Brauchen wir eine friedensethische Neuorientierung?
Einführung in die friedensethische Diskussion in der Evangelischen Landeskirche in Baden
Theodor Ziegler, 26.11.2012
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Wenn Christen über Krieg und Frieden nachdenken
• 1. Friedenstheologie
• 3. Friedensarbeit /Friedenspolitik
26/11/2012
• 2. Friedensethik
Was würde Jesus dazu sagen?
(Martin Niemöller)
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Biblische Friedenstheologie
Jesus (Mt 5-7):• Selig sind die Sanftmütigen
und Friedensstifter …• Liebe deinen Feind – auch er
ist ein Kind Gottes (Bruder/Schwester)
• Widerstrebe dem Bösen nicht (mit Bösem).
• Versetze dich in den von deinem Verhalten Betroffenen, wage du den ersten Schritt (Goldene Regel).
• Nur ein guter Baum bringt gute Früchte (Ziel-Mittel-Relation)
Paulus (Rö 12):• Das Böse kann nicht durch das Böse,
sondern nur durch das Gute überwunden werden.
• So viel an uns Christen liegt, sollen wir mit allen Menschen Frieden halten.
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Gilt dies nur im Privatbereich oder auch für das Zusammenleben der Völker?
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Kirche ab dem 4. Jh. bis in die Gegenwart (Konstantinisches Zeitalter)
„In diesem Zeichen (Kreuz Jesu) wirst du siegen“ Kriegsgegner wurden verfolgt, exkommuniziert, im Stich gelassen.
EKD seit 2007: Gewaltfreiheit ist die vorrangige Option – jedoch kann auf Militär als ultima ratio nicht verzichtet werden.
Kirchliche FriedensethikUrchristenheit
Nachfolge Jesu und Kriegs-dienst schlossen sich aus.
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Kirche auf dem Weg des Friedens – ab wann?
Ächtung jedes Krieges, auch wenn er humanitär begründet wird
Gewaltfreiheit ist die einzige Option in der Nachfolge Jesu
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Lehre vom „gerechten“ Kriegnach Augustin und Thomas von Aquin
Recht zum Krieg
• gerechter Grund• rechtmäßige Autorität
erklärt den Krieg• gerechte Absicht:
Frieden• allerletzter Ausweg• Aussicht auf Erfolg
Recht im Krieg
• Zivilisten verschonen• Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit
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Nur bei Erfüllung aller
dieser Kritierien war eine
Kriegsbeteiligung für
Christen gerechtfertigt!
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Die Lehre vom „gerechten“ Krieg
• sollte die Kluft zwischen dem Evangelium des Friedens
und römisch-christlicher Militärpolitik über- brücken
• verhinderte jedoch keinen einzigen Krieg
• hinderte auch die protestantischen Kirchen nicht, zu allen Kriegen seit der Reformation bis Afghanistan ihre Einwilligung zu geben
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Die Lehre vom « gerechten » Krieg kann allenfalls für die Begrenzung polizeilicher Gewalt sorgen.
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Frage
Wenn schon die Androhung der Rettungsfolter (z.B. im Fall der Entführung von Jakob Metzler, 2002) strafbar ist, müsste dann nicht erst recht der humanitär begründete Kriegseinsatz verboten sein
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Der Dritte Weg Jesu
• anstelle gewaltsamer Konfliktlösung
• oder passivem Verharren
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Aktive Gewaltfreiheit
Beispiele: Gandhis Befreiungsbewegung in Indien, Martin-Luther-King und die Bürgerrechtsbewegung in USA, DDR-
Bürgerrechtsbewegung, Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika , Freiheitskämpfe in Liberia 2003, Tunesien und
Ägypten 2011
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Gewaltfreiheit – ist auch ein Gebot der Klugheit
„… wer diese meine Rede hört und sie tut, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.“ Jesus in Mt.7
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am Beispiel des aktuellen Bürgerkrieges in Syrien könnte dies heißen:
• sichere Asylangebote für desertierende Soldaten und Piloten
• Unterstützung der direkten Nachbarstaaten bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen
• materielle, finanzielle und politische Unterstützung gewaltfreier Widerstandsgruppen und Zivilinstitutionen in Syrien
• öffentlicher Druck auf Waffenlieferanten• Unterstützung von Verhandlungslösungen• …
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Wirksamkeit gewaltfreier AktionErica Chenoweth u. Maria J. Stephan (USA) werteten 323 Aufstände (105 gewaltfrei, 218 bewaffnet) in Bezug auf ihren
Erfolg/Teil-erfolg/ Misserfolg
ihre Nachhaltig-keit
aus.
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Gewaltfreie Kampagnen im Vergleich zu gewaltsamen Aufständen
• doppelt erfolgreicher (seit 2000 sogar über viermal erfolgreicher)
• schneller am Ziel (durchschnittlich in drei Jahren im Vergleich zu neun Jahren)
• weitaus weniger Tote, Verletzte und Zerstörung (jüngste Beispiele: Tunesien 221 Tote, Ägypten 875 Tote, Libyen 30.000 bis 50.000 Tote)
• nachhaltiger in Bezug auf Friedenserhaltung (nach 10 Jahren nur
28 % Bürgerkriegswahrscheinlichkeit im Vergleich zu 43 %) und Demokratieerhalt (zehnmal höher)
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Français : Manifestation organisée par l'Union générale tunisienne du travail, contre le Rassemblement constitutionnel démocratique.21. Januar 2011, Habib M’henni, Quelle: Wikipedia 19.10.2012
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Gewaltfreie Kampagnen
• beteiligen mit durchschnittlich 200.000 Menschen viermal mehr als bei Bürgerkriegen (ab 10 % Bevölkerungsbeteiligung kein Machterhalt der Herrschenden möglich)
• lassen alle Bevölkerungsgruppen mitwirken (größere Tötungshemmung bei Soldaten, kaum Isolierungsmöglichkeit, Methodenvielfalt)
• bereiten die Demokratie schon vor (weil sie selbst nur demokratisch funktionieren können)Celebrations in Tahrir Square after Omar Soliman's statement that
concerns Mubarak's resignation. February 11, 2011 - 10:15 PM, Quelle: Wikipedia
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Frage
• Wenn schon die bisherigen, zumeist spontan praktizierten gewaltfreien Aktionen wesentlich erfolgreicher sind als gewaltsame, wie sähe es erst dann aus, wenn gewaltfreie Friedensarbeit staatlicherseits mit dem finanziellen und personellen Aufwand vorbereitet und organisiert würde, der bislang dem Militär zuteil wird?
• Der Militärhaushalt der Bundesregierung 2012: 31,7 Mrd. € !
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Das Problem der Gewaltfreiheit ist
• nicht, dass sie nicht funktionierten würdesondern,• dass sie zu wenig angewandt wird.
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politische Machtinte-
ressenwirtschaft-liche
InteressenSicherung der Wohlstands-privilegien
militärische Traditionen
mögliche Ursachenpolitische
Machtinte-ressen
politische Machtinte-
ressen
politische Machtinte-
ressen
kulturell-religiöse
Überlegenheits-gefühle
Unkenntnis über die Wirkung gewaltfreien
Handelns
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Wir sind Teil eines Gerechtigkeitsproblems
• Wenn alle Menschen so lebten wie wir Deutsche, bräuchte es 2 bis 3 Erden.
• Der weltweite CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr: – 4 t auf jeden Erdenbürger– 11 t jeder Deutscher– 20 t jeder US-Amerikaner – 2,5 t wären klimaverträglich
• Prophet Jesaja (32,17): Frieden ist die Frucht der Gerechtigkeit.
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Und was machen wir gegen Kriminelle wie Terroristen, Mafia usw.?
• generell: für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen • rechtsstaatliche Polizei, auch auf höheren Ebenen
(z.B. EU oder UNO), die sich aus BeamtInnen aller Mitgliedsländer zusammensetzt
diese – jedoch kein Militär – lässt sich auch mit Paulus begründen. (Rö 13)
• zwischen ziviler Gewalt (persönl. Notwehr/hilfe und Polizei) und militärischer Gewalt gibt es wesentliche Unterschiede:
26/11/2012
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persönliche Notwehr/- rechtsstaatliche Polizei
Vergleichs-punktI
militärische Gewalt
- überschaubar - eigene Lageeinschätzung möglich
Situations-erkennung
- auf Informationen angewiesen, - Kriegspropaganda
Problemverursacher (z.B. kriminell, krank,
fanatisch, unzurechenbar)
Gegner Soldaten, freiwillig oder durch Wehrpflicht
gezwungen
Waffen im nichttechnischen Sinne (Hände, zufällig vorhandene Gegenstände, einzige Ausnahme: Polizeiwaffe)
Mittel - spezielle, hochentwickelte
Vernichtungsapparaturen, deren Vorhandensein konfliktbegünstigend wirkt und deren Produktion lebensnotwendige
Finanzmittel vernichtet
- Abwendung einer unmittelbaren Bedrohung - Durchsetzung des Rechts
Ziele
- Einschüchterung oder Ausschaltung des Gegners - territoriale Eroberungen - dem Gegner eigenen Willen aufzwingen
1926/11/2012
persönliche Notwehr/-hilfe u. rechtsstaatliche Polizei
Vergleichspunkt militärische Gewalt
- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel- Rücksicht auf Unbeteiligte- absolutes Folterverbot
Prinzipien - der Zweck heiligt die Mittel - auch Präventivschläge
begrenzt mögliche Folgen -„Kollateralschäden“ unvermeidbar- eskalierend bis zur Vernichtung des Lebens auf der Erde;
der Handelnde persönlich, nach bestem Wissen und Gewissen
Verantwortung politische FührungBefehls-Gehorsamsstruktur,Soldaten nur bedingt
übergeordnete Instanz (rechtsstaatliche Gerichte)
Kontrolle Recht des Stärkeren; Gefahr von Siegerjustiz
Gewaltanwendung ist Ausnahme, muss im Zweifel gerechtfertigt werden
ethische Bewertung Gewaltanwendung ist Norm, Kriegsdienstverweigerer müssen Gewaltablehnung rechtfertigen
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Friedensethische Diskussion in Baden – zeitlicher Verlaufsplan
• Eingabe des AK Frieden an Bezirkssynode Breisgau-Hochschwarzwald Jan. 2011
• Einstimmiger Beschluss zur Weiterleitung an Landessynode April 2011
• Auftrag an EOK: Positionspapier 2012
• Diskussion in Bezirken, Gemeinden und Organisationen bis 30. April 2013
• Studientag der Landessynode am 7. Juni 2013• Beschlussfassung auf Herbstsynode 2013
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Unsere Aufgabe?
• Jesus fordert seine NachfolgerInnen auf,
Licht der Welt zu sein (Mt 5,14)
• das bedeutet, auch in der Friedensethik einen besseren Weg aufzuzeigen.
Jesus: „Beati pacifici.“(Selig sind die Friedfertigen.) Mt 5,9
• Dietrich Bonhoeffer 1934: „Die Kirche Jesu Christi soll ihren Söhnen im Namen Jesu Christi die Waffen aus der Hand nehmen und ihnen den Krieg verbieten.“
• Wer sonst, wenn nicht wir Christen, wagt den Ausstieg aus dem Krieg?
• Durch Ihr unterstützendes Votum zum entworfenen Positionspapier tragen Sie zu einem Wandel in der kirchlichen Friedensethik bei. 26/11/2012
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Schlussgedanke• Wenn gewaltfreies Handeln im Vergleich zum
militärischen – weniger Konflikte beenden könnte, – mehr Tote und Verletzte zur Folge hätte, – teurer und weniger nachhaltig wäre, dann sollten wir die Worte Jesu nochmals auf ihre Realitätstauglichkeit überdenken.
• Da es sich jedoch offenkundig umgekehrt verhält, sollte das Vertrauen in die militärische Friedenssicherung überdacht werden.
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