Carl von Ossietzky
Universität Oldenburg
Studiengang: Master of Education Deutsch / Kunst
MASTERARBEIT
Schrift als Material im Kunstunterricht der Grundschule:
Eine didaktische und ästhetische Analyse des Potenzials von Visueller Poesie
im Kunstunterricht der Grundschule.
vorgelegt von Ina Tietjen
Betreuende Gutachterin: Frau Prof. Dr. Eva Sturm
Zweite Gutachterin: Frau Juliane Heise
Oldenburg, 11.08.2014
Inhaltsverzeichnis
Einleitung .......................................................................................... 1
1. Bildende Kunst und Poesie ................................................................ 3
1.1. Gemeinsamkeiten und Unterschiede exemplarisch aufgezeigt
anhand zweier disparater Positionen................................................... 3
1.2. Das Zusammenwirken von Schrift und Bild in der
bildenden Kunst ............................................................................. 12
2. Visuelle Poesie................................................................................. 18
2.1. Hintergründe der Visuellen Poesie ................................................... 21
2.2. Begriffsbildung der Visuellen Poesie ................................................ 24
2.3. Formen Visueller Poesie .................................................................. 26
2.4. Grundlagen Visueller Poesie ............................................................ 29
2.5. Drei Beispiele der Visuellen Poesie .................................................. 32
2.5.1. Eugen Gomringer ............................................................................ 33
2.5.2. Carlfriedrich Claus........................................................................... 36
2.5.3. Safiye Can ....................................................................................... 38
3. Kunstunterricht in der Grundschule .................................................. 40
3.1. Fächerübergreifender Unterricht ...................................................... 41
3.2. Ein Blick ins Kerncurriculum........................................................... 45
3.3. Visuelle Poesie in der Grundschule .................................................. 47
3.4. Möglichkeiten der Vermittlung von Visueller Poesie:
Kunstpädagogische Positionen im Vergleich .................................... 51
3.4.1. Visuelle Poesie als Ausgangspunkt ................................................... 52
3.4.1.1. Auslegen von Bildern nach Gunter und Maria Otto .......................... 52
3.4.1.2. Auslegen von Visueller Poesie ......................................................... 57
3.4.2. Visuelle Poesie als Ziel .................................................................... 67
3.4.2.1. Helga Kämpf-Jansen und die Ästhetische Forschung ....................... 68
3.4.2.2. Schrift als Anreiz Ästhetischer Forschung ........................................ 70
3.4.2.3. Weitere Möglichkeiten die Visuelle Poesie zu vermitteln ................. 75
Fazit ........................................................................................................ 78
Literatur ........................................................................................................ 81
1
Einleitung
„Auch wenn ich meinen Namen schreibe, zeichne ich.”1
Joseph Beuys macht mit dieser Aussage deutlich, wie eng Kunst und Schrift
miteinander verknüpft sind und wie viel Potenzial somit der Schrift für den
Kunstunterricht innewohnt.
Visuelle Poesie ist eine Kunstform, die Schrift- und Bildelemente kombiniert.
Diese, und ihre nutzbaren Möglichkeiten im Kunstunterricht, stellen den
Gegenstand dieser Arbeit dar. Ziel dieser Masterarbeit ist es dementsprechend, die
Visuelle Poesie als Teil des Grundschulunterrichts zu diskutieren. Da hier ein
Forschungsdesiderat besteht, wird im Folgenden die Umsetzbarkeit einer
Unterrichtseinheit zur Visuellen Poesie in einer vierten Grundschulklasse geprüft.2
These dieser Arbeit ist dementsprechend, dass die Visuelle Poesie bereits in der
Grundschule Unterrichtsgegenstand sein kann.
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die Art und Weise wie Visuelle Poesie
im Grundschulunterricht denkbar wäre. Im Folgenden wird dementsprechend die
Visuelle Poesie vorerst sachlich analysiert, um sich dieser Kunstform
innewohnenden Ästhetik bewusst zu werden, so kann sie anschließend als
Unterrichtsgegenstand geprüft werden. Besonderheiten der Visuellen Poesie
sollen herausgestellt werden und aus der Sicht von Schüler_innen der vierten
Klasse erörtert werden.
Um die Visuelle Poesie und deren Entstehung zu veranschaulichen, soll ein Abriss
der Kunstgeschichte und des damit einhergehenden Ursprungs der Vermischung
von Bildender Kunst und Poesie folgen. Hierbei sollen Für und Wider der
Vermischung beider Künste betrachtet werden. Dies geschieht exemplarisch
anhand der Positionen von Horaz und Gotthold E. Lessing, die verschiedene
Standpunkte vertraten. Diese Hinführung dient der Auseinandersetzung mit den
1 Joseph Beuys zit. nach: Toni Stooss (1993): Am Anfang. In: Eleonora Louis (Hrsg.) / Toni Stooss
(Hrsg.): Die Sprache der Kunst. Die Beziehung von Bild und Text in der Kunst des 20.
Jahrhunderts. Ostfildern-Ruit bei Stuttgart : Edition Cantz, S. 1. 2 Zwar betonen viele Kunstpädagog_innen die hohe Relevanz von Schrift als gestalterisches
Mittel, jedoch wurde der Visuellen Poesie bisher scheinbar keine große Bedeutsamkeit im
Unterricht beigemessen. Literatur bezüglich Visueller Poesie in der Grundschule existiert keine.
Lediglich ein Unterrichtsentwurf in der Zeitschrift Kunst + Unterricht, die dieses Thema in einer
zwölften Jahrgangsstufe thematisiert, ist ausfindig zu machen. Siehe: Wennemar Rustige u.a.
(1994): Visuelle Poesie. Unterrichtserfahrung mit der Gestaltung lyrischer Texte. In: Kunst +
Unterricht, Heft 182/1994, S. 42.f.
2
verschiedenen Wirkungen, die Schrift und Bild bei einer Vermischung der Künste
erzeugen können und die Künstler_innen in der Visuellen Poesie für sich nutzen.
Die Visuelle Poesie und deren Vermittlung stellen den Schwerpunkt dieser Arbeit
dar.3 Die Besonderheiten dieser Kunstform werden an Beispielen der
Künstler_innen Eugen Gomringer, Carlfriedrich Claus und Safiye Can deutlich
gemacht. Werke von diesen Künstler_innen werden auf das Potenzial der
Einsetzbarkeit in der Grundschule hin untersucht.
Unter dem Begriff Visuelle Poesie sollen im Zuge dieser Arbeit sowohl Formen
der Konkreten Poesie als auch der Visuellen Poesie verstanden werden. Die
beiden Begriffe wurden lange Zeit und werden teilweise auch heute noch
synonym verwendet. Die Begriffe sollen hier jedoch unter dem Terminus Visuelle
Poesie gefasst werden, da diese Arbeit den Fokus auf das Visuelle der Arbeiten
legt und Konkreter Poesie das Visuelle ebenso innewohnt.
Um den Kunstunterricht der Grundschule, in dem die Visuelle Poesie eingebettet
werden könnte, zu untersuchen, sollen im Zuge dieser Arbeit die
Rahmenbedingungen erörtert werden. Hierfür werden zunächst die Vorgaben des
Kerncurriculums betrachtet. Hiernach wird eine grundsätzliche Diskussion eines
fächerübergreifenden Deutsch- und Kunstunterrichts im Rahmen des
Kerncurriculums umrissen.
Mithilfe von verschiedenen kunstpädagogischen Positionen werden Optionen
aufgezeigt, wie Kunstunterricht mit Visueller Poesie arbeiten kann. Gunter und
Maria Otto, sollen als Vertreter_innen eines Kunstunterrichts, welcher das
Arbeiten mit Kunst und an Kunst vorsieht, betrachtet werden. Ein weiteres
Konzept stellt die Ästhetische Forschung nach Helga Kämpf-Jansen dar, welches
als Hinführung zur Kunst eine weitere Möglichkeit der Vermittlung darstellen
kann. Diesen sehr unterschiedlichen Konzepten folgen weitere Überlegungen
möglicher Umsetzungen. Eine Wertung des Potenzials und der Umsetzbarkeit von
Visueller Poesie als Unterrichtsgegenstand der Grundschule soll den Abschluss
der Arbeit bilden.
3 Hierbei wird sich aufgrund des Umfangs dieser Arbeit auf Visuelle Poesie im zweidimensionalen
Raum beschränkt. Verwandte Formen wie Akustische Poesie oder Poesie mit neuen Medien
können ebenfalls nicht berücksichtigt werden auch wenn die hier beschriebenen Ansätze auf diese
verwandten Formen durchaus übertragbar sind.
3
1. Bildende Kunst und Poesie
„Literatur verwirklicht sich im Sprachlichen, bildende Kunst im Visuellen.“4 So
simpel formuliert es Wolfgang M. Faust. Diese Trennung wirft jedoch die Frage
auf: Verfügt Kunst nicht auch über eine Form von Sprache? Und hat Literatur
beziehungsweise Poesie nicht immerzu auch einen visuellen Aspekt, der in die
Rezeption mit einfließt? Diese Trennung scheint dementsprechend nicht
ausreichend, um dem Unterschied der Künste gerecht zu werden. Daher werden
im Folgenden die Unterschiede der Künste aufgezeigt, wie sie für viele
Jahrhunderte Gültigkeit besaßen und deren Ausführungen auch heute noch von
hoher Relevanz sind.
1.1.Gemeinsamkeiten und Unterschiede exemplarisch aufgezeigt anhand
zweier disparater Positionen
„Sprache und Bild stehen in gleicher Ausgangsposition, in je eigener Distanz zur
Wirklichkeit, denn beide sind nicht in der Lage, in unverstellter Mimesis die Welt
abzubilden, beide rekonstruieren nur die Wirklichkeit.“5 Schrift und Bild bilden
demgemäß Möglichkeiten die Welt zu beschreiben. Jedes Medium mit seinen
Mitteln. „Bildtexte und Sprachtexte generieren sich aus unterschiedlichen
Zeichensystemen, die eine spezifische Funktions- und Wirkungsweise besitzen.“6
Die bildende Kunst stellt ebenso wie die Poesie mit Zeichen etwas dar. Die
Unterschiedlichkeit dieser Zeichen und deren Eigenschaften wurden bereits von
vielen Künstler_innen und Philosoph_innen diskutiert. Je nachdem in welchem
Teilsystem der Kunst die verschiedenen Vertreter_innen wirksam waren und sind,
werfen sie verschiedene Perspektiven auf die Künste. Im Folgenden sollen zwei
gegensätzliche Positionen verglichen werden, die beide für eine lange Tradition
des Kunstverständnisses mehrerer Jahrhunderte stehen.
Welches Medium der Kunst sich für welche Zwecke besser eignet, wurde bereits
in vielen Theorien in der Antike diskutiert. Der Dichtung wurde „in der
4 Wolfgang Max Faust (1987): Bilder werden Worte. Zum Verhältnis von bildender Kunst und
Literatur. Vom Kubismus bis zur Gegenwart. Köln: Du Mont, S, 30. 5 Alexander Glas (2006): Bild – Wort – Text. Oder das Paradigma des Pingpong. In: Johannes
Kirschenmann u.a. (Hrsg.): Kunstpädagogik im Projekt der allgemeinen Bildung. München:
kopaed, S. 71. 6 Eva Maltrovsky (2004): Die Lust am Text in der bildenden Kunst. Frankfurt am Main: Peter
Lang, S. 13.
4
griechischen Kultur traditionell eine höhere Wertschätzung zuteil […].“7 Horaz
setzt jedoch Malerei und Dichtung gleich. Die berühmte Aussage zum Verhältnis
von Malerei und Dichtkunst aus der Ars Poetica des Horaz „ut pictura poesis“
veranschaulicht dieses.8 Er setzt bildende Kunst und Poesie in ihrer Wirkung
gleich. Dieses Kunstverständnis dauerte lange Zeit an. „Erst Lessing sollte aus der
Differenz von Sprach- und Bildzeichen eine Unterschiedenheit der Künste
ableiten und deren systematische Trennung begründen.“9 Bis zu dieser Trennung
der Künste von Gotthold E. Lessing galt die Gleichsetzung der Künste, wie es seit
Horaz verbreitet war. Horaz Modell hat „eine immense, bis zu Lessing reichende
Wirkungsgeschichte […].“10
Horaz setzt die beiden Künste wie folgt gleich:
Dichtungen gleichen Gemälden: einzelne Züge ergreifen
Tiefer beim Anblick von nahem und andre beim Anblick von ferne; Manche Partien vertragen nur Dunkelheit, andre auch Helle,
Weil sie die scharfe Kritik des Betrachters fürchten nicht brauchen;
Manches gefällt nur einmal, und manches bringt zehnmal Vergnügen.11
Horaz veröffentlichte diesen Text 14 v. Chr.12
Viele Jahrhunderte galt diese
Auffassung über die Beschaffenheit der Künste. Die Konvertierbarkeit der einen
in die andere Kunst sei durch Horaz legitimiert.13
Nach Horaz sei „[…] was in
einem Medium zum Ausdruck gebracht werden könne, das eigne sich eo ipso
auch als Vorlage für das andere.“14
Eine Gleichrangigkeit der beiden Künste hatte
sich etabliert und wurde erst Ende des 17. Jahrhunderts nachhaltig in Frage
gestellt.
1766 veröffentlichte Gotthold E. Lessing Laokoon. Oder über die Grenzen der
Malerei und Poesie und erörterte hier die Differenz von bildender Kunst und
Poesie. „An Stelle einer Ästhetik der Universalisierung fordert er eine
7 Norbert Schneider (2011): Geschichte der Kunsttheorie. Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert.
Köln: Böhlau, S. 32. 8 Vgl. Schneider 2011, S. 47. 9 Gotthold Ephraim Lessing / Friedrich Vollhardt (Hrsg.) (2012): Nachwort. In: Laokoon oder
Über die Grenzen der Malerei und Poesie: Studienausgabe. Stuttgart: Reclam, S. 449. 10 Schneider 2011, S. 47. 11 Horaz Vers 361ff. zit. nach Schneider 2011, S. 47. 12 Vgl. Schneider 2011, S. 43. 13 Vgl. Giuliani, Luca (1996): Laokoon in der Höhle des Polyphem. In: Poetica 28, S. 1. 14 Ebd., S. 1.
5
medienbezogene Differenzierung der Künste.“15
Anlass von Lessings Laokoon sei
die Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der
Malerei und Bildhauerkunst aus dem Jahre 1755 von Johann Joachim
Winckelmann.16
Winckelmann und Lessing tauschten sich über das Verhältnis von
bildender Kunst und Poesie aus. Beide vergleichen
[…] Vergils Text aus der Äneis mit der von Hagesandros geschaffenen
Skulpturengruppe, um davon ausgehend, auf die grundsätzlichen
Eigenschaften von bildender Kunst und Literatur zu schließen.17
Lessing macht den Unterschied von Malerei zur Poesie anhand der Laokoon-
Gruppe deutlich. Diese Marmorskulptur wurde 1506 entdeckt.18
Die Entdeckung
ging einher mit „einer überaus reichhaltigen Rezeptionsgeschichte, einer
intensiven künstlerischen, aber auch literarischen und sogar philosophischen
Auseinandersetzung[…].“19
Die dargestellte Szene der Statue, die aus einem
Marmorblock gehauen wurde, beruht auf einem griechischen Mythos, in dem ein
Priester und seine Söhne von Schlangen angegriffen werden. Die Statue stellt
diesen Angriff und das Leiden dieser drei dar. In dieser Statue reißt Laokoon den
Mund nicht weit zum Schrei auf, auch wenn er große Schmerzen habe müsste, da
er von Schlangen angegriffen wird. Lessing begründet dies so, dass eine bloße
Öffnung des Mundes hier nicht den Schmerz hätte ausdrücken können.20
Körperlicher Schmerz sei nach Lessing nicht im Medium der bildenden Kunst
darstellbar.21
Sie könne lediglich einen Moment festhalten.22
Dementsprechend sei
die Poesie der Malerei überlegen. Lessing betont in seinen Schriften stets die
15 Monika Schrader (2005): Laokoon – „eine vollkommene Regel der Kunst“. Ästhetische
Theorien der Heuristik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Winckelmann, (Mendelssohn),
Lessing, Herder, Schiller, Goethe. Hildesheim: Georg Olms, S. 55. 16 Vgl. Elida Maria Szarota (1959): Lessings »Laokoon«. Eine Kampfschrift für eine realistische
Kunst und Poesie. Weimar: Arion, S. 9. 17 Katrin Ströbel (2013): Wortreiche Bilder. Zum Verhältnis von Text und Bild in der
zeitgenössischen Kunst. Bielefeld: transcript, S. 74) 18 Vgl. Bablina Bäbler (2009): Laokoon und Winckelmann: Stadien und Quellen seiner
Auseinandersetzung mit der Laokoongruppe. In: Dorothee Gall (Hrsg.): / Anja Wolkenhauer
(Hrsg.): Laokoon in Literatur und Kunst. Berlin: de Gruyter, S. 228. 19 Christian Kunze (2009): Zwischen Pathos und Distanz – Die Laokoongruppe im Vatikan und
ihr künstlerisches Umfeld. In: Dorothee Gall (Hrsg.): / Anja Wolkenhauer (Hrsg.): Laokoon in
Literatur und Kunst. Berlin: de Gruyter, S. 33. 20 Vgl. Lessing 2012, S. 23. 21 Vgl. ebd. 22 Vgl. Ströbel 2013, S. 75.
6
Überlegenheit der Poesie gegenüber der Malerei. Beispielsweise sei es ein Vorteil
der Poesie, dass wir miterleben wie etwas entsteht, während die Malerei uns etwas
bereits Entstandenes präsentiert.23
In Laokoon urteilt Lessing nicht lediglich über das Verhältnis von Kunst und Bild,
sondern beschreibt auch generelle ästhetische Urteile über Kunst. Bildende Kunst
würde Schönheit anstreben.24
Es sei nach Lessing, das Hauptanliegen von Kunst,
dass uns die vom Kunstwerk vermittelte Vorstellung und Empfindung deutlicher
bewusst wird.25
Lessing schreibt sowohl der Literatur als auch der bildenden
Kunst einen illusionierenden Charakter zu.26
Die Form der Nachahmung
unterscheidet sich jedoch „in ihren Mitteln beziehungsweise in der Art der
Zeichen […].“27
Lessing bezeichne die Nachahmung, die deutliche Vorstellungen
nach sich zieht, als das Werk vervollkommnend und somit höchstes Ziel.28
Grund
hierfür ist die damalige Sicht, dass Kunst Mimesis anzustreben versucht. Aus
heutiger Sicht ließen sich selbstverständlich Künstler_innen und Kunstepochen
anführen, die Nachahmungen ablehnen, deren Ziel nicht die Mimesis ist.
Von großer Bedeutung bei Lessings Unterscheidung der beiden Künste sei der
Begriff Handlung.29
Handlungen würden aufgrund ihres zeitlichen Charakters
Poesie kennzeichnen, da diese eine Abfolge von Vorgängen beinhalten. Das
Wesentliche der Poesie sei, dass die Körper in ihr Handeln würden.30
Malerei
könne hingegen eine Handlung, also einen Augenblick erfassen, der
dementsprechend keine zeitliche Abfolge darstelle.31
Sie sei dadurch
gekennzeichnet, dass sie den Raum als Wirkungsort hat, das heißt, dass sie Teile
habe, die in Koexistenz zu einem Ganzen werden würden.32
Dementsprechend sei
Malerei die „sichtbar stehende Handlung“ 33
, während Poesie die „fortschreitende
Handlung“ 34
sei. Malerei könne zwar Handlungen nachahmen, dies würde sie
23 Vgl. Lessing 2012, S. 122. 24 Vgl. Szarota 1959, S. 15ff. 25 Vgl. Schrader 2005, S. 62. 26 Lessing bezieht sich zwar auf Beispiele der Bildhauerei und die Poesie in Laokoon, die
Unterschiedlichkeiten dieser beiden Teilgebiete, lassen sich jedoch auch auf die Bildende Kunst
und Literatur beziehen. 27 Giuliani 1996, S. 7. 28 Vgl. Schrader 2005, S. 64. 29 Vgl. ebd., S. 66ff. 30 Vgl. Lessing 2012, S. 115. 31 Vgl. ebd., S. 115. 32 Vgl. Schrader 2005, S. 68. 33 Vgl. ebd., S. 69. 34 Vgl. ebd.
7
jedoch lediglich mit Körpern andeuten.35
Poesie könne zwar Körper nachahmen,
dies würde sie jedoch mittels Handlungen erreichen.36
Poesie habe laut Lessing
den Vorteil „aus der langweiligen Mahlerey eines Körpers, das lebendige
Gemählde einer Handlung zu machen.“37
Lebendigkeit ist nach Lessing
dementsprechend mit den Handlungen der Poesie verknüpft. Der stehenden
Handlung der Malerei hingegen schreibt er nicht die Lebendigkeit in diesen
Maßen zu.
Malerei könne lediglich „einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen, und
muß daher den prägnantesten wählen […].“38
Poesie könne mehrere Handlungen
aufzeigen. Malerei ist somit laut Lessing eingeschränkter in der Darstellung. Die
Malerei hat Lessing zufolge, nicht die Möglichkeiten Handlungen darzustellen. Es
fehlt der Malerei dementsprechend die Möglichkeit, Zeit mittels Handlungen
darzustellen. Wenn Malerei versuche Handlungen darzustellen, sei dies ein Indiz
von schlechtem Geschmack.39
Malerei würde sich durch ihre Körper auszeichnen.
„Gegenstände, die neben einander oder deren Theile neben einander existieren,
heissen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften, die
eigentlichen Gegenstände der Mahlerey.“40
Während sich Malerei durch Koexistenz, Raum und Körper auszeichne, würde
sich Poesie durch Sukzession, Zeit und Seele auszeichnen.41
„[D]ie Zeitfolge ist
das Gebiete des Dichters, so wie der Raum das Gebiet des Mahlers.“42
Die Körper
der Malerei existieren jedoch nur in einem bestimmten, festgelegten, zeitlichen
Rahmen, während Körper in der Poesie handeln und somit auch Teil einer
zeitlichen Abfolge sind. Beide Bereiche sind somit voneinander abhängig: Die
Körper agieren in der Zeit sowie die Handlungen durch Körper erst deutlich
werden.
35 Vgl. Lessing 2012, S. 115. 36 Vgl. ebd. 37 Lessing 2012, S. 134. 38 Ebd., S. 116. 39 Vgl. ebd., S.130. 40 Ebd., S. 115. 41 Vgl. Schrader 2005, S. 75. 42 Ebd., S. 130.
8
Die Raum-Zeitlichkeit der Schwesterkünste, die Lessing in den
Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt erweist sich insgesamt als
einer der wichtigsten Ansätze in der Lehre von der Wechselseitigen
[sic!] Erhellung der Künste […].43
Sie macht die Vorteile beider Künste deutlich und zeigt ihre Schwachpunkte auf.
Lessing spricht beiden Künsten ein eigenes Zeichensystem zu, mit dem sie und
ihre Wirkung zu unterscheiden sind. Er definiert „die Eigenschaften der beiden
Künste von den scheinbaren Eigenschaften der Zeichen her […].“44
Der Nutzen
des jeweils der Kunstform zugehörigen Zeichenrepertoires ist für ihn ein
Qualitätsindiz der jeweiligen Kunstform.
Die Möglichkeiten dieser Zeichensysteme sind unterschiedlich, sie
haben je nach System bestimmte Fähigkeiten, die Lessing hier
theoretisch ermitteln will. Und die Zeichen sind umso besser geeignet, je mehr sie ihre spezifischen Eigenschaften dazu einsetzen, den
jeweiligen Rezipienten/innen einen möglichst authentischen Prozess
des nachahmenden Erzeugens zu ermöglichen.45
Sowohl Malerei als auch Poesie können mithilfe ihres Zeichenrepertoires
Nachahmen und so Vorstellungen bei dem_der Rezipienten_in hervorrufen. Die
Zeichen, der sie sich hierbei bedienen, unterscheiden sich jedoch in der Art, wie
wir sie zu rezipieren gelernt haben. Sprache sowie Schrift lernen wir als Kind, je
nachdem wo wir aufwachsen, kennen und deuten. Sie ist durch die Konventionen
gewachsen und für uns verständlich durch diese Konventionen. Bilder lernen wir
in natürlichen Kontexten kennen. Sie sind nicht durch Festsetzungen einer
Gemeinschaft geregelt, sondern aus der Natur der Dinge erlernt.46
Lessing
unterscheidet in diesem Kontext natürlich von willkürlich erlernten Zeichen. Ein
willkürliches Zeichen sei die Sprache, da sie „durch einen konventionellen Code
festgelegt wurden, während natürliche Zeichen durch Naturgesetze gegeben
sind.“47
Schrift ist eine Sprache, deren Zeichen nicht natürlich erlernt sind. „Die
Sprache der Malerei ist […] scheinbar universell, international und muss nicht
43 Ulrich Weisstein (Hrsg.): Literatur und bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis
eines komparatistischen Grenzgebietes. Berlin: Schmidt, S. 15. 44 Ströbel 2013, S. 77. 45 Ebd. 46 Beziehungsweise sind diese bedingt auch durch z.B. Symbolik von Bildern teilweise ebenso
durch Konventionen erlernt, jedoch nicht so stark wie es die Zeichen der Schrift sind. 47 Ströbel 2013, S. 78.
9
erlernt werden.“48
Schrift ist von uns akzeptiert, wie sie festgesetzt wurde. Die
Zeichen der Schrift wurden willkürlich gewählt. Sie „[…] unterscheiden sich als
physikalisch und geometrisch genau zu beschreibende Teile eines Systems nur
durch die in komplizierten Konventionen gebildeten Beziehungen zu bestimmten
Begriffen von sinnfreien Linien.“49
Wir haben den Linien der Schrift erst einen
Sinn gegeben. Ohne Übereinkünfte innerhalb einer Gesellschaft würde Schrift
nicht lesbar sein und beim Betrachten bedeutungslos erscheinen. Bildende Kunst
bedient sich dementsprechend natürlicher Zeichen, während sich Literatur den
willkürlichen Zeichen der Schrift bedient.
Vom willkürlichen Charakter der Sprache haben die Ästhetiker des 18.
Jahrhunderts die Malerei deutlich abgesetzt und sie als natürliches Zeichensystem eingestuft: zwar sind die Bildzeichen nicht
naturgegeben, sondern von Menschen gefertigt und insofern künstlich;
aber die Verbindung zwischen ihnen und dem jeweils Bezeichneten ist (anders als bei Wörtern) nicht willkürlich gesetzt, sondern beruht auf
einer Ähnlichkeitsrelation, die ihrerseits als natur-bedingt aufgefaßt
wird.50
Lessing sei der Auffassung, dass die Malerei lediglich über natürliche Zeichen
verfüge und daher auch nur materielle Dinge darstellen könne, während Poesie
darüber hinaus Dinge darstellen könne.51
Hier wird sein Standpunkt deutlich, dass
die Literatur mit ihren willkürlichen Zeichen, der der bildenden Kunst in der
Darstellungsweise von Geschehnissen überlegen ist, da sie über die natürlichen
Zeichen hinaus, also nie Gesehenes, bezeichnen kann.
Lessing vergleicht die Laokoon-Gruppe mit den Werken von Homer, einem
antiken Poeten, der die Geschichte von Laokoon im Zusammenhang mit dem
Trojanischen Krieg niederschrieb. Lessing erklärt, dass der Poet über ein größeres
Repertoire verfügt: „Homer bearbeitet eine doppelte Gattung von Wesen und
Handlungen; sichtbare und unsichtbare. Diesen Unterschied kann die Mahlerey
nicht angeben: bey ihr ist alles sichtbar; und auf einerley Art sichtbar.“52
Poesie
würde die Handlungen, die nicht konkret beschrieben werden, also die unsichtbar
48 Ströbel 2013, S. 78. 49 Heinz Gappmayr (1974): Zur Ästhetik der visuellen Poesie. In: Thomas Kopfermann (Hrsg.):
Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie. Tübingen: Max Niemeyer, S. 61. 50 Giuliani 1996, S. 8. 51 Vgl. Ströbel 2013, S. 79. 52 Lessing 2012, S. 100.
10
seien, dem menschlichen Vorstellungsvermögen überlassen.53
Poesie sei
dementsprechend anspruchsvoller als Malerei. Sie verlangt mehr Eigenleistung
von der_dem Rezipienten_in. Er beschreibt dies so: „Bey dem Dichter ist ein
Gewand kein Gewand; es verdeckt nichts; unsere Einbildungskraft sieht überall
hindurch.“54
Angedeutete Handlungen in einem Text würden demnach der_dem
Rezipienten_in die Möglichkeit bieten, sich diese vorzustellen. Abstraktionen,
reale wie auch imaginierte Gegenstände, seien in der Poesie möglich.55
Zusammenfassend lässt sich Lessings Modell wie folgt beschreiben:
Malerei nützt ihr Potential als beschreibendes Medium in der deskriptiven Malerei (Landschaft, Stillleben etc.), sie offenbart die
Grenzen ihrer Möglichkeiten in der narrativen Malerei
(Historienmalerei). Mit der Poesie hingegen verhält es sich genau entgegengesetzt: Sie nutzt ihre Möglichkeiten optimal aus, wenn sie
erzählt, also Handlungen darstellt und gerät an ihre Grenzen, wenn sie
versucht Körper zu beschreiben.56
Zu Lessings Unterscheidung von bildender Kunst und Poesie sollte immer
bedacht werden, dass er beide Künste seiner und der vergangenen Zeit als
Grundlage seines Modells nutzt. Lessings Laokoon ist nur nachzuvollziehen,
wenn die Kunst der lessingschen Zeit mit seinen Aussagen geprüft wird.
[B]ei Lessing verweist das künstlerische Zeichen ganz und gar auf das
Bezeichnete, bei den Modernen schiebt es sich selbst als Produkt eines artifiziellen Verfahrens in den Vordergrund.
57
Zeichen und Bezeichnetes waren zu Zeiten Lessings eng verknüpft. Ein Bild aus
der Frühen Neuzeit hatte dementsprechend einen anderen Anspruch als eines aus
nachfolgenden Kunstepochen. „Wenn man ein Bild von Jackson Pollock
betrachtet, wird man mit Lessings Prinzipien nicht sehr weit kommen.“58
Die
bildende Kunst diente im 18. Jahrhundert dem Zweck die natürliche Welt
möglichst realistisch darzustellen, während die Poesie Handlungen schilderte. Die
natürlichen Zeichen der Malerei haben in ihrer Eigenart einen größeren Bezug zur
Wirklichkeit. Die Malerei hätte diesbezüglich einen Vorteil gegenüber der
53 Vgl. Lessing 2012, S. 100. 54 Ebd., S. 54. 55 Vgl. Lessing 2012 (Nachwort), S. 453. 56 Ströbel 2013, S. 80. 57 Giuliani 1996, S. 7. 58 Ebd.
11
Poesie.59
Zur heutigen Zeit ist die Trennung, wie sie Lessing vorschlug, daher
weniger nachvollziehbar. Denn die Bildende Kunst hat sich weiterentwickelt und
kann heute ebenfalls Handlungen und Zeit darstellen. Ebenso ist Literatur nicht
durchweg von zeitlichen Abfolgen geprägt. Rezipienten_innen lesen zwar die
Wörter hintereinander in einer Abfolge, würden es jedoch als Ganzes erfassen.60
„So ist weder die Rezeption eines Textes auf reine Sukzessivität, noch die
Rezeption eines Bildes auf reine Simultanität zu reduzieren.“61
Wir können
ebenso ein Bild in einer zeitlichen Abfolge betrachten, es also Zentimeter für
Zentimeter betrachten, als auch einen Text von überschaubarer Länge, in einem
Blick räumlich erfassen. Zudem habe die bildende Kunst beispielsweise schon
durch die Vasenmalerei in der Antike bewiesen, dass sie auch narrative
Möglichkeiten habe.62
Katrin Ströbel behauptet jedoch in Anlehnung an Luca
Giuliani, dass ein Text den Blick der Rezipienten_innen und damit auch die
zeitliche Dimension, medienimmanent steuert.63
Ströbel betont zudem, dass ein
weiterer Unterschied der beiden Künste darin läge, dass der Text im Gegensatz
zum Bild abgeschlossen in seiner Rezeption sei.64
Eine Unterscheidung, die
jedoch je nach Künstler_in und Werk der jeweiligen Kunstgattungen auch keine
allgemein gültige Unterscheidung ist und daher nur mit Einschränkungen zu
beachten ist.
Lessings Theorie stellt somit das Fundament von Überlegungen dar, wie beide
Künste der Visuellen Poesie mit ihren Zeichen Wirkungen erzielen, und wie diese
in der jeweils anderen Kunstgattung zu nutzen sind: „[E]s könnte eine erste
Antwort auf die Frage sein, warum die Künste zueinander drängen bzw. warum
das Interesse am Aneignen von Verfahrensweisen der anderen Kunst geweckt
wird.“65
Durch die Vermischung der Künste seien somit die jeweiligen Schwächen
zu kompensieren.66
Bedient sich ein Werk der bildenden Kunst der Zeichen der
Poesie so kann sie die zeitlichen Merkmale in sich aufnehmen; bedient sich ein
Werk der Poesie der bildenden Kunst kann sie die räumlichen Merkmale in sich
aufnehmen.
59 Vgl. Lessing 2012, S. 258. 60 Vgl. Ströbel 2013, S. 83. 61 Ebd. 62 Vgl. ebd., S. 84. 63 Vgl. ebd., S.83f. 64 Vgl. ebd., S. 84. 65 Ebd., S. 84. 66 Ebd., S. 85.
12
Die Theorie von Horaz und Lessing stellen lediglich zwei Stellungsnahmen von
einer großen Breite an Schriften dar, die sich mit dem Verhältnis von bildender
Kunst und Poesie auseinandersetzten. Sie sind jedoch die maßgebendsten Texte,
die Jahrhunderte lang die Sicht von Künstler_innen auf die Literatur und die
bildende Kunst prägten. Sie sollen deshalb hier als Vorläufer langer Traditionen
betrachtet werden, auch wenn es durchaus Gegenpositionen und auch
Weiterentwicklungen dieser Theorien gab. Dass sowohl die Poesie als auch die
bildende Kunst über ein Zeichenrepertoire verfügt, darüber sind sich die nach
Lessing folgenden Theorien im Übrigen meist einig. Die Unterschiedlichkeit der
Zeichen wird jedoch verschiedenartig ausgelegt und kann als Vorteil der einen als
auch der anderen Kunst betrachtet werden.67
Anhand der Horaz-Tradition und der darauf folgenden Theorie von Lessing lassen
sich Parallelen mit der Kunstgeschichte ausfindig machen. Diese wurde durch
beide Theorien stark beeinflusst. Erst durch Lessing erfolgte eine strikte Trennung
der Künste, die erst im Laufe der Zeit wieder aufgebrochen werden konnte, wie
im Folgenden verdeutlicht werden soll.
1.2.Das Zusammenwirken von Schrift und Bild in der bildenden Kunst
Poesie oder bildende Kunst? - Im 20. Jahrhundert vermischen sich die Künste. In
die bildende Kunst kehrt die Schrift ein, während die Poesie zum Bild findet.68
Dies ist kein neuartiges Phänomen, wie es häufig beispielweise bei Wolfgang M.
Faust betont wird.69
Eva Maltrovsky hebt hervor, dass die Verbindung von
Sprache und Bild bereits in der Antike zu finden sei.70
Es gäbe bereits diverse
Formen solcher Verbindungen im Mittelalter und der Renaissance. 71
Eine theoretisch festgeschriebene Trennung sei erst im 18. Jahrhundert durch die
damalige bürgerliche Ästhetik aufgekommen.72
Lessings Laokoon zieht diese
Trennung der Gattungen nach sich. „Im 18. Jahrhundert legte man Wert auf die
67 Giuliani führt hier beispielsweise Jean-Baptiste Du Bos an, der in der Natürlichkeit der
bildnerischen Zeichen den Vorteil der Malerei hervorhebt. Lessing und Du Bos haben denselben
Ansatz die Künste zu unterscheiden, werten die Unterscheidung jedoch unterschiedlich aus. Siehe:
Giuliani 1996, S. 8f. 68 Vgl. Faust 1987, S. 7. 69 Vgl. ebd. 70 Vgl. Maltrovsky 2004, S. 81. 71 Vgl. ebd., S. 63. 72 Vgl. ebd.
13
Trennung der Gattungen, eine Vermischung sei Zeichen eines schlechten
Geschmacks.“73
Die bildende Kunst als auch die Literatur begannen sukzessiv die
Vorteile der jeweiligen anderen Kunst für sich zu nutzen. Hierfür musste sich
jedoch das Verständnis von Kunst und was ihr Anliegen sein kann vorerst ändern.
Das Mimesis-Prinzip wurde im Verlauf der Geschichte der Kunst beharrlich
hinterfragt und Künstler_innen wandten sich von diesem Prinzip zunehmend ab.
Weder im Impressionismus noch im Realismus konnte Schrift Bestandteil des
Bildes werden. Die Vertreter_innen dieser Kunstepochen hatten einen anderen
Anspruch, was die bildende Kunst leisten sollte.74
Ihre Vorstellung, was die
bildende Kunst darstellen kann und soll, ging mit der Integration von Schrift nicht
konform.
Der Umbruch, der mit dem Kubismus vollzogen wird, indem das
legitimierende System der Repräsentation durch Ähnlichkeit von
einem System der Referenz durch Zeichen ersetzt wird, trennt das Bild vom tradierten Modell natürlicher Wahrnehmungsbeziehungen.
75
Erst die Avantgarden nahmen Elemente von Kunstgattungen, wie der Poesie, in
ihre bildende Kunst mit auf.76
Sie „wenden sich seit dem Kubismus gegen einen
tradierten, gattungsbezogenen Kunstbegriff, sodass die Gattungsverwischungen
der Verbindung von Bild und Sprache eben diese Opposition dokumentieren.“77
Der neue Kunstbegriff lässt die Integration von Schrift ins Bild erst zu. Eine
Einbeziehung von Schrift von Künstler_innen der vorherigen Kunstepochen ist
kaum ausfindig zu machen. „Kubismus, Futurismus und Dadaismus setzten […]
neue Impulse nach einer völligen Trennung der Kunstgattungen.“78
Die
Künstler_innen experimentieren mit neuen Materialien, unter anderem mit der
Schrift, dem Medium einer anderen Kunstgattung: Der Poesie. Es finden sich
„[…] Wörter, Sätze, Texte in Bildern von Pablo Picasso und Georges Braque,
René Magritte, Andy Warhol und Cy Twombly.“79
Die ersten Kunstwerke, in denen Schrift Bestandteil des Bildes wurde, entstanden
in der Zeit des Kubismus. Pablo Picasso und Georges Braque seien Entdecker der
73 Maltrovsky 2004, S. 74. 74 Vgl. Faust 1987, S. 39. 75 Ebd., S. 42. 76 Vgl. Ebd., S. 32. 77 Maltrovsky 2004, S. 82. 78 Ebd., S. 9. 79 Faust 1987, S. 7.
14
Exterritorialität, die ein Schriftzeichen in einem Bild darstellen könne.80
„Wie
zufällig und fast nebensächlich geschieht die Sprachintegration im Kubismus.“81
Man sieht dies am Beispiel von zahlreichen papier collés des Kubismus. Die
Kubisten_innen lehnten illusionierende Mittel ab und verfolgten dennoch das Ziel,
einen Bezug zur Wirklichkeit herzustellen.82
Schrift, die ohnehin keinen
dreidimensionalen Raum darstellt, bot sich dementsprechend an, Bestandteil von
kubistischen Werken zu werden. In Braques Stillleben mit Gitarre aus dem Jahre
1910/11 wurden zwei Silben eingefügt: JO und NAL.83
Die_Der Rezipient_in,
die_der dieses Bild betrachtet, fügt diese Wörter zu dem Wort JOURNAL
zusammen, sie_er würde so auf seine gedankliche Leistung aufmerksam gemacht
werden.84
Die, in den kubistischen Werken, verankerte Schrift stellt zudem einen
Bezug zur Realität dar.
Juan Gris sei der erste Künstler, der einen literarischen Text in ein Bild
einarbeitet.85
Es handelt sich um ein Gedicht, das Elemente anderer visueller
Körper des Bildes aufnimmt: „[…] Dinge sind doppelt im Bild: Als sprachliches
Symbol [und, Anm. IT] als sprachliches Zeichen.“86
Das Bild trägt den Titel
Stilleben mit Gedicht. Das Bild ist sowohl durch die Schrift als auch durch
Bildelemente strukturiert. Beide Elemente bezeichnen teilweise dasselbe, jedoch
sind auch Unterschiede zwischen Schrift und Bild ausfindig zu machen. „Er
macht die Übereinstimmungen und Differenzen zwischen verbalem und visuellem
Bereich deutlich.“87
Die Abweichungen der Bild- und Schriftelemente werden
hiermit aufgezeigt. Ferner werden die Elemente, die die Schrift bezeichnet, jedoch
nicht als Bildelement zu finden sind, „zum immateriellen Bereich der
Stimmungen und Gefühle, die das Gedicht anspricht.“88
Die Aussage des
Gedichtes wird so mit der Visualisierung unterstützt. Dieses kubistische Werk
wurde zeitlich sehr viel früher als die bekannte Visuelle Poesie geschaffen.
Dennoch weist es bereits viele Elemente der Visuellen Poesie auf. „Wort und
80 Vgl. Franz Mon (1997): Wortschrift Bildschrift. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Visuelle
Poesie. München: Edition Text und Kritik, S. 7. 81 Faust 1987, S. 37. 82 Vgl. Faust 1987, S. 45. 83 Vgl. ebd., S. 49. 84 Vgl. ebd., S. 49f. 85 Vgl. ebd., S. 52. 86 Ebd., S. 52. 87 Ebd., S. 53. 88 Ebd.
15
Bildzeichen werden zur visuell-verbalen Einheit.“89
Sie verbinden sich zu einem
gemeinsamen Zweck. „Im Gesamt des Kubismus ist der direkte Sprachbezug nur
Teilaspekt. Doch in ihm scheint die Radikalität des neuen Kunstbegriffs am
weitesten vorangetrieben.“90
Bezüglich des Kubismus lässt sich festhalten: „Zum einen wird auf die grafische
Qualität der Buchstaben hingewiesen, zum anderen auf die referentielle Funktion
des Sprachzeichens als Verweis auf Realität.“91
Die Schrift fügt sich in das
kubistische Bild. Sie wird Teil des visuellen Gesamten des Bildes und kontrastiert
sich dennoch von den anderen bildlichen Elementen durch ihren klaren Bezug zur
Realität und der Lesbarkeit ihres Zeichens. Die Schrift im Bild ist ein Umbruch in
der bildenden Kunst. Die bildende Kunst hinterfragt sich und ihre eigenen
Grenzen durch die Einbeziehung von Schrift ins Bild. Bildende Künstler_innen
als auch Literaten_innen der Zeit nach dem Kubismus nehmen die Denkweise der
Kubisten_innen auf und verfolgen diese weiter. Beispielsweise greifen die
Futuristen_innen Aspekte des Kubismus auf.
Die kubistische Änderung des Kunstbegriffs und die sich in ihr
andeutenden Aspekte der Gattungsüberschreitung […] nehmen die
Futuristen auf und modifizieren sie gemäß ihren künstlerischen und gesellschaftlichen Erneuerungsbestrebungen.
92
In Anlehnung an die technischen Fortschritte dieser Zeit sind Bewegung und Zeit
wichtige Bestandteile der futuristischen Kunst. Filippo Tommaso Marinetti
fordere eine Befreiung der Wörter, also eine Abschaffung grammatikalischer
Regelungen.93
Seine parole in libertá hatten weite Auswirkungen, beispielsweise
habe es Apollinaire hinsichtlich seiner Kalligramme beeinflusst.94
Der Verzicht
auf grammatische Regelungen und das freie Positionieren der Schrift im Bild
bietet dem Futurismus Möglichkeiten die Rezeptionsweise zu steuern. Die neue
Anordnung der Buchstaben sei als Provokation gedacht.95
Die sprachlichen
Uneingeschränktheiten der Schrift im Futurismus „sollen die durch dies alles
89 Faust 1987, S. 53. 90 Ebd., S. 58. 91 Ebd., S. 48. 92 Ebd., S. 85. 93 Vgl. Ebd., S. 96f. 94 Vgl. Ebd., S. 100. 95 Vgl. Peter Weiermair (1993): Zur Geschichte der visuellen Poesie. In: Eleonora Louis (Hrsg.) /
Toni Stooss (Hrsg.): Die Sprache der Kunst. Die Beziehung von Bild und Text in der Kunst des 20.
Jahrhunderts. Ostfildern-Ruit bei Stuttgart : Edition Cantz, S. 186.
16
angedeuteten Bewegungsrichtungen das Auge lenken und damit den Lese- bzw.
Betrachtungs-Vorgang steuern.“96
Das Bild lenkt durch die Schrift den Blick der
Betrachtung.
„Synthese und Simultaneität waren die zentralen Ideen, die hinter allen
Neuerungen standen.“97
Besonders der Aspekt der Synthese, den der Futurismus
verfolgte, bot die Integration von Schrift im Bild an.
Unter dem Gesichtspunkt der Synthese führte die Integration von
Sprache in Werke der bildenden Kunst zu einer Form der
Lingualisierung, in der das futuristische Bild zum »Text« wird.98
Durch das Einarbeiten von Schrift konnte das futuristische Bild, die Botschaft an
seine Rezipienten_innen klar vermitteln; eine Tatsache, die der Grundidee des
Futurismus entgegenkam. Das futuristische Bild habe nicht die Absicht eine
Nachbildung der Realität zu sein, sondern es soll die Idee hinter dem Bild deutlich
machen.99
Das Bild würde so zum „visuell-verbalen »Text« […].“100
Die Sprache
im Bild würde dementsprechend auf die Umgebung der selbigen verweisen.101
Der Dadaismus treibt das Zusammenspiel von bildender Kunst und Literatur
weiter voran. Er „beschleunigt die wechselseitige Durchdringung der Künste.“102
Die Dadaisten_innen verfolgten das Ziel, dem bürgerlichen Kunstbegriff
entgegenzuwirken.103
Eine Zuordnung der Lautgedichte des Dada zur bildenden
Kunst, darstellendes Spiel, Poesie oder gar Musik ist beispielsweise in vielen
dadaistischen Werken nicht möglich.
Bei den Surrealisten ist besonders René Magritte und dessen Umgang mit Schrift
und Bild hervorzuheben. „Durch den Einsatz von Schriftzügen erzielt er paradoxe
96 Reinhard Döhl: Poesie zum Ansehen, Bilder zum Lesen?: Notwendiger Vorbericht und Hinweise
zum Problem der Mischformen im 20. Jahrhundert. In: Ulrich Weisstein (Hrsg.): Literatur und
bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes.
Berlin : Schmidt, 1992, S. 163. 97 Faust 1987, S. 102. 98 Ebd. 99 Vgl. ebd., S. 92. 100 Ebd., S. 111. 101 Vgl. ebd. 102 Ebd., S. 161. 103 Vgl. ebd., S. 162.
17
Bildlösungen […].“104
Bei Magritte ist diese Paradoxie häufig mit den Titeln und
Beschriftungen seiner Bilder verbunden.
Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgt mit der abstrakten Kunst ein Bruch zur
bisherigen Kunsttradition des Abbildens der Wirklichkeit. „Aus dem Mißtrauen
gegen das Bild als Ikon, das die Umbruchsformulierungen der bildenden Kunst
des zweiten Jahrhunderts bestimmt, entsteht das abstrakte Werk.“105
Die abstrakte
Kunst, verzichte auf einen Wirklichkeitsbezug und somit auch auf die Einbindung
von Sprache in ihren Werken.106
Jedoch sei sie in der abstrakten Kunst „als
reflektierte Begründung an die Seite gestellt.“107
Dies sei in Werken von Wassily
Kandinsky und Piet Mondrian zu beobachten.108
„Dringt Sprache im Kubismus und Futurismus ins Bild, stellt sich Sprache in der
abstrakten Kunst neben das Werk, so findet Duchamp zur Sprache anstelle des
Kunstwerks oder als Kunstwerk.“109
Marcel Duchamp würde das Ready-made-
Konzept als verbales Konzept anstelle des Kunstwerks setzen, da der Kauf eines
Gegenstandes durch die Benennung zum Kunstwerk zum Kunstwerk werden
würde.110
Aus kunstgeschichtlicher Sicht lässt sich dementsprechend zusammenfassend
festhalten: „Die bildende Kunst findet zur Sprache im oder neben dem Kunstwerk
und in der äußersten Konsequenz zur Sprache anstelle des Kunstwerks oder als
Kunstwerk.“111
Das Einbeziehen von Sprache in die bildende Kunst wurde somit
bis an die Grenzen der Künste ausgetestet. Die Gattungsgrenzen von bildender
Kunst und Poesie wurden demzufolge bereits in der Antike diskutiert und im
Verlauf der Kunstgeschichte permanent in neuen, andersartigen Bezügen
miteinander kombiniert. Die Vermischung der Künste ist seit dem 18. Jahrhundert
hin zu einer vollkommenen Vermischung der Künste forciert worden.
Fragwürdig bleibt daher, ob eine klare Einteilung zur einen oder anderen
Kunstgattung im 21. Jahrhundert nicht längst unerheblich ist. Denn Mischformen
104 Carolin Meister (2007): Die Ausweitung der Kompetenzzone. Gegen die mediale Begründung
disziplinärer Grenzen. In: Dirck Linck (Hrsg.) / Stefanie Rentsch (Hrsg.): Bildtext – Textbild.
Probleme der Rede über Text-Bild-Hybride. Freiburg im Breisgau u.a.: Rombach, S. 188. 105 Faust 1987, S. 134. 106 Vgl. ebd., S. 113. 107 Ebd. 108 Vgl. ebd., S. 119ff. 109 Ebd., S. 135. 110 Vgl. ebd., S. 152 f. 111 Ebd., S. 191f.
18
der Gattungen bildende Kunst und Literatur sind längst nicht mehr Einzelfälle.
„Grenzüberschreitungen zwischen den verschiedenen Kunstgattungen sind im 20.
Jahrhundert reichlich vorhanden, ab den 90er Jahren eher die Regel als die
Ausnahme.“112
Visuelle Poesie entstand aus der Reflexion der beiden Künste und
deren Nutzbarkeit für die jeweils andere Kunst. Kubisten_innen, Dadaisten_innen
und nachfolgende bildende Künstler_innen, aber auch Poeten_innen brachten die
Grenzüberschreitung soweit, dass eine eigene Kunstgattung, die Visuelle Poesie,
entstand, welche sich genau in dem Dazwischen der beiden Künste bewegt und
die tradierte Trennung der beiden Künste vollkommen loslöst.
2. Visuelle Poesie
Die Trennung von Moderner Poesie und Visueller Poesie erscheint simpel:
Visuelle Poesie bezieht auch das Visuelle von Poesie mit ein. Visualität ist jedoch
auch ein Merkmal von moderner Lyrik, weshalb eine Trennung nach diesem
Kriterium nicht angemessen ist.
Nicht nur der Zeilenumbruch entsprechend der Verslänge, sondern
auch der großzügige Umgang mit unbeschriebener Blattfläche gehört
zu den unübersehbaren Merkmalen modernder Lyrik. Schon dies nährt die Vermutung, in der Poesie nicht nur ein diskursives, sondern auch
ein visuelles Ereignis zu sehen.113
Lyrik hat per se dementsprechend immer einen visuellen Charakter.114
Zeilenumbrüche und Verslänge stehen in der modernen Poesie jedoch nicht mit
dem in der Schrift beschriebenen Gegenstand im Zusammenhang.115
Die
Einteilung in Verse ist historisch gewachsen und hat keinen Bezug zur
Gesellschaft.116
Bezeichnendes und Bezeichnetes sind in der modernen Poesie
voneinander getrennt zu betrachten. Das heißt die Visualität des Textes eines
modernen, poetischen Werks steht nicht in Verbindung mit dem Bezeichneten des
Gedichts. Hier liegt die Besonderheit der Visuellen Poesie: Bezeichnetes und
112 Maltrovsky 2004, S. 59. 113 Seraina Plotke (2009): Gereimte Bilder. Visuelle Poesie im 17. Jahrhundert. München: Wilhelm
Fink, S. 11. 114 Sowie Schrift, und das durch sie entstehende Schriftbild, ohnehin immer eine visuelle Ebene in
sich birgt. Die Schriftart, das Format und vieles mehr beeinflussen die_den Rezipienten_in beim
Lesen von Texten. 115 Vgl. Plotke 2009, S. 11. 116 Vgl. Eugen Gomringer (Hrsg.) (1972): konkrete poesie. Stuttgart: reclam, S. 154.
19
Bezeichnendes können sich vermischen, sich gegenseitig ergänzen und
beeinflussen. „In der visuellen Poesie erscheint das Schöne in den
Differenzierungen der transzendentalen Einheit von Zeichen und Begriff.“117
Das
Besondere der Visuellen Poesie liegt in der Differenz, die Bild und Schrift trennt
und in den Gemeinsamkeiten, die sie verbindet.
Es ist
[…] das wahrnehmen der grafischen qualität der sprachzeichen, ihre
ordnung auf einer vorgegebenen fläche und das spiel mit der spannung zwischen dem bezeichnenden (der figur des sprachzeichens) und dem
bezeichneten (seiner einzelnen oder durch kombination verschiedener
zeichen entstehenden bedeutung)[,]118
welches die Visuelle Poesie für die_den Betrachter_in so interessant macht.119
Die Zeichen und das, was mit diesen Zeichen verbunden wird, werden von der
Visuellen Poesie thematisiert und genutzt.
Seraina Plotke betont, wie es bereits Lessing tat, dass es wichtig sei, die Art der
Zeichen zu unterscheiden.120
Die Visuelle Poesie bedient sich zwei Arten von
Zeichen. Plotke unterscheidet hier die ikonischen von den symbolischen
Zeichen.121
Die ikonischen Zeichen lassen sich mit dem von Lessing als natürlich
bezeichneten Zeichen gleichsetzen. Die ikonischen Zeichen sind in der bildenden
Kunst dann vertreten, wenn sie etwas darstellen, das mit einem Gegenstand der
Wirklichkeit von der_dem Rezipient_in verbunden werden kann. Die Malerei zu
Zeiten Lessings hat sich auf diese ikonischen Zeichen der Malerei beschränkt. Die
Abkehr von den ikonischen Zeichen in der bildenden Kunst erfolgte erst später
mit der abstrakten Malerei. Symbolische Zeichen sind vergleichbar mit den von
Lessing bezeichneten willkürlichen Zeichen. Es sind die Zeichen der Schrift, die
keine Ähnlichkeiten zum Bezeichneten aufweisen würden.122
117 Gappmayr 1974, S. 64. 118 Klaus Peter Dencker (1996): ein wort zur visuellen poesie. In: Eugen Gomringer (Hrsg.):
visuelle poesie. Stuttgart: reclam, S. 149. 119 Die Anthologien von Gomringer sind mit Texten versehen, die sich ausnahmslos der
Kleinschrift bedienen. 120 Vgl. Plotke 2009, S. 34ff. 121 Bei dieser Unterscheidung bezieht sie sich auf die Theorien von Thomas A. Sebok und
Umberto Eco. 122 Vgl. Plotke 2009, S. 36f.
20
Ikone zeichnen sich gegenüber Symbolen […] insofern aus, als der
Rezipient oder die Rezipientin bei Ersteren eine Ähnlichkeit zum
denotierten Gegenstand wahrnimmt, bei Letzteren die Beziehung zum
Denotat hingegen als weitgehend arbiträr respektive offensichtlich durch Konvention gesetzt erscheint.
123
Bezeichnendes und Bezeichnetes liegen bei ikonischen Zeichen eng beieinander.
„Bilder sind wirklichkeitsnah. Sie orientieren sich an der wahrnehmbaren
Realität.“124
Schrift tut dies nicht. Die Optik ist uneins mit dem, was das Zeichen
darstellt. Bei den symbolischen Zeichen hingegen herrscht eine Differenz, die
durch Konventionen aufgehoben wird und uns durch diese Aufhebung kaum
bewusst ist. „Bilder bieten schnell konsumierbares Wissen, bequeme
Informationen.“125
Schrift hingegen muss erst dechiffriert werden. Grund hierfür
ist die schnelle Lesbarkeit, die den natürlichen Zeichen innewohnt und die
verzögerte Lesbarkeit, die willkürlichen Zeichen anhaftet. „Bilder bieten pro
Zeiteinheit viel mehr Information, als Sprache das je könnte.“126
Dennoch ist das
Bild ebenso wie die Schrift nur ein Zeichen für etwas. „Der gemalte Gegenstand
ist, wie das Wort oder der Text, nicht mit dem Gegenstand identisch.“127
Dies ist
die Gemeinsamkeit beider Zeichen. Beide Zeichen vermitteln eine Botschaft, die
jedoch außerhalb des Bildes verweisen.
Die „[…] Differenziertheit zwischen Zeichen und Begriff ist in der visuellen
Dichtung nicht etwas Vermittelndes, sondern eine poetische Qualität.“128
Sie nutzt
die Art der Zeichen, indem sie sie zu einem Ganzen verbindet. Sie kann die
Vorteile beider Medien nutzen. Die jeweils für das eine Medium spezifischen
Eigenschaften würden so das andere Medium ergänzen.129
Unsere Sprache bestimme, wie wir die Wirklichkeit erfahren würden.130
Wir
konstruieren uns aus der Sprache eine Vorstellung. Diese Vorstellung muss mit der
einer anderen Person nicht konform gehen. „Der Begriff [von etwas, Anm. IT] ist
123 Plotke 2009, S. 37. 124 Erich Straßner (2002): Text-Bild-Kommunikation Bild-Text-Kommunikation. Tübingen: Max
Niemeyer, S. 13. 125 Straßner 2002, S. 13. 126 Ebd., S. 14. 127 Barbara Wichelhaus (2006): Kunst und Sprache – Bilder im Kunstunterricht. In: Johannes
Kirschenmann u.a. (Hrsg.): Kunstpädagogik im Projekt der allgemeinen Bildung. München:
kopaed, S. 76. 128 Gappmayr 1974, S. 61. 129 Vgl. Straßner 2002, S. 19. 130 Vgl. Wolf Haas (1990): Sprachtheoretische Grundlagen der Konkreten Poesie. Stuttgart: Hans-
Dieter Heinz, S. 3.
21
etwas Ideenhaftes, Allgemeines, der Gegenstand etwas Einzelnes und
Einmaliges.“131
Ein Wort hat zwar eine Bedeutung, jedoch hat jeder eine andere
Vorstellung zu diesem Wort. Zudem gibt es Wörter, die nicht an konkrete
Gegenstände oder an konkrete Vorstellungen gebunden sind. Das Bezeichnende
der Schrift ist daher nicht universell lesbar. Die Visuelle Poesie betont die
Differenz und spielt mit den Möglichkeiten die eine individuelle Auslegung des
Bezeichnenden ermöglicht.
Der Text habe zudem in der Visuellen Poesie die Möglichkeit im
zweidimensionalen Raum gestisch darzustellen.132
„expansion, schachtelung, reihung, stauung, fallenlassen und viele
andere, oft nicht mehr beschreibbare gestische bewegungen vermögen sich in der flächigen textordnung niederzuschlagen […].“
133
Die Möglichkeit Bewegung und somit Handlung mittels des Signifikanten und
nicht des Signifikats darzustellen wird somit möglich. Bei konventionellen
Texten, die von links nach rechts horizontal geschrieben sind, ist diese gestische
Form nicht möglich, sie muss durch das Bezeichnete der Zeichen erfolgen. Somit
nutzt die Visuelle Poesie sowohl die willkürlichen als auch die natürlichen
Zeichen und überdies die Bildfläche für ihre Zwecke.
2.1.Hintergründe der Visuellen Poesie
Die Visuelle Poesie, die bewusst Sprachmaterial als Gestaltungsmittel für die
Bildfläche wählt, ist eine Weiterentwicklung der Avantgarden. Eine Vielzahl von
Werken der Visuellen Poesie entstand in den sechziger Jahren.134 Im Unterschied
zu den Vorläufern des Kubismus, Futurismus und Dadaismus haben die Werke,
die nach 1945 entstanden sind, einen Fokus auf die eigene Materie und somit
einen stark reflektierenden Charakter. Sie ist eine Kunstform, die kritisch und
selbstironisch mit ihren eigenen Mitteln ins Urteil geht.
131 Gappmayr 1974, S. 62. 132 Vgl. Mon 1972, S. 169f. 133 Ebd., S. 169. 134 Vgl. Mon 1997, S. 11.
22
Die Konkrete Poesie erhielt ihre Bezeichnung zu Beginn der fünfziger
Jahre. Sie ist eine inzwischen abgeschlossene internationale nicht-
mimetische Sprachkunstform, die von den materialen Eigenschaften
der Sprache ausgeht: von der verbalen, vokalen und visuellen Materialität des Wortes.
135
Die Vermischung von beiden Künsten ist wie bereits skizziert kein neuartiges
Phänomen. Figurengedichte waren bereits in der Antike eine Kunst, die
Schriftbild und Text zu einer Einheit formte. Es gab seit dieser Zeit, immer wieder
Schriftwerke, die sich der_dem Betrachter_in auf einem Blick als lesbar zeigten
„und insofern in ihrer Rezeptionsästhetik dem Betrachten eines Bildes
vergleichbar sind.“136
Die Formen der heutigen Visuellen Poesie unterscheiden
sich jedoch von denen der früheren in ihrer Funktionsweise und in ihrer
Komplexität. Dennoch betont Klaus Peter Dencker:
Beobachtet man […] die allmähliche Aufweichung des strengen
Figurengedicht-Typs der Antike oder des Barocks zum freien Textbild
der Gegenwart, so wird erst deutlich, daß jeder sich von herkömmlicher ´Dichtung ́ noch so weit entfernte Versuch trotzdem
gebunden bleibt als Elemente und Formen von Buchstaben auf der
einen und an die Semantik von Wörtern auf der anderen Seite […]137
Nach Dencker seien die früheren Formen mit den heutigen Formen der Visuellen
Poesie dementsprechend überwiegend identisch. „[…] Ausdrucks- und
Ansprachemöglichkeiten durch visuelle (und visualisierte akustische) Hilfsmittel
mit ihren zusätzlichen Reizen, Signalen und Auskünften […]“138
würden jedoch in
der Visuellen Poesie der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zusätzlich genutzt
werden. Wo der Ursprung des neu entdeckten Interesses von Schrift als Material
in den 50er-Jahren begründet liegt, wird durch einen Rückblick auf die
gesellschaftlichen und politischen Umstände der Zeit deutlich. Hier liegen die
Anfänge der modernen Visuellen Poesie.
Franz Mon erklärt, dass, seit sich Schrift durch die Industrialisierung der
Printmedien zunehmend durch unsere Lebenswelt zieht, sie auch ein wachsendes
135 Klaus Peter Dencker (1997): Von der Konkreten zur Visuellen Poesie – mit einem Blick in die
elektronische Zukunft. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Visuelle Poesie. München: Edition Text
und Kritik, S. 173. 136 Plotke 2009, S. 12. 137 Klaus Peter Dencker (1972): Text-Bilder. Visuelle Poesie international. Von der Antike bis zur
Gegenwart. Köln: DuMont, S. 7. 138 Ebd.
23
Interesse für Künstler_innen darstelle.139
Der technische Fortschritt der Medien
zog ein Umdenken in der Kunst nach sich. Die neuen Medien seien Katalysatoren
für die Vermischung der Medien der bildenden Kunst und Literatur, da sie selbst
meist eine Mischform von Schrift und Bild darstellen würden.140
Die Visuelle
Poesie ist somit Abbild der Medienwelt, wie sie gegenwärtig ist.
Die Visuelle Poesie stellt für viele Betrachter_innen eine Spielerei mit der Schrift
dar. Dies hat sie vermutlich ihren bekanntesten und häufig witzigen oder ironisch
wirkenden Werken zu verdanken. Olaf Kutzmutz betont jedoch, dass die
Entstehung der Visuellen Poesie einen gesellschaftlichen und politischen
Beweggrund hat,
denn vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und der
avantgardistischen Kunst im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stellt sich das scheinbar vornehmlich Spielerische experimenteller Literatur
als ihr sprachpraktisches Vermögen dar.141
Sprache sei in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ein machtpolitisches Instrument
gewesen.142
Da sich die Künstler_innen dieser Instrumentalisierung von Sprache
und deren negativen Folgen bewusst waren, würden sie eine instrumentelle
Nutzung der Sprache ablehnen.143
„Das Sprachmaterial selbst steht deswegen bei
den Experimenten der Wiener Gruppe, bei Ernst Jandl, Eugen Gomringer oder
Franz Mon im Vordergrund.“144
Wie bereits die Dadaisten_innen die Sprache als
Machtinstrument erkannt und hinterfragt haben, so erkennen auch die Visuellen
Poeten_innen die Einflussnahme, die die Verwendung von Sprache als
Kommunikationsmittel mit sich bringt. Die Visuelle Poesie möchte mittels
Experimenten mit dem Medium Schrift dem Ausnutzen von Sprache als
Machtinstrument, wie es zu Zeiten des Dritten Reichs geschah, entgegenarbeiten.
Sie ist eine „[…] Kritik an der ideologischen Vereinnahmung und dem daraus
139 Vgl. Mon 1997, S. 5ff. / Dencker stützt diese These. Siehe: Dencker 1997, S. 169. 140 Alltägliche Beispiele wie Emoticons, die per Mobiltelefonnachrichten versendet werden, um
die Schrift zu unterstützen haben Einzug in unseren Alltag. 141 Olaf Kutzmutz (1997): Kritik und Hermetik. Zu Franz Mons visuellen Arbeiten seit den
achtziger Jahren. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Visuelle Poesie. München: Edition Text und
Kritik, S. 33. 142 Vgl. Kutzmutz 1997, S. 33. 143 Vgl. ebd., S. 34. 144 Ebd.
24
resultierenden Mißbrauch von Sprache.“145
Eine bewusste Auseinandersetzung
mit Schrift und deren Wirkungsweise ist dementsprechend ein Ziel der Visuellen
Poesie. Dabei sollen Kontexte der Schrift miteinbezogen werden. Der Umgang
mit Medien erfordert Reflexion, um mit ihnen verantwortungsvoll umzugehen.
Hierfür müssen die Medien und deren Wirkungen transparent gemacht werden.
2.2.Begriffsbildung der Visuellen Poesie
Die Konkrete Poesie kann von der Visuellen Poesie abgegrenzt werden. Ihr liegen
sprachtheoretische Ursprünge zugrunde. Die Visuelle Poesie ist hingegen weniger
eng mit Theorien zur Sprache verbunden. Beiden Kunstformen ist das Visuelle der
Schrift gemeinsam, die sie nutzen. Die Konkrete Poesie sei nach Dencker dadurch
von der Visuellen Poesie zu unterscheiden, da sie nicht das Ziel habe ein Bild
darzustellen, sondern eine Konstellation, die unvermeidlich auch eine Bildfläche
beanspruche.146
„[D]ie visuelle Komponente in der Konkreten Poesie ergibt sich
schon zwangsläufig aus der dieser Poesie eigenen Organisation von Text- und
Buchstabenmaterial.“147
Die Konkrete Poesie ist eng verbunden mit der Idee der Konkreten Kunst.148
„ein
inhalt ist […] nur dann interessant für den konkreten dichter, wenn sich seine
geistige und materielle struktur als interessant erweist und sprachlich bearbeitet
werden kann.“149
Dementsprechend beschränkt sich die Konkrete Poesie auf ihr
Material: Der Schrift. Nach Denckers Definition ist die Konkrete Poesie eine Art
Vorläufer der Visuellen Poesie beziehungsweise die Visuelle Poesie ist eine
Weiterentwicklung der Konkreten Poesie.150
„Hat die Konkrete Poesie das
Sprachbewußtsein geschärft, so versucht die Visuelle Poesie […] ein
Sprachkontextbewußtsein […] zu entwickeln.“151
Die Visuelle Poesie beschränke
sich hierbei nicht so stark auf das Textmaterial wie die Konkrete Poesie dies
145 Ulrich Ernst (1991): Konkrete Poesie. Innovation und Tradition. Wuppertal: Bergische
Universität – Gesamthochschule Wuppertal, S. 8. 146 Vgl. Dencker 1997, S. 175. 147 Ebd. 148 Vgl. Maltrovsky 2004, S.101f. 149 Gomringer 1972, S. 159. 150 In dieser Arbeit sollen wie in der Einleitung vorangestellt Konkrete und Visuelle Poesie unter
einem Begriff gefasst werden und werden daher begrifflich im Folgenden nicht weiter voneinander
getrennt. Da jedoch die geschichtliche Entstehung und Entwicklung mit der Unterscheidung der
beiden Poesieformen verknüpft ist, ist die Unterscheidung der Begriffe an dieser Stelle notwendig. 151 Dencker 1997, S. 176.
25
macht.152
Dencker betont, dass es sich bei der Visuellen Poesie, um einen
komplexeren Umgang mit Schrift handelt, da die Visuelle Poesie mehrere Ebenen
hat, denn sie nähme auch bildnerische Elemente in sich auf.153
Die Konkrete
Poesie verweist auf das Wort als Träger eines Zeichens, Visuelle Poesie hingegen
verortet es in einem Kontext. Dencker versteht die Visuelle Poesie als auf die
Kontexte von Sprache ausgerichtet.154
Dies war im Jahr 1997. Im Jahr 1972
bezeichnete er die Visuelle Poesie noch als „das figurale Gestalten mit oder durch
einen Text […].“155
Eine sehr viel allgemeinere Definition, die nicht, wie im
Nachhinein, die Konkrete Poesie beiseitelässt. Hier wird deutlich, dass die
Künstler_innen der Visuellen Poesie selbst Schwierigkeiten in der Differenzierung
der beiden Formen aufweisen und ihre Kategorisierungen sich mit der Kunstform
an sich weiterentwickelt haben.
Zuordnungen der Werke zur Konkreten und Visuellen Poesie gestalten sich
dementsprechend schwierig, da die Übergänge fließend sind. „Die Anzahl
verschiedener Typisierungen von Visueller Poesie sind nahezu unüberschaubar.
Die Konkrete Poesie wird nahezu in jeder Stellungnahme, als diejenige Poesie
bezeichnet, die die Schrift fokussiert, während die Visuelle Poesie diese in jedem
Fall mit einbezieht, sie jedoch nicht das Zentrum ihrer Arbeit ist. Gomringer fasst
es knapp wie folgt zusammen: „während die konkrete posie die anschauung im
wort, d.h. begrifflich, konzentriert, geht die visuelle poesie umgekehrt vor: sie
macht begriffliches anschaulich. visuelle poesie illustriert.“156
Sie betrachtet nicht
lediglich die Schrift als Material, sondern sie wird in vielfältigeren Formen
eingesetzt. „das heißt, visuelle poesie erweitert sozusagen das sich in der
konkreten poesie anbietende bild der schrift […].“157
Sie begrenzen sich nicht auf
die Schrift, sondern beziehen weitere Elemente ein. „daraus ergibt sich auch, daß
die visuelle poesie sich vielschichtiger präsentiert, auf mehreren ebenen erzählen
kann.“158
Sie bezieht weitere Elemente ein und lässt den Grundgedanken der
Konkreten Poesie dennoch nicht außer Acht. Sie betont die grafische Qualität, die
der Schrift innewohnt. Sie geht somit „[…] einen erheblichen schritt weiter über
152 Vgl. Klaus Peter Dencker (2011): Optische Poesie. Von den prähistorischen Schriftzeichen bis
zu den digitalen Experimenten der Gegenwart. Berlin: De Gruyter, S. 3. 153 Vgl. Dencker 2011, S. 3 154 Vgl. Dencker 1997, S. 175f. 155 Dencker 1972, S. 8. 156 Gomringer 1996, S. 10. 157 Ebd., S. 9. 158 Ebd., S. 149.
26
die enge gattungsgrenze der literatur hinaus in den intermedialen bereich
zwischen literatur und bildender kunst, als dies die konkrete poesie tat.“159
Viele Werke zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie sowohl der Konkreten
Poesie als auch der Visuellen Poesie in verschiedener Literatur zugeordnet
werden. Sie sind je nachdem wie die Definition der Verfasser_innen der Werke
lautet, unterschiedlich zugordnet. Viele Künstler_innen haben zudem sowohl
Werke, die deutlich der Konkreten Poesie zuzuordnen sind, geschaffen und haben
überdies auch Werke, die zweifelsohne der Kategorie der Visuellen Poesie
zuzuzählen sind, angefertigt. Wie bereits in der Einleitung erläutert, wird daher
keine Unterscheidung der beiden Kunstrichtungen im Folgenden unternommen,
denn dass die visuelle Besonderheit der Schrift in beiden Kunstformen
vordergründig ist, ist mit dem Leitgedanken beider Formen einhergehend. Nach
Dencker ist diese Arbeit dementsprechend aus der Perspektive der_des
Betrachter_in gedacht: „Aus der Sicht des Betrachters konnten alle
Anordnungsformen des Textmaterials, die nicht den traditionellen Satzspiegel
entsprachen, als Visuelle Poesie bezeichnet werden.“160
2.3.Formen Visueller Poesie
Es gibt verschiedene Erscheinungsformen der Visuellen Poesie. Schrift und Bild
können sich in verschiedensten Weisen auf der Bildfläche zusammenfügen. Die
wichtigsten und für den Grundschulunterricht relevantesten Formen der Visuellen
Poesie werden im Folgenden erläutert.
Figurengedichte sind die wahrscheinlich bekannteste Form von Visueller Poesie.
Besonders im Barock war es eine häufig vorzufindende Form der Poesie.
Die Bildebene der barocken Figurengedichte konstituiert weder ein
Gemälde noch ein komplexes Bild, sondern ist in der Regel dadurch
gekennzeichnet, dass über die Anordnung der Wörter auf der Blattfläche die Konturen eines Gegenstandes in der Art eines
Schattenrisses wiedergegeben sind.161
159 Gomringer 1996, S. 150. 160 Dencker 2011, S. 10. 161 Plotke 2009, S. 35.
27
Nach dem vielfachen Aufkommen zu Zeiten des Barocks wurde das
Figurengedicht besonders im 19. und 20. Jahrhundert wieder als Möglichkeit der
Bildgestaltung entdeckt und ist bis heute Teil der Visuellen Poesie.162
In der
Poesie ist die Einbeziehung der Form ein alt tradiertes Phänomen.
Figurengedichte sind eine sehr frühe Erscheinung. Sowohl in der Antike, im
Mittelalter als auch in der Frühen Neuzeit sind sie zu finden.163
Zudem können sie
„in fast allen Kulturen nachgewiesen werden.“164
Im 17. Jahrhundert wurden
Figurengedichte seltener.165
Dencker merkt an, dass, im Bereich der Figurengedichte in der Visuellen Poesie,
auch Verflachungen der Kunst zu finden seien.166
Auch der Apfel mit Wurm167
von
Reinhard Döhl, das wohl bekannteste Figurengedicht aus dem Jahr 1965 sei laut
Dencker ein Werk, das an einer Verflachung von Figurengedichten grenze.168
Es
zeichnet sich durch die Form eines Apfels aus, dessen Schattenumriss sich durch
die Wiederholung des typografisch Schriftzugs Apfel bildet. Der Witz in diesem
Werk liegt in der Ersetzung eines Schriftzugs Apfel mit dem Schriftzug Wurm.
Nach Dencker sei es wichtig bei Figurengedichten, dass „das Verhältnis zwischen
Begriff und optischer Präsentation des begriffsrepräsentierenden Zeichens […] ein
dialektisches sein […]“169
solle. Sonst verflacht das Figurengedicht indem es
lediglich optisch um eine Ebene ergänzt als der konventionelle Textaufbau ist. Ein
Figurengedicht, das lediglich durch seinen Schattenumriss das Bezeichnete durch
das Bezeichnende darstellt „wirkt durch seine Ähnlichkeit, nicht aber durch seine
Idee.“170
Die Idee der Visuellen Poesie strebt jedoch mehr an. Text- und
Bildelemente sollen neue Formen der Rezeption anbieten.
Guillaume Apollinaire gilt als bekanntester Künstler von Figurengedichten. Er ist
besonders für seine Figurengedichte aus den Jahren 1913 bis 1916 bekannt.171
Apollinaire „leitete die typographische Revolution des 20. Jhdts. ein.“172
Es
handelt sich um Figurengedichte, die sich frei von den Lesegewohnheiten der
162 Vgl. Dencker 2011, S. 608. 163 Vgl. Maltrovsky 2004, S. 64ff. 164 Ebd., S. 65. 165 Vgl. ebd., S. 73. 166 Vgl. Dencker 2011, S. 616. 167 Siehe Abbildung 1. 168 Vgl. Dencker 2011, S. 616. 169 Ebd., S. 619. 170 Ebd. 171 Vgl. Maltrovsky 2004, S. 78. 172 Ebd.
28
Rezipienten_innen machen. Apollinaire widersetzt sich der horizontalen
Schreibweise und beginnt mit Schrift und im Schriftbild zu zeichnen. Das
Schriftbild stellt hierbei einen Gegenstand dar. Diese Textbilder von Apollinaire
stellen Wegbereiter dar,
dem die Experimente der Futuristen und Dadaisten folgen, fortgeführt, erweitert und zu ganz eigenständigen Formen gebracht [werden, Anm.
IT] durch die Künstler der Konkreten und Visuellen Poesie in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.173
Poeten_innen wie Stéphane Mallarmé beginnen Ende des 19. Jahrhunderts die
Poesie und deren Visualität in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Mallarmé
bezieht „grafische Prinzipien in die Literatur mit ein. Der Text nähert sich dem
Bild, er erfährt Ikonisierung, die mit seinen inhaltlichen Momenten
korrespondiert.“174
Besonders sein Werk Un Coup de Dés gilt als „[…]
Wegbereiter für eine neue Gattung der Sprache-Bild-Texte.“175
Es erinnert sehr an
die Visuelle Poesie des 20. Jahrhunderts, da es die Visualität des Textes betont. Es
gab einen Umschwung innerhalb der Poesie, da dieses Werk „erstmals konsequent
einen Bewegungs- und Gedankenprozeß des Textes durch moderne Methoden der
Typographie transparent machte […].“176
In Un Coup de Dés ahmt der Text keine
Form nach, wie es die Figurengedichte taten. Die Schrift verweist auf sich selbst.
„Das Auftauchen von Wörtern und Wortgruppen aus dem Weiß der Seiten versteht
Mallarmé als Auftauchen der Wörter aus dem Schweigen.“177
Die Grenze zur
bildenden Kunst wird so aufgebrochen. Das Visuelle kehrt in die Poesie.178
Dabei
geht er einen Schritt weiter als die bekannten Figurengedichte und widersetzt sich
den festgelegten äußeren Umrissen der bisher bekannten Figurengedichte.179
„Als
erster verwendet Mallarmé freie Verse und schuf eine offene Form.“180
Mallarmé
weicht von den bisher bekannten Figurengedichten ab und führt sie weiter. Ihre
173 Dencker 1997, S. 173. 174 Faust 1987, S. 68. 175 Maltrovsky 2004, S. 77. 176 Ulrich Ernst (1992): Die Entwicklung der optischen Poesie in Antike, Mittelalter und Neuzeit.
In: Ulrich Weisstein (Hrsg.): Literatur und bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis
eines komparatistischen Grenzgebietes. Berlin: Schmidt, S. 146. 177 Faust 1987, S. 68. 178 An dieser Stelle sei jedoch darauf verwiesen, dass Poesie immer auch eine Visualität durch
Strophen und Verse besitzt. 179 Vgl. Jeremy Adler / Ulrich Ernst (1987): Text als Figur : visuelle Poesie von der Antike bis zur
Moderne. Ausstellung im Zeughaus der Herzog-August-Bibliothek vom 1. September 1987 - 17.
April 1988. Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek, S. 233. 180 Ebd.
29
Machart erinnert bereits sehr an die Werke der Visuellen Poesie im 20.
Jahrhundert. Diese Werke von Mallarmé nennt Denker Satzspiegel.
Die Konstellation würde durch den Einbezug von Raum
Assoziationsmöglichkeiten schaffen und nicht zwingend ein geschlossenes
Gebilde darstellen.181
Die Elemente im Bild einer Konstellation beziehen sich
aufeinander und wirken aufeinander ein. Der Raum und die Positionierung der
Buchstaben sind von Belang. Bei einer Konstellation sei es nicht möglich den
optischen Text in einen akustischen Text zu übersetzen wie es bei Texten mit
konventioneller Zeichenanordnung der Fall sei.182
„In der Konstellation kommt es
zu einem Spannungsverhältnis zwischen graphischer und begrifflicher Dimension,
so daß beide Dimensionen sich ergänzen oder die optische Form einen
bestimmten Aspekt des Begriffes fixiert.“183
Besonders Eugen Gomringer ist für
seine Formen der Konstellation bekannt. „Gomringers wesentliche und
einflußreiche poetische Innovation war die Konstellation.“184
Die Kalligrafie ist eine weitere Form der Visuellen Poesie. Sie ist „der Weg von
der Lesbarkeit über die Sichtbarkeit zu einer neuen Bildlichkeit der Schrift, die
auf einer individuell-gestischen Qualität fußt.“185
Die_Der Schreibende kann mit
einer Kalligrafie mittels seiner Handschrift den Inhalt mit dem Schriftbild
verknüpfen. Die persönliche Stellung zum Text kann mit der Schreibweise dessen
einhergehen. Die Ästhetik der eigenen Handschrift steht bei Kalligrafien im
Vordergrund.
2.4.Grundlagen Visueller Poesie
„Mit der Hybridisierung der Bilder durch die Verschränkung visueller und
verbaler Techniken hat die Kunst des 20. Jahrhunderts eine Herausforderung an
die disziplinären Grenzlinien formuliert.“186
Wo endet bildende Kunst und wo
beginnt etwas Literatur zu sein? Visuelle Poesie ignoriert die disziplinären
Grenzen. Sie stellt eine Herausforderung an ihre Rezipienten_innen dar. Sie betont
die visuellen Erscheinungen ihrer beiden Medien. Die_Der Rezipient_in ist
181 Vgl. Gomringer 1972, S. 163. 182 Vgl. Weiermair 1993, S. 185. 183 Ebd. 184 Ebd. 185 Dencker 2011, S. 697 186 Meister 2007, S. 192.
30
gefordert, wenn sie_er Visueller Poesie begegnet. Sie_Er muss alte
Lesegewohnheiten ablegen und wird sich dieser Gewohnheiten somit bewusst.
Werke der Visuellen Poesie sind anschaubar und/oder lesbar. Manchmal erwecken
sie nur den Anschein lesbar zu sein und in anderen Fällen erweist sich ihre
Lesbarkeit als optische Täuschung. Durch die Einbeziehung der Fläche und der
sichtbaren Beziehungen der Elemente in einem Werk der Visuellen Poesie ändert
sich die Rezeptionsweise.
der ganze text zeigt auf einen blick seine struktur, gliedert sichtbar
seine beziehungen aus […], tritt unmittelbar ins bild, statt sich erst in
der vorstellung des lesers allmählich aus dem gelesenen erinnerten aufzubauen.
187
Ein Werk der Visuellen Poesie „[…] wird zum seh- und gebrauchsgegenstand:
denkgegenstand – denkspiel.“188
Die Schrift fordert von uns eine erlernte
Rezeptionsweise, die sie gleichzeitig infrage stellt. „Bild und Sprachtext stellen
differente Kommunikationssysteme dar, die durch ihre Verbindung zu einem
neuen Ganzen zusammengefügt werden.“189
Die Auseinandersetzung mit dieser
Form bietet neue Möglichkeiten der Darstellung. Sie sind somit häufig auch in
ihrer Rezeptionsweise komplexer als Werke, die sich auf ein Medium
beschränken.
Gemäß Wolf Haas gäbe es drei Hauptthesen der Visuellen Poesie. Je nach
Vertreter_in sei die eine oder andere These im Vordergrund des Werks der
Visuellen Poesie. Die erste These lautet: „Die Sprache bestimmt die
Wirklichkeitserfahrung. Gesellschaftskritik muß daher als Sprachkritik
erfolgen.“190
Diese These ist dem geschichtlichen Kontext geschuldet. Visuelle
Poesie zeichnet sich dadurch aus, das sie Werke hervorbringt, die die Macht von
Sprache thematisieren und reflektieren. Wie wir Sprache verarbeiten und das
Werk durch die Sprache wahrnehmen ist Gegenstand der Visuellen Poesie. Zudem
betont Haas, wie sehr unsere Wahrnehmung von Sprache abhängig ist.191
Wie wir
unsere Umwelt wahrnehmen, wird vielfach durch Sprache gelenkt. Sie wirkt auf
187 Franz Mon (1972): zur poesie der fläche. In: Eugen Gomringer (Hrsg.): konkrete poesie.
Stuttgart: Reclam, S. 168. 188 Gomringer 1972, S. 156. 189 Maltrovsky 2004, S. 13. 190 Haas 1990, S. 2. 191 Vgl. ebd.
31
uns und unsere Eindrücke von der Welt ein. Sie lenkt sie und darf daher nicht
unreflektiert konsumiert werden, sondern sollte mittels der Kunst erfahrbar
gemacht werden.
Die zweite These laut Haas ist, dass die Visuelle Poesie die Semantik ablehne,
also bedeutungsfreien Umgang mit Sprache zu repräsentieren versuche.192
Die
Unmöglichkeit mit gewissen Wörtern nichts zu assoziieren wird grundsätzlich
Thema der Visuellen Poesie. Auch die Unmöglichkeit mit Wörtern wie alles oder
nichts etwas Konkretes zu assoziieren wird von der Visuellen Poesie thematisiert.
Somit sei sie „[…] nichts Vermittelndes, sondern bloßes Material, bloßes
Sprachding.“193
Besonders Gomringer betont diesen Aspekt der Visuellen Poesie.
das wort: es ist eine größe. es ist – wo immer es fällt und geschrieben
wird. Es ist weder gut noch böse, weder wahr noch falsch. Es besteht aus lauten, aus buchstaben, von denen einzelne einen individuellen,
markanten ausdruck besitzen.194
Die Gesellschaft und der Gebrauch von Wörtern erschaffen aus dem einfachen
Wort erst einen Gegenstand mit Bedeutung. Begegnen wir einem Wort ohne
Vorbehalt wäre es nur das was es ohne Bezeichnetes ist: Bedeutungslose Linien
und somit Gestaltungsmittel einer Fläche.
Hieraus bildet sich sodann die dritte und letzte These nach Haas, in der er auf die
Materialität von Sprache und dem mit ihr einhergehenden Schriftbild eingeht.
Gomringer merkt an195
: „die schlagzeile und das schlagwort schlagen nicht nur
durch lautkombination und inhalt, sie schlagen auch durch das schriftbild.“196
Für
ihn ist das Wort eine Kraft, die sich ein Rezipient im Alltag nicht bewusst macht.
Ein Wort hat für ihn einen materiellen Reiz, der durch die Umgebung des Wortes
zu- und abnehmen kann: Das Besondere am Wort sei „die schönheit des materials
und die abenteuerlichkeit des zeichens.“197
Diese drei Thesen sind auf viele Werke der Visuellen Poesie zutreffend. Sie
spiegeln die Ideen der Visuellen Poeten_innen wider. Durch die große Bandbreite
192 Vgl. Haas 1990, S. 2. 193 Ebd. 194 Gomringer 1972, S. 157. 195 Gomringer betont, dass die konsequente Kleinschreibung das rationellste Schriftbild sei,
dementsprechend ist sowohl sein Buch „konkrete poesie“ als auch „visuelle poesie“ konsequent
mit Texten, die aus kleinen Buchstaben bestehen, verfasst worden. Siehe: Gomringer 1972, S.
153f. 196 Gromringer 1972, S. 153. 197 Ebd., S. 157.
32
von Visueller Poesie entstanden jedoch auch verschiedene Grundhaltungen, was
die Visuelle Poesie leisten solle. Nach Heinz Gappmayr solle ein_e Rezipient_in
in Visueller Poesie nicht den „[…] Sinn einer Mitteilung über Gegenstände
außerhalb der Sprache […]“198
erwarten. Wir sind dahingehend sozialisiert
worden, dass Sprache immerzu auf etwas Außersprachliches verweist.
Eine Dichtung, die sich vor allem auf sich selbst bezieht, d.h. auf das,
womit nur etwas vermittelt werden soll, wird in ihrer Struktur zugleich die Explikation dieser Bedingungen vermitteln und somit
nicht vorherbestimmen, nach welchem Schema sich das Verständnis
des Lesers zu richten habe.199
Dichter der Visuellen Poesie zielen nicht konkret auf eine Interpretation seitens
der_des Rezipienten_in ab, die einen Bezug außerhalb des Sprachsystems hat.
Durch diesen Selbstbezug der Sprache sei das Objekt, über den die_der
Rezipienten_in etwas aussagen könnte, abwesend.200
Spätere Arbeiten der
Visuellen Poesie beziehen jedoch den Sprachkontext in ihre Werke ein.
Nach Eugen Gomringer würde die Visuelle Poesie von ihren Mitteln abhängen.201
Diese seien das Wort und der mit diesem Wort verbundene Zweck in der
Gesellschaft.202
Beim Lesen eines Wortes assoziieren wir mit dem Wort das
Bezeichnete des Wortes. Verschiebt sich der Kontext, in dem wir das Wort
kennengelernt haben, kann dies zu neuen Assoziationen und zu einer intensiveren
Auseinandersetzung mit dem Wort und der Schrift allgemein führen. Visuelle
Poesie kann „[…] Spannung aus der Negation des Erwartungshorizontes des
Lesers beziehen.“203
2.5. Drei Beispiele der Visuellen Poesie
Um die Besonderheiten der Visuellen Poesie und der damit einhergehenden
Faszination der Werke der Visuellen Poesie deutlich zu machen, werden im
Folgenden die Werke dreier Visuellen Poeten_innen erläutert. Sie sollen
exemplarisch aufzeigen, wie die Visuelle Poesie Schrift und Bild für sich nutzt
198 Gappmayr 1974, S. 59. 199 Ebd., S. 60. 200 Vgl. Ebd., S. 62. 201 Vgl. Gomringer 1972, S. 156. 202 Vgl. ebd. 203 Weiermair 1993, in Wien, S. 126.
33
und die damit einhergehende Ästhetik der Schrift betont. Die Auswahl der drei
Künstler_innen soll die große Bandbreite an Möglichkeiten und Facetten der
Visuellen Poesie deutlich machen. Es sind hier bewusst drei Künstler_innen
gewählt, die sich in ihrer Art der Umsetzung von Visueller Poesie stark
unterscheiden. Zudem wurde bei der Auswahl dieser drei Exempel Wert darauf
gelegt, dass sie für eine vierte Klasse sowohl interessante Facetten der Visuellen
Poesie aufweisen und zudem dem Alter angemessen sind. „Kunstwerke sollen
Handlungen anregen, die kindlichen Bedürfnissen entsprechen.“204
Das heißt die
Beispiele stellen Werke dar, die die Schüler_innen einer vierten Klasse fordern,
dabei jedoch durch ihre Machart eine Faszination mit sich bringen, die die
Schüler_innen zu einer Auseinandersetzung mit ihnen motivieren sollen.
Gomringers Werke sind ein Beispiel für eine Form der Visuellen Poesie, die sich
sehr nah an der Schrift orientiert.205
Er arbeitet ausschließlich mit den
Zeichenelementen, die die alphabetische Schrift liefert. Carlfriedrich Claus weist
ein hohes Maß an Bildelementen auf. Seine Visuelle Poesie zeichnet sich durch
ein hohes Maß an Komplexität aus. Safiye Cans Visuelle Poesie hat eine Form,
die sich durch einen besonderen Witz und dennoch durch einen Tiefgang in der
Wort-Bild-Kombination hervorhebt. Die hier vorgestellten Werke sollen
exemplarisch für die große Bandbreite der Visuellen Poesie beschrieben werden.
2.5.1. Eugen Gomringer
Ein Werk
wird erst vollständig
von denjenigen gemacht,
die es betrachten.206
Dies wird besonders bei den Werken von Eugen Gomringer deutlich. Bei ihm
„gehen in den ˏKonstellationen´ Text und Fläche eine untrennbare, nicht linear zu
ˏlesende´ Einheit ein.“207
Er fokussiert sich auf das Sprachmaterial. Die_Der
Rezipient_in ist gezwungen beim Anblick seiner Werke sich mit der eigenen
Sprache auseinanderzusetzen. Gomringers gestalterische Mittel sind hierbei sehr
204 Constanze Kirchner (2009): Kunstpädagogik für die Grundschule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt,
S. 151. 205 Das heißt, die häufig zur Konkreten Poesie gezählt wird. 206 Marcel Duchamp zit. nach Uhlig 2005, S. 84. 207 Straßner 2002, S. 95.
34
simpel gehalten. Im überwiegenden Teil seiner Arbeiten benutzt er lediglich
Alphabetschrift zur Gestaltung einer Fläche. Das Farbspektrum beschränkt sich
auf schwarz und weiß. Zudem zeichnen sich seine Werke durch eine sehr schlichte
und begrenzte Anzahl an Buchstaben oder Wörtern aus. „Der Einzelbegriff oder
Einzelbuchstabe verweist provokativ auf seine Existenz und auf den ästhetischen
Eigenwert von Sprache.“208
Das Zentrum seiner Werke ist immer das
Sprachmaterial und deren Ästhetik.
Gomringer selbst betont den gezielten Einsatz von Worten und deren gezielten
Auslassung von Worten damit die Wörter gezielt wirken können: „das schweigen
zeichnet die neue dichtung gegenüber der individualistischen dichtung aus. Dazu
stützt sie sich auf das wort.“209
Besonders in seinem Werk schweigen210
wird die
Betonung auf das Bezeichnete des Wortes deutlich. Zudem wird hier erkennbar
wie Gomringer mit simplen Mitteln einen unvermeidlichen Effekt erzeugt, der
die_den Rezipienten_in auf sich selbst und ihre_seine Rezeption von Text
zurückwirft. Es ist das bekannteste Werk Gomringers. Es ist ein sehr schlicht
gehaltenes, visuelles Gedicht, das aus lediglich 14 Wörtern besteht. Es handelt
sich bei diesen Wörtern um das Verb schweigen. Es zeichnet sich durch eine
horizontale, typografische Schrift aus, die in fünf Zeilen jeweils dreimal das Verb
aufweist, bis auf die mittlere Zeile, die lediglich zweimal das Verb verzeichnet.
Durch diese Konstellation entsteht eine Lücke innerhalb der Wörter. Genau in der
Mitte des Gedichts ist eine sofort erkennbare Abwesenheit des Wortes
auszumachen. Diese Auslassung lässt der_den Rezipienten_in ebenfalls in diese
Lücke das Wort schweigen vermuten, auch wenn es gerade an dieser Stelle zu
fehlen scheint. Das eigentlich Bezeichnete des Wortes schweigen entsteht erst
durch den Verzicht auf das Wort und somit durch den Verzicht auf die Schrift
selbst. Würde dieses Gedicht vorgelesen werden, wäre an der Stelle, an der kein
schweigen stehen würde tatsächliches Schweigen angebracht. Das Wort und die
Bedeutung werden auf diese Weise hervorgehoben. Der Paradoxie des Wortes und
seiner Bedeutung wird sich der_die Rezipienten_in somit bewusst. Schrift und
Funktionen werden durch diese sehr simple Demonstration des Zusammenspiels
von Bezeichnendem und Bezeichnetem hinterfragt und diskutiert. Die Umsetzung
208 Straßner 2002, S. 95. 209 Gomringer 1972, S. 157. 210 Siehe Abbildung 2.
35
ist eine visuelle. Nur durch die ständige Wiederholung des Wortes wird das Fehlen
deutlich. In einem kontinuierlichen Text würde ein_e Leser_in nicht eine Lücke
im Text mit der Assoziation des Schweigens, also des Nichtsagens und der Stille,
verbinden. Dies ist nur durch die von Gomringer gewählte visuelle Darstellung
möglich. Der Aufbau der Schrift ist der Aussage des Textes dienlich.
In der Visuellen Poesie ist es, wie in diesem Werk deutlich wird, wichtig die
Fläche zu beachten und die einzelnen Elemente in Beziehung zu setzen. „[S]ie
bringt ihre bedeutungsmomente, wie zentrum, rand, oben, unten, rechts, links, mit
in den lesezusammenhang […]“211
Die Fläche macht die Konstellationen
verschiedener Bild- und Schriftelemente erst möglich. Deren Zusammenspiel wird
durch sie bestimmt.212
„Die Fläche erhält ihre eigene Grammatik.“213
Durch die
unkonventionelle Nutzung von Textfläche tritt sie in den Vordergrund und in das
Bewußtsein der_des Rezipienten_in. Durch diese freie Setzung der Textelemente
wird es möglich der Struktur der Textfläche Bedeutung zu geben. Die
Konstellation der einzelnen Elemente in der Bildfläche gerät ins Blickfeld. Wörter
und deren Assoziationen vermischen sich. Die Gruppierung und Lage der
Textelemente und der bildlichen Elemente können die Aussage der Schrift stützen,
sie negieren, sie ignorieren und vieles mehr. Die Bedeutung der Buchstaben- und
Wortelemente lässt sich durch die Lage auf dem Bild und deren Zusammenwirken
mit weiteren Elementen verändern.
„Die leere Mitte bzw. die Leere in der Mitte macht zudem, visuell gesehen, den
Eindruck eines leeren Raumes, der umgeben ist von ´schweigenden´ Mauern.“214
Eine Betrachtung der Wörter in Bezug auf die Fläche, die sie mit ihren
Signifikanten beschreiben, legt die Vermutung nahe, dass das Schweigen etwas
umschließt das nicht sichtbar ist. Denkbar wäre, dass es nicht sichtbar ist, da es
nicht benennbar ist. Nicht Benennbares ist sowohl durch Schrift als auch durch
Bild darstellbar: Eine weiße Leinwand wie ein weißes Blatt Papier spiegelt
lediglich das Medium dar und verweist somit auf sich selbst.
Visuelle Poesie kann, wie an Gomringers Werk deutlich wird, Sprachsensibilität
erzeugen. Sie deckt die Konstruktion der Schrift auf und kann ebenso kritisch
211 Mon 1972, S. 168f. 212 Vgl. ebd., S. 169. 213 Straßner 2002, S. 95. 214 Hans Hiebel (2006): Das Spektrum der modernen Poesie. Interpretationen deutschsprachiger
Lyrik 1900-2000 in internationalen Kontext der Moderne. Teil ll (1945 – 2000). Würzburg:
Königshausen und Neumann, S. 204.
36
hinterfragen, wie diese aufgebaut ist. Durch den sparsamen Einsatz der
Schriftelemente wird überdies deren Ästhetik betont.
2.5.2. Carlfriedrich Claus
Mit dem Begriff Sprachblätter werden die Bilder von Carlfriedrich Claus, die sich
aus einer Fülle an teilweise nicht entzifferbaren Buchstaben, Wörtern und Sätzen
zusammenfügen, bezeichnet. Sie sind nicht auf einen Blick lesbar, sondern in
einer unüberschaubaren Menge angeordnet. Ein Sprachblatt sei hier als ein
exemplarisches Beispiel für die Machart seiner Visuellen Poesie beschrieben.
Das Material dieses Sprachblattes ist Transparentpapier, das beidseitig mit
schwarzer Tusche mit einer Feder beschriftet wurde. Im unteren Viertel des Bildes
befindet sich ein dunkler, ungenau gezeichneter, ungleichmäßiger Halbkreis aus
Strichen, auf dem noch dunklere Striche einen Umriss formen, der an einen
Schatten erinnert. Oberhalb dieses Halbkreises ist eine Vielzahl von
Strichelungen, kleinen Gebilden und Schriften, die in verschiedene
Schreibrichtungen auf das Papier platziert wurden. Der Halbkreis ist durch
diverse, gezeichnete, undefinierbare Gebilde mit dem oberen Teil des Bildes
verbunden. Der obere Teil des Bildes weist Schrift in verschiedenen Formen auf.
Durch die Transparenz ist die Schrift teilweise blass und spiegelverkehrt lesbar.
Getrennt werden die verschiedenen Schriftornamente durch Linien, Striche und
Gebilde, die ebenfalls eine unterschiedliche Stärke, Größe und Form aufweisen.
Die einzelnen Elemente des Bildes rufen Assoziationen beim Betrachten hervor.
Sie verschließen sich jedoch der eindeutigen Zuordnung als Gegenstände. Durch
die Kombination der verschiedenartigen Elemente des Bildes ist keine eindeutige
Zuweisung zu dem Dargestellten möglich. Dieses ungeordnete und
unüberschaubare Gebilde trägt daher zu Recht den Titel Entstehung einer
Denklandschaft215
. Die_Der Betrachter_in kann sich scheinbar die ungeordneten
Gedanken des Künstlers anschauen. Verknüpfungen der Gedanken entstehen
durch Schrift- als auch durch Bildelemente zwischen den unterschiedlichen
Textelementen. Es entsteht der Eindruck einer Landschaft. Die ovalen Gebilde
erinnern an Gedankenblasen wie sie aus Comics bekannt sind.
215 Siehe Abbildung 3.
37
Wenn Grundschulkinder der bildenden Kunst begegnen assoziieren sie, wie
Erwachsene auch, das Gesehene mit vorher Gesehenem.
Kinder werden […] in Kunstwerken vorerst nach Ähnlichkeiten und
Entsprechungen ihrer Lebens- und Erfahrungswelt suchen, wenn sich
die Wahrnehmungsgegenstände dem direkten (Wieder-)Erkennen entziehen.
216
Sie möchten etwas in einem Bild wiedererkennen. Sie sind fasziniert von Formen,
die sie entschlüsseln müssen. Das Erkennen von Figuren in Wolkenbildern ist
hierbei das beste Beispiel. Das Werk von Claus erinnert an solche Wolkenbilder,
die Assoziationen zulassen, jedoch nicht deutlich einen bestimmten Gegenstand
benennen.
Nachvollziehbarkeit weist das Bild durch die Anordnung und das chaotische
Durcheinander der unterschiedlichen Elemente nicht auf. Es macht
dementsprechend eher darauf aufmerksam wie wirr Gedanken entstehen und wie
viele verschiedene Eindrücke zusammenwirken, wenn wir etwas denken. Zudem
wird deutlich, wie verworren die Gedanken aufeinander wirken und sich
beeinflussen. Manche Gedanken sind kaum beschreibbar, sie sind undefinierbar,
wie sie hier im Werk von Claus zu sehen sind. Die Gedankenwelt scheint
unüberschaubar. Dies wird besonders durch der Unlesbarkeit der Bild- und
Schriftelemente deutlich. Die Bildelemente, die meist feine und grobe Linien und
Gebilde darstellen vernetzen das Bild zu einer Einheit. Eine gewisse Struktur wird
durch sie gegeben. Nur die Schrift würde die_den Betrachter_in überfordern.
Durch die Kombination von Schrift und Bild wird es umso interessanter. Diese
Kombination schafft Struktur. Es entsteht die Struktur einer Landschaft und
erinnert durch ihre Zusammensetzung an eine Landkarte. Und wie bei einer
Landkarte darf Beschriftung zur Orientierung im hier dargestellten
„Gedankenwirrwarr“ nicht fehlen.
Das Werk wirft die Frage auf: Wie denken wir? Denken wir in Bildern oder in
Sprache? Vermutlich denken wir in beiden Medien. Und vermutlich denken wir
so, wie es das Werk von Claus aufzeigt: Ungeordnet und vollkommen chaotisch.
Wir haben schöne Gedanken, die sich mit den hellen Flächen assoziierbar wären.
Zudem haben wir unschöne Gedanken, die die dunklen Flächen des Papiers
216 Bettina Uhlig (2005): Kunstrezeption in der Grundschule. München: kopaed, S. 36.
38
widerspiegeln könnten. Unsere Gedanken breiten sich aus, wie sich die Schrift auf
dem Papier ausdehnt. Und sie gehen über das hinaus, was wir denken können, wie
sich auch die Schrift über das Blatt Papier hinaus erstreckt.
Die Visuelle Poesie von Claus macht deutlich, dass sich die Visuelle Poesie sehr
weit entfernen kann von Schrift wie sie im Alltag bekannt ist. Dies wird auch
deutlich anhand von Werken wie Antikontemplative Meditation217
, welches sich
durch völlige Unlesbarkeit der Zeichen auszeichnet. Die Zeichen weisen eine
Form auf, die sehr stark an Schrift erinnert, widersetzen sich jedoch
Leseversuchen. Der Anschein einer Geheimschrift, die nur für eine ausgewählte
Gruppe von Menschen lesbar ist, entsteht. So wird die_der Rezipient_in auf die
Bildelemente aufmerksam, die scheinbar Schriftelemente sind, sich jedoch nicht
dem gewohnten Zeichen der Schrift bedienen. Der malerische und zeichnerische
Charakter der Schrift wird genutzt. Die inhaltliche Komponente, die der Schrift
enthalten ist, wird ausgesetzt. Das Unentschlüsselbare macht das Bild
dementsprechend reizvoll.
Visuelle Poesie ist eine Kunstform, die Schrift als Gestaltungsmittel einsetzen
kann. Sie ist nicht auf die Lesbarkeit der schriftlichen Zeichen fixiert, sondern
kann ihre Ästhetik auf vielfache Weise nutzen.
2.5.3. Safiye Can
Links gehen und rechts stehen: Eine Absprache, der wir im Alltag ständig
begegnen und die Safiye Can zum Ausgangspunkt ihrer Konstellation
linksgehenrechtsstehen218
machte. Hier fügen sich die Wörter in zwei Spalten, die
jeweils 36 Zeilen aufweisen. Auf der linken Seite sind die Wörter Links gehen zu
lesen. In einem gewissen Abstand folgen auf der rechten Seite, die Wörter Rechts
stehen. Unterbrochen wird dieses regelmäßige Satzgefüge mit dem Wort Idiot in
der linken dreizehnten Spalte. Die darunter liegenden Zeilen der linken Spalte
sind nun mit den Wörtern Links stehen versehen. In der in Deutschland gängigen
Leserichtung von oben nach unten entsteht so der Eindruck als würde das Wort
Idiot die oberen von den unteren Zeilen inhaltlich trennen. Da das Wort Idiot
einen Menschen personifiziert, wird die_der Rezipient_in beim Lesen der Wörter
217 Siehe Abbildung 4. 218 Siehe Abbildung 5.
39
dazu verleitet, auch die übrigen Wörter mit Menschen zu verbinden: Mit
Menschen, die links gehen und rechts stehen und zu solchen, die durch einen
Idioten dazu veranlasst wurden ebenso links als auch rechts zu stehen. Das Wort
Idiot nimmt dementsprechend gewissermaßen den anderen Wörtern die Dynamik.
Es scheint als würde der Idiot, derjenige, der nicht das macht, was alle anderen
machen, nämlich links gehen und rechts stehen, durch seine Handlung alle
anderen in ihrem Tun behindern. Alltagssituationen, wie das Verhalten auf
Rolltreppen oder die gängigen Regelungen auf Autobahnen, sind viele mit der
Konstellation von Can assoziierbar. Und sicherlich gibt es in all diesen
Alltagssituationen, die durch gesellschaftliche Konventionen entstanden sind,
auch Menschen, die sich diesen Regelungen widersetzen und von anderen als
Idiot betitelt werden. Die Wörter stellen ihre eigene Umgebung her: Eine Masse
an Menschen, die durch einen Menschen aus ihrem gewohnten Strom gerissen
werden. Interessant ist zudem, dass selbst die Wörter, wie Links gehen also, die,
die keine Substantive sind und somit keine Menschen beschreiben durch den
Kontext dennoch als Wörter, die für Menschen stehen, frühzeitig identifiziert
werden.
Diese Konstellation, die solche Phänomene buchstäblich beim Namen nennt,
erhält durch das subtile Aufzeigen, wie Menschen durch solche willkürlichen
Regelungen in ihrem Alltag festgelegt sind, eine gewisse Komik. Da sich jeder
mit dieser Situation identifizieren kann, auch wenn Can gar keine spezifische
Situation benennt, erhält sie einen humorvollen Aspekt. Das Wort Idiot erscheint
so unerwartet in dem geordneten Gefüge der Worte, dass es zum witzigen Bruch
der Konstellation wird.
Dieses Visuelle Gedicht unterscheidet sich von den Gomringers. Es wirft die_den
Rezipienten_in nicht so sehr auf die Schrift und deren Wirkungsweise zurück,
sondern verweist auf gesellschaftliche Umstände. Es macht deutlich, wie sehr ein
einzelner eine Gemeinschaft zum Stillstand bringen kann.
Es ist jedoch unklar wer den Idioten als einen solchen betitelt. Ist die_der
Rezipient_in der Meinung er sei einer, sobald er nicht mehr der Masse folgt oder
denkt dies nur die Masse, die von ihm aufgehalten wird? Die_Der Betrachter_in
erhält einen anderen Blick auf die ansonsten so homogene Masse, innerhalb derer
alle einander folgen, scheinbar ohne den Strom der Masse zu befragen. Das
Visuelle Gedicht wird so von der dargestellten Alltagssituation zu einer
40
gesellschaftskritischen Auseinandersetzung der Künstlerin mit der derzeitig
vorzufindenden Situation in Deutschland und der Welt. Die Masse folgt
demselben Weg. Wer sich der Masse widersetzt, widersetzt sich den
Konventionen. Sich solchen Konventionen entgegenzustellen, die eine lange
Tradition haben, wie das Linksgehen und Rechtsstehen, hat die Folge, dass der
Rebell als Idiot bezeichnet wird.
Andere Werke von Can zeichnen sich durch ähnliche Tiefe bei näherer
Beschäftigung mit ihnen aus. Beispielsweise in ihrem Werk Butterfly219
. Auf den
ersten Blick ist ein Schmetterling zu sehen, dessen Körper aus den Buchstaben A,
L und L bestehen. Die Striche, die von diesem Schmetterlingskörper ausgehen
weisen auf jeweils drei Wörter: es ist vergänglich. Beim erstmaligen Betrachten
verleitet das Bild daher dazu, die Buchstaben und Wortfetzen zusammenzufügen.
Es entsteht der Satz Alles ist vergänglich. Die Form des Schmetterlings wird im
Zusammenhang mit dieser Aussage beinahe zum Kitsch. Es scheint, als sei es ein
Figurengedicht ohne Tiefgang. Erst bei einer näheren Betrachtung und
Auseinandersetzung mit dem Werk fallen die Fühler des Schmetterlings auf, die
die Form eines Kommas haben. Demzufolge wäre eine weitere Form der
Lesbarkeit dieses Gedichts All, es ist vergänglich. Assoziationen vom All und das
Zusammenspiel der Symbolik des Schmetterlings mit dem All und der
Vergänglichkeit werden somit angestoßen. Zudem wird die_der Rezipient_in
somit auf die Mehrdeutigkeit des Werks und der Mehrdeutigkeit von Sprache
aufmerksam. Ein kleines Zeichen, wie das Komma, kann dem Werk einen neuen
Sinn geben.
Visuelle Poesie ist nicht eindeutig. Sie nutzt die Mehrdeutigkeit der Sprache und
fügt dieser eine Bildebene hinzu, die bei der Rezeption den Verstehensprozess
unterstützt oder aufhält und somit Rezeptionsweisen hinterfragt. Sie kann, wie in
linksgehenrechtsstehen deutlich wurde, auf die gesellschaftlichen Umstände
verweisen und zu einer Auseinandersetzung mit diesen beitragen.
3. Kunstunterricht in der Grundschule
Nach den vorherigen Darstellungen der Visuellen Poesie soll nun ein Einblick in
den Kunstunterricht der Grundschule erfolgen, innerhalb dessen die Visuelle
219 Siehe Abbildung 6.
41
Poesie Eingang finden könnte. Die Rahmenbedingungen des Kunstunterrichts
sollen so deutlich werden, um eine Einbettung der Visuellen Poesie in diesen
Rahmen zu prüfen. Zunächst wird der fächerübergreifende Unterricht der Fächer
Kunst und Deutsch als Basis für das Thema Visuelle Poesie untersucht.
3.1.Fächerübergreifender Unterricht
„Mit fächerübergreifendem Lehren und Lernen wird in der aktuellen
Schulreformdiskussion im Allgemeinen die Erwartung verknüpft, Unterricht zu
verbessern oder weiterzuentwickeln.“220
Gründe für die Vermutung, dass ein
fächerübergreifender Unterricht auch einen besseren Unterricht darstellt, gibt es
viele, jedoch existieren auch Gegenpositionen, die fächerübergreifenden
Unterricht nicht befürworten. Woher diese Forderung nach Interdisziplinarität der
Schulfächer rührt, soll im Folgenden kurz umrissen werden.
In der Grundschule ist ein interdisziplinärer Unterricht Alltag. Die Fächergrenzen
sind hier häufig fließend, da eine Lehrkraft mehrere Fächer unterrichtet. Die
Gegebenheiten in der Primarstufe sind dementsprechend günstig für einen
fächerübergreifenden Unterricht der Fächer Deutsch und Kunst. Daher stellt sich
die Frage, warum es eigentlich Schulfächer an der Grundschule gibt.
Schulfächer bieten Sicherheit. Sie strukturieren den Schulalltag, indem sie
Kategorien bilden, um die Schüler_innen sowohl mit naturwissenschaftlichen,
geisteswissenschaftlichen, als auch gesellschaftswissenschaftlichen Inhalten zu
konfrontieren. Sowohl Schüler_innen als auch Lehrkräften bietet dieser Rahmen
der Schulfächer und den ihnen zugeteilten Inhalten Orientierung. Diese Einteilung
von gewissen Inhalten zu bestimmten Schulfächern gewährt ihnen
augenscheinlichen Schutz. Schüler_innen wissen annähernd, was sie erwartet,
wenn sie beispielsweise in den Religionsunterricht gehen. Auch Lehrkräfte eignen
sich spezifisches Wissen beispielsweise durch ihr Studium an, um auf die Inhalte
der Unterrichtsfächer, die sie unterrichten, vorbereitet zu sein. In einem
fächerübergreifenden Unterricht sind sie dementsprechend fachlich nicht auf alle
Fächer gleichermaßen gut vorbereitet. Zudem sind zeitraubende Absprachen
220 Martina Geigle (2004): Konzepte zum fächerübergreifenden Unterricht. Eine historisch-
systematische Analyse ihrer Theorie. Hamburg: Dr. Kovač, S. 269.
42
zwischen den Lehrkräften, die einen fächerübergreifenden Unterricht
organisieren, erforderlich. Ferner
haben sich Lehrerinnen und Lehrer bei der Vorbereitung
fächerübergreifender Inhalte ihrer eigenen subjektiven Konstrukte zu
vergewissern. So ist zu vermeiden, dass sich Fachgrenzen überschreitende Themen allein auf Grund von Ähnlichkeiten oder
sprachlichen Assoziationen ergeben, die letztlich auch für
Schülerinnen und Schüler nicht oder nur schwer zu durchschauen sind.
221
Ein Entgegenwirken solcher subjektiver Konstrukte bedarf jedoch einer tiefen
Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsthema, welches wiederum die zeitlichen
Ressourcen der Lehrkräfte fordert. Schulfächer sind mit ihren Kerncurricula
voneinander abgegrenzt und inhaltlich infolgedessen durchschaubar. Das System
der Schulfächer hat dementsprechend viele Vorteile. Eine Aufhebung der
Schulfächer geht zudem mit der Befürchtung einher, dass das Fach inhaltlich
begrenzt wird, da andere Fächer in den Fokus gelangen. Ein fächerübergreifender
Kunstunterricht „sollte […] nicht dazu führen, die Identität des Faches Kunst aus
den Augen zu verlieren und die fachlichen Kernbereiche zu opfern.“222
Bedenklich an der obligatorischen Einteilung nach Schulfächern ist, dass nicht
alle Inhalte klar zuzuordnen sind. Noch Bedenklicher ist, ob alle Inhalte überhaupt
zugeordnet werden sollten. Denn die Schulfächer sind konstruierte Kategorien,
denen wir in unserem Alltag häufig vermischt begegnen. Die Lebenswelt der
Schüler_innen ist meist weit entfernt von den Konstrukten der Schulfächer. Ferner
sind auch die Schulfächer an sich inhaltlich nie gänzlich trennbar, selbst wenn
eine klare Trennung angestrebt werden würde. Beispielsweise wenn im
Mathematikunterricht eine Textaufgabe gestellt wird, die gute Lesekompetenz von
den Schüler_innen verlangt oder im Werkunterricht eine Skizze gezeichnet
werden soll. Die Themen der Schulfächer vermischen sich sowohl innerhalb der
Schule als auch im Alltag. Ein Beispiel wäre hier auch die Visuelle Poesie, die
weder dem Fach Deutsch noch dem Fach Kunst klar zuzuordnen wäre.
Auf der Grundlage, dass es sich nur um eine konstruierte Trennung der
Unterrichtsfächer handelt, ist anfechtbar, ob diese Trennung nicht aufgebrochen
221 Geigle 2004, S. 271. 222 Peez, Georg (Hrsg.) (2011): Kunst in der Grundschule fächerverbindend: Unterrichtsbeispiele
und Methoden. Baltmannsweiler: Schneider, S. 11.
43
werden sollte. Die Forderung eines interdisziplinären Unterrichts ist darin
begründet, dass die durch die Schulfächer konstruierte Strukturierung fern von der
Lebenswelt der Schüler_innen sei und zudem „aktuellen Anforderungen seitens
der Schule und der Gesellschaft nicht gerecht werden“223
könne. Soziale
Kompetenzen und Interesse am Unterricht seitens der Schüler_innen könne mit
einer strikten inhaltlichen Trennung der Fächer nicht so gut errungen werden wie
mit einem interdisziplinären Unterricht, so lautet die These der
Befürworter_innen.
Durch die Vernetzung der Hirnaktivitäten beim fächerübergreifenden Arbeiten wird schließlich Kreativität gefördert, durch die spezifischen
sozialen Umgangsweisen und Arbeitsformen Sozialkompetenz
geübt.224
Gewisse Schlüsselqualifikationen seien nicht an Schulfächer geknüpft.225 Diese
Schlüsselqualifikationen fasst Peez unter dem Begriff Bildung. Peez grenzt die
Begriffe Bildung und Qualifikation voneinander ab und bezieht sich hierbei auf
Ludwig Duncker. Fächerübergreifender Unterricht würde eher den Bildungsaspekt
stärken.226
Dieser sei dadurch geprägt, dass die Grundschule „die Dimensionen
Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität als wesentliche
Grundfähigkeiten […]“227
den Schüler_innen lehren soll. Der Begriff
Qualifikation erfasst laut Peez überprüfbare Kompetenzen.228
Fraglich ist, ob ein
fächerübergreifender Unterricht, der den Bildungsaspekt des Unterrichts erwirken
soll, die Qualifikation des Unterrichts mindert oder ob sie nur nicht messbar ist.
Lediglich weil Bildung, wie sie im interdisziplinären Unterricht der Fall ist, nicht
überprüfbar ist, kann sie dennoch ein Ziel des Unterrichts darstellen, erscheint
jedoch zu Zeiten nach PISA für viele Lehrkräfte unattraktiv. „Denn eng
festgeschriebene Ziele und Lernwege sind in interdisziplinären
Erfahrungszusammenhängen nicht determinierbar.“229
Dennoch bietet
223 Geigle 2004, S. 11. 224 Brigitte Limper (2013): Interdisziplinarität und Ästhetische Bildung in der Grundschule.
München: kopaed, S. 35. 225 Vgl. Geigle 2004, S. 270. 226 Vgl. Peez 2011, S. 11. 227 Ebd., S. 10. 228 Vgl. ebd., S. 9. 229 Ebd., S. 11.
44
Interdisziplinarität die Möglichkeit der Bildung und bietet außerhalb von
messbaren Kompetenzerweiterungen einen Zugewinn für die Schüler_innen.
Alexander Glas betont, dass Wort und Bild im Kunstunterricht ohnehin nicht
voneinander trennbar seien.230
„Der Ansatz ist von vornherein interdisziplinär
ausgerichtet.“231
Die Fächer Kunst und Deutsch werden in der Praxis bereits heute
häufig für fächerübergreifenden Unterricht genutzt. Die Schüler_innen malen in
einem Lesetagebuch ihre Vorstellungen zum Gelesenen oder sie interpretieren das
im Kunstunterricht behandelte Bild mithilfe von Sprache, die sie im
Deutschunterricht lernen. Die beiden Fächer scheinen sich mit einem Blick in die
Praxis dementsprechend sehr gut für einen fächerübergreifenden Unterricht zu
eignen. In einem fächerübergreifenden Unterricht der Schulfächer Kunst und
Deutsch können „in Wechselwirkung die sprachlichen und die künstlerisch-
ästhetischen Fertigkeiten gefördert werden.“232
Visuelle Poesie, die bereits
Elemente aus beiden Fächern beinhaltet, eignet sich hierfür, um beide Bereiche,
also Schrift und Bild, im Unterricht zu behandeln.
Ein Argument der Befürworter eines interdisziplinären Unterrichtsalltag an
Schulen in Bezug auf das Fach Kunst ist besonders hervorzuheben: „Wer
Selbstentfaltung sowie kindliche Kreativität fordert und fördert, kann nicht
gleichzeitig von Erwachsenen definierte feste Fächergrenzen propagieren.“233
Die
bildende Kunst, die sich immer schon aus allen Bereichen des Lebens inspirieren
ließ, Einfluss auf sie nahm und in ihnen agierte lässt sich nicht in Kategorien wie
die der Schulfächer zwängen. Eben so wenig lässt sich das Schulfach Kunst von
anderen Schulfächern abgrenzen. „Im Fächerkanon der Grundschule ist das
Ästhetische in allen Lehr- und Lernprozessen ein ´Ferment´, ein bedeutender
Wirkstoff.“234
Eine gewisse Interdisziplinarität von Kunst zu anderen
Schulfächern ist dementsprechend ohnehin gegeben. Peez bezieht sich auf Gunter
Otto bei seiner Behauptung „dass das Ästhetische als Erkenntnisform alles
durchdringe […]“.235
So ist es auch bei der Schrift naheliegend, dass die ihr
innewohnende Ästhetik eine Erkenntnis nach sich ziehen kann. Visuelle Poesie als
230 Vgl. Glas, 2006, S. 61. 231 Ebd. 232 Meike Aissen-Crewett (2003): Kunstunterricht in der Grundschule. Braunschweig:
Westermann, S. 20. 233 Peez 2011, S. 7. 234 Ebd., S. 3. 235 Ebd., S. 16.
45
Unterrichtsgegenstand ist daher in einem fächerübergreifenden Unterricht der
Fächer Kunst und Deutsch denkbar und sinnvoll.
3.2. Ein Blick ins Kerncurriculum
Der Kunstunterricht in Grundschulen wird nach dem Kerncurriculum gestaltet. Da
diese Arbeit an einer niedersächsischen Universität entstand, wird im Folgenden
das Kerncurriculum des Bundeslandes Niedersachsen betrachtet und hinsichtlich
des Unterrichtsthemas Visuelle Poesie untersucht.
„Das fachbezogene Lernen wird ergänzt und bereichert durch fächerverbindendes
und fächerübergreifendes Lernen.“236
Dies ist die Forderung, die sowohl im
Kerncurriculum Kunst als auch im Kerncurriculum Deutsch zu finden ist.
Anknüpfpunkte der beiden Fächer gibt es inhaltlich mehrere, um einen
fächerübergreifenden Unterricht herzustellen. So kann beispielsweise das
szenische Darstellen sowohl als Teil des Deutschunterrichts als auch als Teil des
Kunstunterrichts betrachtet werden. Denn im Kerncurriculum des Faches Deutsch
sind im Rahmen eines handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts
szenische Darstellungen vorgesehen.237
Das Kerncurriculum des Faches Kunst
verweist bei den möglichen Bildnerischen Verfahren auch das Darstellende Spiel
als Form auf.238
Es existieren dementsprechend inhaltliche Überschneidungen der
beiden Fächer.
Das Schreiben, eine Tätigkeit die traditionell im Deutschunterricht der
Grundschule Teil des Unterrichts ist, wird im Kerncurriculum des
Kunstunterrichts konkret genannt. Es handelt sich beim Schreiben im Rahmen des
Kunstunterrichts um einen inhaltsbezogenen Kompetenzbereich.239
Es ist neben
„Zeichnen, Malen, Druck, Collagieren […].“240
Teil des Bereichs des Bildhaften
Gestaltens in der Fläche. Im Kerncurriculum Kunst wurde die Schrift
dementsprechend als gestalterisches Mittel für die Grundschule bereits als
verwendbar und tauglich befunden. Hier ist sie unter dem Punkt Grafisches
236 Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg.) (2006): Kerncurriculum für die Grundschule
Schuljahrgänge 1-4. Deutsch. Hannover, S. 8. Als auch: Niedersächsisches Kultusministerium
(Hrsg.) (2006): Kerncurriculum für die Grundschule Schuljahrgänge 1-4. Kunst. Gestaltendes
Werken. Textiles Gestalten. Hannover, S. 7. 237 Vgl. Kerncurriculum Deutsch, S. 24. 238 Vgl. Kerncurriculum Kunst, S. 21. 239 Vgl. ebd., S. 13. 240 Ebd.
46
Gestalten „mit Schrift gestalten“241
als Möglichkeit aufgeführt. Schrift als Teil des
Kunstunterrichts hat hier dementsprechend einen gestalterischen Zweck. Sie wird
im Kunstunterricht als ein ästhetisches Phänomen betrachtet, das Teil einer
gestalteten Fläche darstellen kann. So wie es die Visuelle Poesie für sich entdeckt
hat, befindet auch das Kerncurriculum, dass die Schrift eine ästhetische Qualität
besitzt.
Im Fach Deutsch wird „[…] Sprache als gestaltbares und gestaltendes Medium
[…]“242
betrachtet. Folglich hat auch das Kerncurriculum für den
Deutschunterricht den ästhetischen Aspekt von Sprache erkannt. In Anbetracht
dessen, dass auch das Kerncurriculum Deutsch einen „gestalterischen und
experimentierenden Umgang mit Schrift […]“243
vorgibt, stimmen die
Kerncurricula über ein, dass Schrift ein gestalterisches Potenzial innewohnt.
„Im Rahmen einer förderlichen Lese-, Schreib- und Gesprächskultur wird das
Sprachlernen mit künstlerisch-ästhetischen Zugangsweisen verbunden.“244
Dies
ist eine weitere Forderung des Kerncurriculums Deutsch. Dementsprechend ist ein
weiteres Ziel, den ein fächerübergreifender Unterricht von Kunst und Deutsch
verfolgen kann, dass der Umgang mit Schrift, als gestalterisches Mittel im
Kunstunterricht, die Schüler_innen zum Schreiben animieren kann. „Bedeutsames
Anliegen des Deutschunterrichts ist es, bei den Schülerinnen und Schülern Freude
am Umgang mit Sprache zu wecken, zu steigern, sie zum Lesen und Schreiben zu
motivieren […].“245
Das Schreibinteresse ist durch das Experimentieren mit
Schrift als Gestaltungsmittel im Kunstunterricht zu steigern.
Die Visuelle Poesie bietet angesichts des Kerncurriculums sowohl in den
Kompetenzen des Faches Kunst als auch in denen des Faches Deutsch
Anknüpfpunkte. Die Schrift, das entscheidende Element der Visuellen Poesie, ist
in beiden Fächern verortet und kann dementsprechend zu beiden Fächern
zugehörig definiert werden. Ein fächerübergreifender Unterricht zum Thema
Visuelle Poesie ist demzufolge curricular bereits in der Grundschule angelegt.
241 Vgl. Kerncurriculum Kunst S. 21. 242 Kerncurriculum Deutsch, S. 7. 243 Ebd., S. 11. 244 Ebd., S. 9. 245 Ebd., S. 8.
47
3.3. Visuelle Poesie in der Grundschule
Ein Kunstunterricht, der in einer vierten Schulklasse Visuelle Poesie zum
Unterrichtsgegenstand macht, führt dazu, dass die Schüler_innen sich mit dieser
Kunstform näher auseinandersetzen müssen und sich hierfür mit Bild- und
Wortverhältnissen in den Werken der Visuellen Poesie beschäftigen. „Da es keine
Algorithmen gibt, die den Rezipierenden zielsicher zur »Essenz« eines
Kunstwerkes führen, sind hier vor allem flexible Denkleistungen erforderlich.“246
Diese kognitiven Fähigkeiten werden im Grundschulalter jedoch erst
herangebildet.247
Schüler_innen in der vierten Jahrgangsstufe verfügen bereits
über Fähigkeiten, um ein Kunstwerk zu untersuchen, beispielsweise können sie
Formenelemente untersuchen.248
Zudem ist es für sie möglich „über das
Herstellen einfacher Inhalt-Form-Zusammenhänge zu lebensweltlich fundierten
Deutungsansätzen zu gelangen.“249
Daher kann die Visuelle Poesie bereits in
diesem Alter Unterrichtsgegenstand sein, denn sie hat durchaus lebensweltliche
Bezüge und wie bereits mithilfe der Werke von Gomringer, Klaus und Can gezeigt
wurde, gibt es vielfache interessante Ansatzpunkte, die Kinder an die Visuelle
Poesie heranführen können. Hierbei muss beachtet werden, dass Kinder anders
mit bildender Kunst umgehen als Erwachsene. Kinder urteilen unbedachter über
Kunst und so können
Details, wie Farben, Accessoires, Oberflächenstrukturen oder eine
bestimmte Materialität […] auf der Grundlage subjektiver
Bedeutsamkeit ihre besondere Aufmerksamkeit erlangen und sie dazu
motivieren, sich eingehender mit einem Kunstwerk zu beschäftigen.250
Die gerade erlernte Schrift in der Grundschule kann für die Schüler_innen eine
subjektive Bedeutsamkeit darstellen. Der Inhalt der Schrift als auch die
Bildelemente der Visuellen Poesie können ebenso bedeutsam für die Kinder sein.
Eine Auseinandersetzung mit der Visuellen Poesie ist in Bezug auf das
persönliche Interesse der Schüler_innen an Schrift daher eine lohnende.
246 Uhlig 2005, S. 42. 247 Vgl. ebd., S. 41ff. 248 Vgl. ebd., S. 43. 249 Ebd., S. 44. 250 Ebd., S. 37.
48
„Die Sprache ist als Objekt der Forschung unerschöpflich.“251
Egal ob
Unterrichtsgespräch oder Bildtitel: Sprache ist immer Teil des Kunstunterrichts.
Sie ist kein unwesentlicher Teil des Kunstunterrichts, denn die Rezeption von
Kunst und künstlerischem Handeln wird von ihr vornehmlich mitgestaltet.
„Schule verteilt [erst, IT], von Ausnahmen abgesehen, verschiedene Operationen
auf Unterrichtsstunden, Lernbereiche oder Fächer.“252
Zwar wird die Sprache
tendenziell dem Deutschunterricht zugerechnet. Diese eindeutige Zuweisung zu
diesem Fach ist jedoch nicht zutreffend, da sie ebenso einen nicht unerheblicher
Bestandteil des Kunstunterrichts darstellt. Kunstunterricht basiert sowohl auf Bild
als auch auf Wort.
Das Schreiben und Malen von Bildern ist für Vorschulkinder eine nah
beieinanderliegende Aktivität, die erst durch Schule und ihre Fächer eine klare
Trennung erfahren würde.253
Kinder malen Bilder. Zudem malen sie Linien, um
die Schrift nachzuahmen, von der sie das System der Zeichen noch nicht
verstanden haben. Den ästhetischen Aspekt der Schrift nutzen sie somit bevor sie
den Sinn von Schrift erkennen. „Schrift und Bild sind Folge derselben Aktivität.
Beides lernt man auf weiten Strecken durch Zugucken, durch Dabeisein, auch
durch Nachmachen […].“254
Schüler_innen der ersten Klasse erkennen in der
Schrift Linien, die zuvor für sie keine Bedeutungen haben. Sie lernen jedoch die
Konventionen der Schrift kennen und erkennen so wie sich „[…] Linien in etwas
Sinnhaftes verwandeln können.“255
Die Bedeutung der Zeichen der Schrift wird
von den Kindern noch nicht erkannt. Sie muss erst erlernt werden.
Grundschulkinder werden damit vertraut gemacht, dass sie horizontal von links
nach rechts schreiben und das möglichst nach der Norm, das heißt alle
Schüler_innen mit einem möglichst gleichen Schriftbild. In der vierten Klasse
einer Grundschule ist die Schriftsprache für die Schüler_innen bedeutsam. Sie
lernen, wie sie mit ihr kommunizieren können und wie eine gewisse Emanzipation
durch sie erfolgt. Der Weg zur Schriftsprache ist für Kinder meist auch ein Schritt
zum Erwachsenwerden und hat daher eine große Bedeutung. Das Erlernen der
Schriftsprache ist folglich auch häufig mit einer großen Motivation einhergehend.
251 Gappmayr 1974, S. 60. 252 Otto 1998, Bd. 3, S. 178. 253 Vgl. Otto 1998, Bd. 3, S. 178. 254 Ebd. 255 Gappmayr 1974, S. 63.
49
Schüler_innen einer vierten Schulklasse haben bereits eine gewisse
Lesekompetenz und können dementsprechend das Spiel mit der Schrift in der
Visuellen Poesie erkennen. Visuelle Poesie erforscht die Schrift. Sie hat die
Besonderheit an sich grundsätzlich schon fächerübergreifend zu sein. Es handelt
sich um eine Kunstform, die sowohl Bild- als auch Textelemente beinhaltet und so
naturgemäß ein mögliches Unterrichtsthema ist, das in einem
fächerübergreifenden Unterricht der Fächer Kunst und Deutsch denkbar wäre.
Schrift eignet sich deswegen als Forschungsgegenstand für Grundschulkinder, da
sie es auch ohne Anleitung durch die Lehrkraft für die Schüler_innen ohnehin
schon darstellt. Das Erlernen der Schriftsprache ist für die Schüler_innen meist
ein mühsamer Weg. Kinder, die in die Grundschule kommen, haben
erfahrungsgemäß die Hoffnung und einen großen Ehrgeiz möglichst bald Zutritt
zur Welt der Schriftsprache zu gelangen. Sie möchten die Wörter selbst lesen, die
ihnen bisher immer vorgelesen werden mussten. Dementsprechend haben sie
einen eigenen, inneren Antrieb sich zu emanzipieren und haben sich in der vierten
Klasse bereits ausgiebig mit der Schriftsprache auseinandergesetzt. Hier beginnen
meist die ersten Experimente mit der Schrift: Der i-Punkt wird zu einem Herz
gemalt, die eigene Unterschrift wird möglichst unleserlich zu Papier gebracht und
die ersten Versuche Schreibschrift mit Druckschrift zu vermischen werden
getätigt. Die eigene Handschrift ist Untersuchungsgegenstand der Schüler_innen.
Die Visuelle Poesie kann an dieser Stelle die Eigenart der Schüler_innen nutzen:
„Sie sind neugierig und ständig auf der Suche nach neuen Entdeckungen und
Herausforderungen. Vor allem Ungewöhnliches und Fremdes weckt ihr
Interesse.“256
Die aus dem Deutschunterricht bekannten Buchstaben werden in der
Visuellen Poesie aus ihrem vertrauten Umfeld gerissen. Die Schüler_innen
werden mit Schrift in einem neuen Kontext konfrontiert. „Neugier und
Forscherdrang motiviert sie dazu, fremd Anmutendes, aber auch Vertrautes in
ungewöhnlichen Zusammenhängen zu erkunden […].“257
Vertraut ist ihnen bereits
das Zusammenwirken von Bild und Schrift. Dies jedoch nicht in Bezug auf
künstlerische Werke, sondern sie werden mit Werbeplakaten und ähnlichem aus
ihrer Alltagswelt konfrontiert. Diese Werbeplakate haben eine Botschaft, die sie
dem_ der Rezipienten_in mitteilen möchten.
256 Uhlig 2005, S. 38. 257 Ebd., S. 328.
50
Beim ästhetischen Code, der auf Mehrdeutigkeit abzielt, ist dies anders. Die Rezipienten werden durch die Suche nach immer neuen
Codes, durch Verletzungen und das bewusste Spiel mit
konventionellen Codes herausgefordert. Der Rezeptionsprozess eines Kunstwerks steht dem der Werbung und anderen Gebrauchsformen
des Alltags diametral entgegen.258
Schüler_innen stehen dementsprechend vor einer neuen Herausforderung, wenn
ihnen die Visuelle Poesie begegnet. „Die Fähigkeit Bilder ´lesen´ zu können,
ihnen nicht einfach ausgeliefert zu sein, wird eine kulturell immer wichtigere
Kompetenz, die deshalb schon in der Grundschulzeit entwickelt werden muss.“259
Bilder, die mit Schrift zusammen agieren, begegnen den Schüler_innen immerzu.
Ob in der Werbung oder über Mobiltelefon-Nachrichten mit Emoticons:
Schüler_innen begegnen Wort und Bild als sich ergänzende Medien im Alltag.
Visuelle Poesie kann auch diese Medien und deren Wirkungsweise den
Grundschulkindern deutlicher machen und zu einem bewussteren Umgang mit
ihnen führen. „Kinder schließen in ihren Sinnzuweisungen und
Bedeutungsstiftungen direkt an ihren lebensweltlichen Wissens- und
Erfahrungsschatz an.“260
In der Visuellen Poesie ist dieser lebensweltliche Bezug
in Form von Werbung oder neuen Medien erkennbar. Lebensweltlich ist das
Thema Visuelle Poesie dementsprechend nah an dem der Grundschüler_innen.
Die Bilder der Visuellen Poesie jedoch versperren sich der Eindeutigkeit, die dem
alltäglichen Aufkommen von Schrift- und Bildkonstruktionen innewohnt. Sie
zeichnen sich durch ihre Mehrdeutigkeit aus und dadurch, dass sie auf die Schrift-
und Bildwirkung aufmerksam macht.
Die Gewohnheit der Grundschulkinder Bilder nicht zu hinterfragen, kann zum
Problem werden. Erich Straßner formuliert es treffend: „Die Pädagogik wendet
ihnen wenig Aufmerksamkeit zu, erzieht kaum im Hinblick auf eine
ˏBildkompetenz´. So sind die meisten Schulabgänger ˏpiktorale Analphabeten.“261
Visuelle Poesie kann jedoch die Auseinandersetzung sowohl mit Bildern, als auch
mit Sprache, deren Inhalte und Kontextbezüge anregen. Grundschulkinder können
die Visuelle Poesie und deren Machart durchschauen und sie erforschen. Sie
258 Maltrovsky 2004, S. 15. 259 Peez 2011, S. 13. 260 Uhlig 2005, S. 43. 261 Straßner 2002, S. 16.
51
„liefert keine ergebnisse. Sie liefert den prozess des findens.“262
Dieser Prozess ist
auch anwendbar auf die mediale Lebenswelt der Kinder und kann die
Bildkompetenz in dieser Hinsicht stärken.
Grundschulkinder hinterfragen die Schrift nicht. Es sollte ihnen bewusst gemacht
werden, dass Sprache wie wir sie kennen, nichts Gegebenes ist, sondern eine
Normsetzung zur Verständigung. „die sprache ist ein verständigungsmittel,
keineswegs allerdings ein starr fixiertes. ihre vielfalt zeigt sich in den zahlreichen
verschiedenen sprachen und schriften.“263
Kindern ist dies nicht bewusst. Eine
Auseinandersetzung mit dem Gelernten, der Norm entsprechendem Schreiben
kann sie zu einem tieferen Verständnis von Schrift, deren Lesbarkeit und den
Kontexten, in denen sie zu finden ist, führen. Die Schüler_innen einer vierten
Grundschulklasse können das System mittels Visueller Poesie in Frage stellen und
mit dem System experimentieren. Die Grenzen von Sprache und Verständigung
können ausgetestet werden. Dabei ist jedoch Folgendes zu beachten:
in der visuellen poesie geht es nun nicht etwa darum, diese
selbstverständlichkeit zu diffarmieren und das verhältnis zur sprache zu verfremden, als sei der vetraute umgang mit ihr etwas, das
eigentlich nicht sein sollte.264
Sie betont jedoch die Differenz von Bezeichnendem und Bezeichnetem mittels
Schrift, Fläche und Bildelementen. Die Konventionen der Schrift werden deutlich
und eine Auseinandersetzung mit dem gerade Erlernten kann durch Visuelle
Poesie angeregt werden. Ein kritischer Umgang mit dieser kann folglich ein
Nachdenken seitens der Schüler_innen nach sich ziehen und diese zu einem
tiefergreifenden Verständnis führen.
3.4.Möglichkeiten der Vermittlung von Visueller Poesie:
Kunstpädagogische Positionen im Vergleich
Wie die Vermittlung von Kunst am besten im Unterricht gelingen kann, dazu gibt
es verschiedene Positionen. Zwei von ihnen sollen hier vorgestellt werden und auf
ihre Umsetzung mit dem Unterrichtsthema Visuelle Poesie geprüft werden.
262 Bremer 1974, S. 101. 263 Heinz Gappmayr (1996): zur ästhetik der visuellen poesie. In: Eugen Gomringer (1996):
visuelle poesie. Stuttgart: Reclam, S. 145. 264 Ebd.
52
Als erste Position wird die von Gunter Otto und Maria Otto herangezogen. Gunter
Otto ist dafür bekannt, dass er „sich seit den 50er Jahren intensiv darum bemühte,
das Fach Kunst in der Schule gleichwertig zu anderen Fächern zu etablieren und
zu verankern.“265
Danach soll ein neueres Konzept geprüft werden. In diesem Fall
wird die Ästhetische Forschung nach Helga Kämpf-Jansen Ausgangspunkt sein,
um aufzuzeigen, wie sich ein Kunstunterricht mit dem Unterrichtsthema Visuelle
Poesie unter diesem Aspekt gestalten könnte.
3.4.1. Visuelle Poesie als Ausgangspunkt
Wie wäre ein Unterricht denkbar, der mit der Visuellen Poesie beginnt, der also
Kunst an den Anfang stellt und von hier aus die Prozesse der Schüler_innen
veranlasst? Ein Konzept, der diese Form des Kunstunterrichts möglich macht, ist
der Prozess des Auslegens von Bildern nach Gunter und Maria Otto.
3.4.1.1.Auslegen von Bildern nach Gunter und Maria Otto
Gunter Otto vertritt eine kunstpädagogische Position, die den Kunstunterricht an
Bildern266
vorsieht. In Auslegen. Ästhetische Erziehung als Praxis des Auslegens
in Bildern und des Auslegens von Bildern stellen er und seine Frau Maria Otto
Unterrichtsbeispiele vor, die sich von Bildern her aufbauen. Es handelt sich um
eine Position, die im Kunstunterricht, Bilder in den Mittelpunkt der Handlungen
der Schüler_innen stellt. Am Anfang des Unterrichts nach Otto steht demnach
immer das Bild, welches von den Schüler_innen betrachtet wird oder das Bild,
welches von Schüler_innen produziert wird. „Unter Auslegung werden Prozesse
des Bildermachens und Prozesse des Bildverstehens zusammengesehen.“267
265 Kirchner 2009, S. 50. 266 Unter dem Begriff Bilder haben laut Otto und Otto „[a]lle visuellen, bildhaften Phänomene der
Lebenswelt […] Anrecht, im Kunstunterricht behandelt zu werden […]“ Aus: Peez 2012, S. 66.
Otto und Otto machen keine Unterschiede zwischen Bildern. Sie beziehen sich auf einen
erweiterten Kunstbegriff und somit finden nicht lediglich Werke der bildenden Kunst Einzug in
seine Unterrichtsbeispiele, sondern auch Bilder des Alltags. „Ebenso meint die Rede von Bildern
immer den gesamten Bereich der Bildproduktion, der Plastik und der Architektur, der «äußeren»
Bilder also- aber ebenso den der «inneren» Bilder.“ Aus: Gunter Otto / Maria Otto (1987):
Auslegen. Ästhetische Erziehung als Praxis des Auslegens in Bildern und des Auslegens von
Bildern. Seelze: Friedrich, S. 16. 267 Otto / Otto 1986, S. 10.
53
Sowohl die Rezeption als auch die Verarbeitung von Gesehenen ist Teil des
Prinzips von Otto und Otto.
All das ist […] gerechtfertigt, wenn es nicht nur zum Nachdenken
über sich selbst oder über irgendetwas, sondern zu Fragen an das Bild
führt, zu Fragen, die in das Bild hineinführen, zu immer differenzierter werdenden Aufmerksamkeit für das, was auf dem Bild zu sehen ist.
268
Ein tieferes Verständnis für das Bild, welches Unterrichtsgegenstand ist, ist im
Zuge des Konzepts nach Otto und Otto demnach Ziel des Auslegens von Bildern.
Damit einhergehend soll die_der Betrachter_in etwas über sich selbst und
ihre_seine Welt bei der Auslegung des Bildes erkennen. Im Vergleich zu vielen
anderen kunstpädagogischen Positionen ist hier das Bild der Ausgangspunkt des
Unterrichts und somit laut Otto Schwerpunkt der ästhetischen Erziehung.269
Es
wird deutlich, dass Otto das Auslegen von Bildern also das Herstellen, die
Betrachtung und Deutung von Kunstwerken oder alltäglichen Bildern als zentrales
Element des Kunstunterrichts betrachtet.270
Otto betrachte das Auslegen von
Bildern als erlernbar, es ist jedoch von Mehrdeutigkeit bestimmt.271
Die
erlernbaren Schritte sind Prozeduren wie „[s]ehen, sprechen, sammeln, machen
und verstehen […].“272
Diese sind demnach im Rahmen des Kunstunterrichts der
Grundschule anzustrebende Fähigkeiten.
Otto und Otto setzen den Begriff Auslegung mit dem Begriff der Interpretation
gleich.273
Auslegung sei lediglich das ältere Wort der beiden Synonyme.274
Sie
verstehen hierunter „eine allgegenwärtige, tägliche Praxis. Wir legen aus, was wir
wahrnehmen, legen schon beim Wahrnehmen aus, vor jedem Bild und bevor wir
uns ein Bild machen.“275
Es ist demnach ein unabwendbares Handeln, wenn
Schüler_innen mit Bildern konfrontiert werden. Unbewusst verknüpfen
Schüler_innen das Gesehene mit eigenen Erfahrungen und somit mit anderen
Bildern, die sie zuvor wahrgenommen haben. Diese Verknüpfungen haben
Erkenntnispotenzial. Sie können mit neuen Bildern lernen, ihre Lebenswelt
268 Otto / Otto 1986, S. 60. 269 Ästhetische Erziehung meinte eine „[…] Erziehung mit und durch Kunst […].“ Aus: Peez
2012, S. 63. 270 Vgl. Peez 2012, S. 64. 271 Vgl. ebd. 272 Otto / Otto 1986, S. 10. 273 Vgl. ebd., S. 22. 274 Vgl. ebd. 275 Ebd., S. 34.
54
andersartig wahrzunehmen und sie zu hinterfragen. Bilder auslegen berge die
Möglichkeit, „die Welt der Bilder mit der eigenen Lebenswelt verbinden […]“276
zu können. Die Auseinandersetzung mit Bildern hat dementsprechend immer
einen Bezug zur eigenen Lebenswelt des_der Herstellenden oder des_der
Rezipienten_in.
„Wer Bilder macht, legt die Welt aus, die Welt, in der er handelt, er legt sein
Verhältnis zu der Welt aus, in der er lebt.“277
So beschreiben Otto und Otto die
Wirkung, die die Tätigkeit des Bildermachens hervorbringen kann. Interpretation
würde nicht lediglich durch sprachliche Äußerungen geschehen, sie seien auch im
Medium der bildenden Kunst denkbar.278
Das heißt die Auseinandersetzung mit
der Rezeption eines Bildes kann mithilfe künstlerischen Handelns erfolgen.
„Bildermachen wird mithin zur Handlungskonsequenz vorausgegangener
Wahrnehmungen und löst zugleich neue Wahrnehmungsprozesse im sozialen
Zusammenhang aus.“279
Die Verarbeitung von Bildern kann ein weiteres Bild
sein. Die Auseinandersetzung mit Bildern kann mit künstlerischem Handeln zum
Verständnis von Bildern beitragen. Hierbei fordern Otto und Otto: „Schluß mit der
Tabuisierung der Mehrzahl alltäglicher ästhetischer Verhaltensweisen – wie
abmalen, durchpausen, in Bilder hineinmalen und was es sonst alles noch geben
mag.“280
Sie fordern einen Umgang mit Bildern, bei denen die Schüler_innen das
Bild und dessen Eigenheiten nutzen, um damit ihr eigenes Bild zu gestalten. Otto
und Otto erklären, dass so „die Reaktionen auf die angebotenen Bildwerke bis in
den Einzelfall ebenso einfallsreich und voll von produktiver Phantasie sind wie
bei den Künstlern.“281
Sie sprechen somit dem künstlerischen Handeln der
Schüler_innen ein großes Potenzial zu.
„Bilder sind Medien der Aufklärung, der Erkenntnis und der Information, des
Genusses, aber auch der Herrschaft und der Manipulation.“282
Wir begegnen ihnen
ständig im Alltag. Ihre Manipulation zu durchschauen und ihnen mit einem
analytischen Blick zu begegnen ist ebenso Ziel des Konzepts nach Otto und Otto.
276 Otto / Otto 1986, S. 20. 277 Ebd. 278 Vgl. ebd., S. 23. 279 Ebd., S. 25. 280 Ebd., S. 211. 281 Ebd., S. 213. 282 Ebd., S. 20.
55
Otto und Otto betonen, dass das Wahrnehmen eines Bildes Grundlage des
Auslegens sei.283
Wahrnehmung ist auf Realitäten bezogen; Wahrnehmung verweist in
der Regel auf soziale Zusammenhänge: auf Zu- und Abwendung, auf
Verständnis für das Bedürfnis oder die andersartigen Vorstellungen eines Partners; Wahrnehmung konstituiert, Nichtwahrnehmung
zerstört soziale Zusammenhänge; Wahrnehmung wird erst durch
Sprache sozial […].284
Die im Zuge des Auslegens stattfindende Wahrnehmung verlangt demnach den
Austausch mit anderen über das Wahrgenommene. Beim Wahrnehmen des Bildes
solle die_der Rezipient_in das Bild und dessen Informationen verarbeiten.285
„[D]ieser Prozeß tendiert zur Einbeziehung mehrerer Sinnesbereiche, ist
sprachabhängig, realitätsbezogen, offen für Handlungen und sozial gebunden.“286
Selber Bilder machen ist dementsprechend ebenso bedeutsam wie das Sprechen
über Bilder.287
Zudem ist neben dem Betrachten und Herstellen von Bildern, das
Sammeln von Bildern eine weitere Form des Auslegungsprozesses.
Bildersammeln ist eine Vermittlungshandlung zwischen Bilder sehen
und Bilder »merken«, nämlich, womit was zu tun hat, welche
Alternativen es gibt, was dazugehört oder entgegengesetzt ist.288
Das Sammeln könne auch erst eine Auslegung bzw. eine Auseinandersetzung mit
Bildern notwendig machen.289
Es verknüpft Bilder und kann neue
Zusammenhänge aufzeigen, die bei der Wahrnehmung einzelner Bilder nicht
deutlich wird. „Sammeln heißt, einen Auswahlgesichtspunkt wichtig machen,
heißt isolieren, vergleichen, gegenüberstellen und unterscheiden.“290
Sehr wichtig ist nach Otto und Otto das Betrachten und sich austauschen über
Bilder. „Bevor gezeichnet, gesprochen, gesammelt werden kann, wird das Bild
283 Vgl. Otto / Otto 1986, S. 24. 284 Ebd., S. 25. 285 Vgl. ebd. 286 Ebd. 287 Vgl. ebd., S. 25ff. 288 Ebd., S. 25f. 289 Vgl. ebd., S. 29. 290 Ebd.
56
wahrgenommen, gesehen, betrachtet.“291
Bei der Betrachtung würden die
Rezipienten_innen das Bild in ihren eigenen Sinnzusammenhängen einordnen.292
Ihre_Seine Vorerfahrungen sind Teil der Betrachtung des Bildes und somit Teil
des Auslegungsprozesses selbst. Otto und Otto plädieren daher dafür, diese
Sinnzusammenhänge für den Verstehensprozess zu nutzen und „nicht die
didaktisch unproduktive Annahme, daß Menschen vor einem Bild das
Vorverständnis und die vorfabrizierte Auslegung eines Lehrers oder
Museumsführers […]“293
als gegebene Interpretation annehmen. Dieses
Verknüpfen von persönlichen Sinnzusammenhängen mit einem Bild nennen Otto
und Otto das bilden eines Percepts.294
„Percepte bildet jeder im
Wahrnehmungsprozeß.“295
Bei der Bildung eines Percepts ist es nicht lediglich
wichtig, was das Bild darstellt, sondern „was der Betrachter, mit dem, was er
sieht, verbindet.“296
Es seien die persönlichen Vorstellungen, die mit dem Bild
zusammen das Percept bilden und somit zu Verstehensprozessen führen
würden.297
Diese Percepte seien „gedanklich, verbal oder visuell“298
möglich. Das
heißt die Percepte, die Schüler_innen bilden sind sowohl für diese artikulierbar,
als auch darstellbar. Sie können jedoch als Gedankengut bei den Schüler_innen
selbst bleiben und nicht nach außen hin getragen werden. Das Sprechen über
Bilder birgt jedoch die Chance andere Percepte kennen zu lernen und das eigene
zu überdenken. Gleiches gilt für die künstlerische Auseinandersetzung mit einem
betrachteten Bild, da es die eigenen Vorstellungen und Verstehensprozesse zum
Bild deutlich macht. Nach der Perceptbildung werden die Kontexte des Bildes Teil
der Auslegung. Kontexte „können aus Bildern oder aus Texten bestehen, die auf
Bilder verweisen, zu Bildern hinführen.“299
Hintergrundinformationen zur_zum
Künstler_in, zu der Entstehungszeit und den gesellschaftlichen Umständen sind
Bestandteil des Kontextes in welchem das Bild auszulegen ist. „Perceptbildung
291 Otto / Otto 1986, S. 50. 292 Vgl. ebd. 293 Ebd., S. 51. 294 Vgl. ebd. 295 Ebd., S. 83. 296 Ebd., S. 51. 297 Vgl. ebd. 298 Ebd. 299 Ebd., S. 83.
57
und Kontextbildung sind Auslegungsschritte.“300
Der Verstehensprozess basiert
auf diesen einzelnen Schritten.
Das Konzept von Otto und Otto beruht auf einen offenen Kunstbegriff, offenem
Unterricht und offene Medien im Unterricht sowie auf entdeckendem Lernen.301
Mit diesen Grundhaltungen kann das Auslegen von Bildern zu einem Prozess des
Austausches mit anderen Schüler_innen werden. Diese Prinzipien lassen die
Mehrdeutigkeit des Auslegens von Bildern zu. Eine Ergebnisoffenheit im
Unterricht wird begünstigt. Dennoch sind die Beispiele, die Otto und Otto
anführen immer auch durch Anleitungen durch die Lehrkraft geprägt.
Eine Kritik an Ottos Position
ist die (Be-)Nutzung der Kunst für Lehr- und Lernprozesse, ohne die
Kunst autonom als Kunst anzuerkennen, die in ihren zentralen Anteilen in Auslegungsprozessen weder gelehrt noch verstanden
werden kann.302
Denn Kunstwerke haben eine andere Wirkungsweise wie Bilder des Alltags und
deren Besonderheiten wird ein Kunstunterricht nach Otto und Otto nicht gerecht.
Wenn die bildende Kunst nicht Teil des Unterrichts ist, können Schüler_innen
auch nicht die Besonderheiten dieser kennen lernen. Die Visuelle Poesie ist jedoch
Teil der bildenden Kunst, eine Auseinandersetzung mit der Visuellen Poesie im
Rahmen des Prinzips des Auslegens von Bildern nach Otto und Otto ist demnach
ein Unterricht, der dieser Kritik entgegenarbeitet. Im Folgenden soll daher ein
Unterricht, der mit dem Auslegungsprozess von Bildern der Visuellen Poesie
arbeitet, entworfen werden.
3.4.1.2.Auslegen von Visueller Poesie
Das Auslegen von Visueller Poesie kann sowohl im Deutsch- als auch im
Kunstunterricht stattfinden. Demnach ist ein fächerübergreifender Unterricht auch
nach Otto und Otto sinnvoll. Denn Gunter Otto beobachtete bereits, wie eine
elften Klasse „von Vorerfahrungen aus der Textinterpretation im
300 Otto / Otto 1986, S. 83. 301 Vgl. ebd., S. 15f. 302 Peez 2012, S. 66.
58
Deutschunterricht […]“303
sich Wissen über die Herangehensweise bei der
Interpretation eines Kunstwerks herangezogen hat. Die Fächer und der Umgang
mit der jeweiligen Kunst des Faches haben dementsprechend übertragbare
Handlungsmuster im Umgang mit bildender Kunst. Die Fächer können
voneinander profitieren. Otto und Otto plädieren für einen fächerübergreifenden
Kunstunterricht, da dieser die ästhetische Erziehung fördere.304
Sie betonen bei
ihrem Prinzip des Auslegens zudem:
Auch wenn wir uns vor allem auf dem Lernbereich Ästhetische
Erziehung begrenzen, meinen wir ein weites Feld: Insonderheit
geraten dabei diejenigen Unterrichtsfächer in den Blick, die sich seit je auf Herstellungs- und Verstehensprozesse beziehen […].
305
Das Prinzip des Auslegens ist demnach auch auf literarische Texte anwendbar.
Otto und Otto beschreiben dies wie folgt: „Der hier gemeinte Vorgang, der auf
Bilder wie auf Texte bezogen werden kann, wird […] Auslegung genannt.“306
Das
Prinzip des Auslegens eignet sich demnach auch zur Anwendung auf Visuelle
Poesie, welche beide Elemente vereint.
„Kunst bedarf der Vermittlung durch das Initiieren ästhetischer Prozesse, um ein
Sich-Einlassen zu ermöglichen, ohne dass Unbekanntes sogleich abgelehnt
wird.“307
Dies ist der erste Schritt, der zu bedenken wäre, wenn
Grundschüler_innen Visueller Poesie begegnen. Die Bildauswahl muss sowohl
ansprechend als auch nicht zu befremdlich auf die Schüler_innen wirken.308
Ein
gelungener Austausch über Bilder kann dafür sorgen, dass die Schüler_innen den
neuen Bildern ohne Abwehr begegnen. Das Auslegen von Bildern ist eine
kommunikative Handlung.
Bilder auslegen ist ein Prozess, der nicht nur ohne subjektive
Reaktionen verarmt, sondern der auch auf das Potential produktiver
subjektiver Zugriffe nicht verzichten darf, weil diese Anlass zu
intersubjektivem Austausch sind und zugleich Wege in das Konzept des Bildes bahnen und Fragen nach seiner Bedingtheit (Allocation)
auslösen.309
303 Otto 1998 Bd. 2, S. 254. 304 Vgl. Otto / Otto 1986, S. 16. 305 Ebd., S. 16. 306 Ebd. S. 22. 307 Kirchner 2009, S. 52. 308 Beispiele, wie eine solche Auswahl aussehen könnte, wurden bereits unter Punkt 2.5. genannt 309 Otto 1998 Bd. 2, S. 258.
59
Das heißt, dass das bloße Betrachten von Visueller Poesie nur ein Teil des
Auslegens ist. Ein produktiver Umgang mit ihr kann Schüler_innen den
Verstehensprozess erleichtern. Denkbar wäre daher, dass ein Visuelles Gedicht am
Anfang eines Kunstunterrichts zunächst einmal von den Schüler_innen betrachtet
wird. Im Verlauf der Unterrichtseinheit müssen die Schüler_innen jedoch die
Chance erhalten sich mit dem Betrachteten auseinanderzusetzen.
Bei den Auslegungsprozeduren würden sich drei Verfahren hindurchziehen: Das
Betrachten und Sprechen über Bilder, das Machen von Bildern und das Sammeln
von Bildern.310
Es sind Verfahren, die den Schüler_innen als Instrumente der
Bildauslegung nach Otto und Otto im Unterricht gelehrt werden sollen. Diese drei
Verfahren sollen den Schüler_innen auch die Visuelle Poesie näher bringen
können, wie hier an Beispielen deutlich gemacht werden soll.
„Sprechen kann heißen: Schreiben, zuhören, was andere sagen oder schreiben,
diskutieren, auf das Bild beziehen; Aussagen am Bild prüfen…“ 311
Am Anfang
einer Unterrichtssequenz zum Thema Visuelle Poesie wäre daher zunächst ein
Unterrichtsgespräch über beispielsweise das Werk linksgehenrechtsstehen von
Safiye Can denkbar, in dem die Schüler_innen ihre Eindrücke schildern können.
„Bei solchem Sprechen müssen zunächst auch naive Rede und vormethodische
Reaktionen erlaubt sein, damit man einsehen kann, daß es weiterhilft, zu
sammeln, zu befragen, zu untersuchen, zu erinnern und zu verknüpfen- und sich
gegenseitig zu befragen.“312
Otto macht seine Thesen bezüglich des
Kunstunterrichts an verschiedenen Praxissituationen von Gruppen deutlich, die
sich mit Kunstwerken auseinandersetzten. Er schildert eine Unterrichtssituation,
in der er bewusst den mündlichen Austausch zwischen den Schüler_innen
abbricht.313
Er fordert stattdessen die Schüler_innen auf ihre Gedanken zum
besprochenen Kunstwerk aufzuschreiben. „Schreiben ermöglicht, dass jeder seine
Meinung ohne Druck einer Mehrheitsmeinung bilden und festhalten kann.“314
Dies wäre neben einem Unterrichtsgespräch ebenso bei der ersten Begegnung mit
einem Visuellen Gedicht denkbar. Bei der Interpretation des Werks würde
hierdurch die Mehrdeutigkeit deutlich werden, da die Schüler_innen von den
310 Otto / Otto 1986, S. 24. 311 Ebd., S. 104. 312 Ebd., S.28. 313 Vgl. Otto 1998, Bd. 2, S. 254. 314 Ebd.
60
Deutungen der anderen nicht beeinflusst werden. Bei linksgehenrechtsstehen von
Safiye Can würden die Schüler_innen vermutlich die Konstellation auf ganz
verschiedene Alltagssituationen beziehen. Die Mehrdeutigkeit, die durch die
Schrift einhergeht, kann so nachvollzogen werden und ein wichtiges
Charakteristikum des Mediums Schrift, mit der die Visuelle Poesie arbeitet, würde
so deutlich werden. Auch eine mögliche Kombination aus vorherigem
Unterrichtsgespräch und nachfolgenden einzelschriftlichen Eindrücken wäre
denkbar. So würden auch schwächere Schüler_innen, die nicht den Aufbau des
Gedichts und den Zusammenhang von dem Wort Idiot und der darauffolgenden
veränderten Zeichenfolge direkt verstehen, eine Möglichkeit erhalten, sich mit
dem Werk näher auseinanderzusetzen. Sie würden auf Wort- und
Sinnzusammenhang des Werks aufmerksam gemacht werden und könnten sich
dann individuell auf Alltagssituationen besinnen. Otto betont die Wichtigkeit des
Austauschs mit anderen über Bilder. „Indessen bleibt auch das auf Wahrnehmung
und auf Handeln bezogene Sprechen mit Worten ein zentraler Aspekt der
Auslegung.“315
Im Austauschen über Bilder und den damit verbundenen
subjektiven Wahrnehmungen erkennen Otto und Otto einen wichtigen Schritt zum
Verstehen von Bildern. Das Unterrichtsgespräch ist somit wichtiger Bestandteil im
Auslegungsprozess. „Sprechen lernen ist dabei der Weg, um hinter das Bild und
die subjektive Bedingtheit der Rezeption zu kommen.“316
In Form des Unterrichts
mit dem Unterrichtsgegenstand der Visuellen Poesie ist die deutsche Sprache
somit sowohl Bestandteil des betrachteten Bildes als auch Bestandteil der
Auseinandersetzung über das Werk.317
Der Deutschunterricht muss daher ebenso
wie der Kunstunterricht auf die Unterrichtssequenz vorbereiten.318
Die These von
Otto und Otto lautet, dass im Kunstunterricht „auf Sprache gegenüber Bildern
nicht verzichtet“319
werden kann. Das Sprechen über Bilder sei laut Otto und Otto
315 Otto / Otto 1986, S. 27. 316 Ebd. 317 Natürlich ist auch ein fächerübergreifender Unterricht mit anderen Fächern wie dem
Englischunterricht denkbar, der wiederrum englischsprachige Poesie in den Blickpunkt nehmen
könnte. 318 Hier wäre eine Unterrichtseinheit zum Thema Lyrik denkbar. Die Besonderheiten an Gedichten
sollten die Schüler_innen zum Zeitpunkt dieser Unterrichtssequenz bereits kennen. Die Optik des
Visuellen Gedichts von Safiye Can ähnelt sehr dem Versaufbau von Gedichten. Dieser sollte den
Schüler_innen bekannt sein damit sie Leserichtung und Aufbau auf das linksgehenrechtsstehen
beziehen können. 319 Otto / Otto 1986, S. 52.
61
der Aspekt ihres Konzepts, das am meisten Bedenken bei anderen aufweise.320
Grund sei, dass „Bilder etwas mitteilen, was man so nicht sagen könnte.“321
Interessant im Zuge dieser Arbeit ist, dass diese Kritik bei der Visuellen Poesie,
die durch den Rückgriff auf Schrift teilweise sehr konkret benennt, was sie
aussagen möchte, nur bedingt zutrifft. Es ist eine weitere Ebene, die bei der
Visuellen Poesie hinzukommt, wenn sich über das geschriebene Wort mündlich
ausgetauscht wird.
Otto und Otto plädieren für einen Kunstunterricht der „[…] Sprache als Moment
im Wahrnehmungsprozß […]“322
annimmt. Das heißt, die Schüler_innen sollen
ihre Wahrnehmungen mit Sprache anderen und sich selbst verständlich machen.
Die Differenz zwischen Bild und Sprache ist Otto und Otto hierbei bewusst, sie
betonen, „daß wir zu Bildern wohl immer nur sprachliche Äquivalente bilden
können, daß es zwischen Bild und Sprache nur Entsprechungen und keine
«Gleichungen» geben kann […].“323
Die Verschiedenheit der Medien wird durch
die Transformation ins jeweilige andere Medium erst deutlich.
Aber die Differenz zwischen dem Bild und dem, was ich darüber im
Medium der Sprache sagen kann, ist eine Grundgegebenheit der
Bildauslegung, die auch dem Betrachter bewußt werden muß.324
Die Schüler_innen merken dies vermutlich bereits in der vierten Klasse: Sie
können mit ihren Worten nicht das ausdrücken, wie sie das Bild wahrnehmen,
aber es hilft bei den Verstehensprozessen und ist dementsprechend Teil des
Auslegungsprozesses nach Otto und Otto.325
Wichtig bei der Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk ist laut Otto, dass die
Schüler_innen lernen Beliebigkeit in der Deutung von einer bildbezogenen
Subjektivität zu unterscheiden.326
Die Schüler_innen sollen nicht lernen zu
spekulieren wie ein Visuelles Gedicht die subjektive Wirkung erzielt, die es auf
sie hat, sondern analysieren lernen, wie diese Wirkung zustande kommt. Das
320 Vgl. Otto / Otto 1986, S. 52. 321 Ebd. 322 Ebd. 323 Ebd., S. 53. 324 Ebd. 325 Überdies ist der Austausch über Bilder auch hinsichtlich des Deutschunterrichts förderlich, da
die Schüler_innen sich im Sprechen und dem damit einhergehenden Finden der richtigen Worte
ihren Wortschatz ausbauen und das Sprechen und Diskutieren mit anderen als
Kommunikationsform geübt wird. 326 Vgl. Otto Bd. 2, S. 256.
62
Auslegen eines Visuellen Gedichts sollte begründbar sein und nicht ein beliebiger
Gedanke, bzw. der Gedanke kann ein Anfang des Auslegens darstellen, darf
jedoch nicht unreflektiert bleiben. Warum gewisse Schüler_innen das
linksgehenrechtsstehen mit gewissen Situationen verknüpfen sollten die
Schüler_innen daher benennen können. So erhalten sie die Möglichkeit ihre
Auslegung zu begründen und andere Schüler_innen bekommen die Chance die
Gedanken ihrer Mitschüler_innen nachzuvollziehen.
„Machen kann heißen: fotokopieren und übermalen, umgestalten und
ausgestalten, herstellen und verändern – natürlich auch: Wirkungen erproben und
beurteilen, Ausdruck herstellen und überprüfen…“327
Beim Bilder machen heben
Otto und Otto hervor, dass das Beherrschen von Verfahren zum Bilder machen im
Kunstunterricht gelehrt werden sollte.328
Das Beherrschen von Verfahren, um
Bilder zu malen, zeichnen oder anderweitig zu gestalten ist Grundvoraussetzung,
damit die Grundschüler_innen mit diesen Verfahren Visuelle Poesie selbst
anfertigen können.
Die Schrift ist in Bezug auf Visuelle Poesie eine wichtige Komponente. Wenn die
Schüler_innen Bilder auslegen und in diesem Zuge selbst Bilder der Visuellen
Poesie herstellen, ist die Schrift ein wichtiger Bestandteil. Wenn sie in der Schule
schreiben lernen, dann gilt „[a]ls ´schön geschrieben´ […] die Schrift, die der
Regel folgt.“329
Bei der Visuellen Poesie ist diese Normsetzung wie die Schrift der
Schüler_innen aussehen sollte eher hinderlich. Gunter Otto plädiert für ein freies
Arbeiten mit der Schrift, damit die_der Schüler_in „[…] Schreiben als Suche nach
Form erfahren kann, Form, die dem Inhalt korrespondiert und etwas vom
Schreibenden verrät.“330
Otto erklärt, dass das Schreiben in der Schule nicht
lediglich auf Lesbarkeit zielen solle, sondern der ästhetische Charakter der Schrift
als Bild erkannt werden könne.331
Grundschüler_innen werden im
Deutschunterricht meist zu einer sehr leserlichen Schrift angeleitet, die sehr auf
den inhaltlichen Aspekt der Schrift Wert legt. In einem Kunstunterricht, der
Visuelle Poesie als Gegenstand hat, ist es möglich den Schüler_innen ein
Bewusstsein für den ästhetischen Gehalt von Schrift näher zu bringen. „Also
327 Otto / Otto 1986, S. 104. 328 Vgl. ebd., S. 174. 329 Otto 1998 Bd. 3, S. 173. 330 Ebd., S. 174. 331 Vgl. ebd.
63
sollten wir nicht nur nachdenken, was wir und wie wir schreiben, sondern auch
worauf und womit […].“332
Schrift als Bildgestaltung kann von den
Viertklässler_innen erprobt werden und eine Form der Bildauslegung darstellen.
Kalligrafien der Schüler_innen anfertigen zu lassen, wären beispielsweise im
Zuge einer Unterrichtseinheit zur Visuellen Poesie denkbar.
Es sind mehrere Formen im Unterricht vorzugehen durchführbar, die das eigene
Herstellen von Visueller Poesie ermöglichen. Eine Möglichkeit in das
Unterrichtsthema einzusteigen ohne vorab ein Bild der Visuellen Poesie zu
betrachten, wäre eine Arbeitsanweisung an die Schüler_innen, dass sie zu einem
Thema ein Bild gestalten sollen. Nach Otto und Otto wäre dies ein Einstieg, der
bevor die Schüler_innen mit Bildern von anderen konfrontiert werden, erfolgen
sollte und der auf die Vorstellungskraft der Schüler_innen aufbaut.333
Es wäre
möglich, den Schüler_innen einer vierten Grundschulklasse den Arbeitsauftrag zu
geben, ein Bild zu gestalten, welches gewisse Worte beinhalten soll und das
sowohl aus Schrift- als auch aus Bildelementen besteht. „[A]naloges, paralleles
Malen und Zeichnen verbindet auch mit der Arbeitssituation des ´Meisters´, führt
auch an die Probleme heran, die er lösen muß.“334
Ein anschließender Vergleich
der Bilder innerhalb der Schulklasse und ein darauffolgender Vergleich von
Künstler_innen der Visuellen Poesie, die sich ebenfalls auf diese Wörter als
Elemente in ihren Werken beziehen, könnte die Schüler_innen zum Sprechen über
Bilder auffordern. Das Machen von Bildern wäre so eine Form, die
Reflexionsmöglichkeiten im Anschluss böte. Die Lebenswelt der Schüler_innen
würde mit denen der anderen Schüler_innen und denen der Visuellen
Poeten_innen in Bezug gesetzt werden. Die Kontexte, in denen die Wörter ihren
Platz im zweidimensionalen Bild fänden, wären vermutlich sehr unterschiedlich.
Eine Tatsache, die wiederrum das Medium von Schrift und deren vielfache
Verwendung und Mehrdeutigkeit würde so bereits Grundschulkindern deutlich
werden. Beispielsweise könnte das Wort schweigen Ausgangspunkt der
Schüler_innenarbeiten sein. Eine daran anschließende Auseinandersetzung mit
Gomringers Werk wäre sinnvoll.
332 Otto 1998 Bd. 3, S. 178. 333 Ein Beispiel, das eine ähnliche Unterrichtssituation aufzeigt, ist zu finden in: Otto / Otto 1986,
S. 42. 334 Otto / Otto 1986, S. 54.
64
Eine Arbeitsanweisung, die das Bildermachen im Bezug zur Visuellen Poesie
beinhalten würde, wäre außerdem, dass die Schüler_innen dazu aufgefordert
werden eine Landschaft mit ihren Gedanken mit Bild und Schrift zu gestalten.
Dazu dürften sie sich ein Thema, worüber sie sich viele Gedanken machen, selbst
aussuchen und bekämen dann die Aufgabe zu diesem Thema ein großes Blatt
Papier zu bemalen und zu beschreiben. Bedingung bei dieser Aufgabenstellung
wäre, dass sie sowohl schreiben als auch malen oder zeichnen, um ihre Gedanken
den anderen Schüler_innen deutlich zu machen. Ein anschließender Vergleich mit
dem Sprachblatt Entstehung einer Denklandschaft von Carlfriedrich Claus wäre
hiernach eine denkbare Fortführung der Unterrichtssequenz.
Eine weitere Möglichkeit Bilder zu machen und hierdurch die Schüler_innen die
Visuelle Poesie ergründen zu lassen, wäre, dass sie dazu aufgefordert werden
würden ein Visuelles Gedicht, wie beispielsweise schweigen von Eugen
Gomringer in ein Bild zu übersetzen. Das heißt, die Schriftelemente werden von
den Schüler_innen durch Bildelemente ersetzt. Das gebildete Percept zu
Gomringers Werk würde so deutlich werden und Unterschiede in der
Wahrnehmung der Schüler_innen in einem anschließenden Vergleich und/oder
Gespräch reflektiert werden können. So „geschehe im Umgestaltungsprozeß die
gedankliche Annäherung an ein Kunstwerk der Vergangenheit im Medium
konkreter Handlungen, praktischer (und nicht verbaler) Untersuchungen.“
Auch das Weitermalen eines Visuellen Gedichtes wäre eine mögliche Umsetzung
des Konzepts von Otto und Otto. Beispielsweise könnten die Viertklässler_innen
nur die Wörter Links gehen und Rechts stehen als Anlass erhalten ein Bild
herzustellen, das sowohl Schrift- als auch Bildelemente erhält. Ein abschließender
Vergleich mit dem Visuellen Gedicht von Safiye Can würde mit einer
tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Werk einhergehen, als eine
Betrachtung ohne ein vorheriges künstlerisches Handeln der Schüler_innen.
Eine Form das Percept, das sich ein_e Schüler_in gebildet hat, deutlich zu machen
ist das „[…] Abmalen, Übermalen, Weitermalen, Hineinmalen und das Malen
parallel zu Bildern […].“335
Mit diesen Methoden geht die These einher, dass es
den Schüler_innen das Kunstwerk näher bringen kann, wenn diese sich selbst mit
dem Bild künstlerisch beschäftigen. Sie würden somit das Bild aufmerksamer
335 Otto / Otto 1986, S. 53.
65
wahrnehmen.336
Ein Hinein- und Übermalen des Werks Entstehung einer
Denklandschaft von Claus wäre demgemäß ebenso eine Möglichkeit, die
Gedanken des Künstlers weiter zu denken und sich vermehrt mit diesen
auseinanderzusetzen.
Im Sinne des Bilderauslegens nach Otto und Otto wäre es auch denkbar, den
Schüler_innen eine Kopie des Butterfly von Safiye Can zu geben. Auf der Kopie
könnten lediglich die feinen Linien der Flügel und der Fühler des Schmetterlings
abgebildet sein und nicht die Wörter. Diese Kopien könnten sie nach vorherigem
Betrachten und Besprechen des Werkes der Künstlerin selbst gestalten und mit
ihren eigenen Wörtern ihr eigenes Visuelles Gedicht in Anlehnung an das von Can
gestalten.337
„Sammeln kann heißen: Bilder oder Texte suchen, Ähnlichkeiten oder
Unterschiede identifizieren, neue Sichtweisen im Material entdecken, vergleichen,
ordnen und zuordnen.“338
Das Sammeln von Bildern ist eine weitere Prozedur des
Auslegens. Wir Sammeln Bilder sobald wir sehen können. Verknüpfungen und
Sinnzuweisungen von neuen Bildern nehmen wir immer mit Rückbindung an
vorher gesehenen Bildern wahr.
Zum Sammeln zählen Otto und Otto zudem das Sammeln von Texten zu Bildern.
Gunter Otto betont die hohe Relevanz bei der Kunstbetrachtung sich mit
Verstehenshilfen dem Werk zuzuwenden.339
Er vertritt diesbezüglich folgende
Auffassung: „Niemand kann alles auf Grund sinnlicher Wahrnehmung verstehen;
nichts erklärt sich auf Dauer aus sich heraus.“340
Wir brauchen Informationen zu
Bildern, um sie verstehen zu können. Wenn geschichtliche Bezüge zu Visueller
Poesie relevant sind, sollten sie laut Otto und Otto auch benannt und in den
Auslegungsprozessen beachtet werden. In der Grundschule wären aufgrund der
Tatsache, dass viele Themen wie die Weltkriege oder andere politische und
gesellschaftliche Situationen noch nicht Unterrichtsthema waren die
geschichtlichen Bezüge nicht im vollen Umfang mit in den Auslegungsprozess
einzubeziehen. Jedoch könnten sie in Ansätzen thematisiert werden. Texte zu
336Vgl. Otto / Otto 1986, S. 53. 337 Ein ähnliches Verfahren wie in: Otto / Otto 1986, S. 220. 338 Otto / Otto 1986, S. 104. 339 Vgl. Otto 1998 Bd. 2, S. 278. 340 Ebd.
66
Bildern können Antworten geben, auf die Fragen, die ein Bild mit sich bringe.341
Bei der Visuellen Poesie gibt es kaum Texte, die einer vierten Klasse angemessen
wären. Die Lehrkraft sollte den Schüler_innen altersgemäße zusätzliche
Informationen zu den Werken bieten. Wichtig ist daher, dass die Lehrkraft die
Hintergrundinformationen altersgemäß vermittelt. Schüler_innen interpretieren
Bilder heute anders als noch vor einigen Jahren, da sich die gesellschaftlichen
Umstände verändern und mit ihnen der Blick auf Bilder. Das Auslegen von
Bildern ist immer an die Lebenswelt der Schüler_innen gebunden. Sie legen die
Bilder entsprechend aus. Bilder, die aus früheren Jahrhunderten stammen, werden
heute in einem anderen Kontext gesehen. Dies muss auch den Schüler_innen
während des Prozesses verständlich gemacht werden. „Bilder machen und Bilder
verstehen sind historische Kategorien.“342
Da sich die gesellschaftlichen
Umstände immer wieder verändern und mit ihnen der Blick auf Bilder, muss dies
den Schüler_innen vermittelt werden, damit sie ihren Blick auf Bilder in den
richtigen Kontext einordnen können.
Sammeln von Bildern wäre im Rahmen der Visuellen Poesie in der Form denkbar,
dass beispielsweise die Grundschüler_innen die Aufgabe erhalten zu Gomringers
Werk schweigen Bilder zu sammeln. Schweigen ist ein Wort, welches viele
Assoziationen zu Situationen hervorbringt. Es gibt evtl. Familienfotos der
Schüler_innen, auf denen geschwiegen wird, es gibt Werbung die nur mit
schweigenden Gesichtern und Text arbeitet und es gibt Comics, Mangas,
Emoticons, die die Schüler_innen aus ihrer eigenen Lebenswelt vermutlich zur
Genüge kennen. Wenn vor dem Sammeln solcher Bilder vorab ein
Unterrichtsgespräch darüber stattfindet, was Schweigen heißt, beziehungsweise
was Schweigen für die Schüler_innen bedeutet, kann deutlich werden, was diesen
Begriff ausmacht und was das Besondere an dem Wort ist. Somit ist ein Bezug zu
den gesammelten Bildern der Schüler_innen und dem Werk von Gomringer
mühelos durchführbar. So können Verknüpfungen zu den Bildern hergestellt
werden und die Paradoxie des Wortes Schweigen würde deutlich werden.
Das Sammeln von Bildern kann in Bezug zum Unterrichtsthema der Visuellen
Poesie, das Sammeln von verschiedensten Materialien darstellen, die Bild und
Text vereinen. Dazu können Werke der Visuellen Poesie selbst gesammelt und mit
341 Vgl. Otto / Otto 1986, S. 72. 342 Ebd., S. 23.
67
den Eindrücken zu anderen alltäglichen Bildern verglichen und in Bezug gesetzt
werden. Die Besonderheiten der Visuellen Poesie würden durch diesen Vergleich
den Schüler_innen deutlich werden. Das Sammeln sei zudem „eine mentale
Haltung: ein Gedächtnis für Bilder haben, Bilder im Kopf haben, Betroffenheiten
nicht vergessen, neue Bilder mit alten und alte Bilder mit neuen verknüpfen.“343
Eine simple Zusammenstellung von Visueller Poesie, die von der Lehrkraft den
Schüler_innen gezeigt wird kann dies nicht leisten. Die Schüler_innen müssen
Bezüge zu den Bildern herstellen und sich mit ihnen auseinandersetzen.
Wie hier bereits umrissen gibt es eine Vielzahl von Methoden, die in dem
Auslegungsprozess nach Otto und Otto in Bezug auf Visuelle Poesie möglich
wären. „Ob die Auslegung die richtige Methode, also eine ergiebige Methode hat,
ob diese Vorgehensweise bei diesem Bild angemessen, adäquat, hinreichend
durchdacht ist – das entscheidet sich am Ergebnis, an der Vielfalt der
ausgeschnittenen Dimensionen und der gewonnenen Aufschlüsse.“344
3.4.2. Visuelle Poesie als Ziel
Die Visuelle Poesie und ihre Vertreter_innen betonen die experimentellen
Möglichkeiten, die Schrift bietet. Kinder der Grundschule, die, wie bereits
erläutert, ohnehin dazu neigen die Beschaffenheit der Schrift zu erforschen,
können die Idee von Visueller Poesie erfahren, ohne dass sie vorab mit ihr in
Berührung kommen. Das heißt, dass Schrift als Forschungsobjekt die
Schüler_innen zur Visuellen Poesie hinführen kann, ohne dass sie Werke der
Visuellen Poesie vorab kennengelernt haben. Hierzu soll im Folgenden der
kunstpädagogische Ansatz von Helga Kämpf-Jansen vorab dargestellt werden. Sie
hat mit ihrem Ansatz der ästhetischen Forschung den Kunstunterricht zu einem
Ort der Forschung erklärt und plädiert für einen sehr ergebnisoffenen Unterricht.
343 Otto / Otto 1986, S. 132. 344 Ebd., S. 104.
68
3.4.2.1.Helga Kämpf-Jansen und die Ästhetische Forschung
„Es ist vielfach Ignoranz, Unfähigkeit oder vielleicht auch Angst ganz andere
Formen ästhetischer Aktivitäten in Gang zu setzen.“345
Diesen Widerwille gegen
ganz neue und andere Formen des Kunstunterrichts, wie er traditionell stattfindet,
widersetzt sich dem Ansatz des Ästhetischen Forschens nach Kämpf-Jansen.
„Ästhetische Forschung distanziert sich von einem Unterricht, der pausenlos
Antworten gibt, ohne dass Fragen gestellt werden.“346
Kämpf-Jansen sei es
wichtig, dass Schüler_innen im Kunstunterricht etwas erforschen und
Zusammenhänge verstehen würden, anstatt dass sie nach genauen Vorgaben der
Lehrkräfte Bilder herstellen, zu denen sie keinen Bezug hätten.347
Es
sind Formen des Erarbeitens, Forschens, Recherchierens,
Experimentierens und Präsentierens eigen, die einen neuen immer
anderen Blick auf die Gegenstände von Kunst und Alltag ermöglichen und andere geistige Dimension [sic!] eröffnen. Hier liegen die
Grundlagen des Konzepts ´ästhetischer Forschung´348
Kämpf-Jansen spricht sich gegen eine strikte Trennung von künstlerischer und
wissenschaftlicher Arbeit aus.349
Alltägliche Erfahrungen, Kunst, aber auch
wissenschaftliches Arbeiten werden in diesem Konzept miteinander verknüpft. So
“vertritt sie ein ästhetisches Bildungskonzept, das auf die Bündelung
verschiedener menschlicher Erkenntnisweisen setzt.“350
Durch die ästhetische
Auseinandersetzung mit Kunst und der Wahrnehmung von Kunst könnten
Sehgewohnheiten im alltäglichen Leben beeinflusst werden.351
Die Sicht auf
Alltägliches wird durch die Erfahrungen, die das ästhetische Handeln mit sich
bringt verändert. Es bedingen sich dementsprechend die alltäglichen Erfahrungen
mit den ästhetisch forschenden Handlungen.
345 Helga Kämpf-Jansen (2000): Ästhetische Forschung. Aspekte eines innovativen Konzeptes
ästhetischer Bildung. In: Manfred Blohm (Hrsg.): Leerstellen. Perspektiven für ästhetisches
Lernen in der Schule. Köln: Salon, S. 84. 346 Seydel, 2006, S. 39 347 Vgl. Kämpf-Jansen 2000, S. 83. 348 Ebd., S. 96f. 349 Vgl. ebd., S. 97. 350 Marie-Luise Lange (2006): Der essenzielle Klang eines jeden. In: Manfred Blohm u.a. (Hrsg.):
Über Ästhetische Forschung. Lektüre zu Texten von Helga Kämpf-Jansen. München: kopaed, S.
90. 351 Vgl. Kämpf-Jansen 2000, S. 92.
69
Schrift ist ein alltägliches Phänomen, das sich als Forschungsgegenstand im
Rahmen Ästhetischer Forschung eignet. Jede_r Schüler_in hat einen Text, ein
Wort oder ähnliches, das sie_ihn aus ganz persönlichen Gründen zur Forschung
anregt. Kämpf-Jansens These diesbezüglich lautet: „Folgen Kinder und
Erwachsene ihren persönlichen Interessen, sind die ästhetischen Handlungsweisen
nie armselig reduziert […].“352
Es handelt sich bei der Ästhetischen Forschung, um einen ergebnisoffenen
Unterricht, der je nachdem in welche Richtungen die Ästhetischen Forschungen
verlaufen, sehr unterschiedliche Resultate hervorbringen kann. Das Ergebnis ist
jedoch bei der ästhetischen Forschung nicht der Fokus der Arbeit, sondern die
Forschung selbst. Das Forschen ist zwar auf ein Ziel, also ein ausstellbares
Endprodukt, welches die Forschung wiederspiegelt, ausgerichtet, soll jedoch
hauptsächlich den Forschenden ästhetische Erfahrungen ermöglichen.
„Ästhetische Forschung hat nur Sinn, wenn man sich auf den Weg begibt, ohne
ein bereits vorhersehbares Ergebnis erhalten zu wollen.“353
Die unterrichtliche
Durchführung ist daher mit einem gewissen Risiko einhergehend. Jedoch bietet
sie auch Chancen, die konventioneller Kunstunterricht nicht bieten kann. Sie
zeichnet sich somit durch „andere Formen der Erkenntnis jenseits der Vernunft ab,
über andere Zugänge und ein anderes Begreifen der Welt“354
aus.
„Im Konzept Ästhetischer Forschung hat das Lesen und das Schreiben von Texten
einen neuen Stellenwert und steht selbstverständlich neben allen anderen
ästhetischen Ausdrucksformen.“355
Es kann Grundlage der Forschung sein, sie
jedoch auch lediglich begleiten. Im Zuge des Konzepts nach Kämpf-Jansen haben
die Schrift und der Umgang mit Texten eine hohe Relevanz, um Erkenntnisse über
das eigene Handeln zu erlangen.
Ästhetische Forschung hat – wie alle Forschung – nur Sinn, wenn die Forschenden eine Frage haben, an einer Sache arbeiten wollen, die sie
schon längst interessiert, einer Idee folgen, ein ihnen wichtiges
Vorhaben verwirklichen wollen.356
352 Helga Kämpf-Jansen (2006): Ästhetische Forschung – Fünfzehn Thesen zur Diskussion. In:
Manfred Blohm u.a. (Hrsg.): Über Ästhetische Forschung. Lektüre zu Texten von Helga Kämpf-
Jansen. München: kopaed, S. 33. 353 Ebd., S. 35. 354 Ebd., S. 36. 355 Ebd., S. 35. 356 Kämpf-Jansen 2000, S. 98.
70
Motivierende Themen, die eine forschende Haltung der Schüler_innen begünstigt
sind demnach unerlässlich. Schrift ist wie bereits beschrieben, ein Phänomen zum
Zeitpunkt der vierten Schulklasse, dass die Schüler_innen ohnehin zu forschenden
Handlungen und Experimenten anregt.
3.4.2.2.Schrift als Anreiz Ästhetischer Forschung
Am Anfang steht eine Frage, ein Gedanke, eine Befindlichkeit; ein Gegenstand, eine Pflanze, ein Tier; ein Phänomen, ein Werk, eine
Person – fiktiv oder authentisch, eine Gegebenheit oder Situation; ein
literarischer Text, ein Begriff, ein Sprichwort oder anderes.357
Im Sinne der Visuellen Poesie wäre der Ausgangspunkt der Visuellen Poesie
demnach ein Schriftstück, d.h. ein Wort, ein Satz, ein Gedicht, ein Text oder ein
Buch. Es könnte jedoch ebenso etwas Gegenständliches oder eine Emotion sein,
die mit Hilfe von Schrift und anderen Medien erforscht werden kann. Die Schrift
formt sich im Zuge der ästhetischen Forschung zu etwas Neuem. Etwas, das die
Schüler_innen erforschen. Der Sinn der Ästhetischen Forschungen der einzelnen
Schüler_innen erfolgt nicht durch eine Lehrkraft, sondern würde von den
Forschenden selbst gegeben werden.358
Das heißt, die Lehrkraft sollte möglichst
wenig Einfluss auf die Ästhetischen Forschungen der Schüler_innen ausüben.
Eine Ästhetische Forschung hat immer einen persönlichen Bezug und ist durch
das persönliche Interesse der_des Schülers_in bestimmt.
Als problematisch bei der Durchführung von Ästhetischer Forschung im
Kunstunterricht einer vierten Grundschulklasse kann es sich herausstellen, dass
sich Ästhetische Forschung durch eine hohe Eigenständigkeit und
Selbstverantwortung auszeichne.359
Dieser Aspekt ist gewiss von Vorteil für die
Schüler_innen, da die Ästhetische Forschung somit auch deren Selbstständigkeit
fördert. Jedoch sollte eine Lehrkraft abwägen inwiefern die Schüler_innen einer
vierten Klasse diese Selbstständigkeit leisten können.360
Auch dass der Arbeitsort
der Ästhetischen Forschung frei wählbar sein solle, wie es Kämpf-Jansen fordert,
357 Kämpf-Jansen 2000, S. 98. 358 Vgl. Kämpf-Jansen 2006, S. 33. 359 Vgl. Kämpf-Jansen 2000, S. 98. 360 Die Schüler_innen sollten dementsprechend eigenständiges Arbeiten gewohnt sein und mit
solchen Aufgabenstellung demgemäß umgehen können. Den Drang etwas zu erforschen bringen
Kinder bekanntermaßen mit, die Schule muss diesen im Rahmen des Unterrichts jedoch weiterhin
fördern.
71
ist schwierig innerhalb der örtlich gebunden Schule umzusetzen und daher nur
bedingt übertragbar auf das hier dargestellte Beispiel.361
Auch die Forderung von
Kämpf-Jansen, dass „alle Vorgehensweisen subjektiv bedacht, emotional begleitet,
auf vielfache Weise fixiert und kommentiert“362
werden sollen, ist zwar im
Rahmen einer vierten Klasse möglich, jedoch müsste dies vermutlich in einem
kleineren Rahmen geschehen, als dies in den von Kämpf-Jansen aufgeführten
Beispielen erfolgt. Trotz dieser Schwierigkeiten, die durch den institutionellen
Rahmen gegeben sind, ist eine Ästhetische Forschung bereits in der Grundschule
denkbar. Wie Schrift in Form von Ästhetischer Forschung im Kunstunterricht
einer vierten Grundschulklasse Einzug erhalten kann, soll nachstehend skizziert
werden.
Um eine Ästhetische Forschung von Schrift zu inszenieren, wäre es ein
denkbarerer Unterrichtseinstieg eine Sammlung zu organisieren, die verschiedene
Quellen von Schrift beinhaltet. Beispielsweise Bücher, Zeitschriften, Zeitungen,
Werbung, Schulaufgabenhefte der Schüler_innen, Briefe der Schüler_innen,
Freundschaftsbücher der Schüler_innen, Klassenarbeiten, Einkaufsbelege,
Notizzettel, Karteikarten, Verpackungen, Fotografien von Schrift im Alltag,
Eintrittskarten und vieles mehr. Diese Sammlung könnte von der Lehrkraft
zusammengestellt werden, jedoch wäre es auch möglich und eher dem Konzept
des Ästhetischen Forschens entsprechend, wenn die Schüler_innen selbst dazu
aufgefordert werden Schriften zu sammeln, zu denen sie einen Bezug haben. Das
kann in diesem Fall sowohl Schrift sein, mit denen die Schüler_innen Hobbys,
Ereignisse, Emotionen oder ähnliches verbinden als auch Schrift, die sie
ästhetisch anspricht und die sie daher in ihre Sammlung aufnehmen möchten. Der
Fokus liegt hier auf „dem Sammeln, dem Ordnen, dem Dekorieren, dem
Arrangieren und Präsentieren all der Dinge, die man persönlich für schön oder
bedeutsam erachtet.“363
Damit einhergehen solle eine Frage der Schüler_innen.364
Forschung, sowohl wissenschaftlicher als auch ästhetischer, bedürfe einer
Motivation, die die Kinder dazu anregen würde etwas zu erarbeiten.365
361 Vgl. Kämpf Jansen 2006, S. 35. 362 Kämpf-Jansen 2000, S. 101. 363 Ebd., S. 99. 364 Vgl. Kämpf-Jansen 2006, S. 33. 365 Vgl. ebd.
72
Zudem wäre eine Sammlung von Schreib-, Gestaltungs- und Malutensilien
bereitzustellen. Beispielsweise Bleistifte, Buntstifte, Kreide, Deckfarben,
Abtönfarben, Tusche, Kohle, Stempel, Pappe, Papier, Textilien, Naturmaterialien
und vieles mehr, welches die Schüler_innen anregen könnte. Es müssen viele
Verfahren möglich sein, um den Ideen und Forschungsansätzen der Schüler_innen
wenig Grenzen zu setzen. Die ästhetische Forschung „bedient sich aller zur
Verfügung stehender Verfahren, Handlungsweisen und Erkenntnismöglichkeiten
[…].“366
Die Methode, wie die Schriftelemente ins Bild gesetzt werden oder wie
Bilder mit Schriften kombiniert werden oder wie Schriftelemente und
Bildelemente miteinander in Bezug gesetzt werden, soll Gegenstand der
Forschung sein und nicht Vorgabe der Lehrkraft durch ein vorgegebenes
Verfahren.367
Die Formulierung des Arbeitsauftrages ist zweifellos beim Ästhetischen Forschen
in einer vierten Klasse wichtig, um die Schüler_innen nicht zu überfordern. Den
Schülern_innen muss deutlich gemacht werden, dass sie mit der Sammlung an
Schriften oder anderem Material etwas herstellen sollen. Das Endprodukt ist
jedoch nicht im Fokus bei dem Ästhetischen Forschen. Da jedoch die Visuelle
Poesie im Anschluss der Unterrichtseinheit des Ästhetischen Forschens
Unterrichtsthema sein soll, kann es als Ziel des Unterrichts formuliert werden,
dass die Schüler_innen ein oder mehrere zweidimensionale Bilder mit Schrift
gestalten sollen oder aber ihre Forschungsergebnisse anderweitig ihren
Mitschüler_innen präsentieren müssen.368
Weitere Einschränkungen sind nicht im
Sinne des Ansatzes nach Kämpf-Janßen, demnach ist diese Arbeitsanweisung
durchaus die einzige, die an die Schüler_innen gerichtet werden sollte. Den
Schüler_innen sollte dann genügend Zeit eingeräumt werden, um das Material zu
erforschen. Sie würden ihre Schrift erforschen, sowohl die eigene als auch die
verschiedenster Materialien und diese nach ihren ästhetischen Urteilen auf dem
Bild anordnen und in Beziehung setzen. Ihre eigene Handschrift,
Computerschriftarten, Zeitschriftenartikel und Illustrationen: All dies sollen die
366 Kämpf-Jansen 2000, S. 101. 367 Nicht nur im Zuge einer Ästhetischen Forschung, sondern generell steht bei der Visuellen
Poesie nicht das Erlernen einer bestimmten künstlerischen Technik im Fokus des Unterrichts. Die
Prinzipien der Visuellen Poesie sind Mittelpunkt des Unterrichts. Daher kann die Technik frei
wählbar für die Schüler_innen bleiben. Sie können sich an erlernte Techniken aus den vorherigen
Kunststunden zurückbesinnen oder sich durch die Visuelle Poesie zu neuen Techniken inspirieren
lassen. 368 Collagen, Notizen oder ähnliches.
73
Schüler_innen für sich entdecken, neu ordnen und in neue Kontexte verorten und
kombinieren. Denkbar wären zweifellos Hinweise der Lehrkraft, ob es Wörter
oder Sätze gibt, die sie besonders gerne mögen, beispielsweise eine Stelle im
Buch, ein Wort, das sie gerne schreiben oder mit dem sie etwas Schönes
assoziieren. Auch Hinweise, dass sie sowohl Druck- als auch Schreibschrift
verwenden dürfen und jegliche weitere Formen von Schrift wie besonders
ordentlich oder kaum leserlich, groß oder klein, ganze Texte oder nur einzelne
Wörter, könnte die Lehrkraft geben.369
Es muss den Schüler_innen nur deutlich
gemacht werden, dass sie mit dem Medium Schrift gestalten sollen: Der ästhetisch
forschende Aspekt dieser Arbeitsanweisung geht hiermit einher.
Christine Heil erklärt „Kunst selbst kann Anlass sein, um Ästhetische Forschung
zu betreiben.“370
Es wäre demnach durchaus auch möglich die Visuelle Poesie an
den Anfang der Ästhetischen Forschung zu stellen. Jedoch berge dieses Vorgehen
die Gefahr, dass nicht alle Schüler_innen bei der Visuellen Poesie ihr
„ästhetisches Vorhaben mit einem persönlichen Sinn versehen können […].“371
Möglich wäre jedoch auch ein solches Vorgehen in der Grundschule.
Ästhetische Forschung sei ein interdisziplinäres Konzept.372
Themen des
Sachunterrichts, Deutschunterrichts und weiterer Fächer sind häufig Bestandteile
einer Ästhetischen Forschung. Im Sinne eines fächerübergreifenden Unterrichts
wäre es möglich, dass die Schüler_innen der vierten Schulklasse ohnehin im
Vorfeld das Thema Gedichte im Deutschunterricht hatten und sie im Zuge dieser
Unterrichtseinheit selbst dazu angeleitet wurden lyrische Texte anzufertigen.
Diese von den Schüler_innen hergestellten Gedichte oder Texte können ebenso
Ausgangspunkt Ästhetischer Forschung darstellen, da es einen persönlichen
Bezug zu den Schüler_innen und den eigenen lyrischen Texten gibt, der
gesteigertes Interesse bei den Schüler_innen hervorrufen kann. Die Texte, die sie
369 Hinweise und Einschränkungen sind nicht im Sinne der ästhetischen Forschung nach Kämpf-Jansen. Jedoch könnte eine vierte Schulklasse ohne konkrete Anweisungen überfordert werden
durch diese freie Aufgabenstellung. Je nachdem wie sehr die Schüler_innen das
eigenverantwortliche und selbstständige Arbeiten gewohnt sind, ist jedoch auch eine
Unterrichtseinheit denkbar und wünschenswert, die vollkommen ohne Eingreifen der Lehrkraft
auskommt. 370 Christine Heil (2006): Bezugnehmen auf Kunst erforschen. Wie sich ein Reservoir ästhetischer
Möglichkeiten in der kartierenden Auseinandersetzung bilden kann. In: Manfred Blohm u.a.
(Hrsg.): Über Ästhetische Forschung. Lektüre zu Texten von Helga Kämpf-Jansen. München:
kopaed, S. 205. 371 Kämpf-Jansen 2006, S. 33. 372 Vgl. Limper 2013, S. 34.
74
selbst geschrieben haben, bieten entweder durch ihr Thema, durch ihre eigene
Handschrift oder durch ihre Rhythmik, Potenzial von den Schüler_innen
weiterführend erforscht zu werden. Persönliches Interesse der Schüler_innen ist
ein wichtiger Faktor, um Ästhetische Forschung erfolgreich im Unterricht
durchführen zu können. Die Schüler_innen müssen einen inneren Antrieb haben,
etwas zu erforschen, diesen hätten sie, wenn es ihr eigenes Gedicht mit ihren
eigenen Gedanken und Beweggründen ist, welches den Forschungsgegenstand
darstellt.
Das Konzept der Ästhetischen Forschung erscheint im Bezug zur Visuellen Poesie
als eine Möglichkeit die Hintergründe der Visuellen Poesie mittels eigener
Erfahrungen der Schüler_innen deutlich zu machen. Wie bereits dargestellt ist die
Visuelle Poesie selbst eine Kunstform, die die Schrift erforscht und die deren
Wirkungsweise für die_den Betrachter_in deutlich machen möchte.
Schüler_innen, die die Schrift selbst erforschen, können vieles, was die Visuelle
Poesie ausmacht, selbst entdecken. Eine Ästhetische Forschung wie sie hier
beschrieben wurde, könnte der Anstoß sein, um Schrift zu untersuchen und somit
einen Zugang zur Visuellen Poesie zu ermöglichen. Dass das Ergebnis einer
Ästhetischen Forschung Schüler_innenarbeiten sind, die der Visuellen Poesie
zugerechnet werden können, wäre eher eine zufällige Gegebenheit. Davon kann
jedoch nicht ausgegangen werden und darf nicht Ziel der Ästhetischen Forschung
sein. Vorsatz einer solchen Ästhetischen Forschung kann jedoch sein, dass die
Schüler_innen Schrift ästhetisch erforschen und infolgedessen Erkenntnisse für
die Werke, wie sie Gomringer, Claus und Can geschaffen haben, erhalten. „Die
sich darüber ausbildenden Fähigkeiten, Erkenntnis- und Verhaltensmöglichkeiten
sind vielfältig.“ Eine neu entdeckte Faszination für Schrift und damit
einhergehende erhöhte Schreibmotivation kann Ergebnis eines solchen Unterrichts
sein. Die Schüler_innen „verändern alte Denkgewohnheiten und
Handlungsmuster, vergrößern das Repertoire der Zugänge ins z.T. vorher
Unvorstellbare.“373
So die These nach Kämpf-Jansen.
373 Kämpf-Jansen 2000, S. 102.
75
3.4.2.3.Weitere Möglichkeiten die Visuelle Poesie zu vermitteln
Es ist an dieser Stelle kein allgemeiner Überblick aller denkbaren Varianten, in
denen die Visuelle Poesie zum Thema des Grundschulunterrichts werden kann,
möglich. Es sollen jedoch im Folgenden noch zwei weitere Möglichkeiten
genannt werden, die neben den zuvor genannten Konzepten als besonders
geeignet im Bezug zum Unterrichtsthema erscheinen.
Eine weitere Möglichkeit im Kunstunterricht Visuelle Poesie zu vermitteln, stellt
das Prinzip der Ästhetischen Operation nach Pierangelo Maset dar. „Dieser
Ansatz befasst sich zentral mit der Frage nach der »Mentalität« einer
künstlerischen, ästhetischen oder pädagogischen Arbeit.“374
Er plädiert dafür, die
Prinzipien eines Werkes, also das Besondere, was das Werk auszeichnet zu nutzen
und weiterzudenken.
Jede_r Künstler_in hat in seinen Werken etwas, das es auszeichnet, dieses kann
von Schüler_innen genutzt werden, um das Werk zu ergründen und selbst
ästhetisch zu handeln.
„Diese Operationen orientieren sich dabei an Verfahren, die in der
Kunst […] angewandt worden sind. Sie gehen über bereits bestehende
Verfahren jedoch insofern hinaus, als sie eine Ebene – die sowohl das
Konzept als auch die Ausführung oder beides betreffen kann – entweder hinzufügen oder auslassen.“
375
Als Beispiel einer ästhetischen Operation, die mit Visueller Poesie arbeitet, sei das
Werk Spray 71376
von Reinhard Döhl genannt. Er bediente sich hier Roy
Lichtensteins Werk Spray aus dem Jahre 1962. Döhl versieht Lichtensteins Werk
mit einer ergänzenden Textebene. Lichtenstein integrierte in seiner Kunst auch
häufig die Schrift, dies tat er jedoch meist in Form von Comic-Sprechblasen.
Durch den seriös wirkenden Zeitungsartikel, der hier eingefügt wurde, entsteht ein
Bruch zu der eigentlichen Mentalität des Künstlers. Ähnliche
Schüler_innenarbeiten wären denkbar, das heißt das Ästhetische Operieren mit
Schrift an Werken der bildenden Kunst ist ebenso möglich im Kunstunterricht der
374 Pierangelo Maset (2004): Zwischen Kunst und ihrer Vermittlung »Ästhetische Operationen«.
In: Landesverband der Kunstschulen Niedersachsen (Hrsg.): Bilden mit Kunst. Bielefeld:
transcript, S. 150. 375 Ebd., S. 152. 376 Siehe Abbildung 7.
76
Grundschule. Ebenso sind Ästhetische Operationen an Werken der Visuellen
Poesie selbst möglich. „Jeder Künstler, jede Künstlerin verwendet mindestens
eine charakteristische ästhetische Operation.“377
Dies ist auch bei den hier
vorgestellten Visuellen Poeten_innen der Fall. Dieser Ansatz kann daher
besonders gewinnbringend für die Schüler_innen sein, denn neben dem „, dass es
»so etwas« wie eine Operation Warhol oder einer Operation Maradona gibt“, gibt
es auch eine Operation Gomringer, die den Ausgangpunkt für Schüler_innen
bilden kann.
Es handele sich bei diesen Methoden nicht lediglich um ein Verfahren, sondern es
sind viele Verfahren bezüglich einer Ästhetischen Operation denkbar.378
Wie diese
im Falle einer Ästhetischen Operation an Visueller Poesie von Viertklässler_innen
möglicherweise ausfallen, bleibt offen. Maset betont, dass mittels Ästhetischen
Operationen keine zu festgesteckten Ziele anzustreben seien.379
Die Ergebnisse
der Schüler_innen können sehr unterschiedlich ausfallen. Denn, da sie vermutlich
verschiedene Aspekte eines Werks für wichtig erachten, werden sie auch
unterschiedliche Ästhetische Operationen durchführen.
„Bei der Ästhetischen Operation geht es grundsätzlich um die Fragestellung:
Welche Mentalität steckt hinter welcher Arbeitsweise?“380
Da es bei dem Konzept
der Ästhetischen Operation gerade um diese Mentalität geht, kann dies für die
Schüler_innen daher zu einem tieferen Verständnis der Visuellen Poesie führen.
Ästhetische Operationen sind daher ebenso, wie die zuvor vorgestellten Konzepte,
ein wahrscheinlich lohnender Ansatz im Hinblick auf das hier beschriebene
Unterrichtsthema.
Ein ähnlicher Grundgedanke wird bei Maria Peters Text Performative
Handlungen und biographische Spuren in Kunst und Pädagogik deutlich.381
Peters setzt bei der Vermittlung auf performative Handlungen. Solche
Handlungen würden durch die Beziehung zwischen Werk und Betrachter_in
entstehen. Das Handeln würde zu einem Nachempfinden des
377 Maset 2004, S. 153 378 Vgl. ebd. 379 Vgl. Pierangelo Maset (2005): Ästhetische Operationen und kunstpädagogische Mentalitäten.
In: Karl-Josef Pazzini (Hrsg.) u.a.: Reihe Kunstpädagogische Positionen 10. Hamburg: University
Press, S. 17. 380 Ebd. S. 17. 381 Maria Peters (2005): Performative Handlungen und biografische Spuren in Kunst und
Pädagogik. In: Karl-Josef Pazzini u.a. (Hrsg.): Reihe Kunstpädagogische Positionen 11. Hamburg:
University Press.
77
Entstehungsprozesses des Werkes führen. Folglich würde dieses Handeln Sinn
hervorbringen.382
Das Potenzial solcher performativen Handlungen macht sie an einem Beispiel
deutlich. In diesem konnte das Bild Geburt der Venus von Cy Twombly eine
Schüler_innengruppe dazu veranlassen, dieses in eine Performance zu
übersetzen.383
Die Lernenden erschließen sich auf diese Weise den eigentlichen
Gehalt des Werkes. „Wahrnehmungsroutinen wurden aufgestört und eine
Beweglichkeit des Denkens ausgebildet.“384
In Peters Position liegt der
entscheidende Zugang zur Kunst in dem Handeln von Schüler_innen zu
Kunstwerken. Dieses performative Handeln ließe sich somit ebenfalls auf Werke
der Visuellen Poesie anwenden. So könnte das Werk schweigen von Gomringer
von einer Schüler_innengruppe vorgelesen werden, in der eine_r der
Schüler_innen nichts sagt und schweigend in der Mitte der Schüler_innen steht.
Ebenso wäre eine Performance der Entstehung einer Denklandschaft möglich, die
vermutlich in einem chaotischen Durcheinander der Schüler_innen enden würde,
indem die Lernenden die verschiedenen Texte erzählen oder verschiedene Dinge
performativ darstellen. Cans linksgehenrechtsstehen wäre überaus geeignet, um es
mit einer performativen Handlung der Schüler_innen nachzuempfinden.
Aufgezeigt wurden an dieser Stelle lediglich exemplarische Möglichkeiten, wie
sie eventuell von den Schüler_innen umgesetzt werden könnten. Von einer
Aufnahme dieser Möglichkeiten in vorformulierten Arbeitsaufträgen sollte
hingegen abgesehen werden, da die Viertklässler dazu angeleitet werden sollten
sich selbst mit ihren Vorstellungen auseinandersetzen. Die Schüler_innen sollten
dazu angeregt werden, sich eigenständig mögliche Umsetzungen zu überlegen,
und sich auf diese Weise individuelle Gedanken zur Darstellbarkeit dieser Werke
in Formen der performativen Handlungen zu machen. Vielleicht wären Gruppen
denkbar, die diese Handlungen ihren Mitschüler_innen präsentieren, sodass auch
die Mehrdeutigkeit der Visuellen Poesie durch die verschiedenen performativen
Handlungen deutlich werden könnte.
382 Vgl. Peters 2005, S. 12 383 Vgl. ebd., S.14ff. 384 Ebd., S. 18
78
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich Schrift sehr gut im
Kunstunterricht der Grundschule nutzen lässt. Sie besitzt eine Ästhetik, die bereits
Schüler_innen einer vierten Klasse mittels der Visuellen Poesie näher gebracht
werden kann. Aus fachwissenschaftlicher Sicht lässt sich feststellen, dass die
Visuelle Poesie viele Facetten hat, die die Ästhetik der Schrift hervorhebt. An den
Beispielen, der in dieser Arbeit exemplarisch ausgewählten Künstler_innen,wird
dies deutlich. Dass die bildende Kunst sich seit vielen Jahrzehnten dem Medium
Schrift bedient, kann zudem die hohe Relevanz der Schrift in der bildenden Kunst
aufzeigen.
Mittels der These von Lessing ist die Unterschiedlichkeit der Kunst und Poesie
nachvollziehbar. Die jeweiligen Vorteile der beiden Künste sind hiermit erkennbar
und somit Grund für die Kombination beider Künste verständlich. Die
Entwicklung zur Visuellen Poesie, wie sie seit den 50er-Jahren vorzufinden ist,
macht deutlich, in welchen Formen Kunst und Bild zusammenwirken können.
Zudem werden anhand der Entwicklung der Visuellen Poesie, im Hinblick auf die
Einbeziehung von Schrift, die Antriebe der Visuellen Poeten_innen
nachvollziehbar. Anhand der Beispiele wurde die große Bandbreite dieser
Kunstform deutlich. Zudem wurden mit diesen Exempeln die Besonderheiten und
Bedeutsamkeiten für Betrachter_innen jeder Altersklasse, auch der der
Viertklässler_innen, erkennbar.
Die Unterschiede der jeweiligen Zeichen der Künste werden mittels der Position
von Lessing verständlich. Die Gemeinsamkeiten zeigt die Horaz-Tradition auf.
Wie Horaz können Schüler_innen zu der Meinung gelangen, dass sowohl Schrift
als auch Bild ähnliche Wirkungen haben. Sie können jedoch ebenso die
Erkenntnis erlangen, dass beide Medien ihre jeweiligen Potenziale in sich bergen,
wie Lessing dies darlegt. Wie beide Künste ihre Wirkungsfähigkeiten am besten
nutzen, können die Schüler_innen anhand von Werken der Visuellen Poesie
lernen.
Mithilfe des Konzepts von Otto und Otto können zu dieser Herangehensweise
eine Vielzahl an Möglichkeiten aufgezeigt werden. Schüler_innen können jedoch
auch durch eine eigene Forschung am Medium Schrift auf die Besonderheiten der
Visuellen Poesie aufmerksam werden. Zu diesem Ergebnis regt das Konzept des
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Ästhetischen Forschens nach Kämpf-Jansen an. Weitere Möglichkeiten die
Visuelle Poesie in den Kunstunterricht zu integrieren, zum Beispiel mit dem
Konzept der Ästhetischen Operation nach Maset oder mit performativen
Handlungen wie es Peters vorschlug, sind ebenso denkbar.
Aus kunstpädagogischer Sicht ist das Unterrichtsthema förderlich für die
Entwicklung der Schüler_innen, da die Auseinandersetzung mit der Visuellen
Poesie, die Kinder zu einem eigenständigen und kritischen Umgang mit Text- und
Bildmedien veranlasst. Das Verständnis der Wirkungsmacht, die Schrift in vielen
Kontexten besitzen kann und ihre Steuerung der Wahrnehmung ihrer
Rezipient_innen können bei näherer Auseinandersetzung mit Werken der
Visuellen Poesie zu einem selbstbestimmten Umgang mit ihr führen. Überdies ist
die Visuelle Poesie eine Kunstform, die mit ihrer Kombination von Wort und
Schrift faszinierend für Schüler_innen sein kann. Eine Auseinandersetzung birgt
somit nicht lediglich einen Nutzen hinsichtlich ihrer Bildkompetenz in sich,
sondern es ist mit dieser Kunstform auch eine überaus hohe ästhetische Qualität
verbunden, die Schüler_innen nahegebracht werden kann.
Eine Erwartung, die mit dem Umgang von Schrift im Kunstunterricht einhergeht,
ist, dass die Gestaltung mit Schrift auch eine Bereicherung für das Fach Deutsch
darstellt. Das Interesse an Schrift und damit einhergehend ein Schreibinteresse
der Schüler_innnen ist zu erwarten und wie es bereits das Kerncurriculum fordert,
dementsprechend ein Mittel das Schreibinteresse der Schüler_innen zu steigern.
Bei allen hier aufgeführten Möglichkeiten, die Visuelle Poesie in einer vierten
Grundschulklasse zum Unterrichtsgegenstand zu machen, ist eines sicherlich
erforderlich: Die Lehrkraft muss Mut beweisen. Kunstunterricht in der
Grundschule ist häufig auch heute noch geprägt von einem Ausschneiden von
Tulpen als Fensterdekorationen und dem Malen von Deckfarben zu
jahreszeitentypischen Themen. Sowohl den Schüler_innen selbst als auch den
Eltern muss deutlich gemacht werden, dass Kinder mehr künstlerisches Potenzial
in sich tragen und auch komplexeren Werken, wie denen der Visuellen Poesie auf
verschiedene Weisen begegnen können. Das Potenzial, das in einem solchen
Unterricht verborgen liegt, ist wie hier aufgezeigt, groß.
Es bedarf einer Umsetzung in der Praxis, um die Wirkung von Schrift im
Kunstunterricht zu erproben. Auch ein abschließendes Resümee, welches der
vorgestellten kunstpädagogischen Konzepte einer adäquaten Umsetzung der
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Visuellen Poesie im Kunstunterricht am dienlichsten ist, ist nur mit praktischen
Erfahrungen zu klären. Erprobungen der verschiedenen Herangehensweisen
müssen folgen und Beobachtungen, der Schüler_innen und deren ästhetischen
Erfahrungen, stehen noch aus.
81
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