MartinLutherUniversität HalleWittenberg
Germanistisches Institut
Demokratiegebot?
Das „Europäische Referenzsprachenmodell“ von Dr. Karin Luttermann
Gruppenseminararbeit für das Hauptseminar
„Verständlichkeit als Bürgerrecht? Rechts und Verrwaltungssprache“
Leitung: Prof. Gerd Antos
eingereicht von
Gesine Müller
1. Hauptfach: Italianistik
1. Nebenfach: Germanistische Literaturwissenschaft
2. Nebenfach: Germanistische Sprachwissenschaft
Anschrift: Schmeerstr. 28, 06108 Halle (Saale)
Email: [email protected]
und
Maria Wagner
1. Hauptfach: Germanistische Sprachwissenschaft
2. Hauptfach: Germanische Literaturwissenschaft
Anschrift: Mansfelder Str. 44, 06108 Halle (Saale)
Email: [email protected]
WS 2007/ 2008
Gesine Müller und Maria Wagner: Demokratiegebot? Das „Europäische Referenzsprachenmodell“ von Dr. Karin Luttermann
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung................................................................................................................................3
2. Das luttermannsche Referenzsprachenmodell.........................................................................4
a) Rechtslinguistischer Kontext..............................................................................................4
b) Funktionsweise...................................................................................................................6
3. Textanalyse..............................................................................................................................7
a) Argumentationsrahmen......................................................................................................8
b) Persuasive und stilistische Mittel.....................................................................................10
4. Kulturpolitische Perspektive..................................................................................................18
5. Schluss...................................................................................................................................22
6. Literatur.................................................................................................................................24
a) Quellen aus der Internetpräsentation der EU...................................................................24
b) Sekundärliteratur..............................................................................................................24
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1. EinleitungAuf dem Symposion Verständlichkeit als Bürgerrecht? Die Rechts und Verwaltungssprache
in der öffentlichen Diskussion1 stand das Verhältnis von Sprache und Recht im Mittelpunkt.
Während sich die anderen Beiträge auf dem Symposion mit einzelsprachlichen Problemen der
deutschen Rechts und Verwaltungssprache beschäftigten, nahm Frau Dr. Luttermann als ein
zige eine übereinzelsprachliche, und zwar europäische Perspektive ein.
Ihr Vortrag Demokratiegebot: Muttersprachen und Europäisches Referenzsprachenmodell
stellte einen Reformansatz für einen effizienteren Umgang mit der Mehrsprachigkeit innerhalb
der EU vor. Hauptanliegen dieses Reformvorschlages ist es, Zeit und Geld innerhalb juristi
scher (und politischer) Prozesse auf EUEbene zu sparen, ohne jedoch die Demokratie oder
die Sprachenvielfalt innerhalb der EU einzuschränken. Dazu sollen die derzeitigen 23 Amtss
prachen der EU um die beiden Referenzsprachen Deutsch und Englisch ergänzt werden.
Um zu zeigen, dass die Entwicklung des Referenzsprachenmodells der Statuserhöhung des
Deutschen zu einer der europäischen Hauptsprachen dient, nimmt der vorliegende Aufsatz zu
nächst eine stilistisch orientierte Argumetationsanalyse vor (3). Im Anschluss (4) wird aufge
zeigt, warum das Referenzsprachenmodell aus kulturpolitischer Perspektive nicht vertretbar ist
und plädiert entsprechend der Politischen Agenda für Mehrsprachigkeit der EU für eine gedul
dige Haltung bei interkulturellen Verständigungsprozessen. Bevor Ergebnisse der Argumenta
tionsanalyse im Detail vorgestellt werden, nimmt der folgende Abschnitt (2) eine Einordnung
der in den Aufsätzen verhandelten Gegenstände vor und gibt einen grundlegenden Überblick
über die Funktionsweise des Referenzsprachenmodells.
Als Untersuchungsgrundlage dienen die zwei Aufsätze, die das Referenzsprachenmodell vor
stellen: 2004 veröffentlichten Karin und Claus Luttermann2 gemeinsam in der Juristenzeitung
den Aufsatz Ein Sprachenrecht für die Europäische Union. Und 2007 publizierte Karin Lutter
mann im Sammelband Studien zur Rechtskommunikation den Aufsatz Mehrsprachigkeit am
Europäischen Gerichtshof. Das Referenzsprachenmodell für ein EUSprachenrecht.
1 Symposion der Gesellschaft für deutsche Sprache in Zusammenarbeit mit dem Germanistischen Institut der MartinLutherUniversität HalleWittenberg am 1. und 2. November 2007 in Halle (Saale)
2 Prof. Claus Luttermann ist Jurist, Dr. Karin Luttermann ist Linguistin. Die Aufsätze und auch der Vortrag auf dem Symposion nehmen also eine rechtslinguistische Perspektive ein.
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2. Das luttermannsche Referenzsprachenmodell
a) Rechtslinguistischer Kontext
Die EU ist eine vertraglich geregelte Staatengemeinschaft, in der viele verschiedene Sprachen
gesprochen werden. Schon innerhalb der einzelnen Mitgliedsstaaten kommen den einzelnen
Sprachen verschiedene Status zu: Es gibt offiziell gebrauchte Sprachen, dies sind die Amtss
prachen in denen die Bürger eines Staates mit dessen Organen kommunizieren können/ müs
sen; des weiteren gibt es sogenannte „Minderheitensprachen“, denen nicht der offizielle Status
einer Amtssprache zukommt. Welche Sprachen nun auf EUEbene zu den offiziellen Sprachen
gerechnet werden, klären die verfahrensrechtlichen Sprachregelungen der EU:
Der Vertrag über die Europäische Union (Artikel 55) bestimmt, im Wortlaut welcher Spra
chen dieser Vertrag verbindlich ist (Absatz 1)3. Diese Sprachen werden daher als Vertragsspra
chen bezeichnet. Tritt ein weiterer Staat der EU bei, kann er eine seiner Amtssprachen zu ei
ner Vertragssprache der EU bestimmen (Absatz 2).
Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Artikel 20, Absatz 2, Punkt d)
verpflichtet die Organe sowie die beratenden Einrichtungen der EU mit den EUBürgern „in
einer der Sprachen der Verträge“ zu kommunizieren, wobei der jeweilige Bürger sprachwahl
berechtigt ist. Um funktionell zwischen dem Bereich der Auslegung des EUVertrages (Ver
tragssprachen) und dem der externen Kommunikation zu unterscheiden, werden diese Spra
chen als Amtssprachen bezeichnet; faktisch sind sie identisch. Die Verordnung Nr. 1 zur Rege
lung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bestimmt ferner, dass
„Verordnungen und andere Schriftstücke von allgemeiner Geltung“ (Artikel 4 ) sowie das
Amtsblatt der Europäischen Union in allen Amtssprachen veröffentlicht werden (Artikel 5).
Die Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsge
meinschaft setzt Amts und Arbeitssprachen gleich (Artikel 1), bestimmt jedoch auch, dass die
Organe der Gemeinschaft in ihren Geschäftsordnungen festlegen können, welche Sprache(n)
sie für die interne Kommunikation verwenden (Artikel 6).4
3 Momentan sind dies: Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch, Ungarisch.
4 In der Praxis orientiert sich der interne Sprachgebrauch an den Sprachkapazitäten der jeweiligen MitarbeiterInnen, zumeist wird in Französisch, Englisch und Deutsch kommuniziert.
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Die Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofes regelt, dass alle Vertrags und Amtss
prachen der EU bei Verhandlungen vor dem Europäischen Gerichtshof zugelassen sind (Arti
kel 29, §1), wobei der Kläger jeweils sprachwahlberechtigt ist (Artikel 29, §2). Die von ihm
gewählte Sprache wird jeweils als Verfahrenssprache bezeichnet. Im Wortlaut dieser ist das je
weilige Urteil eines Verfahrens verbindlich (Artikel 31), d.h. rechtskräftig.
Das luttermannsche Referenzsprachenmodell sieht nun vor, europäische Rechtsakte5 verbind
lich in zwei Referenzsprachen zu fassen. Gewissermaßen lässt sich dieser Reformvorschlag in
die Reihe der Sprachmodelle einordnen, die die Zahl der gültigen Vertrags, Amts, Verfah
rens und Arbeitssprachen auf wenige Sprachen reduzieren. Vordergründige Motivation all
dieser Reduzierungsvorschläge ist, den Übersetzungsaufwand6 innerhalb der EUInstitutionen
zu verringern. Folgende, von Linguisten und Juristen entwickelte, Modelle existieren bereits:
Das Einsprachenmodell präferiert Englisch als „Weltsprache“ oder Latein als lingua franca.7
Das Dreisprachenmodell nennt Englisch, Deutsch und Französisch. Im FünferModell schließ
lich werden die Sprachen des Dreiermodells um Italienisch und Spanisch erweitert. Lutter
mann schlägt nun ein ZweiSprachenmodell vor, das sich vordergründig durch die Einführung
eines Systems aus Referenz und nationalstaatlichen Amtssprachen von den bisher entwickel
ten Modellen unterscheidet: Die bisher gültigen Vertrags, Amts, Arbeits, und Verfahrens
sprachen sollen um die zwei Referenzsprachen Deutsch und Englisch ergänzt werden.
Wie genau das „System aus Referenz und Muttersprachen“ (LUT 2007: 69) nach Vorstellung
der Autoren funktionieren soll, zeigt der nächste Abschnitt, wobei lediglich die Eckpunkte des
Modells für ein besseres Verständnis der Argumentationsanalyse vorgestellt werden.
5 Rechtsakte können sein: Gesetz, Vertrag, Verwaltungsakt, Statut, Verordnung, Satzung, Gerichtsentscheidung.
6 Zuständig für Übersetzungen und Verdolmetschungen innerhalb der EU ist der Europäische Übersetzungsdienst.
7 Ebenfalls in der Diskussion ist die Einführung einer konstruierten Welthilfssprache wie Esperanto oder Volapük.
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b) Funktionsweise
Konkret fasst der Europäische Übersetzungsdienst jeden Rechtsakt in den beiden Sprachen
Deutsch und Englisch ab. Bei der Erstellung dieser zwei Sprachfassungen geht er
(rechts)sprachvergleichend zwischen diesen zwei Referenzsprachen vor. Im Ergebnis gilt dann
ausschließlich der Wortlaut jeder dieser zwei Fassungen als verbindlicher Standard. Ausge
hend von mindestens einer dieser verbindlichen Fassungen fertigen die einzelnen Mitglieds
staaten anschließend Übersetzungen in ihre jeweiligen Amtssprachen selbst an, wozu wieder
(rechts)sprachvergleichend vorgegangen wird.
Kommt es zu Auslegungsfragen des Europäischen Rechts, die Sprache oder das Recht an sich
betreffend, sind diese vergleichend – und zwar zwischen den Fassungen der beiden Referenz
sprachen – zu lösen. Dazu wird ein zweigliedriges Interpretationsverfahren aus Sprachen und
Rechtsvergleich angewendet, zunächst in Form einer multilingualen Analyse entsprechend der
traditionell grammatischen Auslegung. Können z.B. bestimmte Begrifflichkeiten auf Grund
abweichender Sprachfassungen nicht adäquat übersetzt werden, schließen sich systematische
und teleologische Auslegung – wieder vergleichend zwischen den Fassungen der beiden Refe
renzsprachen – gemäß der juristischen Auslegungspraxis8 an. Kern der Funktionsweise des
Referenzsprachenmodells ist also die Methode des (Rechts)Sprachenvergleich, der die Über
setzung zu Grunde liegt. Denn:
„Im rechtssprachlich vergleichenden Vorgang des Übersetzens [...] sind wir bildlich gefordert, den Sinngehalt hinüberzutragen in die andere Sprache; wir sind gezwungen, mehrdimensional zu denken, die überkommenen Schablonen der eigenen Sprache zu durchleuchten, die zu regelnde Sachfrage schärfer zu (er)fassen. [...] Mutter und Fremdsprache können so fruchtbar zusammen wirken.“ (LUT 2004: 1008; Hervorhebung im Original)
Wie die Anwendung dieser Methode begründet und eine notwendige Statuserhöhung des
Deutschen gerechtfertigt wird, zeigt der nächste Abschnitt. Im Vordergrund stehen dabei per
suasive Strategien und stilistische Mittel, die die Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs sugge
rieren.
8 Wie diese Auslegungsmethoden im einzelnen aussehen, ist hier nicht relevant und wird daher auch nicht näher erläutert. Wichtig ist, zu sehen, dass grundsätzlich bei jedem Schritt die Methode des Vergleichs angewendet werden soll.
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3. TextanalyseInhaltlich und argumentativ besteht der Aufsatz Luttermanns aus drei zentralen Teilen: Zu
nächst wird eine gegenwärtig reformbedürftige, negative Wirklichkeit konstruiert; für diese
steht sinnbildlich die Metapher „Brüsseler Sprachenbabel“. Der zweite Teil zeigt in Gegen
wart und Theorie existente, künftig ausbaufähige Lösungen auf: Dies ist zum einen der
Rechtssprachenvergleich des Europäischen Gerichtshofes und zum anderen diverse reduktio
nistische Sprachenmodelle aus der Rechtslinguistik. Schließlich konstruiert der letzte Teil eine
künftig reformierte, positive Wirklichkeit: Gemäß dem „Mehrheitsgebot“ werden Deutsch und
Englisch als die verbindlichen europäischen Rechtssprachen gesetzt. Dabei stehen Problemau
friss, Lösungsherleitung und Problemlösung in einem ungleichem Verhältnis zueinander, wie
Abbildung 1 veranschaulicht9:
Quantitativ kommt der Problemlösung also weniger als ¼ des Gesamttextes zu, was im Ge
gensatz zum in der Einleitung formulierten Anspruch steht: „Kern dieses Beitrags ist das neue
Referenzsprachenmodell [...] (Punkt 8)“ (LUT 2007: 48).
9 Unberücksichtigt sind Einleitung und Schluss, da in diesen Abschnitten jeweils ausblickend bzw. zusammenfassend alle drei Bestandteile der Argumentation enthalten sind. Ebenso unberücksichtigt bleibt der Anhang des Aufsatzes von 2007, da er Auszüge aus verschiedenen Verordnungen und Verfahrensordnungen der EUOrgane enthält, die ähnlich wie Einleitung und Schluss zu allen drei Bestandteilen der Argumentation beitragen.
Die Abschnitte im Einzelnen (unberücksichtigte in grau): LUT 2004: I. Einführung – II. Sprachenregime der EU – III. Perspektiven – IV. Internationale Dimension – V. Europäischer Gerichtshof – VI. Rechtspraxis – VII. Zwischenfazit – VIII. Recht und Kommunikation: Muttersprache – IX. Sprachenmodelle – X. Das Referenzsprachenmodell – XI. Ergebnis und Zukunft; LUT 2007: 1. Einleitung – 2. Sprachenrecht der Europäischen Union – 3. Historische Entwicklung des Sprachenregimes – 4. Europäischer Gerichtshof – 5. Zwischenfazit – 6. Kommunikation in der Muttersprache – 7. Sprachliche Situation am Europäischen Gerichtshof – 8. Referenzsprachenmodell für ein EUSprachenrecht – 9. Ergebnis – 10. Zukunft – 11. Anhang.
Abbildung 1: Quantitative Gewichtung der Argumentation
Seiten 2004
Seiten 2007
Gliederungspunkte 2004
Gliederungspunkte 2007
0% 20% 40% 60% 80% 100%
4
14
6
4
1
6
2
2
2
5
1
1
Bestandteile der Argumentation
Quantitative Aufteilung
ProblemlösungLösungsherleitung
Problemaufriss
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Dies lässt die Annahme zu, dass nicht das Referenzsprachenmodell den „Kern dieses Bei
trags“ bildet, sondern seine Rechtfertigung. Weiter kann angenommen werden, dass die Auto
rin darum bemüht ist, ein Problembewusstsein bei den antizipierten Rezipienten zu schaffen
und diese gleichzeitig für ihren Lösungsansatz zu gewinnen. Demnach müssten die Texte ver
schiedene Überzeugungsstrategien beinhalten, die der Apellfunktion des Textes dienen: Die
Existenz des Problems muss bewiesen, der Lösungsansatz umworben werden. Dieses persua
sive Sprechen ist Gegenstand der folgenden Betrachtung, die aufzeigt, dass die untersuchten
Aufsätze mehr oder weniger explizit darauf abzielen, den Status der deutschen Sprache inner
halb der EU zu erhöhen.
a) Argumentationsrahmen
Luttermanns Ausführungen legen die als rhetorische Frage formulierte Befürchtung nahe, dass
die „sprachliche Integration Europas“ (LUT 2007: 47) gefährdet ist, woran sich die These an
schließt: „Zwanzig und mehr als authentisch gesetzte Sprachen sind in der Praxis [...] nicht
mehr beherrschbar, schaffen Illusionen und Handlungsunfähigkeit.“ (LUT 2007: 69) Dieser
These liegt die teilweise explizierte Schlussregel zu Grunde, dass die Demokratie eines Ge
meinwesens nur dann gewährleistet ist, wenn es handlungsfähig ist, d.h. auf Effizienz beruht
und Rechtssicherheit gewährleistet. Dies sei in der EU nicht gegeben. Luttermann argumen
tiert, dass der Umgang der EU mit ihrer Mehrsprachigkeit chaotisch, verwirrend, ineffizient,
ungerecht und undemokratisch ist. Gestützt werden diese Argumente mittels Beispielen aus
der europäischen Rechtspraxis, einer statistischen Hochrechnung der möglichen Sprachkombi
nationen, eines Vergleichs zwischen Anspruch und Realität in der europäischen Rechtsspre
chung sowie einer Auflistung der Übersetzungskosten des Sprachendienstes am EuGH. Von
der so aufgezeigten Handlungsunfähigkeit der EU leitet Luttermann einen Reformbedarf des
europäischen Sprachenrechts ab, auf den sie schon vorwegnehmend im jeweils einleitenden
Abschnitt der Aufsätze verweist: „Not tut ein tragfähiges, praktikables Sprachenrecht für das
Gemeinschaftsrecht“ (LUT 2004: 1002) bzw. „Wege aus dem amtlichen Sprachenbabel sind
zu beschreiten. Die Europäische Union ist dauerhaft ohne eine tragfähige Sprachenregelung
undenkbar“ (LUT 2007: 47f.).
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An Beispielen illustriert zeigt die Argumentation auf, wie die Methode des Rechtssprachen
vergleichs am EuGH funktioniert und stößt damit zum „Kern des Beitrags“, dem Referenz
sprachenmodell, vor. Dem Plädoyer für dieses liegt wieder oben benannte Schlussregel zu
grunde, allerdings im Umkehrschluss: Insofern Handlungsfähigkeit und Demokratie eines Ge
meinwesens gefährdet sind, wenn es weder Effizienz noch Rechtssicherheit gewährleisten
kann, sind Demokratie und Handlungsfähigkeit eines Gemeinwesens gewährleistet, wenn es
auf Rechtssicherheit und Effizienz beruht. Geht es im Problemaufriss also darum, Demokra
tiegefährdung und Handlungsunfähigkeit der EU zu beweisen, zeigt die Argumentation für
das Referenzsprachenmodell, dass es aufgrund seiner Effizienz und gewährleisteten Rechtssi
cherheit den Ansprüchen eines demokratischen, handlungsfähigen Gemeinwesens genügt.
Folglich nennt Luttermann das Referenzsprachenmodell „eine angemessene Methode“, mit
der „ein angemessener Ausgleich zwischen Pluralität und Effizienz“ (LUT 2004: 1009) gesi
chert sei.
Luttermanns Forderungen bleiben jedoch nicht beim auf Rechtssprachenvergleich beruhenden
Referenzsprachenmodell stehen. Sondern sie macht zusätzlich und scheinbar nebenbei (im
vergleichsweise äußerst knapp gehaltenem Abschnitt zur konkreten Ausgestaltung des Refe
renzsprachenmodells) den Anspruch geltend, Deutsch „zwingend“ (LUT 2007: 72) als erste
und Englisch als zweite Referenzsprache zu setzen. Begründet wird dies mit dem „demokrati
schen Prinzip der Mehrheit“ (LUT 2007: 71) sowie der Relevanz der Muttersprache. Dass es
in den Aufsätzen nicht nur um die Etablierung eines Referenzsprachenmodells, sondern vor
allem um eine Statuserhöhung des Deutschen innerhalb der EU geht, wird auch daran deut
lich, dass Hinweise auf die Benachteiligung der deutschen Sprache und der Deutsch Sprechen
den die gesamte Argumentation durchziehen.
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b) Persuasive und stilistische Mittel
Um das Problem zu benennen, bemüht die Autorin die Metapher „Brüsseler Sprachenbabel“
(LUT 2007: 47). Brüssel als Hauptsitz des Europäischen Parlaments und des Rats der EU, wel
che zusammen die Legislative der EU bilden, sowie der Europäischen Kommission, welche
die Exekutive innerhalb der EU darstellt, wird hier als pars pro toto für die Europäische Union
eingeführt. Das Kompositum „Sprachenbabel“ verweist dabei auf die Autorität Bibel/ Gott,
die zu Grunde liegende biblische Geschichte ist dem Aufsatz von 2007 als Motto vorange
stellt:
„‚Alle Welt hatte nur eine Sprache und dieselben Laute. [...] Der Herr sprach: ‚Siehe, sie sind ein Volk, und nur eine Sprache haben sie alle [...]. Wir wollen dort ihre Sprache verwirren, dass keiner mehr die Rede des andern versteht!‘ Und der Herr zerstreute sie von da aus über die ganze Erde hin.‘ (Genesis 11, 18)“ (LUT 2007: 47)
Anschließend wird dieses Bibelzitat gedeutet und dann auf das gegenwärtige Europa übertra
gen. Der Turm von Babel steht dabei für die EU, die am Turmbau beteiligten Menschen kön
nen als Mitgliedstaaten der EU aufgefasst werden. Im zitierten Motto erscheint Gott als Ursa
che für das Scheitern des Turmbaus, in der Bibelexegese ist dafür allerdings die Ruhmsucht
und der Hochmut der Menschen verantwortlich. Mehrsprachigkeit erscheint entsprechend als
Strafe Gottes für dieses sündige Verhalten. Im Zitat sind die entsprechenden Textstellen zwar
ausgelassen, dem Leser dürfte dieser Zusammenhang jedoch auf Grund seines Weltwissens
deutlich sein. Implizit kann also geschlussfolgert werden, dass sich die Mitgliedstaaten der EU
ein zu hohes Ziel gesteckt haben, was von von Anbeginn zum Scheitern verurteilt ist – wie die
biblische Geschichte zeigt. Jedoch ist dafür nicht ihr Hochmut in Bezug auf die Schaffung der
EU (= Turmbau) verantwortlich, sondern der Anspruch alle Amtssprachen der einzelnen Mit
gliedstaaten gleichwertig zu behandeln:
„Die Bibel erklärt Mehrsprachigkeit mit dem Turmbau zu Babel. Gott ließ die Menschen in unterschiedlichen Sprachen sprechen, damit sie nicht mehr sich verständigen und den Turm nicht vollenden konnten. In der Gegenwart ist vom Brüsseler Sprachenbabel die Rede. Soll hieran die sprachliche Integration Europas scheitern? Die Rechtsgrundlagen betonen Einheit in Vielfalt.“ (ebd.)
Die Metapher stellt also ein Europa vor, dessen Umgang mit Mehrsprachigkeit die Verständi
gung unter den Mitgliedstaaten einschränkt. Folglich findet die Metapher Verwendung, um
Schwierigkeiten beim Übersetzten von Rechtsakten zu verdeutlichen: Im Zusammenhang mit
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den von Luttermann „beachtlich“ genannten „Kosten und [...] Grenzen der Übersetzungsleis
tung“ ist vom „amtlichen Sprachenbabel“ (LUT 2007: 47) die Rede. Angesichts zwanzig gülti
ger Rechtssprachen spricht sie von „babylonischer Sprachverwirrung“ (LUT 2004: 1002), in
der keine Rechtssicherheit gewährleistet werden könne. Statt dessen gerieten Rechtstexte ange
sichts der „babylonischen Sprachenvielfalt“ (LUT 2004: 1003) zu „Trugbildern“ (ebd.).
Schon in der Einleitung des 2004er Aufsatzes weist Luttermann darauf hin, dass verbindliche
Rechtssprechung „keine Beliebigkeit“ verträgt und somit „eine bestimmte Sprache“ erfordert,
was dem Anspruch der EU auf Mehrsprachigkeit entgegensteht (LUT 2004: 1002). Entspre
chend finden sich Gegenüberstellungen des einsprachigen Ideals und der mehrsprachigen Rea
lität:
„Das Recht der Europäischen Union und ihrer fünfundzwanzig Mitgliedsstaaten braucht klare Aussagen. Doch in welcher Sprache? – Die Menschen in Europa sprechen viele Sprachen.“ (ebd.)
„Recht lebt und wirkt durch eine bestimmte Sprache. Im mehrsprachigen Rechtsraum herrscht die Übersetzung, in der Europäischen Union jetzt zwischen zwanzig Sprachen.“ (ebd.; Hervorhebung Kursivdruck im Original, Fettdruck von M.W./ G.M.)
So wird suggeriert, dass die Übersetzung als Methode nicht geeignet ist, Rechtssicherheit im
mehrsprachigen Europa zu gewährleisten. Im Anschluss an die Gegenüberstellung von Ideal
und Realität lässt einerseits die Metapher „babylonische Sprachverwirrung“ die Realität der
europäischen Mehrsprachigkeit als etwas Negatives erscheinen und andererseits wird das Ideal
„einer vollkommenen Sprache“ (ebd.) als „Utopie“ bezeichnet. Diese Kombination der Prä
supposition, dass es einen „Menschheitstraum einer vollkommenen Sprache“ gibt, mit deren
Entlarvung als „Utopie“ wird später in der Argumentation wieder aufgenommen und als un
natürlich abqualifiziert, da eine „Welthilfssprache (z.B. Esperanto, Volapük) [...] niemandes
Muttersprache ist“ (LUT 2004: 1008).
Das gelingt auch dadurch, dass zuvor die „praktische Bedeutung der Muttersprache“ als „klar“
für „jedermann“ und auf „Naturgesetzlichkeiten“ beruhend heraus gestellt ist (LUT 2004:
1007). In diesem Zusammenhang wird auf den besonderen Respekt, den die deutsche Recht
sprechung gegenüber der Muttersprache zeigt, hingewiesen:
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„Bereits im Sachsenspiegel konnte jeder vor Gericht Antwort verweigern, der nicht in seiner Muttersprache beschuldigt wurde; wer sich auf deutsch eingelassen hatte, musste weiter auf deutsch handeln – außer vor dem König, denn dort hatte jeder Recht ‚seiner Geburt entsprechend’.“ (ebd.)
Dass die deutsche Rechtsprechung traditionell dem muttersprachlichen Ansatz verpflichtet ist,
impliziert, dass die deutsche Rechtsprechung gerecht geregelt ist, weil sie der menschlichen
Natur entspricht. Dem Konzept Muttersprache liegt hier die Präsupposition zugrunde, dass der
Mensch eine einzige Muttersprache spricht, angezeigt mit der Kombination aus Singular und
bestimmten Artikel: „die erste Sprache“ (ebd.)10. Mit dem Verweis auf „Naturgesetzlichkeiten“
wird also eine Kunstsprache nicht aber eine lebende Sprache als Lösung des Problems ausge
schlossen.
Das Argument „Natürlichkeit“ dient auch der Rechtfertigung für eine Reduktion der rechtsver
bindlichen Sprachen. Dabei erscheinen Demokratie und Effizienz im Argumentationszusam
menhang nicht als Errungenschaften der Vernunft des Menschen, sondern als der EU von Na
tur aus mitgegebene Eigenschaften und die EU selbst wird zum lebendigen Subjekt:
„Ebenfalls natürlich entwickelt ist die Konzentration auf Referenzsprachen. Kernelement europäischer Gemeinschaft ist – auch zu Sicherung der Demokratie – ein effizientes Gemeinwesen (s. Präambel EUV).“ (LUT 2004: 1009)
„Die Europäische Union ist vor allem kein fixes Datum; ihre Entwicklung in Pluralität und Effizienz verläuft naturgemäß prozesshaft. Entsprechend ist das Referenzsprachenmodell evolutionär gestaltbar.“ (ebd.)
Auch wird eine Sonderstellung der Muttersprachen innerhalb der EU, insbesondere der euro
päischen Rechtssprechung hergeleitet, indem die Seme >natürlich< bzw. >menschlich< suk
zessive vom Lexem >Muttersprache< auf das Lexem >Hauptsprache< und schließlich auf die
Lexeme >Staatssprache< sowie >Amtssprache< übertragen werden und damit die Seme >na
tionalstaatlich< bzw. >amtlich< ersetzen bzw. ergänzen:
„Gemeinschaftsgesetzgeber und europäische Rechtsprechung bauen auf muttersprachliche Verständigung. Die Unionsbürger sollen in ihrer eigenen Sprache kommunizieren können. Das Sprachenregime gleichrangiger Verständlichkeit in der Europäischen Union spiegelt
10 Muttersprachliche Mehrsprachigkeit bzw. frühes Erlernen von Zweit und Drittsprachen, die dann ebensogut beherrscht werden wie die Muttersprache, werden innerhalb der luttermannschen Argumentation lediglich in einer Fußnote zur Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Sprachenrecht abgehandelt (LUT 2007: 49, Anm. 7).
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den Gedanken der Muttersprache. Sie gilt jeweils als Hauptsprache eines Mitgliedstaates; daraus folgt in der Regel der Status Vertrags oder Amtssprache [...].“ (Lut 2007: 62)
Gleichzeitig wird das Sem >amtlich< vom Lexem >Amtssprache< auf das Lexem >Mutter
sprache< übertragen. Der Träger der Muttersprache ist in dieser Konstruktion nicht mehr ein
einzelner Mensch, sondern ein Nationalstaat:
„[Die Muttersprache] ist in der Tradition der Nationalstaaten regelmäßig die Staats oder Amtssprache eines Mitgliedstaates und hat landesweit oder in einer Region Amtsstatus.“ (LUT 2007: 70)
Somit ist der Weg geebnet, um einerseits die Referenzsprachen entsprechend der am häufigs
ten gesprochenen Muttersprachen auszuwählen und andererseits, um für die Sprache den
höchsten Status einzufordern, die die meisten Muttersprachler innerhalb der EU aufweist:
Deutsch als Referenzsprache steht zwar dem geforderten muttersprachlichen Ansatz, d.h. dem
Recht auf die eigene Sprache entgegen, wird aber durch das Mehrheitskriterium relativiert, da
die Muttersprache der meisten EUBürger ohnehin Deutsch ist.
„Demgemäß ist aber für die Wahl der Referenzsprachen das Mehrheitskriterium das demokratische Prinzip [...].“ (LUT 2004: 1009)
„Im Gegensatz zu herkömmlichen Sprachenmodellen gründet das Referenzsprachenmodell bei der Wahl der Referenzsprachen auf dem demokratischen Prinzip der Mehrheit.“ (LUT 2007: 71)
Dazu ist es außerdem notwendig das zuvor eingeführte und eingeforderte Prinzip gleichrangi
ger Verständlichkeit mit dem Mehrheitsprinzip zu vereinbaren. Dies geschieht jedoch nicht,
sondern es wird sugeriert, dass das Referenzsprachenmodell beiden Prinzipien gerecht wird,
indem beide unter dem Oberbegriff „demokratisches Prinzip“ gefasst werden:
„Ein Kernelement ist das demokratische Prinzip (s. Präambel und Art. 6 EUV), namentlich als Möglichkeit der Mitsprache – hier gesichert in dem muttersprachlichen Ansatz: Das Recht bleibt gewahrt, nach Wahl des Bürgers sich in einer der geltenden Amtssprachen an Organe der Gemeinschaft zu richten und eine gleichsprachige Antwort zu erhalten.“ (LUT 2004: 1008f.)
Zwar bleiben die NichtReferenzsprachen im Rechtsverkehr präsent, jedoch ist ihr Status nicht
dem der Referenzsprachen vergleichbar. Denn „zumindest eine der Referenzfassungen ist als
Prüfmaßstab anzulegen.“ (LUT 2004: 1008) Desweiteren bezieht sich das Mehrheitskriterium,
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welches zu Legitimation für die Wahl der Referenzsprachen heran gezogen wird, nicht auf die
Gesamtsprecher einer Sprache innerhalb der EU, sondern auf die Muttersprachler. Würde al
lein das Mehrheitskriterium für die Bestimmung der Referenzsprachen relevant sein, müssten
zwar ebenfalls Deutsch und Englisch bestimmt werden, jedoch würde Englisch dann an die
erste und Deutsch an die zweite Stelle treten. Somit treten nicht nur die beiden Referenzspra
chen „in supranationaler Dimension aus dem Kreis der bisherigen Amtssprachen hervor“
(LUT 2004: 1008), sondern dem Deutschen kann der höchste Status unter den Sprachen der
EU zugeschrieben werden, wie folgende Übersicht illustriert11:
Anteil Muttersprachler(erste Referenzsprache)
Anteil Fremdsprachler
(zweite Referenzsprache)
Gesamtsprecher
(a) nach LUT 2004: 1009 [Zahlen von 2001]
Deutsch 24 32 [56]
Englisch 16 47 [63]
Französisch 16 28 [44]
Italienisch 16 18 [34]
Spanisch 11 15 [26]
Aufzählung im Fließtext Auflistung in Fußnote nicht angegeben
(b) nach LUT 2007: 72 [Zahlen von 2007]
Deutsch 18 14 32
Englisch 13 38 51
Französisch 12 14 26
Italienisch 13 3 [16]
Polnisch „erreicht den spanischen Sprecheranteil“[9]
[1] „um 5% hinter Spanisch“[10]
Spanisch 9 6 [15]
Um die mit dem Referenzsprachenmodell einhergehende Ungleichbehandlung der Amtsspra
chen der EU zu beschönigen, finden sich immer wieder aus der EUPolitik bekannte patheti
sche Floskeln, die die „europäische Einheit in Vielfalt“ (LUT 2004: 2010) betonen: So „wahrt
[das Referenzsprachenmodell] die kulturelle Sprachenvielfalt in Europa“ (LUT 2004: 2010),
dient der „Sicherung kultureller Vielfalt“ (LUT 2004: 1009), ist dazu da „Vielfalt zu bewah
11 Angaben in %. Zahlen in eckigen Klammern werden im Text nicht explizit benannt, sind aber erschließbar.
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ren“ und gleichzeitig „die Einheit für den transnationalen Verkehr zu fördern“ (LUT 2004:
1008).
Außerdem suggeriert die Argumentation, dass der derzeitige Status, der der deutschen Spra
che gegenwärtig innerhalb der EU zukommt, nicht gerechtfertigt ist. Explizit, aber in einer
Anmerkung versteckt, nennt Luttermann die Verwendung des Deutschen „unzureichend“
(LUT 2004: 1003, Anm. 7). Im Vordergrund beschäftigt sich die Argumentation an dieser
Stelle mit der Sprachpraxis innerhalb der EUOrgane, die dem Anspruch, dass alle Amtsspra
chen gleichberechtigt nebeneinander stehen, nicht gerecht wird:
„Alle Amtssprachen stehen – offiziell – gleichberechtigt nebeneinander. Bei Rat und Kommission wird aber zunehmend in den zahlenmäßig dominierenden Sprachen Französisch, Englisch und auch Deutsch gearbeitet.“ (LUT 2004: 1003)
So wird schon hier das zum Schluss der Ausführungen wieder aufgenommene Argument des
Mehrheitskriteriums eingeführt, wobei mittels der Konjunktion auch impliziert wird, dass
Deutsch nicht im gleichen Maße verwendet wird wie die ebenfalls aufgezählten Sprachen
Englisch und Französisch. Im Aufsatz von 2007 nimmt die Argumentation nicht das Mehr
heitskriterium vorweg, doch auch hier werden Englisch und Französich als dem Deutschen ge
genüber übervorteilt dargestellt, was einerseits offiziellen Regelungen entgegen steht, anderer
seits durch diese befördert wird:
„So hat zum Beispiel die Kommission offiziell festgelegt, dass alle internen Dokumente in Deutsch, Englisch und Französisch erscheinen müssen. Aber selbst von dieser Regelung wird abgewichen; bei Erstkontakten nutzen Kommissionsmitarbeiter regelmäßig nur Englisch oder Französisch. Im internen Verfahrenshandbuch der Kommission ist Deutsch als Dritte Arbeitsprache nicht bestimmt.“ (LUT 2007: 51)
Welch schweren Stand das Deutsche als Arbeitssprache hat, veranschaulicht außerdem das in
beide Aufsätze aufgenommene Beispiel des „im Juli 1999 unter finnischer Ratspräsidentschaft
entflammten Sprachenstreit um Deutsch als Arbeitssprache [...], weil angeblich Übersetzungs
kapazität mangelte“ (LUT 2004: 1003). Der Modaloperator angeblich wird im Aufsatz von
2007 durch den nachgestellten Satz „Erst als Deutschland und Österreich drei Sitzungen boy
kottierten, wurde Deutsch gedolmetscht.“ (LUT 2007: 51) ersetzt. Beide Varianten implizie
ren, dass die Übersetzungskapazitäten zwar vorhanden waren, aber nicht selbstverständlich,
sondern erst nach einem Kampf – konnotativ im Partizip entflammt enthalten – genutzt wur
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den. Diese Implikation zu Gunsten der Verwendung des Deutschen steht jedoch dem Kosten
argument zu Gunsten einer Reduzierung der verbindlichen Rechtssprachen entgegen. Der so
entstehende Widerspruch wird durch das Mehrheitskriterium aufgelöst.
Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass sich das Bestreben den Status des Deutschen zu
erhöhen zugleich als Bestreben zeigt, den Status des Englischen und vor allem des Französi
schen zu vermindern. Das zeigt sich beispielsweise im Abschnitt zur Sprachpraxis der EUOr
gane an den unterschiedlich konnotierten Prädikate dient und herrscht bei Beibehaltung der
Satzstruktur (Lokalbestimmung + Prädikat + attributiertes Subjekt) zeigt: „Bei den europäi
schen Organen gilt traditionell der Grundsatz der Mehrsprachigkeit. […]
In der europäischen Gerichtsbarkeit herrscht traditionell Französisch.“ (LUT 2004: 1003)
Während gelten die neutrale Konnotation wirken von allgemein anerkannten Regelungen ent
hält, beinhaltet herrschen die negative Konnotation etwas anderes dominieren bzw. unter
drücken. Somit wird die Sprachpraxis der europäischen Organe der Sprachpraxis des EuGH
gegenüber gestellt und letztere als ungerechtfertigt abqualifiziert.
An einer anderen, rezeptionssteuernd entscheidenden Stelle (letzter Absatz des Aufsatzes von
2004) heißt es: „Über nationale Gewohnheiten, Egoismen und politisch motivierte Trug
bilder hinaus ist der Integrationsgedanke der Europäischen Union umzusetzen [...].“ (LUT
2004: 1010) Damit zielt Luttermann auf die französische Sprachgesetzgebung, denn in der da
zugehörigen Anmerkung 73 ist der Titel Französische Sprachgesetzgebung und europäische
Integration angegeben. Selbst wenn der Rezipient nicht mit dem Inhalt desselben vertraut ist,
kann sein Weltwissen um den französischen Sprachpurismus zu folgender Lesart beitragen:
Die französische Sprachgesetzgebung ist eine nationale Gewohnheit, die auf französischen
Egoismen beruht und politische Trugbilder über die Reinhaltung von Sprache produziert, was
der europäischen Integration entgegensteht.
Weitere Seitenhiebe werden Frankreich beim Abriss der „Historischen Entwicklung des Spra
chenregimes“ erteilt: „Frankreich leitet aus der Fassung des Montanvertrags die sprachliche
Vorherrschaft ab, kann sich aber nicht durchsetzen.“ (LUT 2007: 53) Die „Vorherrschaft“
des Französischen wird am Bereich der Arbeitssprachen innerhalb des EuGH verdeutlicht.
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Kurze elliptische Sätze, ein Ausrufungszeichen und das hier negativ konnotierte Verb reduzie
ren unterstreichen das Ausmaß der Übervorteilung des Französichen:
„Für den internen Gebrauch reduziert [der Europäische Gerichtshof] die momentan 21 Verfahrenssprachen um 20 Sprachen. Französisch ist Arbeitssprache. Allerdings aus Gewohnheit, ohne explizite Rechtsgrundlage! Denn es gibt keine Vorschrift, die sagt, dass eine Sprache innerhalb des Gerichtshofs einen Sonderstatus einnehmen soll.“ (LUT 2007: 67)12
Im Anschluss wird das Wortfeld >Domination, Herrschaft< wieder aufgenommen, dem Fran
zösischen zugeschrieben und mündet schließlich in der Behauptung, dass die alleinige Ver
wendung des Französischen dem Diskrimminierungsverbot der EU entgegen steht:
„Die Wahl des Französischen als interne Arbeitssprache ist undemokratisch, weil sie auf traditionellen Erwägungen basiert und Mehrheitsverhältnisse (als Parameter einer Demokratie) völlig außer Acht lässt. Das diskriminiert die übrigen Amtssprachen und damit letztlich die Unionsbürger.“ (ebd.)
Schließlich mündet die Argumentation in der Forderung, den Status des Französischen ent
sprechend den statistischen Sprecherzahlen innerhalb der EU zu mindern und dabei die Fakto
ren, die den hohen Status des Französischen rechtfertigen, zu vernachlässigen bzw. vorsätzlich
nicht anzuerkennen:
„Das demokratische Prinzip der Mehrheit ergibt Deutsch und Englisch mithin als Referenzsprachen. Ihr ‚Kommunikationspotential‘ übersteigt Französisch, dessen Gesamtsprecheranteil lediglich 26% beträgt. Frankreichs Bedeutung in der Europäischen Union ist unbestritten [...]. Dennoch ist die französische Sprache in der Gegenwart faktisch (aus der Perspektive der Sprecherzahlen) nur noch an dritter Stelle. Die jüngste SüdOstErweiterung hat die Sprachverhältnisse nachhaltig verändert: ‚German has caught up French as the second most spoken foreign language in the EU due to its more widely spread use in the ‚new‘ Member States.‘“ (LUT 2007: 72f.)
Dass genau die Argumente, die gegen eine bevorzugte Verwendung des Französischen inner
halb der EU im Grunde auch gegen die Einführung von Referenzsprachen sprechen, bleibt in
der luttermannschen Argumentation außen vor. Der folgende Abschnitt betrachtet daher das
Referenzsprachenmodell unter kulturpolitischer Perspektive. Dabei wird überprüft, ob es den
von Luttermann geforderten Prinzipien Demokratie und Gleichbehandlung aller EUBürger
gerecht wird.
12 Der letzte Satz dieses Textausschnittes zeigt zudem eine Inkonsistenz in der Argumentation. Wird hier eindeutig verneint, dass eine Sprache einen Sonderstatus innerhalb eines europäischen Organs einnehmen darf, verlangt Luttermann diesen für die Referenzsprachen .
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4. Kulturpolitische PerspektiveJeder der EUMitgliedsstaaten ist eine eigenständige Nation, die sich durch Faktoren wie Ge
schichte, Kultur, Territorium und Sprache eine kollektive Identität geschaffen hat und bestrebt
ist, diese zu erhalten. Die politischen Ordnungen der einzelnen Nationalstaaten mit bürokrati
scher Verwaltung und dem obersten Gebot der Rationalität und Effizienz besitzen je ihr eige
nes Rechtssystem, welches dem Anspruch auf Gleichheit vor dem Gesetz folgt (vgl. Schreiner
2006: 42). Ferner müssen die geltenden Gesetze für die Bürger verständlich sein. Jeder Staat
ist um möglichst ökonomisches Handeln bemüht, wobei der Hauptbezugsraum das eigene Ter
ritorium darstellt (vgl. ebd.). Ein wichtiges Merkmal des Zusammengehörigkeitsgefühls der
Nation ist die Nationalsprache. Sie ist konstituiv für jeden Staat und grenzt gleichzeitig eine
Nation von der anderen ab (vgl. ebd.).
In der EU sind nun alle diese eigenständigen und sich voneinander abgrenzenden Staaten zu
einer Gemeinschaft zusammengeführt und wirken ähnlich wie ein Einzelstaat in einer politi
schen Ordnung zusammen. Folglich gelten für diese Verbindung ebenfalls die Charakteristika
wie: bürokratische Verwaltung, effizientes Handeln, ein einheitliches Rechtswesen mit dem
Anspruch auf Gleichheit und Verständlichkeit für jeden, ein Wirtschaftsraum und eine Spra
che. Betrachtet man sich diese Faktoren fällt sofort auf, dass das Kriterium der Sprache und
damit eng verbunden die Kommunikation z.B. auf der Rechtsebene ein gewisses Problem dar
stellt. Die EUBürger haben keine einheitliche Sprache und müssen sich somit als Mitglieder
einer Gemeinschaft identifizieren, welche vielsprachig ist. Diese Tatsache bringt einige Hin
dernisse mit sich, die zwar aufwändiger als auf nationalstaatlicher Ebene, aber nicht unüber
windbar sind.
Eine solche politische Ordnung zeichnet sich durch die Besonderheit der Mehrsprachigkeit
aus und genauso wird dieses Phänomen auch von der EU bewertet: „Ideologisch setzt sie
sprachliche und kulturelle Vielfalt als höchsten Wert; eine solche Vielfalt (und Vielsprachig
keit) wiederum ist ein wesentlicher Bestandteil der Idee einer kulturellen Einheit Europas: ‚In
Vielfalt geeint “ (Schreiner 2006: 43). Dabei ist es selbstverständlich, da‛ ss alle Amtssprachen
der einzelnen Mitgliedsstaaten als Amtssprachen in dieser Gemeinschaft gelten und zwar
gleichberechtigt nebeneinander. Wie funktioniert das aber z.B. wenn auf europäischer Ebene
Recht gesprochen wird, wenn alle Sprachen den gleichen Status besitzen?
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Die Recht sprechende Instanz der EU ist der Europäische Gerichtshof (EuGH). Er verfügt in
Anbetracht der vielen Amtssprachen über einen eigenen Sprachdienst, der sich in Überset
zungsdienst und Dolmetscherdienst aufteilt. Die Mitarbeiter dieser Institution müssen neben
dem besonders guten Beherrschen mehrerer europäischer Amtssprachen auch über juristische
Kenntnisse verfügen (vgl. LUT 2007: 66). Ihre Aufgabe ist es, die Urteile und Beschlüsse des
EuGH in alle Amtssprachen zu übersetzen und somit „den Grundsatz der Gleichheit des Zu
gangs aller Bürger zur Gemeinschaftsjustiz“ (EuGH 2008: 12) zu gewährleisten.
In diesem Zusammenhang sieht Luttermann ein Kernelement der EU, nämlich ein effizientes
Gemeinwesen als nicht gegeben an (vgl. LUT 2004: 1009). Sie hält jährliche Kosten, Ende der
90er Jahre, von 37,6 Millionen Euro für den Übersetzungsdienst und 4,9 Millionen Euro für
den Dolmetscherdienst für bedenklich (vgl. LUT 2007: 66). Auf der Internetseite der EU hin
gegen findet man zum Problem des Übersetzungsaufwandes und seinen Kosten folgende Aus
sage: „Außerdem wurden sehr strenge Regeln eingeführt, um die Effizienz dieser Dienstleis
tungen zu gewährleisten und die entsprechenden Haushaltskosten in vernünftigen Grenzen zu
halten.“ (PARL 2008: 2) Auch die EUKommission betrachtet die Übersetzungskosten nicht
als Problem, sondern hält es für möglich, in noch mehr Amtssprachen zu arbeiten. In der Mit
teilung Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit der EUKommission heißt es ent
sprechend:
„Die Kosten für die Übersetzungs und Dolmetschdienste aller Organe zusammengenommen belaufen sich auf 1,05% des Gesamtbudgets der EU für 2004 oder 2,28 € pro Bürger/in pro Jahr. Für diesen Betrag erhalten alle Bürger/innen uneingeschränkten Zugang zur gesamten Rechtsetzung der EU sowie das Recht zu kommunizieren, beizutragen und sich zu informieren.“ (KOM 2005: 14).
Weiteren Anstoß findet Luttermann an der Tatsache, dass der EuGH, als europäisches Rechts
sprechungsorgan, intern nur in einer Arbeitssprache, dem Französischen, kommuniziert (LUT
2007: 67). Französisch ist traditionell die Sprache der europäischen Gerichtsbarkeit und gilt
als Gründersprache der Europäischen Gemeinschaft (EG). Da es keine rechtliche Grundlage
für die Sonderstellung des Französischen als interne Arbeitssprache gibt, bewertet Luttermann
dieses Vorgehen als undemokratisch und als diskriminierend gegenüber den übrigen Amtss
prachen und Unionsbürgern (ebd.: 67). Was bekommt aber der Unionsbürger von der internen
Arbeit des EuGH in seinem täglichen Leben mit? Da alle Urteile anschließend in alle Amtss
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prachen übersetzt werden und damit jedem Bürger in seiner eigenen Sprache zur Verfügung
stehen, spielt es regulär für die Bevölkerung keine Rolle, in welcher Sprache das Urteil gefällt
wurde. Luttermanns Referenzsprachenmodell mit deutschem und englischem Standard würde
die übrigen Sprachen zunächst genau so diskriminieren, wie es momentan das Französische
tut. Um allen Sprachen gerecht zu werden, müsste der EuGH in allen Amtssprachen verhan
deln, was nur mit einem enormen Aufwand an Zeit und Kosten für Simultanübersetzer zu ge
währleisten wäre.
Des Weiteren kritisiert Luttermann den ohnehin schon immensen Übersetzungsaufwand von
der jeweiligen Verfahrenssprache in die interne Arbeitssprache und wieder zurück (vgl. LUT
2007: 67). Den würde ihr Modell jedoch auch nicht verringern, da jeder Unionsbürger das
Recht hat, sich in einer europäischen Amtssprache seiner Wahl an den Gerichtshof zu wenden,
wobei die Antwort in derselben Sprache zu erfolgen hat (vgl. RAT 2008). Würden auch in die
sem Fall nur Deutsch und Englisch erlaubt sein, wäre dies eine Diskriminierung der übrigen
Unionsbürger, von den Schwierigkeiten eines Durchschnittseuropäers, ein juristisches Anlie
gen zusätzlich noch in einer Fremdsprache zu formulieren, ganz abgesehen.
Ein weiterer Kritikpunkt Luttermanns ist der große Übersetzungsaufwand für die französische
Sprachabteilung, wodurch Zeitprobleme entstehen und die in Eile übersetzte Version deshalb
fehleranfällig macht. Problematisch wird das, wenn aus einer fehlerhaften Grundlage in die
anderen Sprachen übersetzt wird. Das schafft Rechtsunsicherheit (vgl. LUT 2007: 68). Tat
sächlich ist das ein Problem, welches eine Kettenreaktion hervorruft. Luttermann schlägt des
halb vor, alle europäischen Rechtsakte auf allen Ebenen (Vertrags, Amts, Arbeits und Ver
fahrenssprache) in den zwei Referenzsprachen abzufassen (vgl. LUT 2007: 69). Der Aufwand
ist dann aber für die englische und die deutsche Sprachabteilung genau so groß wie jetzt für
die französische. Es müsste eventuell eher über eine Aufstockung der Mitarbeiter für die fran
zösische Abteilung nachgedacht werden, als Sprachen einfach auszutauschen.
Das luttermannsche Modell sieht vor, die beiden Referenzsprachen als Übersetzungsstandards
zu setzen und nach deren Vorlage in die anderen Amtssprachen zu übersetzen. Die dafür not
wendigen Übersetzungsdienste würden demnach von der EU an die einzelnen Mitgliedstaaten
delegiert werden. Es wäre also nur eine Arbeits und Kostenverlagerung, zumal das EUBud
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get ohnehin von den Nationalstaaten aufgebracht wird. Somit findet auch Luttermanns Modell
keine Lösung was Effizienz und Kosten angeht.
Ihren Kritikpunkt des nichtdemokratischen, internen Vorgehens am EuGH, in dem Franzö
sisch als Arbeitssprache benutzt wird, begründet Luttermann mit Zahlen, die ein geringes
Mehrheitsverhältnis für die deutsche Sprache gegenüber der französischen aufweisen. In den
letzten Jahren hat das Deutsche in seiner Verbreitung durch die SüdostErweiterung einige
Prozentpunkte dazu gewonnen, sodass sich im Jahr 2007 für das Deutsche ein Sprecheranteil
(Muttersprache und Fremdsprache) in der EU von 32 % ergibt und für das Französische 26 %
(vgl. 2.a). Englisch steht mit einer Sprecherzahl von 51 % innerhalb der EU unangefochten an
erster Stelle. Damit liegt Französisch nur noch an dritter Stelle und das Deutsche müsste laut
Luttermann (LUT 2007: 72) „zwingend“ eine der Referenzsprachen werden (vgl. ebd.).
Der EuGH spricht traditionell Französisch und müsste sich, wenn Luttermanns Modell durch
gesetzt werden würde, auf einmal umstellen und in einer anderen Sprache kommunizieren. Of
fenbar gibt es aber intern keine Probleme mit der bisherigen Sprachlösung, warum soll man
dann Probleme von außen herbeiführen? Es geht Luttermann also, wie die Textanalyse gezeigt
hat, um Macht und Prestige; sie betreibt unter dem Deckmantel demokratischer Zahlen Status
politik für das Deutsche und gegen das Französische: „Statuspolitik umfasst diejenigen Maß
nahmen, die den politischen und gesellschaftlichen Status einer Sprache zu bestimmen su
chen: beispielsweise die verbindliche Festlegung einer Sprache als Amts, Arbeits, Schul
oder Gerichtssprache.“ (Schreiner 2006: 45). In der EU kommt der Statuspolitik folgende Be
deutung zu:
„…sie kann bestimmte Sprachen zu ihren Amtssprachen machen, ihnen also den Status einer offiziellen EUSprache zukommen lassen. Darüber hinaus kann sie bestimmte Sprachen durch häufigeren internen Gebrauch in EUGremien, Organen oder Behörden faktisch aufwerten.“ (ebd.)
Innerhalb der EUOrgane betreibt man mit der Festlegung auf eine oder wenige Arbeitsspra
chen eine sinnvolle und gerechtfertigte, wenn auch inoffizielle Statuspolitik, da eine Kommu
nikation in allen Amtssprachen gar nicht zu bewältigen wäre. Natürlich versuchen Staaten, die
ihre Amtssprache nicht zu den internen Arbeitssprachen zählen dürfen, in Anbetracht der in
zwischen großen politischen Bedeutung der EU eine solche Arbeitssprachenregelung zu be
einflussen. Der Status, eine EUArbeitssprache zu sein, ist ein nicht unerheblicher Faktor für
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die Bedeutung der dazugehörigen Nationalsprache und für den entsprechenden Nationalstaat
(vgl. ebd. 46).
Frankreich versuchte beispielsweise noch in den 70er Jahren, als das Französische dominie
rende Arbeitssprache war, diese Einsprachenregelung aufrecht zu erhalten. Allerdings nützte
das gegen den unaufhaltsamen Vormarsch des Englischen nichts und Englisch hat Französisch
in vielen Bereichen überholt (vgl. ebd.). Trotz einigem Machtgerangel der größeren EUStaa
ten, wird sich an der Vormachtstellung des Englischen zunächst nichts ändern. Es ist die meist
gesprochene Fremdsprache in der Europäischen Gemeinschaft, viele Fachsprachen benutzen
das Englische und auch auf internationaler Ebene spielt Englisch eine entscheidende Rolle.
5. SchlussDie Argumentationsanalyse hat gezeigt, dass es im luttermannschen Reformvorschlag zwar
vordergründig um eine effizientere und damit „demokratischere“ Gestaltung der Arbeit der
EUOrgane geht. Hintergründig fordert er jedoch eine Statuserhöhung der deutschen Sprache
bei gleichzeitiger Statusminderung des Französischen. Offensichtlich wird diese Haltung v.a.
im polemischpathetischen Aufsatz von 2004 in der Juristenzeitung. Doch auch im 2007er
Aufsatz, der Polemiken in rhetorische Fragen umwandelt und die Pathetik auf ein Minimum
reduziert, sind die Argumente teilweise inkonsistent, gibt es Leerstellen, werden themenirre
levante Informationen gegeben. Und genau an diesen Brüchen konnte nachgewiesen werden,
dass das vordergründige Streben nach „mehr“ Demokratie für alle EUBürger in erster Linie
ein Streben nach Vorteilen für die Deutsch sprechenden EUBürger ist, also auf mehr Macht
und Einflussnahme der deutschen Sprache zielt. Aus transferwissenschaftlicher Perspektive
lässt sich zudem festhalten: Nicht Verständlichkeit ist das Thema der untersuchten Aufsätze,
sondern interkulturelle Verständigung – und diese soll über die Mittelssprache Deutsch (und
Englisch) erfolgen. Zugespitzt formuliert, soll Deutsch zu der Europasprache werden, soll
über die Sprache die Wahrnehmung der Realität dominieren und also zum (sprachlichen)
Herrscher über Europa werden.
Vernachlässigt werden dabei aktuelle Entwicklungen, so z.B. die weit verbreitet Akzeptanz
des Englischen als internationales Hilfsmittel zur Verständigung. Da es in Europa schon viele
mehrsprachige Unternehmen gibt, boomt derzeit die Sprachenindustrie. Arbeiten im europäi
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schen Ausland erfordert fremdsprachliche Kenntnisse, die als Schlüsselqualifikation für Er
folg im Beruf, gerade auf dem europäischen Markt unerlässlich sind. Denn er ist der Markt ei
ner vielsprachigen Gemeinschaft. Deshalb gibt es auch eine Reihe von Initiativen und Pro
grammen seitens der EU, die den Fremdsprachenerwerb der EUBürger gezielt fördern. Dies
ist auch und v.a. für ein gleichberechtigtes Miteinander (nicht Nebeneinander!) der EUStaa
ten notwendig. Zudem erscheint es sinnvoll ausreichend Dolmetscher und Übersetzer für die
einzelnen Organe bereit zu stellen. Diese müssen wiederum eine entsprechende, hochwertige
Ausbildung durchlaufen, was gegenwärtig auch schon der Fall ist, jedoch noch ausgebaufähig
ist.
Schließlich sei betont, dass Integration ein Prozess ist, der Zeit braucht. Auch wenn es für Ju
risten zur Zeit etwas chaotisch im Europarecht zugeht, Referenzsprachen als Übergangslösung
würden diesen Prozess eher aufhalten als begünstigen. Mit etwas Zeit und Geduld sowie ge
zielter Fremdsprachenförderung lassen sich die Sprachhindernisse der in Vielfalt geeinten Eu
ropäischen Union auch überwinden.
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6. Literatur
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Sigel: PARL
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Loehr, Kerstin 1998: Mehrsprachigkeitsprobleme in der Europäischen Union. Eine empirische und theoretische Analyse aus sprachwissenschaftlicher Perspektive. Frankfurt/M. u.a.
Luttermann, Claus / Luttermann, Karin 2004: Ein Sprachenrecht für die Europäische Union. In: Juristenzeitung 20. Tübingen. S. 10021010. Sigel: LUT 2004
Luttermann, Karin 2007: Mehrsprachigkeit am Europäischen Gerichtshof. Das Referenzsprachenmodell für ein EUSprachenrecht. In: Studien zur Rechtskommunikation. Hg. von Dorothee Heller und Konrad Ehlich. Bern u.a. S. 4780. (= Linguistic Insights. Studies in Language and Communication, Vol. 56.)
Sigel: LUT 2007
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Mertens, Heinrich A. 1997: Handbuch der Bibelkunde. Literarische, historische, archäologische, religionsgeschichtliche, kulturkundliche, geographische Aspekte des Alten und Neuen Testamentes. [Sonderausgabe] Düsseldorf.
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Ross, Andreas 2003: Europäische Einheit in babylonischer Vielfalt. Die Reform des Sprachenregimes der Europäischen Union im Spannungsfeld von Demokratie und Effizienz. Frankfurt/M.
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Stickel, Gerhard 2002: Europäische Hochsprachen und mehrsprachiges Europa. Mannheim, 14. 16.12.2000, Institut für Deutsche Sprache. Mannheim.
Witt, Jörg 2001: Wohin steuern die Sprachen Europas? Probleme der EUSprachpolitik. Tübingen.