Eine prachtvolle Villa am Genfer See. Hier residiert das »Zentrum für humanitären Dialog« (HD Centre), eine Schweizer Stiftung, die sich seit 1999 um Friedensmediation in internationalen Konflikten bemüht, u. a. in Syrien, im Sudan, in Somalia. Geleitet wird das Zentrum von David Harland. Der Neuseeländer hat an der renommierten Harvard Universität studiert und war unter anderem als politischer Berater im Dienste der Vereinten Nationen tätig. In seinem großzügigen Büro empfängt er Vertreter von Regierungen, Oppositionsbewegungen und bewaffnete Gruppen – selten Journalisten. Denn seine Gesprächspartner erwarten absolute Diskretion.
David Harland im Gespräch mit Iris Ollech
Mission FriedenDie Arbeit des Genfer Zentrums für humanitären Dialog
Wenn Harland auf den Balkon seines Arbeitszimmers tritt, genießt er einen eindrucks
vollen Blick auf den Genfer See und den Mont Blanc in der Ferne. Ein Panorama mit Symbolkraft, denn für die Konfliktparteien bedarf es der Weitsicht, um den Pfad der Diplomatie zu beschreiten und die Chancen für eine friedvolle Einigung auszuloten.
Die Vielzahl internationaler Konflikte macht Harland zu einem gefragten Mann. Sein Terminkalender ist exakt durchgetaktet und für das Interview hat er ein Zeitfenster von exakt 27 Minuten reserviert. »Mein nächster Gesprächspartner wartet schon«, entschuldigt er sich, »ein Taliban.«
Präsident Kennedy sagte in seiner Antrittsrede im Jahre 1961: »Wir sollten niemals aus Furcht verhandeln. Aber wir sollten Verhandlungen auch niemals fürchten.« Gilt dies auch für die heutigen internationalen Konflikte?
Vermutlich ja, denn 80 Prozent aller bewaffneten Konflikte werden mittels Verhandlungen gelöst. Wir können viele Leben retten, indem wir die beteiligten Parteien durch die Konflikte leiten, Erstkontakte anbahnen und sie dabei unterstützen, zu einer Vereinbarung zu kommen. Die restlichen 20 Prozent werden
mittels Waffengewalt gelöst. Doch solange es einen Weg für Verhandlungen gibt und wir die Werkzeuge dafür bereitstellen können, sollten wir dies tun.
Was können Sie den Konfliktparteien anbieten?
Zunächst einen sicheren Ort. Außerdem Abgeschiedenheit, Stillschweigen und eine zwanglose Atmosphäre, in der sie zunächst mit unseren Experten ausloten können, wie eine Verhandlungslösung aussehen könnte. In einem zweiten Schritt können die Parteien dann miteinander über die Bedingungen für
eine Vereinbarung verhandeln. Dies geschieht fast immer vertraulich, sodass die Parteien es als ihren eigenen Prozess ansehen können.
Ihre Mitarbeiter agieren abseits des öffentlichen Rampenlichts. Wie wichtig ist dies für Ihre Arbeit?
Wenn eine Konfliktpartei erstmals Kontakt mit dem Gegner aufnimmt, sollte dies diskret und informell geschehen. Nicht nur abseits der Öffentlichkeit, sondern auch fern der prüfenden Blicke der eigenen Anhängerschaft. Bei den ersten Kontakten geht es darum zu prü
David Harland, Leiter des Zentrums für humanitären Dialog©
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Das Interview
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fen, ob es einen Verhandlungsspielraum gibt. Es ist wichtig, dass dies in einer ruhigen Atmosphäre stattfindet, frei von Angst um Leib und Leben, ohne Zeitdruck und mit der Möglichkeit, Experten zu Rate zu ziehen.
Wenn eine Regierung oder eine bewaffnete Gruppe erwägt, mit der Gegenseite zu verhandeln, ist das ein schmerzhafter Prozess. Denn wenn sie ihren Unterstützern bislang erklärt haben, dass es illegal oder unmoralisch ist, mit der Opposition zu sprechen, kommen sie an einen »Oh Shit«moment. Ein Moment, in dem die Parteien eines Tages aufwachen und sich nicht mehr sicher sind, ob ihre Ziele ausschließlich mit militärischen Mitteln erreichbar sind. Und sie fragen sich, ob es nicht einen geräuscharmen Weg gibt, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Diese Gelegenheit bieten wir ihnen hier in Genf, in der Stadt des Friedens.
Was passiert hinter den Kulissen? Können Sie ein Beispiel nennen?
Unser erster Mediationsprozess fand zwischen der indonesischen Regierung und der »Bewegung Freies Aceh« statt. Zunächst haben wir mit jeder Partei einzeln besprochen, was mit einer Vereinbarung erreicht werden könnte, um anschließend zwischen beiden Seiten einen Kontakt auf höchster Ebene herzustellen. Präsident Wahid (Anm. der Autorin: Indonesischer Staatspräsident von 1999 bis 2001) ist dann hierher gekommen. Das ist mittlerweile 15 Jahre her.
Und wie laufen die Gespräche konkret ab?
Im Kontakt mit bewaffneten Gruppen geht es zunächst um Themen wie Vertraulichkeit und physische Sicherheit. Anschließend darum, was attraktiver sein könnte als die Fortsetzung eines bewaffneten Konfliktes. Wir versuchen zum Beispiel mittels einer KostenNutzenAnalyse Alternativen zu einem gewaltsamen Ausgang aufzuzeigen und so Möglichkeiten für eine Einigung mit der Gegenseite zu eröffnen. Schließlich findet ein Treffen mit der Gegenpartei statt, mit der Option, den Prozess jederzeit abzubrechen und aufs Schlachtfeld zurückzukehren. Unser Geschäft ist es
also, die Bandbreite des Handelns – von Gewalt bis zur Gewaltlosigkeit – zwischen den Beteiligten zu erweitern.
Wer ist für Sie im Einsatz, und was qualifiziert Ihre Mitarbeiter für diese Aufgabe?
Wir arbeiten unter anderem mit ehemaligen Diplomaten, UN und Rotkreuz Mitarbeitern zusammen. Unsere Arbeit basiert auf drei Säulen: Erstens der Analyse, zweitens der Anbahnung von Kontakten und drittens dem Fachwissen. Für die Analyse haben wir Leute, die alle bewaffneten Konflikte weltweit beobachten. Sie ermitteln, wann diese Konflikte aus dem Gleichgewicht geraten könnten. Schließlich haben wir Mitarbeiter, die Kontakt zu Personen herstellen, die Zugang zu den bewaffneten Gruppen haben. Und drittens gibt es eine Gruppe von Kollegen, die sich mit Alternativen zu bewaffneten Konflikten in jeder einzelnen Konfliktphase befassen. Außerdem dokumentieren wir die praktischen Erfahrungen von Parteien, die bereits Verhandlungslösungen gefunden haben. Und so schaffen wir es, Vertreter der großen bewaffneten Konflikte dieser Welt hierher zu holen.
Ist der Standort Genf wegen der weltweit geachteten Schweizer Neutralität von Vorteil?
Genf ist weltweit vielleicht sogar der einzige Ort, wo diese Verhandlungen möglich sind: Geschützt, diskret, frei von politischer Beeinflussung und mit der Möglichkeit, auf die Erfahrungen anderer Staaten zurückzugreifen. Momentan engagieren wir uns in Burma und stellen Kontakt zu Leuten her, die bereits in Konflikten auf den Philippinen, in Thailand und Indonesien involviert waren. Und wir geben den Parteien alle Zeit, die sie brauchen, um ihre eigenen Lösungsoptionen zu erkunden.
Sind Sie auch im UkraineKonflikt aktiv?Ja.
Haben Sie eine Vorstellung, wie der Konflikt gelöst werden könnte?Ja.
Können Sie das konkretisieren?
Nein. Nur so viel: Wir sind sehr stark eingebunden, sowohl in Kiew als auch bei den bewaffneten Gruppen. Gerade haben wir ein Team in der »Volksrepublik Donezk«.
Die Ukraine ist nur ein Beispiel. Genereller gefragt: Was kann Mediation in hocheskalierten politischen Konflikten leisten?
Es können viele Menschenleben gerettet und die internationale Kriminalität und der weltweite Terrorismus eingedämmt werden. Man kann mit geringen Kosten viel erreichen. So ist es uns zum Beispiel gelungen, im Konflikt im Süden der Philippinen, der tausende Menschenleben gefordert hat, die Gegner dabei zu unterstützen, eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Gibt es ein Zeitfenster für Mediation bzw. einen Zeitpunkt, ab dem keine Verhandlungen mehr möglich sind?
Nicht alle Konflikte lassen sich mittels Mediation lösen. Wir betrachten uns nicht als Interessengruppe. Unsere Organisation versucht nicht, die Parteien vom Pfad des Friedens zu überzeugen. Aber wir wollen ihnen zeigen, dass sie eigene Optionen entwickeln können. In der Hälfte der Fälle sind wir damit erfolgreich. Die andere Hälfte lehnt es entweder ab, sich zu treffen oder entscheidet sich für eine militärische Lösung. In keinem der Fälle versuchen wir, dies zu ändern.
Erleben Sie und Ihre Mitarbeiter Dilemmata im Umgang mit den Konfliktparteien, beispielsweise in Fällen extremer Gewalt?
Ja, und zwar enorm. Meine Füße stehen auf einem Teppich, den ich kürzlich aus Damaskus mitgebracht habe. Dort sind wir in einigen lokalen Streitbeilegungen involviert, die ein hohes Maß an Gewissenskonflikten mit sich bringen.
Rachel Grosser von der Organisation Swisspeace kritisiert in ihrer 2013 veröffentlichten Studie »A crowded field – competition and coordination in international peace mediation« den Wettbewerb zwischen einer Vielzahl von Organi
Das Interview
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sationen auf dem Feld der internationalen Konfliktmediation. Hat sie Recht?
Vermutlich ja. Es tummeln sich viele verschiedene Spieler auf dem Feld der Friedensmediation. Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, sich eine Marktlücke zu suchen, so wie wir uns auf die Erstkontakte spezialisiert haben zwischen Regierungen und terroristischen Organisationen, bewaffneten Gruppen und Rebellengruppen. Oder zwischen Regierungen und politischen Bewegungen, aus denen sich bewaffnete Gruppen entwickeln könnten, so wie in der Ukraine. Das macht außer uns niemand.
Sobald dann ein Friedensprozess angeschoben ist, versucht fast jeder ehemalige Präsident, Außenminister und auch die großen NGOs, einzusteigen. Insofern stütze ich die Analyse Grossers. Deshalb versuchen wir, uns auf die schwierigste Aufgabe zu konzentrieren, nämlich den allerersten Kontakt zu sehr gefährlichen Organisationen herzustellen. Die haben sich in 90 Prozent der Fälle noch mit niemand anderem getroffen.
Das geschichtsträchtige Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten im Jahre 1979 wurde maßgeblich durch den Einsatz des früheren USPräsidenten Jimmy Carter als Mediator erreicht. Wie wahrscheinlich sind spektakuläre Durchbrüche wie dieser in der heutigen Zeit?
Die gibt es auch heute noch. Einige benötigen politische Unterstützung und eine
breite Öffentlichkeit. Andere benötigen Vereinbarungen in aller Stille. Es gab das Daytoner Friedensabkommen (Anm. der Autorin: Das Abkommen von Dayton beendete 1995 nach dreieinhalb Jahren den Krieg in Bosnien und Herzegowina unter Vermittlung des damaligen USPräsidenten Bill Clinton mit Beteiligung der Europäischen Union), das Karfreitagsabkommen in Nordirland, Friedensabkommen für Mosambik und viele mehr. Solange es bewaffnete Konflikte gibt und solange 80 Prozent davon durch Verhandlungen gelöst werden, sind Menschen gefragt, die diesen Prozess unterstützen, vergleichbar mit Zahnärzten, die solange Arbeit haben, bis die Leute aufhören, Zucker zu essen.
Welche Perspektiven für die internationale Konfliktmediation sehen Sie?
In wenigen Wochen jährt sich zum 100. Mal das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajewo. Noch kurz zuvor veröffentlichte die »Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden« eine Studie, in der es hieß, dass es seit Jahrzehnten keinen Konflikt zwischen den Großmächten Europas gegeben habe und dies daher in der Zukunft wenig wahrscheinlich sei. Wenige Wochen später befanden sich die Weltmächte im Krieg. Ich möchte zwar nicht zu viel prophezeien, aber ich erkenne Trends. Zum einen eine MakroEntwicklung bei bewaffneten Konflikten: Sie nehmen seit Ende des Kalten Krieges kontinuierlich
Symbolträchtig: (Friedens-)Taube vor dem Zentrum für humanitären Dialog
ab. Die Konflikte generell, die Anzahl internationaler und innerstaatlicher Konflikte, die Anzahl der Toten und Vertriebenen, all die großen Konfliktindikatoren sind in den letzten zwanzig Jahren zurückgegangen.
Doch innerhalb dieses Trends gibt es ein weißes Rauschen. Wie in anderen Bereichen auch besteht die Schwierigkeit darin, zwischen dem allgemeinen Trend und dem weißen Rauschen, den Signalen des Lärms, zu unterscheiden. Tatsächlich gab es in den letzten drei, vier Jahren wieder einen leichten Anstieg bewaffneter Konflikte, nach dem Arabischen Frühling, in Syrien, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik. Unverändert hingegen ist der Anteil der Konflikte, die mittels Mediation statt mit Gewalt gelöst wurden.
Aber es gibt noch einen MikroTrend bezüglich bewaffneter Konflikte, und der ist steigend. Es ist unvorhersehbar, wann er einen Wendepunkt erreicht und Konflikte wie in der Ukraine in systemische Gewalt umschlagen. Wir können das nicht vorhersagen, denn wir sind kein Think Tank, sondern wenden die relativ berechenbaren Methoden der Mediation an. Den Blick in die Kristallkugel überlassen wir anderen.
Iris OllechJournalistin und Mediatorin (M. M.) EMail: [email protected]
Das Interview
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