Demokratische Legitimationsprobleme in der Global Climate Governance aus Sicht
der deliberativen Demokratietheorie
Hausarbeit zur Erlangung des
akademischen Grades
Bachelor of Arts in Politikwissenschaft
vorgelegt dem Fachbereich 02 – Sozialwissenschaften, Medien und Sport
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
von
Julian Frinken
aus Mainz
2016
Erstgutachterin: Univ.-Prof. Dr. Claudia Landwehr
Zweitgutachterin: Dr. Cornelia Frings
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ................................................................................................................... 4
2 Global Climate Governance ....................................................................................... 6
2.1 Der Begriff der Global Climate Governance ...................................................... 6
2.2 Das Feld der Global Climate Governance .......................................................... 9
3 Demokratische Legitimität und Global Governance – ein Problemaufriss ............. 12
3.1 Der Begriff der demokratischen Legitimität .................................................... 12
3.2 Legitimitätsdefizite auf nationalstaatlicher Ebene ........................................... 14
3.3 Strukturelle Legitimitätsdefizite der Global Governance ................................. 16
3.4 Ein Weg aus dem Legitimationsdilemma globaler Politik ............................... 18
4 Deliberative Demokratietheorie auf globaler Ebene ................................................ 21
4.1 Ein Grundriss deliberativer Demokratietheorie ................................................ 21
4.2 Deliberative Demokratietheorie als geeigneter Ansatz auf globaler Ebene ..... 24
5 Kriterien demokratischer Legitimität der Global Climate Governance ................... 27
5.1 Input-Dimension: Inklusivität........................................................................... 27
5.1.1 Das Kriterium der Inklusivität und die Frage nach den Betroffenen ........ 28
5.1.2 Inklusivitätsprobleme über den Weg der Staaten ...................................... 30
5.1.3 Inklusivitätsprobleme über den Weg der Umwelt-NGOs ......................... 31
5.2 Throughput-Dimension: Deliberation .............................................................. 35
5.2.1 Throughput-Legitimität und das Kriterium der Deliberation .................... 36
5.2.2 Die Kommunikationsmodi des arguing und bargaining .......................... 37
5.2.3 Ein geeigneter Ansatz zur Untersuchung von Deliberation ...................... 38
5.2.4 Demokratische Legitimität über Diskurse ................................................. 41
5.3 Output-Dimension: Effektivität ........................................................................ 44
6 Fazit .......................................................................................................................... 47
Literaturverzeichnis ......................................................................................................... 49
4
1 Einleitung
Der Klimawandel gilt als eine der größten politischen und gesellschaftlichen
Herausforderungen unseres Jahrhunderts (Bulkeley/Newell 2015: 1). Der Versuch seine
Folgen wirksam zu bekämpfen, lässt vor allem die begrenzten Möglichkeiten
nationalstaatlicher Politik sichtbar werden. Denn vor dem Hintergrund seiner global
auftretenden Ursachen und Auswirkungen erscheinen Maßnahmen einzelner Staaten
ineffektiv. Dadurch markiert er eines der prominentesten Beispiele für solche
Politikprobleme, die nach staatenübergreifenden Verhandlungen und Regelsetzungen
verlangen (Beisheim 2004: 101-102).
Eine derartige Verlagerung von Entscheidungsfindungsprozessen über die
Grenzen der Nationalstaaten hinaus, verändert aber auch zwangsweise den Charakter von
Herrschaft: Der Begriff der Global Governance beschreibt in diesem Zusammenhang,
wie Akteure aus den Sphären von Politik, Markt und Zivilgesellschaft gemeinsam an
Steuerungsprozessen auf der nicht-hierarchisch strukturierten globalen Ebene teilnehmen
(vgl. Behrens 2004: 104). Im Rahmen dieser Arbeit soll das Feld inter- und
transnationalen Klimapolitik in den Fokus gerückt werden, welches hier in Anlehnung an
Brunnengräber (2013: 358) unter dem Begriff der Global Climate Governance gefasst
wird. Die Untersuchung bewegt sich dabei im Spannungsfeld von Effektivität und
demokratischer Legitimität: Denn sobald Entscheidungen innerhalb von Global
Governance-Strukturen und damit jenseits des Nationalstaates getroffen werden, drängt
sich die Frage auf, inwieweit und inwiefern die betroffenen Bürger überhaupt noch in der
Lage sind, an den entsprechenden Meinungs- und Willensbildungsprozessen zu
partizipieren (vgl. Schmalz-Bruns 1999: 186). Mit anderen Worten steht hier also zur
Debatte, wie Machtausübung in der Global Climate Governance gerechtfertigt werden
kann, wenn diese nicht durch die gewohnten demokratischen Mechanismen, wie etwa
Wahlen, legitimiert wurde.
Dieser Arbeit liegt dabei die Annahme zugrunde, dass Demokratie jenseits der
Nationalstaaten einerseits prinzipiell möglich und andererseits auch erstrebenswert ist. Es
wird dabei die These vertreten, dass die deliberative Demokratietheorie einen geeigneten
Ansatz zur Untersuchung von demokratischer Legitimität auf globaler Ebene darstellt.
Nachdem eingangs eine Klärung des zentralen Begriffs der Global Climate Governance
stattfindet (Kapitel 2), sollen diese Grundannahmen anschließend argumentativ
5
hergeleitet werden (Kapitel 3 und 4). Das zentrale Ziel der vorliegenden Arbeit besteht
dann darin, aus den normativ-theoretischen Ansprüchen von deliberativer
Demokratietheorie Kriterien abzuleiten, die sich für eine Betrachtung von demokratischer
Legitimität der Global Climate Governance eignen (Kapitel 5). Exemplarisch soll anhand
dieser Kriterien auch veranschaulicht werden, an welchen Stellen Demokratiedefizite in
der transnationalen Bearbeitung des Politikproblems Klimawandel aktuell tatsächlich
vorherrschen. Das Aufzeigen dieser unterstreicht die Relevanz der vorliegenden
Untersuchung.
Es ist dabei allerdings nicht der Anspruch dieser Arbeit, eine umfassende
empirische Kritik zu formulieren. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Markierung einiger
Eckpfeiler eines theoretischen Rahmens, innerhalb dessen eine solche Kritik möglich
werden könnte. Neben der Ableitung und Diskussion dazu geeigneter Kriterien, soll auch
ein Ansatz zur Verbesserung demokratischer Legitimität der Global Climate Governance
betrachtet werden. Dieser Lösungsvorschlag von Stevenson und Dryzek (2012a; 2012b)
wird in Kapitel 5.2.4 als Beispiel für eine institutionelle Innovation angeführt, welche der
deliberativen Demokratietheorie entstammt.
6
2 Global Climate Governance
Im Rahmen dieser Arbeit sind dem hier zentralen Begriff Global Climate Governance
gleich zwei Bedeutungsebenen eingeschrieben. So weist seine Verwendung einerseits
darauf hin, dass Steuerungs- und Regierungsformen in der vorliegenden Untersuchung
von der Governance-Perspektive aus betrachtet werden. Die Begriffsbestimmung in
Kapitel 2.1 erklärt, was darunter verstanden werden soll. Andererseits wird der Begriff
als Sammelbegriff für Koordinationsmechanismen und Institutionen der globalen
Klimapolitik verwendet. In diesem Sinne beschreibt die Global Climate Governance also
ein globales Politikfeld. Dessen wichtigste Akteure und Institutionen werden in Kapitel
2.2 vorgestellt.
2.1 Der Begriff der Global Climate Governance
Die Argumentation und Untersuchung dieser Arbeit bezieht sich in weiten Teilen auf die
Global Climate Governance. Vor allem aufgrund der Mehrdeutigkeit des Begriffs ist es
nun zunächst notwendig, diesen zu klären. Dabei erscheint es sinnvoll, ihn in seine
Bestandteile zu zerlegen und die Definition schrittweise erfolgen zu lassen. So soll nun,
ausgehend von einer Klärung der Begriffe Governance (1) und Global Governance (2),
zu einer Beschreibung dessen gelangt werden, was in der vorliegenden Arbeit unter
Global Climate Governance (im weiteren Verlauf nur noch kurz: GCG) verstanden
werden soll (3).
(1) Für den Begriff Governance herrscht in der Literatur keine allgemeingültige
Definition vor. Selbst eine Einigkeit darüber, welche Phänomene er fassen soll, existiert
nicht (Benz 2004: 12; Jordan/Wurzel/Zito 2005: 478). Das mag daran liegen, dass es sich
um einen relativ neuen und hochkomplexen Begriff der sozialwissenschaftlichen, und vor
allem der politikwissenschaftlichen, Forschung handelt (Schuppert 2008: 17), dessen
Bedeutung nicht unumstritten ist (Benz 2004: 14; Offe 2008).1 Einen sinnvollen Zugang
zum Governance-Begriff eröffnet ein Vergleich mit dem verwandten und oft in
Abgrenzung zu ihm verwendeten Begriff Government. Dieser beschreibt, vereinfacht
gesagt, eine klassische, hierarchisch organisierte und staatszentrierte Herrschaftsordnung
(Offe2008: 63). Der Begriff Governance hingegen reagiert auf reale Veränderungen der
1 Zur Kritik am Governance-Begriff siehe Offe 2008.
7
Formen des Regierens und beschreibt seinerseits die Koordination und die Steuerung von
Regelsetzungsprozessen in komplexen institutionellen Zusammenhängen und unter
Einbeziehung staatlicher sowie privater Akteure (vgl. Benz: 2004: 12-19). Die Formen
des Regierens, die unter den Governance-Begriff fallen, zeichnen sich also dadurch aus,
dass Austausch und Kooperation in einem nicht rein hierarchisch strukturierten Geflecht
verschiedenartiger Akteure stattfinden (vgl. Mayntz 2008: 45). So kann es als eine Stärke
des Begriffs angesehen werden, dass er die Interaktionen und Interdependenzen von
politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Akteuren und Institutionen im
Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess in den Blick nimmt (vgl. Benz
2004: 12-17; Mayntz 2008: 45-46). Folgt man Schuppert, so hat sich der Begriff
Governance in der politikwissenschaftlichen Forschung aus dem Bedürfnis heraus
etabliert, auf einen neuen Begriff zurückgreifen zu können, welcher „verkrustete
theoretische Zugänge aufbricht, neue Perspektiven eröffnet und insbesondere durch die
Überwindung überkommenden Grenzdenkens neue Phänomene und Entwicklungen
erkennbar werden lässt“ (Schuppert 2008: 13-14). In diesem Sinne wird der Begriff auch
der vorliegenden Arbeit dienlich, indem er, ohne normative Implikationen zu enthalten,
ein analytisches Konzept zur Betrachtung neuer und komplexer Formen des Regierens
bietet.2
(2) Der Governance-Begriff ist schon an sich mit den Folgen von Globalisierung
und Denationalisierung verbunden, da die oben aufgeführten Steuerungsformen gerade
auch im Zuge dieser Prozesse entstanden sind (vgl. Benz 2004: 16-17). Wenn vor diesem
Hintergrund explizit Bezug auf die globale Ebene genommen wird, so wie es in dieser
Arbeit geschieht, dann bietet der Begriff der Global Governance eine entsprechende
Spezifizierung an. Durch das zunehmende Auftreten von Politikproblemen auf globaler
Ebene, sollten Umgangsweisen mit diesen Problemen international koordiniert werden.
Lösungen müssen jenseits der Grenzen einzelner Nationalstaaten diskutiert und
entsprechende Entscheidungen auf ebendieser Ebene getroffen werden. Dieser globale
Handlungsrahmen zeichnet sich durch eine stetig wachsende Anzahl von internationalen
Organisationen, Regimes und bi- oder multilateraler Verträge aus (Benz 2004: 23). Von
Global Governance ist also dann die Rede, wenn beim Blick auf das Parkett
internationaler Politik nicht nur die Verhandlungen einzelner Staaten untereinander
2 Ein Verständnis von Governance als einem normativ aufgeladenen Begriff würde implizieren, dass man
darunter grundsätzlich „etwas Gutes“ versteht (Schuppert 2008: 27). Eine Argumentation gegen die
Verwendung eines normativ konnotierten Governance-Begriffs hat Schuppert (2008: 27-33) formuliert.
8
betrachtet werden, sondern das Blickfeld zugleich für die Fülle an Institutionen,
transnationalen Organisationen und multinationalen Konzernen geweitet wird, die sich
ebenso mit dem Anspruch der Interessenvertretung und/oder -vermittlung auf dieser
Ebene tummeln (Benz 2004: 23-24). Mit Global Governance ist also weder eine
einheitliche Weltregierung, noch das bewusste Zusteuern auf eine solche gemeint
(Bürgler 2009: 62). Vielmehr handelt es sich, aufgrund des Fehlens von klaren
institutionellen Hierarchien wie sie im Nationalstaat vorzufinden sind, meist um äußerst
instabile und konfliktanfällige Politikformen (Benz 2004: 23), welche durch die Einsicht
notwendig werden, dass bestimmten Politikproblemen nur auf globaler Ebene entgegnet
werden kann. Das vielleicht bedeutendste Beispiel für ein solches Problem stellt der
Klimawandel als „eine – wenn nicht sogar die – globale Herausforderung der Menschheit
im 21. Jahrhundert“ (Brunnengräber 2011: 20) dar. Er gilt in der Fachliteratur oftmals als
Paradebeispiel für die Grenzen nationalstaatlicher Politik und die Notwendigkeit einer
Verständigung auf globaler Ebene (Beisheim 2004: 101). Hinzu kommt, dass in der
Bearbeitung des Problems Klimawandel zahlreiche neuere Formen von Governance
Anwendung finden (Walk 2008: 25). Vor allem diese Gegebenheiten sind es, die ihn als
Gegenstand dieser Untersuchung besonders interessant und relevant erscheinen lassen.
(3) Um diese einzelnen global zu behandelnden Politikprobleme herum bilden
sich in der internationalen und supranationalen Politik Räume, in denen die betreffenden
Akteure, gegebenenfalls auch durch die Implementierung entsprechender Institutionen,
an Lösungen für das jeweilige Problem arbeiten (vgl. Bürgler 2009: 52-53). Dadurch
entstehen „sektor-spezifische Formen des Regierens“ (Benz 2004: 23), die durch
internationale Organisationen und Regime strukturiert sind (ebd. 2004: 23). Governance-
Formen, die sich dabei auf die internationale Steuerung des Politikproblems Klimawandel
beziehen, sollen in dieser Arbeit unter dem Begriff der Global Climate Governance
(GCG) gefasst werden.
Wie unter (1) und (2) deutlich geworden ist, meint der Begriff Governance in
dieser Arbeit also einerseits ein analytisches Konzept, eine Perspektive auf
gesellschaftliche, politische und ökonomische Steuerung, die es ermöglicht die Vielzahl
und Verschiedenartigkeit der beteiligten Akteure und Institutionen sowie deren komplexe
Beziehungen zueinander in den Blick zu nehmen. Zugleich ist mit dem davon
abgeleiteten Begriff der GCG auch das Feld globaler Klimapolitik mit all seinen
Institutionen und Akteuren gemeint, welches entsprechend der genannten Perspektive
betrachtet wird. Im Sinne dieser Bedeutung kann GCG im Rahmen der vorliegenden
9
Arbeit grundsätzlich mit dem Begriff des Klimaregimes gleichgesetzt werden.3 Dennoch
wird im weiteren Verlauf Ersterer bevorzugt, da dieser angelehnt an Brunnengräbers
(2013) Definition, erstens besser dazu in der Lage ist, den Mehrebenencharakter der hier
behandelten Legitimitätsproblematik zu fassen, und zweitens offener für die Beachtung
nichtstaatlicher Akteure ist.4 Das komplexe Feld der GCG grob zu umreißen, ist die
Absicht des nun folgenden Kapitels.
2.2 Das Feld der Global Climate Governance
In diesem Kapitel sollen in einem kurzen Abriss die wichtigsten Institutionen und Akteure
des Feldes der GCG dargestellt werden. Auf den gesamten Umweltbereich bezogen,
zeichnet sich die Politik auf der globalen Ebene durch eine stetig wachsende Anzahl an
Verträgen und Institutionen aus (vgl. Beisheim 2004: 48; Walk 2008: 41). Deshalb soll
im Folgenden ein Blick auf die historische Entwicklung der internationalen Klimapolitik
dabei helfen, die Akteurskonstellation in der Gegenwart besser verstehen und einordnen
zu können.
Zwischen den 1950er und 1970er Jahren kam eine wissenschaftliche Diskussion
um einen vom Menschen verschuldeten Klimawandel zunächst langsam ins Rollen,
wobei sich jedoch schon währenddessen erste „internationale Foren“ (Beisheim 2004: 48)
mit diesem Thema beschäftigten (Beisheim 2004: 48; Betsill 2011: 112). Mit dem IPCC
(Intergovernmental Panel on Climate Change) wurde 1988 die erste bedeutende
zwischenstaatliche Institution zur Bearbeitung des spezifischen Problems Klimawandel
ins Leben gerufen (Beisheim 2004: 48). Das IPCC wurde vom Umweltprogramm der
Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) als ein
Expertengremium zu dem Zweck gegründet, wissenschaftliche Berichte über den
anthropogenen Klimawandel zu sammeln und zu veröffentlichen (Bulkeley/Newell 2015:
35). Auf diese Weise arbeitet das, in Deutschland oft Weltklimarat genannte, IPCC mit
seinen 195 Mitgliedsstaaten noch heute (Beisheim 2004: 48; IPCC 2016). Eigene
3 Die Verwandtschaft dieser Begriffe ist auch bei Beisheim (2004) herauszulesen. Dort heißt es, das
Klimaregime sei ein „wichtige[s] Element […] einer komplexen Global Governance“ (Beisheim 2004: 48). 4 Brunnengräber (2013) über GCG: „Mit Global Climate Governance werden die drei zentralen
Governance-Dimensionen zusammengefasst: (i) die Akteursvielfalt aus Markt, Staat und Zivilgesellschaft,
(ii) der Mehrebenencharakter der Politik, der von der regionalen und nationalen bis zur globalen Ebene
reicht und (iii) die Politikfeldinterdependenzen. […] Global Climate Governance unterscheidet sich somit
von der internationalen Klimapolitik, da letztere stärker auf das Regierungshandeln und die offiziellen
Klimaverhandlungen fokussiert ist“ (Brunnengräber 2013: 358).
10
Klimaforschung wird von dieser Institution nicht betrieben. Die Hauptaufgabe besteht
vielmehr in der neutralen Sondierung des Forschungsstandes und der damit verbundenen
regelmäßigen Veröffentlichung verschiedener Berichte zur Lage der wissenschaftlichen
Erkenntnisse zum Klimawandel. Betsill (2011) sieht das IPCC deshalb als „authoritative
scientific body on the issue of climate change“ (ebd.: 115) und stellt weiterhin dessen
hohe Bedeutung in der Begleitung des internationalen klimapolitischen Politikprozesses
heraus (ebd.: 115). Auch auf der Homepage des IPCC selbst wird auf seine Relevanz
hingewiesen und zugleich die politische Neutralität der Institution betont: „The work of
the organization is therefore policy-relevant and yet policy-neutral, never policy-
prescriptive“ (IPCC 2016).
Das durch die Gründung und die Arbeit des IPCC gesteigerte öffentliche Interesse
an der Thematik des Klimawandels mündete während der UNCED (Konferenz der
Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung) 1992 in der Verabschiedung der
Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change,
kurz: UNFCCC) (Beisheim 2004: 49). Diese stellt zunächst eine Einigung der beteiligten
Staaten über Notwendigkeit dar, den anthropogenen Klimawandel zu bekämpfen und ist
heute von 195 Staaten ratifiziert (BMUB 2015a). Seit der Unterzeichnung der
Klimarahmenkonvention wird die genaue Ausgestaltung dieser, in Bezug auf
beispielsweise Ziele und Instrumente, in jährlichen Konferenzen, den Conferences oft he
Parties (COPs), ausgehandelt. Die COPs stellen damit den „ultimate decision making
body in the climate negotiations“ (Bulkeley/Newell 2015: 24) dar. Das Kyoto-Protokoll,
beschlossen auf der COP 3 1997 in Kyoto, ist wohl der bedeutendste der daraus
entstandenen Verträge (vgl. Beisheim 2004: 49). Das Protokoll enthält konkrete Ziele und
Instrumente zur Reduzierung von Treibhausgasen sowie rechtsverbindliche
Verpflichtungen seitens der Unterzeichnerstaaten (BMUB 2015c; Bulkeley/Newell 2015:
30-31). 5 Aktuell haben 191 Staaten das Kyoto-Protokoll ratifiziert, dessen Laufzeit bis
2020 verlängert wurde (BMUB 2015c).
Aus dieser Beschreibung von UNFCCC, den COPs und dem IPCC als den
wichtigsten Eckpfeilern globaler Klimapolitik, mag der Eindruck entstanden sein, dass
die relevanten Akteure auf dieser Bühne ausschließlich die einzelnen Staaten seien. Es ist
zwar richtig, dass sie es sind, die am Ende die Entscheidungen treffen und die Verträge
unterzeichnen, der Einfluss „gesellschaftliche[r] Interessengruppen“ (Beisheim 2004: 50)
5 Für eine ausführlichere Darstellung der Inhalte des Kyoto-Protokolls siehe Bulkeley/Newell (2015: 30-
31).
11
darf dabei jedoch nicht aus dem Blickfeld geraten (vgl. Bulkeley/Newell 2015: 26).6 So
haben diese formal zwar keine Stimmrechte, sind jedoch mit anderen Kompetenzen
ausgestattet, die es ihnen erlauben die Verhandlungen seit Beginn der COPs konstruktiv
zu begleiten (Beisheim 2004: 50; Bulkeley/Newell 2015: 26). Durch eine Mobilisierung
von Teilen der Zivilgesellschaft können sie auch abseits der Verhandlungen versuchen,
Einfluss auf diese zu nehmen. Aufmerksamkeit sichern sie sich zu diesem Zweck
beispielsweise durch Medienauftritte oder Proteste (vgl. Bulkeley/Newell 2015: 43-44).
Auf der anderen Seite sind auch Lobbyorganisationen transnationaler Konzerne sowie
Industrieverbände als wichtige Einflussnehmer auf die Verhandlungen zu nennen
(Beisheim 2004: 50; vgl. Brunnengräber 2013: 362-363).
So bleibt festzuhalten, dass nichtstaatliche Akteure mittlerweile fester Bestandteil
einer unübersichtlichen GCG sind (Rest 2011: 88). Gerade aufgrund der Intransparenz,
welche in der internationalen Klimapolitik herrscht (Brunnengräber 2013: 368),
verbinden sich große Hoffnungen mit den Umwelt-NGOs, die eine Anbindung der
Zivilgesellschaft an das Feld globalisierter Politik leisten können und auf diesem Parkett
zugleich ein Gegengewicht zu den Kräften aus Staat und Markt bilden (Brunnengräber
2013: 362-363). Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen wird deshalb auch die Rolle
von NGOs als „Legitimationsressource“ (Brunnengräber/Klein/Walk 2001) diskutiert
(vgl. dazu Beisheim 2004; Brunnengräber/Klein/Walk 2001). Dieser Diskurs wird in
Kapitel 5.1.3 erneut aufgenommen und kritisch reflektiert. Dass die demokratische
Legitimität von Global Governance-Formen – und speziell der GCG – angezweifelt wird,
aus welchen Gründen dies geschieht und inwiefern diese Kritik berechtigt ist, soll im
weiteren Verlauf dieser Arbeit untersucht werden.
6 Beisheim (2004) gebraucht die Begriffe „gesellschaftliche Interessengruppen“ und NGOs“
(Nichtregierungsorganisationen) synonym (Beisheim 2004: 50). Sie verweist weiterhin auf die UN, welche
in ihrer ECOSOC Resolution von 1968 eine sehr weite Definition von NGOs formuliert hat: „Any
international organization which is not established by intergovernmental agreement shall be considered as
a non-governmental organization“ (ECOSOC 1968). Brunnengräber (2011) merkt hingegen an, dass das
Kürzel NGO in den „Sozialwissenschaften […] vorwiegend reserviert [ist] für Organisationen mit einem
Schwerpunkt auf sozialpolitischen Fragen“ (Brunnengräber 2011: 26). Um Missverständnissen
vorzubeugen, wird der Begriff „NGO“ in dieser Arbeit im umfassenden, von der UN definierten, Sinne
gebraucht. Wenn von aktivistischen Organisationen im Bereich der Umwelt- und Klimapolitik die Rede ist,
dann wird, angelehnt an Beisheim (2004), der Begriff „Umwelt-NGOs“ (Beisheim 2004: 50) benutzt.
12
3 Demokratische Legitimität und Global Governance – ein Problemaufriss
Die Frage nach der demokratischen Legitimität der GCG hat sich gegen Ende des
vorangegangenen Kapitels schon angedeutet. Bevor diese nun detaillierter untersucht
werden kann, muss zunächst der zentrale Begriff der Legitimität einer ersten Betrachtung
unterzogen werden (3.1). Anschließend wird aufgezeigt, auf welche Weise
Legitimitätsdefizite auf nationalstaatlicher Ebene die Notwendigkeit von Global
Governance-Formen überhaupt begründen (3.2). Die demokratische Legitimität
ebendieser Formen wird dann hinterfragt, indem eine Argumentation nachvollzogen
wird, die auf die Unvereinbarkeit von überstaatlicher Politik und Demokratie abzielt
(3.3). Über eine Kritik an dieser Position wird zuletzt wiederum die Möglichkeit eines
neuen Ansatzes erörtert, welcher die Option von Demokratie auf globaler Ebene nicht
von vornherein ausschließt (3.4).
3.1 Der Begriff der demokratischen Legitimität
Der Begriff der Legitimität bezieht sich auf die Rechtmäßigkeit von
Herrschaftsordnungen (Weber 2005: 726-742). Dabei weist er aber über Rechtmäßigkeit
im Sinne reiner Gesetzestreue (Legalität) hinaus und fragt nach dem normativen
Geltungsanspruch einer solchen Ordnung als Ganzer. Meint der Begriff der Legalität
demnach die bloße Befolgung festgeschriebener Gesetze, fragt Legitimität nach den
Begründungen, welche beanspruchen ebendiesen Gesetzen den Status der
Rechtmäßigkeit zu verleihen.7 Es geht also mit anderen Worten um die Frage, welche
normativen Gründe einem politisch-rechtlichen System Geltung verschaffen (sollen)
(Kielmansegg 1971: 368). Das Herrschaftsmodell der Demokratie legitimiert sich nun
ganz allgemein gesprochen dadurch, dass „die Ausübung von Herrschaftsgewalt […]
Ausdruck kollektiver Selbstbestimmung“ (Scharpf 1999: 16) ist. Damit ein System als
demokratisch gelten kann, muss also sichergestellt sein, dass dasjenige Kollektiv,
welches Gesetze befolgen soll, dasselbe ist, welches diese formuliert. Der normative
Kerngedanke dahinter ist die Autonomie der Bürger (vgl. Schmalz-Bruns 1999: 186).
7 Die Unterscheidung zwischen den Begriffen Legitimität und Legitimation lehnt sich dabei hier an
Beisheim (2001) an: „Während ‚Legitimität‘ einen Zustand oder eine Eigenschaft beschreibt, meint
‚Legitimation‘ die Prozesse, durch die Legitimität erreicht werden soll“ (Beisheim 2001: 119).
13
Scharpf (1970; 1999) hat in dieser Hinsicht darauf aufmerksam gemacht, dass
demokratische Legitimität von zwei Perspektiven her betrachtet und begründet werden
kann, sodass sich zwei einander ergänzende Dimensionen des Begriffs eröffnen. Die erste
(Input-Legitimität) umfasst denjenigen Aspekt von Demokratie, der die „Herrschaft
durch das Volk“ (Scharpf 1999: 16) betont, während die zweite (Output-Legitimität) den
Blick auf den Aspekt der „Herrschaft für das Volk“ (ebd.: 16) richtet.8 Mit anderen
Worten schaut die Perspektive der Input-Legitimität also auf die
Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung im Willensbildungs- und
Regelsetzungsprozess. Hier ist die Frage relevant, ob die Präferenzen der Bevölkerung
vom politischen System aufgenommen und verarbeitet werden (Scharpf 1999: 16). Die
Output-Perspektive hingegen macht Legitimität an den Ergebnissen von Politikprozessen
fest: „Danach sind politische Entscheidungen legitim, wenn und weil sie auf wirksame
Weise das allgemeine Wohl im jeweiligen Gemeinwesen fördern“ (Scharpf 1999: 16).
Dabei spielt auch der Begriff der Effektivität eine Rolle: Die Politikergebnisse, welche
die Präferenzen der Bevölkerung abbilden, sollen effektiv umgesetzt werden können
(Scharpf 1998: 89).
In ihrem Beitrag zur demokratischen Legitimität der EU hat Schmidt (2013) diese
beiden komplementären Dimensionen durch eine dritte ergänzt, welche sie „throughput
legitimacy“ (ebd.: 2) nennt. Diese, hier als Throughput-Legitimität bezeichnete,
Dimension richtet das Augenmerk auf den Politikprozess, der zwischen den beiden Enden
der Aufnahme und der Umsetzung politischer Präferenzen liegt. Angelehnt an Scharpfs
Terminologie bezeichnet Schmidt den Prozess als „consultation with the people“
(Schmidt 2013: 2). Hier gilt es nach den Möglichkeiten zu fragen, welche Bürgern bei
der Beteiligung am Politikprozess und der Kontrolle desselben offenstehen. Folgende
Fragen sind hier also vor allem relevant: Wie transparent und wie zugänglich sind
bestimmte Verhandlungen? Inwiefern wird die Bevölkerung in den prozessualen Diskurs
miteinbezogen und können sie argumentativ Einfluss auf diesen nehmen? (vgl. Schmidt
2013: 2-3).
Unter Berücksichtigung dieser drei Dimensionen von Legitimität soll der
vorliegenden Arbeit die Definition demokratischer Legitimität von Schmidt (2013)
8 Die hier verwendeten Begriffe der Input- und der Output-Legitimität werden im Folgenden zur
Beschreibung der beiden Dimensionen demokratischer Legitimität verwendet. Sie sind ebenfalls an Scharpf
(1999) angelehnt, der von „Input-orienterte[r] Legitimation“ (Scharpf 1999: 17) und „Output-orientierte[r]
Legitimation“ (ebd.: 20) spricht.
14
zugrunde gelegt werden, welche ihrerseits an Weber (2005) und Scharpf (1999) angelehnt
ist:
„My general definition of legitimacy here […] relates to the extent to which input politics,
throughput processes and output policies are acceptable to and accepted by the citizenry, such that
citizens believe that these are morally authoritative and they therefore voluntarily comply with
government acts even when these go against their own interests and desires“ (Schmidt 2013: 9-
10).
Aus den bisherigen Überlegungen geht auch hervor, dass es sich bei Legitimität nicht um
ein „‚Alles oder Nichts‘-Kriterium“ (Scharpf 1999: 33) handelt, sondern dass es vielmehr
auf einem Mehr oder Weniger der Akzeptanz des Systems durch die Bürger beruht (ebd.:
33).
Eine Diskussion darüber, welche Kriterien wiederum zur Einlösung der
normativen Ansprüche einer so verstandenen demokratischen Legitimität erfüllt sein
müssten, soll in Kapitel 5 stattfinden. Dort werden die drei nun beschriebenen
Dimensionen vor dem Hintergrund jeweils eines zentralen Kriteriums und mit Bezug zur
GCG ausführlicher betrachtet. Nun gilt es zunächst, einen ersten Blick auf die Probleme
zu werfen, welchen das Konzept der Legitimität auf nationaler und auf globaler Ebene
ausgesetzt ist.
3.2 Legitimitätsdefizite auf nationalstaatlicher Ebene
In der Forschung zur GCG ist an vielen Stellen die Rede von Defiziten in der
demokratischen Legitimität solcher globaler Steuerungsformen. Nahezu einig scheinen
sich die Forscher darin zu sein, dass transnationale Regierungsformen dem Anspruch der
demokratischen Legitimität nicht vollends gerecht werden (vgl. Agné 2006: 436;
Beisheim 2004: 31; Schmidt 2013: 12; Zürn 2000: 190; Zürn 2004: 260). Bevor die
Untersuchung dieser Behauptung angegangen werden kann, soll zum besseren
Verständnis der Legitimitätsproblematik zunächst hergeleitet werden, weshalb Formen
von Global Governance überhaupt notwendig werden. So wird nun gezeigt, wie globale
Politikprobleme schon innerhalb der einzelnen Nationalstaaten zu Demokratieproblemen
führen. Dadurch, dass die Argumentation im Folgenden am Beispiel des Klimawandels
nachvollzogen wird, soll zugleich sichtbar werden, weshalb gerade dieser ein
interessantes und wichtiges Untersuchungsobjekt in Bezug auf die Frage der
demokratischen Legitimität darstellt.
15
Im Zuge der Globalisierung werden nationalstaatliche Grenzen immer häufiger
und leichter überschritten, was auch dazu führt, dass politische Entscheidungen, die
innerhalb einer Gesellschaft getroffen werden, Auswirkungen auf eine oder mehrere
weitere Gesellschaften haben können (Beisheim 2004: 59; Zürn 2000: 187).
Problematisch an solchen „externe[n]“ (Beisheim 2004: 59) oder „extraterritoriale[n]
Effekten“ (Joerges 2000: 151) ist, dass sie den demokratischen Anspruch auf
Selbstbestimmung untergraben: Dadurch, dass Betroffene einer Entscheidung keine
Möglichkeit haben, am entsprechenden Entscheidungsprozess teilzunehmen, ergibt sich
ein Defizit der Input-Legitimität (vgl. Beisheim 2004: 59). In Bezug auf den Klimawandel
könnte eine Situation, in der ein solcher Effekt wirksam ist also wie folgt aussehen: Die
Entscheidung innerhalb eines großen Industriestaates (Staat A), den Ausstoß an
Treibhausgasen – aus beispielsweise wirtschaftlichen Gründen – nicht unter ein gewisses
Niveau abzusenken, hat potenziell negative Folgewirkungen auf der ganzen Welt, da es
hinsichtlich der globalen Klimaerwärmung unerheblich ist, wo der Treibhausgasausstoß
stattfindet (Bulkeley/Newell 2015: 2). Die negativen Folgewirkungen einer solchen
Politik wirken sich also in Form eines negativen externen Effektes ebenso auf alle anderen
Staaten als unbeteiligte Dritte aus. Im Extremfall, und um das hiermit verbundene
Demokratieproblem sichtbar werden zu lassen, könnte man sich einen weiteren Staat
(Staat B) vorstellen, dessen Regierung entsprechend der Präferenzen der Bevölkerung
eine sehr engagierte Klimaschutzpolitik betreibt. Die Bestrebungen von Staat B, die
Treibhausgasemissionen auf einem möglichst niedrigen Level zu halten, werden von der
Politik von Staat A in diesem Fall mindestens teilweise aufgehoben. Durch den globalen
Charakter des Klimawandels sind die Bürger von Staat B also betroffen von der Politik
des Staates A, an dessen Willensbildung sie aber nicht teilnehmen können.
An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass Input- und Output-Legitimität nicht
zwei völlig voneinander getrennte Dimensionen darstellen, sondern, dass sie durchaus
miteinander verbunden sind (vgl. Beisheim 2004: 60). So besteht in diesem
hypothetischen Beispiel auch in Bezug auf die Output-Seite ein Defizit, da es innerhalb
von Staat B nicht möglich ist, dem Anspruch der Effektivität gerecht zu werden. Selbst
wenn die betreffende Regierung entsprechend der Präferenzen ihrer Bevölkerung eine
Klimaschutzpolitik verfolgt, die zu einer massiven Senkung von Treibhausgasemissionen
führt: Das dahinterstehende Ziel der Bekämpfung oder zumindest Abmilderung des
Klimawandels kann kaum effektiv verfolgt werden, solange andere Staaten eine
entgegengesetzte Politik betreiben.
16
Der Klimawandel, als eines der momentan bedeutendsten Beispiele für ein
globales Politikproblem, stellt die nationalstaatlichen Demokratien also vor ernsthafte
Partizipationsprobleme auf der Input-Seite und Effektivitätsprobleme auf der Output-
Seite der demokratischen Legitimität (vgl. Beisheim 2004: 101). So verlangt seine
Eigenschaft der Globalität entsprechend nach globalen Lösungsansätzen, wie sie hier vor
dem Hintergrund der GCG diskutiert werden sollen. Wie zu Beginn des Kapitels bereits
erwähnt, werden allerdings auch globale klimapolitische Ansätze mit nicht unerheblichen
Legitimitätsproblemen in Verbindung gebracht. Eine erste Auseinandersetzung mit
derartigen Vorwürfen findet im folgenden Kapitel statt.
3.3 Strukturelle Legitimitätsdefizite der Global Governance
Im vorangegangenen Teil wurde nachvollzogen, dass im Angesicht globaler
Herausforderungen entstehende Legitimitätsdefizite eine Begründung für das Entstehen
von inter- und transnationalen Politikformen darstellen. Doch gerade die durch solche
neuen Formen von Global Governance getroffenen politischen Entscheidungen stehen im
Verdacht, selbst dem Anspruch der demokratischen Legitimität nicht gerecht zu werden
(Zürn 2000: 190). Dabei lassen sich grundlegend zwei Stränge dieser Kritik ausmachen:
Ersterer bemängelt Demokratiedefizite in der aktuellen Verfasstheit globaler
Politikformen und ihrer Institutionen. Hier kommen die entsprechenden Autoren also
aufgrund ihrer Beobachtungen zu dem Schluss, dass bestimmte Formen von Global
Governance dem Anspruch der demokratischen Legitimität momentan nicht gerecht
werden. Dass es prinzipiell aber möglich sei, beispielsweise durch Reformen,
demokratisches Regieren auch global zu etablieren, wird dabei angenommen (Zürn 2000:
190-191).9 Der zweite Strang beinhaltet eine Kritik, die noch vor jedweder Beobachtung
ansetzt: Sie ist struktureller Natur und behauptet, dass Demokratie jenseits des
Nationalstaates prinzipiell nicht möglich sei. Vereinfacht gesagt, geht diese Kritik davon
aus, dass nur im Nationalstaat diejenigen Institutionen und sozialen Voraussetzungen
gegeben sind, die Demokratie ermöglichen (Zürn 2000: 190-191).
Bevor sich diese Arbeit dem ersten Strang zuwenden kann – also der Frage
nachgehen kann, ob und wenn ja welche Defizite demokratischer Legitimität in der GCG
auszumachen sind – muss sie sich zunächst mit der strukturellen Kritik des zweiten
9 Einen solchen Ansatz verfolgen beispielsweise Beisheim 2004, Bürgler 2009, Zürn 2000, Niemeyer 2013,
Stevenson/Dryzek 2012b.
17
Strangs beschäftigen. Denn erst eine kritische Reflexion der Zweifel an einer prinzipiellen
Möglichkeit von Demokratie jenseits des Nationalstaats stößt die Tür für eine
Beschäftigung mit der empirischen Kritik auf. Als nächster Schritt sollen also solche
Argumente betrachtet werden, die Demokratie in der GCG von vornherein für nicht
realisierbar halten. Eine kritische Reflexion dieser Positionen soll dann im Anschluss
(Kapitel 3.4) den Ansatz begründen, auf dessen Grundlage die Auseinandersetzung mit
der empirischen Kritik aus Sichtweise dieser Arbeit erst sinnvoll wird.
Der Strang struktureller Kritik gründet in der Annahme, dass Nationalstaat und
Demokratie auf eine Weise verbunden seien, die es nicht ermöglicht, dass Letzteres ohne
Ersteren verwirklicht werden kann. Zunächst besitzt diese Annahme insofern eine
historische Komponente, indem angeführt werden kann, dass das Aufkommen von
Nationalstaaten auch die Regierungsform der Demokratie in der Vergangenheit erst
ermöglicht hat (Bürgler 2009: 18). Allein diese „historische Symbiose“ (Bürgler 2009:
18) von Nationalstaat und Demokratie liefert jedoch kein hinreichendes Argument für das
postulierte Abhängigkeitsverhältnis. Die für die vorliegende Fragestellung relevanten
Argumente sind vielmehr struktureller Natur und berufen sich auf spezifische
Eigenschaften des Nationalstaates, welche als Vorrausetzung für die Existenz von
Demokratie angesehen werden. Zu diesen Eigenschaften gehören ein klar umgrenztes
Staatsgebiet, ein Staatsvolk (demos) sowie ein Staatsapparat, vermittels dessen
Institutionen das Zusammenleben der Bevölkerung im vorgesehenen Territorium geregelt
wird (vgl. Zürn 2000: 188). Die faktische Abwesenheit all dieser Merkmale in
internationalen und transnationalen Regelungszusammenhängen begründet die
Annahme, dass Demokratie in diesen deshalb nicht verwirklicht werden könne.
Dabei setzt die Argumentation meist an einer Betrachtung des demos an: Mit
diesem Begriff verbindet sich gemeinhin die Vorstellung eines klar zu bestimmenden
Staatsvolkes, welches gemeinsame Geschichte, Kultur und Sprache eint.10 Diese dem
demos zugeschriebenen Eigenschaften sind, von dem hier nachvollzogenen Standpunkt
aus, unerlässliche Voraussetzungen für eine Auffassung von Demokratie, welche die
Selbstgesetzgebung betont. So entstehe erst aus einer gemeinsamen historischen und
kulturellen Einhegung ein weltanschaulicher Rahmen, vor dessen Hintergrund ein
Austausch über normative Fragen stattfinden kann. Voraussetzung dazu sei, aus
pragmatischen Gründen, dann auch die gemeinsame Sprache. Erst sie befähige die
10 Vgl. als Vertreter eines solchen Standpunktes Miller 1995.
18
Individuen einer Gesellschaft dann auch zum diskursiven Austausch über Normen und
letztlich Regeln, die allgemeinverbindlich gelten sollen (vgl. Zürn 2000: 191; Zürn 2004:
286-287). Fehlen aber diese „social prerequisites“ (Zürn 2000: 191), dann sei das
Durchführen von Mehrheitsentscheiden nicht, oder jedenfalls nicht auf eine faire Weise,
möglich. Dabei sei dieses Verfahren doch gerade das legitimitätsstiftende Moment im
demokratischen Prozess (vgl. Zürn 2000: 191). Das skeptische Argument schließt in
diesem Fall also mit der Feststellung, dass das Nichtvorhandensein eines transnationalen
demos, die Möglichkeit von Mehrheitsentscheiden ausschließt und dies somit die
Nichtrealisierbarkeit transnationaler Demokratie zur Folge habe (vgl. Bürgler 2009: 25,
56).
3.4 Ein Weg aus dem Legitimationsdilemma globaler Politik
Die Überlegungen aus den Kapiteln 3.2 und 3.3 offenbaren also ein Dilemma. Auch
Schmalz-Bruns (1999) weist auf diesen Umstand hin und fürchtet, dass in dessen Folge
„die Legitimitätsgrundlagen demokratischer Politik in einer Art Zangenbewegung
zerrieben werden“ (Schmalz-Bruns 1999: 186). Seine Formulierung des Dilemmas lautet
wie folgt:
„Hält die Politik mit Blick auf die Output-Seite demokratischer Legitimation an der Erfordernis
‚effektiver Schicksalskontrolle‘ (Scharpf 1997: 19) und damit der Kontrolle vor allem negativer
Externalitäten fest, muß sie auf eine institutionelle Internationalisierung setzen, die aber im
Gegenzug auf der Input-Seite des demokratischen Prozesses die Autonomie der nationalstaatlich
organisierten kollektiven Willensbildung aushöhlt“ (Schmalz-Bruns 1999: 186).
Schmalz-Bruns stellt also fest, dass eine Denationalisierung von Politik als Antwort auf
Defizite der Output-Legitimität hin geschehen muss, diese aber gleichsam für Defizite
auf Seiten der Input-Legitimität sorgt. Im Kern stimmt diese Feststellung mit den
bisherigen Überlegungen dieser Arbeit überein. Ein Unterschied besteht lediglich darin,
dass in Kapitel 3.2 festgestellt wurde, dass Denationalisierung von Politik aufgrund von
Defiziten sowohl auf der Input- als auch auf der Output-Seite demokratischer Legitimität
notwendig wird, woran sich auch die Unschärfe der Trennung dieser beiden Dimensionen
zeigt. Auf die vorliegende Arbeit und deren Untersuchungsgegenstand der GCG bezogen,
lautet das Dilemma also wie folgt: Nationalstaatliche Behandlung des Politikproblems
Klimawandel stößt sowohl in Form von Partizipationshürden (Input-Dimension), als auch
in Form von Effektivitätsproblemen (Output-Dimension) auf erhebliche Defizite ihrer
19
demokratischen Legitimität (Kapitel 3.2). Das macht es notwendig, Lösungen vermittels
globaler Politikformen (wie beispielsweise der GCG) anzustreben. Jenseits des
Nationalstaats fehlen jedoch spezifische Merkmale, die diesem eigen sind und ohne die
Demokratie nicht denkbar ist (Kapitel 3.3). Folgt man diesem strukturellen Argument,
können politische Entscheidungen auf transnationaler Ebene nicht demokratisch legitim
sein.
Das zweite Horn des Dilemmas bietet insofern schon eine Antwort auf die Frage
der demokratischen Legitimität der GCG, indem es die Feststellung beinhaltet, dass
Demokratie jenseits des Nationalstaats schlicht nicht möglich sei. Solch ein Vorschnelles
Abtun der Frage der Legitimität und ein Verharren im Legitimationsdilemma, würde der
Bedeutung der vorliegenden Untersuchung allerdings allein schon aus einem normativen
(1) und einem praktischen (2) Grund nicht gerecht werden:
(1) Es sollte schon aus normativer Sicht der Versuch unternommen werden, das
Dilemma aufzulösen und damit die demokratische Legitimität von politischen
Entscheidungen, sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene, zu sichern. Ist dies
nicht möglich, so wird fortlaufend das Selbstbestimmungsrecht der von den
Entscheidungen betroffenen Bürger verletzt und ihre Autonomie nicht geachtet (vgl.
Schmalz-Bruns 1999: 186). Diese moralische Dimension fassen Gutmann und Thompson
(2004) in ihrem Demokratiemodell wie folgt zusammen:
„Persons should be treated not merely as objects of legislation, as passive subjects to be ruled, but
as autonomous agents who take part in the governance of their own society, directly or through
their representatives” (Gutmann/Thompson 2004: 3).
Es ist demnach auch – und vor allem – eine Frage der Gerechtigkeit, globale Klimapolitik
demokratisch zu gestalten.11
(2) Zweitens könnte eine fatalistische Haltung in Bezug auf das
Legitimationsdilemma in ihren ganz praktischen Konsequenzen zur Gefahr werden: Wird
bei der Behandlung dieses Problems nämlich nicht einmal der Versuch unternommen,
demokratischen Standards wenigstens ansatzweise gerecht zu werden, so besteht die
Gefahr, dass einzelne Akteure sich mit der Zeit der Zusammenarbeit verschließen, da sie
gewahr werden, dass ihre Standpunkte ohnehin keine Beachtung finden. Eine solche
Nichtanerkennung der globalen Klimapolitik durch einzelne Staaten kann dazu führen,
dass dem Problem dann aber nicht mehr angemessen entgegnet werden kann. Denn wie
11 Zur moralischen Frage globaler Gerechtigkeit siehe auch Forst (2007).
20
in Kapitel 3.2 gezeigt wurde, ist es theoretisch ausreichend, dass ein Staat mit
vergleichsweise hohen Treibhausgasemissionen nicht mehr gewillt ist, diese zu
reduzieren, um die Anstrengung aller anderen Staaten in ihrer Effektivität weit
zurückzuwerfen. Die anfängliche Intention der effektiven Problembearbeitung würde in
einem solchen Fall schlussendlich verfehlt werden, wodurch die Output-Legitimität
defizitär wäre.
Aus diesen Gründen soll hier ein pragmatischer Einwand erhoben werden. Dieser
muss lauten, dass die Etablierung demokratischer Strukturen jenseits des Nationalstaats
zu wichtig ist, als dass ihr Versuch schon allein durch die in Kapitel 3.3 formulierte
strukturelle Kritik als gescheitert abgetan werden kann. Dieser Einsicht folgend, erhebt
auch Schmalz-Bruns die Forderung, die Demokratie „aus ihrer nationalstaatlichen
Umklammerung zu befreien“ (Schmalz-Bruns 1999: 188). Dazu bedarf es der Einnahme
einer neuen Perspektive, die es zulässt Demokratie ohne Nationalstaat zu denken und die
bereit ist, dem historischen Bezug dieser beiden Konzepte den Rücken zu kehren (vgl.
Bürgler 2009: 56; Zürn 2000: 210-211). In diesem Zusammenhang muss dann auch in
Betracht gezogen werden, dass die analytischen Kategorien zur Beschreibung von
nationalstaatlicher Demokratie schlicht nicht für eine Analyse globaler Demokratie
geeignet sind (vgl. Buchanan/Keohane 2006: 406; Bürgler 2009: 21; Joerges 2000: 150-
151).
Folglich stellen Kapitel 4 und 5 dieser Arbeit den Versuch dar, die Möglichkeiten
und Grenzen eines demokratietheoretischen Ansatzes auszuloten, welcher zur
empirischen Untersuchung demokratischer Legitimität der GCG besser geeignet ist als
im nationalstaatlichen Denken verhaftete Theorien. Zuerst soll im Folgenden begründet
werden, weshalb die deliberative Demokratietheorie sich zu diesem Zweck besonders
eignet (Kapitel 4). Aus den normativen Ansprüchen einer solchen Theorie lassen sich
dann Elemente eines Ansatzes ableiten, die eine empirische Kritik demokratischer
Legitimität zulassen. Auf diese Weise verweist die Diskussion entsprechender Kriterien
in Kapitel 5 somit auf den ersten Kritikstrang, wie er zu Beginn von Kapitel 3.3 erwähnt
wurde.
21
4 Deliberative Demokratietheorie auf globaler Ebene
Im vorangegangenen Kapitel wurde deutlich, auf welche Weise der Umgang mit einem
globalen Politikproblem wie dem Klimawandel zu demokratischen Legitimitätsdefiziten
auf nationaler Ebene führt. Die deshalb notwendige Begegnung eines solchen Problems
jenseits des Nationalstaats mag zwar einerseits effektiver sein, da so die Möglichkeit
besteht, alle entscheidenden Akteure koordiniert in die Bearbeitung miteinzubeziehen.
Andererseits ist dadurch das Legitimitätsproblem noch nicht gelöst, da auf dieser Ebene
andere Defizite offenbar werden. Es wurde festgestellt, dass ein Weg, diesem
Legitimationsdilemma zu entrinnen darin bestehen kann, einen demokratietheoretischen
Ansatz zu formulieren, in dessen Rahmen Demokratie weniger in Verbindung mit dem
Nationalstaat und dessen Institutionen und Verfahren gedacht wird. Hier soll nun zu
ebendiesem Zweck ein Ansatz der deliberativen Demokratietheorie herangezogen
werden. Dazu muss zunächst erklärt werden, was im weiteren Verlauf unter einem
deliberativen Ansatz verstanden werden soll (Kapitel 4.1). Im Anschluss wird begründet,
weshalb gerade ein solcher als geeignet für die weitere Untersuchung angesehen wird
(Kapitel 4.2).
4.1 Ein Grundriss deliberativer Demokratietheorie
Der Begriff der deliberativen Demokratie entspringt Debatten der amerikanischen
Rechtstheorie und wurde in diesem Zusammenhang in den 1980er Jahren erstmals
formuliert (Bürgler 2009: 66; Landwehr 2012: 356). Als ein eigenständiger
demokratietheoretischer Ansatz wurde die deliberative Demokratietheorie erst Anfang
der 1990er Jahre wahrgenommen. Erheblich dazu beigetragen hat das 1992 erschienene
Werk „Faktizität und Geltung“ (Habermas 1997) von Jürgen Habermas. Dieser ist als
vielleicht wichtigster Vertreter einer deliberativen Demokratietheorie anzuführen
(Bürgler 2009: 66; Landwehr 2012: 356). Da sich seither viele weitere Forscher mit
diesem Ansatz beschäftigt haben, lässt sich heute eine entsprechende Vielfalt an
Modellen und Ausgestaltungen der Theorie in der Literatur vorfinden.12 Trotz dieser
Heterogenität von Ansätzen, lassen sich unter dem Dach der deliberativen
Demokratietheorie „gemeinsame Grundaussagen und -annahmen herausarbeiten, die es
12 Für einen ersten Überblick siehe Landwehr 2012.
22
erlauben, von einer mehr oder weniger einheitlichen und schlüssigen Theorie zu
sprechen“ (Landwehr 2012: 360). Wenn also in den folgenden Überlegungen von der
deliberativen Demokratietheorie die Rede ist, so geschieht dies in Bezug auf den
grundsätzlichen Konsens, der viele spezifischere Ausprägungen der Theorie unter einem
Dach übereinstimmender Grundaussagen vereint.
Den Kern der deliberativen Demokratietheorie bildet das Verfahren der
Deliberation. Allgemein gesprochen beschreibt dieser Begriff zunächst Formen
öffentlicher Kommunikation. Im Rahmen dieser Theorie – und damit auch im
Zusammenhang der vorliegenden Arbeit – steht er allerdings für eine spezifische Form
politischer Kommunikation, an welche hohe Ansprüche geknüpft sind (Bürgler 2009: 66;
Landwehr 2012: 355). So beschreibt Deliberation eine argumentative und dialogische
Kommunikationsform. Notwendige Bedingung ihres Vorliegens ist zunächst
Machtfreiheit, was beinhaltet, dass Unterschieden in den materiellen Möglichkeiten der
Teilnehmer keine Bedeutung zukommen soll. Es dürfen außerdem keine Drohungen oder
Versprechungen ausgesprochen werden (Landwehr 2012: 362). Die inhaltlichen
Voraussetzungen von Deliberation sind ebenso anspruchsvoll. So gelten die
vorgebrachten Gründe nur dann als legitim, wenn sie prinzipiell verallgemeinerbar und
auf alle anderen Teilnehmer übertragbar sind. Das disqualifiziert von vornherein solche
Argumente, die auf rein private Interessen abzielen, ohne gute Gründe zu beinhalten
(Landwehr 2012: 360). Es darf außerdem niemand daran gehindert werden, eigene
Argumente vorzubringen oder sich in Bezug auf die Beiträge Anderer zu äußern. Eine
prinzipielle Offenheit der Teilnehmer für bessere Argumente muss gegeben sein. Das
bedeutet auch, dass bei den Deliberierenden ein Lerneffekt einsetzen kann, sodass sie ihre
Präferenzen vor dem Hintergrund guter Gründe ändern können (Risse 2007: 64).
Die Einhaltung dieser Regeln soll dazu führen, dass die Ergebnisse der
Deliberation vernünftig sind (Habermas 1997: 371). Idealerweise mündet der
Deliberationsprozess in einen Konsens, realistisch betrachtet steht am Ende jedoch
bestenfalls ein Kompromiss (vgl. Landwehr 2012: 361). Das liegt vor allem daran, dass
die Dauer von Entscheidungsprozessen in realen politischen Systemen begrenzt ist: Da
dementsprechend von Zeit zu Zeit politische Entscheidungen getroffen werden müssen,
empfiehlt Habermas (1997) in solchen Fällen, Mehrheitsentscheide anzusetzen (ebd.:
371). Das bedeutet aber nicht, dass diese den Zweck der Deliberation zunichtemachen
würden. Es wird vielmehr angenommen, dass das Ergebnis durch den vorgelagerten
Deliberationsprozess – zumindest vorläufig – als vernünftig im Sinne der Betroffenen
23
gelten kann (ebd.: 371). Vorläufig ist es deshalb, da eine Abstimmung keinesfalls das
Ende der Deliberation markiert. Diese ist theoretisch unendlich, da ständig neue
Argumente formuliert und in den Diskurs eingebracht werden können (ebd.: 371).
Die deliberative Demokratietheorie ist also eine normative Theorie, bei der das
Verfahren der deliberativen Kommunikation im Mittelpunkt steht. Diesem wird
zugetraut, demokratisch legitime Entscheidungen hervorbringen zu können. Flankiert
wird dieses Verfahren von Elementen der beiden klassischen normativen
Demokratietheorien des Republikanismus und des Liberalismus. Deliberative
Demokratietheorie nimmt Aspekte dieser beiden Theorien auf, grenzt sich aber zugleich
in Bezug auf andere Merkmale von ihnen ab (Bürgler 2009: 70; Habermas 1997: 359-
362; Landwehr 2012: 355). So entlehnt sie der Strömung der republikanisch geprägten
Demokratietheorien vor allem den normativen Anspruch, dass die Unterworfenen eines
Gesetzes auch umfassende Teilhabe an der Formulierung desselben haben sollen
(Landwehr 2012: 358). In Anlehnung an das liberale Modell betont sie aber ebenso die
Bedeutung einer auf rechtsstaatlichen Prinzipien fußenden Verfassung als
Grundvoraussetzung für Deliberation (Habermas 1997: 361).
Die drei Demokratietheorien des Republikanismus, des Liberalismus und der
deliberativen Demokratie legen auch bezüglich der Legitimierung von Herrschaft
unterschiedliche Schwerpunkte, welche anhand der in Kapitel 3.1 formulierten
Dimensionen demokratischer Legitimität veranschaulicht werden können: Während
Theorien republikanischer Prägung die Teilhabe am politischen Prozess betonen (Input-
Dimension), legen liberale Ansätze den Fokus mehr auf dessen Ergebnisse (Output-
Dimension) (Habermas 1996: 287; Scharpf 1970: 21-28). Dadurch, dass in der
deliberativen Theorie Bedingungen für das Verfahren des Entscheidungsprozesses
formuliert werden, wird dieser in den Mittelpunkt gerückt. So lässt sich die deliberative
Demokratietheorie bezüglich der Legitimierung von Herrschaft also mit der Throughput-
Dimension demokratischer Legitimität in Verbindung bringen (Bürgler 2009: 75-77).
Wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, ist es vor allem diese Eigenschaft,
aufgrund derer sie nach der Ansicht vieler Autoren einen geeigneten Ansatz für die
globale Ebene darstellt (vgl. Niemeyer 2013: 429; Schmalz-Bruns 1999: 185;
Stevenson/Dryzek 2012b: 2).
24
4.2 Deliberative Demokratietheorie als geeigneter Ansatz auf globaler Ebene
In diesem Kapitel soll nun gezeigt werden, dass die deliberative Demokratietheorie sich
schon allein aus strukturellen Gründen besonders gut für eine Untersuchung der GCG
eignet (2). Zuvor soll allerdings noch eine normative Perspektive eingenommen werden,
indem argumentiert wird, dass auch moralische Gründe für eine Diskussion von GCG im
Rahmen der deliberativen Theorie sprechen (1).
(1) Die moralischen Vorzüge eines deliberativen Ansatzes liegen in dessen
Modellierung des Meinungs- und Willensbildungsprozesses begründet.
Veranschaulichen lässt sich dies an einem Vergleich mit der liberalen Theorie: Nach
liberaler Auffassung besteht dieser Prozess aus der Konkurrenz verschiedener Interessen,
an deren Ende ein Kompromiss steht (Habermas 1996: 285). Im Rahmen der GCG ist nun
die Annahme durchaus plausibel, dass die Interessen vieler beteiligter Akteure,
beispielsweise aus Wirtschaftszwängen oder aufgrund von Hintergedanken an eine
mögliche Wiederwahl, auf eher kurzfristig erreichbare Ergebnisse zielen. Unter diesen
Voraussetzungen ist es zu bezweifeln, dass ein Interessensausgleich nach liberaler
Auffassung ein so komplexes und langfristiges Problem wie den Klimawandel zu lösen
vermag (vgl. Niemeyer 2013: 431-434). Die Bedingungen der deliberativen
Demokratietheorie hinsichtlich eines normativ richtigen Meinungs- und
Willensbildungsprozesses scheinen zu diesem Zweck besser geeignet. Sie stellen einer
schlichten Abwägung von Interessen den rationalen Diskurs entgegen, der die Akteure
nicht nur dazu befähigen soll, andere Standpunkte nachzuvollziehen, sondern auch dazu,
ihren eigenen im Lichte guter Gründe zu verändern (siehe Kapitel 4.1). Niemeyer (2013)
nimmt an, dass die Diskursteilnehmer durch die in der Deliberation geforderte Reflexion
in die Lage versetzt werden, auch abstraktere Bedrohungen wie den Klimawandel als
solche zu erkennen. Dabei geht er sogar so weit, anzunehmen, dass das Interesse daran,
dieses Problem abzuwenden im Grunde schon auf latente Weise in den Bürgern
vorhanden ist (ebd.: 431). Dies würde im Rahmen einer öffentlichen Debatte, welche
kaum Deliberation zulässt (ebd.: 446), aber nicht erkannt werden:13
„[T]he basic ingredients for action in climate change are in fact incipient in the average citizen.
Realising popular support for environmental goods does not require wholesale transformation of
13 Niemeyers Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf die australische Gesellschaft und Politik,
können aber in diesem Rahmen auch als ein Beispiel für westliche Demokratien angeführt werden.
25
public values, but facilitation to realise latent preferences that are distorted by public debate”
(Niemeyer 2013: 431).
Zur Untermauerung seiner These zieht er eine Untersuchung von “carefully designed
deliberative mini-publics” (Niemeyer 2013: 444) heran. Die Herausforderung besteht nun
natürlich darin zu ermitteln, auf welche Weise die Ergebnisse einer solchen Studie auch
in realen und umfassenderen Zusammenhängen zu erzielen seien (ebd. 444).
Durch den Austausch von Argumenten und die geforderte Reflexion ist also
anzunehmen, dass Akteure in deliberativen Zusammenhängen eher in der Lage sind,
Probleme nachzuvollziehen, die über ihren eigenen gegenwärtig gegebenen
Interessenshorizont hinausreichen. So sollen die Beteiligten sogar für die Präferenzen von
Abwesenden sensibilisiert werden, die möglicherweise auch von der Entscheidung
betroffen sind. Denn es gilt:
„Wenn die Interessen und Perspektiven nicht anwesender Personen und Gruppen relevant sind, so
sollten sie benannt werden und jeden Einzelnen der Deliberierenden in seinem Denken und
Entscheiden beeinflussen“ (Landwehr 2012: 379).
Insbesondere bei Umweltfragen, und auch speziell im Fall des Klimawandels, spielt die
Einbeziehung der Präferenzen Abwesender eine große Rolle, denn es sind vor allem
künftige Generationen, die in diesem Feld von unseren heutigen Entscheidungen
betroffen sind (vgl. Landwehr 2012: 378-379). Darüber hinaus kann in der Deliberation
auch aus Sicht von nicht-menschlichen Entitäten argumentiert werden, welche von
unserem Handeln betroffen sind. Teilnehmer können in ihrer Argumentation so
beispielsweise Partei für die Natur (oder auch in speziellerer Form für das Ökosystem
Meer, den Wald, etc.) ergreifen (vgl. Niemeyer 2013: 434).14
So spricht also die diskursive Einbeziehung derjenigen, welche aus verschiedenen
Gründen keine Stimme haben, aus moralischer Sicht für einen deliberativen
Politikprozess im Umgang mit dem Klimawandel. Zusätzlich sind auch bessere
Politikergebnisse zu erwarten, da die Akteure durch Reflexion für abstrakte Probleme
sensibilisiert und dadurch womöglich in die Lage versetzt werden, vernünftigere
Entscheidungen zu treffen. Diese Gründe sprechen also zumindest dafür, Elemente der
deliberativen Demokratietheorie in die theoretische Auseinandersetzung mit der GCG
einfließen zu lassen. Im folgenden Abschnitt wird nun aufgezeigt, weshalb es aus
14 Ein radikaler Vertreter einer solchen Idee ist der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour. Er
fordert, dass die Natur auch in Parlamenten durch Vertreter repräsentiert werden soll (Latour 2010).
26
strukturellen Gründen sinnvoll ist, einer Untersuchung von demokratischer Legitimität
auf Ebene der GCG einen deliberativen Ansatz zugrunde zu legen.
(2) In Kapitel 2.1 wurde deutlich, dass die GCG ein unübersichtliches und von
vielen verschiedenen Akteuren geprägtes Politikfeld darstellt. Wahlen sind im globalen
Zusammenhang der GCG nicht verfügbar, stattdessen sind es im Kern Verhandlungen,
die den Entscheidungsprozess strukturieren. Unter solchen Voraussetzungen eignet sich
die deliberative Demokratietheorie als Ansatz also vor allem deshalb besonders gut, da
sie gerade den Prozess in den Mittelpunkt rückt und dabei die hohen Ansprüche, die sie
an Kommunikation stellt, als eine Quelle von Legitimität begreift (vgl. Schmalz-Bruns
1999: 185; Stevenson/Dryzek 2012b: 2). So wird der Politikprozess in der Literatur
häufig als Anknüpfungspunkt zur Verbesserung der demokratischen Legitimität in der
Global Governance gesehen (Bürgler 2009: 83; Risse 2007: 57). Auch Deitelhoff und
Thiel (2014: 426) verweisen in Hinblick auf das wenig institutionalisierte und
hierarchisierte globale Politikfeld auf deliberative Lösungsansätze, da ein solches
„flexibles Demokratiemodell […] in unterschiedlich strukturierte institutionelle Settings
eingebettet werden kann“ (ebd.: 426). In Bezug auf die Frage der demokratischen
Legitimität globaler Politikformen, scheint die Stärke des deliberativen Ansatzes also
gerade seine Schwerpunktlegung auf die Throughput-Ebene zu sein.
Dennoch wäre es verkürzt, alleine anhand von dieser Ebene Schlüsse auf die
Legitimität eines ganzen politischen Systems, oder in diesem Fall der GCG, zu ziehen.
Denn die Tatsache, dass deliberative Theorien den Kommunikationsprozess in den
Mittelpunkt rücken bedeutet nicht, dass sie nicht auch an Input- und Output-Seite gewisse
Anforderungen stellen. So betonen Gutmann und Thompson (2004) beispielsweise die
hohe Bedeutung der Einbeziehung aller Entscheidungsbetroffenen auf der Input-Seite
(Gutmann/Thompson 2004: 9). Außerdem sollte die Kommunikation nach deliberativer
Auffassung nicht etwa um ihrer selbst willen geschehen. Sie verweist vielmehr auf die
Output-Seite, indem sie mit dem Ziel verbunden ist, politische Entscheidungen zu fällen
(vgl. Elster 2009: 128; Habermas 1997:371). Deshalb ist es nun in der folgenden
Untersuchung wichtig, jede der drei Legitimitätsdimensionen auf Ebene der GCG
genauer in den Blick zu nehmen.
27
5 Kriterien demokratischer Legitimität der Global Climate Governance
Im Vorrangegangen wurde die deliberative Demokratietheorie in ihren Grundzügen
beschrieben und zudem begründet, weshalb sie sich zur Diskussion von
Demokratieproblemen auf der globalen Ebene besonders eignet. Auf Grundlage dieser
Theorie sollen deshalb nun die drei Dimensionen demokratischer Legitimität, wie sie in
Kapitel 3.1 vorgestellt wurden, in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand der GCG
genauer betrachtet werden. Zu diesem Zweck sind die folgenden Unterkapitel
entsprechend der Dimensionen von Input (5.1), Throughput (5.2.) und Output (5.3.)
gegliedert. In jedem dieser Kapitel soll je ein Kriterium zur Beurteilung von
demokratischer Legitimität aus Perspektive der jeweiligen Dimension formuliert werden.
Aus mehreren möglichen Kriterien wird also für jede Dimension ein besonders wichtiges
ausgewählt, in dessen Lichte die Legitimitätsfrage tiefgreifender untersucht wird. Dabei
wird herausgestellt, welche Ansprüche dieses Kriterium an demokratisches Regieren
jenseits des Nationalstaates stellt und welche analytischen Probleme mit diesem eventuell
einhergehen.
Es ist allerdings nicht der Anspruch dieser Arbeit, eine umfassende empirisch
fundierte Kritik zu formulieren, sondern lediglich, einige Eckpfeiler eines theoretischen
Rahmens zu markieren, innerhalb dessen eine solche Kritik möglich werden könnte. Um
trotzdem einen empirischen Bezug herzustellen, und zugleich die erarbeiteten Kriterien
verständlicher werden zu lassen, soll vor deren Hintergrund jeweils auch ein kritischer
Blick auf die aktuelle Verfasstheit der GCG geworfen werden. Diese Beispiele dienen
dazu, eine erste Verortung von Legitimitätsdefiziten vorzunehmen, wodurch auch der
Relevanz der Fragestellung erneut Nachdruck verliehen wird.
5.1 Input-Dimension: Inklusivität
Nachdem nun Argumente dafür genannt wurden, Demokratie innerhalb der GCG aus
Sicht der deliberativen Demokratietheorie zu betrachten, soll dies hier zunächst in Bezug
auf die Input-Dimension demokratischer Legitimität spezifiziert werden. Anhand der
normativen Forderungen der Theorie wird dabei zuerst hergeleitet, weshalb Inklusivität
hier als das Hauptkriterium betrachtet werden soll. Dabei wird auch auf Probleme im
Zusammenhang mit der Bestimmung der zu inkludierenden Individuen oder Gruppen
28
eingegangen (Kapitel 5.1.1). Im Anschluss werden unter Berufung auf bestimmte
Beobachtungen Zweifel formuliert, die nahelegen, dass dem Kriterium der Inklusivität –
so wie es hier verstanden wird – in der GCG nicht vollends Rechnung getragen werden
kann (Kapitel 5.1.2 und 5.1.3).
5.1.1 Das Kriterium der Inklusivität und die Frage nach den Betroffenen
In Kapitel 3.1 wurde festgehalten, dass die Input-Dimension demokratischer Legitimität
allgemein gesprochen nach den Beteiligungsmöglichkeiten der von einer Entscheidung
betroffenen Personen fragt. Innerhalb demokratischer Staaten ist eine Garantie auf diesen
Anspruch meist in der Verfassung festgeschrieben, während die Durchführbarkeit in der
Praxis durch entsprechende Institutionalisierung geregelt wird. So sind freie und gleiche
Wahlen der grundlegende Mechanismus, der die Beteiligung der Bevölkerung sichern
soll (Walk 2008: 93). Diese sind auf globaler Ebene nicht gegeben. Wie kann also die
Frage nach den Beteiligungsrechten in solch einem schwer überschaubaren Politikfeld
auf vernünftige Weise gestellt und beantwortet werden? Eine Möglichkeit besteht darin,
das Kriterium des inklusiven Zugangs in Bezug auf den von Verhandlungen strukturierten
Politikprozess zu formulieren. Als die Möglichkeit eines solchen Zugangs für möglichst
alle Betroffenen, soll Inklusivität hier als ein zentrales Kriterium von demokratischer
Legitimität auf der Input-Dimension bestimmt werden. Zwei deliberative Theoretiker,
welche die Bedeutung dieses Kriteriums besonders hervorheben, sind Gutmann und
Thompson (2004). In ihrem Modell ist der inklusive Zugang zum Deliberationsprozess
eine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen von deliberativer Demokratie:
“What makes deliberative democracy democratic is an expansive definition of who is included in
the process of deliberation – an inclusive answer to the questions of who has the right (and
effective opportunity) to deliberate or choose the deliberators, and to whom do the deliberators
owe their justifications. In this respect, the traditional tests of democratic inclusion, applied to
deliberation itself, constitute the primary criterion of the extent to which deliberation is
democratic” (Gutmann/Thompson 2004: 9-10).15
15 Das Zitat bietet zwei Wege an, auf denen Inklusion geleistet werden kann: Erstens durch Teilhabe an der
Auswahl derjenigen, die am Ende in kleinerem Kreis (z.B. in Gremien) deliberieren und zweitens durch
die direkte Teilnahme am Deliberationsprozess. Diese beiden Möglichkeiten spiegeln im Grunde den
Unterschied von zwei Strömungen innerhalb der deliberativen Demokratietheorie wieder, wie Landwehr
(2012) sie benennt: Auf der einen Seite steht die liberale Traditionslinie, welche Deliberation eher in den
Institutionen verortet und damit auf die Fähigkeit des deliberativen Prozesses setzt, richtige und gerechte
Entscheidungen hervorzubringen. Im Gegensatz dazu hebt die kritische Linie den Wert von Inklusion und
Öffentlichkeit hervor. Hier steht die in einer kritischen Öffentlichkeit stattfindende Deliberation im
Vordergrund (Landwehr 2012: 358-359). Gutmann und Thompson sind selbst eher der liberalen Linie
zuzuordnen (ebd.: 370).
29
Die Fragen, an denen das Kriterium also gemessen werden muss, lauten nach Gutman
und Thompson (2004: 9-10) erstens: Wer darf am Deliberationsprozess oder zumindest
an der Auswahl der Deliberierenden teilhaben? Wobei Dürfen hier nach dem formalen
Recht der Teilhabe fragt. Und zweitens: Wer kann am Deliberationsprozess oder
zumindest an der Auswahl der Deliberierenden teilhaben? Wobei Können nach der
tatsächlich gegebenen Möglichkeit der Teilhabe fragt.16 Damit davon gesprochen werden
kann, dass der Zugang zum Deliberationsprozess demokratisch legitim geregelt ist, muss
die Antwort auf diese beiden Fragen zusammengefasst also lauten: Jeder von einer
Entscheidung Betroffene muss am Deliberationsprozess oder zumindest an der Auswahl
der Deliberierenden teilhaben dürfen und können.
Doch wer sind die Betroffenen? Eine naheliegende Antwort auf diese Frage lautet,
dass alle Weltbürger betroffen sind, wenn politische Entscheidungen in Bezug auf den
globalen Klimawandel getroffen werden. Die in Kapitel 3.2 ausgeführte Argumentation
spricht jedenfalls für diese intuitive Auffassung. Dennoch ist diese mit Problemen
verbunden, welche hier nicht unerwähnt bleiben sollen. So könnte, anknüpfend an die
Argumentation aus Kapitel 3.3, aus einer skeptischen Haltung heraus eingewendet
werden, dass es so etwas wie einen transnationalen demos nicht gäbe, dieser aber
gleichsam Voraussetzung für eine funktionierende Deliberation sei, so wie er es auch für
demokratische Mehrheitsentscheide ist (siehe Kapitel 3.3). Auf eine solche
Argumentation, die letztendlich wieder auf die Unvereinbarkeit von globaler
Regelsetzung und Demokratie hinausläuft, soll an dieser Stelle aber nicht erneut
eingegangen werden. Die normative und praktische Begründung dafür wurde in Kapitel
3.4 aufgeführt. Es sei aber angemerkt, dass die Frage nach einem angemessenen
Verständnis des transnationalen demos im Zusammenhang mit einer geeigneten
Konzeption von Betroffenheit und Repräsentation auf globaler Ebene einen kontrovers
diskutierten Gegenstand der politischen Theorie darstellt. Hierbei besteht ein
einflussreicher Ansatz darin, im transnationalen Raum nicht von einem demos
auszugehen, sondern vielmehr die Koexistenz vieler „transnationaler demoi“ (Bürgler
2009: 56) anzunehmen, die sich nach funktionalen Aspekten in verschiedene „Regel-
Gruppen“ (ebd.: 36) gliedern (siehe dazu auch die Ausführungen von Bohman 2007 und
16 Gutmann und Thompson werfen auch eine damit verbundene dritte Frage auf, die danach fragt, vor wem
die Deliberierenden das Ergebnis rechtfertigen müssen (Gutmann/Thompson 2004: 9-10). Das Prinzip der
Rechtfertigung ist gerade dann relevant, wenn Repräsentanten in kleineren Gremien deliberieren, da es
diese dann verpflichtet ihre Ergebnisse vor der Bevölkerung, in dessen Auftrag sie agieren, argumentativ
zu begründen. In diesem Kapitel soll aber allein der Zugang zum Politikprozess isoliert betrachtet werden,
weshalb solche Gedanken zunächst keine Rolle spielen.
30
Zürn 2000). In einem ähnlichen Zusammenhang hat David Held (2004) verschiedene
Abstufungen von Betroffenheit typologisiert. Ein weiterer Ansatz besteht darin, das
Prinzip der Inklusion nicht auf Individuen, sondern vielmehr auf Argumente und letztlich
Diskurse zu beziehen (Landwehr 2012: 378). Eine solche Möglichkeit schlagen
beispielsweise Dryzek und Niemeyer (2008) oder Stevenson und Dryzek (2012a; 2012b)
vor.
Im folgenden Unterkapitel soll allerdings vorerst von einer alle Individuen
einschließenden Auffassung von Betroffenheit ausgegangen werden, um die Möglichkeit
von Inklusivität der GCG zunächst auf grundlegende Weise, man könnte sagen
radikaldemokratisch, nachvollziehen zu können. In Kapitel 5.2.4 wird diese Thematik
dann noch einmal aufgegriffen. Dort soll mit dem Ansatz von Stevenson und Dryzek
(2012a; 2012b) eine Innovation der deliberativen Demokratie in den Fokus gerückt
werden, welche dem Inklusivitätsproblem über eine Einbeziehung aller relevanten
Diskurse beizukommen versucht.
5.1.2 Inklusivitätsprobleme über den Weg der Staaten
Anhand des Kriteriums der Inklusivität soll nun ein kritischer Blick auf die momentane
Verfasstheit der GCG geworfen werden. Gegenstand dieser Betrachtung sind die
Verhandlungen der Klimarahmenkonvention. Zuerst sollen in diesem Kapitel Argumente
vorgebracht werden, die gegen einen Zugang aller Betroffenen über den Weg der
Repräsentanten ihrer jeweiligen Staaten zu den Verhandlungen sprechen, oder diesen
zumindest in Frage stellen. Im Anschluss wird dann in Kapitel 5.1.3 auf die Rolle von
Umwelt-NGOs im Rahmen der Verhandlungen eingegangen. Auch diese soll bezüglich
der ihres Potenzials zur Inkludierung von Betroffenen kritisch hinterfragt werden.
Wie in Kapitel 2.2 deutlich wurde, bildet die Klimarahmenkonvention (UNFCCC)
mit den jährlich stattfindenden Klimagipfeln (COPs) zu deren Verhandlung den
institutionellen Kern der GCG. Es stellt sich also die Frage, ob der Zugang zu diesen
Verhandlungen im deliberativ-theoretischen Sinne insofern inklusiv geregelt ist, als dass
die Gesamtheit der Betroffenen dieses Politikproblems berücksichtigt wird. Zwar ist die
Klimarahmenkonvention von 195 Staaten, also nahezu allen Staaten der Welt,
unterzeichnet (BMUB 2015a). Doch selbst wenn restlos alle Länder der Welt an den
Verhandlungen beteiligt wären, würde diese Tatsache allein noch nicht ausreichen, um
den Ansprüchen des Kriteriums der Inklusivität gerecht zu werden.
31
Ein Grund dafür sind Zweifel an einer zu langen „Legitimationskette“ (Beisheim
2004: 61): Die idealtypische Annahme wäre die eines Teilnehmerstaates, dessen
Regierung demokratisch legitimiert ist , und welche Vertreter zu den Verhandlungen
entsendet, die dort gewissermaßen als verlängerter Arm der Bevölkerung agieren sollen.
Es sind jedoch Zweifel angebracht, ob es über solch einen weiten Weg der Legitimation
tatsächlich noch möglich ist, die Präferenzen einer Bevölkerung an den
Verhandlungstisch zu tragen. Mit anderen Worten muss also die Frage aufgeworfen
werden, inwiefern in diesem Fall die politische Beteiligung der Bürger noch Einfluss auf
die getroffenen Entscheidungen hätte (vgl. Beisheim 2004: 61; Grande 1996: 339).
Einen weiteren Grund die Inklusivität der Verhandlungen in Frage zu stellen,
liefert die Tatsache, dass längst nicht alle Regierungen, über welche die
Legitimationsketten globaler Klimapolitik geleitet werden, demokratisch legitimiert sind.
Für diese darf deshalb auch nicht die Annahme gelten, dass deren Vertreter im Sinne der
Bevölkerung verhandeln.17 Das wiederum lässt den Schluss zu, dass ein erheblicher Teil
der Weltbevölkerung keinerlei Zugang zu und damit auch keinen Einfluss auf die globale
Klimapolitik hat (vgl. Stevenson/Dryzek 2012b: 2).
Diese beiden Inklusivitätsdefizite können also in der Legitimationskette über die
Regierungsvertreter der Staaten auftreten. Es stellt sich die Frage, wie derartigen
Problemen begegnet werden kann. In diesem Zusammenhang wird vor allem global
agierenden Umwelt-NGOs zugetraut, einige solcher Legitimitätslücken zu schließen (vgl.
Brunnengräber 2013). Dies soll im folgenden Kapitel kritisch hinterfragt werden.
5.1.3 Inklusivitätsprobleme über den Weg der Umwelt-NGOs
Wie schon in Kapitel 2.1 gezeigt wurde, ist es ja gerade das zentrale Merkmal von
Governance-Strukturen, dass hier sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure in
oftmals kooperativer Zusammenarbeit gemeinsam an Regelsetzungsprozessen beteiligt
sind. So werden bezüglich einer Lösung der oben angedeuteten Inklusivitätsprobleme
große Hoffnungen auf die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen gesetzt (vgl.
Brunnengräber 2013). Auch von politischer Seite aus wird die Einbindung von NGOs in
globale Politikprozesse gefordert (vgl. Walk 2008: 13). Das zeigt sich beispielsweise im
17 Theoretisch ließe sich auch eine diktatorische Regierung vorstellen, welche im Sinne (der Mehrheit) der
Bevölkerung agiert. Demokratische Legitimation – und das ist hier der Untersuchungsgegenstand – ist aber
deshalb trotzdem nicht gegeben.
32
Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur „Globalisierung der
Weltwirtschaft“ (Deutscher Bundestag 2002), in dem die Bedeutung von
privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren für das Funktionieren von
Global Governance explizit hervorgehoben wird (ebd.: 58). Auch im akademischen
Bereich gibt es einige Forschungsarbeiten, die den Einfluss von NGO-Beteiligung auf die
demokratische Legitimität von Global Governance zum Gegenstand haben. Dabei stehen
in einigen Fällen NGOs in der weiten Definition – als nichtstaatliche Akteure – im Fokus
(siehe beispielsweise Beisheim 2003). An anderen Stellen sind es speziell Umwelt-
NGOs, deren Einfluss diskutiert wird (siehe beispielsweise Brunnengräber/Klein/Walk
2001; Brunnengräber 2013). Letztere sind es, auf deren Rolle nun auch hier genauer
eingegangen werden soll.
Umwelt-NGOs begleiten den Prozess der internationalen Klimapolitik seit
Anfang der 1990er Jahre und waren zuvor schon Teil der Verhandlungen um die
Ausgestaltung der Klimarahmenkonvention (Brunnengräber 2013: 358). Sie sind noch
immer fester Bestandteil der alljährlichen Klimakonferenzen, wo sie neben der
Interessenvertretung im Namen ihrer Mitglieder noch viele weitere Funktionen
übernehmen. So werden sie innerhalb der Institutionen aufgrund ihres Fachwissens auch
als Berater oder aber auch als Vermittler in festgefahrenen Verhandlungssituationen tätig
(Brunnengräber 2013: 359; Bulkeley/Newell 2015: 24). Außerhalb der Institutionen
können sie wiederum öffentlichkeitswirksame Skandalisierung betreiben, um ihre
Standpunkte deutlich zu kommunizieren (Brunnengräber 2013: 359). Formale
Stimmrechte bleiben bei alldem aber den Vertretern der Staaten vorbehalten
(Bulkeley/Newell 2015: 24). Aufgrund ihrer zahlreichen Beteiligungsmöglichkeiten ist
es aber durchaus nicht falsch, Umwelt-NGOs auf den ersten Blick als „demokratisches
Gegengewicht zu den Mächten in Wirtschaft und Politik“ (Unmüßig 2011: 55)
wahrzunehmen.
Das Demokratisierungspotenzial der Beteiligung von Umwelt-NGOs an den
Verhandlungen wird mitunter aber auch kritisch gesehen. So werden im akademischen
Diskurs auch Stimmen laut, die dieser Möglichkeit skeptisch gegenüberstehen (vgl.
Beisheim 2001: 130). Im Folgenden sollen zwei miteinander verbundene Zweifel
aufgezeigt werden. Diese stellen in Frage, dass durch die Beteiligung von Umwelt-NGOs
am Verhandlungsprozess der Klimarahmenkonvention die Inklusivität – und damit
letztlich die demokratische Legitimität auf der Input-Ebene – gesteigert werden kann. Der
erste Zweifel bezieht sich auf die ungleiche Ressourcenverteilung der Umwelt-NGOs
33
untereinander (1) und der zweite auf deren Verhalten im Rahmen der
Klimaverhandlungen (2).
(1) Ausgangspunkt der ersten Überlegung ist das schwierige Verhältnis zwischen
den Staaten der nördlichen und denen der südlichen Hemisphäre, welches hohes
Konfliktpotenzial birgt. Die Situation ist denkbar misslich: Während es die nördlichen
Staaten sind, die den meisten Ausstoß an CO2 verursachen und damit den Klimawandel
in einem höheren Maße vorantreiben, sind es die südlicheren Staaten, die von dessen
Folgen am stärksten betroffen sind (Bulkeley/Newell 2015: 37). Zudem sind Letztere
auch die ressourcenärmeren Verhandlungsteilnehmer, was ihnen die Durchsetzung von
Schritten zur Bekämpfung dieser schiefen Ausgangslage zusätzlich erschwert (ebd.: 37).
Nach einer Auffassung von Umwelt-NGOs als demokratisierendem Element und Stimme
derer, die vom Verhandlungsprozess strukturell ausgeschlossen sind, sollte demnach eine
ihrer wichtigsten Aufgaben darin bestehen, in diesem Konflikt zu vermitteln und zu
versuchen, die Schieflage zu berichtigen. Doch es besteht Zweifel daran, dass dies
gelingt. So gibt es sogar die Befürchtung, dass das asymmetrische Machtverhältnis in den
Verhandlungen durch die Umwelt-NGOs noch verstärkt wird (vgl. Beisheim 2001: 130).
Inspiriert ist dieser Verdacht durch die Tatsache, dass die ungleiche Ressourcenteilung
nicht nur auf die Ebene der Staaten zutrifft, sondern ebenso für die Umwelt-NGOs aus
den jeweiligen Ländern gilt. So sind westeuropäische und nordamerikanische
Organisationen wesentlich einflussreicher und ressourcenstärker als solche aus anderen
Teilen der Welt (Beisheim 2001: 130; Brunnengräber 2011: 28). Auch zahlenmäßig sind
sie weit überlegen. Bulkeley und Newell (2015) führen zur Veranschaulichung eine
Beobachtung aus dem Rahmen des Klimagipfels in Kopenhagen aus dem Jahr 2009 an:
„More than 210 organizations from the United States, for example, are registered as observers,
alongside 100 groups from Britain and 92 from Canada. Meanwhile no developing country except
for Brazil, China and India, managed to bring more than ten observer organizations to the table”
(Bulkeley/Newell 2015: 24).
Diese ungleiche Repräsentation ist problematisch. Sie würde jedoch weniger ein Problem
darstellen, wenn Umwelt-NGOs als vollkommen neutrale Vertreter, lediglich dem
‚Allgemeinwohl‘ verpflichtet, agieren würden. Dann, so ließe sich ganz im Sinne der
deliberativen Theorie annehmen, würden im deliberativ strukturierten Politikprozess
vernünftige Gründe genannt werden, die zum Ausgleich der asymmetrischen
Repräsentation beitragen könnten. Aus welchen Gründen eine solche Annahme allerdings
34
zu bezweifeln ist, zeigt der folgende Abschnitt, welcher sich nun genauer mit dem
Verhalten der betreffenden Organisationen in den Verhandlungen beschäftigt.18
(2) Dass die idealistische Vorstellung von alleine dem Allgemeinwohl
verpflichteten Umwelt-NGOs oft genug nicht der Realität entspricht, zeigt Unmüßig
(2011) indem sie feststellt, dass „NGOs […] nicht selten Forderungen analog zu den
Interessen ihrer jeweiligen Länder und Regierungen“ (Unmüßig 2011: 52) formulieren.
Wie nun gezeigt werden soll, kann neben diesem Vorwurf der Komplizenschaft mit den
Staaten auch noch eine andere Verhaltensweise der Umwelt-NGOs als problematisch
angesehen werden. Die Kritik bezieht sich hierbei auf die von einem Großteil der NGOs
in den Verhandlungen angenommene Haltung, die nach Brunnengräber (2013) als
„kooperativ-kritisch“ (ebd. 362) bezeichnet werden kann. Vor allem den Akteuren des
bedeutenden NGO-Netzwerks Climate Action Now (CAN) ist diese Haltung
zuzuschreiben (Bedall 2011: 76; Rest 2011: 98). Gemeint ist damit, dass Umwelt-NGOs
des CAN – zu denen solch ressourcenstarke und einflussreiche NGOs wie WWF oder
Greenpeace gehören (Rest 2011: 89) – die Verhandlungen zwar teils kritisch begleiten,
dass diese Kritik zugleich aber nicht die „strukturelle[n] Grenzen“ (Brunnengräber 2013:
362) des offiziellen Verhandlungsprozesses überschreitet (ebd. 362). Mit anderen
Worten: Die Institutionalisierung und das etablierte Verfahren der internationalen
Klimaverhandlungen wird von den Umwelt-NGOs des CAN nicht an sich hinterfragt
(Bedall 2011:76). Ihre Kritik bewegt sich meist in dem vorgegebenen Rahmen der
Verhandlungen. Gerade diese unkritische Haltung gegenüber dem Gesamtsystem der
internationalen Klimapolitik trägt aber „wesentlich zur gesellschaftlichen Legitimierung“
(Rest 2011: 98) desselben bei. Die Vorherrschaft der ressourcenstärkeren Staaten in den
Verhandlungen, der „hegemoniale Konsens“ (Bedall 2011:78), wird von den Akteuren
des CAN durch ihre Kooperation also eher gestützt als hinterfragt (Bedall 2011: 78; Rest
2011: 98-99). Als Beispiel für den Opportunismus der kritisch-kooperativen Haltung
führt Brunnengräber (2013) eine Beobachtung aus dem Rahmen der Verhandlungen des
Kyoto-Protokolls an: „Eine anfänglich breite Ablehnung von marktorientierten
Mechanismen unter den NGOs wich in dem Augenblick, als diese verabschiedet wurden,
der engagierten Diskussion um ihre konkrete Ausgestaltung“ (Brunnengräber 2013: 362).
18 An dieser Stelle findet eine Überschneidung von Input- und Throughput-Dimension statt: Einerseits ragt
die Diskussion nun insofern in den Throughpt-Prozess hinein, als dass das Verhalten der Umwelt-NGOs in
den Verhandlungen thematisiert wird. Andererseits soll diese Betrachtung vor allem vor dem Hintergrund
des Input-Kriteriums der Inklusivität stattfinden, da es im Kern darum geht, auf welche Weise sich das
Verhalten der Umwelt-NGOs auf die Inkludierung der Betroffenen auswirkt.
35
Aus der Perspektive des Kriteriums Inklusivität ist ein solches Verhalten problematisch,
da hierdurch ein System mit ungleichem Zugang von innen heraus bestärkt wird.
So kann es auch als Reaktion auf diese Situation gewertet werden, dass sich 2007
mit Climate Justice Now! (CJN!) ein weiteres großes NGO-Netzwerk gegründet hat (Rest
2011: 88). Dieses, vor allem aus Organisationen des „globalen Süden[s]“ (ebd.: 89)
zusammengesetzte Netzwerk stellt sich dem gesamten System globaler Klimapolitik
kritisch entgegen (Bedall 2011: 77). Wo das CAN überwiegend mit Hilfe von Lobbying
und auch über Kooperationen mit Unternehmen versucht, Einfluss auf die
Klimaverhandlungen zu nehmen, agiert das CJN!-Netzwerk vorwiegend außerhalb der
Institutionen und setzt vor allem auf politischen Druck durch soziale Bewegungen (Rest
2011: 91). Während die kritisch-kooperative Haltung der Akteure des CAN hier also eher
als ein Hindernis für den Zugang aller Betroffenen zu den Klimaverhandlungen analysiert
wurde, kann die Gründung des auf Protest und soziale Bewegungen setzenden CJN!-
Netzwerks als ein Versuch der benachteiligten Parteien angesehen werden, ihren
Anspruch auf Einfluss durchzusetzen.
Zusammenfassend lässt sich am Ende dieser Betrachtung jedoch feststellen, dass
von freiem und gleichem Zugang der Betroffenen zu den Verhandlungen der
Klimarahmenkonvention in der Realität wohl kaum gesprochen werden kann. Vor allem
Gutmann und Thompsons (2004) eingangs beschriebene Differenzierung des
Teilnehmendürfens und Teilnehmenkönnens, wird hier wieder relevant: Wo dem Papier
nach nämlich nahezu allen Staaten und eine große Anzahl von Umwelt-NGOs als
Vertreter der Betroffenen theoretisch an den Verhandlungen teilnehmen dürfen, stellen
lange Legitimationsketten und eine ungleiche Ressourcenverteilung den praktischen
Einfluss der Betroffenen im Sinne des Könnens in Frage.
5.2 Throughput-Dimension: Deliberation
Nachdem nun der Zugang zum politischen Prozess der GCG genauer betrachtet wurde,
soll in diesem Kapitel der Prozess selbst ins Blickfeld gerückt werden. Damit wird die
Throughput-Dimension demokratischer Legitimität zum Untersuchungsgegenstand. Als
zentrales Kriterium der weiteren Betrachtung wird zunächst Deliberation festgelegt
(5.2.1). Darauffolgend werden die beiden Kommunikationsmodi des arguing und
bargaining näher beschrieben, da diese in der Forschung oft als Kriterien zur
Untersuchung von Deliberation herangezogen werden (Bürgler 2009: 85) (5.2.2). In einer
36
anschließenden Diskussion dieser Modi sollen Probleme in den Fokus gerückt werden,
die eine empirische Analyse von Deliberation mit sich bringt. Dabei wird gezeigt, auf
welche Weise die Frage nach demokratischer Legitimität in der Throughput-Dimension
sinnvoll untersucht werden kann (5.2.3). Zuletzt soll ein Ansatz von Stevenson und
Dryzek (2012b) Beachtung finden: Aus ihrer Kritik an den Bedingungen für Deliberation
in der GCG, entwerfen sie den Vorschlag einer Institution nach dem Modell einer
„Chamber of Discourses“ (Stevenson/Dryzek 2012b: 13), um die demokratische
Legitimität des Politikprozesses der GCG zu steigern (5.2.4).
5.2.1 Throughput-Legitimität und das Kriterium der Deliberation
Einen wichtigen Beitrag zur Rolle der Throughput-Legitimität hat Vivian A. Schmidt
(2013) mit ihrem Aufsatz „Democracy and Legitimacy in the European Union Revisted:
Input, Output and ‘Throughput‘“ (Schmidt 2013) geleistet. Aus systemtheoretischer Sicht
verortet sie die Throughput-Ebene dort zwischen den Partizipationsmechanismen der
Input- und den Politikergebnissen der Output-Seite, wobei sie von ihr das Bild einer in
der Forschung bislang vernachlässigten Dimension zeichnet (ebd.: 5).19 Nach der
Throughput-Legitimität eines Regelsetzungssystems zu fragen heißt nach Schmidt, in die
„black box“ (ebd.: 5) des Politikprozesses zu blicken, der zwischen den beiden Enden
von Input und Output liegt. Ihre These lautet, dass die Qualität dieses Prozesses einen
wesentlichen Einfluss auf die demokratische Legitimität des jeweiligen Gesamtsystems
hat (ebd.: 3). Diese Qualität macht sie wiederum von den Kriterien „efficacy,
accountability, transparency, inclusiveness and openness to interest intermediation”
(Schmidt 2013: 6) abhängig.20 Gelten sollen die genannten Kriterien für zwei Ebenen des
Throughput-Prozesses, welche sie „institutional“ und „constructive“ (ebd.: 6) nennt. Die
erste Ebene umfasst die institutionellen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die
Anzahl und Verfahrensweisen von Gremien und anderer politischer Organe (vgl. Schmidt
2013: 14-16). „Construcitve Throughput“ (ebd.: 17) beschreibt hingegen die
Wechselbeziehungen der verschiedenen Akteure, den von ihnen geführten Diskurs und
die dabei vorherrschenden Kommunikationsmodi. Mit anderen Worten sind hiermit also
19 Der Begriff „systemtheoretisch“ bezieht sich hier auf die politische Systemtheorie David Eastons (vgl.
dazu Easton 1965: 29-33). 20 Schmidt betont selbst, dass die drei Dimensionen von Legitimität konzeptionell nicht scharf voneinander
zu trennen sind und, dass einige dieser Kriterien eben auch für die Input- oder Output-Seite relevant sein
können (Schmidt 2013: 3, 8).
37
die Akteurskonstellationen und Interaktionen innerhalb und außerhalb der institutionellen
Rahmenbedingungen gemeint, während „Institutional Throughput“ (Schmidt 2013: 14)
die Rahmenbedingungen selbst beschreibt.
Da Wahlen oder ähnliche Formen der demokratischen Repräsentation in der
Institutionalisierung der GCG nicht verfügbar sind und die wesentlichen Politikprozesse
die Gestalt von Verhandlungen annehmen, ist es aus Sicht dieser Arbeit zunächst sinnvoll,
an den im Throughput-Prozess vorherrschenden Kommunikationsformen anzusetzen, um
die Frage der demokratischen Legitimität zu stellen. In diesem Zusammenhang ist es
nämlich gerade der große Vorzug der deliberativen Demokratietheorie, dass sie der
Kommunikationsform der Deliberation legitimierendes Potenzial zuschreibt. So lautet
die These einiger ihrer Vertreter, „dass Deliberation signifikant zur Steigerung der
demokratischen Legitimität von Govern-ance [sic!] beiträgt“ (Risse 2007: 83). Dieser
These folgend, soll als zentrales Kriterium zur Untersuchung demokratischer Legitimität
auf der Throughput-Ebene Deliberation definiert werden.
5.2.2 Die Kommunikationsmodi des arguing und bargaining
Es stellt sich nun die Frage, wie festzustellen ist, ob zwischen den Teilnehmern eines
politischen Entscheidungsprozesses Deliberation stattfindet. Unter welchen Bedingungen
sind bestimmte Kommunikationszusammenhänge als deliberativ zu bezeichnen und auf
welche Weise lassen sich diese identifizieren?
In der Literatur wird zum Zweck einer solchen Untersuchung oft zwischen den
beiden Kommunikationsmodi des arguing auf der einen und des bargaining auf der
anderen Seite unterschieden (vgl. Bürgler 2009: 85; Risse 2007).21 In Verhandlungen
können die einzelnen Akteure demnach entweder im Stile des einen oder des anderen
Modus agieren. Als zentrales Kriterium für das Vorliegen von Deliberation gilt dabei,
dass die Verhandlungspartner sich auf Argumentation im Sinne des arguing einlassen
(Zürn 2000: 193). Dieser Kommunikationsmodus erfüllt nämlich insofern die
Bedingungen von Deliberation, als dass arguing bedeutet, dass die Akteure rational
argumentieren und zugleich offen dafür sind, sich von besseren Argumenten ihres
21 Diese Begriffe werden auch oft in die deutschen Bezeichnungen „Argumentieren und Verhandeln“ (Risse
2007: 67) übersetzt. Da Verhandeln aber in dieser Arbeit schon einige Male in einem übergeordneten
Kontext verwendet wurde und weiterhin verwendet wird, soll zur Beschreibung der hier erwähnten
spezifischen Kommunikationsmodi auf das englische bargaining und, um eine gewisse Gleichförmigkeit
in der Sprache zu erhalten, auf dessen englisches Gegenstück arguing zurückgegriffen werden.
38
Gegenübers überzeugen zu lassen (Risse 2007: 64). Im Modus des bargaining hingegen,
sind die Teilnehmer lediglich darauf bedacht ihre eigenen Interessen, auch mit Hilfe
möglicherweise verfügbarer Druckmittel, durchzusetzen (ebd. 64).
Ein zentrales Element, welches den Akt des Argumentierens im Modus des
arguing ausmacht und ihn von dem Versuch reiner Interessensdurchsetzung
unterscheidet, ist die Berufung auf eine „externe Autorität“ (Risse 2007: 68). Was unter
diesem Begriff zu verstehen ist, lässt sich am Beispiel der Klimaverhandlungen
veranschaulichen: So könnte in diesem Rahmen ein Argument hervorgebracht werden,
welches sich auf von Klimaforschern veröffentlichte Statistiken zur Erderwärmung
bezieht. Die externe Autorität, auf die sich ein solches empirisches Argument stützt, ist
folglich ebendieser wissenschaftliche Befund. Dieser ist die „Berufungsgrundlage“
(Risse 2007: 68), die für alle Diskursteilnehmer zugänglich und überprüfbar ist. Ein
normatives Argument wiederum kann sich beispielsweise auf allgemein akzeptierte
Normen berufen. Ein solches könnte lauten: ‚Wir müssen unseren CO2-Ausstoß
reduzieren und den Klimawandel bekämpfen, da sonst die Bewohner eines bestimmten
Inselstaates durch den ansteigenden Meeresspiegel ihrer Lebensgrundlage beraubt
werden‘. Das Argument beruft sich hier also auf die Rechte der Inselbewohner, welche
als allgemeingültige Norm proklamiert werden.22 Da die Berufungsgrundlage einen
externen Bezugspunkt für die Diskursteilnehmer darstellt, spricht Risse beim Modus des
arguing von einer „triadische[n] Struktur“ (Risse 2007: 68). Im bargaining-Prozess
handeln die Akteure hingegeben lediglich auf der Grundlage ihres jeweiligen
Eigeninteresses, welches keinerlei Rechtfertigung bedarf. Da hier also der externe Bezug
wegfällt, wodurch die Kommunikation direkt von Teilnehmer zu Teilnehmer stattfindet,
spricht Risse von einer „dyadische[n] Struktur“ (ebd.: 68).
5.2.3 Ein geeigneter Ansatz zur Untersuchung von Deliberation
Es könnte nun der Eindruck entstanden sein, dass eine adäquate Untersuchung von
Deliberation als legitimitätssteigerndem Moment der Throughput-Ebene der Frage
nachgehen müsse, ob in einem politischen Entscheidungsprozess die Kommunikation der
22 Zusätzlich liegt auch hier eine empirische Prämisse zugrunde, nämlich die einer ursächlichen Verbindung
von CO2-Ausstoß und dem Anstieg des Meeresspiegels. Um dieses Argument zu stützen, müsste sich also
auch auf entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse berufen werden. So wird an diesem Beispiel
ebenfalls deutlich, dass Argumente zugleich normative und empirische Implikationen enthalten können.
39
verschiedenen Akteure eher im Stile des arguing oder des bargaining geführt wird. Im
Folgenden soll hergeleitet werden, weshalb eine solche Herangehensweise jedoch nicht
sinnvoll wäre (1). Damit verbunden wird geklärt, welche Ausrichtung eine geeignete
Fragestellung vielmehr haben sollte (2).
(1) Zuerst muss festgehalten werden, dass arguing und bargaining, so wie sie nun
beschrieben wurden, in der Realität wohl kaum vorkommen. Es handelt sich hierbei
vielmehr um die beiden idealtypischen „Endpunkte eines Kontinuums“ (Risse 2007: 70),
welche eine Orientierung zur Einordnung von Kommunikationszusammenhängen
anbieten können. Es dürfte also von einer Fragestellung, die darauf abzielt, ob entweder
der eine oder der andere Kommunikationsmodus vorliegt, kein großer Erkenntnisgewinn
zu erwarten sein. Wie auch empirische Studien zeigen, liegen zumeist Mischformen vor.
So hält beispielsweise Holzinger (2004) in ihrer Untersuchung fest, dass arguing und
bargaining empirisch kaum voneinander zu trennen seien (Holzinger 2004: 216). Auch
Risse (2007) merkt an, dass Argumente von Akteuren oft instrumentell – also mit dem
Ziel ihrer individuellen Interessensdurchsetzung – eingesetzt werden und, dass umgekehrt
selbst in bargaining-Prozessen auf allgemein anerkannte Normen bezogene
Rechtfertigung stattfindet (Risse 2007: 70).23 Erklärbar wird diese Tatsache durch die
Annahme, dass das Einlassen auf arguing selbst instrumentell ausgerichteten Akteuren
Vorteile zu verschaffen scheint:
„Selbst Akteure mit ursprünglich strategischen Motivationen müssen häufig in Prozesse des
Argumentierens einsteigen, um auf Verhandlungen Einfluss nehmen zu können. Sie müssen
Wahrhaftigkeit und Offenheit gegenüber dem ‚besseren Argument‘ demonstrieren“ (Risse 2007:
71).
Risse bezeichnet dieses Phänomen als „argumentative Selbstverstrickung“ (Risse 2007:
72).
Doch was folgt aus diesen Erkenntnissen für die Untersuchung von
Argumentation und Deliberation in Entscheidungsprozessen? Diesbezüglich ist
Folgendes festzuhalten: Es ist wenig sinnvoll die Handlungsdispositionen der Akteure zu
untersuchen, mit denen sie in die Verhandlungen einsteigen. Ob sie sich nämlich anfangs
eher auf einen bargaining-Prozess einstellen oder durchaus offen für arguing sind, ist
erstens „empirisch nur schwer zu ermitteln“ (Risse/Müller 2001: 1) und spielt zweitens
keine große Rolle, da die zitierten Untersuchungen gezeigt haben, dass die Teilnehmer
23 Vgl. hierzu auch die Untersuchung von Risse und Müller (2001).
40
sich ohnehin mit hoher Wahrscheinlichkeit früher oder später nach dem Muster der
argumentativen Selbstverstrickung auf arguing einlassen. Hinzu kommt, dass es verfehlt
wäre anzunehmen, dass überall dort wo argumentiert wird, dies auch Auswirkungen hat.
Mit anderen Worten: Der Nachweis, dass Argumente angeführt werden ist noch kein
Beweis dafür, dass dadurch auch wirklich Reflexion bei allen Teilnehmern angeregt wird
und sich dies auf das Verhandlungsergebnis niederschlägt (Risse 2007: 70). Genau darin
bestünde aber der Kern von Deliberation, dem in diesem Zusammenhang zugetraut wird,
den Politikprozess demokratisch legitimer gestalten zu können (ebd.: 58). Aus den
genannten Gründen darf also angenommen werden, dass eine Untersuchung von
Deliberation auf Basis der Feststellung, ob arguing oder bargaining stattfindet, in die Irre
führt.
(2) Damit stellt sich die Frage, wie eine alternative Herangehensweise an eine
Analyse der demokratischen Legitimität der Throughput-Dimension mit Hilfe des
Kriteriums der Deliberation aussehen könnte. Risse (2007) bietet dazu einen
Anhaltspunkt, indem er dafür plädiert, den Fokus weg von der stattfindenden
Kommunikation hin zu den Institutionen zu verschieben, die diese erst ermöglichen:
„Anstatt zu untersuchen, ob in der einen oder anderen Phase einer Verhandlung eher der Modus
des Argumentierens oder jener des bargaining dominiert, müssen wir die Bedingungen
identifizieren, unter denen das Argumentieren zu Änderungen in den Überzeugungen der Akteure
führt und damit den Verhandlungsprozess und seine Ergebnisse beeinflusst“ (Risse 2007: 70).
Mit „Bedingungen“ ist dabei vor allem der institutionelle Rahmen gemeint. Nach Risse
(2007) ist es dieser, welcher die Akteure dazu bringen kann, in einen „reflexiven Prozess
der Argumentation einzusteigen“ (ebd.: 85). Folglich gilt es, die institutionellen
Rahmenbedingungen so einzurichten, dass Deliberation möglich wird. Um zu Schmidts
(2013) Terminologie zurückzukehren: Ob Deliberation in inter- und supranationalen
Verhandlungen stattfindet, hängt wesentlich von der Ausgestaltung des „Institutional
Throughput“ (Schmidt 2013: 4) ab. Die Annahme lautet, dass die Form der
Institutionalisierung die Qualität der Deliberation beeinflussen kann.
Eine solche These vertreten auch Landwehr und Holzinger (2010: 381): Sie
stellen fest, dass auf der einen Seite bestimmte Foren politischer Kommunikation einen
Diskurs im deliberativen Sinne befördern. Auf der anderen Seite gibt es aber auch solche,
die diesen aufgrund ihrer Rahmenbedingungen nicht zustande kommen lassen.
Beispielsweise bringt das institutionelle Design von Parlamenten aufgrund der darin
vorherrschenden Mehrheitsverhältnisse kaum Deliberation hervor. In den dort
41
stattfindenden Debatten verteidigen die jeweiligen Parteien nämlich nur ihren je eigenen,
starren Standpunkt. Es besteht für sie kein Anreiz diesen zu überdenken, da aufgrund der
vorherrschenden Mehrheitsverhältnisse das mögliche Ergebnis einer Abstimmung
ohnehin feststeht (Landwehr/Holzinger 2010: 378). Damit Deliberation stattfinden kann,
bestehen die Mindestvoraussetzungen an Foren politischer Kommunikation deshalb
einerseits darin, einen dialogischen Austausch zu befördern, bei dem die
Gesprächspartner gezwungen sind, aufeinander einzugehen. Andererseits muss zugleich
eine „logic of publicity“ (ebd.: 376) vorherrschen, sodass Rechtfertigung für die je eigene
Position verlangt wird (ebd.: 376-377).
Anhand dieser Überlegungen wird deutlich, dass sich schon aus der Theorie
heraus gute Gründe für und gegen das deliberative Potenzial bestimmter Institutionen
formulieren lassen. Zu diesem Zweck muss erörtert werden, inwiefern ihr jeweiliges
Design den Bedingungen von Deliberation gerecht wird.24 Zugleich können auf derselben
Grundlage, Risses (2007: 86) Plädoyer folgend, Modelle institutioneller Designs
entworfen werden, für welche angenommen werden kann, dass sie die deliberative
Qualität eines Prozesses verbessern. Als Beispiel für eine solche institutionelle
Innovation aus dem Schoß der deliberativen Demokratietheorie wird im folgenden
Kapitel ein Vorschlag von Stevenson und Dryzek (2012b) angeführt. Dieser entspringt
der Annahme der beiden Autoren, dass demokratische Legitimität im globalen Raum
auch über die Kommunikation von Diskursen gesichert werden kann (ebd.:2). Diese Idee
und die daraus abgeleitete Kritik an den momentan vorherrschenden Bedingungen der
GCG soll im folgenden Kapitel näher betrachtet werden. Dies führt zu Stevensons und
Dryzeks (2012b) Vorschlag einer „Chamber of Discourses“ (ebd.: 13), wie sie von
Dryzek und Niemeyer (2008) in die Diskussion eingeführt wurde.
5.2.4 Demokratische Legitimität über Diskurse
Im dezentralen Politikfeld der GCG, in dem Macht nicht hierarchisch organisiert ist,
weisen Stevenson und Dryzek (2012a; 2012b) den vorzufindenden Diskursen eine
wichtige Rolle bei der Koordinierung und Legitimierung von Regelsetzungsprozessen zu
(Stevenson/Dryzek 2012a: 191; 2012b: 2). Ein Diskurs wird dabei definiert als:
24 In ausführlicher Form wurden diese Bedingungen in Kapitel 4.1 formuliert.
42
„an ensemble of ideas, concepts and categories through which meaning is given to social and
political phenomena, and which is produced and reproduced through an identifiable set of
practices” (Hajer/Versteeg 2005: 175).
In der Repräsentation und der Interaktion der Diskurse sehen Stevenson und Dryzek
Quellen einer Form von deliberativer demokratischer Legitimität, welche sie als
„[d]iscursive legitimacy” (Stevenson/Dryzek 2012b: 2) bezeichnen.25
Ein Kriterium dieser ist die Repräsentation: Im Feld der GCG scheint es nicht
möglich zu sein, allen betroffenen Individuen die ihnen zustehenden Beteiligungsrechte
zu gewähren (siehe Kapitel 5.1). Nach Stevenson und Dryzek (2012b) können aber
Diskurse stellvertretend als Repräsentanten bestimmter Meinungen, Werte oder
Präferenzen fungieren (ebd: 9, 12). Dieser Gedanke zielt also auf die Verbesserung von
demokratischer Legitimität hinsichtlich der Input-Dimension ab: Statt der nahezu
unmöglichen Inkludierung aller Betroffenen Personen, sollen diese über den Weg der
Diskurse, durch welche sie repräsentiert werden, eine Stimme bekommen. Die
Legitimität ließe sich diesem Gedanken nach verbessern, wenn eine Inklusion aller
relevanten Diskurse stattfinden kann und diese gleichermaßen die Chance bekommen in
den entsprechenden Foren und Institutionen abgebildet zu werden (ebd.: 2).
Neben dem Kriterium der Repräsentation spielt aber auch die Interaktion der
Diskurse für das Konzept der discursive legitimacy eine wichtige Rolle. Das bedeutet, die
Rahmenbedingungen sollten so geschaffen sein, dass die Diskurse miteinander in einen
Dialog treten. Denn nur dann, wenn Akteure als Vertreter widerstreitender Diskurse dazu
gezwungen werden, Argumente zu formulieren um sich voreinander zu rechtfertigen,
kann Deliberation stattfinden. Solche Umstände würden zu einer Steigerung
demokratischer Legitimität hinsichtlich der Throughput-Dimension beitragen
(Dryzek/Stevenson 2012b: 2, 13).
Anhand einer Diskursanalyse von fünf verschiedenen Foren rund um die COP-
15 Verhandlungen in Kopenhagen 2009, haben Stevenson und Dryzek (2012a; 2012b)
die wichtigsten Diskurse identifiziert und ihr Verhalten zueinander analysiert. 26 Auf
25 Stevenson und Dryzek definieren discursive legitimacy unter Berufung auf Dryzek (2010) wie folgt:
„Discursive legitimacy can then be said to exist ‚to the extent that engagement and contestation can be
joined by a broad variety of competent actors in public space‘ (Dryzek 2010, pp. 40-41)”
(Stevenson/Dryzek 2012b: 2). Die Kriterien der Repräsentation und Interaktion erwähnen sie dabei nicht
explizit. Diese lassen sich aber aus der Definition ableiten und werden hier zu dem Zweck angeführt, den
weiteren Verlauf des Kapitels verständlicher zu gliedern. 26 Die von Stevenson und Dryzek untersuchten Foren waren im Einzelnen: „the COP-15 side event program
and four prominent non-state summits held during a 12-month period preceding COP-15 and its early
aftermath (World Business Summit on Climate Change, Business for the Environment Summit,
43
dieser Grundlage kritisieren sie die discursive legitimacy der GCG einerseits hinsichtlich
der Repräsentation der Diskurse: Zwar sei von diesen eine große Fülle in der
Öffentlichkeit und in den entsprechenden Foren vertreten, der Diskurs der „Mainstream
Sustainability“ (Stevenson/Dryzek 2012b: 9) sei allerdings, im Verhältnis zu der Gruppe
von Individuen, die er vertritt, überrepräsentiert (ebd.: 9). Zusätzlich üben Stevenson und
Dryzek auch Kritik an einer mangelnden Interaktion der Diskurse. In ihrem Kern lautet
diese, dass in den verschiedenen Kommunikationsforen jeweils unterschiedliche
Diskurse vorherrschend sind und andere kaum Beachtung finden. So beruht
Kommunikation innerhalb der Foren oft nur auf der Grundlage eines oder weniger
Diskurse und es kommt zu selten dazu, dass diese einander direkt herausfordern
(Stevenson/Dryzek 2012a: 201; 2012b: 13).
Ein möglicher Weg diesen Defiziten zu begegnen, besteht nach Stevenson und
Dryzek (2012b) in der Etablierung einer zusätzlichen Institution nach dem Modell einer
„Chamber of Discourses“ (ebd.: 13). Die Idee besteht dabei nicht darin, vorhandene
Institutionen zu ersetzen oder zu reformieren, sondern ist als eine Erweiterung der
momentanen Institutionenlandschaft gedacht (Stevenson/Dryzek 2012b: 14). Die
Chamber of Discourses wäre demnach aus zivilgesellschaftlichen Repräsentanten aller
relevanten Diskurse zusammengesetzt (ebd.: 13).27 Es läge nicht in ihrer Kompetenz,
Entscheidungen zu fällen. Die Aufgabe bestünde vielmehr darin, sich in Form der
Deliberation mit Vorschlägen und Handlungsoptionen auseinanderzusetzen (ebd. 13-14):
“Its task would not be to reach conclusions or recommendations about what should be done, but
rather to ensure that any proposals emanating from the Climate Council or brought to the Chamber
by particular representatives get scrutinized in light of the variety of discourses that can be brought
to bear. This would not just be a mechanical process of running each proposal by each discourse,
but rather ideally a deliberative and reflective process in which participants are amenable to
changing their minds in light of what they hear” (Stevenson/Dryzek 2012b: 13-14).
Die Stärke einer solchen institutionellen Innovation bestünde vor allem in ihrer Fähigkeit,
die unterschiedlichen Diskurse an einen Tisch zu bringen und so die deliberative Qualität
des Entscheidungsprozesses der GCG zu erhöhen (Stevenson/Dryzek 2012b: 14). Es
besteht jedoch auch die Gefahr, dass durch eine solche Institutionalisierung der zivilen
Klimaforum 09, and the People’s World Summit on Climate Change and Mother Earth Rights)”
(Stevenson/Dryzek 2012b: 3-4). 27 Stevenson und Dryzek (2012b) formulieren ihre Idee einer Chamber of Discourses, die sich aus
zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammensetzen soll, parallel zu ihrem Vorschlag eines minilateralen
„Climate Council“ (ebd.: 14), in welchem wiederum staatliche Akteure repräsentiert sein sollen. Letzterer
ist dabei angelehnt an die Ausführungen von Eckersley (2012). An dieser Stelle wird sich auf eine
Darstellung der Chamber of Discourses beschränkt.
44
Öffentlichkeit, sich diese selbst aus dem öffentlichen Raum zurückzieht, da sie sich nun
durch ein entsprechendes Organ repräsentiert sieht. Auch Stevenson und Dryzek (2012b)
weisen deshalb darauf hin, dass die Etablierung einer Chamber of Discourses dem
Aktivismus von Umwelt-NGOs in der breiten Öffentlichkeit keinen Abbruch tun darf
(ebd.: 14).
Nachdem im vorigen Kapitel schon hergeleitet wurde, dass die Frage nach
Deliberation in der GCG vor allem an deren institutionellen Rahmenbedingungen
ansetzen sollte, wurde nun anhand der Überlegungen von Stevenson und Dryzek (2012a;
2012b) ein Beispiel dafür gegeben, wie ein solcher Ansatz aussehen könnte: Aufbauend
auf ihrer Annahme einer discursive legitimacy, kritisieren sie die ungenügend
ausgebildeten Bedingungen für Deliberation in der GCG und legen mit der Idee einer
Chamber of Discourses zugleich einen Entwurf vor, welcher diese institutionellen
Rahmenbedingungen für mehr Deliberation öffnen könnte. Nun gilt es, im folgenden
Kapitel noch einen Blick auf die Output-Dimension demokratischer Legitimität zu
werfen.
5.3 Output-Dimension: Effektivität
Dieser Abschnitt, der eine Betrachtung der Output-Dimension demokratischer
Legitimität in den Mittelpunkt rückt, fällt deutlich kürzer aus als die vorangegangenen
Ausführungen zu Input- und Throughput-Legitimität. Das liegt in der hier vertretenen
Auffassung davon begründet, wie sich die verschiedenen Legitimitätsdimensionen
zueinander verhalten. In vereinfachter Form könnte man diesen Zusammenhang nach den
nun gewonnenen Erkenntnissen wie folgt ausdrücken:
Zum Zweck der Steigerung von Output-Legitimität bilden sich Formen von
Global Governance, was wiederum Defizite auf Seiten der Input-Legitimität zur Folge
hat (vgl. Kapitel 3.4 in dieser Arbeit und Schmalz-Bruns 1999). Deliberative Ansätze
versuchen, diese Defizite mit Hilfe von Throughput-Mechanismen abzuschwächen (vgl.
dazu Kapitel 5.2 in dieser Arbeit und Risse 2007). Vor dem Hintergrund des
Forschungsinteresses der vorliegenden Arbeit ist es deshalb vor allem relevant, die
Defizite der Input-Seite und die Lösungsansätze auf der Throughput-Ebene zu
untersuchen, wie es oben bereits geschehen ist.
Doch auch in diesem Kapitel soll nun noch ein für die Output-Dimension
entscheidendes Kriterium herausgestellt werden: die effektive Problemlösung (im
45
weiteren Verlauf oft nur Effektivität). Dabei wird aufgezeigt, dass auch Global
Governance-Formen unter bestimmten Umständen Gefahr laufen nur wenig effektiv zu
sein (2). Zuerst soll nun aber ein Überblick darüber gegeben werden, welche Kriterien für
die Output-Dimension demokratischer Legitimität eine wichtige Rolle spielen und
weshalb Effektivität im Rahmen dieser Arbeit als besonders relevant erachtet wird (1).
(1) In Kapitel 3.1 wurde die Output-Dimension demokratischer Legitimität nach
Scharpf (1999) bereits als „Herrschaft für das Volk“ (ebd.: 16) bezeichnet. Dahinter steht
die Erwartungshaltung der Bürger an ein politisches System, diejenigen kollektiven
Probleme zu lösen, die von anderen Akteuren – beispielsweise aus Markt oder
Zivilgesellschaft – nicht zufriedenstellend bearbeitet werden können (Scharpf 1999: 20).
Legitimität wird bezogen auf den Output also unter anderem aus dieser
Problemlösungskompetenz heraus generiert (Scharpf 1990: 20; Schmidt 2013: 4). Zur
Umschreibung dieser wird in der Literatur dabei oft der Begriff der Effektivität gebraucht,
so lehnt sich Zürn (2000) an Scharpf an, wenn er Output-Legitimität in äußerst knapper
Form als „acceptance created by system effectiveness“ (Zürn 200: 184) definiert. In
diesem Sinne soll auch hier effektive Problemlösung, oder kurz Effektivität, als zentrales
Kriterium demokratischer Legitimität der Output-Dimension angesehen werden.
Politische Regelungssysteme sollten jedoch nicht nur so eingerichtet sein, dass sie
in der Lage sind, effektive und problemadäquate Lösungen hervorzubringen. Eine ebenso
wichtige Quelle von Output-Legitimität sind festgeschriebene Kontrollmechanismen,
gewisse „checks and balances“ (Scharpf 1999: 23) zwischen den Institutionen, die
Machtmissbrauch verhindern sollen. So stützt sich demokratische Legitimität der Output-
Dimension im Kern auf zwei Kriterien, die potenziell in einem Spannungsverhältnis
zueinanderstehen: Effektivität und Kontrolle (ebd.: 22). Um diesen Anforderungen
gerecht zu werden, muss die Beschaffenheit und das Zusammenspiel der Institutionen so
arrangiert werden, dass sie zugleich Macht schaffen und begrenzen (Scharpf 1998: 90).28
Im diesem Rahmen soll nun das Kriterium der Effektivität herausgestellt werden,
da dieses in der globalen Klimapolitik von zentraler Bedeutung ist. Wie in Kapitel 3.2
gezeigt wurde ist gerade die effektivere Bearbeitung des Politikproblems Klimawandel
die Hauptintention der transnationalen Vernetzung von Klimapolitik und der damit
verbundenen Etablierung der GCG. Dass jedoch auch auf dieser Ebene
Effektivitätsprobleme auftreten können, soll das folgende Beispiel zeigen.
28 Eine Diskussion solcher Mechanismen ist bei Scharpf (1998: 90-92) zu finden.
46
(2) Die Notwendigkeit einer GCG, eines transnationalen Regelungskontextes zur
Begegnung des Politikproblems Klimawandel, wurde in dieser Arbeit bereits ausführlich
besprochen. Demnach ist eine Koordination jenseits der Nationalstaaten für die Lösung
einer solchen Herausforderung unabdinglich. Die Staaten sind gegenseitig auf
Kooperation angewiesen, damit die Effektivität ihrer Maßnahmen gesichert werden kann
(siehe Kapitel 3.2). Im Gegensatz zum geschlossenen politischen System des
Nationalstaates fehlen im transnationalen Raum allerdings übergeordnete institutionelle
Vorkehrungen, deren Aufgabe es ist, die Effektivität des Systems zu sichern. Global
Governance-Formen wie die GCG sind gerade aufgrund der Abwesenheit einer mit dem
Staat vergleichbaren Durchsetzungsmacht „immer relativ instabil und durch Konflikte
gefährdet“ (Benz 2004: 23). Die Instabilität der GCG lässt sich besonders gut am Beispiel
des zähen Ringens um die Ausgestaltung des Kyoto-Protokolls von einer Ratifizierung
der ersten Staaten im Jahr 1997 bis zu dessen offiziellem Inkrafttreten in 2005 beobachten
(vgl. dazu Bulkely/Newell 2015: 28-31). Hervorzuheben ist dabei vor allem der plötzliche
Rückzug der US-amerikanischen Regierung aus den Verhandlungen im Jahr 2001. Bis
heute haben die USA das Protokoll nicht ratifiziert (BMUB 2015c). So wird deutlich,
dass der Faktor der Instabilität eine große Gefahr für die Effektivität der GCG darstellt.
Wirksame Problemlösungen in Bezug auf den Klimawandel werden gerade in dem
Moment schwerer erreichbar, wenn mit den USA der momentan zweitgrößte
Treibhausgasemittent der Welt (BMUB 2015b: 43) sich der Ratifizierung des
rechtsverbindlichen Kyoto-Protokolls bis heute entzieht.
Hoffnungsvoll dürfte in dieser Hinsicht jedoch stimmen, dass erst kürzlich die
USA und China das Pariser Klimaabkommen ratifiziert haben, welches gewissermaßen
den Nachfolger von Kyoto darstellt und ab dem Jahr 2020 völkerrechtlich bindend für
möglichst alle Staaten gelten soll (BMWI 2016).
47
6 Fazit
Im Rahmen dieser Arbeit wurde zunächst hergeleitet, weshalb Global Governance-
Strukturen für eine effektive Bearbeitung des Politikproblems Klimawandel notwendig
werden. Im Anschluss stand das Spannungsverhältnis von Effektivität und
demokratischer Legitimität im Fokus: Dabei wurde eine Argumentation nachvollzogen,
welche die Chance auf Demokratie jenseits des Nationalstaates prinzipiell ausschließt. In
einer Entgegnung auf eine solche Position, entfaltete sich die hier zugrundeliegende
Annahme, wonach es erstens möglich und zweitens erstrebenswert ist, demokratische
Strukturen in inter- und transnationalen Steuerungsprozessen durchzusetzen. Als
geeigneter Ansatz eines solchen Vorhabens wurde daraufhin die deliberative
Demokratietheorie begründet.
Vor dem Hintergrund der Ansprüche dieser Theorie konnten in Kapitel 5 drei
Kriterien legitimer Herrschaft formuliert und diskutiert werden. Dies geschah entlang der
zuvor erörterten drei Dimensionen demokratischer Legitimität: Input, Throughput und
Output. Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere das Input-Kriterium der Inklusivität
von Global Governance-Strukturen nur schwer zu erfüllen ist. Die deliberative
Demokratietheorie, so wurde herausgearbeitet, setzt vor allem am Throughput-Kriterium
der Deliberation an, um die Legitimität zu steigern. Dabei wird angestrebt, die
institutionellen Rahmenbedingungen so einzurichten, dass das Zustandekommen einer
deliberativen Kommunikation im Entscheidungsprozess gefördert wird. Ein
entsprechender Vorschlag zur Verbesserung der demokratischen Legitimität der GCG
wurde mit dem Ansatz einer Chamber of Discourses von Stevenson und Dryzek (2012a;
2012b) vorgestellt. Im Verlauf der Untersuchung hat sich außerdem gezeigt, dass eine
Etablierung von Global Governance-Strukturen ja gerade einer Erhöhung des Output-
Kriteriums der Effektivität zu Gute kommen soll. Doch auch in der effektiven
Problembearbeitung, so wurde anhand eines Beispiels veranschaulicht, können aufgrund
der Instabilität von inter- und transnationalen Steuerungsformen Defizite auftreten.
Der zentrale Anspruch dieser Arbeit bestand in der Herleitung und Erforschung
eines Rahmens zur Untersuchung der demokratischen Legitimität der GCG vor dem
Hintergrund der deliberativen Demokratietheorie. Die drei herausgestellten Kriterien von
Inklusivität, Deliberation und Effektivität markieren die ersten Eckpfeiler eines solchen.
Dabei wurde auch sichtbar, an welchen Stellen tiefergehende Analysen ansetzen können:
Wie schon angedeutet wurde, ist eine Formulierung zusätzlicher Kriterien für
48
umfassendere Betrachtungen durchaus sinnvoll. Auch die theoretische Frage nach einer
angemessenen Definition von Betroffenheit, nach der Bestimmung des transnationalen
demos, konnte hier nur angerissen werden. So stellt der Ansatz von Stevenson und
Dryzek (2012a; 2012b), Individuen durch Diskurse zu repräsentieren, lediglich einen
möglichen Umgang mit diesem Problem dar. Nicht zuletzt wären auch weiterführende
empirische Studien dazu geeignet, Legitimationsprobleme der GCG genauer zu
bestimmen und den theoretischen Lösungsansätzen dadurch neue Richtungsimpulse zu
geben.
Ein erster Blick auf die Empirie wurde auch hier schon unternommen. Dabei
konnten vor dem Hintergrund der erarbeiteten Kriterien verschiedene
Legitimationsprobleme der GCG exemplarisch angeführt werden. Doch auch, wenn
dadurch gezeigt werden konnte, dass die GCG den demokratischen Ansprüchen nicht
vollends gerecht wird, sei zum Schluss angemerkt, dass es nicht die Global Governance-
Strukturen selbst sind, die eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Das Problem besteht
vielmehr in den zunehmend global auftretenden und zu bearbeitenden
Herausforderungen, für welche der Klimawandel ein Beispiel darstellt. Inter- und
transnationale Steuerungssysteme sind schlicht notwendig, um diesen zu begegnen und
in diesem Sinne auch erstrebenswert (vgl. Zürn 2000: 190). Diese allerdings zu
demokratisieren, ist eine gleichsam schwierige wie wichtige Aufgabe für Politik und
Zivilgesellschaft. Einige Kriterien und Bedingungen eines solchen Vorhabens konnten
im Rahmen dieser Arbeit markiert werden.
49
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