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Wenn man an Jazzposaunisten denkt,
fallen einem Namen wie Kid Ory oder
Jack Teagarden aus frühen Zeiten ein,
aus dem Umfeld des modernen Jazz J. J.
Johnson und Kai Winding. Zu den euro-
päischen Stars zählt Chris Barber. Mo-
derneren Spielweisen Zugeneigte nen-
nen Albert Mangelsdorff. Der Posaunist
Henry Walther hingegen ist nicht jedem
Jazzfreund sofort geläufig. Im Osten
Deutschlands ist er allerdings eine Le-
gende, hat die Szene geprägt und auf
seine Weise Jazzgeschichte geschrieben.
Der am 8. Juni 1933 in Blumenau im Erz-
gebirge geborene Walther (Jazzlexika
führen fälschlicherweise als Geburtsort
Leipzig an) begann im achten Lebensjahr
mit Akkordeon seine musikalische Lauf-
bahn und lernte von 1947 bis 1950 an der
Orchesterschule in Zschopau, die auch
Stadtpfeife genannt wurde. Die Musik-
schulen mussten sich finanziell selbst tra-
gen. So traten sie mit unterschiedlichen
Orchestern in öffentliche Erscheinung
Swing is the Thing! - Mitteilungsblatt für Freunde swingender Musik in und um Leipzig
Just For Swing Gazette
Volume 3 | Juni 2013 Band 1, Ausgabe 1
Bescheiden und vielseitig – der Posaunist Henry Walther wird 80 JAZZ PODIUM 06/2013 Text : Detlef A. Ott | Foto: Archiv Henry Walther
Fortsetzung auf Seite 4 >>>>>>>>>>>
Der heute 78jäh-
rige Winfried
Maier aus Berlin
war ein persönli-
cher Freund
Louis Arm-
strongs und mit
dem King of
Jazz bis zu des-
sen Lebensende
in einem engen
freundschaftli-
chen Verhältnis
verbunden. Sei-
ne umfangreiche
Sammlung um-
fasst viele per-
sönliche Doku-
mente, Homevi-
deos, Fotos, Karten, Brief, sowie signierte Memorablias unterschiedlichster Art. Er war
eng befreundet mit dem aus New Orleans stammenden Klarinettisten George Lewis. In
seiner Berliner Wohnung lebte der englische Trompeter Ken Colyer, dem er zu unzähligen
Engagements in Berlin verhalf. Er produzierte mit John Hendrik für den RIAS in Berlin
die Sendung „Club 18―, in der regelmäßig Jazz gespielt wurde. Als ich Winfried Maier
das erste Mal im November 2008 in Berlin besuchte und sein einzigartiges Archiv in Au-
genschein nehmen konnte, traf ich einen wahren Jazzfreund, dessen Herzlichkeit und en-
thusiastische Erzählweise aus einer verabredeten Stunde mehr als fünf Stunden werden
ließ und wir hätten sicher noch viele Stunden weiter in seinem Archiv stöbern können,
was wir bis zum heutigen Tag in regelmäßigen Abständen tun. Besonders beeindruckend
fand ich, wie Winfried Maier über Louis als Menschen und nicht nur als Musiker sprach.
„Louis war ein echter Charakter. Er hat mehr für die Menschheit getan, als mancher
Politiker.“
Das Interview auf Seite 6 wurde für das Doctor Jazz Magazine in Holland geführt und
erschien dort im Jahr 2008.
Themen in dieser Ausgabe:
Interview mit dem
Jazzfreund Winfried
Maier aus Berlin
Henry Walther wird 80
Die Leipziger Band
jazz erst recht stellt
sich vor
Jazzfreund Peter Colev
über seine Liebe zum
Jazz und eine fast ver-
gessene Jazzmusike-
rin: Valaida Snow
Ausstellung German
Jazz/Deutscher Jazz
Schallplattenraritäten
JFS in Berlin
Leserbriefe
Auftrittstermine diver-
ser Bands
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auch nur ein Fell hat, wel-
ches ihm gelegentlich über
die Ohren gezogen wird!!!
Jochen Hoffmann, Althen:
Die Publikation ist ja recht
interessant. Das gezeigte
Bild ist nur eines einer
ganzen Serie, die ich hier
habe - 2 weitere Beispiele
anbei. Da kommen Erinne-
rungen hoch!
Leserbriefe:
Volker Stiehler, Leipzig:
Bei meinem heutigen Stu-
dium des reizvollen und
hervorragend gestalteten
Blattes habe ich auf dem
Bildtext zu den alten Jaz-
zern mit den Thurms, Hes-
se etc. einen kleinen Lap-
sus entdeckt. Hesse soll
die Pauke gespielt haben.
Auf dem Foto gibt es aber
keine Pauke. Was da ne-
ben Hesse zu sehen ist, ist
ein Große Trommel. Diese
hat - wie jede Trommel -
zwei Felle. Eine Pauke hat
dagegen nur ein Fell. In-
sofern ist die Pauke dem
Menschen sehr nahe, der
S e i t e 2 J u s t F o r S w i n g G a z e t t e
Schlagzeug (Silvio Friedrich),
Kontrabass (Eberhard Amen-
de), Banjo/Gitarre (Johannes
Erler), Klarinette/Saxophon
(Jens Probst), Posaune (Hans
-Walter Lapschies) und Trom-
pete/Flügelhorn (Volker
Stiehler) Das Programm reicht vom Di-
xieland bis zum Swing.
(Volker Stiehler)
Zu hören ist die Band am 25.08.2013 11:00 zum Frühschop-
pen im Hopfenspeicher, am
31.08.2013 14:00 zu den Feier-
lichkeiten aus Anlass 100 Jahre
Marienbrunnen/ Arminiushof und
am 28.12.2013 18:00 in der
Waldschänke Reudnitz Gasthof
Pelzer.
Die Band gibt es seit Be-ginn des Jahres 2012. Sie
setzt sich u. a. aus Mitglie-
dern der ehemaligen
„Jazzin‘ Tellin‘ Gents“ zu-
sammen. Alle sind Ama-
teurmusiker der Jazz-Szene
aus Leipzig und Umgebung,
z.T. schon seit vierzig Jah-
ren.
Erste öffentliche Auftritte der neu formierten Band
gab es zum Honky-Tonk am
24. März 2012, danach und
zum traditionellen Jazzfrüh-
schoppen am 25. März im
„Hopfenspeicher“, Brau-
haus Reudnitz, auf dem
D o r f f e s t d e r
„Stelzenfestspiele bei
Reuth― und seit dem bei
verschiedenen anderen Ge-
l e g e n h e i t e n .
Die Band spielt mit
Zum bereits veröffent-lichten Foto der „Lipsia
Hot Seven― aus dem
Jahre 1968 in der
Märzausgabe der JFSG
schickte mir das Urge-
stein der Leipziger
Jazzszene Harry Thurm
noch nachfolgende In-
f o r m a t i o n e n : D .
Lauschmann (tb), J.
Hoffmann (co, ld), P.V.
Kuropka (tp) und P.P.
Albrecht (bj). Das Foto
erhielt er von Jochen
Hoffmann. Es zeigt die
gegenüberliegende Sei-
te der Band, die zum
letzten Himmelfahrtstag
der DDR mit jazzigen
Klängen in den Straßen
von Leipzig für Aufse-
hen sorgten.
-
S e i t e 3 B a n d 1 , A u s g a b e 1
Valaida Snow, Queen of Trumpet oder der female Louis Armstrong
Autor: Peter Colev
1939 wirkte sie kurzzeitig auch als
Filmschauspielerin.
Anlässlich ihres Skandinavien-
Aufenthaltes wurde sie in Dänemark
von 1940 -1942 für 18 Monate im KZ
Wester-Fengle arrestiert. Ihre goldene
Trompete, die sie von der niederlän-
dischen Königin Wilhelmina bei ei-
nem Gastspiel als Geschenk erhielt
sowie 7000$ Travellers-Schecks wur-
den dabei von ihren Peinigern requi-
riert. Im Zuge eines Gefangenen-
Austausches, den Freunde mit politi-
schen Einfluss initiierten,
konnte schließlich die phy-
sisch und psychisch gebroche-
ne Ausnahmekünstlerin wieder
in die USA zurück kehren.
Ihre große künstlerische Phase war
aber im wesentlichen vorbei und im
Mai 1956 erlitt sie auf der Bühne in
New York einen Schlaganfall, an des-
sen Folgen sie mit nur 53 Jahren ver-
starb.
Valaida Snow war eine Jazzpersön-
lichkeit inmitten der bedeutsamen
Swing-Periode des Jazz, die über alle
Stile hinweg zeitlos ist und bleibt.
Interessant:
2 CD’s Valaida Snow 1933 – 1936
sowie 1937 - 1940
Label: The Chronological – Jazz-
Classics
Diverse Jazz-Film-Clips – YouTube
2 engl i s chsp rach ige Bücher
(Nachfrage beim Autor)
Titelempfehlungen zu obigen CDs:
Alle Records London Juli 1937:
I got Rhythm
Some of These Days
Tiger Rag
Swing is the Thing
-Five, als er angeblich den Text ver-
gessen hatte.
Ende der 1920er / Anfang der 1930er
Jahre ging Valaida Snow mit unter-
schiedlichen Bands nach Europa,
Asien, Russland und China, war auch
in Deutschland. Sie soll besonders
durch ihre Show-Einlagen enthusias-
tisch gefeiert worden sein. Ihr Show-
Tanz in Verbindung mit
ihrem Trompe-
tenspiel
w a r e n
unnachahmlich.
Louis Armstrong, der Meister selbst,
sah sie in einer Show und war er-
staunt und begeistert über die Profes-
sionalität ihres Auftritts, insbesondere
ihres Trompetenspiels. Sie soll in der
Lage gewesen sein, das hohe C auf
der Trompete ohne Mühe
zu intonieren. In der Fachwelt des
Jazz sowie im Publikum wurde sie
nunmehr auch als „Little Louis― be-
zeichnet.
In Paris trat Valaida Snow u.a. mit
Maurice Chevalier auf. Sie war eine
extrovertierte gutaussehende Afro-
Amerikanerin mit schrillem Outfit
(sie chauffierte u.a. einen goldfarbe-
nen Mercedes eigenhändig) und er-
regte in der Pariser Kultur- und
Kunstszene Beachtung und Aufsehen.
Meine ersten Jazzschellacks kaufte ich Mitte der 1950er Jahre in der be-
kannten Leipziger Musikalienhand-
lung ―Hans Tappert‖. Es waren Se-
cond-Hand-78er Platten verschiede-
ner Labels. Eines Tages präsentierte
der Verkäufer, Fritze Voigt, selbst
leidenschaftlicher Plattensammler
und Jazz-Liebhaber (im Besitz von
ca. 2000 Schellacks) mit vielsagender
Miene eine ODEON– Nachkriegs-
pressung (blau-weißes Etikett) mit
dem Billy Mason-Orchestra und
Valaida Snow – Queen of Trumpet.
Er meinte – sie sei der weibliche
―Louis Armstrong‖. Der Titel hieß:
―I can’t Dance I’ve got ants in my
pants―. Monatelang gehörte diese
Platte zu meinen Favorits – von
Valaida Snow wusste ich zu die-
ser Zeit nichts.
Nach der Wende hatte man
dann aber endlich Zugang zu
diverser Jazz-Literatur, Bio-
graphien und Diskographien, so-
wie später dann auch zum Internet.
Die Jazz-Trompeterin Valaida Snow,
geboren 1903, war eine Multiinstru-
mentalistin, lernte bei ihrer Mutter
Cello, Bass, Violine, Mandoline, Ak-
kordeon, Saxophon und Trompete
spielen. Das grazile, hübsche und ex-
trovertierte Multitalent trat schon En-
de der 1920er Jahre in verschiedenen
amerikanischen Großstädten in Dance
-Floorshows sowie u.a. auch am
Broadway mit Ethel Waters
„Rhapsodie in Black“ auf und begeis-
terte das Publikum. Sie beherrschte
außerdem den s.g. Scat-Vocal bereits
Jahre vor Ella Fitzgerald, die später
damit berühmt wurde.
Louis Armstrong begründete be-
kanntlich das sogenannte Scatten an-
lässlich der Plattenproduktion des Ti-
tels „Heebie – Jeebies― mit seiner Hot
-
und waren bestrebt, ein breites
Angebot an instrumentaler Bil-
dung anzubieten. Eigentlich
wollte Walther Geige oder Klari-
nette lernen. Da diese Positionen
schon reichlich besetzt waren,
schlug ihm der Direktor der
Schule das Tenorhorn vor. Weil
Walther schon damals unbedingt
Musiker werden wollte, ließ er
sich überreden. Aber die beson-
dere Vorliebe galt der Posaune.
Ein Onkel von ihm spielte dieses
warm klingende Instrument, was
ihm auf Anhieb gefallen hat. So
schlug er dem Direktor vor,
wenn er schon das Tenorhorn
lernen sollte, auch noch die Po-
saune dazu zu nehmen, was ihm
gestattet wurde. Später erlernte
er auch die Bratsche, die für vie-
le Jahre sein Hauptinstrument
werden sollte. „Bratsche habe
ich dann im klassischen Orches-
ter der Schule, die Posaune im
Tanzorchester und das Tenor-
horn im Blasorchester gespielt.
Das ging so bis 1950. Dann wur-
den die Musikschulen geschlos-
sen. Als aus Leipzig verschiede-
ne Dozenten kamen und Aufnah-
meprüfungen für die Hochschu-
len durchführten, spielte ich mit
der Bratsche vor und wurde für
das Studium in Leipzig genom-
men, wo ich dann 5 Jahre lang
dieses Instrument studiert ha-
be.“ Die Posaune hat er trotz-
dem nicht vernachlässigt. Ei-
gentlich war es verboten, neben-
bei auf den Tanzsaal zu gehen
und sich Geld zu verdienen. Das
hat Walther aber nicht davon ab-
gehalten, seine Posaune zu neh-
men und in verschiedenen Tanz-
kapellen zu spielen, wenn ein
Posaunist gebraucht wurde.
Nach Beendigung des Studiums
ging Walther von 1955 bis 1956
zum Stadttheater in Köthen, zog
aber ein Jahr später weiter an das
Volkstheater Rostock, wo er bis
1957 blieb. Hier stellten sich die
Weichen für sein späteres Leben.
Er lernte den Posaunisten Eber-
hard Weise und den Saxofonis-
ten Ernst Ludwig Petrowksy
kennen. Weise war am Theater
in Güstrow beschäftigt. „Wenn
wir Zeit und Lust hatten, haben
wir uns mit Jazz beschäf-
tigt. Dafür hatte ich mich
schon immer interessiert.“
1957 startete Eberhard
Weise sein eigenes Or-
chester, dem sich Walther
anschloss und dabei end-
gültig zur Posaune wech-
selte. Das Orchester entwi-
ckelte sich zum modernen
Jazzorchester der ehemali-
gen DDR. „Das lief finan-
ziell allerdings nicht gut.
Wir haben viel Freizeit in-
vestiert und es hat großen
Spaß gemacht. Aber man
wollte diese Musik auf
dem Tanzsaal nicht hören.
Die Band war zu modern.“
Man orientierte sich am
Cool Jazz von Stan Getz,
Lee Konitz, Lennie Trista-
no und Gerry Mulligan.
Diese Musiker waren weg-
weisend. Aber bestimmte
Vorbilder hatte Walther
nicht.
Als am Görlitzer Gerhard-
Hauptmann-Theater eine
Posaunenstelle frei wurde,
wechselte er nach andert-
halb Jahren bei Eberhard
Weise als Posaunist dort-
hin. Die Bratsche hatte er
mittlerweile seit einigen
Jahren im Etui verstaut.
Kurz darauf wurde 1960
das renommierte Rund-
funktanzorchester Leipzig
umstrukturiert und suchte
junge Musiker. Der bishe-
rige Leiter Kurt Henkels
war ein Jahr zuvor in den
Westen gegangen. Henry
Walther, aber auch Eber-
hard Weise bewarben sich
und bekamen je eine Stel-
le, Walther als Posaunist
und Weise als Pianist. Ein
Vierteljahr leitete noch
Gerhard Kneifel die Band,
bevor Walter Eichenberg
schließlich die Leitung
übernahm und das Orches-
ter wieder zu einer der an-
gesehensten Big Bands
entwickelte. Bis zur Auflö-
sung des Klangkörpers
1992 war Walther 1. Solo-
posaunist desselben und
hatte dabei viele Möglich-
keiten, Arrangements und
Kompositionen für das Or-
chester zu schreiben. Es
war eine Festanstellung
mit guten Konditionen.
1990 übernahm er bis
2006 eine Lehrtätigkeit als
Dozent an der Musikhoch-
schule in Dresden und
1993 in Leipzig. Somit
konnte er seine musikali-
schen Erfahrungen auf die-
se Weise vielen Schülern
auf den unebenen Weg ei-
nes Musikerlebens mitge-
ben. „Anfänglich dachte
ich, dass mir diese Aufga-
be überhaupt nicht liegt.
Aber ich bin da reinge-
wachsen. Ich habe in
Dresden zunächst nicht
Posaune unterrichtet, son-
dern Arrangieren. Als ich
nämlich begann, fiel der
Lehrer fürs Arrangieren
aus. Man fragte mich, ob
ich nicht Lust hätte, das zu
übernehmen, was ich gern
tat. Erst zwei Jahre später
habe ich dann auch Po-
saune unterrichtet.“ Trotz-
dem sieht er sich nicht
ausschließlich als Arran-
geur. „Als Posaunist habe
ich überlebt. Aber die Sa-
chen, die ich arrangiert
habe, die schlummern fast
alle im Archiv.“ Auf die
Frage, welche Stücke er
gern spielt, nennt Walther
sein Arrangement
„Samarium“. „Ich habe in
der Rundfunk Big Band in
Berlin ausgeholfen, mit
der wir nach Kopenhagen
gefahren sind. Da habe ich
diese Komposition für So-
loposaune geschrieben.
1987 habe ich mit Jiggs
Whigham es nochmal
zweistimmig aufgenom-
men. Das ist ein Stück, das
ich oft gespielt habe, auch
mit dem Jugendjazzorches-
ter Sachsen.“ Hier war er -
auch wieder mit Eberhard
Weise - von 1993 bis 2003
tätig und leitete die Regis-
terproben für das Blech.
S e i t e 4 J u s t F o r S w i n g G a z e t t e
Henry Walther war immer
swingender Tanzmusik
und dem modernen Jazz
zugeneigt, schrieb wunder-
bare Arrangements und
Kompositionen und war
ein Posaunist für alle Fäl-
le, der in unterschiedlichs-
ten Besetzungen des mo-
dernen Jazz vor allen Din-
gen im Leipziger und
Dresdner Raum zu hören
war. Weggefährten be-
schreiben ihn als ruhigen,
sich nie in den Vorder-
grund drängenden Musi-
ker, „der zuverlässig sein
Ding machte―. Seine hohe
Kunst des Posaunenspiels,
die überragenden Fähig-
keiten als Arrangeur, ver-
bunden mit einem beschei-
denen Wesen brachte ihm
die uneingeschränkte Ach-
tung seiner Kollegen ein.
Nach 47 Jahren Leben in
der Großstadt zog sich
Henry Walther vor einigen
Jahren ins beschauliche
Erzgebirge zurück, spielt
zur privaten Erbauung
auch schon mal in einem
Blasorchester mit, hat sich
wieder der Bratsche zuge-
wandt und bleibt immer
abrufbereit, wenn es gilt
dem Jazz zu frönen. In der
Big Band der Robert Schu-
mann Philharmonie Chem-
nitz spielt er seit 5 Jahren,
kommt gern mit jungen
Leuten zusammen und
verfolgt somit, was aktuell
auf der Jazzszene passiert.
Die Großstadt fehlt ihm al-
lerdings nicht unbedingt.
Aber ganz loslassen kann
er trotzdem nicht. Zumin-
dest zu seinem 80. Ge-
burtstag werden ihm ehe-
malige Schüler und Weg-
gefährten auf ihre ganz be-
sondere Weise gratulieren,
mit einer zünftigen Jam
Session am 28. Juni im
„plan b“ in Leipzig.
Zitate:
Telefoninterview 11. 04. 2013
Bescheiden und vielseitig – der Posaunist Henry Walther wird 80
-
Das muss man sich mal vorstellen! Die Karte
für ein Konzert kostete damals 10 Mark. Das
Geld dafür hatte ich ein halbes Jahr zuvor
begonnen, zusammen zu sparen. Immer
wenn ich ein Trinkgeld von Kunden bekam,
legte ich das zurück. Wenn ich Zigaretten
geschenkt bekam, rauchte ich die nicht selber
sondern verkaufte die weiter. Dann leistete
ich mir endlich eine Karte. Aber nicht ir-
gendeine! Ich kaufte eine Karte in der ersten
Reihe Mitte. Wenn das meine Mutter erfah-
ren hätte, ich glaube, die hätte mich rausge-
schmissen! Dann hatte ich noch was. Mein
Vater hatte mir eine alte Schmalfilmkamera
hinterlassen und ich kaufte mir auch noch
einen Film, Umkehrfilm, der damals ziem-
lich teuer war. Ich wollte das ganze Konzert
aufnehmen, aber das wurden dann nur 7
Minuten. Das Konzert ist mir bis heute un-
vergessen. Diese Menschlichkeit, die er aus-
strahlte, das Charismatische seiner Person
war unbegreiflich. Das war das erste Mal,
dass ich ihn gesehen habe und das war un-
vergesslich. Wir hatten damals ja noch kein
Fernsehen. Wenn wir damals ins Kino ge-
gangen sind, haben wir ja noch ein halbes
Jahr hinterher über den Film gesprochen. Wir
waren noch nicht so übersättigt, wie die
Menschen heutzutage. Da kann man etwa
begreifen, wie das Konzert auf uns gewirkt
hat. Es dauerte aber noch eine Weile bis ich
ihn persönlich kennen lernte. Das war im
Februar 1959. Ich besaß schon ein altes Au-
to, ich war mittlerweile selbstständiger Han-
delsvertreter und mir ging es auch schon
finanziell besser, so dass ich mir für beide
Konzerte Karten leisten konnte. Louis spielte
ja immer zwei Vorstellungen und die Leute
warteten vergeblich, dass er mal ein falschen
Ton spielte. Das Auto hatte ich schön am
Sportpalast geparkt, und als die zweite Vor-
stellung zu Ende war, dachten wir, dass er ja
irgendwann rauskommen muss. Und so war
es auch. Louis stieg mit seinen Musikern in
irgend so eine Limousine und ein Freund von
mir und ich stiegen in unseren alten VW. So
fuhren wir ihm ins Hotel Berlin in der Kur-
fürstenstraße nach. Das Hotel gibt es heute
noch. Es war auch glücklicherweise gleich
fast um die Ecke. Bevor wir einen Parkplatz
gefunden hatten, waren Louis und seine Mu-
siker allerdings schon im Hotel. Wir kamen
also ins Foyer gestürzt und sahen nur noch,
wie sich der Fahrstuhl langsam schloss und
Louis und seine Musiker sich darin befanden.
Wir rannten nun durch die Lobby mit unse-
ren Programmen wedelnd. Das sah Louis und
wusste genau warum wir angelaufen kamen.
Er hielt den Fahrstuhl an, kam heraus, mit
ihm seine ganzen Musiker und wir sagten
nun unser Verschen, bedankten uns für das
Konzert. Er gab uns in aller Ruhe Autogram-
DO: Wie bist Du eigentlich zum Jazz ge-
kommen?
WM: Das ist eine lange Geschichte. Ich bin
ja Jahrgang 1935 und in Berlin aufgewach-
sen und das in einer Zeit, die nun wirklich
nicht schön war. Das will ich uns ersparen.
Während des Krieges konnten wir keinen
Jazz hören. Nach dem Krieg kamen ja dann
der AFN und der RIAS (Radio im amerikani-
schen Sektor) mit Musik von Benny Good-
man, Gene Krupa, Tommy Dorsey und
Glenn Miller. Das waren ja nun Töne, die
wir vorher noch nie so vernommen hatten
und im krassen Gegensatz zur gängigen
Marschmusik standen. Meine Mutter be-
zeichnet diese Musik als Urwaldmusik. Und
dann hörte ich Louis Armstrong. Dieses
Trompetenspiel und sein rauer Gesang, der
dazu so im Kontrast stand, faszinierten mich
auf eine Art und Weise, die ich nur schwer
beschreiben kann und zog mich in einen
Bann, der mich mein ganzes Leben beein-
flusst hat. Ich konnte dann auch eine Schall-
platte von Louis auftreiben, die ich solange
gespielt habe, bis die kaputt war. Ich sage
immer, wenn ich Louis nicht kennen gelernt
hätte, wäre mein Leben um vieles ärmer
gewesen. Eine Bekannte vom Louis Arm-
strong House, dem ich nun mein ganzes Ar-
chiv übergeben habe, hat das mal auf den
Punkt gebracht und etwas überhöht formu-
liert: „Louis Armstrong war ein Geschenk
Gottes an die Menschheit.“ Er hat so viel für
Backstage with Louis Armstrong
– Interview mit dem Berliner Sammler und Louis Armstrong Freund Winfried Maier -
S e i t e 5 B a n d 1 , A u s g a b e 1
die Menschen getan. Wenn er die Bühne
betrat, herrschte sofort eine bestimmte Atmo-
sphäre im Raum. Die Leute haben angefan-
gen zu Lächeln. Er war ein echter Charakter,
der mehr für die Menschen getan hat als
mancher Politiker. Da braucht man sich nur
die vielen Filme mit ihm aus allen Ländern
der Erde anzuschauen, um zu verstehen, was
eine universelle Sprache ist. Die Musik.
DO: Wie hast Du Louis nun eigentlich
persönlich kennen gelernt? Eine Freund-
schaft beginnt ja mal irgendwann. WM: Ich zeige Dir zuerst eine Widmung von
Louis und seiner Frau. Nicht das jemand
denkt, ich habe mich selber als seinen Freund
bezeichnet. Sie haben mich beide als Ihren
treuen Freund bezeichnet. Das habe ich
schriftlich (lacht). Bin ich auch stolz drauf.
1952 betrat Louis in Düsseldorf das erste
Mal deutschen Boden. Während dieser Tour
trat er auch im Titania Palast in Berlin auf.
Aber das war für mich unerreichbar, dafür
Karten zu kaufen. Ich war Halbwaise, meine
Mutter hatte kein Geld. Wir waren wirklich
arm. Eine Eintrittskarte war da nicht drin.
Das Konzert habe ich mir dann später be-
sorgt und es befindet sich jetzt in meiner
Sammlung. Selbst habe ich ihn im Konzert
das erste mal 1955 im Sportpalast in Berlin
erlebt. Das war ja die Hauptspielstätte für
solche Konzerte damals. Da trat er u.a. mit
dem Klarinettisten Edmond Hall auf. Ich war
damals noch ein Lehrling und verdiente nicht
allzu viel. Ich bekam 30 Mark im Monat.
Winfried Maier im Louis Armstrong Zimmer seiner Schöneberger Wohnung in Berlin
-
me. Wer würde das heute
noch machen? Das war schon
irgendwie sehr rührend. Die
anderen haben auch unter-
schrieben, Velma Middleton,
Trummy Young, Billy Kyle.
Dann kam er im Mai 1959
wieder nach Berlin. Da hatte
er Filmaufnahmen, die er in
den CCC Studios in Berlin
machte. Da ist auch der Titel
„Uncle Satchmos Lullaby“
entstanden. Ich las in der
Zeitung, dass er noch einige
Tage in Berlin zu tun hätte
wegen dieser Filmaufnahmen.
Da habe ich mir gedacht, dass
er wieder im Hotel Berlin
wohnen würde. Ich ging los,
um ein Geschenk zu kaufen.
Das war so ein Berliner Bär
mit Plastikverpackung. Ich
nahm also meine ganzen
Schallplatten und schrieb
noch einen netten Brief und
ging damit zum Hotel ohne
Hoffnung, dass daraus etwas
werden würde. Als ich der
mir wohlgesonnenen Dame
an der Rezeption mein Anlie-
gen vortrug, griff die zum
Hörer und rief Louis in sei-
nem Zimmer an. Ich sollte
hochkommen, sagte sie zu
mir und nannte mir die Zim-
mernummer. Nun stellen sie
sich das mal vor. Jetzt ging
mir aber die Muffe. Ich muss-
te meinen ganzen Mut zusam-
men nehmen, der mich zu
verlassen anfing und bin
dann rauf zu Louis. Es ist so
viel in meinem Leben pas-
siert. Aber davon vergesse ich
keine Sekunde. Als ich an
seinem Zimmer klopfe, geht
die Tür auf und er steht so vor
mir, wie man das von einigen
Bildern kennt. Mit Bademan-
tel und einem geknoteten
Taschentuch auf dem Kopf.
Er klopft mir auf die Schul-
tern und bedeutet mir, herein-
zukommen, wo schon ein
paar seiner älteren Fans und
Bewunderer, die er schon aus
der Zeit vor dem Krieg kann-
te, saßen. Ich war sozusagen
der Youngster unter denen.
Da habe ich nun wieder mein
Verschen aufgesagt, wie toll
ich das Konzert gefunden
habe und so weiter. Vom
ersten Moment an stimmte
die Chemie zwischen uns.
Das war der 27. Mai 1959
und sein letzter Tag in Berlin,
bevor es für ihn weiterging.
Der Diener packte seine Le-
dertaschen zusammen und ich
staunte über alles und jede
Kleinigkeit und war über-
glücklich, meinem Idol so
nahe zu sein. Aber der Höhe-
punkt sollte noch kommen.
Mein Besuch muss ihn so
beeindruckt haben. Am
nächsten Tag zu Hause höre
ich plötzlich ein sonderbares
Geräusch beim Posteinwurf.
Auf dem Boden lag ein dicker
Umschlag vom Hotel Berlin
an mich adressiert. Und darin
befand sich eine Kassette mit
einem Tonband und mit dem
Mitschnitt „Uncle Satchmos
Lullaby― mit der kleinen
Gabriele von ihm handschrift-
lich an mich signiert. Die
Platte war noch nicht veröf-
fentlicht, der Film war noch
nicht raus, gerade erst produ-
ziert und ich hatte schon das
erste Exemplar! Darin war
auch ein Brief, den ich heute
noch besitze. Naja und da
begann so eigentlich unsere
Freundschaft. Ich war der
Jüngere, er hatte keine Kinder
und ich habe mir immer ein-
gebildet, so ein Vater möch-
test du haben.
DO: Woher wusste er Deine
Adresse?
WM: Naja, ich war ja so
schlau und hatte an mein
Geschenk an ihn einen Zettel
mit meiner Adresse mit dran
geschrieben. Ja und so be-
gann eine lebenslange
Freundschaft. Wann immer er
in Berlin war, trafen wir uns
dann. Wenn seine Musiker in
die zur Verfügung gestellte
Limousine stiegen, um zum
Konzert zu fahren, stieg
Louis in meinen klapprigen
VW. Am Flughafen standen
unzählige Leute, um ihn zu
begrüßen. Er kam auf mich
zu und wusste sogar noch
meinen Namen „Hallo Win-
fried―.
DO: Wie oft habt ihr euch
getroffen?
Jedes Mal, wenn er in den
50ern in Berlin war, holte ich
ihn vom Flughafen ab. Da
durfte man ja noch bis zur
Gangway gehen, was heute
unvorstellbar ist. Einmal traf
ich ihn dann noch vor dem
Mauerbau in Berlin 1961. Da
spielte er in der Deutschland-
halle. Ich holte ihn wieder
vom Flughafen ab, war die
ganze Tournee dabei. Ich
wurde zum Essen mit einge-
laden. Er aß ja gern Eisbein
und Sauerkraut und liebte das
deutsche Bier. Das Konzert
war im Februar 1961.
Deutschland hatte Ausver-
kauf vor dem Mauerbau. Das
war eine verrückte Zeit.
Dann kam er noch mal im
Oktober des Jahres 1961 zur
weltberühmten Ed Sullivan
Show in den Sportpalast. Da
machte man eine Sendung für
die alliierten Soldaten Die
war ja nur für die amerikani-
schen Soldaten zugänglich.
Andere kamen ja da nicht hin.
Nur ich hatte mit Louis Zu-
tritt. Das war eine tolle Sache.
Da hat er wieder im Hilton
Hotel (heute Hotel Interconti-
nental) gewohnt. Dann war er
ja noch mal in Berlin 1965.
S e i t e 6 T i t e l d e s M a g a z i n s
Allerdings im Ostteil und da durfte
ich ja witzigerweise nicht hin, was
ich sehr bedauert habe, denn das
wäre die letzte Möglichkeit gewe-
sen, Louis zu begegnen. Er hat
mich auch oft nach Corona einge-
laden. Aber nun muss man wissen,
dass ein Flug damals sehr viel
Geld gekostet hat und das konnte
ich mir nicht leisten. 1962 war
unsere letzte Begegnung von An-
gesicht zu Angesicht. Da haben
wir uns in Berlin im Hotel Schwei-
zer Hof das letzte Mal getroffen.
Korrespondiert haben wir bis zu
seinem Tod.
DO: Wann hast Du angefangen
zu sammeln?
WM: Das begann ja mit der schon
erwähnten Kassette 1959. Ich habe
alles, was ich von ihm erhalten
habe, aufgehoben. Damals hat man
die Briefe, über die ich mich zwar
unsäglich gefreut habe, so wie
vieles andere eben auch gelesen.
Aber im Rückblick lese ich die
Winfried Maier als Ehrengast zur Einweihung des Louis Arm-
strong House in Corona, Queens in New York am 15.10.2003
-
nun ganz anders – auch was so zwi-
schen den Zeilen geschrieben steht, ist
sehr interessant. Wir schreiben uns
viele Briefe. Immer wenn eine neue
Schallplatte von ihm rauskam, habe ich
die signiert von ihm erhalten. Ich habe
zudem viele Filmaufnahmen und Fotos
gemacht, die Louis zum Teil aus einem
ganz anderen Blickwinkel zeigen. Mir
kommen heute noch oft die Tränen,
wenn ich an so manche Episode denke.
Ich habe mich um viele andere Musi-
ker bemüht, die ich kennen lernen
durfte. Aber nie kam so eine Reaktion
zurück wie von Louis.
DO: Hast Du darunter irgendwelche
Lieblingsaufnahmen in Deinem Ar-
chiv?
WM: Von meinen privaten Aufnahmen
schaue ich mir immer wieder den
Empfang in Tempelhof an 1961. Das
waren die ersten Farbaufnahmen, die
ich machen konnte. Wir haben da im-
mer eine Band zusammengestellt, die
Louis am Flugzeug mit Jazz begrüßte.
Das ist heute alles nicht mehr vorstell-
bar. Aber auch befinden sich in meiner
Sammlung Aufnahmen, die kaum in
der Öffentlichkeit bekannt sind. Sehr
schön darunter seine Mitwirkung in
der Sendung „What’s My Line?― aus
den 50er Jahren in New York. In
Deutschland gab es dann später eine
ähnliche Sendung, die „Das heitere
Beruferaten― hieß. Aber auch die Auf-
nahmen aus dem Jahr 1957 im Disney-
land sind etwas ganz besonderes, als er
wieder mit seinem Posaunisten aus der
Zeit der Hot Seven Kid Ory zusam-
mentrifft. Berührend auch die Aufnah-
me des St. Louis Blues mit den New
Yorker Philharmonikern unter Leitung
von Bernstein und in der ersten Reihe
W.C. Handy sitzend, der damals schon
erblindet war. Was für eine Geschich-
S e i t e 7 B a n d 1 , A u s g a b e 1
te.
DO: Was umfasst alles das Archiv noch,
welches Du demnächst nach New York
geben wirst?
WM: Also, ich habe 1955 angefangen mit
einer alten 8mm Kamera selber zu filmen
begonnen. Dann habe ich angefangen, mein
ganzes Material zusammenzustellen und
habe das chronologisch aufgearbeitet. Das
ist auch die Arbeit insgesamt drin, die er in
Deutschland gemacht hat, aber speziell
auch in Berlin. Das hat mich immer beson-
ders interessiert. Er hat ja hier in vielen
Filmen mitgewirkt. Auch diese Filme habe
ich alle nachträglich besorgt. Auch viele
private Aufnahmen sind dabei, wie wir in
Berlin auf dem Flughafen Bier trinken.
Dann war er ja in Berlin zu Filmaufnahmen
für die weltbekannte Ed Sullivan Show. Da
habe ich ihn hingefahren und gefilmt dabei.
Da wirkte er ja nicht nur alleine mit, son-
dern viele Filmschauspieler. Da er hier
nicht die ganze Show machen musste, war
er natürlich am entspanntesten. Dabei sind
mir meiner Meinung nach die Besten Auf-
nahmen gelungen, wie Louis Backstage
seine Trompete warm spielt und improvi-
siert, wie man das auf der Bühne niemals
gehört hat. Das war für mich das Beeindru-
ckenste überhaupt, dass er mir gestattete,
das alles zu filmen. Diese Szenerie, eine
einfache Garderobe oder besser ein mieses
Loch, der Spiegel an der Wand eine alte
Funzel darüber, auf dem Tisch alle seine
Fläschchen und Wässerchen, seine deutsche
Lippensalbe! Und dann dieser Ton. Das
war mir schöner als das ganze Konzert, was
der da so spielte, was er in seinem Kopf an
Ideen hatte, das war unglaublich. Ich hätte
mich auf den Boden werfen können. Die
Stücke kannte ich ja alle, aber das, was er
da spielte, hatte ich noch nicht gehört. Ja,
das und alle Briefe, Fotos usw. gehen nach
New York.
DO: Fällt es Dir schwer, Dein Archiv
wegzugeben?
WM. Ja, sehr. Aber man kann ja nichts mitneh-
men, wenn Du weißt was ich meine. Leider habe
ich niemanden, der das weiterführen würde. So
dachte ich, dass das Louis Armstrong House &
Archive der richtige Platz für meine Sammlung
ist. Der Leiter Michael Cogswell hat mir versi-
chert, dass es Hunderte Jahre existieren wird.
Und so kommt es an seinen angestammten Platz
wieder zurück. Von den wichtigsten Dingen habe
ich mir allerdings Kopien gemacht.
DO: Du bist zur Eröffnung des Louis Arm-
strong House & Archive am 15. Oktober 2003
dort das erste Mal gewesen.
WM: Ja als Ehrengast, und die haben mich wie
einen König behandelt. Da gibt es ein interessan-
tes Bild, als wir auf dem Friedhof in Flushing am
Grab von Louis sind. Ich knie vor dem Grab und
blicke so auf den Grabstein und erst im entwi-
ckelten Bild sehen wir mein sich spiegelndes
Gesicht und im Hintergrund Michael Cogswell,
der sich abgewendet hinstellt, um mir den Au-
genblick ganz allein zu überlassen. Die Leute im
Louis Armstrong House sind schon sehr in Ord-
nung und wussten, was das für mich bedeutete..
Als ich dann in mein Hotel nach Manhattan zu-
rückfuhr, stand eine lange Limousine vor dem
Haus für mich allein, welche die Leute vom
Louis Armstrong Haus bestellt hatten und ich
dachte in diesem Moment an unseren kleinen
VW, mit dem wir damals in Berlin gefahren sind.
Da kommen so viele Erinnerungen hoch. Das
war für mich schon ein sehr bewegender Mo-
ment, nach so vielen Jahren am Grab meines
Freundes zu stehen. Als Louis 1971 gestorben
ist, hätte ich nicht mehr trauern können, als wenn
mein Vater verstorben wäre, den ich ja nun leider
nicht weiter kennen gelernt hatte. Aber ich habe
immer so für mich gedacht, wenn ich mir einen
Vater wünschen könnte, dann sollte das ein
Mensch wie Louis sein.
DO: Bekommst Du eine Entschädigung für
deine Sammlung? Für die Sammlung von
Jack Bradley hat man ja eine ganze Menge
Geld bezahlt.
WM: Nein. Ich gebe es kostenlos ab. Ich hatte
vor vielen Jahren einen Freund, der das Archiv
schätzte. Er sagte zu mir, wenn er es kaufen
könnte, würde er mir 20.000 Euro geben können,
weil das alle ist, was er bezahlen kann. Aber es
wäre um ein Vielfaches mehr wert. Ich bin froh,
wenn es in gute Hände kommt und dahin zurück-
kehrt, wo es herkommt. Manchmal bin ich etwas
abergläubisch und denke mir, das er (Louis) von
oben zusieht und mir wie ein Schutzengel ist. Da
gäbe es vieles zu erzählen. Nein, also ich möchte
dafür nichts haben. Ich habe so viele schöne
Erlebnisse gehabt. Das kann kein Geld der Welt
aufwiegen. Wichtiger erscheint mir, das Erbe zu
bewahren und an eine jüngere Generation weiter-
zugeben.
F o t o s : P r i v a t a r c h i v W i n -
f r i e d M a i e r m i t f r e u n d l i -
c h e r G e n e h m i g u n g v o n
W i n f r i e d M a i e r
Winfried Maier am Grab seines Freundes auf dem Flushing Cemetry in Corona,
Queens in New York am 15.10.2003. Foto: Michael Cogswell
-
Am 30. April wurde die Wan-
derausstellung GERMAN
JAZZ/ DEUTSCHER JAZZ
des Jazzinstituts Darmstadt
mit einer lebendigen Vernis-
sage an der Mittelschule Por-
titz in Leipzig eröffnet. Ne-
ben Schülern der Schule wa-
ren zahlreiche Gäste, darunter
viele Jazzfreunde und Musi-
ker aus Leipzig, gekommen.
Nach einem Grußwort durch
die Schulleiterin Frau Rau-
schenbach eröffnete der Initi-
ator des Projektes Herr Ott
mit einer Laudatio die Aus-
stellung, in der die Bedeutung
der Vermittlung der Sozialge-
schichte des Jazz in Schulen
hervorgehoben, der inhaltli-
che Bezug zur Ausstellung
verdeutlicht und in einem
kurzen Überblick die wech-
selhafte Geschichte des Jazz
in Deutschland und seiner
Rezeption in der Gesellschaft
umrissen wurde.
Zugleich wurde die Fotoaus-
stellung „The spirit of Jazz―
des Leipziger Jazzfotografen
Steffen Pohle vorgestellt,
welche die Vielfalt der Leip-
ziger Jazzszene mit beeindru-
ckenden Fotos dokumentiert.
Seit vielen Jahren ist er mit
seiner Kamera zu Jazzfesti-
vals und Konzerten unter-
wegs. Die Leipziger Jazzsze-
ne ist ihm besonders ans Herz
gewachsen.
Beide Ausstellungen ergän-
zen sich auf wunderbare Wei-
se und fügen sich in das Pro-
jekt des Neigungskurses Jazz
ein, dem die Dauerausstel-
lung „Louis Armstrong – ein
Leben für den Jazz― des US
Konsulats in Leipzig und die
vom Neigungskurs gestaltete
Ausstellung „Jazz in Leipzig―
zugrunde liegt.
Im weiteren Verlauf begeis-
terte die jüngste Jazzband
Leipzigs (wenn nicht sogar
Deutschlands) „The Jazzkids―
unter der Leitung des renom-
mierten Saxofonisten Reiko
Brockelt, der auch zu den Ini-
tiatoren des bundesweiten
Kinderjazzfestivals in Leipzig
gehört, die Zuhörer mit mo-
dernen Arrangements von
Kenny Dorham, Lee Morgan,
Herbie Hancock bis hin zu
Kompositionen von Brockelt
selbst. Anton Breuer
(Trompete), Celina Swat
(Saxophon), Julius Kronfeld
(Schlagzeug), Emilian Tsuba-
ki (Bassgitarre) und Christian
Hartung (Klavier) fanden
sich im Oktober 2011 in der
Leipziger Bandschule zusam-
men. Bereits einen Monat
später konnte man diese jun-
ge Band, deren Mitglieder da-
mals zwischen 10 und 12 Jah-
re alt waren, zu den Universi-
tätsmusiktagen in Leipzig er-
leben. Weitere Höhepunkte
waren die Auftritte beim in-
ternationalen Wettbewerb
„Swinging Saxonia“ und dem
4. Kidsjazz L.E. Ältere Zu-
hörer, wie der 92jährige Gi-
tarrist Thomas Buhé hatten
beim Anblick der mit kleinen
Improvisationen aufspielen-
den Kids Tränen der Freude
in den Augen. Um die Zu-
kunft des Jazz braucht man
sich also nicht sorgen. Mit
viel Beifall und der Hoffnung
auf ein weiteres Konzert wur-
de der Auftritt der Jazzkids
bedacht.
Das „Kontrastprogramm― bil-
dete die Swingformation jazz
erst recht um den Trompeter
Volker Stiehler, in der einige
seit über vierzig Jahren aktive
Amateure der Leipziger Jazz-
szene spielen. Die Band fand
sich vor einem Jahr in dieser
Formation zusammen und
zeigte auf sympathische Wei-
se, dass man freudvoll im ho-
hen Alter aufspielen kann und
dass Musik jung hält. Stan-
dards des traditionellen Jazz
im swingenden Gewand er-
freuten die Zuhörer und bil-
deten einen lebendigen Ab-
schluss der Vernissage.
Neben den Konzertteilen
wurden den Schülern unter-
schiedliche kurze Jazzfilme
zur Auswahl angeboten, die
einen thematischen Bezug zur
Ausstellung hatten und rege
besucht wurden.
Die Veranstaltung, mit der
ebenso der von der UNESCO
festgelegte Welttag des Jazz
geehrt werden sollte, kann
man in Anbetracht der loben-
den Worte aller Besucher im
Anschluss an den Nachmittag
als vollen Erfolg werten,
Impressionen der Ausstellungseröffnung Deutscher Jazz/German Jazz vom 30. April 2013
-
S e i t e 9 B a n d 1 , A u s g a b e 1
der mit einem portablen Aufnahmegerät
Billie Holiday aufzeichnete und dann in
seiner Sammlung verstaute, alternative
Aufnahmen von Studiositzungen und
vieles mehr finden sich in dieser 48 Ti-
tel umfassenden Fundgrube von Louis
Armstrong, Cab Calloway, Billie Holi-
day, Fats Waller, Coleman Hawkins
usw. Durch akribische Restaurierung
klingen die meisten Aufnahmen er-
staunlich dynamisch und klar. Wie es
sich für eine wissenschaftliche
Aufarbeitung gehört, ist der CD
ein 30seitiges englischsprachiges
Booklet mit seltenen Fotos, de-
taillierten Informationen und al-
len ermittelten diskografischen
Angaben über die Musiker und
deren Aufnahmen beigefügt.
Jazzfreunde, die sich für span-
nende Geschichten um den Jazz
in seinen frühen Jahren interes-
sieren, sich gern von bis heute
unentdeckten Perlen dieser Zeit
überraschen lassen, werden ihre
große Freude haben. Die CD ist
über die Webseite der Stiftung
erhältlich:
www.doctorjazz.nl
Die holländische Stiftung Doctor Jazz feiert in diesem Jahr ihr 50jähriges Be-
stehen. Seit ihrer Gründung wid-
met sie sich der historischen Auf-
arbeitung des klassischen Jazz der
ersten Hälfte des vergangenen
Jahrhunderts. Zum Jubiläum stell-
te die Stiftung eine Doppel-CD
mit seltenen Aufnahmen zusam-
men, die aus privaten Sammlun-
gen stammen und von denen die
meisten nie zuvor veröffentlicht
wurden. Sammler, die glauben
von Louis Armstrong alles zu be-
sitzen, werden erstaunt sein, Auf-
nahmen zu entdecken, die selbst
in der ausführlichen Diskografie
„All of me“ von Jos Willems
nicht zu finden sind. Testpressun-
gen (air checks), Werbeaufnahmen, die
für Radioübertragungen produziert und
später im Archiv abgelegt wurden, pri-
vate Mitschnitte eines Jazzliebhabers,
Entdeckte Schallplattenraritäten auf CD
Die Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin lud zur Buchpremiere im ehe-
maligen 1946 gegründeten berühmten
Künstlerclub "Die Möwe" ein. Gerhard
Klußmeier aus Hamburg stellte sein
Buch „Vom Wirtschaftswunder-Erfolg
über die DDR ins Nichts" über Gestat-
tungsproduktionen in der ehemaligen
DDR vor. Im konkreten Fall ging es um
Kaugummi der Marke OK für Pinne-
berg, der in Bernburg hergestellt wurde.
Den musikalischen Rahmen besorgte
JUST FOR SWING aus Leipzig und
lockerte damit die kurzweiligen Inter-
views um materielle Zusammensetzung
von Kaugummis usw. auf. Die Einla-
dung einer Jazzband begründete der
MDR-Moderator Stephan Schulz damit,
dass Kaugummi und Jazz irgendwie die
Freiheit symbolisieren und somit eng
zusammenhängen. Bläser können dieser
Argumentation sicher nicht ganz folgen,
aber es soll auch Kaugummikauende
Saxophonisten geben. Bei der Vorstel-
lung der Band erwähnte Schulz, dass
alle Bandmitglieder irgendwelche Wur-
zeln in Sachsen Anhalt haben, um den
Auftritt einer Leipziger Band zu recht-
fertigen, was Schlagzeuger Gerd Mucke
mit der erstaunt gestellten Frage: „Was
soll ich haben, Wurzeln in Sachsen-
Anhalt?“ quittierte. Die zahlreichen
Gäste aus Berlin und anderswoher be-
dachten den Auftritt der Band mit viel
Beifall. Im Anschluss kommentierte ein
Gast den Auftritt: „Ich hätte nicht ge-
dacht, eine so locker, leicht swingende
Band aus Leipzig hier zu hören.“
Just For Swing in Berlin
http://www.doctorjazz.nl
-
IMPRESSUM
Herausgeber
JUST FOR SWING GAZETTE
Just For Swing ist eine Non-Profit Organisation zur
Verbreitung des Swing Virus
Redaktion: Detlef A. Ott
Mitarbeiter dieser Ausgabe: Peter Colev, Volker Stiehler
Telefon: 0341 5 61 43 62
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Die Gazette erscheint einmal vierteljährlich und ist ein
Magazin, welches durch ehrenamtliche Mitarbeiter
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besteht keine Rückgabepflicht. Alle Beiträge sowie das
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Nächste Ausgabe erscheint im September 2013
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DIVERSE AUFTRITTSTERMINE
JUST FOR SWING (Leipzig) http://just-for-swing.de.vu
08. Juni 2013 Polenz — Kulturfest
14. Juni 2013 Kunstverein ―Talstrasse e.V. Halle/Sa.
06. Juli 2013 Parkschlösschencafé Brandis, Bahnhofststr. 22 15.00 bis 18.00 Uhr
8. Juli 2013 Festveranstaltung im Sächsischen Landtag
HOT & BLUE JAZZ BAND (Meerane) http://hot-and-blue-jazz-band-meerane.de/
23.06.2013 17.00 Uhr Konzert im Renaissanceschloss, 04639 Ponitz bei Meerane
07.09.2013 18.00 Uhr Kunstnacht im Rittergut, Schlossallee Lichtenwalde, 09577 Niederwiesa
08.09.2013 18.00 Uhr Konzert in der Lukaskirche
13.10.2013 17.00 Uhr Konzert in der Emmauskirche
JAZZ ERST RECHT (Leipzig) 25.08.2013 11:00
Frühschoppen im Hopfenspeicher
31.08.2013 14:00
100 Jahre Marienbrunnen / Arminiushof
28.12.2013 18:00 Waldschänke Reudnitz Gasthof Pelzer
Jeden Freitag ab 20.00Uhr Jazz Session
im Papa Hemingway | Münzgasse 1, Leipzig
check it out!
Billie Holiday, die eigentlich Eleanor Gough MyKay hieß, wurde von Freunden Lady Day genannt. Sie verstarb am 17. Juli 1959. Die Leipziger Jazzpianistin Jutta Hipp widmete ihr dieses Gedicht. (Archiv Hot Geyer)