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Arbeitsmedizinische Aspekte in der Begutachtung
medizinisch-theoretisch versus praktisch umsetzbar
asim Fortbildungsveranstaltung
11. Mai 2016
C. Sidler, Leiter Arbeitsmedizin, ifa Baden
10.05.2016
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Programm
1. Einleitung
2. Beschrieb angestammte Tätigkeit
3. Ergonomische Hilfsmittel zur Belastungsabschätzung
4. Zumutbarkeit / Arbeitsgesetzt / VUV
5. Arbeitswelt heute: primärer (!) Arbeitsmarkt
6. Psychosoziale Ansprüche der Arbeitswelt, „Schwierige
MA“, Studie von N. Baer, „psychosoziale Nicht-
Eignung“
7. Fazit
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Wer sind wir?
All in one Anbieter für Dienstleistungen
rund um die Gesundheit in Betrieben
.
PraxisGesundheits-
zentrenArbeits-medizin
Gesundheits-förderung
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Einleitung: lieber praktisch statt medizinisch-theoretisch
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Sicht der Arbeitsmedizin:
Fokus auf die praktische Umsetzung der Arbeitsfähigkeit in
Kenntnis des herrschenden Arbeitsmarktes/Bedürfnisse der
Arbeitgeber
Ziel: Gesundheitsschutz (MA soll bis 65J. Gesund Arbeiten
können) und v.a. Erhalt der Arbeitsstelle
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ArbeitsunfähigkeitArbeitsunfähigkeit (AUF) ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte volle oderteilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten. Die bisher ausgeübte Tätigkeit im Beruf oder Aufgabenbereich kann nicht mehr ausgeübt werden oder nur noch in beschränktem Masse, unter der Gefahr einer Verschlimmerung des Gesundheitszustands oder dem Risiko, sich selbe r oder Dritte zu gefährden.Auch wenn Arbeitsunfähigkeit eigentlich kein medizinischer Begriff ist, so wird sie dennoch von Ärzten oder von Chiropraktoren beurteilt.Für die Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit ist die Einschränkung in Bezug auf die bisher ausgeübte Tätigkeit rechtlich relevant .
Arbeitsunfähigkeit Leitlinie zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit nach Unfall und bei Krankheit, SIM
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Praktisches Beispiel zur Einleitung
62-j., Pat., Mechaniker, Unterhalt/Wartung Kunststofffabrik, handwerkliche Tätigkeit, 5-10% Büroarbeit, Rest leichte bis schwere Arbeit (Heben und Tragen bis > 25 kg, grobe mech. Tätikeiten, ergonomisch ungünstig, auch feinmotorische)
1. Chronische polyartikuläre Gichtarthritis , ED 1985- RF/Anti-CCP/ANA negativ, zwischenzeitlich Diagnose einer
Rheumatoiden Arthritis- Destruktiver Verlauf (Röntgen 05/13)- Sekundäre Arthrose OSG, USG, Mittelfuss beidseits- St. n. Ulnaverkürzung und multiplen Synovektomien Handgelenkrechts, St. n. Handgelenksarthrodese links
2. Periarthropathia humeroscapularis links, operiert3. Lumbospondylogenes Schmerzsyndrom links4. Hypertensive Kardiopathie bei schlecht eingestellter arterieller Hypertonie
- Fahrrad-Ergometrie am 23.03.12 mit Belastung bis 96 Watt (70% Soll)5. Progrediente Niereninsuffizienz
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Dominante „Handwerkerhand“
Heben und Tragen > 25 kg
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Urteil des Versicherungsmediziners: 100% Arbeitsfähigkeit
-> angepassten wechselbelastenden, vorwiegend sitzenden
Tätigkeit,
- ohne Umwelteinflüsse wie Zugluft, Kälte oder Nässe
- ohne absturzgefährdetes Arbeiten und Steigen auf Gerüsten, Leitern und Dächern
- ohne Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten (Gewichtsangabe fehlt!)
- ohne allzu grosse mechanische Belastung der Hände
- ohne Zwangshaltungen wie häufiges Bücken, Knien oder Kauern
- ohne vorwiegende Überkopfarbeiten oder Handeinsatz über Brusthöhe
- ohne repetitive Rumpfrotation im Sitzen/Stehen
- ohne ständiges Begehen von Treppen
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100% leistungsfähig ?d.h. selber Lohn wie junger, gesunder Kollege?Keine Einschränkungen bezüglich Tempo, Ausdauer, Ermüdung ?
Der Himmel ist ein Ort, an dem ….
die Engländer die Polizistendie Franzosen die Köche
die Deutschen die Automechanikerdie Italiener die Liebhaber sind
und die Schweizer alles organisieren .
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100% leistungsfähig ?d.h. selber Lohn wie junger, gesunder Kollege?Keine Einschränkungen bezüglich Tempo, Ausdauer, Ermüdung ?
Der angepasste Arbeitsplatz ist ein Ort, an dem ….
Alle Chefs nett und verständnisvoll sindDie Arbeit immer ergonomisch ist
Nie Stress und Hektik herrschtSchmerzen maximal überwunden werden
könnenStatt Konflikten immer nur Friede herrscht
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1. Beschrieb angestammte Tätigkeit
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Noxen in der Arbeitswelt :- chemisch- physikalisch- biologisch- psychosozial/“Stress“
Welche Noxen erkennen Sie?
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1.1 Berufs - Anamnese
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Welchen Beruf haben sie? Als was sind sie angestellt? Was machen sie genau?
- Haupttätigkeit erklären lassen (kostet paar Minuten!)- Arbeitsbeschrieb von Arbeitgeber- Googeln !
Bsp. Lokführer US -> Schweiss-LKW-Fahrer ?!?
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Berufsanamnese
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Hilfsarbeiter in einer Verzinkerei/Galvanik: Vorbereiten, aufhängen und nachbearbeiten von Metallteilen ….
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Bsp. Tätigkeit Geschäftsführer (Aktengutachten)
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Aktengutachten 3 disziplinär„Das Arbeitsplatzprofil bzw. die Art der körperlichen und psychischen Belastungen bei der beruflichenTätigkeit als selbstständig erwerbender Geschäftsführer geht aus den Akten niergends detailliert hervor. Andererseits ist auch niergends erwähnt, dass Herr XY bei seiner beruflichen Tätigkeit auch körperlich anstrengende Arbeiten ausführen muss.
„Wir gehen davon aus, dass es sich grossmehrheitlich um eine kaufmännisch-organisatorische Arbeit gehandelt hat .“
Detailliertes Interview mit Patient:- Aushub und Transport von Kies- Neubau Flur- und Waldwege- Nachbekiesung Flur- und
Waldwege, ca. 100km pro Jahr- Entwässerungen,
Böschungssicherungen
Tätigkeit als Geschäftsführer :- kaufmännisch ca. 50%- Vermessungen- Führen LKW, Baustellen-Fzg- Regelm. Schaufel-, Pickel-,
Spitzearbeiten- Heben- und Tragen bis ca. 50 kg
(Zementrohre, Bruchsteine)- Arbeiten bei Nässe und Kälte- Wochenarbeitszeit 60-70 Std.
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von der leichten, wechselbelastenden Bürotätigkeit zu Arbeit mit:
- schwerer (Lasten bis 25-45 kg) bis sehr schwerer (> 45 kg) Tätigkeit- Führen von LKW und Baumaschinen- Arbeiten bei Nässe und Kälte- Hohe psychosoziale Belastung: ständige Erreichbarkeit (Disposition
von Transporten), hoher Zeitdruck, Kundenbedürfnisse
Fazit: Aktengutachten kann nicht verwertet werden.
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Gezielte AnamneseWie schwer ist ihre Tätigkeit (Gewichte gem. SIM-Broschüre)?
Ergonomisch ungünstige Arbeitshaltungen ?
-> siehe Ergonomie-Beurteilungstools
Wie lange welche Tätigkeit am Stück?
- Pausen? Wechselbelastung? Getaktete Arbeit?
- Z.B. Arbeit jederzeit unterbrechbar oder Pause nur alle 3 Std. wegen
Fliessband
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Gezielte Anamnese
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Welche Tätigkeiten belasten am meisten?Z.B. Kartonkisten überkopf stapeln 1x pro 2 Std. für 5 min.
Was geht gut/problemlos?Z.B. Teile verpacken im Sitzen
Was müsste ändern, damit sie 100% arbeiten könnten?
-> Selbsteinschätzung des Betroffenen: was ist im DetailsSein Problem mit der aktuellen Tätigkeit
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Fremdanamnese Arbeitsplatz
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Arbeitsplatzbeschrieb schriftlich- z.T. sehr detailliert vorhanden inkl. Gewichtsprofile
Rücksprache mit dem Arbeitgeber/Vorgesetzen bei Unklarheiten- Auch sinnvoll zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit/Arbeitstempo am
angestammten Arbeitsplatz !- Vorgesetzte führen regelmässig Leistungs beurteilungen durch (MAG)
Berichte von Eingliederungsversuchen (falls kein Ar beitsplatz mehr)- i.d.R. sehr detailliert und professionell in der Beobachtung der Leistungsfähigkeit und auch der psychosozialen Kompetenzen
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Bsp. Fremdanamese von Eingliederungsstelle
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Bericht Betreuungsperson Eingliederungsstätte:
… dort wurde Herr S. als einerseits ruhige, hilfsbereite und umgängliche auf seine Aufgaben ausgerichtete,
anderseits als rechthaberische, aufbrausende bis lautwerdende Person kennengelernt.
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1.2 Fotodokumentation Arbeitsplatz !
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Mitarbeiter Stadtverwaltung …
monotone, repetitive BewegungenBsp. Umzugsfachmann toleriert Tätigkeit als Strassenreiniger nicht!
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Kanalnetz Mitarbeiter
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Noxen ???
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berufsspezifische Ergonomische Belastungen
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Pos. und neg. Fähigkeitsprofil
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z.B. SIM Wegleitung: Zumutbare Arbeitstätigkeit
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3. Ergonomische Hilfsmittel:zum abschätzen der körperlichen Belastung
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Def. Arbeitsunfähigkeit:
Die bisher ausgeübte Tätigkeit im Beruf oder Aufgabenbereich kann nicht mehr ausgeübt werden oder nur noch in beschränktem Masse, unter der Gefahr einer Verschlimmerung des Gesundheitszustands ….
D.h. die Belastung (physisch und auch psychisch!) muss dem Leiden angepasst sein.
Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ist „verboten“ !
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Ergotest SUVA:Screening Test für Ueberbeanspruchung
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Ergotest SUVA:Screening Test für Ueberbeanspruchung
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Zumutbare Lastgewichte EKAS (Eidgenössische
Koordinationskommission für Arbeitssicherheit)-> Verweis auf Arg/VUV
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Gelegentlich: ca. 2x /Std, häufig: mehrmals pro Stunde.
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Zumutbare Lastgewichte SUVA
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Fazit: mit vernünftigem Aufwand kann ein detailiertes Bild der Tätigkeit
gewonnen werden.
??? Wieviel Zeit benötigen Sie mit dem Diktat der Vorakten ???
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4. Zumutbarkeit / rechtliche Eckpfeiler
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Gründe für eine eingeschränkte Zumutbarkeit gem. SIM:
Drohende Gesundheitsschädigung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes
z.B. Bauarbeiter mit Diskushernie
Erhöhte Unfallgefahr (Selbst- und Fremdgefährdung)
z.B. Dachdecker mit Epilepsie
Erhöhte Gefahr für Sachbeschädigung
z.B. Maschinenbediener mit Absenzen/Hypos
Zu geringe Leistungsfähigkeit im Vergleich zu den Arbeitsanforderungen
z.B. Hirnschlagpatient mit neuropsych. Einschränkungen, d.h. Pat.
darf nicht in Ueberlastung/Ueberforderung gebracht werden
mediX-Tag 18.6.15
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Gründe für eine eingeschränkte Zumutbarkeit II
Schwangerschaft/Mutterschaft -> Mutterschutzverordnung
d.h. praktisch nur noch für administrative Tätigkeiten tauglich
Eingeschränkte Kontaktfähigkeit mit Menschen
z.B. psych. Erkrankungen -> Arbeit im Grossraumbüro,
Kundenberater
Nicht geeignet für Schicht-/Nachtarbeit, Akkordarbeit etc.
z.B. Diabetiker, Epileptiker, psych. Erkrankte
mediX-Tag 18.6.15
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Grundsätze der ärztlichen Beurteilungder Zumutbarkeit und Arbeitsfähigkeit. Teil 1, Schweiz Med Forum 2006;6:420–431
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„medizinisch-theoretisch“ gibt es keine Einschränkungen der Zumutbarkeit, weil …
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- die theoretisch maximale Anpassung der Arbeit keine Reibungspunkte zulässt (Ueberlastung/Ueberforderung)
- medizinisch-theoretische Tätigkeiten keine Schmerzen auslösen
- es medizinisch-theoretisch keine Spannungen/Konflikte am Arbeitsplatz gibt
- man medizinisch-theoretisch seine Gesundheit nicht schädigt- medizinisch-theoretisch die Leistungsfähigkeit immer bei 100%
liegt- etc., etc.
Nur gibt es ein Problem :- medizinisch-theoretisch GIBT ES NICHT- Arbeitsplätze sind immer real, d.h. nicht optimal
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Arbeitsgesetz / VUV / OR
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Arbeitsgesetz / VUV / OR
Art. 3 VUV
1 Der Arbeitgeber muss zur Wahrung und Verbesserung der Arbeitssicherheit alle Anordnungen erteilen und alle Schutzmassnahmen treffen, die den Vorschriften dieser Verordnung und den für seinen Betrieb zusätzlich geltenden Vorschriften über die Arbeitssicherheit sowie im Übrigen den anerkannten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Regeln entsprechen.
1bis Liegen Hinweise vor, dass die Gesundheit eines Arbeitnehmers durch die von ihm ausgeübte Tätigkeit geschädigt wi rd , so ist eine arbeitsmedizinische Abklärung durchzuführen.
-> krank werden durch die Arbeit ist ein gesetzlich es „No Go“
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5. der primäre Arbeitsmarkt
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Definitionsversuch :
Der primäre Arbeitsmarkt unterscheidet sich hiervon (d.h. vom sekundären), indem der Zugang prinzipiell offen ist und keine Zugangsprivilegierung von Behinderten durch Ausschluss von anderen Personengruppen vorliegt. Der primäre Arbeitsmarkt basiert entsprechend auf individuellen, kompetitiven Beschäftigungsverhältnissen
(Oesterle, Gesundheitsökonom, Oesterreich)
Erster Arbeitsmarkt = Freies Arbeitsverhältnis, ohne Subvention usw.Zweiter Arbeitsmarkt = Arbeitsplätze, die speziell und subventioniert für Menschen, die im ersten Arbeitsmarkt keine Stelle finden (Arbeitslose, Behinderte usw.) bereit gestellt werden
(Leiter geschützten Arbeitsstätte für behinderte Menschen)
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Definitionsversuch
Unter Zweiter Arbeitsmarkt versteht man im arbeitssoziologischen Sinn alle nicht-erwerblichen oder mit reduziertem Lohn entgolt enen , berufsgleichen oder -ähnlichen Funktionen, die in den meisten Fällen außerhalb der eigenen vier Wände ausgeübt und praktisch immer von einer institutionellen Trägerschaft organisiert werden, unabhängig davon, ob diese dafür vom Staat, den Kirchen oder von Stiftungen o. ä. subventioniert werden oder nicht. In der Allgemeinheit ist vor allem der staatlich subventionierte Zweite Arbeitsmarkt bekannt. Der sogenannte Zweite Arbeitsmarkt ist in den meisten Fällen kein Markt , auf dem Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen. Er ist daher trotz der ähnlichen Namensgebung kein Arbeitsmarkt, sondern eine Beschäftigung, die nicht in der Wirtschaft, sondern in der Sozialarbeit Bedeutung hat.
(Wikipedia)
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Primärer Arbeitsmarkt
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Keine Zugangsprivilegien
Kompetitive Beschäftigungsverhältnisse
Freies Arbeitsverhältnis
Keine Subventionen für Arbeitgeber
Reguliert durch Angebot und Nachfrage
-> Ergo: kein sozialer Aspekt, weder chronischer Schonarbeitsplatz noch geschützte Arbeitsstätte, nur Leistung zählt !
Mitarbeitergespräche, Ziel- und Leistungsvereinbarungen etc.
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Zunahme Stressempfinden SECO-Studie
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Häufigste Stressoren: Seco Studie 2010
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Veränderung/Anforderungen der Arbeitswelt• Höhere Verausgabung
• Arbeitsverdichtung, Intensität, Komplexität, Termindruck
• Ausdehnung der Arbeitszeit, Wegzeit, Verkürzung der Erholungszeit
• Zunahme irregulärer Arbeitszeiten
• Rascher Wechsel von Arbeitsaufgaben, Vorgesetzten, Arbeitskollegen und –umgebung
• Zunahme der Emotionsarbeit
• Geringere Belohnung
• Zunahme der Arbeitsplatzunsicherheit / Loyalitätsveränderung AG � AN; AN � AG
• Risiken von beruflichem Abstieg, Versetzung, unfreiwilliger Berentung
• Reduzierte Aufstiegschancen, Lohneinbussen, Wegfall von Vergünstigungen
• Verschlechterung von Betriebsklima, Fairness / Verfahrensgerechtigkeit und Respekt in Organisationen
• Führungszeiten verkürzt / Führen auf Distanz
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Arbeitsfähigkeit im primären Arbeitsmarkt:
Leistungskompenente
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Uneingeschränkte Leistungsfähigkeit trotz chronischen Schmerzen, Dauermedikation, eingeschränkte Bewegungsausmasse der Gelenke, Schlafstörungen, chron. depressiven Symptomen?
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Arbeitsfähigkeit im primären Arbeitsmarkt:
Leistungskompenente
10.05.2016
Beurteilung der Leistungsfähigkeit ist ein MUSS !!!
bei:- Eingeschränktem Tempo, vermehrtem Pausenbedarf,
übermässiger Ermüdung etc. -> EFL, neuropsychologische Testungen, Auskunft Arbeitgeber, Eingliederungsfachleute
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angepassten wechselbelastenden, vorwiegend sitzenden Tätigkeit,
- ohne Umwelteinflüsse wie Zugluft, Kälte oder Nässe
- ohne absturzgefährdetes Arbeiten und Steigen auf Gerüsten, Leitern und Dächern
- ohne Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten (Gewichtsangabe fehlt!)
- ohne allzu grosse mechanische Belastung der Hände
- ohne Zwangshaltungen wie häufiges Bücken, Knien oder Kauern
- ohne vorwiegende Überkopfarbeiten oder Handeinsatz über Brusthöhe
- ohne repetitive Rumpfrotation im Sitzen/Stehen
- ohne ständiges Begehen von Treppen
Dies entspricht einer anderen Tätigkeit !
„Nichteignungs-Verfügung“ für den angestammten Job.
Hohe Wahrscheinlichkeit eines Stellenverlustes, da praktisch nicht umsetzbar.
Arbeitgeber hat keine Verpflichtung, dem MA einen angepassten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.
stark angepasste Tätigkeiten im primären Arbeitsmarkt entsprechen faktisch einer Nichteignung
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SRF, 1. Juni 2015
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Angepasste Tätigkeiten im primären Arbeitsmarkt
Angepasste Tätigkeiten (bei ungelernten MA) entsprechen
oft Hilfsarbeiten mit
- Ergonomisch belastenden Tätigkeiten (monotone, repetitive
Tätigkeiten, wenig Handlungsspielraum, Zeitdruck,
Schichtarbeit, Fliessband)
Zumutbare Arbeitstätigkeit, SIM
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6. Psychosoziale Anforderung/Belast-
barkeit/Stressresistenz
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Wahrnehmung und Bewältigung psychisch bedingter Problemsituationen durch Vorgesetzte und Personalverantwortliche
2010, Niklas Baer, U. Frick, …
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Verhalten der „schwierigen“ Mitarbeiter
Leistungsminderung !!!
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Bsp. 1 Nichteignung aus „psychosoz. Sicht“
10.05.2016
Herr S., verheiratet, 50J. alt, 4 Kinder, zugewiesen vom Sozialamt , „ausgesteuert “ von Arbeitslosenkasse, IV-Rente abgewiesen(Gerichtsentscheid), vom beh. Arzt wird 100% AUF bescheinigt.
Berufl. Werdegang : Gel. Sattler, Tapezierer, dann Maschinist auf Bau/Strassenbau, dann Unfall und OP C5/6, Arbeit als Logistikassitent 4 J., dann Entlassen und kein Job mehr gefunden. VEBO 2007.
Gutachten 2005 : somat. Einschränkungen (Heben/Tragen), psych. Erkrankungen nicht relevant für AF
Diagnosen : Paranoide PersönlichkeitsstörungADHSChron. Cervicales Sz-Syndrom nach OP C5/6
Medikamente : Welbutrin, Ritalin
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Beispiel: Persönlichkeitsstörung II
10.05.2016
Theretisch : 100% arbeitsfähig (Gutachtensentscheid) mit geringen somt. Einschränkungen
Praktisch: Umsetzung bisher nicht möglich:
Bericht der VEBO Oensingen:Dort wurde Herr S. als einerseits ruhige, hilfsbereite und umgängliche auf seine Aufgaben ausgerichtete, anderseits als rechthaberische, aufbrausende bis lautwerdende Person kennengelernt.
Eintrag vom behandelnden Psychiater, nachdem er vom Sozialamt angehalten wurde, Arbeit zu suchen: Will nicht arbeiten wegen Angst vor Ausnützung, reagiert mit querulatorischem Verhalten oder impulsiv aggressiv (paranoides Erleben), starke unterdrückte Wut, Verletztheitsgefühle, Ungerechtigkeitserleben, Rache- und Gewaltphantasien . Distanziert sich jedoch glaubhaft von Ausführungsabsichten.
Arbeitsmedizinische Beurteilung: auf primären Arbeitsmarkt keine Anstellung möglich, lediglich auf dem sekundären (geschützte Arbeit)
Zumutbarkeits-beurteilung ???
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Drohende Gesundheitsschädigung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes
Erhöhte Unfallgefahr (Selbst- und Fremdgefährdung)
Erhöhte Gefahr für Sachbeschädigung
Zu geringe Leistungsfähigkeit im Vergleich zu den Arbeitsanforderungen
mediX-Tag 18.6.15
Zumutbarkeitsbeurteilung für den primären Arbeitsmarkt:
55Niklas Bär, „Schwierige Mitarbeiter
Spitznamen für „schwierige“ Mitarbeiter
Aggressivoffensiv
Giftigböse
Instabil Manisch nervös
Depressiv Angeberisch Zwang-haftängstlich
Undiszi-pliniert
DominaAggressorDestroyDangerKungFuRambo
BissigGiftzwergHexeKröteSkorpionSchlange
AchterbahnChameleonChaotinLabilchenJoJoLaunisch
NervosoSpeedySuppehuenZappelHektischWirbel
DepriDownHeulsuseKummerSorgenfalteTraurig
BesserwisserPrimadonnaBlenderGuruWichtigKing
GenauAngsthasKomplexSteifSturIntro
SpätiFaultierViertel ab AchtiLamaSpät
Dumm unge-schickt
Mühsam Negativ Unehrlich Seltsam Süchtig Aufge-stelltfröhlich
Umgäng-lich nett
BrainySpaskiLapiFläscheHalbschuhPflaumeTschumpeli
NervensägeQuälgeistMühsamSchwierigIntensivTam TamÄrger
GriesgramMauliMotzkiMekkerNörgeliStinkerMuhler
Faules EiKlauerLügeTreulosMärlitanteFilouLarve
EigenbrötlerGnomKomischPsychoSeltsamKnorrliAnders
AlkiHaschiJointKaterSuffiDurstBlau
FlottFreudigFunnyHappySünneliMunterLustig
ÄngeliGoldigGutherzHerzigLiebNettUmgänglich
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Problem: „Nicht brauchbar“ aus Sicht AG
10.05.2016
Tool: „Mini-ICF -APP“
Fremdbeurteilung von Aktivitäts- und Partizipationsstörungen bei psychischen Erkrankungen in Anlehnung an die ICF (Int. Klass. Der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, WHO)
Beurteilung der funktionellen Auswirkungen der psychischen Erkrankung, der praktischen Aspekte beim Umsetzen der Arbeitsfähigkeit
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Psychosoziale Anforderungen im angestammten Beruf müssen berücksichtig werden!
-> Zumutbarkeitskriterien gelten hier genauso wie bei somatischen Erkrankungen
Bsp:
Laboratin mit rez. depressive Episoden
- Vergiftungswahn, hypochondrischer Wahn
-> Tätigkeit Reinraum, Kontakt mit tierischen Giften
(Schlangengift)
-> nicht geeignet!
IT-Fachmann mit Erschöpfungsdepression
„Am liebsten möchte ich ungestört und in Ruhe
arbeiten können“ … -> nicht geeignet!
10.05.2016
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Mini-ICF-APP
10.05.2016
13 Teilbereiche:
1. Anpassung an Regeln:Fähigkeit sich an Regeln zu halten, Termine einzuhalten, einfügen in Abläufe
Beeinträchtigung: keine-leicht-mittel-schwer-vollständig
2. Planung und Strukturierung von Aufgaben
3. Flexibilität, UmstellungsfähigkeitFähigkeigkeit je nach Situation unterschiedliche Verhaltensweisen zu zeigen….6. DurchhaltefähigkeitFähigkeit, ausdauernd an einer Tätigkeit zu bleiben und durchgehendes Leistungsniveau zu halten
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Mini-ICF-APP II
10.05.2016
7. SelbstbehauptungsfähigkeitFahigkeit in soz. Kontakten oder Konflikten ohne beeinträchtigende Befangenheit für seine Ueberzeugungen einzustehen ohne soz. Normen zu verletzen
8. Kontaktfähigkeit zu Dritten
9. Gruppenfähigkeit…
D.h. detaillierter Beschrieb, ob Fähigkeiten vorhan den sind, um theoretische Arbeitsfähigkeiten im Arbeitsalltag pr aktisch umzusetzen.
Und zwar im primären Arbeitsmarkt -> Arbeitgeber und Vorgesetze sind keine Sozialtherapeuten und nicht vertraut/geschult im Umgang mit psychisch kranken MA.
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Fazit: arbeitsmedizinische Wünsche
10.05.2016
� Beschreiben Sie die Tätigkeit so genau wie möglich
� Vergessen Sie „himmlische“ Arbeitsplätze
� Diskutieren/begründen Sie die Zumutbarkeit.
� Diskutieren/begründen Sie die Leistungsfähigkeit
� Angepasste Tätigkeiten sind NICHT leistungsbefreit
� Arbeitsstelle ist weder die Sozialhilfe, die Eingliederungsstätte noch noch ein chronischer Schonarbeitsplatz
� Arbeit ist praktisch nicht theoretisch ☺