieber‘ so doch als Käufer, auf
dem Schwarzen Markt auftraten. Auch hier hatten berufstätige Männer nicht die nötige Zeit.
Neben dem Schwarzmarkt existierte noch eine zweite Möglichkeit, zusätzliche
Nahrungsmittel zu erwerben: der sogenannten ‚Graue Markt‘. Unter diesem Begriff versteht
man in der Forschung die Entlohnung von Landarbeit und Näharbeiten mit Lebensmitteln.
Der ‚Graue Markt‘ war zweifelsohne fest in der Hand der Hausfrauen und Kinder. Zahlreiche
Frauen zogen mit ihren Kindern mehrmals wöchentlich aufs Land, um sich dort bei den
Bauern gegen Reallohn zu verdingen.370 Auch Näh- und Flickarbeiten wurden von den
Bauern mit Nahrungsmitteln entlohnt.371 Für die letztere Variante des ‚Grauen Marktes‘ findet
sich in den Erinnerungen Franz Schäfers ein Beleg:
„Allmählich hatte man sich eine gewisse Routine des Überlebens zugelegt. Beziehungen zum Lande waren ganz wichtig geworden. Mutter fuhr jetzt jede Woche für zwei Tage zum Nähen nach
365 Tagebuch H., 30. 6. 1945. 366 Tagebuch H., 18. 8. 1945. 367 Zum Informationsmangel der Nachkriegszeit vgl. Kapitel 3.2.2. 368 Oppens, Edith. 1954. Die Frau in unserer Zeit. Oldenburg: Stalling, 39. 369 Stei 1992:116. Vgl. Kapitel 1.1.4.3. 370 Schubert 1984:43. Den Bauern kamen die billigen Arbeitskräfte sehr gelegen, da die Landwirtschaft unter großem Arbeitskräftemangel litt. Vgl. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:63. 371 Höhn 1993:64, Fn. 20.
61
Nenzingen. Wenn man Pech hatte, waren bei der Heimfahrt Soldaten im Zug, die einem die erbettelten oder erarbeiteten Naturalien wieder wegnahmen.“372
Für ihre Leistung innerhalb und außerhalb des Haushaltes zahlten die Hausfrauen einen hohen
Preis. Viele alterten vorzeitig und trugen schwerwiegende gesundheitliche Schäden davon.373
Als ‚nicht berufstätige‘ Personen erhielten sie innerhalb der Gruppe der Normalverbraucher
die kleinsten Lebensmittelrationen für Erwachsene.374 Da sie diese kargen Rationen oft genug
noch mit Ehemann und Kindern teilten, schlugen sich die Folgen der Mangelernährung in
Verbindung mit der überdurchschnittlichen Hausarbeit bei ihnen besonders gravierend nieder.
1947 klagten 12% der Mütter über Erschöpfung, Stress und Schlaflosigkeit, 1949 waren es
bereits 59%.375
1.3.3 Wertung der Frauenarbeit Die Arbeit, die Frauen innerhalb und außerhalb des Haushaltes leisteten, wurde mit der sich
immer weiter verschlechternden Mangelsituation mehr und mehr zur lebenssichernden Arbeit.
Da es für Geld immer weniger zu kaufen gab, lieferten Gartenarbeit, ‚Hamsterfahrten‘,
Schwarzmarkt und ‚Grauer Markt‘ für das Überleben unerlässliche ‚Zubrote‘. Die Lohnarbeit
der Männer konnte zum Überleben immer weniger beitragen.376 Innerhalb des Haushaltes
hing es vom hauswirtschaftlichen Geschick der Hausfrauen ab, mit den wenigen Gütern, die
durch offizielle Zuteilungen und zusätzliche Arbeit außerhalb des Haushaltes erworben
wurden, möglichst effizient zu wirtschaften. Da das Überleben der Familie immer mehr von
ihrer Arbeit abhing, erhielten die Frauen eine völlig neue Autorität innerhalb der Familien.
Sie, und nicht die Männer, waren nun faktisch die Ernährer der Familie.377 Ihr Verdienst ist es
auch, dass sich trotz des gravierenden Mangels die Sterblichkeitsrate in den Nachkriegsjahren
nicht erhöhte.378
In der Mangelzeit der Nachkriegszeit gab es daher keine Alternative zur Arbeit der
Hausfrauen.379 Darüber hinaus erlangte die Hausarbeit eine ungewöhnlich politische
Dimension. Politik bedeutete in der Nachkriegszeit vor allem Wirtschaftspolitik.
Wirtschaftspolitik in dem Sinne, als dass alle offiziellen Stellen mit der Organisation des
Überlebens beschäftigt waren. Insofern deckten sich in der Nachkriegszeit „Frauenhandeln
372 Schäfer 1997:143f. 373 Frevert 1990:117. 374 Gries 1991:97. 375 Höhn 1993:65, Fn. 28. 376 Schubert 1984:65. 377 Fässler 1996e:229; Frevert 1990:118. Zu den Auswirkungen dieser neuen Autorität der Frauen auf die Familienstruktur vgl. Kapitel 2.4.2. 378 Fuchs 1993:24. 379 Freier 1986:54.
62
und Tagespolitik“.380 Die Hausarbeit der Frauen war damit aus dem traditionellen
‚Frauenraum‘, dem privaten Haushalt, in den öffentlichen ‚Männerraum‘ von Politik und
Wirtschaft getreten. Die ‚Wirtschaftspolitik‘ der Frauen sicherte nicht nur das Überleben, sie
verhinderte auch größere politische Unruhen.381 Alle offiziellen Stellen waren auf ihre
Leistungen angewiesen: „Hausarbeit war politisches Handeln in den Hungerjahren, denn
wurde diese Arbeit nicht geleistet (...), waren die Folgen für die anders gelagerten Ziele der
Siegermächte und der deutschen Behörden gravierend.“382
Erst durch die Arbeit der Frauen konnte daher Raum für einen politischen und
wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands geschaffen und die Mangelwirtschaft der
Nachkriegszeit überwunden werden.383
380 Fuchs 1993:70; Freier 1986:43. 381 In der marxistisch orientierten Frauenforschung der 1980er Jahre wurde darauf hingewiesen, dass die Frauen durch ihre Überlebensarbeit auch zu einer Restauration der „kapitalistisch-patriarchalischen“ gesellschaftlichen Ordnung der Vorkriegszeit beigetragen hätten. Dadurch sei die Chance zu einer umfassenden gesellschaftlichen Neuordnung im Verhältnis der Geschlechter verschenkt worden. Vgl. Schubert 1986; Freier/Kuhn 1984. In der neueren Forschung hingegen wird die reelle Chance einer Emanzipationsbewegung in den Nachkriegsjahren stark angezweifelt. Vgl. Frevert 1990. Darüber hinaus verbietet es sich meiner Meinung nach, den Frauen aus ihrer Arbeit heraus einen Vorwurf zu machen. Angesichts der allgemeinen Not der Nachkriegszeit ist es nur zu verständlich, wenn alles getan wurde, um Familienangehörige vor dem Hungertod zu bewahren, ungeachtet der eventuellen gesellschaftspolitischen Folgen dieses Handelns. 382 Freier 1986:43. 383 Vielen Frauen war die politische Brisanz ihrer Arbeit durchaus bewusst. Sie forderten ein erweitertes Politikverständnis und eine größere Beteiligung an politischen Entscheidungen. Dennoch kam es nicht zu einer tiefgreifenderen Emanzipationsbewegung. Vgl. Fuchs 1993.
63
II. Leben ohne Männer Neben dem allgegenwärtigen Mangel prägte ein weiterer Faktor den Alltag der
Nachkriegszeit: die durch Krieg und Flucht verursachten Veränderungen in der
Bevölkerungsstruktur. 3,6 Mio. junge Männer waren gefallen, zahlreiche Soldaten befanden
sich in Gefangenschaft. Gleichzeitig stieg durch die zahlreichen Ostflüchtlinge
deutschlandweit die Bevölkerung. Da die Flüchtlinge meist Frauen und Kinder waren, stieg
der Frauenanteil an der Bevölkerung. Für den Alltag bedeutete dies, dass auch nach
Kriegsende das tägliche Leben zu einem Großteil von Frauen gemeistert wurde.
Im Folgenden soll zunächst wieder von ‚oben nach unten‘, vom Vierzonengebiet bis
Konstanz, ein Überblick über die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur gegeben
werden. Es wird zu zeigen sein, dass die Bevölkerungsentwicklung in der FBZ von der in den
anderen Zonen abwich. Hier stagnierte die Bevölkerungszahl. Doch auch in der FBZ
überwogen bei weitem die Frauen. Die Auswirkungen, die dieser Frauenüberschuss auf das
alltägliche Leben hatte, soll anhand zweier Beispiele untersucht werden: der Erwerbstätigkeit
von Frauen und der Veränderungen, die die neue Rolle der Frauen in den Familienstrukturen
bewirkte.
2.1 Vierzonengebiet
2.1.1 Flüchtlinge und Kriegsgefangene Im Gebiet der vier Besatzungszonen lebten 1946 66 Mio. Menschen, 1937 hatten auf der
selben Fläche nur rund 60 Mio. Menschen gelebt.384 Die Bevölkerung war damit um 10,5%
im Vergleich zum Vorkriegsniveau gestiegen.
Dieser Anstieg ging im Wesentlichen auf die hohe Zahl der Flüchtlinge aus den Ostgebieten
und den ehemals besetzten Gebieten zurück.385 Die Flüchtlingsmassen verteilten sich sehr
ungleichmäßig auf die vier Besatzungszonen. Den höchsten Zuwachs erfuhr die ABZ, die
Bevölkerungszahl stieg hier um 18,1%.386 In der SBZ betrug der Bevölkerungsanstieg
14,2%,387 in der BBZ erhöhte sich die Bevölkerungszahl um 11,3%.388 Nur die FBZ erfuhr
einen Bevölkerungsrückgang um 3,6%,389 da sich die französische Regierung bis 1947
384 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:15. 385 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:15. Die Gesamtzahl der Ostflüchtlinge belief sich auf ca. 10. Mio. Menschen. Hinzu kam 1 Mio. Zwangsarbeiter und ehemalige KZ-Häftlinge, die sich zum Zeitpunkt der Volkszählung noch auf deutschem Boden befanden, bevor sie ihre Heimreise antraten. Ebd. 386 Abelshauser 1975:100. 387 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:17. 388 Abelshauser 1975:100. 389 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:17.
64
weigerte, Ostflüchtlinge in ihrer Zone aufzunehmen.390 Innerhalb der Zonen kam es zu einer
sehr ungleichmäßigen Verteilung der Neuzugezogenen. Überwiegend ländlich strukturierte
Länder wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern verzeichneten einen Zuwachs
zwischen 25 und 63%,391 stark industrialisierte Gebiete und Großstädte registrierten
Bevölkerungsrückgänge von bis zu 40%.392 Die Ursache ist vor allem in der Zerstörung der
Großstädte zu suchen, die die Ansiedlung der Flüchtlinge nicht erlaubte.393 Zudem hatten
Bombenangriffe und schlechte Versorgungslage bereits während des Krieges zu einer
Stadtflucht unter der einheimischen Bevölkerung geführt. Ein Übriges hatte die Evakuierung
der Stadtbevölkerung getan. Diese Entwicklung verstärkte sich noch, da die Rüstungsfabriken
in den Großstädten nicht mehr arbeiteten und viele Arbeiter wieder aufs Land
zurückkehrten.394
Dem Bevölkerungszuwachs standen deutschlandweit 4,5 Mio. Kriegstote gegenüber.395 Des
Weiteren befanden sich im Mai 1945 ca. 12 Mio. deutsche Soldaten in
Kriegsgefangenschaft.396 Bis März 1947 wurden 9,7 Mio. vor allem aus den
angloamerikanischen Lagern entlassen. Damit verblieben noch rund 2 Mio. in russischer und
französischer Gefangenschaft. Die letzten französischen Gefangenen kehrten bis Ende 1948
zurück.397 Am längsten hielt die Sowjetunion ihre Gefangenen zurück. Die letzten wurden erst
1956 entlassen.398
2.1.2 Veränderungen in der Alters- und Geschlechtsstruktur Die Folgen dieser immensen Umschichtung waren tiefgreifende Veränderungen in der
Bevölkerungsstruktur.
Zum einen veränderte sich der Altersaufbau der Bevölkerung. Da vor allem junge Männer
gefallen waren, ging ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung zurück. Der Anteil der Männer
zwischen 20 und 35 sank um fast die Hälfte (1939 12,1% an der Gesamtbevölkerung, 1946
7,4%).399 Gleichzeitig erhöhte sich der Anteil der Kinder zwischen 5 und 10 und der der
390 Hamann, Bettina. 1992. Flüchtlinge und Evakuierte in Konstanz nach 1945. Konstanzer Almanach 38, 69-73, hier 69. 391 Abelshauser 1975:101. 392 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:20. Gemeinden unter 10.000 Einwohner erfuhren hingegen einen Zuwachs von über 40%. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:21. 393 Abelshauser 1975:102. 394 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:20. 395 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:15. Über 80% davon waren Soldaten, nur 11,24% der Kriegstoten waren durch Bombenangriffe gestorben. Müller 1987:420, Fn. 9. 396 Müller 1987:230. Zu den Männern in französischer Gefangenschaft vgl. Kapitel 2.2.1. 397 Müller 1987:234. 398 Müller 1987:234. 399 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:19.
65
älteren Menschen ab 45.400 Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass die Flüchtlingsmassen zu
einem überproportional großen Teil aus alten Menschen und Kindern bestanden.
Zum anderen veränderte sich das Verhältnis der Geschlechter. 1945 gab es 7 Mio. mehr
Frauen als Männer.401 Durch die frühe Rückkehr der angloamerikanischen Gefangenen
verringerte sich diese Zahl bis 1946, doch blieb immer noch ein hoher Frauenüberschuss. Auf
1.000 Männer kamen in der BBZ 1.189 Frauen, in der ABZ 1.205, in der FBZ 1.262 und in
der SBZ 1.346.402 Den höchsten Frauenanteil hatte Berlin mit 1.462 Frauen auf 1.000
Männer.403 Bedingt durch die hohen Kriegsverluste der Männer hatte die Gruppe der 25-
30jährigen den höchsten Frauenüberschuss. Hier kamen in den drei Westzonen auf 1.000
Männer 1.676 Frauen.404
2.2 Französische Zone
2.2.1 Flüchtlinge, Evakuierte und Kriegsgefangene Die beschriebenen Veränderungen in der Geschlechts- und Altersstruktur lassen sich auch für
das Gebiet der FBZ feststellen. Allerdings kam es hier nicht zu dem hohen
Bevölkerungszuwachs, da sich die französische Regierung lange weigerte, das ihr
zugewiesene Kontingent an Ostflüchtlingen in der FBZ aufzunehmen.405
Wiedereinmal sah sich Frankreich nicht an die alliierten Bestimmungen gebunden, da es nicht
an den Ausweisungsbeschlüssen beteiligt gewesen war, die zur Vertreibung der Deutschen
geführt hatten.406 Darüber hinaus gefährdete die Aufnahme von Flüchtlingen die
französischen Wirtschaftsinteressen.407 Erst 1947 beugte sich die französische Regierung dem
angloamerikanischen Druck und stimmte der Aufnahme von Flüchtlingen zu.408 Bis 1950
wurden in der FBZ 200.000 Ostflüchtlinge aufgenommen, was 3,4% der Bevölkerung von
1946 entsprach, in den ersten beiden Nachkriegsjahre lag die Zahl immer unter 1%.409 Daher
400 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:18. Der Ausfall dieser Altersgruppe auf dem Arbeitsmarkt konnte in den angloamerikanischen Zonen und der SBZ durch den hohen Bevölkerungszuwachs durch die Flüchtlinge ausgeglichen werden. Abelshauser 1975:103f. In der FBZ verringerte sich jedoch das Arbeistkräftepotential im Vergleich zu 1936 um 4%. Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:63. 401 Höhn 1993:57. 402 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:19. 403 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:19. Dieser Umstand läßt sich teilweise durch die Tatsache erklären, daß bereits vor dem Krieg in Berlin mit 1.189 Frauen auf 1.000 Männer bereits ein hoher Frauenüberschuss bestand. Ebd. 404 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:19. 405 Hamann 1992:69. 406 Burchardt 1996:72. 407 Burchardt 1996:72. 408 Burchardt 1996:171. Auch hier zwang die mittlerweile handfeste finanzielle Abhängigkeit Frankreichs von den USA die französische Regierung zu einer Revidierung ihrer restriktiven Deutschlandpolitik. Vgl. Kapitel 1.1.3.2. 409 Müller 1987:229.
66
blieben die Bevölkerungszahlen in der FBZ verglichen mit den anderen drei Zonen auch
weitgehend stabil. Insgesamt sank die Bevölkerung im Vergleich zu 1939 sogar um 3,6%.410
Auch in der FBZ lässt sich eine ungleichmäßige Verteilung der Bevölkerung feststellen.
Während im Saarland und in Südwürttemberg die Bevölkerung stieg (4%, 3%), verzeichnete
Rheinland-Pfalz einen Rückgang von rund 9%.411 Die Bevölkerung in Südbaden sank
dagegen lediglich um 1,8%.412
Im Vergleich zu den Kriegstoten überrascht dieser geringe Rückgang der Bevölkerung. In
Südbaden allein waren 75.000 Tote zu beklagen, was einem Rückgang von 6% entsprochen
hätte.413 Der geringe Rückgang erklärt sich aus der Tatsache, dass das Gebiet der FBZ, vor
allem aber das ländliche Südbaden, schon während des Krieges überdurchschnittlich viele
Evakuierte aus den Städten des gesamten Reichsgebietes aufgenommen hatte.414 Viele hatten
keine Möglichkeit, in ihre zerstörten oder jenseits der Oder-Neiße-Linie liegenden Wohnorte
zurückzukehren und befanden sich daher zum Zeitpunkt der Volkszählung im Oktober 1946
noch in Südbaden.
Die Entlassung der französischen Kriegsgefangenen verlief im Vergleich zu den beiden
anderen Westmächten schleppend. Zum einen entließ Frankreich seine letzten Gefangenen
erst 1948, zum anderen hielten die Franzosen aus angloamerikanischer Gefangenschaft über
Frankreich heimkehrende Männer zurück und setzte sie als billige Arbeitskräfte für den
Wiederaufbau Frankreichs ein.415 Viele Männer kehrten so erst Jahre nach ihrer eigentlichen
Entlassung zurück.416
2.2.2 Veränderungen in der Alters- und Geschlechtsstruktur Wenn auch die Bevölkerung zahlenmäßig weitgehend konstant geblieben war, zeigten sich
doch auch in der FBZ gravierende Verschiebungen in der Alterstruktur. Die Hälfte der
Bevölkerung der FBZ war jünger als 18 Jahre oder älter als 50 Jahre.417 Auch hier erlebte die
Gruppe der 18-50jährigen durch die Kriegsverluste der Männer den höchsten Rückgang.
410 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:17. 411 Müller 1987:419, Fn. 6. 412 Müller 1987:419, Fn. 6. 413 Müller 1987:102. 414 Müller 1987:225. 1947 waren 5,9% der Bevölkerung der FBZ Evakuierte. In der SBZ betrug ihr Anteil an der Bevölkerung nur 3,4%. Ebd. In der BBZ waren 4,9% der Bevölkerung Evakuierte, in der ABZ 5,4%. Müller 1987:478, Fn. 10. 415 Burchardt 1996:174. 416 Da die Männer in französischer Gefangenschaft aber aus allen Teilen Deutschlands kamen, schlug sich dieser Umstand nicht in der Bevölkerungsstatistik der FBZ nieder. 417 Willis 1962:107f.
67
Die Geschlechterstruktur wies ebenfalls starke Verschiebungen auf. Auf 1.000 Männer kamen
1946 in der FBZ 1.262 Frauen.418 In Südbaden betrug das Verhältnis sogar 1.000:1.309.419
Dieser im Vergleich zu den angloamerikanischen Zonen hohe Frauenanteil lässt sich teilweise
aus der überdurchschnittlichen hohen Anzahl Evakuierter erklären, die ja zum größten Teil
Frauen und Kinder waren.420 Diese Vermutung wird durch den Befund aus Südbaden
bestätigt, wo, wie oben angeführt, während des Krieges überdurchschnittlich viele Evakuierte
aufgenommen worden waren.
2.3 Konstanz
2.3.1 Flüchtlinge, Evakuierte und Kriegsgefangene Innerhalb Südbadens kann ebenfalls eine ungleichmäßige Verteilung der Bevölkerung
festgestellt werden. Während die Bevölkerung insgesamt um 1,8% sank, verzeichneten
Freiburg und der Kreis Kehl einen Rückgang von über 17%, im Kreis Rastatt ging die
Bevölkerung um 10,2% zurück.421 Andere Städte hingegen, darunter Konstanz, mussten einen
hohen Bevölkerungszuwachs verkraften.422
Im Januar 1946 befanden sich in Konstanz immer noch 3510 Einwohner mehr als 1939, was
einem Bevölkerungszuwachs von 9,8% entsprach.423 Zwar war es damit gelungen, die
erdrückende Überbevölkerung des ersten Nachkriegsjahres zurückzuschrauben, bedenklich
blieb die Lage angesichts knapper Ressourcen - Nahrung, Kleidung, Wohnraum, Hausbrand -
dennoch.424 Dieser Bevölkerungszuwachs setzte sich im Wesentlichen aus noch in Konstanz
weilenden Evakuierten zusammen, ca. 2.420 Personen.425 Die letzten in Konstanz lebenden
‚Displaced Persons‘ hatten die Stadt bereits im Dezember 1945 verlassen,426 so dass sich die
rund 1.000 noch fehlenden Personen aus Ostflüchtlingen zusammengesetzt haben dürften, die
bereits in den letzten Kriegsmonaten nach Konstanz gekommen waren.427 Sie konnte und
418 Grebing/Pozorski/Schulze 1980a:19. 419 Nach Müller 1987:105. 420 Müller 1987:422, Fn. 4. 421 Müller 1987:103f. Ursache dieses Bevölkerungsrückganges war vor allem die Evakuierung während des Krieges. 422 Müller 1987:104. 423 Müller 1987:422, Fn. 19. Innerhalb Südbadens musste nur Überlingen einen größeren Bevölkerungszugang verkraften (11,2%). Ebd. 424 1945 war die Stadt mit Verwundeten, Evakuierten, ‚Displaced Persons‘ und frühen Ostflüchtlingen heillos überfüllt. Die Bevölkerung war von 39.000 im Jahre 1939 auf 70.000 angestiegen. Klöckler 2002b:40. Vgl. Kapitel 1.1.4.1. 425 Burchardt 1996:71. Bis Dezember 1946 konnte ihre Zahl auf 600 Personen verringert werden. 426 Burchardt 1996:70. 427 Burchardt 1996:73.
68
wollte man nicht in ihre Heimatorte zurückschicken, die unerreichbar hinter der Oder-Neiße-
Linie lagen, und musste daher ihre Unterbringung vor Ort sicherstellen.428
Insgesamt gesehen blieb Konstanz, wie der gesamten FBZ, durch die französische Politik die
für andere Städte so drückende Last der Ostflüchtlinge erspart. Erst 1947 kamen mit dem
ersten Transport 107 Ostpreußen in Konstanz an.429 Zwar erforderte ihre Unterbringung und
Verpflegung von der Stadt außergewöhnliche Anstrengungen, doch fiel ihre Ankunft in eine
Zeit, in der sich die Verhältnisse in Konstanz bei aller Knappheit auf bescheidenem Niveau
normalisiert hatten. Diesen ersten Flüchtlingen folgten in den nächsten Jahren noch mehrere
Tausend, so dass sich am Ende des Flüchtlingszuzuges 1951 offiziell insgesamt 3.540
Vertriebene und Flüchtlinge in Konstanz befanden.430 Dies entsprach rund 8% der
Gesamtbevölkerung.431 Verglichen mit der Entwicklung in den anderen Zonen hatte Konstanz
also relativ wenig neue Bürger aufzunehmen.
Diesem Bevölkerungszuwachs stand auch in Konstanz der Verlust der Kriegstoten gegenüber.
Im Dezember 1946 verzeichnete die Stadt 1.306 Gefallene.432 Zum gleich Zeitpunkt befanden
sich noch 1.115 Männer in alliierter Gefangenschaft, 1.231 galten als vermisst.433 Damit
fehlte der Stadt fast ein Fünftel ihrer männlichen Bevölkerung.434
2.3.2 Veränderungen in der Alters- und Geschlechtsstruktur Der Zuzug von Flüchtlingen und der Verlust der Männer zeigte auch in Konstanz Folgen für
die Bevölkerungsstruktur.
Den höchsten Zuwachs verzeichnete die Gruppe der über 50jährigen. Sie hatte 1939 25,9%
der Bevölkerung ausgemacht, 1946 hatte sich ihr Anteil auf 28,1% erhöht.435 Auch der Anteil
der Kinder erhöhte sich. Die 5-10jährigen stellten 1946 6,4% der Gesamtbevölkerung (1939
4,7%).436 Die Gruppe der 18-50jährigen jedoch war rückläufig. 1939 hatte sie 49% der
Gesamtbevölkerung ausgemacht, 1946 nur noch 45%.437
Dieser Rückgang wirkt relativ gering, splittet man die Altersgruppe jedoch nach Geschlecht
auf, zeigt sich, dass auf Seiten der Männer hohe Verluste zu verzeichnen waren. Während der
428 Dass also bereits vor der offiziellen Aufnahme in die FBZ ab 1947 Ostflüchtlinge in Konstanz lebten, zeigt eine Weihnachtsfeier, die von der Caritas im Dezember 1946 für diese Personengruppe veranstaltet wurde. Burchardt 1996:73. 429 Burchardt 1996:171. 430 Burchardt 1996:296. Zur Integration dieser Flüchtlinge vgl. Hamann, Bettina. 1993. Die Integration der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen. Konstanz nach dem Zweiten Weltkrieg. Magisterarbeit Konstanz. 431 Burchardt 1996:284. 432 Burchardt 1996:155. 433 Burchardt 1996:155. 434 Burchardt 1996:155. 435 Nach Burchardt 1996:170. 436 Nach Burchardt 1996:170. 437 Nach Burchardt 1996:170.
69
Anteil der Frauen zwischen 18 und 50 an der Gesamtbevölkerung um rund 2% stieg, sank der
Anteil der Männer derselben Altersgruppe um 6,1%.438
Insgesamt hatte sich der Anteil der Männer um 4% verringert, während der Anteil der Frauen
um 5% gestiegen war.439 In der Gruppe der 18-50jährigen bedeutete dies, dass auf einen
Mann fast zwei Frauen kamen.440 Damit lag der Frauenüberschuss in Konstanz weit über dem
südbadischen Schnitt, der mit einem Verhältnis von 1.000:1.309 schon über dem
gesamtdeutschen Schnitt lag.441 Erklären lässt sich dieser Umstand zum einen dadurch, dass
schon 1939 ein leichter Frauenüberschuss geherrscht hatte, zum anderen aber Konstanz
verglichen mit anderen Städten Südbadens überdurchschnittlich viele Flüchtlinge
aufgenommen hatte.442 Diese Flüchtlinge waren in der Regel Frauen mit kleinen Kindern und
Alte gewesen, so dass sich folglich ihr Anteil an der Bevölkerung erhöhte. Der Verlust eines
Fünftels der männlichen Bevölkerung musste sich ebenso niederschlagen. Kriegstote,
Vermisste und Kriegsgefangene entstammten allesamt der Gruppe der 18-50jährigen Männer.
Damit erklärt sich der hohe Rückgang (6,1%) in dieser Gruppe.
Der Nachkriegsalltag in Konstanz war damit in besonders hohen Maße von einem starken
Frauenüberschuss geprägt.
2.4 Alltag ohne Männer Die Gesellschaft der Nachkriegszeit war wie dargestellt von zwei Faktoren geprägt: einer
starken Überalterung bei gleichzeitigem Anstieg den Altersgruppen der Kinder und einem
hohen Frauenüberschuss. Der hohe Frauenüberschuss wurde häufig zum Anlass genommen,
um für die Nachkriegsgesellschaft von einer ‚Frauengesellschaft‘ zu sprechen.443 Wie bereits
im ersten Kapitel geschildert wurde, spielten Frauen durch ihre Hausarbeit eine wichtige
Rolle im privaten Überlebenskampf der Nachkriegszeit. Darüber hinaus leisteten sie aber
auch außerhalb des immens erweiterten Haushaltes wichtige Arbeit. Aufgrund des
Männermangels arbeiteten sie in sämtlichen Berufen. Im Folgenden soll daher zunächst
geschildert werden, welche Berufe Frauen ausübten, und wie die Öffentlichkeit mit der
faktischen Erweiterung der traditionellen Frauenrolle umging. Es wird zu zeigen sein, dass die
Arbeit der Frauen in ‚unweiblichen Berufen‘ letztlich keinerlei Auswirkungen auf die
klassische Rollenverteilung hatte. Dennoch erlangten die Frauen durch ihre Arbeit ein
Selbstbewusstsein, das in Verbindung mit der immens wichtigen Rolle der Hausfrauenarbeit
438 Nach Burchardt 1996:170. 439 Nach Burchardt 1996:170. 440 Burchardt 1996:170. 441 Nach Müller 1987:105. 442 Vgl. Müller 1987:422, Fn. 19. 443 Fuchs 1993:10; Höhn 1993:57; Kuhn 1984:15.
70
zu einer Veränderung in den Familienstrukturen führte. Diese Veränderung soll in Kapitel
2.4.2 geschildert werden.
Für dieses Thema fanden sich in den Konstanzer Quellen keinerlei Belege. Es kann jedoch
davon ausgegangen werden, dass die in der Literatur geschilderten Verhältnisse auf Konstanz
übertragbar sind, zumal der Frauenüberschuss in Konstanz, wie gezeigt wurde,
überdurchschnittlich hoch war.
2.4.1 Frauenerwerbstätigkeit In der Nachkriegszeit wurden Frauen nicht nur als Hausfrauen und Mütter und an
traditionellen weiblichen Arbeitsplätzen gebraucht, sondern - wie schon während der
Kriegsjahre - auch als Ersatz für die männlichen Arbeitskräfte.444 Da die Männer durch Tod
oder Gefangenschaft auch nach Ende des Krieges an ihren Arbeitsplätzen fehlten, arbeiteten
viele Frauen in eindeutig männlichen Berufen. Frauen „wurden als Koksfahrerinnen in
Hochofenbetrieben, als Rollgangsmaschinistinnen und Löscherinnen in Walzwerken, als
Begleitputzerinnen in Akkumulatorenfabriken, als LKW-Fahrerinnen oder als
Straßenbahnschaffnerinnen“445 beschäftigt. Für all diese Arbeiten erhielten die Frauen die
begehrten Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen, was eine nicht unbedeutende Erhöhung der
täglichen Kalorienmenge bedeutete. Um möglichst schnell an diese begehrten Zusatzmarken
zu kommen, ließen sich zahlreiche Frauen im Baugewerbe anwerben. Hier war die Anlernzeit
besonders kurz.446 Diese Frauen sollten als die ‚Trümmerfrauen‘ in das kollektive Gedächtnis
eingehen.
In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde die Leistung dieser Frauen in der Öffentlichkeit
sehr hoch bewertet. Die Glorifizierung der ‚Trümmerfrauen‘ nahm hier ihren Ausgang. Oft
wurde auch der Arbeitseifer der Frauen den anscheinend weniger arbeitsamen Männern als
leuchtendes Beispiel vor Augen gehalten.447
Faktisch hatte sich die Frauenrolle nach 1945 erweitert. Frauen arbeiteten in sämtlichen
Berufen, auch ‚unweiblichen‘, und leisteten hier, wie in der Hausarbeit, unverzichtbare
Aufbauarbeit.448 Frauenerwerbsarbeit hatte bis dahin hauptsächlich in ‚weiblichen‘ Berufen
stattgefunden - Krankenschwester, Lehrerin, Köchin etc. - die letztlich nicht mehr darstellten,
als eine Erweiterung des privaten Frauenraums und seiner Tätigkeiten in den öffentlichen
444 Schubert 1984:76. Zum gesamten Komplex der Frauenerwerbstätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Ruhl, Klaus-Jörg. 1994. Verordntete Unterordnung. Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945-1963). München: Oldenburg. 445 Ruhl, Klaus-Jörg. 1988. Frauen in der Nachkriegszeit 1945-1963. München: dtv. (= dtv Dokumente, 2952), hier 40. Weitere Beispiele bei Schubert 1984:83. 446 Ruhl 1988:40. 447 Höhn 1993:64. 448 Vgl. Kapitel 1.3.3.
71
Raum der Arbeitswelt. Durch die Arbeit von Frauen in ‚unweiblichen‘ Berufen wurde diese
Rollenverteilung aufgebrochen. Frauenarbeit trat sowohl räumlich als auch inhaltlich aus dem
Bereich des privaten Haushaltes heraus und wurde für die Gesellschaft sichtbar. Diese
faktische Durchbrechung der traditionellen Rollenverteilung wurde in der Forschung oft zum
Anlass genommen, die Nachkriegszeit auch als ‚Stunde Null‘ der Geschlechter zu bezeichnen.
Hier sei eine große Chance zu einer umfassenden Emanzipationsbewegung gewesen, die von
den Frauen nicht oder nur ungenügend zur Kenntnis genommen worden sei.449
Das gesellschaftliche Bild der erwerbstätigen Frau in der Nachkriegszeit spricht jedoch gegen
eine Veränderung in den Geschlechterrollen. Da Frauen in Männerberufen eine äußerst
ungewohnte Erscheinung waren, erhielten sie in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit. In
der Presse erschienen zahlreiche Artikel, die Für und Wider der Frauenerwerbstätigkeit
diskutierten.450 Das Bild, das die erwerbstätigen Frauen in der Gesellschaft hatten, unterlag
einem rapiden Wandel. Während 1945 die Stimmen in der Presse einhellig positive Urteile
über Frauen in ‚unweiblichen‘ Berufen fällten, ihre Selbstaufgabe und Aufbauarbeit als
vorbildlich lobten, wurden 1949 dieselben Frauen als ‚unweiblich‘, ihre Arbeit als
‚unnatürlich‘ gesehen.451 Trotz aller Anerkennung wurde bereits 1945 die Arbeit, die Frauen
außerhalb des Haushaltes und der klassischen weiblichen Berufe leisteten, als ‚unnatürlich‘
angesehen.452 Frauenarbeit in Männerberufen wurde nicht als Erweiterung der traditionellen
Geschlechterrollen gesehen, sondern als notwendiges Übel zur Überbrückung einer schweren
Krise.453 Die Frauen erschienen in dieser Sicht als vom Schicksal der schweren
Nachkriegszeit zu einer Arbeit gezwungen, die ihrer Natur widersprach.454 Der Antrieb, der
Frauen die ‚ihrer Natur widerstrebende‘ Arbeit verrichten ließ, wurde folglich auch nicht in
Neigung oder Talent der Frauen gesehen, sondern in einem klassischen Bild weiblichen
Wirkens: der mütterlichen Sorge um die Angehörigen.455 Dass Frauen die ungeahnten
Möglichkeiten der Nachkriegszeit nutzten, um sich Berufswünsche zu erfüllen, die noch
wenige Jahre vorher unvorstellbar gewesen wären, schien undenkbar. Frauen arbeiteten
demnach, um ihre vaterlosen Kinder zu ernähren oder um Werkstatt oder Familienbetrieb bis
zur Rückkehr des gefangenen Ehemannes zu erhalten. Immer jedoch hatte ihre Arbeit
Interimscharakter, sie war lediglich Ersatz und Überbrückung bis zur Heimkehr des
449 Vgl. den Forschungsüberblick bei Frevert 1990. 450 Vgl. Höhn 1993. 451 Höhn 1993:69. 452 Höhn 1993:63. 453 Höhn 1993:63. 454 Höhn 1993:64. 455 Höhn 1993:65.
72
Ehemannes. Dass viele Frauen verwitwet und aufgrund des Männermangels nur wenig
Aussicht auf eine neue Ehe hatten, wurde nur selten erkannt.
Vor diesem Hintergrund wundert es wenig, dass Frauen trotz eines großen Mangels an
Arbeitskräften wenig Hoffnung auf eine qualifizierte Ausbildung hatten.456 So nötig auch eine
Frau auf einem Arbeitsplatz gebraucht wurde, eine langfristige Ausbildung schien sich nicht
zu lohnen, da sie den Platz nach Rückkehr des männlichen Kollegen sowieso verlassen würde.
Gerade die ‚Trümmerfrauen‘ erhielten keinerlei Ausbildung, da es unerwünscht war, dass die
Frauen sich an das als besonders ‚unweiblich‘ angesehene Baugewerbe banden.457 Die
Ausbildung weiblicher Arbeitskräfte schien außerdem wenig rentabel, da jede Frau als
potentielle Mutter gesehen wurde.458 Jedwede Erwerbstätigkeit konnte in dieser Sicht
lediglich eine Unterbrechung auf dem Weg an den angestammten Platz als Hausfrau und
Mutter sein.459
Entsprechend diesem Bild der Frauenerwerbstätigkeit wurde schon kurze Zeit nach
Kriegsende verstärkt darauf hingearbeitet, die Frauen aus den Männerberufen
zurückzudrängen.460 Diese Entwicklung kann bereits in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg
beobachtet werden.461 Auch die Argumente, die die Zurückdrängung der Frauen rechtfertigen
sollten, waren dieselben. Vielfach wurden die gesundheitlichen Gefahren genannt, denen sich
Frauen an einem ‚männlichen‘ Arbeitsplatz ausgesetzt sahen. In kraftintensiven Berufen wie
Bergbau, Maschinenbau etc. sah man nicht ganz zu Unrecht vor allem die Fruchtbarkeit der
Frauen gefährdet.462 Zudem wurde vor der ‚psychischen Verrohung‘ gewarnt, die als Folge
harter körperlicher Arbeit und des Umgangs mit männlichen Kollegen gesehen wurde.463 Des
weiteren führte man die spezielle Eignung der Frauen für pflegende Berufe und eintönige
Arbeiten an. Hier könne sich die Frau gemäß ihren Anlagen frei entfalten, in ‚männlichen‘
Berufen ginge ihr spezifisches Potential verloren.464
Der eigentliche Grund für die Zurückdrängung der Frauen lag aber - neben dem Wunsch, die
als unnatürlich empfundene Erweiterung der Geschlechterrollen rückgängig zu machen - in
der Sorge um die heimkehrenden Kriegsgefangenen. Ihnen sollte nach ihrer Rückkehr ihr
angestammter Arbeitsplatz offen stehen.
456 Höhn 1993:67. 457 Schubert 1984:79. 458 Höhn 1993:83. 459 Höhn 1993:83. 460 Burchardt 1996:106; Fuchs 1993:11; Höhn 1993:66. 461 Burchardt 1996:106. 462 Schubert 1984:85ff. 463 Schubert 1984:87f. 464 Schubert 1984:88f.
73
Angesichts der Arbeitsmarktlage erscheint diese Politik allerdings wenig einleuchtend. Es
herrschte keineswegs ein Mangel an Arbeitsplätzen. In Konstanz standen im ersten
Nachkriegsjahr regelmäßig 700-800 Arbeitssuchenden 3.000 offene Stellen gegenüber.465
Von einer Gefährdung der männlichen Arbeitnehmer durch die erwerbstätigen Frauen konnte
also keine Rede sein.
Dennoch wurden auch in Konstanz Maßnahmen getroffen, um die Frauen von ihren
Arbeitsplätzen zu entfernen. Bereits im November 1945 bat der Präsident des
Landesarbeitsamtes darum, „möglichst die von Frauen während des Krieges übernommenen
Arbeitsplätze zu räumen, sofern es sich nicht um spezifische Frauenarbeitsplätze handle.“466
Wenige Wochen später regte die lokale Hauptfürsorge an, durch die Entlassung verheirateter
Frauen Platz für die Kriegsheimkehrer zu schaffen.467 Verheiratete Frauen sollten entlassen,
unverheiratete Frauen - die in Ermangelung eines ‚Ernährers‘ auf ihr Einkommen angewiesen
waren - auf die von den Ehefrauen geräumten Frauenarbeitsplätze gesetzt werden.468
Tatsächlich wurden entsprechende Listen angefertigt, und zahlreiche Frauen erhielten ihre
Kündigung.469
Trotz kritischer Stimmen führte die Rückdrängung der Frauen aus dem Erwerbsleben
keineswegs zu einer Protestbewegung der Frauen.470 Viele Frauen waren nach der
unermesslichen Doppelbelastung von Haushalt und Erwerbstätigkeit wenig geneigt, in den
ungewohnten Berufen weiterzuarbeiten. Sie waren erleichtert, einen Teil der ungewohnten
Verantwortung wieder abgeben zu können.471
Der starke Druck der Behörden und das schlechte Bild der Frauenerwerbstätigkeit in
‚unweiblichen Berufen‘ wirkte sich besonders negativ auf jene Frauen aus, die auf ihr
Einkommen angewiesen waren. Neben Kriegswitwen und Frauen von Kriegsgefangenen
waren dies vor allem junge Frauen, die angesichts des Frauenüberschusses wenig Aussicht auf
einen Ehemann hatten. Wie in Kapitel 2.3.2 ausgeführt, lebten in Konstanz fast doppelt so
viele Frauen wie Männer. Für einen Großteil dieser Frauen bedeutete damit die eigene
Erwerbstätigkeit die einzige Lebensgrundlage. Das Ideal eines weiblichen Lebens - nach
kurzer Erwerbstätigkeit in einem möglichst ‚weiblichen‘ Beruf, die von der Natur
vorgesehene Rolle als Hausfrau und Mutter zu erfüllen - war für diese Frauen faktisch nicht
erreichbar.
465 Burchardt 1996:106. 466 Burchardt 1996:106. 467 Burchardt 1996:106. 468 Burchardt 1996:106. 469 Burchardt 1996:106. 470 Schubert 1984:91. 471 Fäßler 1996d:229.
74
Viele dieser Frauen konnten ihrer in den Augen der öffentlichen Meinung so misslichen Lage
aber durchaus etwas abgewinnen. Für viele wurde der Beruf zu einer Erfüllung, die sie nicht
missen wollten.472 Eine Veränderung in den ‚beruflichen‘ Geschlechterrollen brachte diese
Entwicklung freilich nicht. Nach wie vor blieben Frauen viele Berufe versperrt, nach wie vor
wurden sie schlechter als die Männer bezahlt.473 Die kollektive Erfahrung der Frauen, in
Notzeiten durchaus ohne Männer zurechtzukommen, gar ihre Arbeitsplätze einzunehmen und
dort ebenso gute Arbeit zu verrichten, hatte hingegen eine tiefgreifende Veränderung im
Selbstverständnis der Frauen zur Folge. Sie wurden sich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit
bewusst und erhielten damit ein völlig neues Selbstbewusstsein.
2.4.2 Veränderungen in den Familienstrukturen Dieses Selbstbewusstsein führte zwar nicht zu einer Emanzipation der Frauen im öffentlichen
Raum von Politik und Wirtschaft, im ‚privaten‘ Verhältnis der Geschlechter ist jedoch sehr
deutlich eine durch die Lebensumstände der Nachkriegszeit verursachte Veränderung
festzustellen.
Paradoxerweise erlangten die Frauen innerhalb der privaten Beziehungen gerade durch die so
wenig fortschrittlich anmutende Hausarbeit eine völlig neue Stellung.474 In den meisten
Familien war es die Mutter, die durch ihre unermüdliche Arbeit das Überleben der Familie
sicherte.475 Ihr hauswirtschaftliches Wissen, die Fähigkeit, Nahrung und Kleidung auch aus
geringsten Ressourcen herzustellen und ihr medizinisches Können bildeten in der Notzeit der
Nachkriegszeit die unverzichtbare Grundlage der Gesellschaft. Da nach dem Zusammenbruch
des ‚Dritten Reiches‘ staatliche Institutionen für lange Zeit kaum in der Lage waren, die
Versorgung mit Nahrung und Kleidung sowie eine ärztliche Betreuung sicherzustellen, stellte
„der von Frauen hauptverantwortlich geführte Haushalt (...) bis 1947/48 die alleinige
Subsistenzbasis der fragmentierten Familien dar.“476
Die Aufwertung der Hausfrauenrolle verlieh den Frauen innerhalb der Familie eine völlig
neue Autorität. Diese neugewonnene Autorität im Verbund mit der durch die langen Jahre
ohne Männer gemachten Erfahrung eigener Leistungsfähigkeit und Kompetenz ließ viele
Frauen selbstbewusster werden.477
472 Ruhl, Iris. 1994. Studien zur Situation alleinstehender Frauen in Konstanz nach 1945. Magisterarbeit Konstanz, hier 36ff. 473 Höhn 1993:68. 474 Willenbacher 1988:606. 475 Vgl. Kapitel 1.3. 476 Kluge 1988:15. 477 Frevert 1990:118.
75
Oft wurde beobachtet, dass die aus dem Krieg heimkehrenden Männer diesem neuerworbenen
Selbstbewusstsein psychisch nur wenig entgegenzusetzen hatten. Sie waren ausgezogen, um
die Welt zu erobern und kamen geschlagen zurück. So wirkten denn auch die Männer auf
einen ausländischen Mitarbeiter des Rundfunks anlässlich eines Besuches im zerstörten
Frankfurt weit schwächer als die Frauen: „Die Männer machen alle einen so müden,
schwächlichen Eindruck. Die Frauen hingegen, scheint mir, halten sich besser, frischer,
stärker.“478 Und einer Journalistin fielen im August 1946 die „vielen ganz geschlagenen und
verzweifelten Männer“479 auf, die ihrer Meinung nach dringend weiblicher Stärke,
Ermutigung und Unterstützung bedurften.480 Die Frauen schienen sich hingegen weit weniger
als Verlierer des Krieges zu fühlen. In vielen Zeugnissen der Nachkriegszeit finden sich
vielmehr Aussagen, die in dem Ende des Faschismus auch das Ende der „Welt des Mannes“
sahen.481 Der totale Zusammenbruch des ‚Dritten Reiches‘ wurde demnach vor allem als ein
Zusammenbruch männlicher Machtstrukturen gesehen.
Die psychisch angeschlagenen Männer trafen nach Jahren der Trennung folglich auf völlig
veränderte, selbstbewusste Frauen. Sich auf diese Veränderung einzustellen, fiel oft nicht
leicht. Ein Berliner erinnert sich: „Es hat lange gedauert, bis ich begriffen hab [sic!], daß sie
gelernt hat ‚ich‘ zu sagen, solange ich weg war. Immer hieß es ‚ich‘ habe, ‚ich‘ bin.“482
Wenige Frauen waren bereit, sich wieder der unangefochtenen Autorität eines männlichen
Familienoberhauptes zu beugen. Das Bestehen vieler Ehen hing folglich von der Bereitschaft
des Mannes ab, sich in die in den Jahren seiner Abwesenheit gewachsenen neuen Verhältnisse
einzufügen.483 Gelang dies, konnten Beziehungen entstehen, die von einer weitgehenden
Gleichberechtigung der Partner geprägt waren: „Wir besprachen alle Lebens- und Geldsorgen
gemeinsam. (...) Es war eine Offenheit und Vertrauen zwischen uns, die Notzeiten hatten
zurechtgerückt, was vorher bürgerlich zu verengen drohte.“484 Anfang der 1950er Jahre
kamen denn auch verschiedene familiensoziologische Studien zu dem Schluss, die Frauen
seien sachlicher und selbstbewusster geworden und eigneten sich nicht mehr für die
traditionelle Form einer patriarchalischen Ehe.485 Wie stark Kriegs- und Nachkriegsjahre das
Verhältnis der Geschlechter verändert hatten, zeigt auch eine Studie von 1951, die nach den
478 Zitiert nach Frevert 1990:115f. 479 Zitiert nach Frevert 1990:115f. 480 Schubert führt als Beispiel für die desolate moralische Verfassung der Männer die Selbstmordrate aus Nordrhein-Westfalen an. 1947 hatten 901 Männer und 476 Frauen den Freitod gesucht. Die Selbstmordrate unter Männern war demnach fast doppelt so hoch wie die unter Frauen. Vgl. Schubert 1984:47. 481 Zitiert nach Frevert 1990:116. 482 Zitiert nach Frevert 1990:118. 483 Willenbacher 1990:609f. 484 Zitiert nach Willenbacher 1988:606. 485 Frevert 1990:117.
76
Leitbildern der gegenwärtigen Familien fragte. Nur 14% aller befragten Ehepaare
praktizierten eine Ehe nach patriarchalischem Muster, zwei Drittel der Befragten
befürworteten ein Zusammenleben in partnerschaftlicher Gleichberechtigung.486
Oft genug jedoch gelang es den jahrelang getrennten Eheleuten nicht, sich an die veränderten
Bedingungen anzupassen. Die unterschiedlichen Erfahrungen, die Männer und Frauen
während der Trennung an ‚Front‘ und ‚Heimatfront‘ gemacht hatten, konnten zu
unüberbrückbaren Verständigungsschwierigkeiten führen.487 Dies kam besonders häufig vor,
wenn die Ehe während des Krieges geschlossen worden war und sich die Eheleute lediglich in
den kurzen Fronturlauben des Mannes gesehen hatten. Nicht selten waren die Frauen auch
während der Abwesenheit des Mannes neue Beziehungen eingegangen, zumal, wenn der
Ehemann als vermisst galt.
Wie viele Ehen an diesen Problemen zerbrachen, lässt sich an der rapide steigenden
Scheidungsrate der Nachkriegszeit ablesen. 1938 waren 8,9% der Ehen geschieden worden,
1946 hatte sich die Rate bereits auf 11,2% erhöht.488 Viele Paare schienen noch einige Zeit
versucht zu haben, ein gemeinsames Leben zu führen, denn erst 1948 erreichte die
Scheidungsrate mit 18,8% ihren Höhepunkt.489
Mit der hohen Anzahl von Scheidungen ging eine offensichtliche Ehemüdigkeit einher. Die
Zahl der Eheschließungen sank beträchtlich.490 Diese Ehemüdigkeit wird in der Forschung in
engem Zusammenhang mit den Alltagserfahrungen der Frauen während und nach des Krieges
gesehen.491 Sie hatten gelernt, alleine zu leben und sahen nicht ein, warum sie dies nicht
weiter tun sollten. Spätestens seit 1948 jedoch war die Ehe wieder voll akzeptiert.492 Viele
während des Krieges aufgeschobene Eheschließungen wurden nachgeholt, und Verwitwete
und Geschiedene heirateten neu.493 In der Folge dieses Heiratsbooms wurde der Heiratsmarkt
fast völlig ausgeschöpft. Die Gruppe der 20-25jährigen Männer hatte infolge des hohen
Frauenüberschusses in dieser Altersgruppe dabei die besten Chancen. Die Männer dieser
Altersgruppe verheirateten sich zu fast 100%, die gleichaltrigen Frauen erreichten immerhin
486 Frevert 1990:118. Die neue Position, die die Frauen damit in der Ehe hatten, blieb freilich privater Natur. Rechtlich blieben die Frauen trotz des Gleichberechtigungsprinzips im Grundgesetz bis 1977 ihrem Ehemann untergeordnet. Vgl. Höhn 1993:78, Frevert 1990:119f. 487 Frevert 1990:118. 488 Höhn 1993:77, Fn. 76. 489 Höhn 1993:77, Fn. 76. Ab 1949 ging die Zahl der Scheidungen leicht zurück. 1950 lag die Scheidungsrate bei 15,7%. Ebd. Zur rechtlichen Seite der Scheidung in der Nachkriegszeit vgl. Willenbacher 1988:599f. 490 Fuchs 1993:13f. 491 Fuchs 1993:14. 492 Fuchs 1993:14f. 493 Willenbacher 1988:604.
77
eine Verheiratungsquote von 90%.494 Die Befürchtungen, unzählige junge Frauen müssten als
‚alte Jungfern ihr Dasein fristen‘, bewahrheiteten sich demnach nicht.
Der Heiratsboom der späten 1940er Jahre lässt sich zumindest zum Teil aus einem Bedürfnis
nach Ruhe und Ordnung erklären. Nach den Jahren der Nachkriegswirren wurde die Familie
als stabiler Fluchtpunkt gesehen, was als verständliche Reaktion auf Krieg, Vertreibung,
sozialen Abstieg und wirtschaftliche Not gesehen werden kann.
Die - vor allem von Kirchen und konservativen Parteien - vielbeklagte Zerrüttung und
Desorganisation der Familie in der Nachkriegszeit zeigte keine langfristige Auswirkung. Der
befürchtete moralische Konkurs Deutschlands trat nicht ein, die hohen Scheidungsraten waren
lediglich eine kurzfristige Krisenreaktion.495
Das durch die lange Abwesenheit der Männer entstandene neue Selbstbewusstsein der Frauen
hatte jedoch durchaus langfristige Wirkung. Wie gezeigt wurde, änderte sich im Zuge der
neugewonnenen Autorität der Hausfrauen auch das Leitbild der Ehegemeinschaften.496
494 Willenbacher 1988:604. 495 Willenbacher 1988:604.
78
79
III. Leben mit den Besatzern Neben Mangelwirtschaft und Frauenüberschuss war ein dritter Faktor bestimmend für den
Alltag der Nachkriegszeit: die Anwesenheit der Besatzer. Das alltägliche Leben der
Bevölkerung wurde in hohem Maße von den Erlassen und Befehlen der Besatzungsmacht
strukturiert. Die Besatzer verfügten über uneingeschränkte Macht, die Bevölkerung lebte in
relativer Rechtlosigkeit.
Aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Besatzungstruppen und ‚ziviler‘
Militärregierung kam es in den ersten Monaten der Besatzung zu teilweise drastischen
Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung, die das Verhältnis zwischen Siegern und Besiegten
dauerhaft trüben sollten. Daher soll im Folgenden zunächst ein kurzer Abriss der Probleme
beim Aufbau der Militärregierung in der FBZ gegeben werden.
Im Anschluss daran wird geschildert, wie die Bevölkerung das Leben unter Besatzung -
Unsicherheit, Rechtlosigkeit und Informationsmangel - erlebte. Die Auswirkungen, die der
Alltag unter Besatzung auf das deutsche Frankreichbild hatte, sind Thema des darauf
folgenden Kapitels. Es wird dabei zu zeigen sein, dass das schlechte Bild der Besatzer durch
die persönlichen Kontakte zwischen Deutschen und Franzosen erheblich verbessert werden
konnte.
Abschließend soll untersucht werden, welche Auswirkungen die Anwesenheit der Besatzer
auf den Frauenalltag hatte. Hier wird deutliche werden, dass die weitaus größere Gefahr für
die Frauen weniger von den Besatzern, als vielmehr vom persönlichen Umfeld der Frauen
ausging.
3.1 Aufbau der französischen Militärregierung
3.1.1 Aufbau der Militärregierung auf Zonenebene Mitte März hatte die französische Armee den Rhein überschritten und in nur 38 Tagen den
gesamten süddeutschen Raum erobert, ohne dabei auf nennenswerten Widerstand zu
stoßen.497 Die Besatzer fanden lediglich auf Kreis- und Kommunalebene noch eine
funktionierende Verwaltung vor. Landes- und Parteibehörden hatten sich aufgelöst, ihre
Leiter befanden sich auf der Flucht.498 Dringendstes Ziel der Besatzung war daher Übernahme
und Ordnung der Verwaltung. Zunächst übernahmen die Besatzungstruppen die Macht, da
497 Klöckler 1995b:31. 498 Grohnert 1996:165.
80
sich der Aufbau einer Militärregierung noch einige Monate hinzog.499 Erst im Juli richtete
sich in Baden-Baden unter Leitung General Pierre Koenigs das Commandement en Chef
Français en Allemagne (CCFA) ein.500 Ihm unterstanden neben den Besatzungstruppen die
französische Militärregierung in Berlin sowie die nun im Aufbau begriffene Militärregierung
der FBZ, das Gouvernement Militaire pour la Zone Française d’Occupation (GMZFO) unter
Emile Laffon.501 Das GMZFO verfügte über vier Generaldirektionen, die jeweils zonenweit
für die Bereiche Verwaltung, Wirtschaft und Finanzen, Sicherheit sowie Justiz zuständig
waren und gewissermaßen die Zonenregierung bildeten.502 Dem GMZFO unterstanden auch
die Ländermilitärregierungen, die Délégations Supérieures.
Die FBZ war verwaltungstechnisch unterteilt in die Länder Württemberg-Hohenzollern
(Südwürttemberg), Rheinland-Pfalz (1946 hervorgegangen aus der Vereinigung der
Rheinpfalz, Teilen Hessen-Nassaus und Teilen der südlichen Rheinprovinz503), das Saargebiet
und in das Land Baden (Südbaden).504 Die Délégation Supérieur für Baden hatte ihren Sitz in
Freiburg.505 Ihr unterstanden wiederum die drei Délégations du District für Baden-Baden,
Freiburg und Konstanz, die ihrerseits den Délégations de Cercle übergeordnet waren. Die
Délégation du District Constance umfasste die Kreise Villingen, Donaueschingen, Stockach,
Überlingen, Waldshut, Säckingen, Konstanz Stadt und Konstanz Land.506
Diese „nach gut französisch-zentralistischer Tradition“507 von oben nach unten organisierte
Verwaltungsstruktur behielten die Franzosen bis 1949 bei.508 Der Aufbau dieser Struktur war
allerdings wenig zentralistisch vor sich gegangen. Als Koenig sich im Juli 1945 in Baden-
Baden einrichtete, schuf er mit dem CCFA lediglich den Überbau für bereits bestehende
lokale Verwaltungsinstanzen.509 Im Gefolge der Besatzungstruppen hatten nach der
499 Fäßler, Peter. 1996a. Die Besatzungsmacht richtet sich ein. Strukturen des Gouvernement Militaire und Teilung des Landes Baden. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 43-52. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3), hier 43. 500 Fäßler 1996a:44 501 Ferber, Georges. 1988. Ernstes und Heiteres aus ungemütlicher Zeit 1945 - Wie es von der anderen Seite aussah. In: Maurer, Helmut (Hg.). 1988. Die Grenzstadt Konstanz 1945. Konstanz: Südkurier, 22-40, hier 25. Laffon schied nach Streitigkeiten mit Koenig im November 1947 aus seinem Amt aus. Danach übernahm Koenig selbst die Aufgaben Laffons. Klöckler 1992:25. 502 Burchardt 1996:52. 503 Fäßler, Peter. 1996c. Politik ohne Wiederhall? Verfassungsschöpfung und parlamentarische Regierung. In: Wolfrum, Edgar, Peter Fäßler & Reinhard Grohnert (Hgg.). 1996. Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenburg, 146-164. (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 3), hier 148. 504 Stei 1992:29. 505 Fäßler 1996a:44. Zunächst hatte sie ihren Sitz in Karlsruhe, das aber nach der endgültigen Festlegung der Zonengrenzen im Juli 1945 durch die französischen Truppen geräumt werden musste. Ebd. 506 Bosch 1988:14 507 Ferber 1988:25. 508 Bosch 1988:14. 509 Ferber 1988:25.
81
Besatzung in Kurzlehrgängen ausgebildete Offiziere der ‚zivilen‘ Militärregierung damit
begonnen, das öffentliche Leben in Deutschland neu zu organisieren.510 Sie schufen gemäß
der französischen Dezentralisierungspolitik für die FBZ zunächst die lokalen Organe des
GMZFO. Allerdings ergaben sich durch diese für die Franzosen ungewohnte dezentrale
Organisation vielfältige Kompetenzprobleme. Bis zum Eintreffen der Offiziere der
Militärregierung waren auf Seiten der Besatzungstruppen die Offiziere der sogenannten
‚5ièmes bureaux‘ für die zivile Verwaltung zuständig gewesen.511 Sie gaben ihre
Zuständigkeiten nur ungern an die ‚Zivilisten in Uniform‘ der Militärregierung ab. Bis in den
Herbst 1945 behielten diese ‚5ième bureaux‘ trotz eindeutiger Befehle, sich „nicht in die
allgemeinen Verwaltungsangelegenheiten einzumischen“,512 auch faktisch die Macht in der
FBZ.513 Die Arbeit der lokalen Organe der Militärregierung wurde dadurch beträchtlich
erschwert. Hinzu kam, dass Frankreich zwischen der eigenen Befreiung und der Besetzung
Deutschlands nur wenig Zeit gehabt hatte, passendes Personal auszubilden.514 Meist belief
sich die Ausbildung, die nur wenige Wochen dauerte, auf die Vermittlung der französischen
Übersetzung des ‚Handbook for military government‘ der US-Militärregierung, das auch die
Grundlage für den Aufbau des GMZFO bis in die Bezeichnung der einzelnen Ebenen der
Militärregierung bildete.515
Erst allmählich konsolidierte sich also die eigentliche Militärregierung in der FBZ. Bis Ende
1945 übten faktisch die Besatzungstruppen die Macht aus.
3.1.2 Aufbau der Militärregierung auf lokaler Ebene: Konstanz Der Aufbau der Militärregierung in Konstanz verlief nach dem oben geschilderten Verfahren.
Zunächst übernahmen die Besatzungstruppen die Verwaltung des öffentlichen Lebens. Doch
schon wenige Tage nach der Besetzung trafen die Offiziere der Militärregierung ein und
begannen mit dem Aufbau der lokalen Instanzen.516 Durch das Fehlen übergeordneter Stellen
waren die rund 30 Besatzungsoffiziere dabei im Wesentlichen auf sich selbst gestellt und
hatten somit einen erheblichen Freiraum in der Ausgestaltung der wenigen Vorgaben,517 aber
auch wenig Durchsetzungskraft gegenüber den Besatzungstruppen.
In Konstanz wurden zwei Verwaltungseinheiten der Militärregierung aufgebaut. Zum einen
die lokale Einheit für Konstanz, die Délégation de Cercle für den Stadtkreis Konstanz und die
510 Klöckler 1995b:32. 511 Burchardt 1996:20. 512 De Lattre de Tassigny, Note de service vom 23.5.1945. Zitiert nach Klöckler 1995b:35. 513 Vgl. Klöckler 1995a:225; Ferber 1988:26. 514 Burchardt 1996:21. 515 Burchardt 1996:20; Klöckler 1995b:32; Ferber 1988:24. 516 Klöckler 1992:26. 517 Burchardt 1996:22.
82
entsprechende Einheit für den Landkreis Konstanz, die Délegation du District Constance.518
Aufgabe beider Stellen waren Aufbau und Kontrolle der inneren deutschen Verwaltung, der
Justiz, der Post, des Gesundheitswesens, der Landwirtschaft und Ernährung, der Sicherheit
und anderer Bereiche des öffentlichen Lebens.519 Damit bestanden parallel zur deutschen
Stadt- und Landkreisverwaltung französische Kontrollressorts.520
Das Kompetenzgerangel zwischen Besatzungstruppen und Militärregierung erschwerte auch
in Konstanz den Aufbau der Militärregierung. Auch hier lag bis Ende 1945 die eigentliche
Macht bei den Besatzungstruppen. So wurden z.B. alle Schreiben und Berichte der
Besatzungsoffiziere bis Herbst 1945 vom jeweiligen amtierenden General unterschrieben.521
Im November 1945 wurde Marcel Degliame als Chef der Militärregierung in Konstanz
eingesetzt.522 Er regierte mit „harter Hand“523 seinen Dienstbezirk. Dies bekamen sowohl die
Konstanzer zu spüren als auch die Besatzungstruppen, deren Einfluss unter dem nun
konsolidierten Regime der Militärregierung an Gewicht verlor.
Die Bevölkerung dürfte von dem Kompetenzgerangel zwischen Besatzungstruppen und
Militärregierung nur wenig mitbekommen haben. Für den Alltag der ersten Besatzungsmonate
war die späte Konsolidierung der Militärregierung jedoch durchaus prägend. Bis Ende 1945
gingen die Besatzungsmaßnahmen fast ausschließlich von den Besatzungstruppen aus. Ihr
drastischer Charakter prägte in verheerender Art und Weise das Verhältnis zwischen
Besatzungsmacht und Bevölkerung.
3.2 Alltag unter Besatzung
3.2.1 Der 26. April 1945: ‚Stunde Null‘ in Konstanz Wenige erwarteten die Franzosen in den bangen Tagen vor der Besatzung als Befreier vom
NS-Regime, doch als Befreier von den schweren Zeiten des Krieges.524 Über das Kriegsende
und den Tag der Besetzung in Konstanz ist bereits mehrfach berichtet worden,525 hier seien
daher nur vier wenig beachtete Erinnerungsberichte erwähnt.526 Allen vier Berichten
518 Die Délegation du District befand sich zunächst in Singen, wurde aber im September 1945 mit der Délégation de Cercle zusammengelegt. Im Oktober wurde erneut umorganisiert und sowohl Stadt- als auch Landkreis direkt dem Gouverneur der Délégation Supérieure de Bade unterstellt. Klöckler 1992:28. 519 Klöckler 1992:29. 520 Stei 1992:32. 521 Ferber 1988:26. 522 Klöckler 1992:33. Zu den Vorgängern und Nachfolgern Degliames und einer Wertung ihrer jeweiligen Rolle vgl. Klöckler 1992:30ff und 82ff. 523 Klöckler 1995a:216. 524 Kluge 1988:13. 525 Vgl. Schoop 1988; Raggenbass, Otto (Hg.). ²1985. Trotz Stacheldraht. 1939-1945. Grenzland am Bodensee und Hochrhein in schwerer Zeit. Konstanz: Südkurier; Dietrich 1966. 526 Hanloser 2000; Griesinger 1995; Sutter 1989; Beck 1950.
83
gemeinsam ist die Schilderung der Unsicherheit gegenüber dem, was „die Stadt und ihre
Einwohner zu erwarten“ haben.527 Diese Unsicherheit sollte auch nach der Besatzung für
lange Zeit den Alltag der Bevölkerung überschatten. Wilde, sich widersprechende Gerüchte
über Verteidigung oder kampflose Übergabe der Stadt kursierten: „Es war ein heilloses
Durcheinander von Gerüchten. Wie es wirklich rund um die Stadt aussah, wußte niemand.“528
Dass bei den Verhandlungen im Trompeterschlössle die kampflose Übergabe der Stadt bereits
beschlossen worden war, „konnte [man] nicht ahnen.“529
Gegen Mittag des 26. April 1945 stieg die Spannung ins Unermessliche. Willi Sutter befand
sich mit seinen Arbeitskollegen in seinem Büro in den Rieter-Werken.
„Inzwischen hatten sich alle in meinem kleinen Büro eingefunden. (...) Die Gruppe kam mir vor wie eine Ansammlung von Menschen, die vor einem nahenden Gewitter Schutz suchen. Man rückte zusammen und redete belangloses Zeug.“530
Verängstigt und unsicher begegnete die Bevölkerung den Truppen, die gegen 14.00 Uhr die
Marktstätte erreichten. Unter den Soldaten befand sich auch der spätere französische
Staatspräsident Valery Giscard d’Estaing, der sich an „eine menschenleere, von Entsetzen
erfüllte Stadt“ erinnerte, „die sich plötzlich mit Menschen füllte, die ganz erleichtert darüber
waren, dass sie nicht jene afrikanische Horden vor sich hatten, als die man uns beschrieben
hatte.“531
NS-Propaganda und das Wüten der französischen Truppen bei der Besetzung von
Freudenstadt hatten in vielen Menschen eine unsägliche Angst vor den Franzosen und ihren
Kolonialtruppen hervorgerufen.532 Vor allem Frauen fürchteten sich vor den
Kolonialtruppen533 und fragten sich bange „ob sie Übles im Schilde führten.“534 Zwar befand
sich unter den Truppen, die Konstanz besetzten, zum Schrecken der Bevölkerung auch ein
Regiment algerischer Soldaten, doch schienen sich die Befürchtungen der Menschen bald zu
zerstreuen, zumal alles ruhig blieb und die Truppen keinerlei Anstalten machten, die Stadt mit
Waffengewalt einzunehmen. Innerhalb kürzester Zeit war die Marktstätte schwarz von
527 Beck 1950:33. 528 Sutter 1989. 529 Hanloser 200:529. 530 Sutter 1989:67. 531 Zitiert nach Klipfel, Werner. 2000. Einmalige Bilddokumente von Konstanz. Badische Heimat 80, 533-537, hier 533. 532 Bei der Besetzung von Freudenstadt kam es mit Wissen der Offiziere zu Plünderungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen. Dies scheint jedoch das einzige Beispiel dafür zu sein, dass es mit Wissen der Offiziere zu Übergriffen kam. Der Vormarsch der französischen Truppen ging zwar durchaus mit Übergriffen einher, doch scheinen sie nicht zahlreicher gewesen zu sein, als sie bei jeder Besetzung eines Landes durch siegreiche Truppen vorkommen. Klöckler 1995b:33. 533 Huber, Renate. 1997. „Als Mann hätte er mich interessiert, als Mann....“ Beziehungen von vorarlberger Frauen zu französischen Besatzungssoldaten auf der Basis lebensgeschichtlicher Interviews. Montfort 49, 177-196, hier 177. 534 Griesinger 1995:40.
84
Menschen.535 Die Franzosen teilten Zigaretten und Fleischkonserven aus, und immer mehr
Menschen strömten auf den Platz, um die Besatzer zu bestaunen und etwas von den
Köstlichkeiten zu ergattern.536
Schweizer Zeitungen berichteten am nächsten Tag, die Franzosen seien mit Blumen begrüßt
worden.537 In den Erinnerungsberichten der Konstanzer finden sich dafür keine Belege. Dass
die Besatzer trotz aller Furcht jedoch freudig begrüßt wurden, steht außer Zweifel. Manfred
Hanloser erinnert sich seiner widerstreitenden Gefühle im Moment der Besatzung. Seine
Schilderung soll hier ausführlicher zitiert werden, da sie sehr treffend die Stimmung
beschreibt, die sich in allen Erinnerungsberichten findet.
„Ich kann heute schwer die Gefühle beschreiben, die sich mir damals beim Anblick dieser einziehenden Truppenkontingente einstellten. Sie waren offensichtlich widerstreitend in dem Sinne, dass ich mich einerseits ungemein freute, weil jetzt die schon solange ersehnte Stunde der BEFREIUNG [Hervorhebung im Original, d.V.] da war, andererseits ich auch wußte und befürchten mußte, daß noch etwas passieren konnte. Denn es war ja noch Krieg, und etwas Unvorhergesehenes konnte ja schon dem friedlichen Befreiungsakt ein Ende bereiten. Doch zunächst sah ich, dass einige Passanten den Soldaten Beifall spendeten. Ich schloss mich guten Gewissens - denn ich tat es nicht aus Opportunismus - solchen Manifestationen der Freude an und klatschte um die Wette!“538
3.2.2 Unsicherheit, Rechtlosigkeit und Informationsmangel Die Freude über die friedliche Besetzung und das langersehnte Kriegsende war jedoch schon
bald vorbei. Noch am gleichen Tag zeigte sich, was es hieß, unter Besatzung zu leben: „Der
Sieger hat recht und hat die Macht, daran besteht kein Zweifel.“539
Für die Bevölkerung begann eine Zeit der Rechtlosigkeit und Unsicherheit. Die absolute
Macht lag bei den Besatzern, ihren Befehlen war uneingeschränkt zu folgen. Oft genug waren
die Hintergründe dieser Befehle jedoch für die Bürger nicht durchschaubar, da zwischen
Siegern und Besiegten kaum Kommunikation stattfand.
Noch am 26. April 1945, dem Tag der Besetzung der Stadt, wurden den Bürgern durch
Plakatanschläge mitgeteilt, dass bis 12 Uhr des folgenden Tages alle Waffen abzuliefern
seien, dass ab sofort jeglicher privater Kraftwagenverkehr sowie das Fahrradfahren verboten
sei, dass Telefongespräche nur im Ortsbereich möglich seien. Außerdem wurde eine
Sperrstunde von 19.00 bis 7.00 Uhr festgelegt.540
535 Einen guten Eindruck dieser plötzlichen Bevölkerung der Marktstätte vermitteln die Fotografien, die der 14jährige Manfred Hanloser von der elterlichen Wohnung an der Marktstätte 20 aus innerhalb weniger Minuten schoss. Vgl. Hanloser 2000:530f. Zur Geschichte der Fotografien vgl. Klipfel 2000. 536 Hanloser 2000:532. 537 Rügert 1996:20; Moser 1995:25. 538 Hanloser 2000:530. 539 Nägele 1988:49. 540 Vgl. das Plakat ‚Anordnung des Oberst und Stadtkommandanten‘ vom 26. 4. 1945, Nachdruck in: Bosch 1988:25; Dietrich 1966:15.
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Plakate solcher Art sollten das Alltagsleben der Bevölkerung bis auf weiteres bestimmen. Sie
wurden an Liftfasssäulen, in Ladengeschäften und Dienststellen in der Stadt angebracht und
stellten fast die einzige Form der Kommunikation zwischen Besatzungsmacht und
Bevölkerung dar.541 Von einer umfassenden Information der Bevölkerung konnte indes keine
Rede sein. Die Plakate gaben lediglich Befehle und Anordnungen wider:
Requisitionsforderungen, wie die Abgabe von Kleidung, Radiogeräten und Fotoapparaten,
Bestandsaufnahme von Fahrrädern, Umzugsverbote, Tagesbefehle etc. Auch die vielfältigen
Änderungen der Sperrstunde wurden über Plakate bekannt gegeben.542 Als im September
1945 mit dem ‚Südkurier‘ eine der ersten Lokalzeitungen des Bodenseeraumes erschien,
nahmen die Plakatanschläge rapide ab, da die Bevölkerung nun durch die Presse informiert
werden konnte.543
Bei Nichtbeachtung der Anordnungen drohten drakonische Strafen. Für die Beschädigung
eines Plakates wurde z.B. das Niederbrennen eines ganzen Stadtteils angedroht.544 Tatsächlich
wurde zumindest ein Plakat leicht beschädigt. Zwar wurde die Androhung nicht wahr
gemacht, weitreichende Folgen hatte der fehlende Schnipsel dennoch: der Bürgermeister, der
Chef der Militärregierung sowie der diensthabende General wurden abgesetzt.545
Ebenfalls per Plakat war am 6. Mai 1945 bekannt gegeben worden, dass sich alle männlichen
Einwohner zwischen 16 und 60 Jahren in der Klosterkaserne zum Zwecke einer Volkszählung
einzufinden hätten. Nach der Überprüfung der Personalien wurden die meisten der
angetretenen Männer wieder nach Hause geschickt, vor allem solche, die durch ihren Beruf
für das Funktionieren des städtischen Lebens unentbehrlich waren, also Arbeiter und
Handwerker, aber auch Bahnbeamte.546 Doch nicht alle durften nach Hause gehen, 400 -
darunter viele Intellektuelle - wurden als Geiseln zurückbehalten. Sie sollten als Faustpfand
dienen: für jeden getöteten Franzosen sollten 15, für jeden Offizier sogar 30 Geiseln getötet
541 Außerdem richtete die Besatzungsmacht Lautsprecheranlagen zur Übermittlung von Anordnungen und Radionachrichten in der Stadt ein und ließ Nachrichten und Anweisungen über Lautsprecher von einem Wagen aus ausrufen, der an bestimmten Stellen in der Stadt Halt machte (Vgl. Tagbuch H., 26. 5. 1945; 14. 6. 1945; 4. 7. 1945; 13. 7. 1945.). Über die Tauglichkeit der Lautsprecheranlagen ist nichts bekannt. Die Verbreitung von Nachrichten über den Lautsprecherwagen stellte sich als wenig effektiv heraus. Vielen waren die Ansagen zu schnell oder zu leise, zudem war unbekannt, wann der Wagen mit Nachrichten auftauchte. Ende 1945 wurden die Durchsagen daher eingestellt. Klöckler 1992:50ff. 542 Dietrich 1966:45ff. 543 Moser, Arnulf. 1996. 544 Burchardt 1996:28. Nachdruck des Plakates in Bosch 1988:26f. 545 Zur sogenannten ‚Plakataffaire‘ vgl. Klöckler, Jürgen. 2002a. Vom Kaiserreich zur Bundesrepublik. Aus dem politischen Leben der Stadt Konstanz. In: Rosgartenmuseum Konstanz (Hg.). 2002. Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Erschienen anlässlich der Ausstellung „Mager und knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Vom Hitlergruß zum Petticoat. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960.“ Konstanz: Konstanzer Museumsjournal, 29-39, hier 34; Moser 1995:27; Klöckler 1995a:223; Klöckler 1992:39; Ferber 1988:31. 546 Burchardt 1996:27.
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werden. Die meisten Geiseln wurden bald entlassen, doch einige blieben gut zwei Monate in
der ungewissen Lage der Geiselhaft.547 Nicht nur auf deutscher Seite rief diese Maßnahme
Empörung hervor, auch Franzosen empfanden sie als „willkürlich und zu Unrecht
[demütigend].“548 Diese im Nachhinein völlig überzogenen Drohungen sind auf die Angst der
Franzosen vor Widerstandsaktionen zurückzuführen. Diese Angst war zwar völlig
unbegründet, da es in Konstanz keinerlei Ansätze einer ‚Werwolf‘-Aktivität gab, doch
konnten das die Franzosen zu diesem frühen Zeitpunkt nicht wissen.549
Bezeichnend für das Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten ist hierbei, dass die
Bevölkerung von den Hintergründen dieser Aktion wenig erfuhr. Die Bürger folgten dem
Aufruf der Plakate, denn das Wort der Besatzer war Gesetz. Auch Leo Nägele folgte dem
Aufruf und erinnert sich:
„Bald hinter dem Kasernentor stand in der Nähe der Exerzierhalle im Freien ein Tisch, an dem zwei Schreiber sich gegenübersaßen. Die machten in einer Liste Eintragungen. Was sie schrieben, wußte ich nicht, und fragen durfte man sie auch nicht. Maul halten, war das Beste.“550
Nägele, von Beruf Elektriker, gehörte zu den Glücklichen, die unmittelbar nach dem Appell
entlassen wurden. Der Sinn der Aktion blieb ihm verborgen: „Niemand wußte, warum man
eigentlich zu diesem Appell mußte, denn es wurde nichts, gar nichts aufgeschrieben, und man
bekam auch keinen Bescheid.“
„Was es heißt, nicht in einem Rechtsstaat zu leben“,551 erfuhr auch Franz Schäfer. Sein Vater
war auf einem der stillgelegten Bodenseeschiffe als ‚Dienstmädchen‘ für die dort
einquartierten Marinetruppen verpflichtet. Von diesem Dienst kehrte er eines Abends nicht
zurück. Erst nach 10 Tagen konnten Mutter und Sohn etwas über den Verbleib des Vaters und
Ehemannes erfahren. Bis dahin „nagte [an uns] die Ungewissheit, wo er war, und ob er noch
lebte.“552 Durch beherztes Vorsprechen der Mutter bei den Besatzungsbehörden konnte
schließlich der Vermisste aus dem Wallgutgefängnis geholt werden. Er war dort in Haft
genommen worden, da er und sein Kollege der Sabotage verdächtigt worden waren: auf dem
Schiff hatte sich ein Häufchen menschlicher Exkremente gefunden. Dieser Tatbestand reichte
aus, um die beiden deutschen Dienstleute „mit aufgepflanzten Bajonetten durch die Stadt ins
Gefängnis“553 zu führen.
547 Burchardt 1996:27f; Klöckler 1995b:34; Ferber 1988:31. 548 Ferber 1988:31. 549 Burchardt 1996:27. 550 Nägele 1988:53. 551 Schäfer 1997:140. 552 Schäfer 1997:140. 553 Schäfer 1997:140.
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Ebenfalls durch Plakatanschlag wurde der Bevölkerung mitgeteilt, welche Arbeitsleistungen
sie für die Besatzer zu erbringen habe. Diese waren vielfältiger und oft lächerlicher Natur. So
mussten die Plakate selbst bewacht werden, um Beschädigungen zu vermeiden. Von der
Langeweile auf diesem verlorenen Posten berichtet das Tagebuch des Konstanzer
Zeichenlehrers H.554 Große Teile der Bevölkerung, darunter viele Schüler, aber auch
Honoratioren der Stadt, wurden regelmäßig zum Reinigen der Straßen herangezogen.555 Dies
mag auf den ersten Blick eine vergleichsweise harmlose und durchaus nützliche Maßnahme
gewesen sein, zumal die Schulen bis in den Herbst 1945 geschlossen blieben und somit
Lehrer und Schüler als Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Doch wurde die Anordnung zur
Farce, als die Konstanzer verpflichtet wurden, zweimal täglich die Straßen zu reinigen.556
Doch auch hier war der Anordnung der Besatzer unbedingt Folge zu leisten. Die Bevölkerung
hatte keinerlei Rechte, sich gegen solche Arbeitseinsätze zu wehren.
Konstanz war durch seine unzerstörte Schönheit der ideale Ort für prächtige Paraden der
Besatzungstruppen.557 Illustre Gäste wie der Sultan von Marokko, der Bey von Tunis und de
Gaulle statteten Konstanz ihren Besuch ab und wurden mit sämtlichen militärischen Ehren
empfangen.558 Gerade im Vorfeld solcher Paraden wurde die Bevölkerung zu verstärkten
Arbeitsleistungen herangezogen. Die Straßen mussten gereinigt werden, die Häuser mit
Blumen und Fahnen geschmückt sein.559 Für die Ausstattung der Tribünen wurde in der Regel
bei der Bevölkerung requiriert.560 Die Paraden selbst bekamen die Konstanzer nur selten zu
sehen. Sie hatten während der Feierlichkeiten in ihren Wohnungen zu bleiben.561 Die
Friseurgeschäfte mussten allerdings bereits um 5.00 Uhr morgens öffnen, um allen Franzosen
die Möglichkeit zu geben, frisch rasiert und gut frisiert an den Paraden teilzunehmen.562 Am
Beispiel der Paraden lässt sich wiederum ablesen, in welcher Informationslosigkeit die
Konstanzer Bevölkerung lebte. Denn sie wusste meist wenig mehr, als dass sie zur
Vorbereitung irgendwelcher Paraden herangezogen wurde. Welche hohen Generäle Konstanz
besuchten und wann sie kommen sollten, war lediglich gerüchtehalber zu erfahren. So geben
z.B. amerikanische Flaggen auf der Post und dem Casino Anlass zu der Vermutung, hohe
amerikanische Offiziere würden erwartet werden. Nachdem sie jedoch wieder verschwunden
554 Tagebuch H. 555 Nägele 1988:54. Tagebuch H., 15. 8. 1945. 556 Burchardt 1996:38; Moser 1995:29. 557 Klöckler 1995b:33. 558 Klöckler 1995b:33; Ferber 1988:29; Dietrich 1966:21. 559 Burchardt 1996:38. Tagebuch H., 27. 5. 1945; 14. 6. 1945. 560 Schäfer 1997:139f. 561 Schäfer 1997:140; Moser 1995:26. 562 Moser 1995:29.
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waren, bemerkt der Tagebuchschreiber H.: „Man weiß weder im Großen noch im Kleinen,
was eigentlich läuft und geht.“563
Neben den Paraden wurden auch Sportfeste und ähnliche Festivitäten veranstaltet. Auch hier
war die Bevölkerung ausgeschlossen. Die Konstanzer wurden zur Vorbereitung
herangezogen, erhielten jedoch keinerlei Informationen über das Geschehen.
„In der ganzen Gegend ist ein jahmarktähnlicher Krawall. Autos fahren, Soldaten johlen, Radios grölen und Weiber lachen und quietschen. Es war heute wieder einmal etwas los, zumindest sollte es sein, ein sog. Sportfest im Stadion, das zu diesem Zwecke festlich gesäubert und hergerichtet war. Ob es tatsächlich stattfand, weiß kein Mensch. Es hieß, der dazu erwartete General sei nicht eingetroffen. Nun, sei es wie es will, die Hauptsache war wieder ein großes Umherhetzen der Leute. Von der Rheinbrücke her in der Mainau- und Beethovenstr. Bis zum Wald mußten Fahnenmastenlöcher gegraben und Stangen eingepflanzt werden. Die Anwohner der Beethovenstr. mussten die Häuser und Fenster schmücken und die Straße sprengen. Von 12 h an prangt wieder alles in Blau-Weiß-Rot und um 5 h waren die Zufahrtstraßen wieder für den Verkehr gesperrt. Ein großes Autorasen begann, und dem Geschrei nach wurden Soldaten hinausbefördert.“564
Die wenig umfassende Informationspolitik der Besatzungsmacht wog umso schwerer, als die
Bevölkerung zumindest bis Ende 1945 kaum andere Informationskanäle besaß. Gleich zu
Beginn der Besatzung waren fast sämtliche Radioapparate requiriert worden.565 Die letzte
Nummer der ‚Bodenseerundschau‘, dem „nationalsozialistischen Kampfblatt für das deutsche
Bodenseegebiet“566, erschien am 22. April 1945.567 Telefongespräche waren durch die
Anordnung der Besatzungstruppen vom 26. April nur noch im Ortsnetz Konstanz erlaubt,
Ferngespräche waren verboten.568 Der Postbetrieb war mit Kriegsende völlig eingestellt
worden.569 Hinzu kam, dass der Verkehr über den Bodensee untersagt war und auch die
Bahnanbindung erst allmählich in Gang kam.570 Die Grenze zur Schweiz war hermetisch
geschlossen, so dass auch hier keine Informationen fließen konnten.571 Die Konstanzer lebten
in dem „Gefühl, isoliert am Rande der französischen Zone zu leben und von der übrigen Welt
weitgehend abgeschnitten zu sein.“572 Dieses Gefühl der Isoliertheit teilten die Konstanzer mit
den meisten Deutschen, doch dürfte die Randlage der Stadt die Empfindung noch verstärkt
haben.
563 Tagebuch H., 7. 7. 1945. 564 Tagebuch H., 5. 7. 1945. 565 Burchardt 1996:27. Die Ablieferung der Radiogeräte sollte vor allem eine Kommunikation zwischen der Bevölkerung und etwaigen Partisanen verhindern. Ebd. Zu den Requisitionen vgl. Kapitel 1.1.4.2. 566 Zitiert nach Moser, Arnulf. 1996. Konstanzer Zeitungen des Jahres 1945. Konstanzer Almanach 42, 14-18, hier 15. 567 Moser 1996:14. Bis zum Tag der Besatzung am 26. April 1945 erscheinen noch vier Ausgaben der Zeitung, die nun aber den Kopf des Karlsruher ‚Führer‘ trugen. Ebd. 568 Vgl. das Plakat ‚Anordnung des Oberst und Stadtkommandanten‘ vom 26. 4. 1945, Nachdruck in: Bosch 1988:25; Dietrich 1966:15. 569 Burchardt 1996:71. 570 Burchardt 1996:112. Dietrich 1966:24. 571 Burchardt 1996:33. 572 Burchardt 1996:112.
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Der Konstanzer Franz Schäfer wurde im August 1945 von Bekannten der Eltern zu einer
„Satt-Eß-Kur“ nach Öhningen eingeladen.573 Er schildert das für das erste Nachkriegsjahr so
charakteristische Gefühl der Isoliertheit:
„In Öhningen war ich von den Eltern weiter entfernt, als wenn junge Leute heute zum Polarkreis oder nach Afrika reisen. Nur Reisende konnten Nachrichten überbringen. So war von zu Hause während der drei Wochen nichts zu erfahren, und ich konnte nichts von mir hören lassen. Man lebte ohne Post, ohne Telefon, ohne Radio und ohne Zeitung. Nach Konstanz gab es in diesen Tagen ein schweres Gewitter. Ich beobachtete es mit anderen Jungen aus dem Dorf von den Höhen bei Wangen aus. Der Himmel war feuerrot, es sah aus, als ob es in Konstanz brenne. In Öhningen war in den folgenden Tagen nicht zu erfahren, ob etwas passiert war. (...) Überraschend, weil sie sich nicht anmelden konnten, standen eines Tages die Eltern vor der Tür, um mich abzuholen. Man freute sich, weil alle gesund geblieben waren.“574
Der Mangel an Informationen wurde mit Gerüchten ausgeglichen. Zu allen möglichen und
unmöglichen Themen kursierten die widersprüchlichsten Meinungen. Die
Nachrichtenlosigkeit, gerade auch in weltpolitischen Belangen, ist aus heutiger Sicht kaum
noch vorstellbar. „Selbst vom Kriegsende in Japan und von den Atombomben hörte man nur
gerüchteweise.“575
Besonders schmerzlich war die Ungewissheit über den Verbleib der Angehörigen, die als
Soldaten, Flüchtlinge oder Ausgebombte in die Wirren der letzten Kriegsmonate geraten
waren. Um über ihr Schicksal etwas zu erfahren, wurden Briefe auf komplizierten Wegen
privat befördert. Hier sei nur einer der zahlreichen Hinweise zitiert, die sich im Tagebuch des
Konstanzer Zeichenlehrers H. finden.
„Heute abend war Herr Professor Röhrer da (...) und brachte einen Brief an seine Frau in Heidelberg. Grete soll ihn in einen solchen an Lottchen Kuhl stecken, den ein freundlicher Amerikaner mitnehmen will.“576
Die Lage entspannte sich erst allmählich. Ab Herbst 1945 kam ein eingeschränkter
Postverkehr zustande,577 Ferngespräche blieben noch Monate darüber hinaus unmöglich.578
Mit dem Erscheinen des ‚Südkurier‘ im September 1945 wurde jedoch eine erste
Informationslücke geschlossen.
Die geschilderten Besatzungsmaßnahmen - Geiselnahme, Straßenreinigung etc. - gingen im
Wesentlichen von den Besatzungstruppen aus. Mit der Konsolidierung der Militärregierung
wurde es etwas ruhiger in Konstanz. Zwar lebte die Bevölkerung nach wie vor unter strenger
Besatzungsherrschaft, doch waren die Maßnahmen der ‚zivilen‘ Besatzungsherren weniger
573 Schäfer 1997:143. 574 Schäfer 1997:143. 575 Schäfer 1997:139. Als wichtiger Ort der Kommunikation erwiesen sich die meterlangen Schlangen vor den Geschäften. Hier wurden viele der Gerüchte weitergegeben. Vgl. Gries 1991:224. 576 Tagebuch H., 26. 5. 1945. Weitere Beispiele 30. 5. 1945; 3. 6. 1945; 11. 6. 1945; 21. 6. 1945; 30. 6. 1945. 577 Burchardt 1996:110. Briefmarken gab es allerdings erst 1947 wieder. Vgl. Schäfer 1997:142. 578 Burchardt 1996:71.
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willkürlich und wurden damit berechenbarer, als es die Anordnungen der Besatzungstruppen
gewesen waren. „Die Ablösung der Kampftruppen durch die zivile Besatzungsverwaltung
stellte zumindest ein gewisses Maß an ,Rechtsicherheit‘ her.“579 Als Beispiel dafür mögen die
in Kapitel 1.1.4.2 beschriebenen Requisitionen dienen. Zwar wurde ab Anfang 1946 nicht
weniger requiriert, die Entnahmen aller Art erreichten sogar einen Höhepunkt, doch handelte
es sich nunmehr um ‚ordentliche‘ Requisitionen. Das machte den Verlust der requirierten
Güter nicht weniger schmerzhaft, doch erhielten die Bürger nun immerhin
Requisitionsscheine, die einen finanziellen Ausgleich zusicherten. Das konnte in Zeiten, in
denen auch mit Geld nur wenig zu bekommen war, kaum über den Verlust rarer und daher
unersetzlicher Gegenstände hinwegtrösten. Doch waren die Requisitionsscheine ein erstes
Anzeichen dafür, dass die Zeiten der völligen Rechtlosigkeit der Bevölkerung vorbei waren.
Die Betäubung - ‚torpeur‘- die französische Beobachter als vorherrschende Stimmungslage
bei den Deutschen festgestellt hatten, wich allmählich einer Erleichterung „vom Krieg und
nationalsozialistischen Zwangssystem entledigt“580 zu sein.581 Doch sollte diese positive
Stimmung nicht lange anhalten. Unter den drückenden Alltagsproblemen sank die Moral der
Bevölkerung auf einen Tiefstand, was nicht ohne Wirkung auf das Frankreichbild der
Deutschen bleiben sollte.
3.3 Die Besatzung in den Augen der Bevölkerung Für das Verhältnis der Bevölkerung zu den Besatzern waren die ersten Monate der Besatzung
verheerend. Nach den schlechten Erfahrungen mit den Franzosen wurden sie von der
Mehrheit der Bevölkerung nicht länger als ‚Befreier vom Krieg‘ sondern als unbarmherzige
Besatzer gesehen.582 Die großen Hoffnungen, die man auf das Ende des Krieges und damit
auf die Franzosen gesetzt hatte, wurden auf das Bitterste enttäuscht. Es schien, als ob die
allgemeine Lage nicht besser würde, sondern nur immer schlimmer.
Die Konstanzer Quellen schweigen sich zu diesem Thema weitgehend aus. Im Folgenden soll
daher vor allem eine Quelle zitiert werden, die die Stimmung der gesamten deutschen
Bevölkerung mit Schwerpunkt auf die FBZ wiedergibt: die Anthologie der deutschen
Meinung.583 Diese Sammlung deutscher Briefe wurde 1947 von französischen Intellektuellen
579 Wolfrum, Edgar. 1993. Das Bild der »düsteren Franzosenzeit«. Alltagsnot, Meinungsklima und Demokratisierungspolitik in der französischen Besatzungszone nach 1945. In: Martens, Stefan (Hg.). 1993. Vom »Erbfeind« zum »Erneuerer«. Aspekte und Motive der französischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Sigmaringen: Thorbecke, 87-114. (= Beihefte der Francia, 27), hier 92. 580 Colonel Arnal an Tarbé de Saint Hardouin, 15. 6. 1945. Zitiert nach Wolfrum 1996a:54. 581 Wolfrum 1996a:54. 582 Klöckler 1995b:33. 583 Anthologie der deutschen Meinung. Deutsche Antworten auf eine französische Umfrage. 1947. Konstanz: Asmus.
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veröffentlicht. Da die Herausgeber bewusst auf eine Wertung oder Systematisierung der
eingegangenen Briefe verzichteten, entstand ein weitgehend unverfälschtes Bild der
Nachkriegsstimmung. Die in der Anthologie eingefangene Stimmung dürfte in Konstanz
ähnlich gewesen sein, und soll daher auf die Konstanzer Verhältnisse übertragen werden.
3.3.1 Ablehnung und Selbstmitleid Die oben geschilderten Besatzungsmaßnahmen trübten schon zu Beginn der Besatzungszeit
das deutsch-französische Verhältnis. Die überzogenen Drohungen und drakonischen
Strafmaßnahmen unterschieden sich in Ton und Darstellung wenig von denen der deutschen
Besatzungspraxis. Dass dies die Demokratie sein sollte, die die Besatzer den Deutschen
zurückgebracht hätten, war nur schwer zu verstehen.584 Hier seien die Worte eines jungen
Deutschen zitiert:
„Wir glauben gerne, daß die Demokratie die beste Ordnung unter den Menschen darstellt. Wie aber sieht denn die Demokratie derer aus, die davon predigen? (...) Kann das überhaupt Demokratie sein, was Besatzungsmächte tun und vielleicht tun müssen? Geht denn nicht letzten Endes überall Macht vor Recht, genau wie die Nationalsozialisten es behaupteten?“585
Pompöse Truppenparaden und arrogantes Auftreten vieler Besatzungsoffiziere ließen die
Franzosen ebenfalls nicht in einem positiven Licht erscheinen.586 Diese Maßnahmen der
ersten Monate warfen in den Augen der Bevölkerung ein solch schlechtes Licht auf die
Besatzer, dass auch alle weiteren Besatzungsmaßnahmen verurteilt wurden - ungeachtet
dessen, ob sie notwendig oder berechtigt waren, wie z.B. die Demontagen, oder nur zu einem
geringen Teil von den Besatzern verursacht worden waren, wie z.B. die katastrophale
Ernährungslage.
Demontagen und Requisitionen empörten die Zeitgenossen quer durch alle Schichten und
Parteien. Vor allem die Demontagen erzeugten auf deutscher Seite einen hohen
Solidarisierungseffekt, der sich zwangsläufig gegen die Besatzer richtete.587 Dies war auch in
Konstanz nicht anders. Für Verstimmung sorgte hier z.B. die Einrichtung von
Erholungsheimen für ehemalige KZ-Häftlinge und Pariser Kinder auf der Reichenau und der
Mainau im Sommer 1945.588 Angesichts der eigenen Versorgungslage war vielen nicht
einsichtig, warum nun auch noch zusätzliche Esser mitversorgt werden sollten. Hinzu kamen
zusätzliche Requisitionen für die Ausstattung der Heime, da alles - Kleidung, Bettwäsche,
Inventar - über diesem Wege beschafft wurde. Die durch den Krieg verursachte Zerstörung
584 Burchardt 1996:30. 585 Anthologie 1947:158ff. 586 Wolfrum 1993:92. 587 Burchardt 1990f. 588 Burchardt 1996:34f.
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Frankreichs, die Demontagen und Requisitionen erst nötig machte, wurde auf deutscher Seite
völlig ignoriert.589 Man fühlte sich beraubt und schikaniert.590
Für das deutsche Bild der Besatzer war außerdem die sich immer weiter verschlechternde
Versorgungslage bestimmend. Die Militärregierung ermittelte monatlich ein Stimmungsbild
der Bevölkerung. Dabei stellte sie fest, dass der ‚Etat d’esprit de la population‘ auf das engste
mit der Versorgungslage verknüpft war. Je schlechter die Ernährungslage war, desto
schlechter stellte sich die Besatzungsmacht in den Augen der Bevölkerung dar.591 Vor diesem
Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass die Bevölkerung den Besatzern die alleinige Schuld
an der Ernährungskrise 1947 gab.592 „Wir haben nichts zu essen, dass ist die Schuld der
anderen [der Alliierten], denn unter der Herrschaft des Dritten Reiches hatten wir genug“,
zitiert ein Zeitgenosse seine Mitbürger.593 Es kursierten sogar Gerüchte, nach denen am 1.
Januar 1947 ein Geheimartikel des Potsdamer Abkommens in Kraft getreten sei. Dieser sollte
angeblich den allmählichen, systematischen Hungertod der Deutschen zum Inhalt haben.594
Vergeblich versuchten die Franzosen, den Deutschen durch ein Plakat - ‚Darum hungern wir‘-
deutlich zu machen, dass die missliche Lage durchaus selbstverschuldet war.595 Zwei Jahre
nach Kriegsende wollten nur wenige den Zusammenhang zwischen NS-Regime, Krieg,
Niederlage und Besatzung sehen.596 1947 riefen die Mitarbeiter der Anthologie der deutschen
Meinung den Lesern beinahe verzweifelt zu:
„Im Deutschland des Jahres 1947 sind Kinder erfroren und Greise verhungert. Ja! Aber ist in Deutschland wirklich zur Genüge bekannt, daß auch in Griechenland Kinder verhungert sind, daß - als Folge des Hitler-Krieges - in unseren Städten die gleiche Not geherrscht hat, daß die Angst bis in den letzten Winkel auf dem Lande vorgedrungen ist? Wir meinen nicht: Auge um Auge, Zahn um Zahn, wir wollen die Flut des Elends nicht noch durch trübe Wasser des Hasses weiter ansteigen lassen. Doch wir wünschen, daß sich das IV. Reich in seinem unglücklichen Geisteszustand manchmal etwas genauer an das Meer von Unglück erinnert, das durch den Machtwillen des III. Reiches und - in seinem Schatten - durch die 98 Prozent Ja-Stimmen, die es unterstützten, über die ganze Welt strömte. Das gleiche Gerechtigkeitsbedürfnis verlangt, daß nicht alles gegenwärtige Missgeschick Deutschlands dem bösen Willen der Besatzungsmächte zugeschrieben wird. Es geht häufig auf Ursachen, die weltbedingt sind, zurück und ist - ausgenommen die Zerstörung der Städte und die Vertriebenen - nicht schlimmer als bei anderen Nationen.“597
Diese Passage ist sehr weitsichtig, gesteht sie doch die alliierte Schuld an Bombenschäden
und Vertreibung ein, weist aber gleichzeitig auf die durch die Alliierten unverschuldete
589 Wolfrum 1996a:54. 590 Wolfrum 1996a:60. 591 Wolfrum 1996a:65. 592 Fäßler 1996d:214; Wolfrum 1993:100. 593 Anthologie 1947:149. 594 Anthologie 1947:48. 595 Wolfrum 1993:100. 596 Wolfrum 1993:93. 597 Anthologie 1947:148.
93
internationale Ernährungslage hin.598 Der versöhnliche Ton und der bekundete Wille „die Flut
des Elends (...) nicht noch (...) weiter ansteigen [zu] lassen“, entspricht für weite Teile der
Besatzer zumindest zu Beginn der Besatzung jedoch nicht unbedingt der Realität. Innerhalb
der französischen Armee dienten viele ehemalige Résistance-Kämpfer, die „nur zu oft von
persönlichem Hass getrieben [waren], der aus der deutschen Besatzung Frankreichs
herrührte.“599 Ausländischen Beobachtern erschien die französische Besatzungspraxis
durchaus als eine Umsetzung des Gedankens „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ So schrieben
italienische Gäste der Besatzungsbehörde in Konstanz ins Gästebuch: „Die französischen
Militärbehörden traten mit unglaublicher Härte auf, die man nur als Vergeltung deuten
kann.“600 Viele Deutsche empfanden sich als doppelte Opfer: zuerst des Nationalsozialismus
und nun der Besatzer.601 Von französischen Beobachtern wurde konsterniert festgestellt: „Die
Deutschen haben einen Hang, sich im Unglück genauso als einzigartig hinzustellen wie in der
Macht: in einem Gefühl finsteren Stolzes.“602 Die Beobachter konstatierten auch eine Haltung
des Selbstmitleides, die den Franzosen angesichts der vom NS-Regime begangenen
Verbrechen mehr als unpassend erschien:
„Manchmal hat es den Anschein, als ob Deutschland, wenn es schon - gemessen an der Macht - nicht die erste unter den Nationen sein kann, wenigstens in Bezug auf seine Armut und das erlittene Unrecht an der Spitze stehen möchte: ,Wir sind das unglücklichste Volk der Erde. In der Geschichte hat es niemals eine Niederlage gegeben, die der unsrigen vergleichbar wäre. Wir sind der Auswurf der Menschheit.“603
Angesichts dieser Geisteshaltung und des bereits zu Beginn der Besatzungszeit getrübten
Verhältnisses der Bevölkerung zu den Franzosen, verwundert es wenig, dass 1950 bei einer
Umfrage zwei Drittel der Bevölkerung angaben, schlechte Erfahrungen mit der französischen
Besatzung gemacht zu haben.604 Nur die Russen erhielten eine schlechtere Bewertung, hier
hatte fast die gesamte Bevölkerung (95%) schlechte Erinnerungen an die Besatzungszeit.605
An erster Stelle standen die Briten, nur ein gutes Drittel der Bevölkerung erinnerte sich an
schlechte Erfahrungen, bei den Amerikanern hatte immerhin die Hälfte der Bevölkerung
negative Erlebnisse gehabt.606 Ein ähnliches Bild gibt eine amerikanische Umfrage aus dem
Jahr 1947: „Of the four Allies the Germans most trusted in the United States to treat Germany
fairly (63%); 45 per cent placed much trust in the British, only four per cent in the French,
598 Vgl. Kapitel 1.1.1. 599 Klöckler 1995b:33. 600 Zitiert nach Ferber 1988:27. 601 Wolfrum 1993:99. 602 Anthologie 1947:148. 603 Anthologie 1997:39. 604 Noelle/Neumann 1956:146. 605 Noelle/Neumann 1956:146. 606 Noelle/Neumann 1956:146.
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and none in the Russians.“607 Zwei Jahre französischer Besatzung, die in weiten Kreisen der
Bevölkerung als besonders schwer empfunden und erlebt wurden, hatten das Vertrauen in die
Besatzungsmacht vollkommen erschüttert.
Die Bevölkerung der FBZ fühlte sich isoliert und verlassen, zumal nach der Vereinigung der
ABZ mit der BBZ, beherrscht von einer „drittklassigen“608 Siegermacht, die - im Gegensatz
zu Briten und Amerikanern - am Aufbau ihrer Zone keinerlei Interesse zu haben schien und
selbst nur wenig mehr als Pomp und Protz zu geben hatte. Die Besatzungszeit wurde zur
„düsteren Franzosenzeit“.609
Dieses negative Bild, das die Franzosen - teils selbstverschuldet, teils ohne eigenes Zutun -
erhielten, ist umso bedauerlicher, als dass gerade in der Bevölkerung Südwestdeutschlands
eine große Mehrheit der Bevölkerung, vor allem des Bürgertums, entgegen aller ‚Erbfeind‘-
Propaganda eine durchaus frankophile Haltung hatte. Frankreich, dessen Kultur man
bewunderte und dem man sich mental verbunden fühlte, wurden als Besatzungsmacht hohe
Erwartungen entgegengebracht.610 Doch auch die Erwartungen dieser Bevölkerungsgruppe
wurden auf das bitterste enttäuscht. So schreibt ein Mann aus Koblenz, das zunächst von den
Amerikanern besetzt gewesen war:
„Als die Ablösung durch die französischen Truppen in Aussicht stand, konnte ich in dem mir unterstellten Bezirk [der Schreiber war Landrat der Pfalz, d.V.] eine ausgesprochene Sympathie für Frankreich feststellen. Die französische Besatzungsarmee hat sich aber inzwischen diese ursprünglich vorhanden gewesene Zuneigung so gründlich verscherzt, dass das gegenwärtige Misstrauen in dieser Generation kaum zu beseitigen sein dürfte.“611
3.3.2 Persönliche Kontakte Umso mehr erstaunt es angesichts dieses negativen Bildes, dass sich in den Quellen durchaus
positive Urteile über die Franzosen finden. Hierfür finden sich auch in den Konstanzer
Quellen zahlreiche Belege. „Sehr anständige Kerle“612 nennt der Tagebuchschreiber H. die
Franzosen, die nach einer Parade in seinem Haus um einen Schluck Wasser bitten. Zur
Überraschung der Bevölkerung erwiesen sich gerade die gefürchteten farbigen
Kolonialsoldaten als „sehr freundlich und anständig, und ich beobachtete schon mehrmals,
wie sie Kinder mit Süßigkeiten fütterten.“613 Auch die in Konstanz stationierten Vietnamesen
werden als ausnehmend freundlich geschildert.614 Sie waren im Gegensatz zu ihren
607 OMGUS Surveys, zitiert nach Wolfrum 1993:112. 608 Wolfrum 1993:90. 609 Wolfrum 1993. 610 Wolfrum 1993:91. 611 Anthologie 1947:153. 612 Tagebuch H., 3. 6. 1945. 613 Tagebuch H., 26. 5. 1945. 614 Tagebuch H., 5. 9. 1945.
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französischen Kameraden wohl besonders kontaktfreudig. Franz Schäfer schildert folgende
Szene:
„Im Sommer 1945 wurde die Petershauser Volksschule mit indochinesischen Soldaten (Vietnamesen) belegt. Diese fraternisierten mit der Bevölkerung. Zu uns kamen einige Male zwei Indochinesen; sie waren kinderlieb, schimpften auf die Franzosen, ließen sich von der Mutter die Kleider flicken und brachten dafür immer etwas Schokolade mit.“615
Diese gemütliche Szene war nur möglich, da die Franzosen das amerikanische
Fraternisierungsverbot nicht kannten.616 Der Kontakt zwischen Besatzern und Bevölkerung
war vielleicht nicht erwünscht, verboten jedoch war er nicht.617 Und zumindest die beiden
oben genannten Vietnamesen nutzen die dadurch gebotene Möglichkeit, der Kaserne zu
entfliehen und etwas familiäre Atmosphäre zu erleben. Der stärkste Kontakt zwischen
Bevölkerung und Besatzung kam jedoch dadurch zustande, dass sie nicht selten unter einem
Dach lebten. In der ABZ wurden ganze Straßenzüge als Quartier für das Besatzungspersonal
geräumt und für die deutsche Bevölkerung gesperrt, ein Kontakt zwischen Besatzern und
Bevölkerung war nicht erwünscht und durch diese Ghettobildung auch kaum möglich. Anders
in der FBZ. Hier „lebten die französischen Militärregierungsangehörigen - von den
kasernierten Einheiten abgesehen - unmittelbar mit den Deutschen im Haus.“618
Der enge Kontakt, der dadurch zwischen Besatzung und Bevölkerung entstand, förderte eine
differenziertere Wahrnehmung voneinander. Nachdem H. von seinem Schwager erfährt, dass
sich dessen Haus, requiriert und seinem Besitzer wiedergegeben, in einem Zustand heilloser
Zerstörung befindet, notiert er:
„Vor allem erwähnenswert ist Antons Bericht über den Zustand seines Häuschens in Allmannsdorf. Es war alles andere als erfreulich, und hätte ich mich nicht schon lange dazu gezwungen, mein Urteil über unsere derzeitige Besatzungsmacht auf Herrn Kieffer [der beim Tagebuchschreiber einquartierte französische Besatzungsoffizier, d.V.] zu gründen, wäre ich ganz sicher mit Anton in seinen Verwünschungen eins gegangen. So aber blieb ich ruhig und sah in der traurigen Tatsache der Beraubung des schwägerlichen Heims einen Grund mehr, meinen Gedanken vom [sic!] Abgewöhnung des Verallgemeinerns weiter auszuspinnen, um schließlich, die Bezeichnung Franzosen und Deutsche gänzlich vergessend, nur noch anständige und unanständige Menschen dieses oder jenes Erdstriches zu unterscheiden.“619
Die oben erwähnten positiven Urteile über die Besatzer resultieren aus genau der gleichen
Quelle wie die hier beschriebene Haltung: dem persönlichen Kontakt. Nachdem der
Tagebuchschreiber den bei ihm einquartierten Offizier kennen und schätzen gelernt hatte, war
es nicht mehr möglich, die Besatzungsmacht in ihrer Gesamtheit zu verurteilen. Vielmehr
615 Schäfer 1997:142. 616 Huber 1997:179; Klöckler 1995b:34. 617 Dass ein Kontakt zwischen Franzosen und Deutschen wenig erwünscht gewesen sein kann, zeigt die Tatsache, dass erst 1952 das Verbot aufgehoben wurde, das Franzosen und Deutschen untersagte, an Tanzveranstaltungen der jeweils anderen Gruppe teilzunehmen. Vgl. Burchardt 1996:271. 618 Klöckler 1995b:34. 619 Tagebuch H., 5. 9. 1945.
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wird das Urteil durch den menschlichen Kontakt positiv beeinflusst. Diesem Umstand ist es
auch zu verdanken, dass trotz des schlechten Bildes, das die Besatzung in den Augen der
Bevölkerung hatte, und das den oben zitierten Koblenzer befürchten ließ, „daß das
gegenwärtige Misstrauen in dieser Generation kaum zu beseitigen sein dürfte“620, eine
allmähliche Annäherung zwischen Franzosen und Deutschen möglich wurde. Lange vor der
1963 durch Konrad Adenauer und Charles de Gaulle begründeten deutsch-französischen
Freundschaft zeugten zahlreiche lokale deutsch-französischen Vereinigungen von einer neuen
Normalität im gemeinsamen Umgang.621
3.4 Franzosen und Frauen Männer und Frauen erlebten die Besatzungszeit gleichermaßen als eine Zeit der Unsicherheit,
der Ungewissheit und Rechtlosigkeit. Der Alltag von Männern und Frauen wurde in der
selben Weise von Erlassen und Befehlen geprägt, und Frauen wie Männer hatten Gelegenheit,
ihr Urteil über die Besatzungsmacht durch den persönlichen Kontakt zu revidieren. Darüber
hinaus bot sich für die Frauen aber in Form einer sexuellen Beziehung eine weitere
Möglichkeit, mit den Besatzern in Kontakt zu treten. Im Folgenden soll geschildert werden,
welche Auswirkungen die Anwesenheit der Besatzer auf den Frauenalltag haben konnte. Es
wird zu zeigen sein, dass sich die Frauen durch Kontakte mit den Besatzungssoldaten
zahlreichen Gefahren aussetzten, die stärkste Bedrohung jedoch weniger von den
Besatzungssoldaten selbst, als vielmehr vom sozialen Umfeld der Frauen ausging. Da sich für
dieses Thema nur bedingt Belege in den Konstanzer Quellen finden ließen, wurde oft auf
Ergebnisse und Zitate zurückgegriffen, die Renate Huber aufgrund zeitgeschichtlicher
Interviews unter vorarlberger Frauen erhielt.622
3.4.1 Die Besatzer in den Augen der Frauen In den Augen vieler Frauen erschienen die Franzosen in einem sehr positiven Bild. Sie waren
jung und gesund und strahlten die Selbstsicherheit der Sieger aus.623 Zudem waren sie gut
gekleidet und genährt.624 Und die fremden Gesichter der Kolonialtruppen wirkten einerseits
620 Anthologie 1947:153. 621 Vgl. die Ausführungen zum Europahaus, der Deutsch-Französischen Vereinigung und dem Schüleraustausch in Konstanz bei Burchardt 1996:271ff. Die Deutsch-Französische Vereinigung in Konstanz besteht bis heute. Vgl. die Jubiläumsschrift zum 50jährigen Bestehen: DFV Konstanz e.V. (Hg.). 2000. 50 Jahre Deutsch-Französische Vereinigung Konstanz e.V. Konstanz: o.V. 622 Huber 1997. 623 Huber 1997:181f. Hubers Erkenntnisse beruhen auf Interviews mit vorarlberger Frauen. Es spricht jedoch nach Meinung der Verfasserin nichts dagegen, die dort gewonnenen Erkenntnisse auf die Verhältnisse in Konstanz zu übertragen. 624 Huber 1997:178.
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erschreckend, doch übten ihre exotischen Züge auch durchaus einige Anziehungskraft aus.625
Zudem verfügten die Franzosen über Luxusgüter, die die Frauen lange entbehren mussten:
„Weißbrot, Schokolade, Konserven, Zucker, Orangen, Kaugummi, Kaffe, Kakao, Wein,
Zigaretten, Lippenstift, Seiden-/Nylonstrümpfe.“626
Angesichts dieser Vorzüge verflog die Angst, die die Frauen vor dem Einmarsch den
Franzosen und vor allem den Kolonialtruppen entgegenbrachten. Die Anwesenheit der
französischen Truppen bot für viele Frauen die Gelegenheit, die durch den Krieg verlorene
Jugend nachzuholen. Der „wilde Nachholbedarf an Lebensfreude“627 wurde durch den Besuch
von Konzerten und Kino- und Theatervorstellungen gestillt oder äußerte sich in einer heute
kaum vorstellbaren Tanzwut. Eine Münchnerin erinnert sich:
Ich ging monatelang jeden Abend zum Tanzen, obwohl es selbstverständlich keinen Alkohol und nichts zu essen gab. Es gab nur ein saures Getränk, Molke genannt. Ich und andere Tanzwütige, wir haben uns jeden Abend so amüsiert und waren so fröhlich, wie später trotz Abendessen und Alkohol selten wieder.628
Viele Frauen „sehnten sich nach Heiterkeit, nach Zärtlichkeit, nach Geborgenheit, nach
Zuneigung.“629 Angesichts des gravierenden Mangels an deutschen Männern stellten die
Franzosen eine willkommene Alternative dar, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Zumal die
deutschen Männer gegenüber den Franzosen nur wenig zu bieten hatten. Sie waren die
Verlierer des Krieges, oft verletzt oder verstümmelt, deprimiert und mutlos.630 Auch materiell
verloren sie gegen die Franzosen, denn sie konnten keine Luxusgüter bieten.
3.4.2 Deutsch-französische Paare So verwundert es wenig, wenn sich viele Frauen einen französischen Freund suchten. Der
Kontakt zwischen französischen Männern und deutschen Frauen konnte durch das fehlende
Fraternisierungsverbot auf vielfältige Art erfolgen. Zunächst durch die Einquartierungen.
Franzosen und Deutsche lebten Tür an Tür, teilten oft genug Bad und Küche und nahmen
gemeinsam Mahlzeiten oder den Nachmittagskaffe ein.631 Auch abendliches Zusammensitzen
und Diskutieren bis spät in die Nacht war möglich.632 Eine weitere Gelegenheit, in Kontakt
mit den Franzosen zu treten, ergab sich am Arbeitsplatz. Viele Frauen arbeiteten in
französischen Haushalten als Zimmermädchen, Köchinnen und Kindermädchen.633 Und auch
625 Huber 1997:178. 626 Huber 1997:182. 627 Prinz, Friedrich. 1989. Frauenschicksale im Trümmeralltag. Aus Briefen und Berichten der frühen Nachkriegszeit. Damals 21, 898-911, hier 903. 628 Zitiert nach Prinz 1989:903. 629 Huber 1997:182. 630 Vgl. Kapitel 2.4.2. 631 Tagebuch H., 19. 8. 1945. 632 Tagebuch H., 29. 7. 1945. 633 Huber 1997:180.
98
außerhalb der französischen Haushalte gab es vielfältige Möglichkeiten am Arbeitsplatz in
Kontakt mit Franzosen zu kommen. So wurde z.B. eine vorarlberger Frau mehrfach an ihrer
Arbeitsstelle in einer Bregenzer Fabrik von Soldaten, die vor ihrem Bürofenster
herumlümmelten, angesprochen und um ein Rendez-vous gebeten.634 Sehr begehrt unter den
Vorarlbergerinnen waren französische Tanzveranstaltungen, die man allerdings nur in
Begleitung eines französischen Soldaten besuchen durfte. Auch hier ergaben sich vielfältige
Möglichkeiten, mit einem Franzosen in Kontakt zu treten. Hatte man keine französische
Begleitung, ließ man sich von einer Freundin das Klofenster des Etablissements öffnen und
kam dennoch in den Genuss der Tanzveranstaltung.635 In Konstanz war Deutschen der Besuch
von französischen Tanzveranstaltungen bis 1952 verboten.636 Es dürften sich aber auch hier
Mittel und Wege gefunden haben, dennoch an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.
Das Verhältnis, das deutsche Frauen zu Franzosen hatten, konnte rein professioneller Natur
sein, wie das zwischen Hausherr und einer Angestellten. Darüber hinaus sahen die Frauen
offenbar kaum eine andere Möglichkeit, in Kontakt mit den Franzosen zu treten, als auf der
„klassischen Beziehungsebene Mann-Frau.“637 Daher waren die Freundschaften zwischen
deutschen Frauen und Besatzungssoldaten auch größtenteils eindeutig sexueller Natur.
Die Beziehung zu einem Besatzungssoldaten konnte dabei durchaus auf echter Liebe beruhen,
oft genug handelte es sich jedoch um eindeutig auf gegenseitigen Nutzen ausgerichtete
Verhältnisse.638 Die Grenzen zur Prostitution waren natürlicherweise sehr verschwommen.
Sie lässt sich in einer Zeit, in der es nichts gibt, man aber alles bekommen kann, wenn man
eine sexuelle Beziehung zu einem Besatzungssoldaten eingeht, schwer ziehen.
Einige dieser deutsch-französischen Romanzen mündeten in einer Ehe. Offiziell bestand zwar
ein Verbot des französischen Kriegsministeriums, Ehen mit deutschen Frauen einzugehen,
doch schien es Mittel und Wege zu gegeben zu haben, diese Verbote zu umgehen. Der
‚Südkurier‘ berichtete im Sommer 1946 von mehreren deutsch-französischen Ehen, die in den
letzten Monaten geschlossen worden seien.639 Und auch der Tagebuchschreiber H. berichtet
von einer Eheschließung zwischen einer Konstanzerin und einem Besatzungssoldaten:
„Im März hat meine frühere Schülerin Lilo Lutz einen Anamiten [Vietnamesen] geheiratet, und ihre Schwester Dorle scheint dasselbe zu beabsichtigen, denn ich sehe sie dann und wann mit einem Landsmann ihres Schwagers am Haus vorübergehen.“640
634 Huber 1997:181. 635 Huber 1997:181. 636 Burchardt 1996:271. 637 Huber 1997:180. 638 Diese Form der Beziehung, im Volksmund auch ‚Bratkartoffelverhältnis‘ oder ‚Onkelehe‘ genannt, war in der Nachkriegszeit auch unter Deutschen sehr häufig. Vgl. hierzu den Roman Haus ohne Hüter von Böll. Böll, Heinrich. 1954. Haus ohne Hüter. Köln: Kiepenhauer & Witsch. 639 Burchardt 1996:64. 640 Tagebuch H., 7. 6. 1947.
99
Doch waren diese Ehen die Ausnahme. Im französisch besetzen Vorarlberg wurden zwischen
1946 und 1955 lediglich 189 Ehen zwischen Österreicherinnen und Franzosen geschlossen.641
Verglichen mit der Gesamtzahl der in diesem Jahrzehnt geschlossenen Ehen (17.202) stellten
die österreichisch-französischen Ehen nicht mehr als ein Randphänomen dar.642 Man kann
annehmen, dass die Zahlenrelationen auf die Konstanzer Verhältnisse übertragen werden
können. Auch hier dürften die meisten Beziehungen ohne Trauschein geblieben sein, was vor
allem für die Frauen weitreichende Folgen hatte.
3.4.3 Uneheliche Geburten Viele Frauen wurden von ihren französischen Freunden schwanger. Da die wenigsten Kinder
in einer Ehe geboren wurden, lässt sich die Anzahl dieser ‚Franzosenkinder‘ in etwa an der
Zahl der unehelichen Geburten ablesen. Ab Februar 1946 stiegen die unehelichen Geburten
im Vorarlberg um das Doppelte an.643 Auch diese Zahlen dürften auf Konstanz übertragbar
sein. Das erste Konstanzer ‚Besatzungskind‘ wurde am 16. Januar 1946 geboren, „und in den
folgenden Monaten stieg die Zahl der unehelichen Geburten deutlich gegenüber früheren
Jahren an.“644 Deutschlandweit betrug 1946 der Anteil der unehelichen Geburten an den
Geburten insgesamt 16%, 1935 hatte er bei 8% gelegen.645 In der Erinnerung der
Zeitgenossen waren es in der FBZ vor allem „Französle“ und „Negerle“, die diesen Anstieg
verursachten.646 Wie viele dieser unehelichen Kinder tatsächlich einen Besatzungssoldaten
zum Vater hatten, lässt sich aber nur schwer feststellen. Schätzungen gehen davon aus, dass
die „Besatzungskinder“ lediglich ein Sechstel aller 1946 unehelich geborener Kinder
ausmachten.647 Der Großteil der unehelichen Kinder stammt demnach aus Beziehungen
zwischen Deutschen, in denen trotz erfolgter Heiratsversprechen die Eheschließung durch die
kriegsbedingten Wirren ausblieb.648 30-40% dieser Kinder wurden im Nachhinein legitimiert,
da die Eltern sich nach der Geburt zu einer Eheschließung entschieden.649
641 Huber 1997:185. 642 Interessanterweise wurden im gleichen Zeitraum in Österreich 2.000 Ehen zwischen Amerikanern und Österreicherinnen geschlossen. Dies wirft ein Licht auf das ungleich positivere Bild, das die amerikanischen Besatzer in der Bevölkerung hatten. Vgl. Huber 186. 643 Im Januar 1946 wurden 55 uneheliche Geburten verzeichnet, im Februar waren es bereits 108, im März 104. 644 Burchardt 1996:49. 645 Willenbacher 1988:600, Fn. 37. Bis 1955 sank der Anteil der unehelichen Geburten an den Geburten insgesamt kontinuierlich, bis er 1955 wieder den Vorkriegsstand erreicht hatte. Ebd. 646 Huber 1997:186. Die Bezeichnungen „Französle“ und „Negerle“ zitiert nach ebd. 647 Willenbacher 1988:600f. 648 Willenbacher 1988:600. Ein vergleichbarer Anstieg unehelicher Geburten lässt sich auch in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg feststellen. Obwohl keine Besatzer im Land waren, stieg der Anteil der unehelichen Geburten von 8% (1905) auf 13% (1918). Ebd. 649 Willenbacher 1988:600.
100
Die „Französle“ waren demnach nicht immer von unehelichen Kindern deutscher Paare zu
unterscheiden, die „Negerle“ hingegen waren durch ihre Hautfarbe eindeutig als
‚Besatzungskinder‘ auszumachen. Allerdings hatten deutschlandweit nur 10% aller
‚Besatzungskinder‘ farbige Väter.650 Doch fielen sie durch ihr ungewohntes Äußeres auf und
prägten dadurch die kollektive Erinnerung. In Konstanz dürfte es wenig „Negerle“ gegeben
haben, doch gab es zahlreiche Kinder vietnamesischer Väter. Die marokkanischen Truppen
wurden schon im Sommer 1945 im Zuge des ‚blanchiments‘, des ‚Weißmachens‘ der
französischen Armee, in ihre Heimat zurückverlegt.651 Neben weißen französischen Soldaten
blieben nur die bereits erwähnten kontaktfreudigen Vietnamesen in der Stadt, „und wie
kontaktfreudig sie waren, erhellt nicht zuletzt die Tatsache, dass zwischen 1946 und 1949
immerhin 95 Konstanzer ‚Indochinesenkinder‘ zur Welt kamen.“652 Der Tagebuchschreiber
H. erwähnt eines dieser „Pingpongbubele“ in der Nachbarschaft und fügt hinzu, es sei „eines
der vielen, die hier [in Konstanz] bereits das Licht der Welt erblickten.“653
Die Mütter dieser ‚Besatzungskinder‘ waren zweifach stigmatisiert.654 In einer Zeit, in der das
Zusammenleben von Mann und Frau ohne Trauschein undenkbar war, war die Geburt eines
unehelichen Kindes für Mutter und Kind ein nicht mehr zu bereinigender Makel. Stammte das
Kind darüber hinaus vom ‚Feind‘, konnten die Frauen teilweise nicht einmal auf die Hilfe
ihrer Familien vertrauen.655 Eine Vorarlbergerin schildert die Situation dieser Frauen:
Ja, [die Situation] war halt schlimm. Marokkanerhur und das ist ja ... jetzt sind sie ja 50 Jahre alt, aber damals. Gut, ich meine, meistens haben sie eine Mutter gehabt oder eine Familie. Aber zum Teil hat man sie daheim rausgeschmissen. Also, die waren also echt zu bedauern, muß ich sagen. Die haben es ja viel schwieriger gehabt wie andere ledige Mütter. Und die andere [Hervorhebung im Original] hat es schon schwer gehabt. Sie müssen denken, man war arm, man hat nichts zum Anziehen, zum Essen gehabt. Und die normale hat es schon schwer gehabt, wenn sie schwanger war. Geschweige die ..., verstehen Sie mich. Heute ist das ja großzügig. Mein, heute ist man ja sehr tolerant. Früher ist ja nichts gegangen. Da hat man ja auch nicht zusammenleben dürfen. Es war viel strenger.656
Und nur selten konnten Frauen in dieser Situation auf die Hilfe der Väter ihrer Kinder hoffen.
Nach französischem Recht waren die Väter nur dann zu Unterhaltszahlungen verpflichtet,
wenn sie ihre Vaterschaft anerkannten.657 Im Gegensatz zu deutschen Vätern unehelicher
Kinder erkannten die Besatzungssoldaten jedoch äußerst selten freiwillig ihre Vaterschaft
an.658 Und „Vaterschaftsfestellungs- und Unterhaltsklagen gemäß deutschem Recht wurden
650 Willenbacher 1988:601, Fn. 45. 651 Burchardt 1996:38. 652 Burchardt 1996:38. 653 Tagebuch H., 7. 6. 1947. 654 Vgl. Kapitel 3.3.4. 655 Burchardt 1996:50. 656 Zitiert nach Huber 1997:188. 657 Willenbacher 1988:601. 658 Willenbacher 1988:601.
101
aufgrund der exterritorialen Stellung der Besatzungstruppen in keiner Zone zugelassen.“659 Im
schlimmsten Falle waren die Mütter unehelicher ‚Besatzungskinder‘ also völlig auf sich allein
gestellt. Was dies unter den Mangelbedingungen der Nachkriegszeit bedeutete, ist heute kaum
noch vorstellbar.
3.4.4 Vergewaltigungen, Abtreibungen, Geschlechtskrankheiten Das Leben mit den Franzosen konnte für die Frauen neben den unehelichen
Schwangerschaften aber noch andere negative Begleiterscheinungen haben.
Auch bei der Besetzung von Konstanz war es zu Vergewaltigungen gekommen. Aus den
ersten drei Besatzungstagen sind drei Fälle bekannt.660 Ihnen sollten noch weitere folgen. Im
August 1945 suchten 115 Frauen in der Konstanzer Frauenklinik um einen
Schwangerschaftsabbruch nach.661 Alle diese Frauen gaben an, aufgrund einer
Vergewaltigung schwanger zu sein. Ob diese Zahl tatsächlich der Zahl der vorgekommenen
Vergewaltigungen entspricht, ist äußerst zweifelhaft. Einige der Frauen dürften aufgrund
einer freiwilligen Liebesbeziehung zu einem Besatzungssoldaten oder einem Deutschen
schwanger gewesen sein. Angesichts der oben beschriebenen Probleme lediger Mütter ist es
nur zu verständlich, wenn sich viele Frauen als Vergewaltigungsopfer ausgaben, um die
unerwünschte Schwangerschaft zu unterbrechen. Auf der anderen Seite gab es, wie nach jeder
Vergewaltigung, Frauen, die sich schämten und daher die Tat nicht zur Anzeige brachten.
Über die tatsächliche Zahl der Vergewaltigungen kann daher nur spekuliert werden.
Abtreibungen waren bis Ende 1945 noch verhältnismäßig leicht durchzuführen. Da die
deutschen Gerichte noch nicht arbeiteten, besaßen Ärzte und Krankenhäuser einen gewissen
Ermessensspielraum bei der Unterbrechung von Schwangerschaften.662 Ab November 1945
bestand diese Möglichkeit nicht mehr, folglich nahmen in den folgenden Monaten die
illegalen Abtreibungen zu.663 Diese nicht selten unter unzureichenden hygienischen
Umständen und ohne ärztlichen Beistand vorgenommenen Abtreibungen kosteten oft genug
das Leben der Mutter.664 Dass viele Frauen dennoch dieses Risiko eingingen, zeigt, wie stark
der soziale Druck war, der auf ledige Mütter ausgeübt wurde. Egal, ob sie durch eine
Vergewaltigung oder aufgrund ‚freiwilliger Hingabe‘ schwanger geworden waren. Der
Leidensdruck, dem diese Frauen unterlagen, ist kaum vorstellbar.
659 Willenbacher 1988:601. 660 Burchardt 1996:48. 661 Burchardt 1996:48. 662 Burchardt 1996:48. 663 Burchardt 1996:49. 664 Huber 1997:190.
102
Eine weitere negative Begleiterscheinung der Kontakte zu den Besatzungssoldaten war der
Anstieg von Geschlechtskrankheiten. Nach den Monatsberichten der Militärregierung stieg
auch in Konstanz die Zahl der mit Geschlechtskranken Infizierten 1945/46 rapide an.665 Bis
1950 waren die Zahlen der Neuinfizierten deutschlandweit rückläufig, doch erst 1950
pendelten sie sich wieder auf dem Normalniveau ein.666 Im Falle der Geschlechtskrankheiten
lassen sich aber noch weniger als bei den Vergewaltigungen gesicherte Daten finden. Das zur
Verfügung stehende Zahlenmaterial ist oft „wenig aussagekräftig, da weder Geschlecht, noch
Alter, noch Beruf der Erkrankten festgehalten wurde.“667 Darüber hinaus finden sich in
zeitgenössischen Quellen oft gefälschte Zahlen. So hat Doris Foitzik in ihrer Studie über
geschlechtskranke Mädchen in Hamburg festgestellt, dass sich die alarmierenden Zahlen, die
ein Magazin zur Verdeutlichung der Gefahren veröffentlichte, die besonders Mädchen durch
die Geschlechtskrankheiten drohen sollten, nicht mit denen der angegebenen Quellen
deckten.668 Ganz im Gegensatz zum kollektiven Eindruck, die Geschlechtskrankheiten
würden durch die ‚sittliche Verwahrlosung‘ der Jugendlichen immens ansteigen, stellt Foitzik
fest, dass die „Hamburger Nachkriegszahlen ,für Großstadtverhältnisse keineswegs
überhöht’“ waren .669 Ob dies auch für die Konstanzer Zahlen festzustellen ist, kann hier nicht
überprüft werden. Fest steht jedoch, dass auch die Konstanzer Bevölkerung durch den
tatsächlichen oder vermeintlichen Anstieg der Geschlechtskrankheiten stark alarmiert war.
Wie in Hamburg konzentrierte sich die Bekämpfung der Erkrankungen auf den weiblichen
Teil der Bevölkerung. Obwohl hier, wie auch in Hamburg, das Verhältnis der Geschlechter
unter den Erkrankten weitgehend ausgewogen gewesen sein dürfte, schienen die Frauen
stärker von einer Infizierung bedroht als Männer, wenn sie nicht sogar der Ursprung allen
Übels waren.670 Es wurden daher auch in Konstanz zahlreiche Disziplinierungsmaßnahmen
diskutiert, die heute mehr als abstrus wirken. Name, Adresse und Bild infizierter Frauen und
Mädchen sollten durch einen Anschlag am Rathaus öffentlich gemacht werden und der
Konstanzer Münsterpfarrer Küenzel ging sogar so weit, „strikte Überwachung der ledigen
Frauen zu fordern - und notfalls sogar wieder Arbeitshäuser, wie sie zuletzt im 19.
Jahrhundert bestanden hatten, einzuführen.“671 Solche und andere Pläne wurden - zumindest
665 Klöckler 1995b:34. 666 Foitzik, Doris. 1997. »Sittlich verwahrlost«. Disziplinierung und Diskriminierung geschlechtskranker Mädchen in der Nachkriegszeit am Beispiel Hamburg. 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 12, 68-82, hier 72. 667 Huber 1997:191. 668 Foitzik 1997:71. 669 Foitzik 1997:72. 670 Geschlechtskrankheiten wurden offenbar als grundsätzlich weibliches Problem gesehen. Männer schienen weniger davon betroffen. Foitzik 1997:70. 671 Burchardt 1996:50.
103
in Konstanz - nicht umgesetzt, doch zeigen sie deutlich, welchen Diskriminierungen sich
Frauen ausgesetzt sahen, die sich mit den Besatzern ‚eingelassen‘ hatten.
3.4.5 Diffamierung der „Franzosenliebchen“ Aus den bisherigen Ausführungen dürfte schon klar geworden sein, dass sich Frauen, die eine
Beziehung mit einem Besatzungssoldaten eingingen, vielfachen Diskriminierungen ausgesetzt
sahen.
Durch eine solche Beziehung konnten sie ungewollt schwanger werden, ohne Aussicht, den
Vater des Kindes zu heiraten; sie konnten sich dadurch oder durch eine Vergewaltigung zu
einer Abtreibung gezwungen sehen, wodurch sie sich ab Ende 1945 strafbar machten; sie
konnten an Geschlechtskrankheiten erkranken und sich damit in den Augen der Öffentlichkeit
als äußerst ‚verwahrlost‘ und ‚unmoralisch‘ erweisen.
Jeder einzelne dieser Punkte hätte in der Moralvorstellung der Nachkriegszeit genügt, um eine
Frau aus der Gesellschaft der unbescholtenen Bürger auszuschließen. Zumal in einer „so
bürgerlich strukturierten und katholisch geprägten Stadt wie Konstanz.“672 Hier waren die
strengen Normen im Umgang der Geschlechter auch durch die gelockerten
Moralvorstellungen der NS-Zeit kaum erschüttert worden. Vorehelicher Geschlechtsverkehr
war für Frauen undenkbar, die Erkrankung an einer Geschlechtskrankheit eine Schande, ganz
zu schweigen von der Schande, die ein uneheliches Kind über die ganze Familie der Frau
brachte. Bezeichnenderweise wurde in der Regel den Frauen die Schuld an diesen Fehltritten
gegeben.673 Selbst an einer Vergewaltigung trug die Frau einen Großteil der Schuld und
musste nicht nur mit den psychischen Folgen des Überfalls leben, sondern auch mit der
Tatsache, dass sie nunmehr ‚entehrt‘ war.
Ließ sich eine Frau, die sich solcher ‚Fehltritte‘ schuldig machte, zudem noch mit einem
Franzosen ein, war der soziale Abstieg kaum noch aufzuhalten. Die Öffentlichkeit - sowohl
Männer als auch Frauen - reagierte sehr heftig auf deutsch-französische Beziehungen. Vor
allem unverheiratete Männer sahen in den Franzosen Konkurrenten, die ihnen ‚ihre‘ Frauen
wegnahmen und sie nach der militärischen Niederlage damit zum zweiten Mal zu ‚Verlieren‘
machten.674 Nachdem sie im Krieg ‚den Kopf hingehalten‘ hatten, um Heimat und Frauen zu
verteidigen, fielen letztere nun den sowieso schon gedemütigten Männern in den Rücken.
Indem sich Frauen mit den Siegern ‚einließen‘, beschmutzten sie im Verständnis der
damaligen Zeit nicht nur ihre eigene Ehre, sondern vor allem auch die der Männer.675 Daher
672 Burchardt 1996:49 673 Burchardt 1996:49. 674 Huber 1997:192. 675 Huber 1997:192.
104
richtete sich die Aggression der Öffentlichkeit auch nicht gegen die französischen
Konkurrenten, sondern gegen die ‚ehrlosen‘ Frauen. Meist beschränkten sich die
gesellschaftlichen Sanktionen, mit denen die betroffenen Frauen zu rechnen hatten, auf „eine
ablehnende Haltung (...), auf Entzug der gesellschaftlichen Achtung und Anerkennung, auf
böse Reden hinter vorgehaltener Hand.“676 Doch reichten diese Sanktionen in den meisten
Fällen schon aus, um das Leben der Frauen unerträglich zu machen. Vielen Frauen blieb
daher kaum etwas anderes übrig, als ihre Heimatorte zu verlassen, vor allem wenn sie Mütter
unehelicher Kinder waren. Auch viele Konstanzerinnen verließen ihre Stadt, wenn sie
konnten, und zogen „die Auswanderung nach Frankreich, ja selbst nach Vietnam dem
Verbleib in ihrer Vaterstadt vor.“677
Aus dem Vorarlberg sind über die gesellschaftliche Ächtung hinaus äußerst krasse Formen
der ‚Bestrafung‘ verbürgt. Hier wurde Frauen vor versammelter Gemeinde die Kommunion
verweigert oder ihnen unter Gewaltanwendung die Haare abgeschnitten.678 Solche Vorfälle
sind für Konstanz nicht bekannt, doch kursierten auch hier wie überall Schmähgedichte über
die „Franzosenliebchen“.679 So wurde zur Fasnacht 1946 ein Gedicht in Umlauf gebracht, das
sehr deutlich den oben geschilderten Zusammenhang zwischen gleichzeitigem Ehrverlust der
Frau und des Mannes aufgreift. Es soll daher trotz seiner geradezu abstoßend rassistischen
und sexistischen Töne in ganzer Länge zitiert werden:
Zu Tode erschöpft, nach langen Wochen Kommen wir Land’ser die Straße gekrochen.
Die Füße wund und die Frage im Ohr: Wie finden wir unsere Heimat vor?
Auf das Schlimmste gefaßt waren wir lange schon,
Doch auf dieses Geschehnis fehlt uns der Ton: Mit Fremden hurt heute die deutsche Frau,
Auf die schamloseste Weise, wir wissen es genau.
Man sieht sie zu zweien, ja zu dreien gehen, Man sieht sie an jeder Hausecke stehn,
Ein freches Lachen dann hoch im Gesicht. Ihr, deutsche Frauen, schämt Ihr Euch nicht?
Von den armen Soldaten ohne Bein und Arm Die können Euch ja ganz gleichgültig sein. Wir haben ja auch keinen Kaffe und Butter,
Dafür hat der Fremde Zigaretten und Zucker. Und wenn er erst bringt Schokolade herbei,
Dann ist die Hautfarbe ganz einerlei. Fünf Jahre brauchten sie, den deutschen Soldaten zu besiegen,
Eine deutsche Frau können sie in fünf Minuten kriegen.
676 Huber 1997:191. 677 Burchardt 1996:51. 678 Huber 1997:191. 679 Burchardt 1996:48.
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O Gott, wenn es nach uns geht, dann sollt Ihr noch büßen Denn das merkt Euch, die Ihr alle die Heimat entstellt,
Nach Euch Dirnen richtet sich das Urteil der Welt.
Ihr zerrt uns alle, Ihr wißt es genau, In den Schmutz, auch die Ehre der deutschen Frau.
Aber wartet nur, es kommen noch Zeiten Wo Euch sogar die Neger pfeifen.
Zum Schluß wünschen wir euch noch viel Vergnügen
Und daß euch bald die Russen kriegen. Dann seid ihr von dieser Zeit an belehrt
Und im Leben von keinem Mann mehr begehrt.“680
Auch die Bezeichnungen, die man den deutschen Geliebten der Franzosen gab, waren wenig
missverständlich: „Franzosenliebchen“681 oder „Franzosenbraut“682 waren noch die
harmlosesten, „Franzosenhure“683 oder „Marokkanerhur“684 sprachen schon eine weit
eindeutigere Sprache.
Gegenüber diesen Diffamierungen wirkt das Bild, das der Tagebuchschreiber H. von deutsch-
französischen Paaren gibt, beinahe versöhnlich:
„Ulkig sind die Pärchen von französischen Soldaten und deutschen Mädchen, wenn sie sich zu unterhalten versuchen. ‚Isch nischt kann sagen usw.‘ sagt z.B. er. ‚Du lernen nicht Deutsch‘, sie.“685
Hier ist, wie im ganzen Tagebuch, keinerlei missachtende Haltung zu erkennen.686 Doch auch
der offensichtlich wenig voreingenommene Tagebuchschreiber misstraut den Franzosen und
fürchtet eine ‚sittliche Gefährdung‘ seiner Tochter:
„Waren nach der Gartenarbeit, kurz nach 9 Uhr, auf der Seestraße. Ich werde nicht mehr hingehen, so lange so viel Militär hier ist, und will besonders Gretel [die Tochter des Tagebuchschreibers, d.V.] nicht auch dort wissen, denn es sind nicht alle der Herren so wie die, die wir im Quartier hatten.“687
Die eigentliche Gefährdung der deutschen Frauen ging aber, wie gezeigt wurde, weniger von
den Besatzungssoldaten aus, als vielmehr vom „eigenen Bekanntenkreis in Form einer
sozialen Stigmatisierung, deren Boden die katholische Kirche vorbereitete.“688
680 Zitiert nach Zang 2002:42. 681 Burchardt 1996:48. 682 Klöckler 1995b:34. 683 Klöckler 1995b:34. 684 Huber 1997:188. 685 Tagebuch H., 2. 6. 1945. 686 Allerdings scheinen aber auch die deutsch-französischen Paare nicht das Interesse des Tagebuchschreibers gefunden zu haben. Dies ist neben der in Kapitel 3.4.1 zitierten Passage die einzige Stelle, die solche Paare zum Thema hat. 687 Tagebuch H., 14. 5. 1945. 688 Rügert 1996:21.
106
107
Schluss Ziel der Arbeit war es gewesen, anhand der drei den Nachkriegsalltag bestimmenden Faktoren
- Mangel, Frauenüberschuss, Anwesenheit der Besatzer - den Alltag in Konstanz zu schildern.
Es konnte gezeigt werden, dass die Wirtschaftspolitik der Alliierten in hohem Maße für den
Mangel in den Nachkriegsjahren verantwortlich war. Das Verbot ganzer für den Export
produzierender Industriezweige sowie der äußerst erschwerte Interzonenhandel machten eine
Produktion der von der Bevölkerung dringend benötigten Güter fast unmöglich. Demontagen
und Requisitionen wogen dagegen weit weniger schwer. Der Mangel strukturierte in hohem
Maße den Alltag der Bevölkerung, vor allem der Hausfrauen. Ihrer Arbeit ist es zu verdanken,
dass es nicht zu einer erhöhten Sterblichkeit kam.
Der Frauenüberschuss war in Konstanz enorm. Es gab 1946 annähernd doppelt so viele
Frauen wie Männer in Konstanz. Trotz dieser grundlegenden Veränderung in der
Bevölkerungsstruktur wurde auch in Konstanz bald damit begonnen, die Frauen aus den als
‚unweiblich‘ empfundenen Berufen zu entfernen. Die Erfahrung, auch ohne Männer das
Leben meistern zu können, dürften aufgrund des hohen Frauenüberschusses auch die
Konstanzerinnen gemacht haben. Über die Veränderungen, die das dadurch erworbene
Selbstbewusstsein der Frauen in den privaten Geschlechterbeziehungen mit sich brachte,
schweigen sich die Konstanzer Quellen jedoch leider aus. Hier wäre eine eingehendere
Untersuchung, als sie diese Arbeit leisten konnte, wünschenswert.689
Die Anwesenheit der Besatzer prägte auch in Konstanz in hohem Maße den Alltag der
Bevölkerung. Vor allem zu Beginn der Besatzungszeit lebte die Bevölkerung in einem Gefühl
der völligen Rechtlosigkeit. Das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Besatzung wurde
durch die teilweise überzogenen Maßnahmen der Besatzer bereits in den ersten Monaten
erheblich getrübt. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass auch in Konstanz der persönliche
Kontakt zwischen Siegern und Besiegten zu positiveren gegenseitigen Urteilen führen konnte.
Für die Frauen konnte die Anwesenheit der Besatzer über das Gefühl der Rechtlosigkeit
hinaus noch andere Auswirkungen haben. Auch in Konstanz kam es zu Vergewaltigungen
und unehelichen Geburten von ‚Besatzungskindern‘. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass
die soziale Stigmatisierung der ‚Franzosenleibchen‘ weit gefährlicher war, als die
Anwesenheit der Besatzer.
689 Mit der Magisterarbeit von Ruhl 1992 liegt eine Untersuchung zur Situation alleinstehender Frauen in Konstanz vor. Leider ist diese Arbeit jedoch trotz der äußerst verdienstvollen zeitgeschichtlichen Interviews analytisch wenig ergiebig.
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Konstanz unterschied sich durch die Randlage und die Unzerstörtheit von allen anderen
Städten der FBZ. Daraus erwuchsen der Stadt einerseits Nachteile: die Randlage trieb die
Schwarzmarktpreise in die Höhe und verstärkte das Gefühl der Informationslosigkeit, die
Unzerstörtheit der Stadt führte zu einer überdurchschnittlichen Truppenbelegung, die den
Wohnungsmarkt bis weit in die 1950er Jahre negativ beeinflusste. Andererseits kamen der
Stadt sowohl Randlage als auch Unzerstörtheit zugute: zahlreiche Schweizer Spenden
linderten vor allem die gespannte Ernährungslage und der Bevölkerung blieben die
mühseligen und kostspieligen Aufbauarbeiten erspart, die andere Städte lange Jahre
belasteten.
Darüber hinaus unterschied sich der Alltag in Konstanz jedoch nicht wesentlich vom
Nachkriegsalltag in anderen Städten Deutschlands. Hier waren, wie anderswo auch,
‚Hamsterfahrten‘ und andere Eigeninitiativen für das Überleben unabdingbar, hier leisteten
die Hausfrauen die gleiche Überlebensarbeit unter den gleichen Mangelbedingungen wie in
anderen Städten.
Auch in Konstanz hatte der Krieg seinen Tribut an den Männern gefordert. Der Mangel an
Männern hatte auch hier dazu geführt, dass Frauen in Männerberufen als ‚Ersatz‘ eingesetzt
und wenige Jahre nach Kriegsende wieder von ihren Arbeitsplätzen verdrängt wurden.
Auch in der Wahrnehmung der Besatzer unterschieden sich die Konstanzer nicht von ihren
Zeitgenossen. Sie litten gleichfalls unter der Rechtlosigkeit und dem Informationsmangel.
Und wie überall in Deutschland erlagen viele Konstanzerinnen dem Charme der Besatzer, was
ihnen, wie anderswo auch, die Ablehnung ihrer Umgebung einbrachte.
Abschließend lässt sich sagen, dass der Nachkriegsalltag in Konstanz sowohl von Männern
als auch von Frauen außerordentliche Anstrengungen und Entbehrungen abverlangte, sich in
seiner Ausprägung jedoch nicht wesentlich vom Leben in anderen deutschen Kleinstädten
zwischen 1945 und 1949 unterschied.
109
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Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Erschienen anlässlich der Ausstellung
„Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960. Vom Hitlergruß zum Petticoat.
Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960.“ Konstanz: Konstanzer
Museumsjournal, 81-99.
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Erklärung Ich erkläre, dass ich die Arbeit selbständig und nur mit den angegebenen Hilfsmitteln
angefertigt habe und dass alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen
Werken entnommen sind, durch Angabe der Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht
worden sind.
Konstanz, den 10. Februar 2003
Hanna Sophia Reich