Der Bologna-Prozess aus Sicht der
Hochschulforschung
Analysen und Impulse für die Praxis
Sigrun Nickel (Hg.)
gefördert vom
Arbeitspapier Nr. 148
September 2011
CHE gemeinnütziges Centrum für Hochschulentwicklung
Verler Straße 6
D-33332 Gütersloh
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Internet: www.che.de
ISSN 1862-7188 ISBN 978-3-941927-18-6
Arbeitspapier Nr. 148
September 2011
Der Bologna-Prozess aus Sicht der
Hochschulforschung
Analysen und Impulse für die Praxis
Sigrun Nickel (Hg.)
gefördert vom
Arbeitspapier Nr. [XXX]
[Monat Jahr]
Grußwort | Seite 4
Grußwort
Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF)
Eine Gesellschaft, die sich der außerordentlichen Bedeutung von
wissenschaftlicher Qualifikation und exzellenter Forschung bewusst ist, muss
auch über möglichst viel Wissen darüber verfügen, wie diese zentralen
Ressourcen entstehen und welche institutionellen Rahmenbedingungen
besonders förderlich sind. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die
Hochschulen, die mit ihrer Doppelfunktion Lehre und Forschung das
Herzstück des Wissenschaftssystems darstellen.
So bin ich überzeugt davon, dass eine theoriegeleitete und empirisch fundierte Forschung
über Hochschulen wichtiges und wegweisendes Gestaltungswissen für die Hochschulpraxis
und Hochschulpolitik liefert.
Ein intensiver Ergebnistransfer hat vor diesem Hintergrund im BMBF-Förderschwerpunkt
Hochschulforschung einen besonderen Stellenwert. Die vom Centrum für Hochschul-
entwicklung (CHE) im Dezember 2010 ideenreich und professionell organisierte Tagung „Der
Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung – Analysen und Impulse“ präsentierte
Ergebnisse aus der Hochschulforschung zu zentralen Fragestellungen im Zusammenhang
mit dem noch laufenden Reformprozess.
Die nationale Hochschulforschung zeigt mit dem vorliegenden Tagungsband, dass sie die in
sie gesetzten Erwartungen erfüllt: Sie liefert empirische Evidenz, wo bislang feuilletonistische
Eindrücke überwogen. Sie kann so nachweisen, dass in Bezug auf „Bologna“ die Lage an
den deutschen Hochschulen deutlich besser ist als oftmals öffentlich behauptet. Sie
versachlicht somit die – in den letzten Jahren manchmal hitzig geführte – allgemeine
Hochschuldebatte. Das ist auch für die politische Konsensfindung von erheblicher
Bedeutung.
Sie belegt aber darüber hinaus auch klar, dass die Qualität der Lehre noch wesentlich
verbessert werden muss und zeigt dafür – exemplarisch – Handlungsfelder und Lösungs-
ansätze auf.
Insgesamt stellen die Vertreter und Vertreterinnen der Hochschulforschung eindrucksvoll
unter Beweis, dass sie kreativ und konstruktiv an der Modernisierung unserer Hochschulen
mitwirken. Dafür danke ich ausdrücklich.
Inhalt | Seite 5
Inhalt
Grußwort
Thomas Rachel 4
Einführung
Zwischen Kritik und Empirie – Wie wirksam ist der Bologna-Prozess?
Sigrun Nickel 8
Deutschland und Europa im Vergleich
Die Revolution blieb aus: Überblick über empirische Befunde zur Bologna-
Reform in Deutschland
Martin Winter 20
Wirkungen von Bologna auf Studierende: Eine Bestandsaufnahme in 48
Hochschulsystemen
Johanna Witte, Don F. Westerheijden, Andrew McCoshan 36
Where does Germany stand in international comparison?
Barbara M. Kehm 50
Studiengestaltung und Studierverhalten
Stand und Perspektiven bayerischer Bachelorstudiengänge – Eine
exemplarische Untersuchung
Gabriele Sandfuchs, Johanna Witte, Sandra Mittag 58
Die tatsächliche Workload im Bachelorstudium. Eine empirische Untersuchung
durch Zeitbudget-Analysen
Christiane Metzger, Rolf Schulmeister 68
Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung an der Leibniz Universität
Hannover
Rüdiger Rhein, Tanja Kruse 79
Bachelor auf Erfolgskurs!? Eine Überprüfung einzelner Reformziele anhand von
Daten aus dem CHE-HochschulRanking
Isabel Roessler 88
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden
Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses – Eine Expertise der
Hochschuldidaktik
Firat Ceylan, Janina Fiehn, Nadja-Verena Paetz, Silke Schworm, Christian Harteis 106
Seite 6 | Inhalt
Mythos guter Lehre, individuelles Coaching und die Wirksamkeit
genderintegrativer Lehrinterventionen
Sigrid Metz-Göckel, Marion Kamphans, Christiane Ernst, Anna Funger 123
Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre – empirische Erkenntnisse
Isa Jahnke, Tobias Haertel, Michael Winkler 138
Subjektive Kreativitätsverständnisse bei Lehrenden an der Universität.
Erziehungswissenschaft und Informatik im Vergleich. Eine empirische Studie.
Angela Carell, Alexandra Frerichs 153
Studienerfolg aus Studierendensicht – Ergebnisse der ersten Erhebungswelle
des Projekts USUS
Margret Bülow-Schramm, Marianne Merkt, Hilke Rebenstorf 167
Wie sehen Studierende das Verhältnis von Studium und Beruf? Praxisbezug und
Professionalität in den Subjektiven Theorien Studierender
Mechthild Oechsle, Ingrid Scharlau, Gudrun Hessler, Kathrin Günnewig 178
Institutionelle Rahmenbedingungen
Lehre unter den Forschungshut bringen… – Empirische Befunde zu multipler
Zielverfolgung und Zielkonflikten aus Sicht von Hochschulleitungen und
Nachwuchswissenschaftler(inne)n
Wiebke Esdar, Julia Gorges, Katharina Kloke, Georg Krücken, Elke Wild 192
Professionalisierung der Universitäten an den Schnittstellen von Lehre,
Forschung und Verwaltung
Nadine Merkator, Christian Schneijderberg 204
Qualitätsentwicklung und -steuerung
Nach der Reform ist vor der Reform – Studienqualität vor und nach Bologna
Tino Bargel 218
„Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen – Ein
empirischer Einblick in Lehrkonzepte, Steuerungsphilosophien, Motivlagen,
Anreizsysteme und Inplacement-Maßnahmen
Fred G. Becker, Elke Wild, Wögen Tadsen, Ralf Stegmüller 226
Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder auf die Qualität
der Hochschullehre
Dieter Dohmen, Justus Henke 240
Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation als Instrument der
Reformgestaltung
Dries Vervecken, Anna Spexard, André Nowakowski, Edith Braun 257
Qualitätssteuerung und hochschuldidaktische Kompetenzentwicklung
Matthias Heiner 271
Inhalt | Seite 7
Ausblick
Überlegungen zum besseren Austausch zwischen Bologna-Forschung und
Bologna-Praxis
Frank Ziegele, Melanie Rischke 283
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 287
Seite 8 | Zwischen Kritik und Empirie – Wie wirksam ist der Bologna-Prozess?
Einführung
Zwischen Kritik und Empirie – Wie wirksam ist der
Bologna-Prozess?
Sigrun Nickel
1. Schon wieder eine Publikation zur Bologna-Reform…
… der Gedanke mag so manchem Leser/mancher Leserin in den Kopf kommen angesichts
des vorliegenden Bandes. Wieso also sollten Sie ausgerechnet diese Veröffentlichung lesen,
auch wenn schon so viel zum Thema geschrieben wurde? Dafür gibt es vor allem ein
Argument: Die hier versammelten Beiträge geben einen Überblick über empirisch
gewonnene Daten und Analysen zu den Wirkungen des bislang umfassendsten
Studienrefomprojekts in der Geschichte der Hochschulen. Wurde die Diskussion bislang
vorrangig auf Basis subjektiver Meinungen und Eindrücke geführt, liegen nun erste
Forschungsergebnisse vor. Maßgeblich dazu beigetragen hat eine Reihe wissenschaftlicher
Projekte, welche vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der
Förderlinie „Empirische Bildungsforschung“ finanziert wird. Aber auch darüber hinaus haben
Hochschulforschungsinstitute Untersuchungen durchgeführt, um Faktenwissen über die
Effekte des Bologna-Prozesses herzustellen. So v.a. das Institut für Hochschulforschung
Wittenberg (HoF), das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschul-
planung (IHF), das Internationale Zentrum für Hochschulforschung (INCHER) Kassel, die AG
Hochschulforschung an der Universität Konstanz, das Hochschulinformations-System (HIS)
und das gemeinnützige Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Um der Öffentlichkeit
einen Einblick in die bisher gewonnenen Erkenntnisse der Bologna-Forschung zu geben,
fand im Dezember 2010 eine zweitägige Veranstaltung in Berlin statt. Ziel war, aus der
Datenfülle wesentliche Analysen herauszugreifen und diese für die weitere Gestaltung der
Hochschulpraxis nutzbar zu machen. Daraus ist die vorliegende Publikation entstanden.
Der Hauptfokus der insgesamt 21 Beiträge liegt auf den Entwicklungen im deutschen
Hochschulbereich. Da aber die Bologna-Reform ein europäisches Projekt ist, an dem
inzwischen 47 Staaten beteiligt sind, werden die im nationalen Kontext gewonnenen
Erkenntnisse auch mit den internationalen Entwicklungen in Beziehung gesetzt. Die
Themenauswahl soll deutlich machen, dass der Bologna-Prozess weit mehr ist als eine
bloße Studienstrukturreform, nämlich ein tief greifender Organisations- und Personalent-
wicklungsprozess. Entsprechend enthält der Band neben Analysen und Praxisempfehlungen
vor allem Reflexionen zur Veränderung von Lehr- und Lernverhalten sowie zur Gestaltung
von institutionellen Rahmenbedingungen und Managementprozessen.
2. Die Kritik und ihre Hintergründe
Als die europäischen Bildungsminister(innen) 1999 im italienischen Bologna beschlossen,
einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen, klang eigentlich alles relativ
einfach: In nur zehn Jahren, d.h. von 2000 bis 2010, sollten vergleichbare Studienstrukturen
nach angelsächsischem Vorbild (Bachelor/Master) und die innereuropäische Anerkennung
von Studienleistungen auf Basis einheitlicher Qualitätsnormen geschaffen werden.
Mittlerweile ist klar, dass sowohl das zeitliche Ziel nicht eingehalten werden konnte, als auch
Einführung | Seite 9
dass die Veränderungsprozesse in den Hochschulen weitaus komplexer sind als gedacht.
Insofern wundert es nicht, dass die Bologna-Reformen Kritik, Unverständnis und Gegenwehr
auslösen. Die Vehemenz jedoch, mit der diese Auseinandersetzungen geführt werden, ist
bemerkenswert.
Wer die bisherigen Veröffentlichungen zur Umsetzung des Bologna-Prozesses in
Deutschland sichtet, stößt fast ständig auf apokalyptisch-reißerisch klingende Titel wie
„Humboldts Alptraum“ (Schultheis et al. 2008), „Endstation Bologna?“ (Keller et al. 2010)
oder „Akademischer Kapitalismus“ (Münch 2011). In zahllosen Büchern und Artikeln wird der
Untergang der Universität beschworen, ausgelöst durch die Einführung gestufter
Studienstrukturen, durch Kreditpunktsysteme, der Modularisierung des Curriculums, durch
Qualitätssicherungsinstrumente sowie die stärkere Ausrichtung der Lerninhalte auf die
Vermittlung beruflich relevanter Kompetenzen. Wohlgemerkt, die Rede ist in diesen
Beiträgen vorrangig von „der Universität“ und nicht von „der Fachhochschule“. Während die
Hochschulen für angewandte Wissenschaften die Bologna-Reformen offenbar pragmatisch-
unauffällig umsetzen, ist im Universitätsbereich ein laustarker Kulturkampf zwischen
Bologna-Gegner(inne)n und Bologna-Befürworter(inne)n ausgebrochen: „Die ‚Bologneser„
sehen sich selbst als ‚progressiv„ im positiven Sinne an: Sie erkennen die Zeichen der Zeit.
Von den ‚Humboldtianern„ werden sie hingegen als mutwillige Zerstörer einer gesunden
Tradition eingestuft (…). Sich selbst attestieren die ‚Humboldtianer“ demgegenüber,
‚konservative„ Wahrer eben dieser kerngesunden Tradition zu sein (…)“ (Schimank 2010, S.
50).
Die Frage, warum die Bologna-Reform derart heftig geführte Debatten auslöst, lässt sich in
drei Richtungen beantworten:
Betonung von Anwendungsorientierung
Wie bereits angeklungen, handelt es sich beim Bologna-Prozess ursprünglich um
eine Initiative der Politik und nicht um eine, die von den Hochschulen selber
ausgegangen ist. Hintergrund war die Idee, Europa im Eiltempo als gemeinsamen
Wirtschafts- und Kulturraum zu profilieren. Ein wesentliches Desiderat war deshalb
ein höherer Output an hochqualifizierten Arbeitskräften. Die Nachfrage nach
Hochschulabsolvent(inn)en auf dem Arbeitsmarkt stieg stetig. Als Gründe dafür
wurden vor allem „die Verbreitung wissens- und wissenschaftsbasierter Tätigkeiten
in allen Bereichen, die sprunghaft gewachsene Bedeutung von Informations-
technologien und deren Anwendungen, höhere Anforderungen an außerfachliche
Sozialkompetenzen […], der Abbau von Organisationshierarchien und die Zunahme
von Projekt- und selbständiger Tätigkeit“ genannt (Cortina et al. 2003, S. 622).
Dennoch waren laut eines Berichts des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung
insbesondere die Absolvent(inn)en von Universitäten verhältnismäßig schlecht auf
ihre Berufstätigkeit vorbereitet (vgl. ebd.). In Folge dessen sollte nun verstärkt die
„Employability“ (Beschäftigungsfähigkeit) der Studierenden gefördert werden. Was
in den ohnehin anwendungsorientierten Fachhochschulen bereits zum
Selbstverständnis und damit zum Alltagsgeschäft gehörte, stieß im universitären
Milieu auf erhebliche Kritik, die bis heute anhält. Mit seiner Forderung nach einer
größeren Praxisnähe des Studiums greift der Bologna-Prozess ein historisch
gewachsenes wissenschaftliches Selbstverständnis an, wonach Lehre und
Forschung frei und nicht der unmittelbaren Verwertung verpflichtet sind. Damit ist
ein wesentliches Element universitärer Identität berührt.
Seite 10 | Zwischen Kritik und Empirie – Wie wirksam ist der Bologna-Prozess?
Stärkere Rolle von Lehre und Studium
Die Lehre spielt in Universitäten traditionell eine weit geringere Rolle als in
Fachhochschulen. Das wissenschaftliche Reputations- und Karrieresystem honoriert
in erster Linie Erfolge in der Forschung und sieht die Lehre quasi als Kuppelprodukt:
„Die Erziehung partizipiert am Prestige der wissenschaftlichen Forschung“
(Luhmann 1987, S. 205). Die Implementierung der Bologna-Reformen verlangt von
Universitäten jedoch, Zeit und Energie in einen Bereich zu investieren, der für sie
erst an zweiter Stelle kommt: „Als Professor definiert man den eigenen Wert über
die knappere zugeschriebene persönliche Eigenschaft, versteht sich also in erster
Linie als Forscher und erst nachrangig als Lehrender“ (Schimank 2010, S. 52). Vor
diesem Hintergrund wird auch klar, warum zahlreiche Versuche, die Professoren-
schaft für den Besuch hochschuldidaktischer Aus- und Fortbildungen zu gewinnen,
in den zurückliegenden Jahrzehnten wenig erfolgreich verliefen. Nun aber setzt die
Bologna-Reform auch in diesem Punkt einen Gegenimpuls, indem sie
Anforderungen an eine spezifische Lehr- und Lernkultur stellt: An die Stelle einer
vornehmlich angebotsorientierten Lehre soll eine Lehre rücken, die sich stärker an
den Bedürfnissen der Studierenden orientiert. Das bedeutet, die Lehre soll
Studierende aktivieren, Lernziele sollen klar und nachvollziehbar offengelegt
werden, die Zusammenfassung einzelner Lehrveranstaltungen zu Modulen soll
größere Zusammenhänge deutlich machen, in Seminaren und Vorlesungen soll statt
reiner Wissens- ebenso eine Kompetenzvermittlung stattfinden. Für die meisten
Hochschulen bedeutet die Umsetzung dieser Punkte nicht weniger als einen
didaktischen Paradigmenwechsel. Dafür ist ein immenser Aufwand nötig, der aus
Sicht von Lehrenden die verfügbaren zeitlichen und personellen Ressourcen oft
immens übersteigt.
Mehr Gewicht für Organisation und Management
Schließlich erhält auch das Thema „Organisation“ durch die Bologna-Reform mehr
Gewicht. Das gilt für Universitäten und Fachhochschulen in ähnlicher Weise. So
sind die Anforderungen an die Studien- und Prüfungsorganisation deutlich
gestiegen. Mussten sich Studierende ihren Weg bis in die 1990er Jahren hinein
noch vorwiegend selber und in einem z.T. sehr zeitintensiven Prozess durch das
curriculare Angebot suchen, sollen sie heute mittels eines strukturierten Lehrplans
und einem studienbegleitenden Prüfungssystem in einem verlässlichen Zeitrahmen
zum Abschluss geführt werden. In Folge dessen steigt der Bedarf an Personal,
welches sich um diese Organisationsfragen kümmert. Neue Jobs entstehen wie
beispielsweise Studiengangmanager(innen), Fakultätsmanager(innen) oder
Qualitätsmanager(innen). Vor allem das zuletzt genannte Berufsfeld boomt, was der
Tatsache geschuldet ist, dass aufgrund europäischer und nationaler Vorgaben der
Einsatz von Qualitätssicherungsverfahren bezogen auf Studium und Lehre immens
zugenommen hat. Diese Entwicklung hat auch Konsequenzen für die Hochschul-
leitungen. Ihnen obliegt es, institutionelle Rahmenbedingungen für gutes Lehren
und Lernen zu schaffen sowie mit Hilfe von Steuerungs- und Anreizinstrumenten
eine möglichst hohe Qualität der Lehrleistungen von Wissenschaftler(inne)n zu
stimulieren. Insgesamt fließen erhebliche zeitliche und personelle Ressourcen in
Organisations- und Managementaufgaben, was von den Kritiker(inne)n jedoch nicht
als notwendig oder gar entlastend empfunden, sondern mit Bürokratie gleichgesetzt
Einführung | Seite 11
wird: „Nachdem die „Euro-Bürokratie“ die vermeintlichen Krümmungsvorgaben für
Bananen, die Aufbewahrungspflicht für Gartenfackeln im Waffenschrank und die
Größe der Warnhinweise auf Zigarettenschachteln festgelegt hätte, würden jetzt
eben auch die Universitäten im Rahmen des neoliberalen Umbaus zu einem
Bürokratie-Moloch mit ausgefeilten Kontrolltechniken umgebaut“ (Kühl 2001, S. 7).
3. Empirische Erkenntnisse und Anregungen für die Praxis
Angesichts der skizzierten politisch-emotionalen Aufladung aber auch der anspruchsvollen
Zielsetzung der Bologna-Reform ist es reizvoll, empirisch zu überprüfen, ob und wie sich die
Realität tatsächlich verändert hat. Dies geschieht in der vorliegenden Publikation in den
nachfolgend überblicksartig dargestellten fünf Kapiteln, welche wesentliche Themenfelder
und damit auch Kritikpunkte des Bologna-Prozesses aufnehmen.
3.1. Deutschland und Europa im Vergleich
Schon das erste Kapitel in diesem Band kommt eher zu einem nüchternen Ergebnis: „Die
Revolution blieb aus“, so die Quintessenz von Martin Winter in seinem Review ausgewählter
empirischer Befunde zur Einführung der Bachelor-/Masterstudiengänge in Deutschland. So
zeigen die zur Verfügung stehenden Studien u.a., dass die Implementierung des gestuften
Studiensystems häufig nicht mit einer substanziellen Veränderung des Curriculums
einhergeht, sondern dass die Tendenz besteht, bestehende Diplom- und Magisterstudien-
gänge ohne größere Anpassungen in zwei aufeinander aufbauende Teile zu splitten. Der
Umbruch der formalen Struktur reicht jedoch nicht aus, um automatisch auch das Lehr- und
Studierverhalten zu verändern, sondern dieses bedarf gesonderter Anstrengungen. Eine
weitere wesentliche Erkenntniss, die Winter aus dem zur Verfügung stehenden empirischen
Material herausfiltert, ist, dass das Ziel der KMK, den Bachelorabschluss als Regelabschluss
im deutschen Hochschulsystem zu etablieren, bislang nicht erreicht wurde. Die Tendenz
geht zum (konsekutiven) Weiterstudium nach dem Bachelorabschluss, wobei diese an den
Universitäten ausgeprägter ist als den Fachhochschulen und zudem auch fächerspezifische
Unterschiede sichtbar werden.
Ähnlich klare Aussagen über den Umsetzungsstand der Bologna-Reformen in allen 47
beteiligten Staaten zu treffen, ist ungleich schwerer, wie Johanna Witte, Don F.
Westerheijden und Andrew MacCoshan in ihrer gesamteuropäischen Bestandsaufnahme
feststellen. Die Vergleichbarkeit der Hochschulsysteme ist nach wie vor nicht in dem Maße
gegeben, wie von der EU-Kommission erhofft. Auch wenn die neuen Studienstrukturen und
Instrumente formal weitgehend implementiert sind, bleiben die institutionellen, finanziellen,
kulturellen und nicht zuletzt auch die politischen Bedingungen in den Ländern nach wie vor
auffallend unterschiedlich. Entsprechend heterogen sind auch die erkennbaren Wirkungen,
welche die Bologna-Reform in den Jahren 2000-2010 auf Studierende gehabt hat.
Eindeutige Hinweise gibt es hingegen dafür, dass das Erreichen eines übergreifenden
politischen Ziels, nämlich die Profilierung des Europäischen Hochschulraumes als „Marke“
auf dem globalen Bildungsmarkt, gut funktioniert hat: Im Vergleich zur Vor-Bologna-Periode
konnten die europäischen Hochschulen deutlich mehr Studierende aus dem nicht-
europäischen Ausland anziehen. Deutschland profitiert davon sogar überdurchschnittlich, so
Barbara M. Kehm in ihrem Beitrag zur Einordnung des nationalen Entwicklungsstandes in
den europäischen Kontext. Das bundesrepublikanische Hochschulsystem bildet gemeinsam
Seite 12 | Zwischen Kritik und Empirie – Wie wirksam ist der Bologna-Prozess?
mit Großbritannien und Frankreich eine „golden triangle“ der Bologna-Staaten, welche den
höchsten Anteil nicht-europäischer Studierender aufweist. Zugleich gehören die deutschen
Hochschulen ebenfalls zur Spitzengruppe, was ihre Attraktivität für Studierende aus dem
europäischen Ausland anbelangt. Dabei nimmt die Mobilität europäischer Studierender
innerhalb des Studiums („ECTS mobility“/Auslandssemester) insgesamt eher ab, während es
eine zunehmende Tendenz gibt, an einer ausländischen Hochschule einen Abschluss zu
erwerben („degree mobility“). Dabei erfolgt der Wechsel an eine ausländische Hochschule
überwiegend erst nach Abschluss des Bachelorstudiums, d.h. die „degree mobility“ bezieht
sich in erster Linie auf das Masterstudium. Damit setzt sich auf europäischer Ebene ein
Trend fort, der innerhalb Deutschlands beobachtbar ist. Auch auf nationaler Ebene
konzentriert sich die Studierendenmobilität vorwiegend auf die zweite Studienstufe.
Gesamteuropäisch gesehen ist durch den Bologna-Prozess also formal zwar viel in Gang
gekommen, doch bleiben noch viele Baustellen und Fragen offen. Welche Erkenntnisse
bringt hier ein vertiefter Blick auf den Entwicklungsstand in deutschen Hochschulen?
3.2. Studiengestaltung und Studierverhalten
Da ist zunächst die Frage, wie sich Studiengestaltung und das dadurch bedingte
Studierverhalten im Zuge der Einführung von Bachelor-/Masterstudiengängen verändert
haben. In ihrer Untersuchung zur Gestaltung von Bachelorstudiengängen an bayerischen
Hochschulen kommen Gabriele Sandfuchs, Johanna Witte und Sandra Mittag zu dem
Schluss, dass die gestufte Studienstruktur inzwischen zwar grundsätzlich akzeptiert ist, doch
vor allem in den Bereichen Transparenz, Modularisierung, studienbegleitendes Prüfungs-
system, Lernziele, Anerkennung extern erworbener Leistungen und Teilzeitstudium weiterer
Handlungsbedarf besteht. Was die häufig kritisierte Überfrachtung der Bachelorstudiengänge
mit Lernstoff und Prüfungen anbelangt, so haben Christiane Metzger und Rolf Schulmeister
mit Hilfe von Zeitbudget-Analysen herausgefunden, dass der tatsächliche Workload von
Studierenden bei weitem nicht die überbordenden Dimensionen angenommen hat, wie
vielfach angenommen. Im Gegenteil ist der messbare Arbeitsaufwand mit 20-27 Stunden pro
Woche als eher niedrig einzustufen. Dennoch konstatieren auch Metzger/Schulmeister, dass
sich Studierende subjektiv häufig unter Druck gesetzt fühlen, und zwar nicht nur durch das
studienbegleitende Prüfungssystem, welches u.a. zur Ausdünnung des Selbststudiums führt,
sondern auch durch die Tatsache, innerhalb einer Woche eine Vielfalt an Themen bearbeiten
zu müssen. Um hier Abhilfe zu schaffen empfehlen sie u.a. eine Organisation der Lehre in
Blockphasen, eine den neuen Studienbedingungen angepasste hochschuldidaktische
Ausbildung von Lehrenden sowie Seminare für Studierende im Zeit- und Selbstmanagement.
Letzteres könnte auch eine Maßnahme im Rahmen einer kompetenzorientierten
Studiengangentwicklung sein, wie sie Rüdiger Rhein und Tanja Kruse vorstellen. Am
Beispiel der Universität Hannover zeigen sie, wie mit Hilfe eines praxiserprobten Konzepts in
Studiengängen unterschiedlicher Fachrichtungen die Verbindung von Wissenschafts- und
Berufsorientierung funktionieren kann. Dabei wird auch deutlich, dass ein verändertes
Verständnis hochschulinterner Planungsprozesse nötig ist. Studiengangsentwicklung wie sie
an der Uni Hannover betrieben wird, enthält viele Elemente institutioneller
Selbstbeforschung. Aus Sicht der Studierenden jedenfalls scheinen die vielfältigen
Bemühngen um eine veränderte Studiengestaltung insgesamt positivere Wirkungen zu
entfalten, als die öffentliche Debatte oft vermuten lässt. Zu diesem Schluss kommt Isabel
Roessler in ihrem empirischen Vergleich von Studienangeboten neuer und alter Art.
Einführung | Seite 13
Ausgewertet wurden Befragungsergebnisse von insgsamt 94.000 Studierenden aus
Bachelor-, sowie Diplom- und Magisterstudiengängen in den Fächergruppen Gesellschafts-,
Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften. Das Ergebnis ist überraschend klar: Die neuen
Studienformen schneiden gegenüber den alten durchschnittlich besser ab. Das gilt
insbesondere für das gesellschaftswissenschaftliche Studium an Universitäten. Hier punkten
die Bachelorstudiengänge vor allem durch ihren erhöhten Praxis- und Berufsbezug.
3.3. Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden
Obwohl im deutschen Hochschulsystem bei der Umsetzung der Bologna-Reformen
zweifelsohne eine Reihe von Fehlentwicklungen zu beobachten ist, lassen sich dennoch
bemerkenswert viele positive Effekte für Studierende erkennen. Möglicherweise dazu
beigetragen hat auch der vom Bologna-Prozess intendierte Paradigmenwechsel hin zu einer
studierendenzentrierten, aktivierenden und kompetenzorientierten Lehre. Eine zentrale
Frage der Forschung zu Bologna ist deshalb, wie sich die didaktischen Anforderungen an die
Lehrenden verändert haben, vor allem auch mit Blick auf die gewachsene Bedeutung der
Kompetenzförderung bei Studierenden.
Konkrete Hinweise dazu geben Firat Ceylan, Janina Fiehn, Nadja-Verena Paetz, Silke
Schworm und Christian Harteis. Im Rahmen einer Delphi-Studie haben sie ermittelt, welches
die wichtigsten Kompetenzen in Lehre, Prüfung und Selbstverwaltung unter Bologna-
Bedingungen sind. Dabei sticht hervor, dass Fachwissen, Selbstreflexion und Kompetenz-
orientierung sowohl als Merkmale guter Lehre als auch guter Prüfungen gesehen werden.
Eine weitere zentrale Erkenntnis ist, dass die Ziele der Bologna-Reform von den Befragten
grundsätzlich positiv gesehen werden. Kritisiert wird hingegen die Art und Weise ihrer
Implementierung, die häufig top-down erfolgt und dadurch den Widerstand der Lehrenden
hervorruft. Was die hochschuldidaktische Unterstützung der Lehrenden anbelangt, so wird
mehr individuelle Beratung empfohlen. Genau hier setzen Sigrid Metz-Göckel, Marion
Kamphans, Christiane Ernst und Anna Funger mit ihrem Forschungsprojekt an. In dessen
Mittelpunkt steht die Entwicklung eines Coachings mit dem Ziel, auf Basis von
teilnehmenden Beobachtungen gemeinsam mit den Lehrenden das Verhalten in Seminaren
und Vorlesungen zu reflektieren sowie bei Bedarf Problemlösungen zu finden.
Voraussetzung für dessen Wirksamkeit ist, dass es gelingt, eine Vertrauensbasis zwischen
Coach und Lehrendem/Lehrender aufzubauen. Das Verfahren wird seit einiger Zeit praktisch
erprobt und stößt nach den bisherigen Erfahrungen auf weit mehr Akzeptanz als
herkömmliche hochschuldidaktische Seminare.
Kompetenzorientierung zählt zwar inzwischen zu den zentralen Merkmalen guter Lehre,
doch inwieweit diese tatsächlich schon umgesetzt wird, ist eine offene Frage. Um hier Licht
ins Dunkel zu bringen, analysieren Isa Jahnke, Tobias Haertel und Michael Winkler die
Kompetenzvermittlung am Beispiel der Kreativitätsförderung. Dabei unterscheiden sie
zwischen sechs Facetten, die laut einer Befragung von Professor(inn)en in den
Lehrveranstaltungen in unterschiedlicher Weise zum Tragen kommen: So gaben 50 % an,
reflektierendes Lernen, selbstständiges Arbeiten, (Forschungs-)Neugier, Begeisterung,
Lernmotivation und kreierendes Lernen zu fördern, aber nur 30 bzw. 20 % vermitteln neue
Denkkulturen oder die Entwicklung neuer Ideen. Damit Lehrende Kreativität bei
Studierenden fördern können, müssen sie auch selber kreativ sein, so ein wesentliches Fazit
der Untersuchung von Angela Carell und Alexandra Frerichs. Als besonders wichtigen
kreativitätsfördernden Faktor geben die von ihnen befragten Lehrenden der Fachrichtungen
Seite 14 | Zwischen Kritik und Empirie – Wie wirksam ist der Bologna-Prozess?
Informatik und Erziehungswissenschaften ein gutes Arbeitsklima an, doch nur 60 % sehen
sich in ein solches eingebettet. Hier besteht demnach Handlungsbedarf.
Werden Studierende gefragt, welche Lehre ihnen den größten Lernerfolg bringt, nennen sie
vor allem zwei Arten: Eine wissenschaftsorientierte Lehre, die auf Forschung verweist oder
zu eigener Forschung anhält, und eine zuwendungsintensive Lehre, bei der die persönliche
Betreuung und Ansprache im Vordergrund steht, so eines der Hauptergebnisse des
Forschungsprojekts von Margret Bülow-Schramm, Marianne Merkt und Hilke Rebenstorf. Die
Wissenschaftlerinnen können zudem nachweisen, dass die soziale Herkunft für den
Studienerfolg eine weit geringere Rolle spielt als bisher angenommen. Hingegen haben
Personen, die vor der Aufnahme eines Studiums Berufserfahrung sammeln konnten, Vorteile
beim Erwerb von entsprechendem Professionswissen. In Ergänzung dazu geben Mechthild
Oechsle, Ingrid Scharlau, Gudrun Hessler und Kathrin Günnewig Einblick in empirische
Befunde zu den Erwartungen Studierender an die Vermittlung von Berufs- und Praxiswissen.
Demnach entwickeln Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen ebenso unterschiedliche
Vorstellungen, was Professionalität innerhalb und außerhalb der Wissenschaft bedeutet.
Entsprechend variiert auch der Bedarf nach Praxisbezug im Studium. Für die Gestaltung der
Lehre impliziert das, dass nur auf Basis einer möglichst genau reflektierten Definition von
„Berufsfähigkeit“ entsprechend differenzierte, fachspezifische Angebote gemacht werden
können. Dazu geben die Forscherinnen Anregungen.
3.4. Institutionelle Rahmenbedingungen
Die studiengangbezogenen und didaktischen Reformprojekte führen eindrucksvoll vor
Augen, wie vielschichtig und mehrdimensional der laufende Veränderungsprozess ist. Er
betrifft weite Teile der Institution, und zwar nicht nur vorrübergehend, sondern auf längere
Sicht. Um unter diesen Voraussetzungen handlungsfähig sein zu können, benötigen
Hochschulen eine adäquate interne Koordination und Organisation oder anders ausgedrückt
geeignete institutionelle Rahmenbedingungen.
Für deren Schaffung sind vor allem die Hochschulleitungen verantwortlich. Dabei fällt den
Mitgliedern von Rektoraten bzw. Präsidien oftmals die schwierige Aufgabe zu, zwischen den
individuellen Interessen des wissenschaftlichen Personals und den Interessen der Institution
vermitteln zu müssen. Wie bereits dargestellt, ist ein besonders vehement ausgetragener
Zielkonflikt der der unterschiedlichen Gewichtung von Forschung und Lehre: Während die
Bologna-Reformen auf eine Aufwertung von Lehre und Studium abzielen und von den
Wissenschaftler(inne)n entsprechend verlangen, diesem Bereich mehr Aufmerksamkeit zu
widmen, honoriert das wissenschaftliche Reputationssystem in erster Linie Forschungs-
erfolge. Wie mit dieser Situation umzugehen ist, analysieren Wiebke Esdar, Julia Gorges,
Katharina Kloke, Georg Krücken und Elke Wild. Dabei konzentrieren sie sich auf die Gruppe
der Nachwuchswissenschaftler(innen). Diese sind mit Lehraufgaben häufig stark belastetet,
stehen aber zugleich unter hohem forscherischen Leistungsdruck, weil sie ihre Karriere noch
vor sich haben. Mit den daraus resultierenden Zeitproblemen fühlen sich die
Nachwuchswissenschaftler(innen) häufig alleine gelassen, worunter sowohl die Forschungs-
als auch die Lehraktivitäten leiden. Das wiederum kann nicht im Interesse der Institution
„Hochschule“ sein. Um diesen Zielkonflikt zu lösen, könnten sich Hochschulleitungen
beispielsweise für die Verabschiedung von Leitsätzen für eine Betreuungskultur in den
Fakultäten einsetzen oder Regelungen zur Arbeitszeitverteilung schaffen, so die
Empfehlungen des Forscherteams. Wichtig ist es aus ihrer Sicht vor allem, für eine bessere
Einführung | Seite 15
Balance zwischen fremd- und selbstbestimmten Zielen zu sorgen, da fremdbestimmte Ziele
weniger oft und auch weniger gut erreicht werden als selbstbestimmte. Dies käme
Forschung und Lehre zugute.
Ein anderes Handlungsfeld für Hochschulleitungen besteht darin, dem durch den Bologna-
Prozess entstehenden Organisations- und Managementaufwand Rechnung zu tragen, indem
sie entsprechende personelle Ressourcen zur Verfügung stellen. Dabei sind Aufgabenfülle
und -vielfalt inzwischen so weit angewachsen, dass sie nicht mehr alleine im Rahmen der
akademischen Selbstverwaltung bewältigt werden können. In Folge dessen sind im
zurückliegenden Jahrzehnt neue Berufsbilder insbesondere im Servicebereich von
Hochschulen entstanden, die Nadine Merkator und Christian Schneijderberg unter dem
Sammelbegriff „neue Hochschulprofessionen“ (HOPROs) näher untersuchen. Die HOPROs
sind zwar nicht nur aufgrund des Bologna-Prozesses entstanden, sondern vor allem auch
aufgrund des schon weit länger laufenden Reformprozesses im Bereich der
Hochschulsteuerung und institutionellen Autonomisierung, doch der nachweisbare
Aufschwung von Positionen im Studiengangs- und Qualitätsmanagement macht damit klar
deutlich, dass hier eine Berufsgruppe neuartiger Spezialist(inn)en entsteht, deren Tätigkeiten
quer zu bisher üblichen Berufsbildern in Administration und Wissenschaft liegen. Damit sind
die neuen Professionen nicht nur Ausdruck des laufenden institutionellen Veränderungs-
prozesses, sondern sie beeinflussen diesen Wandel selber aktiv mit. Insofern sind sie
wichtige Akteurinnen und Akteure innerhalb der Bologna-Reform.
3.5. Qualitätsentwicklung und -steuerung
Qualitätsentwicklung und -steuerung bezogen auf Studium und Lehre haben im Zuge des
Bologna-Prozesses als institutionelles Handlungsfeld nicht nur – wie mehrfach angeklungen
– immens an Bedeutung gewonnen, sondern sie stellen auch ein Quell ständiger Reibung
zwischen Hochschulleitungen und Qualitätsmanager(inne)n auf der einen und den
Wissenschaftler(inne)n auf der anderen Seite dar. Oblag die Qualitätsherstellung früher
einzig den Hochschullehrer(inne)n, ist sie inzwischen ein Teilbereich korporativer
Verantwortung geworden und das auch nicht erst mit Einsetzen des Bologna-Prozesses,
sondern bereits seit Beginn der Welle von Governance-Reformen Anfang der 1990er Jahre.
Offenbar tragen diese nunmehr seit über zwei Jahrzehnten andauernden Bemühungen um
eine Erhöhung der Qualität von Studium und Lehre inzwischen Früchte, denn empirisch lässt
sich nachweisen, dass sich die Studienqualität deutlich erhöht hat, so Tino Bargel in seinem
Vergleich der Situation vor und nach Einsetzen der Bologna-Reformen auf Basis langjähriger
Erhebungen. Allerdings gab es den größten Qualitätsschub in den 90er Jahren, während die
Qualitätsentwicklung seit Beginn des Bologna-Prozesses eher stagniert. Dennoch verteidigt
Bargel das neue Studiensystem gegen unzutreffende pauschale Vorwürfe. Untersuchungen
zeigen vielmehr, dass auch im Bachelorstudium die Lehre überwiegend als gut bewertet wird
und damit eine wichtige Grundlage für Zufriedenheit und Selbstbewusstsein der
Studierenden gesichert ist. Insofern sind die Bologna-Reformen ein Weg, den es
fortzusetzen gilt, auch wenn nach Auffassung von Bargel eine fortgesetzte Belebung des
Studiums nach Leitprinzipien wie Forschungsbezug, Autonomie und Kreativität nötig ist.
Eine weitere zentrale Stellstraube für die Qualitätsentwicklung von Studium und Lehre ist aus
Sicht von Fred G. Becker, Elke Wild, Wögen Tadsen und Ralf Stegmüller der Einsatz
geeigneter personalwirtschaftlicher Maßnahmen sowie von geeigneten Anreizen. Dazu
haben sie Hochschulleitungen und neuberufene Professor(inn)en befragt. Dabei zeigte sich,
Seite 16 | Zwischen Kritik und Empirie – Wie wirksam ist der Bologna-Prozess?
dass die meisten Hochschulleitungen, unabhängig ob an Universitäten oder Fachhoch-
schulen, kein elaboriertes Qualitätskonzept für Studium und Lehre verfolgen. Stattdessen
lassen sie sich eher von intuitiven Qualitätsvorstellungen leiten. Zugleich messen sie
finanziellen monetären Anreizen eine hohe Bedeutung bei. Die befragten neuberufenen
Hochschullehrer(innen) hingegen beurteilen monetäre Anreize eher skeptisch. Doch trotz der
deklarierten Unwirksamkeit der Anreize zeigen sie hohes Lehrengagement. Eine gute
Maßnahme ist aus Sicht der neuberufenen Professor(inn)en dagegen die Prüfung der
Lehrkompetenz im Rahmen von Berufungsverfahren. Je ernsthafter diese geprüft werde,
desto höher die Motivation der Berufenen. Bislang zu wenig genutzte Chancen liegen auch
im Einsatz von Inplacement-Konzepten, also in der systematischen Einführung neuberufener
Lehrkörpermitglieder in die Hochschule. Was auf individueller Ebene nach Erkenntnissen
von Becker et al. nur unzureichend funktioniert, wirkt laut Dieter Dohmen und Justus Henke
auf institutioneller Ebene umso besser. Fast alle Bundesländer haben inzwischen Anreiz-
und Steuerungsinstrumente implementiert, mit denen sie Hochschulen zu einer hohen Lehr-
und Lernqualität motivieren wollen. Hierbei spielt die LOM (leistungsorientierte
Mittelzuweisung) eine zentrale Rolle. In einem Bundesländervergleich weisen Dohmen/
Henke nach, dass die Hochschulen sehr sensibel auf die gebotenen Anreize reagieren, und
zwar sowohl im Bereich Lehre und Studium als auch im Bereich Forschung.
Während der Versuch, die Qualitätsentwicklung von Lehre und Studium mit Hilfe von
Anreizen, Zielvereinbarungen und ähnlichen Instrumenten zu steuern, relativ neu ist, gehört
der Einsatz von Evaluationsverfahren traditionell zum hochschulischen Alltag. Die im Zuge
der Bologna-Reformen gewachsene Bedeutung der Kompetenzorientierung hat dazu
geführt, dass im Rahmen von Qualitätssicherungsverfahren nun auch Instrumente zur
kompetenzorientierten Lehrveranstaltungsevaluation eingesetzt werden. Dries Vervecken,
André Nowakowski, Anna Spexard und Edith Braun stellen vor diesem Hintergrund das
Berliner Evaluationsinstrument für selbsteingeschätzte studentische Kompetenzen
(BEvaKomp) vor und weisen empirisch nach, dass dieses die Kompetenzorientierung in
Lehre und Lernen tatsächlich fördert. Matthias Heiner schließlich führt in seinem Beitrag aus,
dass Hochschuldidaktik und Qualitätssicherung direkt miteinander in Beziehung stehen, was
sich aber im Hochschulalltag nicht ausreichend widerspiegelt. Er liefert Argumente für eine
stärkere Integration beider Bereiche.
4. Fazit
Setzt man die aufgezeigten empirischen Ergebnisse der Bologna-Forschung mit der
eingangs geschilderten Bologna-Kritik in Beziehung, so zeigt sich, dass die tatsächliche
Studienqualität in deutschen Hochschulen weit besser ist als die kursierenden Meinungen
und Stimmungsbilder vermuten lassen. In den dargestellten Untersuchungen wird evident,
dass der Bologna-Prozess eine Art Katalysator-Funktion für Veränderungen übernimmt, die
bereits seit längerer Zeit im Hochschulsystem virulent sind. Unterschiedliche Reformstränge
laufen unter dem Label „Bologna“ zusammen und vermischen sich. So sind die
beobachtbaren Effekte häufig nicht allein der Umstellung der Studienstruktur zuzurechnen,
sondern auch das Resultat vorhergehender bzw. parallel laufender Anstrengungen wie sie
vor allem in den Bereichen Qualitätssicherung, Hochschuldidaktik und Hochschulsteuerung
unternommen worden sind. Wirkungsforschung zu Bologna steht deshalb vor der
Herausforderung, genau zu unterscheiden, welche Folgen direkt der Bachelor-/Masterreform
und welche anderen Veränderungsprozessen zuzurechnen sind. In der öffentlichen
Einführung | Seite 17
Diskussion findet diese Differenzierung bislang zu wenig statt. Gleichwohl – und auch das
belegen die empirischen Ergebnisse in diesem Band – gibt es im Zuge der Umstellung auf
die Bachelor-/Masterabschlüsse noch eine Reihe problematischer Baustellen. Zu diesen
gehören in besonderer Weise der wachsende Druck auf Studierende und Lehrende durch
das studienbegleitende Prüfungssystem und die zum Teil noch nicht ausreichende
Anpassung der Studieninhalte an die neue Studienform. Die Gefahr, dass der Bologna-
Prozess als Bürokratismus und damit als „Modernisierungsfassade“ endet, ist noch nicht
gebannt. Ihr zu begegnen gehört sicherlich zu den dringendsten Aufgaben.
Alles in allem lässt sich die im Titel dieses Einführungstextes gestellte Frage „Wie wirksam
ist der Bologna-Prozess?“ mit „hoch“ beantworten. Die Studienreform hat eine Menge in
Bewegung gebracht. Dass neben intendierten auch nicht intendierte Effekte eingetreten sind,
kann niemanden wirklich überraschen. Dazu sind Hochschulen und insbesondere
Universitäten viel zu eigenwillige Institutionen, die selten das eins zu eins umsetzen, was
sich Politiker(innen) am grünen Tisch überlegen. Umso wichtiger ist es für Lehrende,
Studierende, Hochschulmanager(innen) und Hochschulpolitiker(innen), auf Faktenwissen
zurückgreifen zu können, mit dessen Hilfe sie die laufenden Veränderungsprozesse
regelmäßig reflektieren und Fehlentwicklungen frühzeitig entgegensteuern können. Dazu
leistet diese Publikation einen Beitrag. Vor diesem Hintergrund sind den nachfolgenden
Analysen nicht nur viele Leser(innen) zu wünschen, sondern mindestens ebenso viele
Akteurinnen und Akteure, welche die Denkanstöße für die Weiterentwicklung der Praxis
nutzen.
Literatur
Cortina, K. S./Baumert, J./Leschinsky, A./Mayer, K. U./Trommer, L. (Hg.) (2003): Das
Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. Strukturen und Entwicklungen im
Überblick. Vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Reinbek bei Hamburg.
Keller A./Himpele, K./Staack, S. (Hg.) (2010): Endstation Bologna? Zehn Jahre europäischer
Hochschulraum. GEW Materialien aus Hochschule und Forschung Nr. 116. Bielefeld.
Kühl, S. (2011): Spezifikationen zum Sudoku-Effekt. Überlegungen zur
Komplexitätssteigerung der Bologna-Studiengänge. Paper für die Tagung „Universität als
Organisation“, veranstaltet von der AG Organisationssoziologie der Deutschen
Gesellschaft für Soziologie (DGS) in Dortmund am 10./11. Juni 2011.
Luhmann, N. (1987): Zwischen Gesellschaft und Organisation. Zur Situation der
Universitäten. In: Luhmann, N. (Hg.): Soziologische Aufklärung 4. Beiträge zur funkti-
onalen Differenzierung der Gesellschaft. Opladen, S. 202–211.
Münch, R. (2011): Akademischer Kapitalismus. Über die politische Ökonomie der
Hochschulreform. Berlin.
Schultheis, F./Cousin P.-F./Roca i Escoda, M. (Hg.) (2008): Humboldts Alptraum. Der
Bologna-Prozess und seine Folgen. Konstanz.
Schimank, U. (2010): Humboldt in Bologna – falscher Mann an falschem Ort? In: HIS
Hochschul-Informationssystem (Hg.): Perspektive Studienqualität. Themen und
Forschungsergebnisse der HIS-Fachtagung „Studienqualität“. Bielefeld, S. 44-61.
Deutschland und Europa im Vergleich
Seite 20 | Überblick über empirische Befunde zur Bologna-Reform in Deutschland
Die Revolution blieb aus: Überblick über empirische Befunde zur Bologna-Reform in Deutschland
Martin Winter
Abstract
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über ausgewählte Befunde aus empirischen
Untersuchungen zum neuen Studiensystem. Diese Befunde beziehen sich erstens auf
statistische Daten zu den Studierquoten, zweitens auf erhobene Einschätzungen von
Studierenden, Absolvent(inn)en und Lehrenden sowie drittens auf Befunde aus
Dokumentenanalysen. Bei der Zusammenschau drängt sich der Eindruck auf, dass die
Befunde der empirischen Hochschulforschung – bis auf wenige Aussagen – wenig
spektakulär sind. Und daran liegt vielleicht – nach der jahrelangen – mal mehr, mal weniger
– aufgeregten Debatte – das Spektakuläre: die Revolution blieb aus. Deutlich wird dies
insbesondere erstens an den substanziell nur wenig geänderten Studiengängen und
zweitens an den Übergangsquoten von der Bachelor- zur Masterphase. An den Universitäten
wird mehrheitlich nach dem Bachelorstudium weiter studiert, der Bachelor wird offensichtlich
nicht überall als tatsächlicher Regelabschluss begriffen.
1. Forschung zu „Bologna“
Die Hochschulforschung bezeichnet sich selbst nicht als eigenständige wissenschaftliche
Disziplin, sondern definiert sich über ihren Gegenstand, dem sie sich sozialwissenschaftlich
nähert. Das, was die Hochschulforschung am stärksten prägt, ist ihr permanenter Spagat
zwischen Forschung und Praxis (vgl. Teichler 1994 und 2000; Zimmermann 2008).
Forschung über Hochschulen und Engagement für Belange des Hochschulwesens sind auf
spannende, aber auch auf problematische Weise miteinander verwoben. Was für die
Hochschulforschung im Allgemeinen gilt, das kann auch über die Forschung zu „Bologna“
gesagt werden, die Thema meines Beitrags ist.1
Grob verallgemeinert lässt sich die Forschung zu „Bologna“ in drei Bereiche unterteilen:
Erstens in Forschung zu „Bologna“ als Forschung über den politischen Prozess („Bologna-
Prozess“): Hier steht das europäische Projekt der Harmonisierung der Studienstrukturen und
des europäischen Hochschulraums sowie die deutsche Umsetzung im Fokus der
politikwissenschaftlichen Analysen. Derartige Studien entstehen eher im universitären
Kontext, insbesondere als Qualifikationsarbeiten (Nagel 2009; Walter 2006; Witte 2006).
Die anderen beiden Bereiche der Forschung zu „Bologna“ betreffen die Studienreform an
sich. Zweitens die Forschung zu „Bologna“ als Forschung über die Studienreform: Hier
konzentrieren sich die Untersuchungen auf Studiengänge, Studierende und
Absolvent(inn)en, deren Einschätzungen und deren Verhalten. Derartige Studien werden
insbesondere von der „institutionalisierten Hochschulforschung“, also den Hochschul-
forschungseinrichtungen in Deutschland, realisiert.
1 Dieser Text basiert weitgehend auf einem Artikel, der 2010 in der Zeitschrift „Das Hochschulwesen“
veröffentlicht wurde (Winter 2010).
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 21
Davon nicht leicht zu trennen ist der dritte Bereich, die Forschung für die Studienreform:
Diese Arbeiten sind anwendungsorientiert, zum Teil präskriptiv. Sie verfolgen mehr oder
weniger einen nicht wissenschaftsimmanenten Zweck und der lautet „Gestaltung der Praxis
an den Hochschulen“. Es geht beispielsweise um die Weiterentwicklung der Kompetenzen,
um die Verankerung von lebenslangem Lernen an den Hochschulen und um die
Verbesserung der Studierbarkeit. Forschung für „Bologna" ist damit insbesondere das Feld
der Hochschuldidaktik und Hochschulevaluation.
Anliegen meines Beitrags ist es, einen Überblick über die Forschung über die Studienreform
in Deutschland zu geben. Wenn ich im Folgenden über diese Forschung berichte, dann
meine ich nur die empirische Hochschulforschung und nicht die Debatte über, für und wider
die neuen Studienstrukturen.
Die Bologna-Reform ist nicht nur seit Langem beschlossen, sondern zum überwiegenden
Teil an den Hochschulen – formal – umgesetzt. Laut Statistik der Hochschulrektoren-
konferenz vom Wintersemester 2010/11 weisen mittlerweile mehr als vier Fünftel der
Studiengänge die Abschlüsse Bachelor und Master auf; die Hälfte aller eingeschriebenen
Studierenden streben einen Bachelor- bzw. Masterabschluss an und knapp ein Drittel der
Absolvent(inn)en hat bereits einen neuen Abschluss (Hochschulrektorenkonferenz 2010).2
Um über empirische Befunde zu berichten, ist also mittlerweile die wichtigste Voraussetzung
gegeben: Die Reform ist eingeführt und es gibt mittlerweile ausreichend Studiengänge,
Studierende und Absolvent(inn)en, die untersucht werden können und auch untersucht
werden – wie im Folgenden gezeigt wird. Zugleich muss eine – wichtige – Einschränkung
betont werden: Auch wenn die Reform weitgehend realisiert ist und es bereits genügend
Studiengänge, Studierende und Absolvent(inn)en des neuen Studiensystems gibt, handelt es
sich doch nur um erste Ergebnisse aus der Hochschulforschung. Die weitere Entwicklung
bleibt abzuwarten.
Derzeit befinden wir uns in einer spannenden Übergangsphase, in der die neuen
Studienstrukturen die alten ablösen; es gibt gleichzeitig Studierende wie Absolvent(inn)en
beider Systeme. Zum Teil werden die alten und die neuen Studiengänge noch parallel
angeboten, die einen laufen aus, die anderen laufen an. Es besteht also die Gelegenheit,
„neues und altes Studieren“, das heißt alte und neue Studiengänge bzw. Studierende im
alten und im neuen System, zu vergleichen. Dieses Gelegenheitsfenster wird nicht lange
geöffnet bleiben. Der Vorher-Nachher-Vergleich steht deshalb im Zentrum meiner
Ausführungen.3
Drei Arten von „Gegenständen“ (Daten) und damit zusammenhängend drei
Herangehensweisen (Methoden) weisen die Untersuchungen zur Studienreform auf:
erstens Dokumentenanalysen, die sich insbesondere auf Studiengänge und
Curricula konzentrieren,
zweitens statistische Daten zu den Quoten und Strukturdaten zum Studium (Quelle
zumeist: Statistisches Bundesamt) sowie
2 Diese Zahlen verzerren das statistische Verhältnis zwischen alten und neuen Studiengängen etwas, weil in der
Regel dort, wo früher ein längerer alter Studiengang bestand, nun zwei kürzere Studiengänge angeboten werden.
3 Für einen Vorher-Nachher-Vergleich bietet sich auch an, Dozenten(inn)en und Studiengangsverantwortliche zu
befragen, da diese diejenigen sind, die beides kennen, das alte und das neue Studiensystem (siehe beispielsweise Fischer/Minks 2008 oder Winter/Anger 2010).
Seite 22 | Überblick über empirische Befunde zur Bologna-Reform in Deutschland
drittens in Befragungen erhobene Einschätzungen von Studierenden und
Absolvent(inn)en zur Studien- bzw. Berufspraxis.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Befunde der empirischen Hochschulforschung –
bis auf wenige Aussagen – wenig spektakulär sind. Und daran liegt vielleicht – nach der
jahrelangen – mal mehr, mal weniger – aufgeregten Debatte – das Spektakuläre: die
Revolution blieb aus.
2. Studienangebot und Studiengänge
Die vorhandenen Untersuchungen zu Studienangebot und Studiengängen basieren in erster
Linie auf Analysen von Studiendokumenten, die zumeist flankiert werden von
Experteninterviews. Unsere qualitative Studie vom Institut für Hochschulforschung
Wittenberg (HoF) zum Curricula-Vergleich von drei Fächern (Chemie, Maschinenbau und
Soziologie) an drei Universitätsstandorten (Bochum, Chemnitz, Erlangen-Nürnberg) vor und
nach der Bologna-Reform (Winter/Anger 2010) zeigt erstens, dass sich das Studienangebot
der Fächer kaum geändert hat. Es kamen kaum neue Studiengänge dazu, es wurden auch
kaum Studiengänge eingestellt. Vielmehr wurden die alten einphasigen Studiengänge in die
neuen gestuften Formen überführt. Dies soll nicht wertend gemeint sein.
Neue Studiengänge mit neuen Bezeichnungen sind im Rahmen der Reform weniger oft
entwickelt worden. Die von manch einem befürchtete Inflation der gegenstandsorientierten,
multidisziplinären „Hybrid-Studiengänge“ ist bislang ausgeblieben. Wenn solche
Studiengänge neu angeboten werden, findet dies offenbar unabhängig von der Umstellung
auf die neuen Strukturen statt. Denkbar ist, dass in Zukunft ein derartiges Studienangebot
insbesondere im Masterbereich ausgeweitet wird, wenn die wissenschaftliche Weiterbildung
einen tatsächlich höheren Stellenwert an den Hochschulen gewinnen wird. Dies wird wohl
auch mit der Möglichkeit für die Hochschulen zusammenhängen, entsprechende Mittel,
sprich Gebühren, einzunehmen sowie die im Rahmen der Weiterbildung erbrachte
Lehrleistung als Teil des Lehrdeputats anerkennen zu können, das Lehrdeputat also nicht
komplett für die grundständige Lehre verwenden zu müssen.
Zweitens haben wir festgestellt, dass sich die Reformen weitgehend auf formale Aspekte
beschränken und kaum zu Neuerungen in den Studieninhalten und Lehrformen geführt
haben.4 Studienangebot und Studiencurricula haben sich durch die Reform substanziell nur
wenig geändert, wohl aber die formalen Strukturen der Studiengänge (Stufung, Module,
Leistungspunkte). Drittens entspricht ein Bachelorstudiengang in Verbindung mit dem
anschließenden konsekutiven Masterstudiengang weitgehend dem alten Diplomstudiengang:
Aus dem Diplom Maschinenbau wurden beispielsweise die zwei Studiengänge Bachelor
Maschinenbau und Master Maschinenbau. In die untersuchten sechssemestrigen Bachelor-
studiengänge wurden also nicht die neun oder zehn Semester Diplomstudium komprimiert.5
4 In der Übergangszeit besuchten Studierende, die einen neuen Abschluss anstrebten, gemeinsam die
Veranstaltungen mit Studierenden, die einen alten Abschluss anstrebten. Anders wäre der Übergang von den alten auf die neuen Studiengänge auch kapazitär nicht machbar gewesen. Dies mag auch ein pragmatischer Grund für den eher konservativen Umgang der Hochschulen mit der Reform gewesen sein.
5 Daraus ergibt sich ein methodischer Hinweis für den Vergleich von altem und neuem Studiensystem: Weil das
alte Diplomstudium dem Bachelor- plus Masterstudium entspricht, sollte nicht ein Diplom- nur mit dem Bachelorstudiengang, sondern mit beiden gestuften Studiengängen verglichen werden. Dies gilt sowohl für Curricula-Vergleiche als auch für den Vergleich von Einschätzungen der Studierenden.
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 23
An diese Ergebnisse schließen sich einige weitere Forschungsfragen an:
In der Studie wurden „nur“ drei Standorte untersucht, diese allerdings sehr intensiv –
in einer Art Tiefenbohrung die Studiengänge und der Prozess ihrer Gestaltung en
Detail rekonstruiert. Eine sinnvolle Ergänzung wäre es, diese Befunde auf eine
breitere Basis zu stellen, indem flächendeckend (also bundesweit) die
Veränderungen in einem Fach untersucht werden.6
In der Studie wurden „nur“ drei Fächer untersucht, es stellt sich daher die Frage, wie
sich das Studienangebot und die Studiengänge in anderen Fächern durch Bologna
verändert haben? Welche Rolle hierbei die jeweilige Fachkultur gespielt hat?
In der Studie wurden „nur“ Universitäten untersucht, daher liegt die Frage nach den
Fachhochschulen nahe. Handelt es sich bei den Befunden um typisch universitäts-
spezifische Lösungen? Wie haben sich das Studienangebot und die Curricula an
den Fachhochschulen verändert?
Eine weitere Untersuchung zu den neuen Studiengängen hat das Bayerische Staatsinstitut
für Hochschulforschung und Hochschulplanung in München (IHF) durchgeführt (genauer
dazu siehe den Beitrag von Sandfuchs/Witte/Mittag auf den Seiten 58-67 dieser Publikation).
Es wurden 20 Bachelorstudiengänge unterschiedlicher Fachrichtungen an bayerischen
Hochschulen in den Fokus genommen und dabei verschiedene Studiendokumente (Studien-
und Prüfungsordnungen, Modulhandbücher, Studienpläne und ähnliche Dokumente)
analysiert. Das Resümee eines ersten Zwischenberichts aus dem IHF-Projekt (Witte/
Sandfuchs/Lenz/Brummerloh/Hartwig 2010) lautet: Es herrscht Vielfalt im Studiengang-
aufbau, im Verhältnis von Pflicht zu Wahlpflicht und Wahlanteilen, Modulgrößen,
Prüfungsdichte, Prüfungsarten, Anerkennungsmodalitäten. Vielfalt – so wird kritisiert – führe
insbesondere dann zu Unübersichtlichkeit, wenn die Informationen wenig transparent
dargeboten werden.
„Vielfalt“ ist auch der Kernbefund der Studie von Schneijderberg und Steinhardt (2010), die
Bachelorstudiengänge in den Politikwissenschaften in Deutschland und in der Schweiz
hinsichtlich ihrer Wahlmöglichkeiten untersucht haben. Es handelt sich leider nicht um einen
Vorher-Nachher-Vergleich. Die Autor(inn)en fanden heraus, dass es sehr unterschiedlich
ausgeprägte Wahlmöglichkeiten an den verschiedenen Studienstandorten gibt. Ich vermute,
dass dies bei den alten Studiengängen der Politikwissenschaft auch nicht anders war.
Vorsichtig lässt sich folgendes Zwischenresümee formulieren: Eine substanzielle Studien-
reform fand nicht flächendeckend statt. Abgesehen von den formalen Änderungen (deren
Umsetzung den Hochschulen viel Arbeit machte), hat sich nicht sehr viel getan.7 Um diese
Befunde empirisch zu erhärten, ist weitere Forschung vonnöten.
6 Vgl. die Studie von Kehm/Eckhardt 2009. Darin wurde untersucht, welche formalen Prinzipien bei der
Umstrukturierung der Physik-Studiengänge in Europa sich wie stark durchgesetzt haben. Ein Vorher-Nachher-Vergleich wurde indes nicht durchgeführt.
7 Um diese Aussage zu verallgemeinern, wären – wie bereits erwähnt – systematische, flächendeckende
Untersuchungen – insbesondere auch in anderen Fächern – vonnöten. Meine eigenen praktischen Erfahrungen im Reformprozess und der Austausch mit anderen Bologna-Beauftragten im Rahmen des Bologna-Projekts der Hochschulrektorenkonferenz bestätigen den in unserer qualitativen Tiefenanalyse ermittelten Befund (siehe auch Winter 2008). Eine systematische, empirische Überprüfung ersetzen solche Erfahrungen indes nicht.
Seite 24 | Überblick über empirische Befunde zur Bologna-Reform in Deutschland
3. Quoten und Strukturdaten zum Studium
Befunde zu Quoten und Strukturdaten basieren auf der Analyse von statistischem
Datenmaterial (aus Vollerhebungen, die beim Statistischen Bundesamt zusammenlaufen)
oder auf repräsentativen Befragungen (oder gar Vollerhebungen) von Studierenden und
Absolvent(inn)en. Es dreht sich hier nicht um abgefragte Einschätzungen und Urteile,
sondern es wird nach „harten“ Fakten gefragt, wie zum Beispiel: Wie lange haben Sie
studiert? Haben Sie die Hochschule gewechselt? Wie lange haben Sie eine Stelle gesucht?
Was verdienen Sie?
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hat Datenmaterial
des Statistischen Bundesamtes aufbereitet sowie ausgewertet und kommt zu dem Schluss,
dass sich die Studierquoten im neuen Studiensystem – Studienanfänge, Studienabbrüche,
räumliche und soziale Mobilität – gegenüber den alten Studiengängen kaum geändert
haben. Die präsentierten Zahlen erwecken den Eindruck, „dass die beobachteten
Entwicklungen eher von generellen Zeittrends als durch den Reformprozess selbst getrieben
sind“ (Mühlenweg/Sprietsma/Horstschräer 2010, S. 9). Dass derartige, langfristige Trends
besondere Beachtung bei der Interpretation der Daten verdienen, ist ein Argument, das sich
durch diesen Beitrag zieht. Für eine abschließende Bewertung ist es indes noch zu früh. Die
aggregierten Zahlen vom Bundesamt hinken der aktuellen Entwicklung zwangsläufig etwas
hinterher, sie müssen quasi „bottom-up“ gesammelt werden. Der weitere Verlauf bleibt
folglich abzuwarten. Aktuell sind beispielsweise die Studienanfängerzahlen in den letzten
Jahren stark angestiegen (2000: 314.956, 2005: 356.076, 2010: 442.607); ebenso hat sich
die Studierquote (Anzahl der Studienanfänger(innen) im Verhältnis zur Anzahl der
studienberechtigten Schulabgänger(innen)) stark nach oben entwickelt: auf den Rekordwert
von 46 % (2000: 33,5 %, 2005: 37,9 %).8 Die Frage ist, ob diese Entwicklungen (auch) mit
der Einführung der zeitlich verkürzten Bachelorstudiengänge zusammenhängen? Oder
müssen beide Trends – Erhöhung der Studierquote und Zunahme der
Studienanfängerzahlen – weniger dem neuen Studiensystem als vielmehr den gestiegenen
Abiturientenzahlen zugeschrieben werden?
Zu den einzelnen Quoten gibt es auch Befunde aus Studierenden- bzw.
Absolventenbefragungen. Eine wichtige Quelle sind die Absolventenbefragungen des
International Center for Higher Education Research (INCHER-Kassel) der Universität Kassel
(Schomburg 2009a). Im Rahmen des Kooperationsprojekts Absolventenstudien (KOAB)
werden breit angelegte Absolventenbefragungen an rund 50 Hochschulen in Deutschland
durchgeführt. Dort werden Urteile der Absolvent(inn)en unterschiedlicher Abschlüsse und
Hochschultypen über ihr Studium gegenübergestellt. Verglichen werden also unterschied-
liche Personengruppen und ihre Aussagen über ihren Studien- und Berufsverlauf.
Ein erster bemerkenswerter Befund der Kasseler Absolventenbefragung betrifft die Quote
zur Auslandsmobilität. Es wird eine gemischte – zwischen den Hochschultypen Universität
und Fachhochschulen differenzierte – Bilanz gezogen: 35 % der Bachelorabsolvent(inn)en
8 Pressemeldung des Bundesamtes für Statistik vom 25.11.2009 im Internet:
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2010/11/PD10__432__213.psml, abgerufen am 02.05.2011.
Pressemeldung des Bundesamtes für Statistik vom 24.11.2010 im Internet: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2009/11/PD09__450__213,templateId=renderPrint.psml, abgerufen am 02.05.2011.
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 25
von Fachhochschulen geben an, sich während des Studiums im Ausland aufgehalten zu
haben – im Vergleich zu 29 % der Diplomabsolvent(inn)en und 20 % der Master-
absolvent(inn)en. An den Universitäten wird von weniger Auslandsaufenthalten der
Bachelorabsolvent(inn)en (32 %) und Masterabsolvent(inn)en (35 %) im Vergleich zu 39 %
der Diplomabsolvent(inn)en berichtet (Schomburg 2009b, S. 41).
Im Vergleich zum alten Studiensystem weisen die Bachelorabsolvent(inn)en der
Fachhochschulen mehr, die der Universitäten weniger Auslandsaufenthalte auf. Das
Bachelorstudium an den Universitäten dauert in der Regel sechs Semester, das
Bachelorstudium an Fachhochschulen oftmals ein Semester länger. Je länger die Regel-
studienzeit, desto leichter wäre es prinzipiell, ein Auslandsaufenthalt in den Studienplan zu
integrieren. Generell wird bedauert, dass im Kurzzeitstudium weniger Zeit für
Auslandsaufenthalte vorhanden sei.
Nach dem Erwerb des Abschlusses sind hingegen relativ mehr Bachelor- und
Masterabsolvent(inn)en im Ausland gewesen als Diplom- oder Magisterabsolvent(inn)en
(Schomburg 2009b, S. 44). Hier sind auch die längerfristigen Tendenzen zu beachten, die
bei einem direkten Vergleich von altem und neuem Studiensystem etwas unterzugehen
drohen. Dies haben die Kasseler Hochschulforscher(innen) im Blick; wohl unter
Bezugnahme auf die Daten des Statistischen Bundesamtes stellen sie fest, dass der Anteil
der Studierenden mit einem temporären Auslandsaufenthalt während des Studiums im Laufe
der Jahre gestiegen ist: von 21 % im Jahr 1995 auf 34 % im Jahr 2007, das heißt also: in 12
Jahren um 13 %. Generell ist die Quote an den Universitäten höher als an den
Fachhochschulen; nach wie vor sind diese Unterschiede zwischen den Hochschultypen
beachtlich:
„Nur 22 Prozent der Absolventinnen und Absolventen mit einem Fachhochschul-
abschluss berichten über einen Auslandsaufenthalt während des Studiums gegenüber
36 Prozent derer mit einem Universitätsabschluss. 12 Jahre zuvor lagen die Werte bei
11 Prozent und 26 Prozent“ (Schomburg 2009b, S. 41).
Ein weiteres interessantes Ergebnis aus der Absolventenbefragung ist, dass die faktische
Studiendauer der Masterabsolvent(inn)en, sowohl der Universitäten als auch der Fachhoch-
schulen, die Regelstudienzeit weit übertrifft: An den Universitäten liegt die durchschnittliche
Studiendauer bei 6,7 Semestern, an den Fachhochschulen bei 6,2 Semestern (Schomburg
2009b, S. 37). Sind diese langen Studienzeiten darin begründet, dass – wie die Autor(inn)en
feststellen – ein großer Anteil der Weiterstudierenden berufsbegleitend studiert?
Das HIS-Institut für Hochschulforschung in Hannover analysierte ebenfalls statistisches
Material vom Bundesamt und befragte zusätzlich Studienabbrecher(innen) (Heublein/
Hutzsch/Schreiber/Sommer/Besuch 2010, S. 9f.). Sie stellen fest, dass sich die
Studienabbruchquote in den neuen Studiengängen an der Universität im Vergleich zu den
alten Studiengängen Diplom und Magister nicht erhöht hat, aber es mehr frühe
Studienabbrüche im Vergleich zu vorher gibt: Während in den herkömmlichen
Studiengängen die Studienabbrecher(innen) nach durchschnittlich 7,3 Fachsemestern die
Hochschule ohne Examen verlassen, ist dies in den Bachelorstudiengängen nach durch-
schnittlich 2,3 Fachsemestern der Fall (Heublein et al. 2010, S. 48). Das könnte meines
Erachtens auch daran liegen, dass häufig bereits die Ergebnisse von Modulprüfungen in den
ersten Semestern in die Examensnote eingehen. Zusätzlich zu diesem Trend könnten
Prüfungen in der Studieneingangsphase (sogenannte Orientierungsprüfungen) beigetragen
Seite 26 | Überblick über empirische Befunde zur Bologna-Reform in Deutschland
haben, wie sie beispielsweise in Bayern und Baden-Württemberg hochschulgesetzlich
verlangt werden.
Ein weiterer bemerkenswerter Befund der HIS-Studie ist, dass sich die Abbruchquote bei
den Bachelorstudierenden der Fachhochschulen im Vergleich zu den Diplomstudierenden
fast verdoppelt hat (Heublein et al. 2010, S. 10).
Festgehalten werden kann, dass zwar der Zeitpunkt des Studienabbruchs an den
Universitäten deutlich nach vorne verschoben wurde, sich die Quote an den Universitäten –
im Gegensatz zu den Fachhochschulen – allerdings wenig verändert hat.
Das HIS-Institut hat in Zusammenarbeit mit der Hochschulrektorenkonferenz eine Studie auf
Basis einer Umfrage unter Studierenden zur Mobilität im Studium durchgeführt. Darin ist ein
Ergebnis zur Hochschulmobilität besonders erwähnenswert: Im Vergleich zu den
Bachelor-, Magister- und Diplomstudierenden haben rund doppelt so viele Master-
studierende die Hochschule gewechselt, nämlich ungefähr ein Viertel, Bachelorstudierende
nur zu 10 %:
„24 % der Studierenden in einem Master-Studiengang verweisen darauf, dass sie in
ihrer Studienlaufbahn mindestens einmal die Hochschule gewechselt haben.
Studierende in höheren Semestern der traditionellen Studiengänge Diplom, Magister
und Staatsexamen weisen nicht annähernd entsprechende Quoten [12 bzw.
13 Prozent, MW] auf“ (Krawietz/Marian/Özkilic/Papayannakis/Rathjen 2008, S. 7).
Nicht im Bachelorstudium wird die Hochschule gewechselt, sondern offenbar später beim
Übergang zum Master. Das Mobilitätsscharnier zwischen Bachelor und Master funktioniert
offensichtlich wie politisch gewünscht: Das Bachelorstudium wird an der einen und das
Masterstudium an einer anderen Hochschule absolviert. Vielleicht ist eine schwierige und
langwierige Anerkennung der Module ein Grund dafür, dass in der Bachelorphase weniger
ausgiebig gewechselt wird; vielleicht ist für die Bachelorstudierenden auch das Studium zu
kurz, als dass bereits innerhalb der ersten drei Jahre die Hochschule gewechselt wird.
Mit dieser ausgeprägten Wechselfreude der Bachelorabsolvent(inn)en ist eine große
Befürchtung der weniger gefragten Fächer und Standorte verbunden: Sie sorgen sich darum,
wie sich ihre Masterstudiengänge – insbesondere mit guten Studierenden – füllen können.
Einzelgespräche mit Fachvertreter(inne)n nähren die Vermutung, dass an vielen Standorten
und Fächern weniger die fehlenden Masterplätze, sondern vielmehr die fehlenden
Masterstudieninteressent(inn)en das Problem sein werden. Weist der Studiengang zu
wenige Studierende auf, droht dessen Schließung. Dies wurde in einigen Zielvereinbarungen
zwischen Bundesländern und ihren Hochschulen so vereinbart (vgl. Winter 2011). Die Folge
ist ein sich verschärfender Wettbewerb um Studieninteressent(inn)en auf Masterebene.
Diese Überlegungen basieren nur auf Eindrücken und Einzelinformationen und nicht auf
systematischer, empirischer Forschung. Hier ist also Forschungsbedarf angezeigt; es fehlen
empirisch tragfähige Zahlen.
Den brisantesten Befund liefert die Kasseler Absolventenstudie zu den Übergangsquoten
Bachelor-Master bzw. zur Weiterbildungsquote:
„Eineinhalb Jahre nach Studienabschluss befinden sich 72 Prozent der Bachelor-
Absolventen von Universitäten und 34 Prozent der Bachelor-Absolventen von
Fachhochschulen in einem weiteren Studium. Darunter sind Personen, die
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 27
ausschließlich studieren sowie zugleich Studierende und Berufstätige. [...]“
(Alesi/Schomburg/Teichler 2010, S. 1, siehe auch S. 30f.)
In der aktuellen Befragungswelle sind diese Zahlen nochmals gestiegen, der Trend hat sich
aber nicht geändert: 78 % der Absolvent(inn)en der Universitäten und 43 % der
Absolvent(inn)en der Fachhochschulen haben ein Masterstudium aufgenommen
(Schomburg 2010, S. 3). Die Weiterstudierquote der Bachelorabsolvent(inn)en variiert in
Abhängigkeit von den Fachrichtungsgruppen.
„Im Falle der Universitäten beträgt sie 55 Prozent bei den Wirtschaftswissenschaften,
66 Prozent bei den Kultur- und Sozialwissenschaften, 67 Prozent bei den Ingenieur-
wissenschaften, 70 Prozent in der Informatik und je 86 Prozent in Mathematik und
Naturwissenschaften sowie in den Agrar-, Ernährungs- und Forstwissenschaften. Im
Falle der Fachhochschulen beträgt sie 14 Prozent bei den Kultur- und Sozialwissen-
schaften, 30 Prozent bei den Wirtschaftswissenschaften, 36 Prozent bei den Agrar-,
Ernährungs- und Forstwissenschaften, 52 Prozent in der Informatik und 58 Prozent in
den Ingenieurwissenschaften.“ (Alesi/Schomburg/Teichler 2010, S. 33f.)
Die Kultusministerkonferenz wollte mit der Studienstrukturreform den Bachelor als
„Regelabschluss eines Hochschulstudiums“ etablieren (2003/2010, S. 2). Die hierfür
erforderliche Selektion bzw. Selbstselektion zwischen Bachelor- und Masterphase findet
zwar an den Fachhochschulen statt. Dort scheint für die Mehrzahl der Absolvent(inn)en der
Bachelor an die Stelle des bisherigen FH-Diploms zu treten. An den Universitäten muss
dagegen nach Fachgebieten unterschieden werden: In einigen, vor allem in den Wirtschafts-,
Sozial- und Kulturwissenschaften, scheint sich eine gewisse Selektivität abzuzeichnen, auch
wenn die Mehrheit nach dem Bachelorabschluss das Studium fortsetzt. In anderen, vor allem
naturwissenschaftlichen, Studiengängen scheint der Trend zum konsekutiven Bachelor-/
Masterstudium hingegen ziemlich ungebrochen zu sein.
Wenn sich dieser Trend der „weiterstudierenden Universitätsstudent(inn)en“ und der FH-
Studierenden, die bereits mit dem Bachelorgrad ihr Studium abschließen, stabilisieren sollte,
hieße das auf lange Sicht, dass der/die Durchschnittsabsolvent(in) der Universität einen
Masterabschluss und der/die Durchschnittsabsolvent(in) der Fachhochschule einen
Bachelortitel aufweist. Der Bachelor wäre der typische Fachhochschul- und der Master der
typische Universitätsabschluss. Oder noch prägnanter auf eine Formel gebracht: BA = FH,
MA = Uni (Winter 2010).
Das wäre ein wahrlich nicht intendierter, gar paradoxer Effekt der Studienstrukturreform:
Nicht nur die Regelstudienzeiten (wie im alten Studiensystem) sind an Fachhochschule und
Universität unterschiedlich – nun heißen auch die Abschlüsse nicht mehr einheitlich Diplom,
sondern der Bachelor ist in der Regel der FH-Studienabschluss und der Master der
universitäre Regelabschluss (ebd.). Wolff-Dietrich Webler (2010, S. 56) nennt diese
„hochschulpolitisch brisante Schlussfolgerung“ eine „Schreckensvision“: Fachhochschulen
fungierten als eine Art „College-Gürtel“ um die Universitäten.
Dabei drängt sich folgender Zusammenhang auf: Je länger ein Bachelorstudium in der Regel
dauern darf, desto eher gewinnt es den Charakter eines selbstständigen Abschlusses. Mit
einer Verlängerung der Regelstudienzeit von sechs auf sieben oder acht Semester wird
folglich der Bachelorabschluss aufgewertet. Oder im Umkehrschluss: Wenn die Hochschule
im Master den eigentlichen Regelabschluss und im Bachelorgrad nur ein Etappenziel sieht,
dann dürfte sie eher das Modell 3 plus 2 wählen.
Seite 28 | Überblick über empirische Befunde zur Bologna-Reform in Deutschland
Was den Übergang in den Beruf anbelangt, so sind Absolvent(inn)en mit Bachelorabschluss
laut den Befragungen vom INCHER-Kassel nicht mehr von Arbeitslosigkeit betroffen als die
Absolvent(inn)en anderer Abschlüsse. Nur 3 % der Uni- und nur 4 % der BA-
Absolvent(inn)en aus den Fachhochschulen (Schomburg 2009c, S. 74) sind arbeitslos bzw.
beschäftigungssuchend, bei den Masterabsolventen sind es gar nur 2 %. Diese Zahlen
liegen nicht höher als die Quoten der Absolvent(inn)en der traditionellen Abschlüsse –
weshalb Schomburg und Teichler (2009, S. 115) die Zahlen mit einem optimistisch-trotzigen
„Bachelor – geht doch“ kommentieren. Vielleicht aber ist die Quote der Bachelor-
absolvent(inn)en auch deshalb so niedrig, weil potenziell arbeitslose Absolvent(inn)en
weiterstudieren, da sie am Arbeitsmarkt nicht unterkommen bzw. meinen, nicht
unterzukommen?
Ein anderer Befund der Kasseler Absolventenbefragung scheint in diesem Zusammenhang
besonders erwähnenswert: Relativ wenige der Bachelorabsolvent(inn)en aus den
Universitäten – nur 55 % – sind eineinhalb Jahre nach dem Abschluss unbefristet
beschäftigt. Die anderen Abschlüsse weisen hier mindestens 70 % und bis zu 88 % auf
(ebd., S. 121).
Nach dem Einkommen der Absolvent(inn)en wurde in der Kasseler Absolventenstudie
ebenfalls gefragt. Im Durchschnitt ist das Einkommen von Bachelorabsolvent(inn)en aus
Universitäten etwa 20 % geringer und von Bachelorabsolvent(inn)en aus Fachhochschulen
etwa 15 % geringer als das Durchschnittseinkommen aller Hochschulabsolvent(inn)en (2.800
Euro brutto9) (ebd., S. 125).
Soweit dieser Parcours-Ritt durch den Quoten-Ergebniswald von „Bologna“. Für genauere
Informationen sei auf die Studien verwiesen, die mittlerweile fast alle im Internet erhältlich
sind.
4. Einschätzungen zur Studienpraxis
Einschätzungen zur Studienpraxis werden in den bislang durchgeführten Forschungs-
projekten auf Basis von Studierenden- und Absolventenbefragungen vorgenommen. Es sind
v.a. die Untersuchungen des HIS-Instituts für Hochschulforschung, der AG Hochschul-
forschung der Universität Konstanz (zum Teil in Zusammenarbeit) und wiederum die
Absolventenbefragungen vom INCHER-Kassel, die im Folgenden herangezogen werden.
Wieder muss betont werden: Es werden die Aussagen verschiedener Gruppen von
Befragten gegenübergestellt. Mit einem derartigen Untersuchungsdesign misst man weniger
die Unterschiede in den Studiengängen, sondern vielmehr die Unterschiede in den
Aussagen und Bewertungen der Absolvent(inn)en- bzw. Studierendengruppen, die allerdings
ein Hinweis auf die Unterschiede in den Studiengängen sein können. Da es um
Bewertungsfragen geht, erscheint diese Herangehensweise auch angebracht. Denn wie
sollten Unterschiede in der Studienpraxis – außer durch Expertenurteile von
Fachvertreter(inne)n – auch sonst gemessen werden?
9 „Das Brutto-Monatseinkommen von Fachhochschul- und Universitätsabsolvent(inn)en des alten Systems wie
der Master-Absolventen von Universitäten beträgt eineinhalb Jahre nach Studienabschluss bei den (ausschließlich) Beschäftigten im Durchschnitt jeweils etwa 2.800 Euro.“ (Schomburg/Teichler 2009, S. 125)
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 29
Im Folgenden soll nur auf Befunde zur Studienqualität und zum Zeit- und Prüfungsaufwand –
drei der meistgenannten Hauptkritikpunkte an der Reform – eingegangen werden, die
grundsätzlich die Studierbarkeit der neuen Studiengänge infrage stellen können.
4.1. Zeitaufwand
Die Auswertung der Studierendensurveys der AG Hochschulforschung der Universität
Konstanz (Bargel/Multrus/Ramm/Bargel 2009) – bestätigt durch Studien des HIS-Instituts für
Hochschulforschung (Isserstedt/Middendorff/Kandula/Borchert/Leszczensky 2010, S. 25) –
zeigt, dass der Zeitaufwand für das Studium nicht bzw. nur leicht größer geworden ist,
vergleicht man die Aussagen von Bachelor- und von Magister- bzw. Diplomstudierenden. Die
Studie des HIS-Instituts stellt zudem fest, dass Bachelorstudierende mehr Zeit für
Lehrveranstaltungen verwenden als Diplom-, Magister- und Masterstudierende. Das ist auch
nicht so verwunderlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in den ersten Semestern
schon immer relativ viele Veranstaltungen belegt werden mussten, in denen v.a.
Grundlagenwissen vermittelt wird.
Erste publizierte Ergebnisse aus dem Projekt ZEITLast „Lehrzeit und Lernzeit: Studierbarkeit
der BA-/BSc und MA-/MSc-Studiengänge“ deuten ebenfalls darauf hin, dass relativ wenig
Zeit effektiv für das Studium verwendet wird (siehe den Beitrag von Metzger/Schulmeister
auf den Seiten 68-78 dieser Publikation). Allerdings wird kein Vorher-Nachher-Vergleich zum
alten Studiensystem durchgeführt. Das Resultat ist: Im Endeffekt verwenden die
Studierenden relativ wenig Zeit für ihr Studium, je nach Fachgruppe zwischen 20 und 27
Stunden pro Woche; die jeweilige Abschlussart ist hierbei offensichtlich relativ gesehen ohne
Bedeutung.
„Befragungen im Rahmen von ZEITLast ergaben, dass sich nicht wenige Studierende
subjektiv durchaus belastet fühlen: Den Studierenden sind die Bologna-Vorgaben z.T.
nicht einmal bewusst, vielen ist auch nicht klar, dass sie wenig Zeit in ihr Studium
investieren. Obwohl sie tatsächlich wenig Zeit aufwenden, geben sie an, dass sie viel
Zeit investieren, klagen über Stress und Belastung und sehen ihre hohen Ansprüche
an sich selbst als erfüllt an. Die subjektiv empfundene Belastung und der objektiv
gemessene Zeitaufwand weichen extrem voneinander ab. Worin ist denn der Grund für
die Diskrepanz zwischen subjektivem Empfinden und objektiv festgestellter Leistung zu
suchen? Unseres Erachtens liegt die Ursache dafür in der kleinteiligen Semester-
organisation, einer Lehrorganisation, nach der die Studierenden pro Woche mehrere
vorwiegend zweistündige Veranstaltungen zu besuchen haben, wodurch sie es mit bis
zu 10-12 Themenwechseln pro Woche zu tun haben.“ (Metzger/Schulmeister 2010, S.
4)
Die allerorten kritisierte Steigerung der zeitlichen Belastung wird in den empirischen Studien
so nicht bestätigt. Neu ist offensichtlich der subjektive Eindruck der gestiegenen Belastung,
des gewachsenen Zeitdrucks und des erhöhten Prüfungsdrucks bzw. der überbordenden
Prüfungsbelastung. Jedenfalls liest und hört man dies immer wieder. Ob es tatsächlich ein
verallgemeinerbares Phänomen des „neuen Studierens“ ist, wäre genauer zu untersuchen.
4.2. Prüfungsbelastung
Der These von der Überforderung durch Prüfungsfülle widerspricht das Untersuchungs-
ergebnis der AG Hochschulforschung. Die Autoren können nach der Auswertung von
Seite 30 | Überblick über empirische Befunde zur Bologna-Reform in Deutschland
repräsentativen Studierendenbefragungen nicht erkennen, „dass solche Belastungen [durch
Prüfungen und Leistungsanforderungen, MW] generell mit der Einführung des Bachelors
unter den Studierenden zugenommen haben: sie haben stets ein hohes Niveau aufgewiesen
– mit ausgeprägten Fachdifferenzen“ (Bargel et al. 2009, S. 8).
Laut der Kasseler Studie verbringen die Bachelorabsolvent(inn)en der Fachhochschulen
mehr Zeit während der Vorlesungszeit für ihre Prüfungsvorbereitung als die Diplom-
absolvent(inn)en (FH), aber weniger Zeit in den Semesterferien (Schomburg 2009a, S. 39f.).
Das heißt, die Prüfungen wurden in die Vorlesungszeit verlagert. Dieser Befund basiert – wie
oben schon betont – auf Aussagen der Studierenden. Aussagen der Lehrenden dazu wurden
in der eingangs dieses Beitrags vorgestellten Studie des HoF zum Curricula-Vergleich
erhoben, allerdings können diese nicht als repräsentativ bezeichnet werden. Angewachsen
ist laut Aussagen der von uns befragten Fachvertreter(innen) der Prüfungsaufwand
(Winter/Anger 2010).10 Insbesondere liegt der Grund darin, dass Prüfungen vielerorts
veranstaltungsbezogen absolviert werden müssen. Module, die zumeist aus mehreren
Veranstaltungen bestehen, haben entsprechend viele Prüfungen, obgleich eigentlich eine
pro Modul reichen würde – wie das nun auch die modifizierten Strukturvorgaben der
Kultusministerkonferenz (2003/2010) verlangen.
4.3. Beurteilung des Studiums
Nicht nur hinsichtlich der Zeit- und Prüfungsbelastung, sondern auch hinsichtlich ihrer
Beurteilung des Studiums werden Studierende alljährlich durch das HIS-Institut befragt.
Diese Daten werden im Rahmen der Online-Befragung „Studienqualitätsmonitor“ erhoben.
Grundsätzlich – so lautet der Befund von Heine (2011) – schneiden die neuen Studiengänge
im Urteil der Studierenden an beiden Hochschultypen nicht besser ab als die alten. Eine
weitere Publikation des HIS-Instituts, die anhand des Studienqualitätsmonitors (von 2008)
studentische Einschätzungen zu alten und neuen Studiengängen vergleicht, kommt zu
einem ähnlichen Schluss. Diese bezieht sich allerdings nur auf Baden-Württemberg. Das
Ergebnis in einem Satz: Die „neuen“ Fachhochschulstudierenden sind nicht zufriedener und
die Universitäts-Studierenden sind etwas zufriedener mit der Studienqualität als ihre
Kommiliton(inn)en im alten System:
„Alles in allem hat sich die Zufriedenheit der Studierenden an Fachhochschulen durch
die Einführung der gestuften Studienstruktur nicht verbessert. Während in der
traditionellen Studienstruktur die Studierenden an den Fachhochschulen zufriedener
mit ihren Studienbedingungen waren als Studierende an Universitäten, kommt es
durch die neue einheitliche Studienstruktur in dieser Beziehung zu einer Verbesserung
der Studienqualität an den Universitäten.“ (Griga/Leszencki 2009, S. 44f.)
Christoph und Roessler (2010) vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) untersuchten
die Bewertungen der verschiedenen Studienabschlüsse durch Studierende verschiedener
Fachrichtungen (ausführlicher dazu siehe auch den Beitrag von Roessler auf den Seiten 88-
105 dieser Publikation). Die Daten stammen aus den Befragungen im Rahmen des CHE-
10
Es stellt sich indes die methodische Frage, wie Veränderungen in der Prüfungsbelastung gemessen werden
könnten. Sind Anzahl und Dauer der Prüfungen (was gilt als Prüfung – auch die Leistungsnachweise?) und/oder die Dauer der Prüfungsvorbereitungen ein hinreichender Indikator für Prüfungsbelastung? Eine Möglichkeit wäre, zeitlichen Prüfungsaufwand bzw. zeitlichen Vorbereitungsaufwand – wenn vorhanden – anhand der Angaben in den Modulbeschreibungen direkt zu ermitteln. Die Schwere der Prüfungen, die auch einen Teil der Belastung ausmacht, ist hier allerdings nur indirekt zu ermessen.
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 31
HochschulRankings. Verglichen wurden die Urteile von Bachelor-, Magister- und Diplom-
studierenden zum Studium (Studiensituation, Betreuung, Auslandsstudium, Arbeitsmarkt-
und Berufsbezug, Praxisbezug): Deutlich besser ist der Durchschnitt der Urteile von
Bachelor- und Masterstudierenden in den Gesellschaftswissenschaften an Universitäten im
Vergleich zu Magister- bzw. Diplomstudierenden geworden – dies gilt für alle fünf Aspekte,
also auch für den Praxisbezug. Bei allen anderen Fächergruppen (Wirtschaftswissen-
schaften, Ingenieurwissenschaft, Geisteswissenschaften, Sprachwissenschaft) sind die
Unterschiede zwischen den Resultaten der Erhebungen vor und nach der Reform nicht sehr
groß und in ihrer Richtung nicht eindeutig. Das Urteil zu den neuen fällt gegenüber den
Urteilen zu den alten Studiengängen in Einzelaspekten mal etwas besser und mal etwas
schlechter aus. Dies gilt sowohl für Fachhochschulen als auch für Universitäten.
In der Absolventenbefragung vom INCHER-Kassel wurde auch nach Einschätzungen der
Praxisorientierung des absolvierten Studiums gefragt. Dafür wurde ein Index aus folgenden
Items gebildet: Praxisbezogene Lehrinhalte, Verknüpfung von Theorie und Praxis, Aktualität
der vermittelten Lehrinhalte bezogen auf Praxisanforderungen, Vorbereitung auf den Beruf,
Lehrende aus der Praxis, Projekte im Studium/Studienprojekte/Projektstudium sowie
Pflichtpraktika/Praxissemester. Das Ergebnis lautet zusammengefasst: An den
Fachhochschulen gibt es nur kaum bessere Urteile, an Universitäten leicht bessere Urteile
der Absolvent(inn)en der neuen Studiengänge (Schomburg 2009b, S. 51); v. a. der Magister
schnitt aufgrund seiner nur als gering eingeschätzten Praxisorientierung schlechter, der
Master dagegen besser ab.
5. Fazit
Die Urteile der Absolvent(inn)en und Studierenden der neuen Studiengänge aus den
Fachhochschulen scheinen grundsätzlich etwas negativer auszufallen als die ihrer
Kommiliton(inn)en, die einen alten Abschluss anstreben. Bei den Studierenden an den
Universitäten fällt diese Tendenz etwas positiver aus.
Generell verfestigt sich aber der Eindruck, dass die inhaltlichen Unterschiede – nicht die
formalen – zwischen alten und neuen Studiengängen und die Unterschiede in der
Einschätzung der Studienpraxis nicht allzu groß sind. Die angekündigte, erhoffte oder
befürchtete „Bologna-Revolution“ fand offenbar so nicht statt. Der Umbruch in der formalen
Studienganggestaltung bedingt also kein gänzlich neues Studieren.
Bei all den Vergleichen von „vor und nach Bologna“ kann es passieren, dass längerfristige
Entwicklungen nicht treffend eingeordnet werden, sondern festgestellte Effekte einfach der
Bologna-Reform zugeschrieben werden. Die Vermutung ist aber vielmehr, dass sich
langfristige Entwicklungen, die schon vor „Bologna“ begonnen haben, im neuen System
fortsetzen und eventuell auch forciert werden – was genauer zu untersuchen wäre (vgl. den
Beitrag von Tino Bargel auf den Seiten 218-225 dieser Publikation). Deshalb ist ein
Augenmerk auf diese längerfristigen Entwicklungstendenzen zu legen (vgl. Winter 2009, S.
77f.). Dazu gehört zum einen die Art und Weise des Studierens und zum anderen die Denk-
und Verhaltensmuster der Studierenden (Studiermentalität) und schließlich auch die der
Lehrenden. Hier ist weiterer Forschungsbedarf angezeigt.
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Seite 36 | Bestandsaufnahme in 48 europäischen Hochschulsystemen
Wirkungen von Bologna auf Studierende: Eine Bestandsaufnahme in 48 Hochschulsystemen
Johanna Witte, Don F. Westerheijden, Andrew McCoshan1
Abstract
Die 47 Unterzeichnerstaaten des Bologna-Prozesses haben sich ehrgeizige Reformziele mit
weitreichenden Folgen für ihre Hochschulsysteme gesetzt. Eine umfassende
Bestandsaufnahme, in wieweit die Ziele erreicht wurden, fehlte bislang. Dies gilt erst recht für
die Wirkungen auf Studierende. Dieser Artikel stellt einen ersten Versuch dar, diese Lücke
zu füllen. Er basiert auf einer umfangreichen Studie, die im Auftrag der Europäischen
Kommission und der Bologna-Follow-Up Group von einem internationalen Wissenschaftler-
team unter Leitung des niederländischen Center for Higher Education Policy Studies
(CHEPS) durchgeführt wurde (Westerheijden et al, 2010). Dieser Artikel nimmt die dort
generierten Daten aus 48 europäischen Hochschulsystemen2 im Hinblick auf die
Fragestellung unter die Lupe, was daraus über die Wirkungen der Reformen auf Studierende
gelernt werden kann.
1. Intendierte Wirkungen auf Studierende
Im ersten Schritt gilt es herauszuarbeiten, welche Wirkungen auf Studierende überhaupt im
Rahmen des Bologna-Prozesses intendiert waren. Da der Bologna-Prozess ein komplexes
Set von Zielen und Maßnahmen beinhaltet, die meist nicht direkt aus Studierendensicht
formuliert wurden, in vielfältigen Bezügen zueinander stehen und sich zudem im Zeitverlauf
weiterentwickelt haben, ist dies keine triviale Aufgabe.
Die folgende Abbildung stellt den Versuch dar, die im Rahmen des Bologna-Prozesses
formulierten Ziele und Maßnahmen in eine Systematik und hierarchische Abfolge zu bringen.
Insgesamt konnten wir zwölf verschiedene Maßnahmensets identifizieren (unterste Ebene).
Diese haben wir den operativen Zielen zugeordnet, mit denen sie am engsten in Verbindung
stehen. Es ist jedoch ein Merkmal des Bologna-Prozesses, dass jedes Instrument
typischerweise mit mehreren Zielen in Verbindung steht. Zudem umfasst der Bologna-
Prozess sowohl strukturelle Maßnahmen wie die gestufte Studienstruktur und das „European
Credit Transfer System“ (ECTS), die von den meisten Regierungen als quasi-verpflichtende
Elemente vorgegeben wurden, als auch „weichere“ Elemente wie die Unterstützung von
1 Dieser Text basiert auf einem englischsprachigen Artikel, dessen Hauptautor Andrew McCoshan ist und der sich
im Moment im Review-Prozess des Journal of Education Policy befindet. Der Artikel wurde in ähnlicher Form zuerst auf der 32. Jahreskonferenz von EAIR (der European Higher Education Society) im September 2010 in Valencia präsentiert. Da er auf eine Studie zurückgreift, die in gemeinsamer Arbeit eines großen Forscherteams entstanden ist,verdienen viele Menschen unseren Dank. Die folgenden Teile speisen sich im Besonderen aus Beiträgen weiterer Autoren der Studie: Mobilität und Anerkennung ausländischer Abschlüsse (Eric Beerkens, Leon Cremonini, Pedrag Lažetić); Ausweitung des Hochschulzugangs (Yasemin Yağci, Manuel Souto Otero, Neringa Mozuraityté), Qualitätssicherung (Alexandra Kovač, Egbert de Weert). Die Autoren dieses Artikels sind jedoch allein verantwortlich für seinen Inhalt, der nicht notwendiger Weise die Meinung anderer Teammitglieder wiedergibt.
2 Da die Repräsentant(inn)en des flämischen und des französischen Teils Belgiens getrennt unterzeichnet haben,
die Hochschulsysteme Schottlands und Englands (mit Northern Ireland und Wales) jedoch trotz gemeinsamer Unterzeichnung für das Vereinigte Königreich deutlich voneinander abweichen, kommt man bei 46 Teilnehmerstaaten auf 47 Unterschriften und 48 Hochschulsysteme.
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 37
Studierendenmobilität und die Anerkennung von Studienleistungen und Kompetenzen, deren
Verbreitung in höherem Maße von freiwilliger Umsetzung, Anreizstrukturen, Vorbildern etc.
abhängt. Weiterhin unterschieden wir operative, spezifische und allgemeine Ziele des
Prozesses.
Abbildung 1: Hierarchie von Zielen und Maßnahmen im Bologna-Prozess
Zwei Dinge stechen beim Lesen der offiziellen Bologna-Dokumente (Kommuniqués,
Deklarationen) im Hinblick auf die intendierten Wirkungen auf Studierende ins Auge: Erstens
werden diese weder systematisch noch umfassend artikuliert, sondern sind über viele
Dokumente verteilt und oftmals nur implizit genannt. In der Bologna-Erklärung selbst taucht
das Wort „Studierende“ nur zweimal auf. Am meisten Substanz weisen noch die
Formulierungen zu Mobilität im Leuven-Kommuniqué auf, auch wenn es selbst hier kaum um
beabsichtigte Effekte geht. Um die intendierten qualitativen bzw. quantitativen Wirkungen der
Maßnahmen auf Studierende zusammenzustellen, mussten wir diese daher aus den Texten
kondensieren bzw. erschließen (Kommuniqués, in denen sie genannt sind, werden in
Klammern genannt):
Qualitative Wirkungen auf Studierende:
Förderung der Persönlichkeitsentwicklung (London and Leuven), u.a. der Fähigkeit,
Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen durch flexiblere Lernpfade
und studierendenzentriertes Lernen;
Seite 38 | Bestandsaufnahme in 48 europäischen Hochschulsystemen
Verbesserung der „Employability“ (Sorbonne, Berlin, Leuven) und bessere
Vorbereitung auf das Berufsleben (London);
Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements (Berlin, Bergen, London, Leuven);
Stärkung der europäischen Identität (Berlin);
Förderung des Respekts vor Vielfalt und der Fähigkeit, mit anderen Kulturen umzu-
gehen (Leuven);
Förderung der Mehrsprachigkeit (Leuven).
Quantitative Wirkungen auf Studierende (Volumeneffekte):
erhöhte Mobilität in den europäischen Hochschulraum aufgrund erhöhter
Attraktivität;
erhöhte Mobilität innerhalb des europäischen Hochschulraums;
mehr Studierende in Studiengängen höherer/gesicherter Qualität;
mehr Studierende auf flexibleren Lernpfaden;
eine ausgewogenere Repräsentanz der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in der
Studierendenschaft.
Zum Verhältnis von Reformzielen und -wirkungen können drei grundsätzliche
Beobachtungen gemacht werden:
Der Bologna-Prozess scheint erstens darauf abzustellen, seine Hauptwirkungen auf
der Systemebene zu entfalten, wobei hier die europäische, die nationale und die
Hochschulebene inbegriffen sind. Angenommen wird, dass Änderungen auf diesen
Ebenen – teilweise indirekt oder implizit – positive Wirkungen auf Studierende
entfalten.
Obwohl zweitens alle Ziele im Zusammenhang mit Studierenden stehen und deren
Erreichung Wirkungen auf sie haben soll, wurde bei der Formulierung offensichtlich
nicht primär von den Studierenden ausgegangen. Daher bleiben die Beziehungen
zwischen den operativen Zielen und den Wirkungen auf Studierende oftmals unklar
und müssen erschlossen werden.
Drittens ist es schwierig, die Wirkungen einzelner Ziele und Maßnahmen auf
Studierende festzustellen, da eine Fülle von Kontextfaktoren auf allen Ebenen mit
im Spiel ist. Die Frage, welchen Anteil „Bologna“ an bestimmten Veränderungen hat,
ist daher müßig; zudem ist sie aus Studierendensicht irrelevant. Bologna hat eine
Fülle vorhandener Trends aufgefangen, kanalisiert und wiederum mit gestaltet
(Witte 2006, S. 3; S. 464-465), sodass es uns wichtiger erscheint, zu analysieren,
was geschieht und wie man zukünftig darauf reagieren kann oder sollte.
Im Folgenden strukturieren wir unsere Analyse in Anlehnung an die vier operativen Ziele
(siehe Abbildung 1) anhand der Kategorien Vergleichbarkeit und Anerkennung, Qualitäts-
sicherung, flexible Lernpfade und Offenheit der Hochschulsysteme, ergänzt um den Punkt
internationale Studierendenmobilität. Wir fragen jeweils zuerst, welche Daten über die
Zielerreichung vorliegen („Reformwirkungen“), um dann die Konsequenzen in Bezug auf
Datensammlung und -analyse zu diskutieren („Implikationen und Herausforderungen“).
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 39
Für die zugrunde liegende Studie wurden sämtliche zum Bologna-Prozess vorliegenden
Daten (Stocktaking 2009, Eurydice 2009, Bologna with Student Eyes etc.) ausgewertet und
ergänzt um Informationen aus internationalen (UNESCO-, ERASMUS- etc.) und nationalen
Statistiken sowie unabhängigen wissenschaftlichen Vergleichsstudien. Die so generierten
quantitativen und qualitativen Indikatoren wurden einem Plausibilitäts-Check durch
Hochschulforscher(innen) aus je einem der untersuchten 48 Systeme unterzogen, die auch
fehlende Angaben ergänzten sowie Daten für das Jahr 2009 aktualisierten. Weiterhin wurden
im Rahmen der Studie 150 Interviews sowie drei thematische und drei Länder-Fallstudien
durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie wurden zudem vor Veröffentlichung den Mitgliedern
der Bologna-Follow-up Group zur Kontrolle vorgelegt. Im Wesentlichen stützen sich also die
in diesem Artikel verwendeten Angaben auf die überprüften, ergänzten und teilweise
aktualisierten Daten aus Stocktaking und Eurydice 2009. Im Folgenden wird die jeweilige
Herkunft der Daten nicht mehr einzeln erläutert, sie kann aber aus den zugrunde liegenden
Quellen nachvollzogen werden.3
2. Internationale Studierendenmobilität
2.1. Reformwirkungen
In räumlicher Hinsicht ist zwischen Bewegungen innerhalb des europäischen
Hochschulraums und Bewegungen aus anderen Staaten in den europäischen
Hochschulraum hinein zu unterscheiden. Weiterhin sollte unterschieden werden zwischen
Studierenden, die ihren gesamten Hochschulabschluss und solchen, die nur Teile davon in
einem anderen Land absolvieren („Abschlussmobilität“ versus „Creditmobilität“).4 Mehrere
größere Veränderungen fanden zwischen 1999 und 2007 statt:5
Die Anzahl Studierender aus dem nicht-europäischen Ausland, die einen Abschluss
im europäischen Hochschulraum absolvierten, stieg um 74 % und war höher als der
allgemeine Anstieg der Studierendenzahlen (33 %) in Europa. Auch wenn dies als
Zeichen erhöhter Attraktivität des europäischen Hochschulraums gewertet werden
kann, ist doch zu fragen, ob die europäischen Hochschulsysteme auf diesen Anstieg
adäquat reagiert haben, was die Unterstützung ausländischer Studierender betrifft.
2,6 % aller Studierenden kamen 2007 aus Ländern außerhalb des europäischen
Hochschulraums, während ausländische Studierende aus Staaten innerhalb des
europäischen Hochschulraums nur 2,0 % ausmachten. Im Jahr 1999 betrugen die
Anteile jeweils nur 1,6 % und 1,9 %. Diese deutliche Verschiebung zugunsten
ausländischer Studierender von außerhalb des europäischen Hochschulraums wirft
Fragen nach der Orientierung von Hochschulen, anderen Institutionen wie
Austauschdiensten und nationalen Regierungen auf: Ist deren Interesse an der
Gewinnung „globaler“ Studierender tatsächlich größer als an denen aus anderen
3 Die Studie ist im Internet unter http://ec.europa.eu/education/higher-education/doc1290_en.htm sowie auf der
Website des CHEPS (www.utwente.nl/cheps/publications) verfügbar und liegt in zwei Bänden vor: „Detailed assessment report“ (Band 1) und „Case studies and appendices“ (Band 2).
4 Studierende, die mit einem angefangenen Studium ins Ausland gehen um dort den Abschluss zu machen,
werden unter “Abschlussmobilität“ gefasst.
5 Sämtliche Zahlen dieses Abschnitts basieren auf Westerheijden et al. 2010, Abschnitt 7.2, der wiederum auf
UNESCO-Daten basiert. Eine Unterscheidung zwischen Bachelor- und Masterstudierenden ist leider noch nicht möglich.
Seite 40 | Bestandsaufnahme in 48 europäischen Hochschulsystemen
Bologna-Staaten? Welche Anreize bieten entsprechende
Unterstützungsmaßnahmen und wie wirkt sich das auf die Studierendenströme aus?
Bisher ist es überwiegend westeuropäischen Staaten gelungen, Studierende aus
Ländern außerhalb des europäischen Hochschulraums anzuziehen, um ihren
Studienabschluss bei ihnen zu machen. 14 der 15 Staaten mit einer Wachstumsrate
oberhalb des Durchschnitts von 63 % sind aus dieser Gruppe. Daneben gibt es eine
große Gruppe von Staaten, deren ausländische Studierendenzahlen niedrig sind
oder sogar sinken. Angesichts dieser ungleichen Entwicklung lässt sich fragen, wie
tragfähig das Konzept eines gemeinsamen europäischen Hochschulraums ist.
Faktisch treten viele Hochschulen und ganze Hochschulsysteme in den Wettbewerb
und versuchen, mit individuellen Marketingstrategien ausländische Studierende
anzuziehen.
Was die Abschlussmobilität innerhalb des europäischen Hochschulraums betrifft, so
gibt es auch hier eine enorme Bandbreite, jedoch sind die westeuropäischen
Staaten weniger dominant: nur 16 der 29 Systeme mit einer Wachstumsrate über
dem Durchschnitt von 4,1 % stammen aus dieser regionalen Gruppe. Zugleich fällt
eine Kohorte von Staaten vorrangig aus Ost- und Zentraleuropa auf, die kaum
Studierende aus anderen europäischen Ländern anzuziehen vermag; in manchen
der Länder sinken die Zahlen sogar. Insgesamt gibt es deutliche Ost-West-
Unterschiede.
Eine Reihe von Ländern schicken deutlich weniger Studierende ins Ausland als sie
selbst empfangen, allen voran das Vereinigte Königreich. In Dänemark, den
Niederlanden und dem Vereinigten Königreich sank die Auswärtsmobilität in andere
Länder des europäischen Hochschulraums sogar.
Zur Creditmobilität liegen nur Daten aus Ländern innerhalb des europäischen
Hochschulraums vor und auch diese sind lückenhaft. Daten aus den Erasmus-
Programmen deuten darauf hin, dass das Wachstum der Austausch-
studierendenzahlen vorrangig auf die Ausweitung des Programms auf weitere
Länder zurückgeht. Auch hier ist zudem ein Ost-West-Muster sichtbar. Daten für 20
Staaten aus dem Eurostudent Survey (Orr/Schnitzer/Frackmann 2008) zeigen, dass
im Jahr 2008 in der Hälfte der untersuchten Länder der Anteil von Studierenden mit
einer Auslandserfahrung unter 10 % lag; in sieben Staaten lag dieser zwischen 10
und 15 %; in nur drei Ländern (Norwegen, Deutschland und Finnland) lag er über 15
%. Die Zahlen der Staaten, die im Rahmen dieses Surveys nicht untersucht wurden,
liegen aller Wahrscheinlichkeit nach eher niedriger.
2.2. Implikationen und Herausforderungen
Obwohl Mobilität ein Bereich ist, zu dem vergleichsweise viele Studierendendaten vorliegen,
fehlt eine systematische Datenerhebung für den europäischen Hochschulraum. Die
vorliegenden Daten beziehen sich entweder auf die Europäische Union sowie Länder, die mit
dieser durch Kooperationsprogramme verbunden sind oder sie sind weltweit und basieren
auf höchst unterschiedlichen nationalen Berichtssystemen. Zudem sind viele Daten
lückenhaft, z.B. indem sie nur Mobilität innerhalb organisierter Programme wie ERASMUS
erfassen.
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 41
Immerhin wird aus den Daten deutlich, dass trotz aller Betonung der Bedeutung von Mobilität
bisher nur ein verschwindend kleiner Anteil europäischer Studierender selbst ins Ausland
geht. Daten aus dem ERASMUS-Programm (Souto/Otero/McCoshan 2006) deuten zudem
auf eine soziale Ungleichverteilung der Mobilität hin.
Jenseits der Fakten, die einer systematischen Erhebung bedürfen, brauchen wir auch ein
besseres Verständnis davon, wie Studierende ihre Mobilitätsentscheidungen treffen. Nur so
kann man den großen geografischen Disparitäten auf die Spur kommen. Sind diese
vorrangig durch den Mangel von Möglichkeiten, durch hemmende Faktoren oder durch
Präferenzen der Studierenden (z.B. größerer Attraktivität außereuropäischer Hochschulen)
erklärbar?
Auch wissen wir wenig über die Qualität der Mobilitätserfahrungen und darüber, welcher
Anteil der im Ausland erworbenen Fähigkeiten anerkannt wird. Zu beiden Fragen gibt es
ebenfalls keine umfassenden Erhebungen. Wie unterscheiden sich die Erfahrungen der
Studierenden zwischen Systemen und Hochschulen? Spielt der Prozentsatz ausländischer
Studierender in einem Gastland hierbei eine Rolle? Sind Hochschulsysteme mit geringeren
Anteilen ausländischer Studierender weniger attraktiv, weil sie weniger darauf vorbereitet
sind, auf deren Bedürfnisse einzugehen? Und wie ist es mit den Studierenden in Ländern,
die starke Zuwachsraten ausländischer Studierender aufweisen: Leiden sie darunter oder
profitieren sie davon? Wie haben Hochschulen und Hochschulsysteme auf den Anstieg
reagiert?
3. Qualitätssicherung
3.1. Reformwirkungen
Die meisten Bologna-Staaten hatten schon in den 1980er und 1990er Jahren verschiedene
Qualitätssicherungssysteme in der Hochschullehre eingeführt. Im Rahmen des Bologna-
Prozesses wurde versucht, eine größere Vergleichbarkeit dieser Systeme herzustellen. Dies
resultierte im Jahre 2005 in der Verabschiedung gemeinsamer Standards auf
Verfahrensebene ("European Standards and Guidelines“) sowie der Einführung eines
Europäischen Registers von Qualitätssicherungsagenturen (EQAR). Die Beteiligung von
Studierenden an den Qualitätssicherungsverfahren ist heute üblich. Bis auf eine Ausnahme
wurde in allen Hochschulsystemen interne und externe Qualitätssicherung eingeführt; aber
nicht alle Hochschulen wenden eigene Verfahren an (Westerheijden et al. 2010, Vol. 2 Case
studies and appendices).
In manchen Bologna-Staaten ist die Qualitätssicherung bis heute obrigkeitsstaatlich (top-
down) geprägt; ein Ansatz der vielfach nicht dazu beiträgt, ein effektives Engagement der
Hochschulen – bzw. der Lehrenden und Studierenden – für die Entwicklung einer Qualitäts-
kultur zu fördern. Ein fachbezogener Ansatz, wie er im Rahmen des Tuning- Projekts
pionierhaft entwickelt wurde, kann hier ein stärker basis- und inhaltsorientiertes
Gegengewicht bilden.
3.2. Implikationen und Herausforderungen
Es ist nicht leicht, die Wirkung von Qualitätssicherungsverfahren auf Studierende zu
beurteilen, da die Kausalkette von der Reform nationaler Qualitätssicherungssysteme bis zur
Veränderung der konkreten Erfahrungen Studierender in einem bestimmten Studiengang
Seite 42 | Bestandsaufnahme in 48 europäischen Hochschulsystemen
lang und indirekt ist. Umstritten ist sowohl das Verhältnis von Qualitätssicherung und Qualität
als auch zwischen Programmqualität und der Studienwirklichkeit. Die Implementierung der
„European Standards and Guidelines“ garantiert nicht, dass der/die einzelne Studierende
bessere Erfahrungen macht als in einem Hochschulsystem, einer Hochschule oder einem
Studiengang, in dem dies nicht der Fall ist. Es ist aufgrund der vielfältigen Wechselwirkungen
fast unmöglich, Qualitätssicherung isoliert von anderen Faktoren und Instrumenten zu
beurteilen. Dies heißt nicht, dass die gegenwärtigen Bemühungen um die Einführung und
Verbesserung nationaler Qualitätssicherungssysteme aufgegeben werden sollten, sondern
dass sie in jedem Fall konkrete Maßnahmen zur unmittelbaren Verbesserung der
studentischen Lernerfahrung beinhalten müssen, wie z.B. regelmäßige Überprüfung und
Überarbeitung der Studiengänge, Studierenden- und Absolventenbefragungen auf der
Ebene von Veranstaltungen, Studiengängen und Hochschulen, Studienabbruchstatistiken,
Unterstützungsprogramme für abbruchgefährdete Studierende etc. Da hier ein besonderer
Bedarf nach Daten besteht, die Akteurinnen und Akteuren in den Hochschulen und
zuständigen Ministerien Orientierung für unmittelbare Verbesserungen bieten, müsste man in
diesem Bereich über Inhalt und Nutzen standardisierter Datenerhebung für den
europäischen Hochschulraum besonders gut nachdenken.
4. Vergleichbarkeit und Anerkennung
4.1. Qualifikationsrahmen
4.1.1. Reformwirkungen
Die Einführung von Qualifikationsrahmen wurde im Jahr 2003 in den Katalog der Bologna-
Ziele aufgenommen. Ihnen kommt eine Schlüsselstellung zu zwischen Studienstrukturen,
Qualitätssicherung, Anerkennung von Studienleistungen und der sozialen Dimension. Bisher
wurden in acht der am Bologna-Prozess beteiligten Hochschulsysteme nationale
Qualifikationsrahmen eingeführt, die sich an einem auf europäischer Ebene vereinbarten
Meta-Qualifikationsrahmen (Framework of Qualifikations for the EHEEA) orientieren.
Qualifikationsrahmen sind auch ein Instrument, durch welches das Prinzip der Kompetenz-
und Ergebnisorientierung Verbreitung finden soll. Bisher sind die Wirkungen auf Studierende
noch minimal. In den Ländern scheint eine leichte Präferenz für fachbezogene
Qualifikationsrahmen zu bestehen. Allerdings gibt es hier auch Hinweise auf eine Tendenz
zu detaillierten Vorgaben und einer oberflächlichen Erfüllung durch Hochschulen (Allais
2007; Blackmur 2004), die wenig Nutzen für Studierende bringt (Rauhvargers et al. 2009).
4.1.2. Implikationen und Herausforderungen
Zur Beurteilung der Wirkung von Qualifikationsrahmen und der in diesem Kontext
geforderten Orientierung an „Learning Outcomes“ liegen noch keine systematischen Daten
vor. Letztlich hängt die Wirkung von Qualifikationsrahmen von der Interpretation und
Umsetzung auf Fächer-, Hochschul- und Studiengangebene ab. Nur wenn Akteurinnen und
Akteure auf diesen Ebenen von der Sinnhaftigkeit des Instruments überzeugt sind, kann es
seine Reformwirkung jenseits purer Formaldefinitionen entfalten. Die Frage, ob Studierende
mit dem Konzept des „Qualifikationsrahmens“ vertraut sind, ist zudem weniger wichtig als die
Frage, ob sich ihre Lernerfahrungen durch dessen Einführung verändert – ein Aspekt, der
besonders schwer empirisch zu erfassen ist.
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 43
4.2. Gestufte Studienstrukturen
4.2.1. Reformwirkungen
Schon vor Beginn des Bologna-Prozesses wiesen immerhin 30 der beteiligten 48
Hochschulsysteme gestufte Studienstrukturen auf; auch wenn sich diese dann vielfach nicht
als Bologna-kompatibel erwiesen und im Zuge des Bologna-Prozesses angepasst werden
mussten (entweder aufgrund der Dauer des ersten und zweiten Zyklus oder aufgrund der
(mangelnden) Anschlussfähigkeiten). Die übrigen Staaten führten grundlegend neue
Strukturen ein. Was die Dauer der ersten und zweiten Stufe betrifft, ist die Vielfalt jedoch bis
heute groß: 20 Hochschulsysteme lassen hier vielfältige Lösungen zu; in 19 Systemen
dominiert ein Modell von 180 Europäischen Credits (EC) für den Bachelor- und 120 EC für
den Mastergrad (3+2 Jahre Vollzeitstudium); in sieben Systemen umfasst der erste
Abschluss 240 EC (4 Jahre), gefolgt von 60-120 EC (1-2 Jahre) für den zweiten Abschluss.
Über die Wirkungen dieser verschiedenen Modelle und ihrer Vielfalt auf Studierende wissen
wir wenig. Wo Anerkennungspraktiken stärker auf der Studiendauer basieren als auf den
Abschlüssen bzw. Kompetenzen/Learning Outcomes, wird diese Vielfalt ein echtes
Mobilitätshindernis für Studierende und Absolvent(inn)en aus Systemen mit kürzeren
Studiendauern. Dennoch ist ein Fortschritt gegenüber der Ausgangssituation zu verzeichnen:
Damals war es schwierig für Absolvent(inn)en langer grundständiger Studiengänge, diese in
Hochschulsystemen mit gestuften Strukturen als mehr als einen Bachelorabschluss
anerkannt zu bekommen. Umgekehrt war es für Bachelorabsolvent(inn)en nicht leicht, einen
Quereinstieg in die langen grundständigen Studiengänge zu schaffen.
4.2.2. Implikationen und Herausforderungen
In Hochschulsystemen, die, wie das deutsche, aus einer Tradition langer, grundständiger
Studiengänge kommen, hängt die Beurteilung des Reformerfolgs stark von den
Arbeitsmarktperspektiven ab, die der Bachelorabschluss – gerade in den nationalen
Systemen – eröffnet, sowie von den Zugangschancen zum Masterstudium. Es wäre von
großem Interesse, europaweite Daten zu folgenden Fragen zu haben: Wie flexibel sind die
europäischen Hochschulsysteme durch die Reformen tatsächlich geworden? Wie häufig ist
der Wechsel von Studiengang, Hochschule oder Land zwischen Bachelor- und
Masterstudium inzwischen? Welcher Anteil der Studierenden tritt nach dem
Bachelorabschluss ins Berufsleben ein? Oder wird durch den Bologna-Prozess gar der
Master zum Regelabschluss in Europa gemacht – wie Adelman (2009) voraussagt? Und was
sind die tatsächlichen Präferenzen der Studierenden: Ziehen sie mehrheitlich einen frühen
Arbeitsmarkteintritt nach dem Bachelorabschluss vor oder möchten sie bis zum Master
„durchstudieren“? Wie viele von ihnen streben einen Richtungs- oder Hochschulwechsel an?
4.3. ECTS
4.3.1. Reformwirkungen
Vor dem Bologna-Prozess war die Rolle des „European Credit Transfer System“ (ECTS) auf
die Erleichterung des internationalen Studierendenaustauschs beschränkt; sein Potenzial zur
Flexibilisierung von Hochschulsystemen und zur stärkeren Studierendenorientierung hatte es
noch nicht entfaltet. Nur in wenigen Ländern, wie z.B. dem Vereinigten Königreich, gab es
schon lebhafte Debatten über diese Möglichkeiten.
Seite 44 | Bestandsaufnahme in 48 europäischen Hochschulsystemen
Heute wird in sämtlichen Teilnehmerstaaten des Bologna-Prozesses das ECTS oder ein
vergleichbares System in der Breite genutzt bzw. die Umstellung erfolgt gerade. In sechs
Systemen beschränkt sich der Gebrauch allerdings auf weniger als 75 % der Studiengänge;
und nur in zwölf Systemen erfolgt die Zuteilung der Credits auf Basis sowohl des
Arbeitsaufwands („Student Workload“) als auch der Lernergebnisse („Learning Outcomes“),
wie es der ECTS Users„ Guide vorsieht. In 22 Systemen werden entweder nur der
Arbeitsaufwand oder nur die Lernergebnisse zugrunde gelegt, in zwölf Systemen keins von
beiden.
Zudem variiert das Verständnis von Modularisierung, welche oft einhergeht mit der
Einführung von ECTS, enorm. Besonders die Modulgrößen variieren stark, was ein Problem
für die Mobilität darstellen kann (wenn Module sehr groß sind oder inkompatible Größen
haben).
Wo das ECTS schon umgesetzt ist, konzentriert sich die Debatte auf die Ausgestaltung.
Dazu gehört die Frage, ob Credits vorrangig auf Basis des studentischen Arbeitsaufwands
oder der Lernergebnisse vergeben werden sollten und wie das ECTS zur Verbesserung von
Anerkennung und Mobilität tatsächlich beitragen kann.
4.3.2. Implikationen und Herausforderungen
Während die formale Einführung von ECTS europaweit so gut wie flächendeckend erfolgt ist,
hängt der Nutzen für Studierende doch in hohem Maße davon ab, wie das ECTS umgesetzt
ist. Darüber wissen wir jedoch viel zu wenig: Macht das ECTS die Studiengänge tatsächlich
flexibler, wie intendiert? Wie wird in den Anerkennungspraktiken mit verschiedenen
Modulgrößen umgegangen? Wie wirkt es sich aus, wenn Credits auf Basis verschiedener
Kriterien wie studentischem Arbeitsaufwand oder Lernergebnissen vergeben werden? Sollte
das ECTS mit Niveau-Indikatoren versehen werden, wie dies in einigen englischen Credit-
Netzwerken der Fall ist?
4.4. Diploma Supplement
4.4.1. Reformwirkungen
Die flächendeckende Einführung des „Diploma Supplement“ sollte 2005 abgeschlossen sein,
d.h. zu diesem Zeitpunkt sollte es jedem Studierenden im europäischen Hochschulraum
ohne Antrag, kostenfrei und in einer der gebräuchlichsten europäischen Sprachen
ausgestellt werden. Dies ist heute in 30 Systemen in den meisten Hochschulen der Fall –
zumindest offiziell. Nicht überall jedoch wurde der entsprechende rechtliche Rahmen voll in
die Praxis umgesetzt. Zudem sind auch die Bekanntheit des Diploma Supplements und ein
Verständnis seiner Funktion bei Studierenden und Arbeitgeber(inne)n noch ausbaufähig.
4.4.2. Implikationen und Herausforderungen
Das Diploma Supplement gehört zu den am wenigsten umstrittenen Maßnahmen im
Rahmen des Bologna-Prozesses. Auch wenn es große Verbesserungspotenziale aufweist,
was seine Aussagefähigkeit und Nützlichkeit betrifft (siehe z.B. die Vorschläge von Adelman
2009), kann es zumindest wenig Schaden anrichten. Es wäre interessant zu wissen, wie
nützlich Studierende das Diploma Supplement bewerten und wie viele von ihnen bisher
Gebrauch davon machen, sowie zu welchen Zwecken.
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 45
5. Flexible Lernpfade
5.1. Reformwirkungen
Flexible Lernpfade sind ein Element des Bologna-Prozesses, das insbesondere von der
Europäischen Kommission – auch im Rahmen des Lissabon-Prozesses – betont wird und im
deutschen Hochschulsystem bisher vergleichsweise wenig Beachtung gefunden hat. Schon
der Begriff „flexibe learning paths“ hat im Deutschen keine gebräuchliche Entsprechung; die
Übersetzung „flexible Lernpfade“ ist eine Neuprägung.
Dennoch wurden Instrumente, die flexible Lernpfade ermöglichen können – wie ECTS,
Qualifikationsrahmen und Modularisierung – auch in Deutschland eingeführt. Ob sie aber
tatsächlich Flexibilität schaffen, hängt in hohem Maße von ihrer Interpretation und
Umsetzung ab. Weitere Flexibilität schaffende Maßnahmen sind die Anerkennung von in
anderen Bildungsbereichen erbrachten Leistungen und erworbenen Kompetenzen (hier vor
allem „recognition of prior learning“ (RPL), also z.B. in der Berufsbildung erworbene
Qualifikationen), Kurzstudiengänge („short-cycle studies“; unter drei Jahren) und die
Einführung von Wahlmöglichkeiten innerhalb von Studiengängen.
Was Instrumente des RPL betrifft, so werden diese in der Mehrzahl von den an Bologna
teilnehmenden Hochschulsystemen (28) kaum oder gar nicht gebraucht, während sie nur in
16 Systemen entweder national umgesetzt (14) oder im häufigen Gebrauch an den
Hochschulen sind (2). Auch wo RPL national umgesetzt ist, ist von starker Variation der
Anwendung in der Praxis auszugehen. Unter 21 europäischen Hochschulsystemen, von
denen Daten vorliegen, ist der Anteil von Studierenden, die über RPL Eintritt ins
Hochschulsystem gefunden haben, in England, Nordirland und Wales mit 15 % am
höchsten. Die 16 Länder mit der am weiten verbreitetesten Umsetzung von RPL liegen in
Westeuropa plus Slowenien.
Die Rolle von Kurzstudiengängen, deren Qualifikationsniveau unterhalb des Bachelors
anzusiedeln ist, bleibt im Bologna-Prozess offen. Diese tauchen im Europäischen
Qualifikationsrahmen zwar auf, die Bestimmung ihrer Funktion (insbesondere der
Anschlussfähigkeiten) wird jedoch der nationalen Umsetzung überlassen. Daher kann man
nicht sicher sein, Gleiches mit Gleichem zu vergleichen. Dennoch scheinen sie in 26
Systemen zu existieren und in einigen Ländern weisen sie beträchtliche Studierendenzahlen
auf (über 15 % in 8 Systemen, über 5 % in 12). Da Kurzstudiengängen eine Schlüsselrolle in
der Reaktion auf wechselnde Arbeitsmarktanforderungen zukommt (McCoshan et al. 2008),
wirft die große Variationsbreite ihrer Umsetzung Fragen auf.
Bisher wurden nur in 13 Systemen 90 % oder mehr der Studiengänge modularisiert und ein
gemeinsames Verständnis der Modularisierung als Instrument für mehr Flexibilität,
Übertragbarkeit von Leistungen und Mobilität gibt es bisher nicht. Sieben Systeme haben
keine modularen Strukturen, 14 haben mit der Modularisierung erst begonnen und 13
befinden sich mitten in der Umsetzung. Das Verständnis von Modularisierung variiert dabei
erheblich, von der Untergliederung des Studiums in kleine Bausteine über die Kombination
von Lehrveranstaltungen in größere Einheiten bis zur Einführung von Spezialisierungs-
richtungen („tracks“).
Seite 46 | Bestandsaufnahme in 48 europäischen Hochschulsystemen
5.2. Implikationen und Herausforderungen
Das Bologna-Ziel der flexiblen Lernpfade ist bisher nur unzureichend definiert und
konzeptualisiert, sodass sowohl unklar bleibt, welche Maßnahmen von Unterzeichnerstaaten
im Zuge der Umsetzung eigentlich erwartet werden als auch wie genau diese Maßnahmen
zur Zielerreichung beitragen sollen. Das im letzten Abschnitt genannte Maßnahmenbündel
aus ECTS, Modularisierung, Kurzstudiengängen etc. wurde für die diesem Artikel zugrunde
liegende Studie als „Proxies“ zusammengestellt und lässt sich nicht eindeutig aus den
Bologna-Dokumenten entnehmen. Die entscheidende Frage, inwieweit diese umgesetzten
Maßnahmen tatsächlich die Flexibilität individueller Lernpfade erhöht haben, wurde zudem
bisher nicht europaweit untersucht.
In diesem Bereich wäre es also sehr hilfreich für die künftige Politikentwicklung, die
notwendigen Instrumente besser zu definieren und zu erheben, welcher Anteil der
Studierenden sie schon für eine Flexibilisierung der eigenen Lernpfade nutzt. Neben den
oben genannten Instrumenten gehören sicher weitere dazu, wie die Erleichterung des
Hochschulzugangs ohne klassische Hochschulzugangsberechtigung, großzügige
Anerkennungspraktiken und die Verbesserung des Übergangs vom beruflichen zum
hochschulischen Lernen. Ein alternativer und vielleicht sogar sinnvollerer Erhebungsweg
wäre es, Studierende zu Fragen, als wie flexibel sie ihren persönlichen Lern- und
Studienpfad erlebt haben und welchen Flexibilität schaffenden und verhindernden Faktoren
sie begegnet sind.
6. Offenheit der Hochschulsysteme
6.1. Reformwirkungen
Ein hehres, im Rahmen des Bologna-Prozesses formuliertes Ziel ist, dass die soziale
Zusammensetzung der Studierendenschaft derer der Bevölkerung entsprechen sollte
(London Communiqué 2007). Davon sind die Hochschulsysteme des europäischen
Hochschulraums jedoch weit entfernt. In 39 der an Bologna beteiligten Hochschulsysteme
sind bestimmte Studierendengruppen im Vergleich zur Zusammensetzung der
Gesamtbevölkerung unterrepräsentiert, typischerweise Studierende, deren Eltern ein
niedriges Einkommen oder einen niedrigen Bildungsstand haben. Der Frauenanteil an den
Studierenden liegt zwar inzwischen in der Regel über 50 %, in naturwissenschaftlichen und
technischen Fächern sowie im Master- und Promotionsbereich sind sie jedoch
unterdurchschnittlich vertreten. Soweit das aufgrund der vorhandenen Daten feststellbar ist,
hat sich der Anteil Studierender aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen im Zuge des
Bologna-Prozesses kaum verändert.
Die Verbesserung der Zugänglichkeit der Hochschulsysteme beinhaltet die Schaffung
flexiblerer Lernpfade (siehe oben), aber auch die direkte Unterstützung Studierender, die
nicht das „traditionelle Profil“ aufweisen, z.B. durch Anpassung der Studiengänge (Teilzeit,
E-Learning, Baukastensysteme, besondere Veranstaltungszeiten etc.) und durch gezielte
Beratung und finanzielle Hilfe.
Insgesamt gibt es hier noch viel Raum für Verbesserung:
Die gezielte Nutzung von Maßnahmen wie der Einführung von Kurzstudiengängen,
Modularisierung und Wahlmöglichkeiten zur Verbesserung der Zugänglichkeit des
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 47
Hochschulsystems für unterrepräsentierte Gruppen steckt noch in den Kinder-
schuhen.
Weniger als die Hälfte der Hochschulsysteme bietet bisher großflächig entweder
Teilzeit-, Fernstudium oder Studiengänge, die zu arbeitnehmerfreundlichen Zeiten
wie Abenden und Wochenenden stattfinden, an.
Was das Thema Studienberatung betrifft, so geben weniger als die Hälfte der
Hochschulsysteme an, diese flächendeckend vorzuhalten; in einem Fünftel der
Systeme gibt es gar keine Studienberatung. Insgesamt variieren Verfügbarkeit, Art
und Qualität der Studienberatung enorm.
Die finanzielle Unterstützung Studierender variiert ebenfalls enorm. Sechs liegen mit
einer Kombination aus finanzieller Unterstützung Studierender, niedrigen Gebühren
und einem hohen Anteil öffentlicher Investitionen ins Hochschulsystem an der
Oberkante des Möglichen; sechs Systeme befinden sich am gegenüberliegenden
Ende dieses Spektrums; der Rest liegt im Mittelfeld. In 33 Systemen ist die
finanzielle Unterstützung für Studierende sehr niedrig.
Insgesamt wird im europäischen Hochschulraum noch wenig für die Öffnung der
Hochschulsysteme für unterrepräsentierte Gruppen getan. Die Maßnahmen, die diese
befördern können, werden selten zielgerichtet eingesetzt und variieren zudem stark
zwischen den Systemen. Im Stocktaking-Bericht 2009 gab es immerhin zwölf Systeme, die
zum Abschnitt „Soziale Dimension“ gar keine Angaben machten – ein Indiz für das Ausmaß
der noch unbewältigten Aufgaben.
6.2. Implikationen und Herausforderungen
Ähnlich wie im Bereich “flexible Lernpfade” ist auch das Ziel der Öffnung der
Hochschulsysteme nicht präzise definiert und operationalisiert, was sowohl Ausdruck davon
als auch Ursache dafür ist, dass es nicht zu den Prioritäten des Bologna-Prozesses zählt.
Was steht einer breiteren Implementierung von entsprechenden Maßnahmen entgegen:
Mangelndes Interesse der Verantwortlichen, zu hohe Kosten oder strukturelle Hürden? Was
hindert Studienberechtigte aus unterrepräsentierten Schichten an der Aufnahme eines
Hochschulstudiums? Welche Typen der Flexibilisierung von Studiengängen sind am
nützlichsten und wie gewährleistet man ihre Nutzung durch die Zielgruppen? Über all diese
Themen wissen wir bisher viel zu wenig.
7. Schlussfolgerungen
Eine Bestandsaufnahme des vorliegenden Materials zeigt vor allem die enorme Vielfalt
studentischer Erfahrungen über die letzten zehn Jahre und in 48 beteiligten Systemen. Der
Weg, den Hochschulsysteme und Hochschulen zurückzulegen hatten, um die Bologna-Ziele
umzusetzen, war unterschiedlich lang. So bedeutete die Einführung gestufter Studien-
strukturen als Bologna-Standard im europäischen Hochschulraum für einige Systeme eine
grundlegende Umstrukturierung, andere verfügten bereits 1998, als die Sorbonne-Erklärung
den Bologna-Prozess in Gang setzte, über diese Strukturen. Ähnliches gilt für die
Modularisierung und das studierendenzentrierte Lernen. Die Wirkungen auf Studierende
innerhalb der untersuchten 48 Hochschulsysteme fallen daher auch sehr unterschiedlich
Seite 48 | Bestandsaufnahme in 48 europäischen Hochschulsystemen
aus. Sie variieren in Abhängigkeit von den Systemen, Hochschulen, Studiengängen und der
Herkunft der Studierenden.
Insgesamt sagen uns die vorliegenden Daten weit mehr über politische Maßnahmen und
Gesetzesänderungen als über die tatsächlichen Erfahrungen Studierender. Viele
Informationen weisen sogar auf eine beträchtliche Kluft zwischen beidem hin.
Da zu etlichen Wirkungsbereichen des Bologna-Prozesses auf Studierende immer noch
europaweit vergleichbare, abgesicherte Daten fehlen, sind wir Gerüchten und Stimmungen
überlassen, wie sie in nationalen Medien kolportiert werden. Das ist eine sehr
unbefriedigende Situation angesichts der Tatsache, dass fast alle Maßnahmen des Bologna-
Prozesses letztlich dazu gedacht sind, die Erfahrungen Studierender und die Chancen von
Hochschulabsolvent(inn)en zu verbessern, sowie angesichts der immensen Anstrengungen,
die ihre Umsetzung erfordert und den beträchtlichen Hoffnungen, die in „Bologna“ gesetzt
werden. Um dieses Problem zu beheben, braucht es vor allem drei Dinge:
Die am Bologna-Prozess Beteiligten sind erstens aufgefordert, die tatsächlich intendierten
Wirkungen der geforderten Maßnahmen auf Studierende expliziter zu formulieren, statt sie
als selbstverständlich anzunehmen, und Messgrößen zu vereinbaren, anhand derer der
Grad der Zielerreichung überprüft werden kann.
Zweitens ist in der Hochschulpolitik eine größere Sensibilität vonnöten für die mögliche Kluft
zwischen gesetzlichen Änderungen und deren praktischer Umsetzung. Ziel sollte sein,
hochschulpolitische Reformen künftig so zu formulieren, dass sie auch die gewünschten
Wirkungen nach sich ziehen.
Mit der systematischen Sammlung von Studierenden- und Absolventendaten für den
europäischen Hochschulraum sollte umgehend begonnen werden, damit wir die relevanten
Fragen in der Zukunft beantworten können: Profitieren Studierende von den Maßnahmen?
Wie verändern sich die Studienerfahrungen und wie „europäisch“ sind sie? Welche
studentischen Mobilitätsmuster lassen sich beobachten? Wie ist es um die Mobilität
zwischen Bachelor- und Masterstudiengängen bestellt, was den Wechsel der Studien-
richtung, der Hochschule und des Hochschulsystems betrifft? Wie hoch ist die Mobilität von
Hochschulabsolvent(inn)en im europäischen Hochschulraum?
Der Umsetzung der Forderung nach mehr systematischen Daten steht die Tatsache
entgegen, dass dem europäischen Hochschulraum keine übergeordnete politische Instanz
entspricht, welche die Finanzierung einer solchen Datenerhebung und darauf basierender
Studien zu ihrem Anliegen macht. Es bleibt die Frage, ob sich die am Bologna-Prozess
beteiligten Staaten zu einer solchen gemeinsamen Finanzierung durchringen können, oder
ob die Europäische Union in die Lücke springt. Ohne eine solche Initiative wird die
europaweite Evaluation der Wirkungen des größten europäischen Hochschulreformprojekts
extrem lückenhaft bleiben. Selbstauskünfte der Repräsentant(inn)en beteiligter nationaler
Systeme – wie dies bei Stocktaking der Fall ist – können jedenfalls keinen Ersatz für diese
Daten liefern, auch wenn auch diese Form der Erhebung sich erheblich verbessern lässt,
woran beispielsweise Eurydice auch schon arbeitet.
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 49
Literatur
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European higher education systems in the context of the Bologna process. Enschede.
Seite 50 | Where does Germany stand in international comparison?
Where does Germany stand in international comparison?
Barbara M. Kehm
1. Introduction: Starting Points in Germany
In international comparisons – be they about statistical indicators in OECD‟s Education at a
Glance, in PISA assessment results, or in comparative analyses of the implementation of
Bologna reforms – Germany often ends up in a non-remarkable position in the middle of the
field or even lower and is then seen as lagging behind. This contribution wants to identify the
reasons for this.
Concerning the implementation of Bologna reform goals, Germany basically had a rather
good head start insofar as experimental clauses in the Framework Law for Higher Education
had made it possible to introduce a two-cycle structure of studies already in 1998. When the
Sorbonne and one year later the Bologna Declaration were signed a number of German
universities were already experimenting with the introduction of Bachelor and Master
programmes. Schwarz-Hahn and Rehburg (2003, S. 34f.) could show in their study of a
representative sample of German universities that seven percent of German study
programmes were offered with a Bachelor or Master degree in 1998 and six percent had
started in 1997 or earlier.
Germany can be seen as a forerunner in the implementation of a two-cycle structure when
we take into account the two-cycle structure of Diplom I and Diplom II that was characteristic
for comprehensive universities, a reform model of the 1970s. This structure was not exactly
the same as the Bachelor and Master structure but the tiered degree structure can be seen
as a functional equivalent.
However, with the advent of the Bologna reforms a widespread change to the new structure
of tiered programmes and degrees was delayed by the fact that guidelines for
implementation announced to be forthcoming by the Standing Conference of Ministers for
Cultural and Educational Affairs of the 16 German states were not published until 2004. In
contrast to quite a number of other Bologna signatory countries which claimed to have
finished implementation early, the change to the two-cycle structure in Germany was
bottlenecked by newly established accreditation procedures and slower due to integrated
and not sequential curricular reforms.
The third issue to be mentioned in this context is the fact that all students had the right to
finish their studies under the same conditions as they started them so that traditional
programmes and programmes in the two-cycle structure had to be offered parallel for several
years.
Naturally there was also some resistance from the academic profession. Mainly a group of
large technical universities refused to change their engineering Diplom degrees to the new
structure claiming that the German engineering Diplom was well reputed worldwide.
Furthermore, they argued that it was impossible to educate and train a proper engineer in
only three years. In addition, a group of subjects in the field of the state regulated professions
was excluded from the two-cycle structure (Law, Medicine, Teacher Training).
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 51
All these factors led to a slow beginning of the full implementation of Bologna reforms in
German higher education. Reform activities began to gain momentum in 2004 when the
guidelines were published and accreditation procedures were properly established.
2. Comparison
For reasons of comparison not all Bologna signatory countries will be included in this
contribution because some countries joined the Bologna Process at a later stage in time
while others do not really constitute a proper benchmark. The United Kingdom and Ireland
are left out because their higher education systems are traditionally based on the two-cycle
structure. The comparison will include Austria, Belgium, Finland, France, Italy, The
Netherlands, Norway, Spain, Sweden, and Switzerland.
2.1. The Two-Cycle Structure
In 2010, altogether 80.5 percent of all students in Germany studied in the two-cycle structure.
State regulated professions are (still) exempt from this structure, although some experiments
are going on. Sweden and the French community of Belgium were the only countries in the
sample used for this presentation in which no subject was exempt from the two-cycle
structure.
At the time of the Independent Assessment (CHEPS, INCHER-Kassel, ECOTEC 2010)
which collected data from 2008 only Austria (41 %) had fewer students in the two-cycle
structure than Germany (43 %). All other countries of comparison had 85 percent or more
students studying in the two-cycle structure.
But with these rather basic data the data problems begin already. For many issues in the
analyses carried out in the framework of the Independent Assessment the project team had
to rely on the official countries reports many of which presented their data in such a way that
the country would “look good” in international comparison. For example, a Bologna signatory
country would state in its official progress report that 100 percent of the students in the
national higher education system study in the two-cycle structure and discount students in
those subjects which were exempt from the new structure. The official report from another
country would state that 80 or 85 percent of all students study in the two-cycle structure while
the remaining 15 or 20 percent were studying in subjects that were nationally exempt from
the new structure. In another case the official report might state that the whole higher
education system had changed to the new tiered structure simply on the basis of the fact that
the government had passed a respective law thus discounting the implementation phase in
the higher education institutions themselves. A third example is that in many Bologna
signatory countries the formal structure was introduced first and then followed by the
necessary curricular changes which typically took longer than implementing a structure of
degrees.
2.2. Mobility
With regard to mobility two recent distinctions have become more common with the advent of
the Bologna reforms. The first one is the distinction between credit mobility, i.e. temporary
study abroad with credit accumulation and transfer, and degree mobility, i.e. studying abroad
for a full degree programme. The second distinction is one between incoming students from
other European Union member states and the European Higher Education Area and
Seite 52 | Where does Germany stand in international comparison?
incoming students from outside these two regions, the latter being a proxy indicator for the
attractiveness and competitiveness of the European Higher Education Area.
Recent studies (cf. Kelo/Teichler/Wächter 2006; Teichler/Wächter/Lungo 2011) have come to
the conclusion that there are no reliable statistical data on temporary student mobility (credit
mobility) because the terminological and conceptual distinction between mobile students and
foreign students is not properly taken into account. However, we do know considerably more
about degree mobility by now. Calculations in the EURODATA II report (Teichler/Wächter/
Lungo 2011) show the following interesting details:
There is a major trend towards Master degree mobility after completion of a
Bachelor degree.
Germany has reached and far surpassed the European Commission‟s mobility goal
for 2020 (20 percent) already in 2007 (37 percent). Other countries of comparison
have mobility rates between 6 percent (Italy) and 16 percent (Finland). The average
proportion of mobile students from those countries included in the presentation is
13.3 percent.
Almost 50 percent of mobile students from Germany are free movers, i.e. they are
not necessarily included in the official statistics.
Summarising some results from the EURODATA II study, Wächter (2011) pointed out that
Europe is the destination of 1.5 million international students which is approximately 50
percent of the global market share. During the last ten years Europe has seen an 80 percent
increase in degree mobility. About one third of all international students (460,000) studying
for a degree in Europe go to the UK, followed by Germany (260,000), and France (250,000).
Wächter emphasises that Europe is a net importer of mobile students. More than twice as
many students come from abroad to study in a European country than European students
going out. Altogether there were 673,000 European students in 2006/07 that went out to
study abroad. This equals a 37 percent rise in the mobility rate over the last ten years. The
highest numbers of mobile students are from Germany (88,000), France (62,000), and Italy
(45,000).
2.3. Attractiveness
Degree mobility is regarded as being closely connected with attractiveness and
competitiveness. Germany, together with the UK and France, continues to belong to the so-
called “golden triangle” of European countries attracting the highest number of international
students (Germany comes second after the UK). German higher education institutions are
host to an increasing proportion of international students from within as well as from outside
Europe. The Independent Assessment (CHEPS, INCHER-Kassel, ECOTEC 2010) was able
to show that Germany belongs to the top group of European countries which attracts high
numbers of EHEA as well as non-EHEA students in the framework of degree mobility.
This situation is not exclusively related to the Bologna Process and the creation of a
European Higher Education Area. But more attention is paid to the facts and figures in this
respect to demonstrate attractiveness and competitiveness. Certainly German higher
education tends to have a competitive advantage due to the fact that its higher education
system generally has a good reputation; i.e. there is no sharp vertical stratification, and that
there are no tuition fees or rather low tuition fees compared to other European countries.
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 53
2.4. Quality Assurance
With regard to quality assurance we find a broad range of practices and procedures in
Europe despite the fact that the European Network of Quality Assurance Agencies (ENQA)
has been cooperating with national agencies for a number of years to establish standards
and guidelines for the external assessment of quality in teaching and learning. The Network
also includes accreditation agencies.
In Germany accreditation procedures for newly established Bachelor and Master
programmes were set up at the beginning of the Bologna Process to replace the previous
ministerial approval procedure. The activities of the eight official German accreditation
agencies were directed at the new degree programmes rather than at institutional
accreditation. The shift to institutional accreditation is currently being introduced but not yet
established widely. All eight German accreditation agencies are members of ENQA and five
of them are also members of the European Quality Assurance Register for Higher Education
(EQAR). This means that their procedures conform to the European Standards and
Guidelines for Quality Assurance (ESG) which have been issued by ENQA.
Accreditation in Germany is rather strict, rather expensive for the higher education
institutions, and always issued temporarily. All degree programmes have to go through a re-
accreditation process after five years. The agencies are independent and also include
external experts. In contrast to this evaluation of teaching is organised internally and is
considerably less strict also having fewer consequences. If a programme is not accredited, it
is not allowed to continue. If a programme or course receives a low evaluation by students
consequences do not follow in all cases.
The following table provides a comparative overview of agency membership in ENQA and
EQAR from selected Bologna signatory countries.
Tabelle 1: Membership Accreditation Agencies
Membership ENQA Membership EQAR
Austria 3 1
Belgium (fr) 1 0
Belgium (fl) 3 3
Finland 1 0
France 2 0
Germany 8 5
Italy 1 0
Netherlands 3 1
Norway 1 0
Spain 4 3
Sweden 1 0
Switzerland 1 ?
Source: EURYDICE 2010. Focus on Higher Education in Europe 2010.
Seite 54 | Where does Germany stand in international comparison?
Certainly it is difficult to compare countries with regard to their quality assurance
mechanisms and link this to statements about the quality and performance of a given
institution or national higher education system. It makes even less sense to establish some
kind of ranking in this respect. Quality continues to be a contested notion and more a social
construct based on reputation than something that can be measured and expressed in hard
facts. I am convinced that the fact that five out of eight German accreditation agencies are
members of EQAR indicate a well established external quality assurance practice conforming
to European standards of good practice.
3. Conclusions
The Independent Assessment (CHEPS, INCHER-Kassel, ECOTEC 2010) as well as other
studies have shown that the two-cycle structure is attractive for students from other regions
of the world but clearly less important for student mobility within Europe. A recent study (cf.
Janson/Schomburg/Teichler 2009) has also shown that there is a declining professional
value of temporary (ERASMUS) mobility in terms of income advantages. This might indirectly
contribute to the increase in degree mobility and we might see a further increase in the
future.
A second conclusion is that indicators used in benchmarking or comparative exercises
should be well conceptualised and carefully chosen because otherwise results are not
sufficiently valid. It still happens frequently in European comparisons that comparative results
are artefacts due to calculations based on inappropriate indicators. Furthermore, there are
many examples in the Bologna literature in which indicators and comparisons are generated
on the basis of questionable, simplified or incomplete data.
Finally it is interesting to note that it is so important for politicians to know whether their
country is or their higher education institutions are in the top, middle or bottom group. For
higher education researchers it is much more important to produce results on the basis of
clearly defined and shared indicators and conceptualisations. This might sometimes take
longer but the results are better.
Literature
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The First Decade of Working on the European Higher Education Area. 2 Volumes.
Download: http://ec.europa.eu/education/higher-education/doc1290_en.htm, accessed on
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http://eacea.ec.europa.eu/education/eurydice/documents/thematic_reports/122EN.pdf,
accessed on 01.03.2011.
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Befunde zur Studienstrukturreform. Kassel. Download:
Deutschland und Europa im Vergleich | Seite 55
http://www.bmbf.de/pub/bachelor_und_master_in_deutschland.pdf, accessed on
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Teichler, U./Wächter B./Lungo, I. (Eds.) (2011): EURODATA II. Study on Mobility
Developments in Higher Education. Academic Cooperation Association (ACA). Brussels
(forthcoming).
Wächter, B. (2011): Europe and Internationalisation. Tying it all together. Presentation, 1
February. London. Download:
http://www.europeunit.ac.uk/sites/europe_unit2/resources/BerndWachter10.10final.pdf,
accessed on 01.03.201
Studiengestaltung und Studierverhalten
Seite 58 | Stand und Perspektiven bayerischer Bachelorstudiengänge
Stand und Perspektiven bayerischer Bachelorstudiengänge – Eine exemplarische
Untersuchung
Gabriele Sandfuchs, Johanna Witte, Sandra Mittag
Abstract
Diesem Beitrag liegt eine Untersuchung des Bayerischen Staatsinstituts für
Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) zugrunde, die das Ziel verfolgt, die
Qualität der bayerischen Bachelor- und Masterstudiengänge zu sichern. Dabei liegt der
Schwerpunkt auf dem öffentlich besonders diskutierten Bachelorbereich. Kern der Analyse
von 20 ausgewählten Bachelorstudiengängen an Universitäten und Hochschulen für
angewandte Wissenschaften ist eine umfangreiche Dokumentenanalyse. Diese gibt
Hinweise auf Verbesserungsbedarf in folgenden Bereichen: Transparenz, Modularisierung,
Prüfungsgestaltung, Lernziele, Anerkennung von externen Leistungen, Studierbarkeit in
Teilzeit. Eine schriftliche Befragung von Expert(inn)en und Studierendenvertretungen aus
den untersuchten Studiengängen, die derzeit stattfindet, soll die Meinung der Betroffenen
einholen. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass in den meisten dieser Bereiche
Optimierungsbedarf im Detail besteht, grundsätzlich aber die neuen Studiengänge nicht
mehr infrage gestellt werden. Kritik äußern beide Seiten an der KMK-Vorgabe, dass jedes
Modul mindestens fünf Credits erbringen und nur eine Prüfung umfassen soll. Derzeit läuft
eine vergleichbare Untersuchung von vier ausgewählten Masterstudiengängen. Die Studie
wird im Herbst 2011 abgeschlossen.
1. Hintergrund, Konzept und Ablauf der Untersuchung
In Bayern begann die flächendeckende Umstellung der Studiengänge auf das Bachelor- und
Mastersystem nach einer längeren Erprobungsphase etwas später als in den meisten
deutschen Ländern. Die systematische Umstellung ist hier erst seit Herbst 2005 offizielle
Politik, die entsprechende Umsetzung ins Bayerische Hochschulgesetz erfolgte zum 1. Juni
2006. Im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und
Kunst führt das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung
(IHF) eine Studie zu Bachelor- und Masterstudiengängen an bayerischen Universitäten und
Hochschulen für angewandte Wissenschaften durch, die der Sicherung der Qualität in den
neuen Studiengängen dienen soll. Im Zentrum steht eine vergleichende Untersuchung der
Konzeptionen einzelner exemplarischer Studiengänge aus den wichtigsten Fächergruppen
mit dem Ziel, Hinweise darauf zu geben, ob der eingeschlagene Weg der „Reform der
Reform“ von Studiengängen in die richtige Richtung führt.
Zu Beginn der Studie im Sommer 2009 war schon eine Fülle wahrgenommener Defizite,
insbesondere der Bachelorstudiengänge, in der hochschulpolitischen Diskussion. Diese war
aber noch kaum durch wissenschaftliche Studien untermauert. Wo erste Ergebnisse
vorlagen, beruhten diese auf bundesweiten Untersuchungen (Heublein et al. 2008; DAAD/
BMBF/HIS 2009; Minks/Briedis 2005 und 2005a; Multrus/Bargel/Ramm 2008; Rehburg 2005;
Winter 2009; Witte/Huismann 2008, Zervakis 2008); bayernspezifische Daten lagen nur
vereinzelt vor (Gensch 2008 und Gensch/Schindler 2003). Aus den amtlichen Statistiken
ließen sich keine Rückschlüsse auf die Qualität der neuen Studiengänge ziehen. Ein
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 59
Studierendenpanel, aus dem man entsprechende Daten hätte gewinnen können, war in
Bayern nicht etabliert und Absolventendaten lagen noch nicht vor. Vor diesem Hintergrund
fiel die Entscheidung, eine begrenzte Auswahl von Fallstudien der neuen Studiengänge in
den Mittelpunkt der Studie zu stellen. Im Interesse einer möglichst raschen Gewinnung von
Erkenntnissen erfolgte zunächst eine Konzentration auf die in der Öffentlichkeit vorrangig
diskutierten Bachelorstudiengänge, von denen 20 (davon zwölf an Universitäten – darunter
eine nichtstaatliche – und acht an Hochschulen für angewandte Wissenschaften) nach einem
vielfältigen Kriterienkatalog zur Untersuchung im Hinblick auf ihre Konzeptionen ausgewählt
wurden. Diese Untersuchung wird im vorliegenden Beitrag (Ziffern 2 und 3) thematisiert.
Auf der Grundlage des damaligen forschungs- und hochschulpolitischen Diskussionsstands
haben wir zwischen Dezember 2009 und Juni 2010 die Konzepte der 20 Studiengänge nach
einem einheitlichen, detaillierten Schema analysiert. Für die Analyse wurden im
Wesentlichen im Internet verfügbare Dokumente (Studien- und Prüfungsordnungen,
Modulhandbücher, Informationsmaterialien, Studienführer etc.) recherchiert, umfassend
ausgewertet und in Bezug zueinander gesetzt. Einige Informationen konnten wir im direkten
Kontakt mit Expert(inn)en aus den Studiengängen gewinnen und ergänzen. Die
vorgefundenen rechtlichen und formalen Grundlagen der einzelnen Studiengänge wurden in
das Schema übertragen und die so erstellten Auswertungsbögen an die Studiengang-
koordinator(inn)en und andere mit der Studienganggestaltung betraute Personen gesandt
mit der Bitte, sie auf inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen, eventuelle Unklarheiten oder
Fragen aus ihrer Sicht zu klären und gegebenenfalls fehlende Informationen nachzureichen.
In den meisten Fällen wurde die Bitte erfüllt; einige Adressat(inn)en empfanden die
gründliche Aufarbeitung sogar als durchaus hilfreich.
Mit der Untersuchung ist jedoch nicht die Beschreibung oder gar Evaluation einzelner
Studiengänge intendiert, sondern eine möglichst treffende Zustandsbeschreibung der
bisherigen Umsetzung des Konzepts in Bayern auf einer überschaubaren empirischen
Grundlage, die sinnvolle Modifikationen nach sich ziehen kann. Zu diesem Zweck wurden die
Informationen, die wir zu den einzelnen Studiengängen gewonnen hatten, kompiliert,
verglichen und auf Unterschiede, Besonderheiten, Häufigkeiten und Gruppenbildungen
untersucht. Ein Zwischenbericht wurde im Sommer 2010 veröffentlicht.1 Er enthält im
Anschluss an eine kurze Einleitung zu Hintergrund, Zielen und Vorgehen zwei wesentliche
Teile:
1. statistische Daten zum Stand der Umsetzung von Bachelor- und Masterstudien-
gängen an bayerischen Hochschulen im bundesweiten Vergleich,
2. die Analyse der ausgewählten Bachelorstudiengänge im Hinblick auf wichtige
Dimensionen (vgl. Kapitel 2.1 dieses Beitrags).
Darüber hinaus umfasst er mehrere Appendices (insbesondere Kurzporträts der analysierten
Bachelorstudiengänge, das Auswertungsschema, ein Verzeichnis aller analysierten
Dokumente, ein Verzeichnis weiterer Quellen sowie nicht in den Text integrierte Tabellen
und Statistiken).
Derzeit befindet sich die zweite Phase der Untersuchung der Bachelorstudiengänge kurz vor
ihrem Abschluss: eine schriftliche Befragung der Studiengangexpert(inn)en sowie von
Studierendenvertreter(inne)n der betreffenden Studiengänge mit dem Schwerpunkt auf den
1 Abrufbar unter http://www.ihf.bayern.de/?download=Zwischenbericht_IHF_Bachelorstudiengaenge.pdf.
Seite 60 | Stand und Perspektiven bayerischer Bachelorstudiengänge
Themen, die sich in der Dokumentenanalyse als möglicherweise problematisch oder
besondere Beachtung verdienend erwiesen hatten.
Im Laufe des Sommers 2011 ist eine vergleichbare Untersuchung von vier ausgewählten
Masterstudiengängen geplant. Außerdem sollen aktuelle statistische Grundlagen aufbereitet
sowie einige grundlegende Studien und Untersuchungen zum Thema in die Betrachtung
einbezogen und schließlich ein Fazit gezogen werden. Der Abschlussbericht zur Studie
erscheint im Herbst 2011.
2. Analyse der verfügbaren Dokumente und Quellen
2.1. Aufbau der Dokumentenanalyse
Die Auswertungen berücksichtigten für jeden Studiengang folgende Bereiche (jeweils mit
Unterpunkten):
allgemeine Informationen,
Dauer und Umfang,
Aufbau und curriculare Konzeption,
Modularisierung,
Freiheitsgrade im Studium,
Arbeits- und Prüfungsaufwand (Workload),
Vermittlung von Schlüsselqualifikationen,
Praxisbezug/Praxisphasen,
Internationalität,
Zulassung und Anerkennungsregelungen,
sonstiges.
Die Ergebnisse der einzelnen Auswertungen zu jedem der Punkte wurden verglichen und
thematisch zusammengefasst, um einen Überblick über mögliche gemeinsame Elemente
und gehäuft auftretende Probleme der untersuchten Studiengänge zu bekommen.
2.2. Zentrale Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Nicht in allen Untersuchungsdimensionen ergaben sich aussagekräftige, übergreifende
Befunde, sodass in den folgenden Ausführungen einige Dimensionen nicht erscheinen.
2.2.1. Vielfalt
Der auffälligste Befund war die überaus große Vielfalt der vorgefundenen Studiengänge –
nicht nur inhaltlich, sondern in jeglicher Hinsicht: Studiengangaufbau und -gliederungs-
prinzipien, Umfang der Pflicht- im Vergleich zu Wahlpflicht- und Wahlanteilen, Modul-
verständnisse, Modulgrößen, Prüfungsdichten, Prüfungsarten, Anerkennungsmodalitäten,
Zulassung, Grad der Berufsorientierung sowie Zugänglichkeit und Aussagekraft der
verfügbaren Informationen variieren erheblich. Dies erschwert sowohl die Vergleichbarkeit
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 61
als auch verallgemeinernde Aussagen zu den Bachelorstudiengängen, weist aber auf
beträchtliche Gestaltungsfreiheiten der Hochschulen und Studienganggestalter(innen) hin.
2.2.2. Regelstudienzeit und Umfang
Das einzige durchgehend einheitliche Element ist die Regelstudienzeit: Alle untersuchten
Bachelorstudiengänge an Universitäten weisen eine einheitliche Regelstudienzeit von sechs
Semestern (180 Credits nach dem European Credit Transfer System (ECTS)) auf, ohne dass
hierzu eine zwingende politische Vorgabe besteht; sämtliche untersuchten Bachelorstudien-
gänge an Hochschulen für angewandte Wissenschaften dauern sieben Semester (210
Credits) inklusive eines Praxissemesters. Keiner der untersuchten Studiengänge ist als
Teilzeit-, berufsbegleitender oder dualer Studiengang gestaltet.
2.2.3. Unübersichtlichkeit
Überraschend ist, wie häufig sich einerseits die entsprechenden Regelungen als inkonsistent
oder schwer durchschaubar erweisen und wie oft andererseits sowohl diese Regelungen als
auch die untersuchten Studiengänge als solche unübersichtlich oder unklar dargestellt sind,
insbesondere im Internet.
2.2.4. Uneinheitliches Modulverständnis
Es überrascht auch, wie vielfältig die Modularisierung von den Hochschulen umgesetzt
wurde. Wir fanden wenige Studiengänge, deren Modulverständnis übereinstimmt.
Augenfällig wird dies etwa anhand höchst unterschiedlicher Modulgrößen (unter den 20
Studiengängen kommen 29 verschiedene Modulgrößen vor – von einem bis 36 Credits). Bei
den meisten Studiengängen besteht die Mehrzahl der Module aus mehreren
Veranstaltungen, die aber häufig weiterhin separat geprüft werden, sodass die Studierenden
mehrere Modulteilprüfungen ablegen müssen und somit die Zahl der Prüfungsleistungen die
Zahl der Module übersteigt. Ausführlichkeit und Qualität der Darstellung von Lernzielen/
Learning Outcomes variieren stark. Es scheint, als ob einigen Studienganggestalter(inne)n
sowohl das Konzept der Modularisierung als auch der Sinn einer Strukturierung des
Studiums mithilfe von Modulen noch unklar blieben.
2.2.5. Prüfungsdichte
Die durchschnittliche Zahl von Modulprüfungen in den untersuchten Studiengängen beträgt
an den Universitäten pro Semester 5,4, an den Hochschulen für angewandte Wissen-
schaften 5,9. Die Gesamtzahl der Prüfungsleistungen unter Berücksichtigung auch der
Modulteilprüfungen liegt an den Universitäten durchschnittlich bei 8,7, an den Hochschulen
für angewandte Wissenschaften bei 6,5 Prüfungen pro Semester. Fachspezifische Muster
zeigen sich nicht. Der Zeitrahmen für die Bachelorarbeiten ist in 30 % der Fälle so knapp
bemessen, dass es zu einer geschätzten wöchentlichen Arbeitszeit von über 40 Stunden
kommt. Der Spitzenwert liegt bei 60 Stunden. Zur Arbeitsbelastung durch das Studium
insgesamt können auf Basis der Auswertungen keine Aussagen getroffen werden.
Seite 62 | Stand und Perspektiven bayerischer Bachelorstudiengänge
2.2.6. Freiheitsgrade
Die Studiengänge bestehen im Durchschnitt zu mehr als zwei Dritteln aus Pflicht- und zu
knapp einem Drittel aus Wahlpflicht- und Wahlfächern; an Hochschulen für angewandte
Wissenschaften liegt der Pflichtanteil mit 79 % höher als an Universitäten mit 68 %. Reine
Wahlanteile, in denen die Auswahl fast vollkommen frei ist, gibt es nur in vier Studiengängen.
Der Pflichtbereich umfasst in keinem Fachhochschulstudiengang weniger als 64 %. An den
Universitäten fanden wir einen Studiengang mit nur 22 % Pflichtanteil; die Varianz ist hier
deutlich größer.
2.2.7. Internationalität
Fast alle Studiengänge unterstützen Auslandsaufenthalte an Partneruniversitäten und über
Programme wie ERASMUS. Verpflichtende Auslandsstudien oder -praktika sind nur in
spezifisch international ausgerichteten Studiengängen vorgesehen. Englischsprachige
Lehrveranstaltungen sind vielfach möglich, aber bis auf die explizit internationalen Studien-
gänge nicht verbreitet. Bei der Anerkennung von Auslandsaufenthalten sind noch nicht
überall die Prinzipien der Lissabon-Konvention praktisch umgesetzt. Nach diesen sind die in
einem ausländischen Studiengang erworbenen Qualifikationen anzuerkennen, sofern kein
wesentlicher Unterschied besteht; die Beweislast im Falle der Nichtanerkennung liegt bei der
Hochschule.
2.2.8. Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen aus dem Inland
Die Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen, die an mindestens gleichgestellten
deutschen Hochschulen erbracht wurden, ist im Wesentlichen gewährleistet. Es gibt jedoch
Anhaltspunkte dafür, dass in der Praxis auch hier in Einzelfällen die Beweislast zuungunsten
der Studierenden verschoben wird. Die gesetzliche Möglichkeit zur Anrechnung von an
Fachschulen und Fachakademien sowie in einer einschlägigen, gleichwertigen Berufs- oder
Schulausbildung sowie berufspraktischen Tätigkeit erbrachten Leistungen wird an
Hochschulen für angewandte Wissenschaften großzügiger gehandhabt als an Universitäten.
2.2.9. Zulassung
In wenigen Fällen werden besondere fachliche Vorqualifikationen verlangt. Davon
abgesehen, sind vier der untersuchten Studiengänge an staatlichen Universitäten für
Bewerber(innen) mit Hochschulzugangsberechtigung frei zugänglich; drei sind aus
Kapazitätsgründen örtlich zulassungsbeschränkt und bei vieren gibt es ein Eignungs-
feststellungsverfahren. Die untersuchten Studiengänge an Hochschulen für angewandte
Wissenschaften sind in fünf Fällen örtlich zulassungsbeschränkt; einmal gibt es ein
Eignungsfeststellungsverfahren, nur zwei der Studiengänge sind völlig frei zugänglich.
2.3. Fazit
Die Untersuchung kann keine Aussage über den Wandel oder die Veränderungen der
Studienbedingungen aufgrund der Umstellung der Studiengangstruktur treffen, weil
entsprechende Vergleichsdaten aus der Zeit vor dieser Umstellung fehlen. Ein in der
öffentlichen Diskussion, insbesondere von studentischer Seite, häufig angesprochener Punkt
ließ sich daher nicht analysieren: Die Entwicklung der Arbeitsbelastung der Studierenden.
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 63
Auch wenn die Dokumentenanalyse also eine Momentaufnahme ist und ihre Ergebnisse
trotz sorgfältiger Auswahl der Untersuchungsgegenstände keine Repräsentativität
beanspruchen können, gibt sie doch deutliche Hinweise, dass einige Themen aktuell
besondere Aufmerksamkeit verdienen. Dazu gehören vor allem die Transparenz (d.h. die
Übersichtlichkeit der (Internet-) Darstellungen der Studiengänge sowie die Eindeutigkeit der
Regelungen und deren Durchschaubarkeit für die Studierenden), die Modularisierung und
die Prüfungsdichte. Augenmerk benötigen zudem die Punkte Orientierung der Learning
Outcomes an der Perspektive der Studierenden, Anerkennung insbesondere von im Ausland
erbrachten Studienleistungen sowie Studierbarkeit in Teilzeit.
Allerdings sind vermutlich nicht alle diese kritischen Punkte nur der neuen Studiengang-
struktur geschuldet. Insbesondere die vielfach identifizierten Probleme bei der Transparenz
dürften hiermit kaum zusammenhängen. Heutzutage ist das Internet die wichtigste Quelle,
aus der sich Studieninteressierte und Studierende über einen Studiengang informieren. Sind
die dortigen Informationen (wie Studien- und Prüfungsordnungen, Modulhandbücher,
Studienpläne u.Ä.) schwer zu finden, in sich widersprüchlich, sehr komplex, unvollständig,
überlang oder gar veraltet, so ist es schwierig, sich ein Bild zu machen. Mehrstufige oder
mehrfach geänderte Studien- und Prüfungsordnungen, die nicht als konsolidierte Fassungen
verfügbar sind, können ihre Funktion der eindeutigen und verbindlichen Information kaum
erfüllen. Hier tut eine stärkere Orientierung an der Perspektive der Studieninteressierten und
Studierenden Not.
In Reaktion auf Klagen von Studierendenseite hat die Kultusministerkonferenz (KMK) im
Februar 2010 die Schaffung relativ großer Module (mit mindestens fünf Credits) mit nur einer
Prüfung pro Modul grundsätzlich vorgegeben. Zum Zeitpunkt unserer Recherche war diese
Vorgabe jedoch noch nicht umgesetzt. Die Prüfungsdichte in den Studiengängen ist
differenziert zu betrachten, da weniger Prüfungen nicht unbedingt weniger Arbeitsaufwand
für die Studierenden bedeuten. Ob viele zeitnahe kleinere Prüfungen als belastender
empfunden werden als wenige größere Prüfungen in längeren Abständen, hängt in hohem
Maße von Fachkulturen, konkreter Ausgestaltung und individuellen Präferenzen der
Studierenden ab. Daher kann eine hohe Prüfungszahl nicht unbedingt als hohe
Prüfungsbelastung interpretiert werden. Zudem können große Module tendenziell die
Mobilität behindern, weil für die Anerkennung von Studienleistungen stets am ganzen Modul
anzusetzen ist. Auch die nach wie vor mögliche Vielfalt von Modulgrößen kann die
studentische Mobilität erschweren.
Ein wesentliches Merkmal der Modularisierung sollte die Orientierung an den Lernenden
sein: Module müssen Lernziele ausweisen und zu klar umrissenen Kenntnissen und
Kompetenzen führen, den Learning Outcomes. Die Modulbeschreibungen dürfen sich daher
nicht, wie vielfach geschehen, auf die Benennung der Präsentationsthemen der
entsprechenden Veranstaltungen beschränken. Dieser Perspektivwechsel steht oft noch
bevor.
Die problemlose Anerkennung von an ausländischen Hochschulen erbrachten Leistungen ist
eine wesentliche Voraussetzung der internationalen Mobilität, die ein wichtiges Ziel des
Bologna-Prozesses und der Umstellung der Studienstruktur ist. Die ausgewerteten
Dokumente lassen auf einen deutlichen Nachholbedarf in der Praxis mehrerer Studiengänge
schließen.
Seite 64 | Stand und Perspektiven bayerischer Bachelorstudiengänge
Zum Zeitpunkt der Dokumentenanalyse bestanden noch relativ wenige Teilzeitstudiengänge
in Bayern. Im Untersuchungssample befand sich keiner. Auf diesem Gebiet zeichnet sich
aber in jüngster Zeit bayernweit Bewegung ab.
Laufende Bemühungen um Nachbesserungen sollten alle diese Bereiche nicht außen vor
lassen. Seit Abschluss der Auswertungen konnten wir auch punktuell schon einige
Veränderungen feststellen.
3. Sichtweise der Studiengangexpert(inn)en und der Studierendenvertretungen
3.1. Ablauf der Befragung
Um die Ergebnisse aus der Dokumentenanalyse zu spiegeln und die Sichtweisen der
Betroffenen einzuholen, wurden im Dezember 2010/Januar 2011 in den 20 untersuchten
Bachelorstudiengängen schriftliche Befragungen von Studiengangsexpert(inn)en (Studien-
dekane/-dekaninnen, Studiengangsleiter(innen), Studiengangskoordinator(inn)en u.a.) sowie
von Studierendenvertretungen durchgeführt. An der Befragung beteiligten sich 19 der
angefragten 20 Expert(inn)en und 16 der angefragten 20 Studierendenvertretungen.
Da die beiden Fragebögen im Aufbau und in den Fragestellungen ähnlich gestaltet sind, ist
ein Vergleich der Antworten möglich. Sie orientieren sich an den Ergebnissen der
Dokumentenanalyse und gliedern sich in die folgenden Abschnitte:
Transparenz des Studiengangs (a. inhaltliche Eindeutigkeit, b. Verständlichkeit
sowie c. klare und übersichtliche Darstellung der Regelungen),
Modularisierung,
Prüfungsgestaltung,
Lernziele/Learning Outcomes,
Anerkennung von Studienleistungen,
Studierbarkeit in Teilzeit,
Einschätzung der Wichtigkeit der Bereiche,
weitere Bereiche mit Verbesserungspotenzial,
positive Aspekte der Einführung/Umstellung des Studiengangs oder auch der
Einführung der gestuften Studiengänge im Allgemeinen,
weitere Anmerkungen.
Im Folgenden werden erste Ergebnisse der Befragung vorgestellt. Die ausführliche Ergebnis-
darstellung erfolgt im Rahmen des Abschlussberichts.
3.2. Erste Ergebnisse der schriftlichen Befragung
3.2.1. Wichtigkeit der Bereiche
Die Ergebnisse zeigen, dass alle Bereiche – mit Ausnahme der Studierbarkeit in Teilzeit so-
wie seitens der Studierendenvertretungen der Modularisierung – als wichtig eingeschätzt
werden, wenn es um die Identifikation von Verbesserungspotenzial geht. Dabei schreiben
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 65
sowohl die Studiengangexpert(inn)en als auch die Studierendenvertretungen der
Transparenz, der Prüfungsgestaltung sowie der Anerkennung von Studienleistungen eine
besonders zentrale Rolle zu. Aus Sicht der Studierendenvertretungen sind zudem die
Lernziele/Learning Outcomes von besonderer Relevanz.
3.2.2. Gesamteinschätzung
Die Gesamteinschätzungen zu den sechs im Rahmen der Dokumentenanalyse identifizierten
Bereichen fallen sowohl seitens der Expert(inn)en als auch seitens der Studierenden-
vertretungen überwiegend positiv aus. Dennoch sieht jeweils immer mindestens ein Drittel
(seitens der Studierenden in der Regel die Mehrheit) beider Befragtengruppen
Verbesserungsoptionen in allen sechs Bereichen.
3.2.3. Verbesserungsoptionen und Kritikpunkte (Beispiele)
Bezüglich der Transparenz besteht für die große Mehrheit der Studierendenvertretungen
Optimierungsbedarf, insbesondere bei der Informationsweitergabe bzw. der Darstellung des
Studiengangs. Es wird z.B. moniert, dass die Regelungen zum Studiengang nicht immer
aktuell und/oder auf unterschiedlichem Stand seien und dass der Internetauftritt
unübersichtlich sei. Bei der Modularisierung sieht die Mehrheit sowohl der Studierenden-
vertretungen als auch der Studiengangexpert(inn)en noch Verbesserungsbedarf. Die
Studierendenvertretungen kritisieren u.a., dass häufig der Zusammenhang innerhalb der
Module fehle, da die Lehrenden der einzelnen Veranstaltungen nicht genügend kooperierten
(z.B. um die genauen Inhalte, die zeitliche Taktung und die Prüfungsgestaltung aufeinander
abzustimmen) und dass die Gewichtung der Credits pro Modul nicht dem tatsächlichen
Arbeitsaufwand für Studierende entspräche. Hinsichtlich der Prüfungsgestaltung bemängelt
die große Mehrheit der Studierendenvertretungen eine Häufung von Prüfungen zu
bestimmten Zeitpunkten. Die KMK-Vorgabe, dass jedes Modul mindestens fünf Credits
umfassen und mit nur einer Prüfung abgeschlossen werden soll, wird dabei von jeweils drei
Vierteln beider Befragtengruppen als wenig sinnvoll angesehen. Verbesserungsbedarf bei
der Anerkennung von außerhalb der eigenen Hochschule erbrachten Studienleistungen
besteht nach Auffassung der Studierendenvertretungen u.a. bezüglich der verbesserten
Transparenz der Anerkennungspraxis sowie der noch nicht vollzogenen Beweislastumkehr.
Ferner wünschen sich die Studierendenvertretungen klarere und detailliertere
Beschreibungen der Lernziele/Learning Outcomes; die Studiengangexpert(inn)en halten u.a.
Best Practice-Beispiele bzw. Standards für die Formulierung von Lernzielen/Learning
Outcomes für hilfreich.
Die Befragung der Studiengangexpert(inn)en zeigt, dass bereits an vielen Studiengängen in
den oben erwähnten Bereichen Maßnahmen ergriffen wurden oder geplant sind. Ferner wird
aus fünf Studiengängen berichtet, dass sich offizielle bzw. formelle Teilzeitstudiengänge in
konkreter Planung befinden.
3.3. Fazit
Es zeichnet sich ab, dass die im Rahmen der Dokumentenanalyse identifizierten Bereiche
von den befragten Studiengangexpert(inn)en und Studierendenvertretungen der Bachelor-
studiengänge insgesamt gesehen als weniger problematisch eingeschätzt werden. Dennoch
wird deutlich, dass Verbesserungsoptionen in allen Bereichen gesehen werden. Es sollte
Seite 66 | Stand und Perspektiven bayerischer Bachelorstudiengänge
also zukünftig weniger darum gehen, Gesamtkonzepte infrage zu stellen, als vielmehr gezielt
nachzusteuern und Verbesserungen im Detail zu bewirken.
4. Ausblick
Das Ziel des laufenden IHF-Projekts ist, den Stand der Umsetzung von Bachelor- und
Masterstudiengängen an bayerischen Hochschulen zu untersuchen, die Konzeptionen
ausgewählter Studiengänge darzustellen, erste Reformwirkungen zu erheben und
Handlungsoptionen für Staat und Hochschulen zu erarbeiten. Die Studie stellt die Analyse
der Bachelorstudiengänge zwar in den Mittelpunkt, beschränkt sich aber nicht darauf. Wie im
Kapitel 1 dieses Beitrags dargestellt, wird daher eine vergleichbare Analyse einiger weniger
ausgewählter konsekutiver Masterstudiengänge folgen. Aktualisierte Datenauswertungen
zum Umsetzungsstand der neuen Studienstruktur in Bayern im Ländervergleich und im
Zeitverlauf sollen die Entwicklung dokumentieren. Schließlich werden wir zur Abrundung im
Hinblick auf den bundesweiten Forschungs- und Diskussionsstand relevante andere Studien
einbeziehen. So sollen Handlungsoptionen erkennbar gemacht werden. Die Studie wird im
Herbst 2011 abgeschlossen werden. Eine weitere Perspektive auf das Bachelor- und
Masterstudium wird das IHF im Rahmen des Bayerischen Absolventenpanels (BAP)2
eröffnen. Im Herbst 2011 sollen mit dem Prüfungsjahrgang 2009/2010 erstmals alle
bayerischen Absolvent(inn)en dieser Studiengänge in die BAP-Befragung einbezogen
werden.
Literatur
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Bayerische Absolventenpanel. München. Download:
http://www.ihf.bayern.de/?BAP%3A_Das_Bayerische_Absolventenpanel, abgerufen am
10.05.2011.
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Studium 2009. Wiederholungsuntersuchung zu studienbezogenen Aufenthalten deutscher
Studierender in anderen Ländern. Berlin.
Gensch, S. K. (2008): Genug Praxis für den Beruf? Eine Untersuchung zur Vermittlung von
Praxiserfahrungen und Berufsbefähigung in Bachelor-Studiengängen. In: Beiträge zur
Hochschulforschung, Jg. 30, Heft 2, S. 56-84. Download:
http://www.ihf.bayern.de/?Publikationen:Beitr%E4ge_zur_Hochschulforschung:Archiv,
abgerufen am 10.05.2011.
Gensch, S. K./Schindler, G. (2003): Bachelor- und Master-Studiengänge an den staatlichen
Hochschulen in Bayern. In: Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung und
Hochschulplanung: Monographien: Neue Folge, 64. München.
Heublein, U./Schmelzer, R./Sommer, D./Wank, J. (2008): Die Entwicklung der Schwund- und
Studienabbruchquoten an den deutschen Hochschulen. Statistische Berechnungen auf
der Basis des Absolventenjahrgangs 2006. In: HIS Hochschul-Informations-System und
BMBF (Hg.): HIS Projektbericht. Hannover.
2 Vgl. http://www.ihf.bayern.de/?BAP%3A_Das_Bayerische_Absolventenpanel.
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 67
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bundesweiten Befragung von Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen. Teil I
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Minks, K.-H./Briedis, K. (2005a): Der Bachelor als Sprungbrett. Ergebnisse der ersten
bundesweiten Befragung von Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen. Teil II
Der Verbleib nach dem Bachelorstudium. In: HIS Kurzinformation A 4/2005. Hannover.
Multrus, F./Bargel, T./Ramm, M. (2008): Studiensituation und studentische Orientierungen.
10. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen. Herausgegeben vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Bonn.
Rehburg, M. (2005): Bachelor- und Masterstudiengänge in Deutschland: Einschätzungen
von Studierenden, Professoren und Arbeitgebern – Eine qualitative Kurzstudie. Kassel.
Winter, M. (2009): Das neue Studieren. Chancen, Risiken, Nebenwirkungen der
Studienstrukturreform: Zwischenbilanz zum Bologna-Prozess in Deutschland.
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Witte, J./Sandfuchs, G./Lenz, T./Brummerloh, S./Hartwig, L. (2010): Stand und Perspektiven
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für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Download:
http://www.ihf.bayern.de/?download=Zwischenbericht_IHF_Bachelorstudiengaenge.pdf,
abgerufen am 10.05.2011.
Zervakis, P. (2008): Mobilität im Studium. Eine Untersuchung zu Mobilität und
Mobilitätshindernissen in gestuften Studiengängen innerhalb Deutschlands. Ergebnisse
einer repräsentativen Befragung von HIS Hochschul-Informations-System im Auftrag und
in Zusammenarbeit mit der HRK. Herausgegeben vom Bologna-Zentrum der
Hochschulrektorenkonferenz. Statistik zur Hochschulpolitik 2/2008.
Seite 68 | Die tatsächliche Workload im Bachelorstudium
Die tatsächliche Workload im Bachelorstudium. Eine empirische Untersuchung durch Zeitbudget-Analysen
Christiane Metzger, Rolf Schulmeister
Abstract
Die Überfrachtung der Bachelorstudiengänge war und ist ein wesentlicher Kritikpunkt an den
(mittlerweile nicht mehr ganz so) neuen Studiengängen. Wie hoch ist die veranschlagte und
in Leistungspunkten bemessene Workload tatsächlich? Dieser Frage geht das Forschungs-
projekt ZEITLast nicht – wie sonst üblich – mit dem Mittel der Befragung nach, sondern
durch Zeibudget-Erhebungen. Diese zeigen, dass die durchschnittliche Workload in den
untersuchten Studiengängen zwischen 20 und 27 Stunden wöchentlichen Zeitaufwandes
liegt. Dies weist darauf hin, dass die subjektiv von vielen Studierenden empfundene
Belastung bei den meisten nicht auf die tatsächliche zeitliche Arbeitsbelastung
zurückzuführen ist. Vielmehr treffen hier personelle Faktoren wie Zeit- und Selbstmanage-
ment, Lernstrategien und -stil, Persönlichkeitsmerkmale etc. auf der einen Seite und
hochschulbedingte Faktoren auf der anderen Seite aufeinander. Zu Letzteren zählen wir
insbesondere die Lehrorganisation, das Prüfungswesen sowie methodisch-didaktische
Aspekte. ZEITLast experimentiert mit der Veränderung der hochschulbedingten Faktoren,
um Modelle für eine Verbesserung der Studiensituation zu erproben.
1. Durchführung von Zeitbudget-Analysen zur empirischen Erhebung der studentischen Workload
Das Projekt ZEITLast1 untersucht die Studierbarkeit von Bachelorstudiengängen als
Adaption von Lehrorganisation und Zeitmanagement unter Berücksichtigung von Fächer-
kultur und Neuen Technologien. Maßgebliche Faktoren für die Studierbarkeit sind der
Workload der Studiengänge, die Flexibilität der Lernarrangements und die Gerechtigkeit der
ECTS-Verteilung. Der empirischen Untersuchung der studentischen Workload ist ein großer
Teil des Projekts gewidmet.
1.1. Methoden zur Untersuchung der studentischen Workload
Die Zeitbudget-Methode wurde gewählt, um die Workload im Bachelor zu analysieren.
Während bisher zu dem Zweck vorwiegend Befragungen durchgeführt wurden (19.
Sozialerhebung von HIS/DSW 2010; 10. Studierendensurvey von Multrus et al. 2008;
Projektgruppe Studierbarkeit 2007 der Humboldt Universität), in denen die Befragten um die
Schätzung ihres Lernaufwands in einer typischen Semesterwoche gebeten wurden, wollten
wir den Versuch unternehmen, mit dem Zeitbudget eine von Verzerrungseffekten durch
Erinnerung und soziale Erwünschtheit befreite Messung durchzuführen. Sofern in einigen
1 Das diesem Bericht zugrunde liegende Vorhaben wird über eine Laufzeit von drei Jahren (2009 bis 2012) mit
Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01PH08029 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor(inn)en. An dem Verbundprojekt sind beteiligt: Prof. Dr. Rolf Schulmeister, Zentrum für Hochschul- und Weiterbildung, Universität Hamburg; Prof. Dr. Stefan Aufenanger, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Mainz; Prof. Dr. Heidi Krömker, Institut für Medientechnik, Technische Universität Ilmenau; Prof. Dr. Erwin Wagner, center for lifelong learning, Stiftung Universität Hildesheim. Informationen unter www.zhw.uni-hamburg.de/zhw/?page_id=419.
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 69
Studien ebenfalls Zeitbudgets erhoben wurden (z.B. Blüthmann/Ficzko/Thiel 2006), geschah
dies auf Papier, entweder mit kategoriellen Vorgaben oder als Freitexteintrag, wobei die
Tagebücher nach einer vorher bestimmten Zeit eingesammelt wurden. Die Einträge wurden
in der Regel nicht unmittelbar nach Eintrag kontrolliert. Um Nachteile wie diese zu
vermeiden, haben wir uns für eine Datenbank-basierte Onlinelösung entschieden.
Gegen Befragungen sprechen die Verfälschung durch Erinnerung bei der Erhebung von
Zeitdaten in bzw. nach größeren Zeitabständen (Brint/Cantwell 2008; Stinebrickner/
Stinebrickner 2004; Statistisches Bundesamt 2001, S. 429) und insbesondere bei Bildung als
einem hoch geschätzten Gut die Verzerrung durch soziale Erwünschtheit (Wilhelm/Wingerter
2004). Dazu zwei Beispiele:
Frank Multrus, Tino Bargel und Michael Ramm (2008) fragen im 10. Studierenden-
survey „Wie viele Stunden wenden Sie in einer Woche des laufenden Semesters
durchschnittlich für folgende Tätigkeiten auf?“. Es folgen dann Items zu
Lehrveranstaltungen, Arbeitsgruppen, Selbststudium, Studium im weiteren Sinn
sowie sonstigem studienbezogenen Aufwand, Kinderbetreuung, Beschäftigung als
Hilfskraft/Tutor(in) und anderer Erwerbstätigkeit. Abgesehen davon, dass diese
Kategorien nicht überschneidungsfrei sind und diese Frage sich sprachlich auf das
Semester und folglich in der Wahrnehmung der Befragten vermutlich lediglich auf
die Vorlesungszeit bezieht, verlangt die Frage eine Erinnerung an die
Wochenlernzeit untergliedert nach den nicht überschneidungsfreien Kategorien.
Dass dabei überhöhte Werte von 33-36 Stunden und mehr herauskommen, dürfte
nicht verwundern.
Die 19. Sozialerhebung 2009 des Deutschen Studierendenwerks und HIS
(DSW/HIS 2010, S. 317) ermittelt für das Erststudium ebenfalls einen Mittelwert von
36 Stunden pro Woche (18 Stunden Präsenz plus 18 Stunden Selbststudium), bei
großen Stichproben mit konstant ähnlichen Werten zwischen 34 und 37 Stunden
seit 1991. Die Frage aus der Fragebatterie der 19. Sozialerhebung ist noch
schlichter als die aus dem 10. Studierendensurvey „Wie viele Stunden haben Sie im
Sommersemester 2009 während der letzten für Sie typischen Semesterwoche
täglich für folgende Aktivitäten aufgewandt?“ und sie wird begleitet durch die
Aufforderung, die Zeitangaben „Bitte auf volle Stunden runden!“. Die Formulierung
der Frage unterstellt, dass alle Tage gleich sind, sonst würde es keinen Sinn
machen, die Zeitabgaben für „täglich“ zu erfragen. Genau das ist aber bei allen
Studierenden und Studiengängen nicht der Fall. Was eine typische Woche sein soll,
ist zudem im Bachelor nicht mehr klar, da die Bologna-Struktur die vorlesungsfreie
Zeit mit in die Workload einbezieht.
Wir haben es – nicht nur aufgrund dieser beiden misslungenen Fälle, sondern aus grund-
sätzlicheren Erwägungen – für sinnvoll erachtet, eine andere Methode als die Befragung zu
wählen, um die Workload zu ermitteln: die Zeitbudget-Methode. Das Besondere der
Zeitbudget-Methode in ZEITLast besteht darin, dass
es sich um eine Online-Datenerhebung handelt, die die Studierenden von jedem Ort
aus jederzeit aufrufen konnten,
sämtliche Kategorien des Studiums in der Software modelliert waren und nur aus
Menüs aufgerufen werden mussten, was für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
an der Studie die Zeit des Eintragens enorm verkürzte,
Seite 70 | Die tatsächliche Workload im Bachelorstudium
die ausgefüllten Tagesbögen täglich von geschulten Mitarbeiter(inne)n kontrolliert
wurden und von den Studierenden nicht nachträglich geändert werden konnten,
die Erhebung für jede der 18 Stichproben fünf Monate lang täglich durchgeführt
wurde, um nicht nur die Vorlesungszeit, sondern auch die vorlesungsfreie Zeit
abdecken zu können.
Auf diese Weise haben wir zuverlässig 15-16 Stunden der Studierenden täglich erfasst und
dies über 151 bzw. 153 Tage pro Studierende(n). Insgesamt erhielten wir 61.091 erhobene
Tagessätze und ca. 1.466.184 registrierte Stunden. Die kleinste eintragbare Zeiteinheit war
15 Minuten. Die Erhebung über eine solch lange Zeitstrecke ist seit der Umstellung auf die
konsekutiven Studiengänge nach Bologna nötig, weil der Bachelor sich auf Zeiträume von 45
Wochen im Jahr resp. 22,5 Wochen pro Semester bezieht, die nicht auf die Vorlesungszeit
beschränkt sind. Die 30 Leistungspunkte oder 900 Stunden eines Semesters müssen
innerhalb eines halben Jahres erbracht werden und nicht nur in der Vorlesungszeit. Auch ist
es deshalb schon notwendig, die vorlesungsfreie Zeit in die Messung einzubeziehen, weil in
den Bachelorstudiengängen auch der Teil des Studiums, der als Selbststudium bezeichnet
wird, mit Leistungspunkten berechnet wird.
Der methodische Ansatz führt pro Student(in) und für die Studierenden eines Jahrgangs im
jeweiligen Studiengang zu einer Datendichte, die es ermöglicht, jeden Tag und jede
Viertelstunde eines jeden Studierenden abzubilden, für jede Lehrveranstaltung und jede
Prüfung den Zeitaufwand zu berechnen.
Wir haben mittlerweile Daten in 18 Stichproben erhoben, die sich auf 13 Studiengänge
verteilen, darunter neben Geistes- und Kulturwissenschaften, Medienwissenschaften und
Ingenieurwissenschaften auch die Massenfächer Betriebswirtschaftslehre sowie Mathematik;
noch haben wir keinen interessierten Partner aus den Naturwissenschaften oder der Medizin
gefunden, wobei wir vorläufig davon ausgehen, dass in den Labor-starken „nassen“
Wissenschaften wie Chemie der Präsenzanteil einen so hohen Anteil einnimmt, dass die
Naturwissenschaften in ihrer Workload nicht mit den Sozial- und Geisteswissenschaften
vergleichbar sind.
Angesichts dieser Datenqualität im Projekt ZEITLast sind zwei Argumente, die häufig gegen
unsere Studie eingebracht werden, nicht angebracht, weil sie sich gar nicht auf den hier
gewählten methodischen Ansatz beziehen, sondern das Zeitbudget an den Kriterien für
Befragungen messen:
Häufig heißt es, die Studie sei ja nicht „repräsentativ“, wobei mal auf die großen
Probandenzahlen von Befragungen, mal auf die fehlenden naturwissenschaftlichen Fächer
verwiesen wird. Nun, selbst gute repräsentative Befragungen kommen mit 1.000 Befragten
aus, aber repräsentativ ist in diesem Kontext ein irreführender Begriff. Repräsentativität im
klassischen Sinne ist mit dem Zeitbudget gar nicht beabsichtigt, sondern die möglichst
exakte Abbildung der Studienanforderungen einzelner Studiengänge und der Studien-
leistungen ihrer Studierenden. Das ist mit der ZEITLast-Studie unbezweifelbar erreicht
worden.
Der zweite häufig vorgebrachte Einwand lautet, die Ergebnisse unserer Studie seien nicht
„verallgemeinerbar“. Auch dieses Argument holt sein Kriterium aus einem fremden
Methodenbereich. Eine solche Studie hat zunächst die möglichst präzise Deskription von
Zeit und Relationen zwischen Faktoren des Zeitverbrauchs zum Ziel. Die Geltung ihrer
Aussagen bezieht sich daher zunächst auch nur auf das Zeitverhalten von Studierenden in
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 71
den jeweils untersuchten Studiengängen. Aber aufgrund folgender Zusatzannahmen können
unsere Erkenntnisse auch Geltung in zwei weiteren Dimensionen beanspruchen, erstens für
einen weiten Bereich ähnlicher Studiengänge und zweitens für das Studienverhalten
Studierender generell:
Zum ersten:
Mit jedem weiteren Studiengang, den wir in unsere Untersuchung einbezogen haben, hatten
wir die Erwartung, dass sich die Ergebnisse grundlegend unterscheiden könnten, zuletzt
besonders bei Betriebswirtschaftslehre und Mathematik. Aber nein, die 18 Stichproben
zeigen untereinander sehr homogene Werte, homogen zumindest, wenn man sie an den
Bologna-Werten misst, von denen sie weit entfernt sind. Die geringe Varianz untereinander
dürfte dafür sprechen, eine Geltung der Erkenntnisse für weite Bereiche der Geistes-, Kultur-
und Sozialwissenschaften sowie Ingenieurwissenschaften anzunehmen (ausgenommen sind
Medizin, Naturwissenschaften und Fachhochschulstudiengänge, von denen sich sehr viele
durch eine 1:1-Relation von Präsenz- und Selbststudium auszeichnen), wobei
verallgemeinerbare Aussagen dann auch für die Strukturen der Lehrorganisation, die
Qualität der Prüfungen etc. gelten.
Zum zweiten:
Die Daten bezeugen nicht nur einen insgesamt niedrigen Lernaufwand der Studierenden,
sondern vor allem auch eine hohe interindividuelle Streuung was die Höhe der Lernleistung
anbetrifft. Dennoch sind die Zeitverläufe hochgradig homogen. Von daher dürften Aussagen
zum Selbststudium, zur Prüfungsvorbereitung, zur Gruppenarbeit, zur Nutzung der Wochen-
enden und der vorlesungsfreien Zeit sowie zur Mediennutzung für die große Mehrheit der
Studierenden gelten.
Die Zeitbudget-Methode hat besonders genauen Aufschluss über die Studienzeitinvestition
der Studierenden gewährt und Einsichten in die Strukturen und Effekte der Lehrorganisation
ermöglicht, sie macht die Verteilung von Präsenzzeiten und Selbststudium transparent, sie
verdeutlicht, wo die Studierenden unter den gestellten Anforderungen bleiben oder mehr
Leistung erbringen müssen als sie an Leistungspunkten gutgeschrieben bekommen. Sie
macht aber auch deutlich, wie die Studierenden die Prüfungsvorbereitung auf die Zeit
unmittelbar vor den Prüfungen verschieben und sich so selbst unnötig unter Druck setzen.
Das wichtigste Ergebnis der Studie ist vielleicht weniger das insgesamt niedrige zeitliche
akademische Engagement der Studierenden, sondern die Diversität der Studierenden, die
ungeheure Streuung zwischen den Studierenden in der Verteilung ihrer Zeit, die
merkwürdigerweise in den bereits erwähnten Befragungen nie berichtet wurde. Deren Daten
werden z.B. in der Sozialerhebung differenziert nach Erststudium und postgradualem
Studium, nach Hochschulart und Fächergruppen, nach dem Zeitaufwand an einzelnen
Wochentagen, nach Anwesenheitsdauer und Semestern. Das ist alles lobenswert, aber
berichtet werden stets nur Mittelwerte für die gesamte Stichprobe, kein Median (nur bei
Erwerbstätigkeit), keine Varianz oder Standardabweichung. Dabei würden diese Kennziffern
oder eine Zuordnung der Proband(inn)en zu Zeitintervallen sofort deutlich machen, dass die
Mittelwerte kaum tauglich sind, die Verteilung der Zeitdaten und das Verhalten der
Stichprobe angemessen wiederzugeben.
Diese enorme Streuung dürfte auf alle Studierenden in allen Studiengängen und
Hochschulen zutreffen. Wir haben deshalb bei der Darstellung der Ergebnisse im Buch zum
Seite 72 | Die tatsächliche Workload im Bachelorstudium
Projekt (Schulmeister/Metzger 2011) besonderen Wert auf die Mitteilung der Streuungen, der
Standardabweichungen oder der Einteilung in Intervalle gelegt.
Warum dies wichtig ist, soll an einem Beispiel erläutert werden: Es heißt in der 19.
Sozialerhebung „Studierende im Erststudium investieren während einer typischen Woche im
Sommersemester 2009 etwa 36 Stunden in ihr Studium“ (S. 316). In der Studie von HIS und
dem Deutschen Studierendenwerk geben 65 % der Studierenden an erwerbstätig zu sein.
Das wäre ein enorm wichtiger Faktor für die Hochschulreform, wenn es denn stimmen
würde. Die Einkünfte betragen im Mittelwert 323 € und im (ausnahmsweise angegebenen)
Median 265 € (DSW/HIS 19. Sozialerhebung S. 194, Bild 6.3). Zu beachten ist, dass es sich
um Durchschnittswerte handelt, und das kräftige Absinken des Medians (265 €) im Vergleich
zum Mittelwert (323 €) müsste jede(n) Leser(in) sofort skeptisch werden lassen, weil eine
rechtsschiefe (linkssteile) Verteilung vorliegt. Das bedeutet, dass die meisten Studierenden
nur eine geringfügige Beschäftigung eingehen, die unter zehn Stunden pro Woche liegt,
während wenige Studierende mehr als 16 Stunden arbeiten, sodass sie sich eigentlich als
Teilzeitstudierende einschreiben müssten. In unseren Stichproben liegt der Mittelwert fürs
Jobben bei 4,7 Stunden pro Woche (Streuung der Mittelwerte zwischen den Studiengängen
von 1,5 bis 8,3 Stunden) und nur in vier von 18 Stichproben ist je ein(e) Studierende(r),
der/die mehr als 20 Stunden pro Woche jobbt. Das dürfte kein Grund für die niedrigen Werte
im Studienaufwand sein.
1.2. Zur Methode der Zeitbudget-Erhebungen nach dem ZEITLast-Design
In jedem Erhebungssemester wurde täglich über fünf Monate die gesamte Zeit erfasst, in der
die Proband(inn)en wach waren (im Wintersemester vom 1. November bis 31. März, im
Sommersemester vom 1. Mai bis 30. September) – auch am Wochenende und in der
vorlesungsfreien Zeit. Die Dateneingabe erfolgte über ein im Rahmen des Projekts ZEITLast
entwickeltes Online-Erfassungstool (siehe Abbildung 1). Das Tool besteht aus einer php-
Anwendung, die auf einer mySQL-Datenbank basiert. Das Programm ist von den
Proband(inn)en online jederzeit über jeden Browser erreichbar. Die Daten wurden täglich auf
Vollständigkeit und Plausibilität kontrolliert. Ggf. wurden die Proband(inn)en um
Vervollständigung und/oder Erläuterung ihrer Einträge gebeten. Der Erfassungsbogen für
einen Tag war jeweils bis 17 Uhr des Folgetages auszufüllen und danach für die
Proband(inn)en nicht mehr einsehbar. Auf diese Weise wurde verhindert, dass die
Proband(inn)en Einträge für länger zurückliegende Erlebnisse anfertigten, bei denen
Verfälschungen durch Erinnerungseffekte auftreten können. Im Durchschnitt wurden pro
Proband(in) 15-16 Stunden täglich erfasst. Die kleinste erhobene Zeiteinheit betrug 15
Minuten. Die Verbleibsquote war in fast allen Stichproben über 90 %.
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 73
Abbildung 1: Eingabemaske der Zeiterfassung
Im Erhebungsinstrument waren verschiedene Kategorien modelliert, sodass die
Proband(inn)en keinen Freitext zur Dokumentation ihres Tagesablaufs eingeben mussten,
sondern ihre Aktivitäten aus Menüs ziehen konnten. Erfasst wurden jeweils sämtliche
Präsenz- und Selbststudienzeiten aller Lehrveranstaltungen, die von den Studierenden im
jeweiligen Semester besucht wurden. Um den Stundenplan im Erfassungssystem
modellieren zu können, wählten wir in jedem untersuchten Studiengang als Stichprobe eine
Jahrgangskohorte, bei der wir um möglichst vollständige Teilnahme warben. Um Auskunft
über die Tätigkeiten des Selbststudiums zu erlangen, erschienen bei der Wahl der Kategorie
„Selbststudium“ weitere Menüs, in denen Informationen zur Arbeitsform (Arbeit allein oder in
der Gruppe), zum Zweck (Unterrichtsvor- oder -nachbereitung oder Prüfungsvorbereitung)
sowie zur Tätigkeit (lesen, schreiben, Präsentation vorbereiten, Aufgabe lösen; bei Bedarf
weitere Kategorien) und zum IT-Mediengebrauch eingegeben wurden (siehe Abbildung 2).
Außerdem wurden Zeiträume für Praktika und Exkursionen erfasst.
Neben diesen unmittelbar auf Lehrveranstaltungen bezogenen Zeiten gaben die
Proband(inn)en an, wie viel Zeit sie mit studienorganisatorischen Tätigkeiten (Sprech-
stundenbesuch, Kopieren, BaFög-Antrag etc.), mit informellen Gesprächen über das
Studium, mit Gremienarbeit und mit Wegzeiten zwischen Lehrveranstaltungen verbracht
hatten. Alle diese Zeiten gingen in die Berechnung der studienbezogenen Gesamtzeit, von
uns „Lernkonto“ genannt“, ein.
Zeiten außerhalb des Studiums wurden prinzipiell in der übergreifenden Kategorie „private
Zeit“ erfasst. Lediglich Daten zur Erwerbstätigkeit, Weiterbildungs-, Krankheits- und Urlaubs-
zeiten sowie der Zeitaufwand für die Fahrt zur Hochschule wurden extra ausgewiesen.
Seite 74 | Die tatsächliche Workload im Bachelorstudium
Abbildung 2: Kategorien der Zeitbudget-Analyse für den Studiengang BA Medien- und Kommunikationswissenschaft (Standort Hamburg) im WS
2009/10; ab dem WS 2010/11 wurden außerdem Wegzeiten innerhalb der Universität sowie Zeiten für die An- und Abfahrt zur Hochschule erfasst
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 75
1.3. Ergebnisse und Beobachtungen aus den Zeitbudget-Analysen
Die1Zeitbudget-Analysen zeigen, dass die tatsächliche studentische Workload im Mittel weit
geringer ist als von den Bologna-Vorgaben veranschlagt.2 Die von uns erhobenen Daten
stammen aus 18 Erhebungsdurchläufen in 13 Studiengängen an fünf deutschen
Universitäten. Das Fächerspektrum umfasst dabei sowohl ingenieur- als auch geistes- und
sozialwissenschaftliche Studiengänge sowie einen naturwissenschaftlichen Studiengang
(detaillierte Informationen hierzu sowie zu den Ergebnissen sind zu finden in Schulmeister/
Metzger 2011). Die Daten belegen, dass das Selbststudium von vielen Studierenden nicht im
angesetzten Maß wahrgenommen wird (vgl. Metzger 2010). Der Großteil des Selbststudiums
dient der Prüfungsvorbereitung kurz vor der Prüfungsphase. Zu Prüfungszeiten beschränkt
sich das Selbststudium fast ausschließlich auf die Prüfungsvorbereitung. Verbreitet findet
das sogenannte „Bulimie-Lernen“ statt. Im Mittel investieren die Proband(inn)en in den
verschiedenen untersuchten Bachelorstudiengängen zwischen 20 und 27 Stunden in der
Woche in ihr Studium. Auffällig ist dabei, dass die Werte für die Workload erheblich von sehr
niedrigen bis sehr hohen Werten streuen. Bedrückend ist der Befund, dass der ins Studium
investierte Zeitaufwand nicht in einem Zusammenhang zum Studienerfolg (Noten) zu stehen
scheint.
Dies deutet darauf hin, dass die Kalkulation von Workload, gemessen im ECTS, allenfalls zur
Planung von Studiengängen, Modulen und Unterricht geeignet zu sein scheint, nicht jedoch
als Maß für Leistung oder gar Lernerfolg; zu unterschiedlich sind die individuellen
Vorkenntnisse, Lernstile, Lernstrategien etc. Vielmehr scheint das ECTS zu einer
„Punktejagd“ zu verführen, bei der die Aufmerksamkeit weg von den sozialen Normen
(Selbstverpflichtung und Selbstverwirklichung) und hin auf die Norm des Marktes fokussiert
wird (Schulmeister/Metzger 2011, S. 119ff). Auch die subjektiv empfundene Belastung
scheint wenig mit dem tatsächlichen Zeitaufwand zu tun zu haben. Abgesehen davon
investieren in größerem Umfang erwerbstätige Studierende nicht automatisch besonders
wenig Zeit in ihr Studium.
2. Einschätzung der Ergebnisse der Zeitbudget-Analysen
Neben den Zeitbudget-Analysen haben wir Interviews mit einigen Proband(inn)en durch-
geführt sowie Zeitmanagement-Workshops veranstaltet, in dem die Proband(inn)en ihre
Daten in ausgewerteter Form erhielten und reflektierten. An einigen Standorten wurden
zudem informelle Stammtische mit den Proband(inn)en veranstaltet, Sprechstunden durch-
geführt und eine Forschungswerkstatt abgehalten. Aus diesen Gesprächen sowie aus
zusätzlich durchgeführten Befragungen konnten wir Eindrücke über Motivationen für
Studienverhalten und Einschätzungen bzgl. der Studiensituation seitens der Proband(inn)en
erhalten, die neben den Ergebnissen der Zeitbudget-Analyse in unsere Einschätzung
einfließen.
Fragt man die Studierenden ohne Kenntnis der Zeitbudget-Ergebnisse nach einer
Selbsteinschätzung ihrer Workload, so schätzen sie ihren Zeitaufwand durchweg höher, z.T.
sehr viel höher ein, als er tatsächlich ist. Teilweise fühlen sich die Studierenden zudem durch
1
2 Ob die Anforderung von 900 Stunden pro Semester mit entsprechend 40 Wochenstunden ein angemessener
Umfang für den Studienzeitaufwand ist, ist eine andere Frage als die, inwieweit der veranschlagte Umfang erfüllt wurde. Im Projekt ZEITLast sind wir letzterer Fragestellung nachgegangen.
Seite 76 | Die tatsächliche Workload im Bachelorstudium
ihr Studium belastet. Diese subjektiv empfundene Belastung hängt u.E. nicht in erster Linie
mit der Dauer der studienbezogenen Aktivitäten zusammen, die bei den Studierenden im
Semester im Durchschnitt 20 bis 27 Stunden in der Woche ausmachen. Vielmehr treffen hier
personelle Faktoren wie Zeit- und Selbstmanagement, Lernstrategien und -stil, Persönlich-
keitsmerkmale etc. auf der einen Seite und hochschulbedingte Faktoren auf der anderen
Seite aufeinander (vgl. hierzu auch Bargel 2009, S. 6). Zu Letzteren zählen wir insbesondere
die Lehrorganisation, das Prüfungswesen sowie methodisch-didaktische Aspekte
(Stoffumfang, Unterrichtsmethoden, Prüfungsformen, Gestaltung des Selbststudiums u.Ä.).
Eine Ursache für die Diskrepanz von subjektivem Belastungsempfinden und tatsächlicher
Workload sehen wir in der kleinteiligen Semesterorganisation und Zahl von Prüfungen. Die
Lehrorganisation hat mehrere ungünstige Auswirkungen: Zeitlücken zwischen Präsenz-
veranstaltungen, die nicht für das Selbststudium genutzt werden, und entsprechender
Zeitverlust sowie häufige Themenwechsel. Die hohe Zahl von Prüfungen sowie deren
gehäuftes Auftreten am Ende der Vorlesungszeit, so zeigen die Daten, führen zum „Bulimie-
Lernen“, wobei der empfundene Druck bereits früher einsetzt. Auf diese Weise hat sich bei
den meisten Studierenden ein merkwürdiges Studienverhalten herausgebildet: In der
Vorlesungszeit findet bei vielen kein kontinuierliches Selbststudium statt – diese Monate
zeichnen sich durch ein Verhalten aus, das in der Psychologie als Prokrastination bezeichnet
wird. Die Prüfungsvorbereitung wird vor allem auf den Prüfungsmonat verlagert. Auch dies
hängt mit der Lehrorganisation und Didaktik zusammen: Vermutlich werden zu wenig
studienbegleitende Leistungen, die im Verlauf der Vorlesungszeit erbracht werden, als
Prüfungsleistungen anerkannt (falls studienbegleitende Leistungen gefordert werden, spielen
sie häufig nur als zusätzliche Zulassungsbedingung für die Prüfungen eine Rolle).
Die Rückwirkung des bestehenden Prüfungssystems auf das Studienverhalten erzwingt
offenbar bestimmte Studienstrategien, die zur Ausdünnung des Selbststudiums führen und
das Gefühl der Belastung erklären können. Nicht der Umfang der Aufgaben sei es, sondern
der „Druck“ der Pflichten, der die Überlastung ausmacht“, meint Huber (2008) und
bezeichnet folglich die Prüfungen als „das größte Problem nach Bologna“. Die
Proband(inn)en nennen hier insbesondere als belastende Faktoren, dass sie Lehr-
veranstaltungen, in denen lediglich Bücher oder Skripte vorgelesen werden, als frustrierend
erleben, dass in den Lehrveranstaltungen meist wenig Interaktion stattfindet, dass jede Note
in die Endnote eingeht und vor allem, dass sie das Gefühl haben, dass viel zu häufig in den
Prüfungen auswendig gelerntes Faktenwissen von ihnen abgefragt wird, dessen Relevanz
sie nicht erkennen, und dass ihnen viele Zusammenhänge nicht deutlich werden.
Themenwechsel tragen in einer anderen Weise zu der niedrigen Quote des Selbststudiums
bei: Die Studierenden sehen sich in der Woche vielen verschiedenen Themen gegenüber
und können sich nicht entscheiden, für welche Veranstaltung sie Vor- und Nachbereitung
betreiben bzw. für welches Thema sie kontinuierlich mitlernen und sich auf Prüfungen
vorbereiten sollen. Sie haben ein Entscheidungsproblem und sie lösen dieses
Entscheidungsproblem viel zu häufig durch Prokrastination, durch Aufschieben.
Worüber viele Studierende auch nicht bzw. zu wenig nachdenken, ist ihr Erleben der Woche,
in der sie sich mehreren Lehrveranstaltungen und mehreren Themen gegenüber sehen.
Unsere Vermutung ist, dass die klassische Lehrorganisation der Wochengestaltung das
subjektive Zeitempfinden beeinflusst und zu dem aufschiebenden Verhalten führt.
Unseres Erachtens könnten vor allem folgende Maßnahmen die Studiensituation verbessern:
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 77
Reorganisation der Lehrorganisation (konsekutive Lehre von Modulen in
mehrwöchigen Blockphasen statt paralleles Unterrichten vieler Module) (siehe
Krömker et al. in Schulmeister/Metzger 2011, S. 197ff.): Auf diese Weise können
Präsenz- und Selbststudienphasen besser miteinander verzahnt werden; die
Blockung erleichtert die Rückmeldung für die Lehrenden und das „Dranbleiben“ für
die Studierenden, da Themen reduziert werden und weniger „Zeitlücken“ im
Stundenplan entstehen;
hochschuldidaktische Ausbildung für Lehrende (bzgl. aktivierender Methoden, Arbeit
mit großen Gruppen, Gestaltung und Betreuung von Selbststudienphasen,
alternativer Prüfungsformen, Einsatz von (Web 2.0-)Medien u.Ä.);
gute Seminare zum Zeit- und Selbstmanagement für Studierende, in denen sie
möglichst anhand eigener Daten zur Reflexion über ihren Umgang mit Zeit und an
sie gestellte Anforderungen angeregt werden sowie Seminare zu Lern- und
Studienstrategien.
Unerlässlich seitens der Hochschule und Hochschullehrer(innen) sind u.E. Formen der
Kommunikation, die zu mehr Transparenz im Studium führen. Permanente Formen der
gegenseitigen Rückmeldung sind ein Signal des Ernst-Nehmens und der Wertschätzung.
Diese Rückmeldung ist auf unterschiedlichen Ebenen notwendig und sinnvoll: Zum einen
müssen natürlich inhaltliche Zusammenhänge transparent werden, ebenso die Relevanz von
Themen, Fakten, Theorien etc., damit die Studierenden in die Lage versetzt werden, diese
angemessen in Kontexte einzuordnen. Zum anderen müssen die Anforderungen im Studium
transparent sein. Darunter verstehen wir, dass nicht nur die Prüfungsanforderungen
eindeutig geklärt sind, sondern ebenso, dass Erwartungen des Lehrenden z.B. bzgl. der
Arbeitsformen deutlich werden. Wichtig ist ebenso die klare Formulierung von Aufgaben, die
sich an den Kompetenzen der Lernenden orientiert: Aufgaben, die zu einfach sind, sind
langweilig; Aufgaben, die zu schwer sind, können nicht bearbeitet werden – ebenso wie
Aufgaben, die unklar sind. Nicht zuletzt muss jedoch für alle Beteiligten transparent sein, was
das Ziel des Ganzen ist, sei es formuliert als Lehr- bzw. Lernziele, als Kompetenzen oder als
Lernergebnisse.
Die Ergebnisse aus ZEITLast zeigen: Lehrorganisation in Form von geblockten Modulen
befördert die Wahrnehmung des Selbststudiums. Die Betreuung des Selbststudiums wirkt
sich positiv auf die Rückmeldekultur und auch auf die Workload aus. Lernformen wie
Projektarbeit und Praktika, in denen die Studierenden vergleichsweise selbstbestimmt und
interessengeleitet handeln können, motivieren zum Lernen.
Literatur
Bargel, T. et al. (2009): Bachelor-Studierende. Erfahrungen in Studium und Lehre. Eine
Zwischenbilanz. Bundesministerium für Bildung und Forschung. Bonn, Berlin.
Blüthmann, I./Ficzko, M./Thiel, F. (2006): Fragebogeninventar zur Erfassung der
studienbezogenen Lernzeit (FELZ) in den Bachelorstudiengängen. evaNet-Position
01/2006. Download: http://www.hrk-bologna.de/de/projekte_und_initiativen/4152.php.
Brint, S./Cantwell, A. M. (2008): Undergraduate Time Use and Academic Outcomes: Results
From UCUES 2006. Research & Occasional Paper Series: CSHE.14.08. University of
California. Berkeley.
Seite 78 | Die tatsächliche Workload im Bachelorstudium
Huber, L. (2008): Wie studiert man in „Bologna“? Vorüberlegungen für eine notwendige
Untersuchung. In: Kehm, B. M. (Hg.): Hochschule im Wandel. Die Universität als
Forschungsgegenstand. Festschrift für Ulrich Teichler. Frankfurt am Main, S. 295-308.
Krömker, H. et al. (2011): Lehrorganisatorische und methodisch-didaktische Interventionen
im ingenieurwissenschaftlichen Studium. In: Schulmeister, R./Metzger, C. (Hg.): Die
Workload im Bachelor: Zeitbudget und Studierverhalten. Eine empirische Studie. Münster
[u.a.], S. 197-226.
Metzger, C. (2010): ZEITLast: Lehrzeit und Lernzeit. Studierbarkeit von BA-/BSc-
Studiengängen als Adaption von Lehrorganisation und Zeitmanagement unter
Berücksichtigung von Fächerkultur und neuen Technologien. In: Seiler Schiedt,
E./Mandel, S./Rutishauser, M. (Hg.): Digitale Medien für Lehre und Forschung. Münster
[u.a.], S. 287-302.
Multrus, F./Bargel, T./Ramm, M. (2008): Studiensituation und studentische Orientierungen.
10. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen. Langfassung.
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Bonn, Berlin.
Projektgruppe Studierbarkeit (2007): Studierbarkeit an der Humboldt Universität. Wie läuft
das Experiment „Studienreform“? Ergebnisse der Umfrage aus dem Sommersemester
2006. Berlin.
Schulmeister, R./Metzger, C. (Hg.) (2011): Die Workload im Bachelor: Zeitbudget und
Studierverhalten. Eine empirische Studie. Münster [u.a.].
Statistisches Bundesamt (Hg.) (2001): Ehling, M./Holz, E./Kahle, I. (2001): Erhebungsdesign
der Zeitbudgeterhebung 2001/2002. In: Wirtschaft und Statistik, Nr. 6, S. 427-436.
Stinebrickner, R./Stinebrickner, T. R. (2004): Time-use and college outcomes. In: Journal of
Econometrics 121, S. 243-269.
Wilhelm, R./Wingerter, C. (2004): Lebenslanges Lernen – Statistischer Ansatz und
empirische Ergebnisse der Zeitbudgeterhebung 2001/2002. In: Forum der Bundesstatistik.
Band 43. Beiträge zur Ergebniskonferenz der Zeitbudgeterhebung 2001/02 am 16./17.
Februar 2004 in Wiesbaden. Alltag in Deutschland. Analysen zur Zeitverwendung, S. 431-
456.
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 79
Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung an der Leibniz Universität Hannover
Rüdiger Rhein, Tanja Kruse
Abstract
Die Förderung von Kompetenzen im Studium hat an Bedeutung gewonnen. Die Umsetzung
dieses Anliegens wirft jedoch theoretische und konzeptionelle Fragen auf: Was bedeutet
Kompetenzorientierung im Studium, wo es doch um Wissenschaft geht? Und was heißt es,
Studiengänge kompetenzorientiert weiterzuentwickeln?
Der Arbeitsbereich „Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung“ der Zentralen
Einrichtung Lehre, Studium und Weiterbildung der Leibniz Universität Hannover führt –
ausgehend von bildungs- und wissenschaftstheoretischen Überlegungen – Befragungen von
Lehrenden und Studierenden durch, um in den Studiengängen Kompetenzorientierung
sichtbar zu machen und Potenziale für kompetenzorientierte Studiengangsentwicklungen
aufzuzeigen.
1. Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung als profilbestimmender Arbeitsbereich der Leibniz Universität Hannover
An der Leibniz Universität Hannover (LUH) wurde im Oktober 2010 die Zentrale Einrichtung
Lehre, Studium und Weiterbildung (ZEL) errichtet. Das Ziel dieser Einrichtung ist, die an
zentralen Stellen der LUH vorhandenen Kompetenzen zur Weiterentwicklung des Bereichs
Lehre, Studium und Weiterbildung zu bündeln und umfassende Serviceleistungen für
Lehrende und Studierende in diesem Bereich anzubieten sowie Präsidium und Fakultäten
bei der Entwicklung und Umsetzung qualitätsverbessernder Maßnahmen zu unterstützen.
Dabei ist die „Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung“ ein profilbestimmender
Arbeitsbereich, um empirisch konkret wie auch bildungswissenschaftlich reflektiert die
Bedingungen für kompetenzorientiertes Lehren und Lernen zu erheben. Zu den Kernauf-
gaben gehören die Unterstützung der Fakultäten bei der Entwicklung von Kompetenzprofilen
der Studiengänge, die Beratung bei der Weiterentwicklung der neu eingeführten Bachelor-
und Masterstudiengänge im Hinblick auf kompetenzorientiertes Lehren und Lernen sowie
bildungswissenschaftliche Untersuchungen zur Aufklärung von Prozessen der
Kompetenzentwicklung bei Studierenden im Verlauf ihres Studiums.
Kompetenzorientierung im Studium wird an der LUH als eine langfristige Aufgabe angesehen
und kann eine Antwort auf die Kernfrage sein, wie der primäre Auftrag der Universität,
Wissenschaft und Forschung mit Lehre und Bildung zu verknüpfen, fachspezifisch und in
konkreten Studiengängen realisiert werden kann.
Ein wichtiges Ziel des Arbeitsbereiches ist, kollegiale Räume für einen stetigen und offenen
Dialog über Lehren und Lernen zu schaffen, Impulse für die Orientierung an Kompetenzen
zu setzen und entsprechende empirische Untersuchungen durchzuführen.
Seite 80 | Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung
2. Bildungstheoretische Perspektiven1
2.1. Präzisierung des Kompetenzbegriffs
Der Begriff Kompetenz ist verbreitet, wird aber durchaus unterschiedlich verwendet.
Mindestens ist „ein Individuum (...) dann kompetent, wenn es fähig ist, etwas Bestimmtes zu
tun“ (Maag Merki 2009, S. 493). Kompetenz ist – wenigstens – die Fähigkeit zur erfolg-
reichen Bewältigung von Anforderungen in spezifischen Situationen. Ansonsten aber ist der
Kompetenzbegriff „theorierelativ, d.h. er hat nur innerhalb der spezifischen Konstruktion einer
Theorie von Kompetenz eine definierte Bedeutung.“ (Erpenbeck/von Rosenstiel 2003,
S. XII.).2
Innerhalb dieser Kompetenzdiskurse ist der Kompetenzbegriff durch die Triade Person (a) –
Profession (b) –Tätigkeit (c) konfigurierbar,3 denn Kompetenzen lassen sich intrapersonal,
transpersonal und interaktional (re-)konstruieren:
a. „Kompetenz“ ist ein Dispositionsbegriff. Als Dispositionen sind Kompetenzen an die
Person gebunden. Unter Dispositionen ist „die Gesamtheit der bis zu einem
bestimmten Handlungszeitpunkt entwickelten inneren Voraussetzungen zur
psychischen Regulation der Tätigkeit“ zu verstehen (Kossakowski 1981, S. 58, zit.
n. Erpenbeck/Heyse 2007, S. 136), wobei Kompetenzniveaus und Kompetenzprofile
individuumspezifisch ausgeprägt sind.
Nach Erpenbeck/Heyse (2007) ruhen Kompetenzen – verstanden als Dispositionen
zum selbstorganisierten Handeln – auf personalen Eigenschaften, sie werden von
Wissen fundiert, durch Werte und Haltungen konstituiert, als Fähigkeiten disponiert,
durch Erfahrungen konsolidiert und aufgrund von Willen bzw. Motiven realisiert.
Kompetentes Handeln schließt also den Einsatz von Wissen, von kognitiven und
praktischen Fähigkeiten genauso ein wie soziale und Verhaltenskomponenten,
Haltungen, Werte, Motive und Absichten; zudem beeinflussen Erfahrungen und
Selbstkonzepte das individuelle Handeln (vgl. Maag Merki 2009, S. 494).
Eine theoretische Kernidee des Kompetenzbegriffes besteht darin, die
Ganzheitlichkeit und das gegenseitige „Verwiesensein“ dieser Komponenten
aufeinander konzeptuell zu erfassen, denn es ist erst das spezifische
Zusammenspiel von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, personalen Eigenschaften,
Erfahrungen und Motivstrukturen, die eine Kompetenz ausmachen, ohne dass diese
sich auf ihre einzelnen Bestandteile reduzieren ließe, obwohl die Beschreibung von
Kompetenzen stets auf diese Bausteine zurückgreifen muss.
1 Dieser Abschnitt fasst Überlegungen und Untersuchungsergebnisse zusammen, die an verschiedenen Stellen
vorgestellt wurden (vgl. Rhein 2010a; Rhein 2010b; Rhein/Kruse 2010; Rhein (im Erscheinen); Kruse/Rhein (eingereicht)).
2 Zu erwähnen bleibt, dass diese Konzeptualisierung von Kompetenz schon auf das Können fokussiert. Noch
grundsätzlicher weist Marquard (1974, S. 341) darauf hin, dass „Kompetenz (..) offenbar irgendwie zu tun [hat] mit Zuständigkeit und mit Fähigkeit und mit Bereitschaft und damit, dass Zuständigkeit, Fähigkeit und Bereitschaft sich in Deckung befinden (...).“ Es geht also auch um ein Zusammenspiel von Können, Dürfen und Wollen.
3 Vgl. zu dieser Triade auch Rappe-Giesecke (2008, S. 35), die – im Kontext von Beratung – den „Klienten
berufsbezogener Einzelberatung (...) als das emergente Produkt des Zusammenwirkens der drei Dimensionen Person, Inhaber einer Funktion [und] Angehöriger einer Profession“ modelliert.
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 81
b. Unabhängig von einzelnen Personen definieren Professionen4 und Disziplinen
Situationen und Thematiken, für die sie zuständig zeichnen; sie praktizieren je
spezifische Sichtweisen auf und Herangehensweisen an Aufgabenstellungen und
haben in der Regel typische handlungsorientierende und handlungsleitende
Programme für Problemlösungen entwickelt; eine Rekonstruktion professions- bzw.
disziplinbezogener Kompetenzen erfordert eine Rekonstruktion der
professionsbezogenen Denk- und Handlungsmuster.
Im Zuge der Einsozialisation in eine Profession bzw. Disziplin im Verlauf eines
Studiums werden von den Lernenden die professions- und disziplinbezogenen
Wissensbestände, Problemdefinitionen und handlungsorientierenden Programme
erworben, typische Werte verinnerlicht und eine professions- und disziplinbezogene
Identität erworben – dieser individuumsbezogene Aufbau bzw. Ausbau von
Kompetenzen lässt sich als ein Prozess der Transformation von transpersonalen in
intrapersonale Kompetenzen lesen.
c. Kompetenzen sind nicht beobachtbar; als Dispositionen des Könnens zeigen sie
sich stets erst nach Aktivierung in Handlungsvollzügen als Performanz.
Handlungen sind an Handlungssituationen gebunden, sie beziehen sich auf
dingweltliche, sozialweltliche und/oder symbolweltliche, ideelle Aspekte oder auf die
eigene Person. Dabei sind Tätigkeiten komplexere Handlungssequenzen und
verweisen auf zugrunde liegende Gründe und Motive des Tuns. Tätigkeiten
realisieren sich in Handlungen. Handlungen sind bewusste, den Zielen der Tätigkeit
untergeordnete Prozesse und erfordern ihrerseits Operationen, die unmittelbar von
konkreten Bedingungen abhängen. (Vgl. Frieling/Sonntag 1999; Leontjev 1977).
Die Situierung des Handelns durch die Anforderungen der Aufgaben und
Problemstellungen, seine sozial-kommunikativen Rahmungen, weitere Kontext-
faktoren und die Bedingungen seines Gelingens verweisen auf das notwendige
Können zur Bewältigung dieser Situation – die Rekonstruktion von Kompetenzen
muss somit auch die Anforderungen an die Bewältigung der jeweiligen
Praxiszusammenhänge berücksichtigen.
So unterscheidet auch Weinert (1999) in einem für die OECD erstellten Gutachten
zwischen Kompetenzen als generellen oder kontextspezifischen kognitiven
Leistungsdispositionen, Schlüsselkompetenzen (die für einen relativ breiten Bereich
von Situationen und Anforderungen relevant sind), Handlungskompetenzen
(bezogen auf die Anforderungen eines spezifischen Handlungs- oder Berufsfeldes)
sowie Metakompetenzen (vgl. dazu auch Klieme 2004; Hartig/Klieme 2006).
2.2. Kompetenzorientierung im Studium
Das Studium einer wissenschaftlichen Disziplin ist mehr als lediglich ein formaler
Lernprozess im Sinne der kognitiven Verarbeitung eines Stoffkanons. Aus lerntheoretischer
Perspektive lässt sich konstatieren, dass es kaum einen Lerngegenstand an sich (d.h. in
kanonisierter Form) gibt, vielmehr ist ein Lerngegenstand zumeist Element vorgängiger
4 Es soll an dieser Stelle entgegen der berufssoziologischen Lesart unter Profession keine spezifische Form der
Beruflichkeit verstanden werden (vgl. Kurtz 2002, S. 47ff.), sondern jedwede Tätigkeit eines/einer wissenschaftlich ausgebildeten Praktikers/Praktikerin.
Seite 82 | Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung
gesellschaftlicher, sozial-kultureller, wissenschaftlicher oder sonstiger Praxis; folglich sind
auch die Lerngegenstände eines Studiums in der Regel Elemente einer solchen vorgängigen
Praxis. Der Prozess des Studierens ist dabei nicht nur ein Erlernen von Ergebnissen dieser
Praxis, sondern insbesondere die reflektierte, auf Verstehens- und Erkenntnisprozessen
basierende Einübung in diejenige Praxis, der die Lerngegenstände des Studiums
entstammen. Studieren bedeutet den Prozess der reflektierten Auseinandersetzung mit der
jeweiligen Wissenschaftsdisziplin und ihren spezifischen Denkweisen, Methoden und
Techniken.
In der Diskussion über den universitären Bildungsauftrag im Allgemeinen und am Beispiel
der Kompetenzorientierung im Besonderen wird die Frage mit verhandelt, inwiefern sich
Universitäten auf die Pflege und lehrende Vermittlung von Wissenschaft (als spezifischer
Praxis) beschränken können, oder ob sie darüber hinausgehend auch einen Auftrag haben,
zu verantwortlichem Handeln zu befähigen bzw. auf bestimmte Formen der Beruflichkeit
vorzubereiten.5
Kompetenzorientierung im Studium erlaubt mindestens folgende Auslegungsoptionen:
1. Der Auf- und Ausbau von Kompetenzen für Wissenschaft (als spezifische Praxis).
2. Der Erwerb von Kompetenzen durch Wissenschaft für solche Tätigkeitsfelder, in
denen wissenschaftliches Wissen und wissenschaftliche Methoden unmittelbar oder
mittelbar eingesetzt werden – Kompetenzorientierung als Zugriff auf den
instrumentellen Charakter von Wissenschaft und ihrer Methoden, Konzepte und
Wissensbestände.
3. Der Auf- und Ausbau von Kompetenzen durch das Studium insgesamt, inklusive
einer studienbegleitenden expliziten Förderung von tätigkeitsbezogenen
Schlüsselkompetenzen und durch die Förderung der Persönlichkeit der
Studierenden für anspruchsvolle Tätigkeiten in Wirtschaft, Technik, Politik, Recht,
Verwaltung, Bildung, Beratung, Seelsorge, Kunst, Kultur und Gestaltung, Medien,
Medizin und Gesundheitswesen usw. – Kompetenzorientierung als Vorbereitung auf
Handlungsanforderungen wissenschaftlich bzw. akademisch orientierter spezifischer
Tätigkeitsfelder, wobei hier gilt, dass gerade diese Tätigkeitskomplexe zum Teil
mehr verlangen als lediglich die subjektive Verfügbarkeit über Kompetenzen als
individuelle Handlungsdisposition.
4. Die studienbegleitende Vorbereitung auf die Anforderungen des realen Arbeits-
alltags durch Förderung von Selbst-, Sozial- und Teamkompetenzen, Medien- und
Methodenkompetenzen, ergänzend zu den Fachkompetenzen in ausdrücklich
hierauf bezogenen Lernsettings – Kompetenzorientierung als Betonung der
„Employability“ der Studierenden.
5 Pasternack (2001, S. 268) etwa definiert den Bildungsauftrag der Hochschulen so, dass „Hochschulbildung (…)
die Aufgabe zu[wächst], sozialverträgliche Handlungsfähigkeit innerhalb exponentiell wachsender Komplexitäten zu vermitteln. Das heißt: Zu vermitteln ist die Befähigung zum Entscheiden und Handeln auf der Grundlage möglichst gefahrenneutraler situationsunmittelbarer Komplexitätsreduktion.“
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 83
3. Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung an der Leibniz Universität Hannover
An der LUH werden im Arbeitsbereich „Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung“ der
Zentralen Einrichtung für Lehre, Studium und Weiterbildung die studiengangsbezogenen
Kompetenzziele im Zuge von Rekonstruktionen disziplinärer Eigenlogiken bildungs-
theoretisch beschrieben und die Prozesse der Kompetenzentwicklung bei Studierenden in
verschiedenen Studiengängen untersucht. Langfristig wird dadurch die Umsetzung von
Kompetenzorientierung in Lehre und Studium im Rahmen von „institutional research“
bildungs- und wissenschaftstheoretisch zu fundieren versucht.
3.1. Konzept
Das Konzept der „Kompetenzorientierten Studiengangsentwicklung“ an der LUH basiert auf
der Ausgangsthese, dass auch bei der Kompetenzorientierung des Studiums die Ausrichtung
auf Wissenschaft zentral bleibt, dass aber – der triadischen Konzeptualisierung von
Kompetenz folgend – die lern- und biografiebezogenen Anteile der Studierenden ebenso
Berücksichtigung finden müssen wie die Handlungsanforderungen in künftigen
Tätigkeitsfeldern.
Der hermeneutisch-rekonstruierende Einstieg in die kompetenzorientierte Studiengangs-
entwicklung umfasst die drei Phasen Rekonstruktion fachspezifischer Kompetenzen (a),
Untersuchung der Kompetenzentwicklung im Verlauf des Studiums (b) und Untersuchung
des Übergangs vom Studium in die Berufspraxis (c). Hierbei werden die Perspektiven der
Lehrenden, der Studierenden und der Absolvent(inn)en einbezogen:
Abbildung 1: Konzept "Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung"
Seite 84 | Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung
a. Rekonstruktion fachspezifischer Kompetenzen
Die Orientierung an Wissenschaft muss berücksichtigen, dass den einzelnen
Disziplinen charakteristische Grundideen der Gegenstandskonstitution und der
Gegenstandsbehandlung zugrunde liegen, die sich in fachtypischen Denkweisen,
Konzepten, Methoden und Techniken, in Praktiken der Begriffsbildung, der
Generierung von Wissen und der erklärenden, verstehenden oder handelnden
Erschließung von Realitätsausschnitten niederschlagen.
Typisch akademische Kompetenzen lassen sich – je fachspezifisch konkretisiert –
konzeptualisieren als die Beherrschung der jeweiligen Art und Weise (vgl. dazu
auch Heckhausen 1987), wie die disziplinrelevanten Realitätsausschnitte in
Theorien, Modellen oder anderen Arten von Rekonstruktionen fasslich und für das
Denken operabel gemacht werden, um letztlich die betreffenden Sachverhalte der
Wirklichkeit zu verstehen, zu erklären, vorherzusagen, praktisch zu nutzen oder zu
verändern.
Auf dieser konzeptuellen Basis wird zunächst eine Rekonstruktion disziplin- und
studiengangsbezogener Kompetenzprofile durch Experteninterviews mit Hochschul-
lehrenden angestrebt. In diesen Interviews mit Fachvertreter(inne)n wird erkundet,
welche besonderen Konzeptualisierungen und Herangehensweisen an Aufgaben-
stellungen und Problemlösungen das Fach auszeichnen und auf welchen
didaktischen und methodischen Wegen versucht wird, dies in universitären
Lehrprozessen zu vermitteln.6 Die Auswertung der Transkriptionen dieser Interviews
erfolgt in mehreren Verdichtungsschritten durch theoretisches Codieren. Hierüber
soll explizierbar gemacht werden, welche Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten,
Strategien, Routinen, Haltungen und motivationalen Orientierungen, m.a.W. welche
Kompetenz- und Bildungspotenziale in die Teilhabe an fachlichen und
überfachlichen Diskursen, in das Betreiben von Wissenschaft bzw. in die
Verwendung wissenschaftlichen Wissens eingeschrieben sind.
Die Kompetenzmodellierung erfolgt also über eine Rekonstruktion wissenschafts-
immanenter, disziplinärer Eigenlogiken durch ein hermeneutisch-rekursiv-
explikatives Vorgehen. Dabei zeigen sich zugleich die Grenzen einer quantitativen
Kompetenzmessung, die (sofern überhaupt möglich) stets eine Interpretation, also
ein kontextbezogenes Verstehen der Daten erfordert. Das aus Kompetenz-
messungen resultierende Wissen ist nicht beliebig transferierbar, sondern muss im
Deutungshorizont der disziplinbezogenen Eigenlogiken nachvollzogen werden.
Kompetenzmessung kann nicht ausschließlich deskriptiv-analytisch erfolgen, sie
muss sinnrekonstruktiv vorgehen. Insofern dienen Kompetenzmodellierung (und
potenziell Kompetenzmessung) in erster Linie der Selbstverständigung der
Lehrenden und Studierenden über die Ziele und Inhalte des Studiums und über die
Wissens- und Könnensordnungen der Disziplin.
6 Diese ca. einstündigen Interviews umfassen Fragen zur Wissensordnung und zu Könnensanforderungen im
Aufgabengebiet des Befragten, zu den kognitiven und motivationalen Anforderungen im Studiengang und typischen curricularen Inhalten und Arbeitsleistungen, zu Kerntätigkeiten in der künftigen Berufspraxis der Absolvent(inn)en, zu Kernkompetenzen der Disziplin und zur persönlichen Faszination am eigenen Fach sowie hilfreichen Eigenschaften und Motivlagen beim Betreiben der Disziplin.
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 85
b. Untersuchung der Kompetenzentwicklung im Verlauf des Studiums
In qualitativen Interviews mit Studierenden werden Prozesse der Kompetenzent-
wicklung im Verlauf des Studiums untersucht, wobei insbesondere auf Fragen des
Verstehens und der Einsozialisation in disziplinbezogene Handlungslogiken
fokussiert wird. Das Studium stellt eine komplexe Lernumgebung dar, in der an
verschiedenen Stellen der Auf- und Ausbau von Kompetenzen explizit oder implizit
induziert wird. Allerdings umfasst ein Studium mehr als nur die Teilnahme an
Lehrveranstaltungen: Lernprozesse, auch informeller Art, finden ebenso im Rahmen
von Selbststudium, Arbeitsgruppen, Projekten, Praktika oder Tätigkeiten als
wissenschaftliche Hilfskraft statt. An all diesen (Lern-)Orten erfolgen universitäre
Bildungsprozesse – erstens – in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit (dem
Lerngegenstand) Wissenschaft. Sie erfolgen aber auch – zweitens – unabhängig
von einer unmittelbaren Aneignung und Verarbeitung von Wissenschaft, etwa beim
Erwerb von Arbeitstechniken und Methodenkompetenzen, in sozialen
Lernprozessen, in studentischen Arbeitsgruppen u.a.m. Somit stellen sich die
Fragen, wie die aneignende und verarbeitende Auseinandersetzung mit
Wissenschaft durch die Studierenden im Rahmen ihres Studiums erfolgt, in welchen
Kontexten (Vorlesungen, Übungen, Peergroups, Praktika usw.) was wie gut gelernt
wird und welche Kompetenzen in der direkten Auseinandersetzung mit
Wissenschaft und welche Kompetenzen in solchen Studienkontexten erworben
werden, die über die unmittelbare Auseinandersetzung mit Wissenschaft
hinausgehen. Die Aufklärung dieser Fragen erfolgt durch Befragungen von
Studierenden (Gruppeninterviews, narrative Interviews mit einzelnen Studierenden
sowie standardisierte, quantitative Befragung der Studierenden, zum Teil im Panel-
Design).7
c. Untersuchung des Übergangs vom Studium in die Berufspraxis
Eine (bisher noch nicht durchgeführte) dritte Phase im Konzept der
kompetenzorientierten Studiengangsentwicklung ist eine retrospektive Bewertung
des Studiums im Hinblick auf die im Studium tatsächlich erworbenen Kompetenzen
und der hierdurch erfolgten Vorbereitung auf die (zumeist beruflichen)
Verwendungssituationen: Wie bewerten berufserfahrene Absolvent(inn)en rück-
blickend ihr Studium im Hinblick auf ihre Kompetenzentwicklung? Wie hat sich die
Transformation der Kompetenzen aus dem Studium in die Anforderungen des
Berufsalltags vollzogen? Wie ist eine Vorbereitung auf das Kompetenz-
Anforderungsprofil der Berufspraxis durch das Studium erfolgt und auf welche
Weise wurde das Theorie-Praxis-Verhältnis jeweils verarbeitet?
3.2. Von der institutionellen Selbstbeforschung zur Studiengangsentwicklung
Die Befragungen von Lehrenden und Studierenden führen zu umfangreichen Informationen
über die besondere Lehr-/Lernsituation in Studiengängen und resultieren in Empfehlungen
für die Weiterentwicklung von Studiengängen. Die konkrete Studiengangsentwicklung liegt
7 In den Interviews mit Studierenden werden explorierende Fragen gestellt zur Studienfachwahl, zu bisherigen
zentralen Erfahrungen und erlebten Anforderungen im Studium, zur selbsterlebten Lern- und Kompetenzentwicklung und zu lebensweltlichen Kontexten.
Seite 86 | Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung
naturgemäß in der Verantwortung der Studiengänge selbst; hierfür können aber die
Ergebnisse aus den Untersuchungen Hilfestellung leisten.
Unmittelbar regen die Experteninterviews die Reflexion über Kompetenzorientierung im
Studium an und sensibilisieren für die Thematik. Insofern dienen die Interviews nicht nur dem
primären forschungsmethodischen Zweck des verstehenden Rekonstruierens
fachspezifischer Kompetenzprofile, sie bewirken als Sekundäreffekt auch eine non-direktive
Auseinandersetzung mit der Kompetenzthematik.8
Konkrete Verwendung finden die Ergebnisse
in der Anpassung von kompetenzorientierten Modulbeschreibungen und Diploma
Supplements,
in der Entwicklung von Perspektiven für kompetenzorientiertes Lehren,
in der Entwicklung und Erprobung von studiengangsbezogenen Kompetenz-
Portfolios für Studierende,
in Entscheidungen über die Anerkennung von Studienleistungen im Rahmen der
Offenen Hochschule.
Mittelfristig werden die Ergebnisse genutzt für
die kompetenzorientierte Gestaltung neuer Studiengänge,
für die Entwicklung von Formaten für kompetenzorientiertes Prüfen.
Die bisherigen Erfahrungen an der LUH machen deutlich, dass sich das qualitative Vorgehen
bewährt, weil hierdurch die Expertise der jeweiligen Hochschullehrenden ausdrücklich
einbezogen werden kann. Dabei werden die spezifischen Anforderungen in den Fächern
sichtbar, die nur im Dialog mit den Fachvertreter(inne)n greifbar werden. Die Befragung von
Lehrenden und Studierenden in einem Studiengang und die regelmäßige Diskussion von
Untersuchungsergebnissen tragen dann dazu bei, dass die Kompetenzthematik von den
Akteur(inn)en in den Studiengängen regelmäßig reflektiert wird.
Literatur
Erpenbeck, J./Heyse, V. (2007): Die Kompetenzbiographie. Wege der
Kompetenzentwicklung. 2. überarb. A. Münster u.a.
Erpenbeck, J./von Rosenstiel, L. (Hg.) (2003): Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen,
verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und
psychologischen Praxis. Stuttgart.
8 Deutlich wird dies in verschiedenen Interviewäußerungen, beispielsweise im Studiengang
Landschaftsarchitektur und Umweltplanung: „(B:) Das ist ja eine richtige Auseinandersetzung hier. (alle lachen) (I:) Ja. Das ist ja der Versuch, sozusagen von verschiedenen Seiten mal zu verstehen, was man macht, wenn man sozusagen dieses Fach betreibt. (B:) Ja, ja. Ja. Das ist ja interessant, ja. Das ist ja selbst für mich interessant, was ihr so alles wissen wollt von mir. (alle lachen)“.
Vgl. auch folgende Äußerung aus einem Interview im Studiengang Maschinenbau: „(B:) Gut, ja. Wenn Sie dann aus dem Gesagten was extrahiert haben, dann würde mich das interessieren. Denn das, was ich hier so formuliert habe, das habe ich ja rein spontan formuliert, das könnte ich vielleicht irgendwo anders auch mal selber weiter verwenden.“
Vgl. auch folgendes Gedächtnisprotokoll zu einer Äußerung nach einem Interview im Studiengang Maschinenbau: „(B:) In diesem Gespräch haben wir mehr über Kompetenzen herausgefunden, als wir alleine geschafft hätten.“
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 87
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Leistung und Leistungsdiagnostik. Heidelberg, S. 127-143.
Heckhausen, H. (1987): „Interdisziplinäre Forschung“ zwischen Intra-, Multi- und Chimären-
Disziplinarität. In: Kocka, J. (Hg.): Interdisziplinarität. Frankfurt am Main, S. 129-145.
Klieme, E. (2004): Was sind Kompetenzen und wie lassen sie sich messen? In: Pädagogik
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Leipzig.
Kruse, T./Rhein, R. (eingereicht): Lebenslanges Lernen an der Hochschule –
Untersuchungen zur studentischen Perspektive am Beispiel einer Befragung von
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Kontext lebenslangen Lernens: Konzepte, Modelle, Realität. Tagungsband der
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des Studienganges Architektur. In: Terbuyken, G. (Hg.): In Modulen lehren, lernen und
prüfen. Herausforderung an die Hochschuldidaktik. Rehburg-Loccum (= Loccumer
Protokolle 78/09), S. 215-236.
Rhein, R. (im Erscheinen): Kompetenzorientierung im Studium?! In: Jahnke, I./Wildt, J. (Hg.):
Fachbezogene und fachübergreifende Hochschuldidaktik und Studiengangsentwicklung.
Blickpunkt Hochschuldidaktik, Band 121.
Weinert, F. E. (1999): Konzepte der Kompetenz. Paris.
Seite 88 | Bachelor auf Erfolgskurs!?
Bachelor auf Erfolgskurs!? Eine Überprüfung einzelner Reformziele anhand von Daten aus dem CHE-
HochschulRanking
Isabel Roessler
Abstract
Die Bologna-Erklärung, in der Presse primär durch Kritik an den „neuen“ Bachelorstudien-
gängen präsent, ist zehn Jahre alt. Die Hochschulen haben die vergangene Dekade dazu
genutzt, das Studiensystem weitgehend auf das gestufte Bachelor-/Mastersystem
umzustellen. Aber wurden auch die Ziele von Bologna erreicht?
Anhand von Daten aus dem HochschulRanking des CHE gemeinnütziges Centrum für
Hochschulentwicklung kann gezeigt werden, dass Pauschalaussagen, wie sie teils in der
Öffentlichkeit kursieren, nicht zutreffen. In insgesamt acht untersuchten Fächergruppen
werden ausgewählte Bologna-Ziele unterschiedlich gut erreicht. Die Urteile von fast 94.000
Studierenden aus den vergangenen drei Jahren zeigen, dass Ziele wie Mobilität und
Beschäftigungsbefähigung sich durchaus positiv in den Ranking-Indikatoren „Unterstützung
für Auslandsstudium“, „Praxisbezug“ und „Arbeitsmarkt- und Berufsbezug“ abbilden. Auch
die Bewertung der „Betreuung“ im Bachelorstudium ist in vielen Fächergruppen positiver als
die der Diplomstudierenden. Als fünften Indikator wird die „Studiensituation insgesamt“
zwischen den Diplom- und den Bachelorstudierenden innerhalb einer Fächergruppe
verglichen. Damit kann festgestellt werden, ob es generelle Unterschiede bei der
Einschätzung der Studiensituation zwischen den Abschlussgruppen gibt.
Ganz besonders in den Gesellschaftswissenschaften zeigen sich positive Ergebnisse für den
Bachelor. Auch die Wirtschaftswissenschaften können sowohl an Universitäten als auch an
Fachhochschulen auf positivere Urteile von Bachelorstudierenden blicken. Im Gegensatz zu
den Ingenieur(inn)en an Fachhochschulen urteilen Studierende der Ingenieurwissenschaften
an den Universitäten jedoch negativer über die auswählten Aspekte des Studiums als
Studierende in Diplomstudiengängen.
1. Einleitung
„Bachelor auf Erfolgskurs!?“ ist eine Studie, die vom CHE 2010 veröffentlich wurde. Der
vorliegende Beitrag zeigt einen Ausschnitt der Gesamtstudie, die unter gleichnamigem Titel
im Internet über http://www.che.de/downloads/CHE_AP_134_Bachelor_auf_Erfolgskurs.pdf
abgerufen werden kann. Darin sind auch die Ergebnisse für die naturwissenschaftlichen und
geisteswissenschaftlichen Fächer enthalten.
Für diese Studie wurden zwei der insgesamt zehn Ziele, die im Rahmen von Bologna von
den deutschen Ministerkonferenzen beschlossen wurden, anhand von Daten aus dem CHE-
HochschulRanking überprüft. Zum einen wurde die geplante „Förderung der Mobilität“
anhand des Indikators „Unterstützung für Auslandsstudium“ geprüft. Zum andern wurde das
Ziel der „Berufsqualifizierung“ mithilfe der Indikatoren „Praxisbezug“ sowie „Arbeitsmarkt-
und Berufsbezug“ untersucht. Die zugrunde liegende Frage war dabei: Wurden diese Ziele in
den Bachelorstudiengängen erreicht? Zusätzlich wurden zwei weitere Indikatoren betrachtet.
Es wird geprüft, ob sich die Wahrnehmung der „Betreuung“ im Vergleich zu den „alten
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 89
Abschlüssen“ verändert hat und ob die Studierenden der Bachelorstudiengänge die
„Studiensituation insgesamt“ anders bewerten. In der Öffentlichkeit wird oftmals von einer
allgemeinen Verschlechterung der Gesamtsituation aufgrund des Bachelor-/Mastersystems
ausgegangen. Anhand dieses grundsätzlichen Indikators sollte geprüft werden, ob dies
zutreffend ist.
2. Methodik
Für die Untersuchung wurde eine vollständige Erhebungsrunde des CHE-Hochschul-
Rankings (drei aufeinanderfolgende Jahre) herangezogen: die wirtschaftswissenschaftlichen
und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer des Jahres 2008, die naturwissenschaftlichen
Fächer des Jahres 2009 und die in 2010 untersuchten ingenieurwissenschaftlichen sowie
geisteswissenschaftlichen Fächer. Die Betrachtung aller drei Jahre wurde durch die seit
2008 relativ hohen Anteile an Bachelorstudierenden in den Fächern ermöglicht: Der Anteil
der einbezogenen Bachelorstudierenden lag in den 2008 betrachteten Fächergruppen
bereits bei 36 bzw. 40 %1.
Insgesamt wurden die Urteile von 93.856 Studierenden in der Untersuchung berücksichtigt.
Bezogen auf alle einbezogenen Fächer sind dabei die Anteile von Bachelorstudierenden und
Studierenden der „alten“ Abschlüsse annähernd gleich verteilt, innerhalb der Fächergruppen
gibt es hier jedoch teils deutliche Unterschiede. Studierende ausländischer Hochschulen,
Lehramtsstudierende und Studierende in Staatsexamensfächern (Jura, Pharmazie, Medizin)
wurden nicht in den Vergleich mit einbezogen.
Tabelle 1: Einbezogene Fächer und berücksichtigte Fälle (Studierendenanzahl)
Fach Hochschultyp Anzahl der
Bachelor-
studierenden
Anzahl der
Diplom-
studierenden
(in den Gesell-
schafts-,
Sprach- und
Geistes-
wissenschaften
inkl. Magister)
Insge-
samt
Politikwissenschaft Universitäten 1527 1982 (1356)2 3509
Soziologie Universitäten 1099 2173 (969) 3272
Medien- und
Kommunikationswissenschaften Universitäten 1143 1475 (943) 2618
1 Bereits im Wintersemester 2006/2007 lag der Anteil an Studienanfänger(inne)n in den Politikwissenschaften in
den Prüfungsgruppen Diplom und Bachelor etwa gleich auf. In den Sozialwissenschaften schrieben sich in dem Semester bereits deutlich mehr Anfänger(innen) in einem Bachelorstudium (2945) ein, als in einem Diplomstudiengang (1850). S. Statistisches Bundesamt: „Bildung und Kultur, Studierende an deutschen Hochschulen“, Fachserie 11, Reihe 4.1.2007. Im Internet unter: https://www-ec.destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath=struktur,vollanzeige.csp&ID=1020986, aufgerufen Mai 2010.
2 In Klammern ist jeweils die Anzahl der Magisterstudierenden genannt.
Seite 90 | Bachelor auf Erfolgskurs!?
Gesellschaftswissenschaften
insgesamt (2008) 3769 5630 9399
Wirtschaftsinformatik Universitäten 537 944 1481
Fachhochschulen 970 715 1685
Wirtschaftsingenieurwesen Universitäten 124 1882 2006
Fachhochschulen 1311 2498 3809
Betriebswirtschaftslehre Universitäten 2786 6459 9245
Fachhochschulen 5026 5863 10889
Volkswirtschaftslehre Universitäten 951 2380 3331
Wirtschaftswissenschaften
insgesamt (2008) 11705 20741 32446
Informatik Universität 1474 1380 2854
Mathematik Universität 982 1997 2979
Physik Universität 916 2071 2987
Chemie Universität 994 1427 2421
Biologie Universität 1466 1662 3128
Geowissenschaften Universitäten 568 512 1080
Geografie Universitäten 746 1163 1909
Naturwissenschaften insgesamt (2009)
7146 10212 17358
Architektur Universitäten 498 652 1150
Fachhochschulen 994 135 1129
Bauingenieur Universitäten 722
731 1453
Fachhochschulen 1449 197 1646
Elektrotechnik und Informationstechnik
Universitäten 1129 1195 2324
Fachhochschulen 2545 522 3067
Maschinenbau/ Verfahrenstechnik/Chemieingenieur-wesen
Universitäten 2691 2491 5182
Fachhochschulen 4919 1093 6012
Mechatronik Fachhochschulen 1178 148 1326
Ingenieurwissenschaften insgesamt (2010)
16125 7164 23289
Germanistik Universitäten 1258 841 (792) 2099
Anglistik/Amerikanistik Universitäten 848 517 (500) 1365
Romanistik Universitäten 534 413 (396) 947
Sprachwissenschaften insgesamt (2010)
2640 1771 4411
Psychologie Universitäten 1261 1973 (55) 3234
Geschichte Universitäten 769 481 (459) 1250
Erziehungswissenschaften Universitäten 1321 1148 (407) 2469
Geisteswissenschaften insgesamt (2010)
3351 3602 6953
SUMME INSGESAMT 44736 49120 93856
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 91
Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt je nach Fächergruppe auf drei Varianten.
Mittelwerte der Urteile von Bachelorstudierenden vs. denen der Diplom- bzw. in den
geisteswissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern den
Diplom- und Magisterstudierenden,
prozentuale Anteile der Nennungen von „sehr gut“/„gut“,
prozentuale Anteile „sehr schlecht“/„schlecht“ abgebildet.
3. Ergebnisse an Universitäten
Bedingt durch die Fächerauswahl im CHE-HochschulRanking lassen sich an den
Universitäten insgesamt mehr Fächergruppen bilden als an den Fachhochschulen. Vor allem
in Bereich der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften bieten Universitäten eine Vielzahl
an Fächern an.
3.1. Gesellschaftswissenschaften
Auf Basis des HochschulRankings 2008 sind hier die Fächer Politikwissenschaft, Soziologie,
Sozialwissenschaften (jeweils entweder der Politikwissenschaft oder der Soziologie
zugeordnet) und Medien- und Kommunikationswissenschaften einbezogen. Jura wurde aus
dieser Übersicht herausgenommen, da hier nach wie vor das Staatsexamen als Regelab-
schluss dominiert.
Aufgrund der insgesamt nahezu gleich verteilten Anzahl an Bachelor-, Magister- und
Diplomstudierenden sowie der teilweise deutlichen Unterschiede zwischen den Urteilen von
Magister- und Diplomstudierenden, werden in den nachfolgenden Grafiken auch alle drei
Abschlussvarianten getrennt voneinander betrachtet.
Die Beurteilung der Fragen erfolgte auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 6 (sehr schlecht).
Abbildung 1: Mittelwerte* der Urteile von Bachelor-, Magister- und Diplomstudierenden in den
Gesellschaftswissenschaften an Universitäten
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2008]
*1= sehr gut, 6= sehr schlecht
1,5
2,5
3,5
4,5
Studiensituation insgesamt
Betreuung
Praxisbezug Arbeitsmarkt- und
Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Magister Bachelor
Seite 92 | Bachelor auf Erfolgskurs!?
Die Daten sind eindeutig: Die Bachelorstudierenden bewerten alle fünf untersuchten
Indikatoren positiver als die Studierenden der früheren Abschlüsse. Auch die beiden
Indikatoren „Studiensituation insgesamt“ sowie „Betreuung“, auf die die Umstellung auf das
Bachelor- und Mastersystem theoretisch kaum Auswirkungen haben dürfte, werden klar
positiver bewertet. Besonders deutlich zeichnen sich die Unterschiede im „Arbeitsmarkt- und
Berufsbezug“ sowie im „Praxisbezug“ ab. Auch die statistische Überprüfung zeigt, dass bei
sämtlichen Indikatoren signifikante Unterschiede3 zwischen den Urteilen der Bachelor- und
Diplomstudierenden bestehen.
Für eine tiefere Analyse wurden die Anteile der Nennungen von „sehr gut“/„gut“ sowie „sehr
schlecht“/„schlecht“ ebenfalls hinzugezogen. Dadurch lassen sich die Ergebnisse noch
detaillierter interpretieren.
Abbildung 2: Anteile "sehr gut/gut" in den Gesellschaftswissenschaften
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2008]
Auch die prozentuale Verteilung der Nennungen von „sehr gut“/„gut“ unterstreicht
eindrucksvoll die positive Bewertung der Indikatoren von Seiten der Bachelorstudierenden.
Bei allen fünf untersuchten Indikatoren gibt es einen höheren Anteil an Bachelor-
studierenden, die positiv urteilen.
Die Betrachtung der Anteile an Studierenden, die die aufgeführten Themenkomplexe als
„sehr schlecht“/„schlecht“ bewerten zeigt, dass deutlich weniger Bachelorstudierende mit
dem „Praxisbezug“ und dem „Arbeitsmarkt- und Berufsbezug“ unzufrieden sind als Magister-
oder Diplomstudierende.
3 Für alle Fächergruppen wurden T-Tests mit Bonferroni – Korrektur zur Überprüfung der Signifikanz –
durchgeführt.
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbezug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Magister Bachelor
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 93
Abbildung 3: Anteile "sehr schlecht/schlecht" in den Gesellschaftswissenschaften
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2008]
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Bachelorstudierenden innerhalb der
Gesellschaftswissenschaften zu einer deutlich positiveren Bewertung ihres Studiums
gelangen, als die Diplomstudierenden. Es stellt sich die Frage, ob dies an der Befragung der
Bachelorstudierenden ab dem dritten Semester liegt. Diplom- und Magisterstudierende
werden im Rahmen des CHE-HochschulRankings hingegen erst ab dem fünften Semester
befragt. Die verschiedenen Einbeziehungszeiträume lassen sich mit dem Anteil des
Studiums begründen, den die Studierenden zu dem Zeitpunkt bereits hinter sich gebracht
haben. Ein Drittsemester Bachelor hat bereits die Hälfte seines grundständigen Studiums
beendet4, ebenso wie ein Fünftsemester in einem Diplomstudiengang. Die Situation der
Studierenden ist also vergleichbar und es zeigen sich auch nach Prüfung der Fachsemester-
zahlen keine Gründe für Verzerrungen.
3.2. Wirtschaftswissenschaften
Die Wirtschaftswissenschaften umfassen als Fächergruppe im CHE-HochschulRanking 2008
an den Universitäten die Fächer Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsingenieurwesen, Betriebs-
wirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre sowie Wirtschaftswissenschaften. Seit geraumer
Zeit finden sich auch an Universitäten zunehmend duale Studienangebote in den
wirtschaftswissenschaftlichen Fächern. Um eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse durch
Angaben Studierender dieser Studiengänge zu vermeiden – es ist davon auszugehen, dass
sich der Praxisbezug positiv verändern dürfte, wenn dual Studierende in der Stichprobe
enthalten sind –, wurden die Studierenden dieser Studiengänge nicht mit einbezogen. Die
Angaben beziehen sich rein auf die Urteile von Studentinnen und Studenten in klassisch
strukturierten Studiengängen.
4 Ausgehend von sechs Semestern Regelstudienzeit.
0%
5%
10%
15%
20%
25%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbezug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Magister Bachelor
Seite 94 | Bachelor auf Erfolgskurs!?
Abbildung 4: Mittelwerte* der Urteile von Bachelor- und Diplomstudierenden in den
Wirtschaftswissenschaften an Universitäten
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2008]
*1= sehr gut, 6= sehr schlecht
Die Studierenden der wirtschaftswissenschaftlichen Bachelorstudiengänge an Universitäten
bewerten alle Indikatoren positiver als die Studierenden der Diplomstudiengänge. Die Unter-
schiede sind dabei zwar gering, aber durchgängig im statistischen Sinne signifikant.
Auffällig ist bei den hier zusammengefassten wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen,
dass die Gesamtzufriedenheit sehr hoch ist. Lediglich beim Indikator „Praxisbezug“ bewertet
weniger als die Hälfte der Studierenden die Situation als „sehr gut“ oder „gut“. Bei allen
anderen Indikatoren sind jeweils über die Hälfte der Studierenden zufrieden mit der Studien-
situation.
Abbildung 5: Anteile "sehr gut/gut" in den Wirtschaftswissenschaften an Universitäten
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2008]
1,5
2,5
3,5
4,5
Studiensituation insgesamt
Betreuung
Praxisbezug Arbeitsmarkt- und
Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbzeug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 95
Aufgrund der insgesamt sehr positiv ausfallenden Bewertung der Studierenden fällt der
Anteil an Bewertungen auf dem Niveau von „sehr schlecht“/„schlecht“ entsprechend gering
aus. Der Anteil der Bachelorstudierenden ist fast durchgängig geringer, besonders deutlich
ist dies beim Indikator „Arbeitsmarkt- und Berufsbezug“. Die „Unterstützung für Auslands-
studium“ wird jedoch etwas häufiger von den Bachelorstudierenden negativ bewertet.
Abbildung 6: Anteile "sehr schlecht/schlecht" in den Wirtschaftswissenschaften an
Universitäten
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2008]
Die Zufriedenheit der Studierenden in den wirtschaftswissenschaftlich ausgerichteten
Studiengängen ist bereits unter den Diplomstudierenden sehr hoch. Durch die Einführung
der Bachelorstudiengänge hat sich diese positive Einstellung sogar noch verstärken können.
3.3. Ingenieurwissenschaften
Für die Ingenieurwissenschaften an Universitäten wurden Daten aus den Jahren 2007 und
2010 herangezogen. Dadurch ist es möglich, eine Entwicklung im Fach abzubilden.
Unterschiedlich waren jedoch die jeweiligen Anteile an Studierenden in den Studiengängen:
Während im Jahr 2010 etwa gleich viele Diplomstudierende wie Bachelorstudierende an den
Universitäten in den Ingenieurwissenschaften befragt wurden, konnten im Jahr 2007 erst 554
Bachelor- gegenüber 6.234 Diplomstudierende befragt werden, was bei der Interpretation
der Ergebnisse beachtet werden muss. Studierende, die angegeben haben in einem dualen
Studiengang immatrikuliert zu sein, wurden aus dem Vergleich herausgenommen, um die
Einflüsse dualer Studiengänge herauszunehmen.
Aufgrund der vergleichenden Darstellung der Untersuchungsjahre 2010 und 2007 werden
die Ergebnisse in tabellarischer Form abgebildet, da sich so die Entwicklungen und
Unterschiede zwischen den Jahren deutlicher darstellen.
0%
1%
2%
3%
4%
5%
6%
7%
8%
9%
10%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbezug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
Seite 96 | Bachelor auf Erfolgskurs!?
Tabelle 2: Mittelwerte der Urteile von Bachelor- und Diplomstudierenden in den
Ingenieurwissenschaften an Universitäten
Der Vergleich von Bachelor- und Diplomstudierenden von 2010 zeigt, dass die
Bachelorstudierenden in allen Indikatoren geringfügig schlechter urteilen als die Diplom-
studierenden. Die durchgeführten statistischen Prüfungen ergaben für alle Indikatoren
signifikante Unterschiede zwischen Bachelor- und Diplomstudierenden. Lediglich in der
Beurteilung der Betreuung ist kein nennenswerter Unterschied festzustellen. 2007 lagen die
Beurteilungen der Bachelorstudierenden und der Diplomstudierenden auf dem gleichen
Niveau. Allerdings waren in der damaligen Stichprobe nur 8 % der einbezogenen
Studierenden bereits in einem Bachelorstudiengang immatrikuliert. Vermutlich hat sich erst
jetzt, in den vergangenen drei Jahren, eine eigene Struktur innerhalb der Bachelorstudien-
gänge herausgearbeitet, die sich nun auch in eigenen Urteilsniveaus niederschlägt.
Die auf „sehr gut“/„gut“ entfallenden Anteile sind bei den Diplomstudierenden durchgängig
höher als bei Studierenden eines Bachelors.
Abbildung 7: Anteile "sehr gut/gut" in den Ingenieurwissenschaften an Universitäten
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2010]
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbezug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
Diplom 2010 Bachelor 2010 Diplom 2007 Bachelor 2007
Studiensituation
insgesamt 2,16 2,35 2,02 2,07
Betreuung 2,22 2,25 2,07 2,07
Praxisbezug 2,82 2,98 2,61 2,59
Arbeitsmarkt-
und Berufsbezug 2,50 2,58 2,53 2,42
Auslandsstudium 2,57 2,76 2,42 2,41
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 97
Wird das andere Ende der Skala, Bewertungen von „sehr schlecht“/„schlecht“,
hinzugezogen, verdeutlicht sich die Tendenz der Bachelorstudierenden. Sie bewerten teils
mehrere Prozentpunkte häufiger die Situation als „sehr schlecht“ oder „schlecht“ als die
Diplomstudierenden. Lediglich die Betreuung wird von den Bachelorstudierenden etwa gleich
selten negativ bewertet, wie von den Diplomstudierenden. Im Grundsatz scheinen alle
Studierenden mit der Betreuung weitestgehend zufrieden zu sein.
Abbildung 8: Anteile "sehr schlecht/schlecht" in den Ingenieurwissenschaften an Universitäten
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2010]
4. Ergebnisse an Fachhochschulen
4.1. Wirtschaftswissenschaften
Die Wirtschaftswissenschaften umfassen als Fächergruppe an Fachhochschulen die Fächer
Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsingenieurwesen und Betriebswirtschaftslehre. Aufgrund der
besonderen Struktur und Zielrichtung dualer Studiengänge werden auch hier, wie bereits bei
den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern an Universitäten, die Studierenden herausgefiltert
die angaben, in einem dualen Studiengang immatrikuliert zu sein.
0%
2%
4%
6%
8%
10%
12%
14%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbezug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
Seite 98 | Bachelor auf Erfolgskurs!?
Abbildung 9: Mittelwerte* der Urteile von Bachelor- und Diplomstudierenden in den
Wirtschaftswissenschaften an Fachhochschulen
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2008]
*1=sehr gut, 6=sehr schlecht
Den Fachhochschulen ist es mit ihren Bachelorstudiengängen gelungen, das Niveau des
Diploms zu halten. Die Studierenden der Bachelorstudiengänge bewerten lediglich den
„Arbeitsmarkt- und Berufsbezug“ sowie den „Praxisbezug“ signifikant positiver als die
Diplomstudierenden. Bei allen weiteren Indikatoren lassen sich keine statistischen
Unterschiede feststellen.
Dementsprechend finden sich auch kaum Unterschiede bei dem insgesamt sehr hohen
Anteil an äußerst positiven Bewertungen. Mit fast 80 % positiver Beurteilung fällt der
Indikator „Betreuung“ besonders positiv auf. Dass beim „Praxisbezug“ die Studierenden der
Bachelorstudiengänge noch einmal deutlich positiver urteilen als die Diplomstudierenden
zeigt, dass hier noch einmal ein Schritt in Richtung der Berufsbefähigung vollzogen werden
konnte, obwohl bereits im Diplom ein insgesamt positives Ergebnis hinsichtlich dieses
Indikators erzielt wird.
1,5
2,5
3,5
4,5
Studiensituation insgesamt
Betreuung
Praxisbezug Arbeitsmarkt- und
Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 99
Abbildung 10: Anteile "sehr gut/gut" in den Wirtschaftswissenschaften an Fachhochschulen
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2008]
Das durchweg positive Ergebnis der Wirtschaftswissenschaften an Fachhochschulen wird
durch die geringen Anteile an Nennungen im Bereich von „sehr schlecht“ bzw. „schlecht“
noch einmal unterstrichen.
Abbildung 11: Anteile "sehr schlecht/schlecht" in den Wirtschaftswissenschaften an
Fachhochschulen
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2008]
4.2. Ingenieurwissenschaften
Die ingenieurwissenschaftlichen Fächer an Fachhochschulen umfassen Maschinenbau,
Verfahrenstechnik/Chemieingenieurwesen, Mechatronik, Elektro- und Informationstechnik,
Architektur und Bauingenieurwesen.
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbezug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
0,0%
1,0%
2,0%
3,0%
4,0%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbezug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
Seite 100 | Bachelor auf Erfolgskurs!?
Im Jahr 2010 wurden insgesamt deutlich mehr Studierende befragt, die einen Bachelorab-
schluss anstreben, als Studierende, die am Ende ihres Studiums ein Diplomzeugnis
erhalten. Lediglich 16 % der Befragten waren in Diplomstudiengängen immatrikuliert. Daher
werden als Ergänzung für die weiteren Aussagen die Urteile der Studierenden der
Ingenieurwissenschaften aus dem Jahr 2007 hinzugezogen: damals waren 17 % der
Befragten in Bachelorstudiengängen immatrikuliert, sodass vor drei Jahren das umgekehrte
Bild vorherrschte.
Studierende dualer Studiengänge wurden aus dieser Übersicht herausgenommen, um
sicherzustellen, dass die besonderen Studienformen die Urteile nicht beeinflussen.
Auch in den Ingenieurwissenschaften an Fachhochschulen wird aufgrund der Darstellung der
Ergebnisse aus den Jahren 2007 und 2010 die entsprechende Ergebnistabelle abgebildet.
Tabelle 3: Mittelwerte der Urteile von Bachelor- und Diplomstudierenden in den
Ingenieurwissenschaften an Fachhochschulen
Diplom 2010 Bachelor 2010 Diplom 2007 Bachelor 2007
Studiensituation
insgesamt 2,24 2,20 2,09 2,06
Betreuung 2,20 2,06 2,01 1,98
Praxisbezug 2,29 2,27 2,31 2,27
Arbeitsmarkt-
und Berufsbezug 2,51 2,44 2,40 2,29
Auslandsstudium 2,58 2,43 2,34 2,25
Im Jahr 2007 wurden die ausgewählten Indikatoren „Auslandsaufenthalt“ und „Arbeitsmarkt-
und Berufsbezug“ von den Bachelorstudierenden besser bewertet als von den Diplom-
studierenden. 2010 bewerten die Bachelorstudierenden auch die „Betreuung“ deutlich besser
als die Diplomstudierenden. Die Unterschiede zwischen den Urteilen der Bachelor- und der
Diplomstudierenden sind in allen drei Indikatoren signifikant.
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 101
Abbildung 12: Anteile "sehr gut/gut" in den Ingenieurwissenschaften an Fachhochschulen
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2010]
Werden die Anteile positiver Bewertungen betrachtet, fällt auf, dass durchgängig eine
positive Einschätzung stattfindet. Bachelor- und Diplomstudierende sind gleich zufrieden mit
den aufgeführten Bereichen, nur in der „Betreuung“ und der „Unterstützung für Auslands-
studium“ bestehen positivere Tendenzen bei den Bachelorstudierenden.
Bei der Betrachtung der negativen Bewertungen ist beachtenswert, dass der „Praxisbezug“
von Bachelorstudierenden etwas häufiger negativ bewertet wird. Hier sind knapp 5 % der
Studierenden unzufrieden mit der Situation.
Abbildung 13: Anteile "sehr schlecht/schlecht" in den Ingenieurwissenschaften an
Fachhochschulen
[Datenquelle: CHE-HochschulRanking 2010]
Insgesamt kann an den Urteilen der Studierenden festgestellt werden, dass bei den
Ingenieursstudiengängen an den Fachhochschulen die Umstellung auf die Bachelorstruktur
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbezug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
0%
2%
4%
6%
8%
10%
12%
Studiensituation insgesamt
Betreuung Praxisbezug Arbeitsmarkt- und Berufsbezug
Auslandsstudium
Diplom Bachelor
Seite 102 | Bachelor auf Erfolgskurs!?
aus Studierendensicht gelungen ist und sich in positiven Urteilen, sowohl im Jahr 2007 wie
auch fortschreibend im Jahr 2010, niederschlägt.
5. Fazit
5.1. Differenzierte Betrachtungsweise notwendig: Je nach Fächergruppe
unterschiedlich gute Umsetzung der untersuchten Bologna-Ziele.
Die Ergebnisse der untersuchten Fächergruppen belegen anschaulich die verschiedenen
Fächerkulturen an den Hochschulen, und dass den Vertreter(inne)n der Fächer die
Umsetzung von Bologna unterschiedlich gut geglückt ist. So gelingt es Universitäten
durchaus, in den Gesellschaftswissenschaften sehr positive und auch in den Wirtschafts-
wissenschaften durchaus positive Ergebnisse von Seiten der Bachelorstudierenden zu
erlangen, wohingegen in den Ingenieurwissenschaften an den Universitäten die
Studierenden der Bachelorstudiengänge die betrachteten Aspekte schlechter beurteilten als
die Diplomstudierenden.
5.2. Eine Verbesserung der Berufsqualifizierung wurde durch die Einführung des
Bachelors erreicht.
Insgesamt kann gesagt werden, dass sich hinsichtlich des Ziels „Berufsqualifizierung“ fast
durchweg positive Entwicklungen einstellten. Der „Arbeitsmarkt- und Berufsbezug“ des
Studiums hat sich am deutlichsten zu Gunsten der Bachelorstudierenden gewandelt. Doch
auch hier zeigt sich, dass die Umsetzung je nach Fach unterschiedlich erfolgreich war: Bei
den Ingenieurwissenschaften an Universitäten kam es hier zu einer geringfügigen
Verschlechterung, in den Gesellschaftswissenschaften hingegen zu einer starken
Verbesserung im Vergleich zu der Beurteilung durch Diplomstudierende.
Auch an den Fachhochschulen wurde dieser Indikator von den Bachelorstudierenden
positiver bewertet als von den Diplomstudierenden. Die wirtschaftswissenschaftlichen Fächer
wurden an den Fachhochschulen von den Bachelorstudierenden positiver bewertet als von
den Studierenden der alten Abschlüsse.
5.3. Das Ziel die Mobilität zu steigern, konnte insbesondere an den Fachhoch-
schulen erreicht werden.
Das Ziel der „Mobilität“ konnte ebenfalls unterschiedlich gut erreicht werden. In den
Gesellschaftswissenschaften gelang es den Universitäten im Durchschnitt, eine
Verbesserung zu erreichen. Als besonders positiv ist hier jedoch die Entwicklung an den
Fachhochschulen in den untersuchten Ingenieurwissenschaften zu nennen. Dies deckt sich
auch mit den Ergebnissen der BMBF-Studie „Bachelor-Studierende. Erfahrungen in Studium
und Lehre. Eine Zwischenbilanz“, die im Jahr 2009 veröffentlicht wurde und in der es heißt:
„Es ist beachtlich, dass bei der Internationalität oder dem Auslandsstudium keine Differenzen
zwischen dem Urteil der Bachelor-Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen zu
erkennen sind. (…) Die (…) Fachhochschulen (…) haben in dieser Hinsicht mit den
Universitäten gleich gezogen.“
Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 103
5.4. Einführung des Bologna-Systems führt zu messbaren positiven
Veränderungen, jedoch nicht in allen Bereichen. Schwachstellen werden
deutlich.
Die Hochschulen in Deutschland nutzen den Bologna-Prozess in der Regel als Chance zur
Veränderung und die Studierenden nehmen diese Veränderungen auch wahr. Das schlägt
sich messbar z.T. in positiven Urteilen nieder.
Allerdings können, gerade durch die differenzierte Betrachtungsweise, auch Schwächen der
Umsetzung festgestellt werden. Die Ergebnisse der CHE-Studie liefern erste Ansatzpunkte,
diese Schwachpunkte aktiv zu beheben. Dies betrifft vor allem den zu steigernden Praxis-
bezug in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen an Universitäten. Insgesamt haben
die deutschen Universitäten die Möglichkeiten der Bachelor-/Masterreform teilweise jedoch
bereits sehr erfolgreich genutzt und verschiedene Aspekte des Studiums verbessert.
Gleiches gilt für die deutschen Fachhochschulen. Sowohl in den wirtschaftswissen-
schaftlichen Fächern als auch in den untersuchten ingenieurwissenschaftlichen Fächern ist
unter den Bachelorstudierenden in der Summe eine positivere Einschätzung der Studien-
situation vorzufinden, als unter den Studierenden der alten Studienabschlüsse. Die
Unterschiede in der Bewertung sind jedoch weniger stark ausgeprägt als an den
Universitäten.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden
Seite 106 | Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses aus didaktischer Sicht
Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses – Eine Expertise der Hochschuldidaktik
Firat Ceylan, Janina Fiehn, Nadja-Verena Paetz, Silke Schworm, Christian Harteis,
Abstract
Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse einer in den Jahren 2009/2010
durchgeführten Delphi-Studie über die Auswirkungen des Bologna-Prozesses aus
hochschuldidaktischer Sicht vorgestellt. Über einen Zeitraum von neun Monaten wurden 31
Hochschuldidaktik-Expert(inn)en in vier aufeinanderfolgenden Befragungsrunden über
veränderte didaktische Anforderungen infolge des Bologna-Prozesses befragt. Die zentrale
Fragestellung umfasste veränderte Kompetenzanforderungen an Lehrende und die Rolle die
Hochschuldidaktik in der reformierten Hochschullandschaft spielt. Durch die Benennung und
Auswahl von Kompetenzen seitens der Expert(inn)en kann ein neues Modell professioneller
hochschuldidaktischer Kompetenz vorgestellt werden. Mittels einer Szenario-Bearbeitung
konnten zudem die negativen Auswirkungen der Reform und hochschuldidaktische
Eingriffsoptionen skizziert werden. Insgesamt bewerteten die Expert(inn)en die Ziele des
Bologna-Prozesses als positiv, nannten jedoch zahlreiche Umsetzungsprobleme und Mängel
aufgrund fehlender Kompetenzen der Dozierenden. Abschließend werden Lösungsansätze
durch hochschuldidaktische Qualifizierung und Beratung beschrieben.
1. Der Bologna-Prozess
Seit zwölf Jahren findet eine immer stärkere Umstrukturierung der deutschen und
europäischen Hochschullandschaft statt. Die als Bologna-Prozess bekannte Reform führte
zu einer umfassenden Veränderung der Studienangebote. Als Kernziele werden die
Förderung der internationalen Mobilität, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
europäischer Hochschulen und der Beschäftigungsfähigkeit von Hochschulabsolvent(inn)en
angestrebt (Bologna-Erklärung 1999; Eurydice 2009). Bisher liegen jedoch nur wenige
empirische Studien darüber vor, welche Auswirkungen die Reformen auf die Arbeit der
Hochschullehrer(innen) haben. Sie sind es, welche die neuen Studienangebote entwickeln
und umsetzen sowie mit den daraus resultierenden Problemen konfrontiert werden. Die
Hochschuldidaktik als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin mit den Aufgabenbereichen
der Personal- und Organisationsentwicklung kann zur Lösung bestehender Probleme
beitragen.
In der vorliegenden Studie wurden Expert(inn)en der Hochschuldidaktik dazu befragt, welche
Anforderungen die neuen Studiengänge an Lehrende stellen. Weiterhin sollten die
Expert(inn)en die Auswirkungen der Reform auf die akademische Tätigkeit der
Dozent(inn)en aus verschiedenen Umsetzungsperspektiven beschreiben, um so einen
differenzierten Eindruck über die hochschuldidaktischen Auswirkungen der Reformen zu
erhalten. Im Anschluss wurden hochschuldidaktische Eingriffsoptionen besprochen, um die
defizitären Reformumsetzungen durch hochschuldidaktische Qualifizierung zu beheben. Eine
detaillierte Beschreibung der Studie und ihrer Ergebnisse ist in Paetz et al. (2011) zu finden.
Bevor die Delphi-Studie und ihre Befunde hinsichtlich der Auswirkungen des Bologna-
Prozesses näher erläutert werden, werden im Folgenden die zentralen Umsetzungen der
aktuellen Reformen kurz zusammengefasst.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 107
1.1. Die Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses
Die Festlegung der Kernziele auf
die Förderung der internationalen Mobilität,
die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Hochschulen und
die Beschäftigungsfähigkeit von Hochschulabsolvent(inn)en
geschieht in Abstimmung mit dem Lissabon-Abkommen (1997), worin festgehalten wurde,
einheitliche Regelungen für die Anerkennung von Studienzeiten, Hochschulabschlüssen und
universitären Zusatzqualifikationen zu erarbeiten. In den Sorbonne- und Bologna-
Erklärungen verständigte man sich daher auf folgende zielführenden Strukturelemente der
Reform:
Einführung eines gestuften Studiensystems mit Bachelor und Master,
Einführung eines einheitlichen Leistungspunktesystems (ECTS),
Modularisierung von Studienstrukturen und -inhalten, einschließlich der
Dokumentation von Studienleistungen (Diploma Supplement, Transcript of Records)
und
der Einführung studienbegleitender Prüfungen.
Wichtige Aspekte dieser Strukturreformen sind (vgl. KMK 2003):
die Verkürzung von Studienzeiten,
die Erhöhung der Transparenz und internationalen Vergleichbarkeit,
die Erhöhung des Wettbewerbs durch Profilbildung,
die Verringerung der Studienabbruchquoten
sowie die Erhöhung der Interdisziplinarität und
Ausrichtung von Studieninhalten an den Erfordernissen der Arbeitswelt.
Somit dient der Bologna-Prozess der Entwicklung eines allgemeinen Rahmens zur
Modernisierung der europäischen Hochschulbildung, hin zu einem einheitlichen
europäischen Hochschulwesen. Die Koordinierung erfolgt mit internationaler Abstimmung,
die Umsetzung aber unter nationaler Autonomie in den Unterzeichnerstaaten, da sich
Hochschulbildung als zentrales Tätigkeitsfeld der Nationalstaaten durchgesetzt hat (vgl.
Hahn 2004; Walter 2006). Zur Koordinierung und Bilanzierung der schrittweisen
Umsetzungen finden alle zwei Jahre Bildungsministerkonferenzen statt. Dabei werden auch
die zentralen qualitativen Auswirkungen der Reformen thematisiert.
1.2. Qualitative Auswirkungen auf die Studiengänge
Bei der Umsetzung der Ziele auf der Ebene der Studiengangentwicklung kommt der
Modularisierung eine zentrale Bedeutung zu. Modularisierung bedeutet „Learning Outcomes“
zu beschreiben, d.h. „Studienangebote [sind] konsequent von den Qualifizierungszielen (…)
her zu konzipieren und den Stellenwert und Beitrag jeder einzelnen Lehrveranstaltung im
Hinblick darauf zu definieren“ (Witte et al. 2003, S. 8).
Seite 108 | Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses aus didaktischer Sicht
Zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit („Employability“) soll in den modularisierten
Studiengängen der Berufsbezug verstärkt werden. Dies bedeutet nicht nur die engere
Verschränkung von Hochschule und Wirtschaft, sondern vor allem die Vermittlung von
Schlüsselkompetenzen: Studierende sollen dazu befähigt werden, die für die Berufsaus-
übung erforderlichen Fertigkeiten im Beruf selbst auszubilden (HRG 2002). Die Lehre soll
sich dahingehend verändern, dass Absolvent(inn)en in der Hochschule erlerntes Wissen im
praktischen Wirkungsfeld umsetzen und reflektieren können, sodass bereits erworbenes
Wissen selbstgesteuert modifiziert werden kann (vgl. Schaeper/Briedis 2004). In diesem
Zusammenhang erlangen kompetenzorientierte Lehre und das Konzept lebenslangen
Lernens eine hohe Bedeutung. Modularisierte Lehre sollte demnach an konkreten
Kompetenzzielen ausgerichtet werden und die kritische Reflexionsfähigkeit des Wissens und
die Modifikation der Handlungsfähigkeit durch entsprechende Prüfungsformen fördern (vgl.
Klieme/Hartig 2007).
Zudem verlangen die Reformen eine höhere Verschränkung von Hochschulverwaltung und
Studiengangentwicklung. Die Förderung von Beschäftigungsfähigkeit und Wettbewerbs-
fähigkeit sind eng miteinander verknüpft. Um Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen, muss
neben der Viabilität von Studienabschlüssen auf dem nationalen Arbeitsmarkt auch der
internationale Arbeitsmarkt im Auge behalten sowie die Attraktivität der Studiengänge für
internationale Studierende erhöht werden (vgl. Eckardt 2005). Transparenz der Strukturen
und Anforderungen von Studiengängen sind Voraussetzung dafür, die gegenseitige
Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen auf nationaler und internationaler Ebene
zu erleichtern. In diesem Zusammenhang gewinnt vor allem die Qualitätssicherung an
Bedeutung. Der im Bologna-Prozesses entwickelte „Qualifikationsrahmen für den
Europäischen Hochschulraum“ dient als Schablone für Hochschulen und Studiengang-
entwickler(innen), worin Faktoren wie Arbeitsbelastung, Niveau, Lernergebnisse,
Kompetenzen und Profile definiert werden sollen (vgl. Lewin/Pasternack 2006). Eine zentrale
Aufgabe bei der Bewertung von Studiengängen kommt der Akkreditierung zu, welche die
Einhaltung der Qualitätskriterien (KMK, European Standards and Guidelines) bescheinigt.
Eine detailliertere Beschreibung der Ziele, Strukturmerkmale und Umsetzungsstrategien der
Bologna-Reformen ist bei Paetz et al. (2011) zu finden.
Zusammengefasst haben die Reformen im Rahmen des Bologna-Prozesses eine
umfassende Neuausrichtung der Studiengänge und Hochschulsysteme in Gang gebracht.
Als Resultat mussten die tradierten und historisch gewachsenen Ausbildungsgänge an den
Hochschulen modifiziert werden, um eine Fokussierung auf den Output von
Hochschulstudiengängen zu erreichen. Dies führte dazu, dass der akademischen
Lehrtätigkeit neue Aufmerksamkeit zukommt.
2. Hochschuldidaktik
Hochschuldidaktik wird als Forschungsdisziplin und angewandte Wissenschaft zur hoch-
schuldidaktischen Professionalisierung verstanden. Sie verfolgt das Ziel, Lehre und Studium
an den Hochschulen zu verbessern und vor Ort die Qualitätssicherung und -entwicklung zu
unterstützen (Auferkorte-Michaelis/Ladwig/Wirth 2007; Bretschneider/Pasternack 2005;
Szczyrba/Wildt 2009).
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 109
2.1. Professionelle Hochschullehre
In einem spezifisch erziehungswissenschaftlichen und psychologischen Verständnis lässt
sich Professionalität als gerichtete Bemühung zu einem spezifischen beruflichen Handeln
definieren, das einen hohen Leistungsanspruch verfolgt. Professionalität umfasst in diesem
Verständnis sowohl die Reflexion praktischer Erfahrungen aus dem beruflichen Handeln – im
vorliegenden Fall also der akademischen Lehrtätigkeit – als auch die formale Weiterbildung.
Hochschuldidaktik verfolgt sowohl die professionelle Entwicklung von Hochschullehrer(inne)n
hin zu hochschuldidaktischer Professionalität als auch die Etablierung der Hochschuldidaktik
als eigenständige akademische Profession (vgl. Gieseke 2009). Professionalität in der
Hochschullehre zu fördern, d.h. die Lehrenden zu Lehre auf hohem Qualitäts- und Leistungs-
anspruch zu befähigen, muss durch zukunftsfähige Aus- und Weiterbildung organisiert
werden. Dieses Verständnis von Hochschuldidaktik gründet auf der Idee, einen Wandel der
Lehr-/Lernkultur an Hochschulen einzuleiten, welcher international als „Shift from Teaching
to Learning“ beschrieben wird (Huber 2009; Kamphans/Selent 2008; Schneider et al. 2009;
Welbers/Gaus 2005; Wildt 2004). Gemeint ist damit ein Paradigmenwechsel von einer
Lehrkultur hin zu einer Lernkultur. Um dies erreichen zu können, ist die Entwicklung
professioneller Lehrkompetenz notwendig. Jedoch stellt das Thema Lehrprofessionalität im
Hochschulkontext ein immer noch relativ junges Forschungsfeld dar, sodass kein
gemeinsames Modell von Lehrkompetenz existiert (Brendel/Eggensperger/Glathe 2006;
Webler 2003). Daher wird in der hochschuldidaktischen Forschung häufig auf allgemeine
Kompetenzmodelle zurückgegriffen.
2.2. Kompetenz
Der Kompetenzbegriff kann auf vielfältige Weise interpretiert und definiert werden. Es ist vom
wissenschaftlichen Zugang und vom funktionalen Gebrauch des Begriffs abhängig, was
genau als Kompetenz verstanden wird (Klieme/Hartig 2008; Weinert 1999, 2001). Das im
deutschsprachigen Raum wohl am meisten verbreitete Kompetenzmodell stammt von Roth
(1971). Er verbindet den Kompetenzbegriff mit Handlungsfähigkeit und Mündigkeit, die bei
ihm zentrale Erziehungsziele sind. Roths pädagogische Persönlichkeitstheorie
veranschaulicht das Zusammenspiel von personalen und situativen Aspekten eines
Handlungsprozesses.
Kompetenzen als individuelle Dispositionen für das Handeln und Urteilen lassen sich seinem
Verständnis zufolge in die drei Teilkompetenzen Selbstkompetenz, Sachkompetenz und
Sozialkompetenz unterteilen. In neueren Kompetenzmodellen sind diese häufig ergänzt um
Methodenkompetenz, als Teil der Fachkompetenz, und Handlungskompetenz, als Integration
der Teilkompetenzen und konstituierendes Element für Professionalität (Klieme/Hartig 2008;
KMK 2007). Für die Messung von Kompetenz bedeutet dies, dass gleichermaßen personale
wie situative Faktoren als handlungsleitende Aspekte zu erheben sind. Diese Klassifizierung
ist bis heute grundlegend in der berufspädagogischen Kompetenzdiskussion.
Jedoch weist dieses Kompetenzverständnis einige Schwachstellen auf, besonders in Bezug
auf die Domäne der Hochschullehre. Die Mehrzahl der bereits bestehenden
Kompetenzmodelle für Hochschullehrende ist nicht empirisch fundiert (eine Ausnahme bilden
Benz 2005 und Reichmann 2008). Es bedarf daher eines theoretisch fundierten und
empirisch belegbaren Kompetenzmodells. Im Folgenden wird eine Delphi-Studie vorgestellt,
deren Ziel in der Entwicklung eines solchen empirisch fundierbaren Kompetenzmodells liegt.
Seite 110 | Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses aus didaktischer Sicht
3. Die Entwicklung eines Modells hochschuldidaktischer Kompetenz
Die anfangs aufgeworfene Frage, welche neuen Kompetenzen Hochschullehrer(innen) in
Folge der Reformen haben müssen, wird mittels einer Delphi-Studie bearbeitet. Als
„heuristisch-intuitives Verfahren“ (Lamnek 1980, S. 535) wird die Delphi-Methode
vorwiegend für die Schätzung von Sachverhalten eingesetzt, die nicht aktuell präsent bzw.
real existent sind und daher nicht direkt abgebildet werden können (Häder/Häder 1994). Dies
trifft auch auf die im Wandel befindliche Hochschullehre zu: Es gibt bisher kaum
systematische veröffentlichte Daten über den qualitativen Wandel der akademischen Lehre
in den neuen Studiengängen.
3.1. Kurzcharakteristik der Delphi-Technik
Die Delphi-Technik, benannt nach dem griechischen Orakel, ist ein iteratives, schriftliches
Verfahren zur Befragung von Personen, die als Expert(inn)en des Fachgebiets gelten, in
dem der Forschungsgegenstand angesiedelt ist. In einem stark strukturierten Gruppen-
kommunikationsprozess werden über mehrere Befragungsrunden hinweg Sachverhalte von
Expert(inn)en beurteilt. So kann unvollständiges, unsicheres und nicht-berücksichtigtes
Wissen von Sachkundigen in Verbindung mit dem Feedback zur Gruppenmeinung für das
bearbeitete Thema genutzt werden.
Somit eignet sich die Delphi-Methode, um Entwicklungs- und Handlungsprognosen zur
Vorhersage von Handlungskonsequenzen zu erstellen. Eine „kreative Prognosefunktion“
(Wechsler 1978, S. 29) übt die Delphi-Methode aus, wenn die teilnehmenden Expert(inn)en
zu prognostizierende Ereignisse selbst generieren oder innovative Handlungsalternativen für
das jeweilige Entscheidungsfeld ableiten sollen.
Da die im Bologna-Prozess umgesetzten Reformen eine vergleichsweise hohe Diversität
zwischen Hochschularten, Disziplinen und Standorten haben (vgl. Schwarz-Hahn/Rehburg
2005), kann mithilfe der Delphi-Technik ein vielversprechender Querschnitt über die
Reformentwicklung erstellt werden.
3.2. Die Umsetzung der Delphi-Studie
Das Ziel dieser Delphi-Studie bestand darin, ein erfahrungsgeleitetes, empirisch validier-
bares Kompetenzmodell zu entwickeln, das die künftigen Anforderungen an
Hochschullehrende abdecken soll und die Auswirkungen des Bologna-Prozesses erfasst.
3.2.1. Fragestellung
In der Delphi-Studie sollten in vier Fragerunden folgende Fragestellungen bearbeitet werden:
Was sind die zukünftig relevanten Kompetenzen, über die Lehrende an
Hochschulen verfügen müssen, um in der Lehre dauerhaft hohe berufliche
Performanz erbringen zu können?
Wie werden die Auswirkungen des Bologna-Prozesses auf die Kompetenz-
anforderungen von Hochschullehrenden beurteilt?
Wie kann die Hochschuldidaktik den aktuellen und zukünftigen Anforderungen
begegnen?
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 111
3.2.2. Teilnehmergruppe
Für die Zusammenstellung der Expertengruppe wurden zwei Strategien eingeschlagen. Zum
einen wurden mögliche Expert(inn)en fachlich recherchiert, zum anderen wurde eine Peer-
Nominierung vorgenommen. Die fachliche Recherche erfolgte über die Autorenschaft
einschlägiger hochschuldidaktischer Publikationen. Für die Peer-Nominierung wurden die
Leiter(innen) hochschuldidaktischer Zentren im deutschsprachigen Raum gebeten jeweils
drei Kolleg(inn)en zu nennen, die sie als Expert(inn)en einschätzen. Es wurden sowohl
Hochschullehrende als auch Personen genannt, die als freie Trainer(innen) tätig sind. Die
auf beiden Listen am höchsten platzierten Personen wurden in die Auswahl genommen,
wobei eine hohe Überschneidung beider Listen vorlag. Letztlich sagten 34 Expert(inn)en aus
Deutschland und der Schweiz zu, wobei die tatsächliche Teilnahme von Runde zu Runde
variierte. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer(innen) betrug 50,3 Jahre (SD = 10). Von
den 31 Teilnehmer(inne)n ab der zweiten Delphi-Runde waren 16 weiblich und 15 männlich.
Der disziplinäre Hintergrund der Expert(inn)en war überwiegend sozial- und geisteswissen-
schaftlich; sie stammten v.a. aus der Pädagogik und Psychologie (N = 23), wobei auch
Ingenieur- und Natur- (N = 3) sowie Wirtschaftswissenschaften (N = 3) vertreten waren. Die
durchschnittliche berufliche Erfahrung betrug 16,9 Jahre (SD = 11,4), wobei 27
Teilnehmer(innen) in der hochschuldidaktischen Forschung arbeiteten und 22 als
freiberufliche Trainer(innen) in der Weiterbildung tätig waren. Der Durchschnitt der
Publikationen umfasste 48,0, wobei eine hohe Streuung (SD = 59,2) vorlag.
3.2.3. Erhebung
Die Durchführung der vier Befragungsrunden fand postalisch im Mai, August und November
2009 sowie März 2010 statt. Die Auswertung der Ergebnisse wurde hauptsächlich per
qualitativer Inhaltsanalyse mit MaxQDA getätigt. Im Folgenden werden die wesentlichen
Ergebnisse dargestellt. Ein besonderer Fokus wird dabei auf jene Ergebnisse gelegt, die
konkret die Einflüsse des Bologna-Prozesses thematisieren. Eine detaillierte Darstellung
aller Erhebungsrunden kann in Paetz et al. (2011) eingesehen werden.
4. Ergebnisse
4.1. Kompetenzmodell hochschuldidaktischer Professionalität
In der ersten Erhebungsrunde wurde nach allgemeinen Kompetenzdefinitionen in der
akademischen Lehre gefragt. Die daraufhin genannten Kompetenzschilderungen wurden
qualitativ zu Kompetenzdefinitionen zusammengefasst. Für die zweite Runde wurde die
Einteilung der genannten Kompetenzen unter die sich abzeichnenden akademischen
Tätigkeitsbereiche Lehre, Prüfung und akademische Selbstverwaltung vorbereitet. In den
nachfolgenden drei Erhebungsrunden wählten die Expert(inn)en aus einer Gesamtliste der
Kompetenzen eine immer geringere Zahl erforderlicher Kompetenzen und ordneten sie in
einer Rangliste ein.
Das resultierende Modell enthält eine klare Einteilung akademischer Lehrtätigkeit in die drei
Tätigkeitsbereiche Lehre, Prüfung und akademische Selbstverwaltung und eine inhaltliche
Beschreibung der wichtigsten Kompetenzen, über die Hochschullehrende künftig verfügen
sollten. Das besondere Merkmal dieses Kompetenzmodells besteht darin, dass akademische
Seite 112 | Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses aus didaktischer Sicht
Selbstverwaltung als originär eigenständiges Tätigkeitsfeld von Hochschullehrer(inne)n
betrachtet wird.
Abbildung 1: Das hochschuldidaktische Kompetenzmodell (Paetz et al. 2011, S. 108)
Das Modell veranschaulicht die gewandelten Anforderungen in der Lehrtätigkeit, wobei
differenzierte didaktische Fähigkeiten und Verwaltungskompetenzen hervorgehoben werden.
Besonders interessant erscheinen die sich überschneidenden Kompetenznennungen:
Fachwissen, Selbstreflexion und Kompetenzorientierung sind sowohl für die Lehr- als auch
für die Prüfungstätigkeit bedeutend. Kommunikationsfähigkeit wurde über alle drei Tätigkeits-
bereiche hinweg als relevant gewertet.
4.2. Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses
Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses wurden durch eine Szenario-Befragung erfasst.
Dazu wurde in insgesamt neun polarisierenden Szenarien nach einer Stellungnahme zu den
positiven, neutralen und negativen Konsequenzen des Bologna-Prozesses in den drei
Tätigkeitsbereichen gefragt. Die darauffolgende Rückspiegelung der von den Expert(inn)en
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 113
negativ eingeschätzten Folgen war mit der Frage nach hochschuldidaktischen Eingriffs-
möglichkeiten verbunden.
Tabelle 1: 3x3-Matrix der Szenarien (Paetz et al. 2001, S. 85)
Szenario: Lehre Prüfung Akad.
Selbstverwaltung
Der Bologna-Prozess hat positive Konsequenzen
Aufgrund der detaillierten Struktur der Module und Modulbeschreibungen herrscht weniger Planungsaufwand bei der Gestaltung der Seminare – die Lehre ist praxis- und kompetenzorientierter.
Studienbegleitende Prüfungen ermöglichen einen reliablen und validen Eindruck über die mittelfristige Leistungsentwicklung von Studierenden. Kurze Moment-aufnahmen werden so vermieden. Standardisierte Testverfahren erlauben eine transparente Leistungsbeurteilung und die Vergleichbarkeit der Leistungen.
Gleiche Leistungsanforderungen an die Seminarteil-nehmer und eine einheitliche Prüfungs-ordnung erleichtern die akademische Selbst-verwaltung sowohl aus der Sicht der Studierenden als auch aus Dozentensicht.
Ebenso wird innerhalb der gegebenen Richt-linien eine Profilbildung der einzelnen Fakultäten erleichtert.
Der Bologna-Prozess hat negative Konsequenzen
Durch die Modulbeschreibungen ergibt sich eine Form vorgefertigter Schablonen, die regelmäßig zur Anwendung gelangen. Dadurch entwickeln sich Routinen. Methodische und inhaltliche Neuerungen sind aufgrund solcher starren Strukturen kaum mehr umsetzbar.
Ständige Rückfragen und Diskussionen um Bewertungen erschweren den Universitätsalltag erheblich. Zudem führt der Prüfungsaufwand für die Modul-prüfungen zu einer immensen Mehrbelastung im Semester.
Durch den Zwang zur Profilierung und den dadurch steigenden Aufwand für u.a. curriculare Entwick-lungen (Modul-zeugnisse, Prüfungen etc.) und Akkreditierungen nimmt der Wettbewerb um Ressourcen unverhältnismäßig stark zu.
Der erhöhte verwaltungstechnische Aufwand bewirkt eine Vernachlässigung der Lehrvorbereitung.
Mit dem Bologna-Prozess ändert sich nicht viel
Aufgrund des Bologna-Prozesses entsteht kein zusätzlicher Mehr-aufwand in der Lehre, da es sich lediglich um eine Verschiebung der bereits bestehenden Aufgaben handelt – Aufwand und Ersparnis halten sich die Waage.
Für die Prüfungen ergeben sich lediglich Änderungen der Prüfungsmodalitäten. Die Prüfungsbelastung für Dozenten hat sich durch Bologna nicht merklich verändert.
Die akademische Selbstverwaltung bleibt in ihrer Relevanz für den Arbeitsalltag der Dozierenden durch den Bologna-Prozess unverändert.
Seite 114 | Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses aus didaktischer Sicht
Die Darstellungen der Expert(inn)en wurden unter folgenden 13 Schwerpunkten zusammen-
gefasst:
1. Der Stellenwert der Lehre vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses
Der Stellenwert der Lehre hat sich infolge des Bologna-Prozesses verbessert, v.a.
infolge der Neukonzeptionierung und Diskussion gängiger Lehrpraxis. Dies führt
einerseits zu einer erhöhten Beschäftigung mit Didaktik seitens der Hochschul-
lehrenden. Andererseits ist der Verwaltungsaufwand immens gestiegen, sodass
nach neuen Wegen für eine Lehr- und Prüfungsorganisation gesucht werden muss.
2. Kompetenzorientierung in der Lehre
Infolge der Neugestaltung der Lehre wird vermehrt nach zu erreichenden
Kompetenzen gefragt. Jedoch wird kritisiert, dass im vorhandenen Lehrkörper der
Hochschulen kaum Vorstellungen existieren, wie kompetenzorientierte Lehre und
Prüfung zu realisieren sind.
3. Gestaltungsspielräume in der modularisierten Lehre
Die Planung und Umsetzung der Modularisierung wird von den Expert(inn)en sehr
unterschiedlich bewertet. Als zentrale Kritik wird festgehalten, dass es für eine
erfolgreiche modularisierte Lehre didaktisch-methodischer Kompetenzen bedarf,
welche jedoch nicht sinnvoll in überladenen Modulen eingesetzt werden können. Es
wird gefordert, dass es für eine kompetenzorientierte Lehrgestaltung eine Balance
zwischen vorgegebenen Modulkriterien (Inhalte, Methoden, Prüfungen) und der
individuellen Gestaltungsfreiheit der Lehrenden geben muss.
4. Allgemeine Beurteilung der Modularisierung in Bezug auf die Lehre
Die Idee der Modularisierung wurde positiv bewertet. Modulbeschreibungen liefern
wichtige Orientierungshilfen für Lehrende, Studierende und Verwaltungspersonal.
Zentrale Kritik setzt an der Konzeption der Modularisierung an: Es müsse ein fach-
und standortspezifisches, keinesfalls dauerhaftes Konzept der individuellen Modul-
entwicklung geben. Es müssten Standards für die Modulentwicklung festgelegt
werden, die eine vergleichbare und erweiterbare Lehrgestaltung ermöglichen. Als
wichtig wird die Zielsetzung in der Modularisierung beschrieben: Modulbe-
schreibungen müssten Lehr- und Lernziele sowie Lehr- und Lernergebnisse konkret
benennen.
5. Verbesserungsbedarf im Bereich der Lehre
In der Umsetzung der Reformen im Bereich der Lehre werden zahlreiche Mängel
beschrieben. Es wird darauf hingewiesen, dass eine hochschuldidaktische
Qualifizierung der Hochschullehrenden notwendig ist. Festgehalten wird
insbesondere, dass nur durch einen gesteigerten Planungs- und Koordinations-
aufwand zwischen den Dozierenden und der Verwaltung Verbesserungen in der
Lehre erreicht werden können.
6. Kompetenzorientiertes Prüfen
Es wird kritisiert, dass die Konzepte kompetenzorientierten Prüfens der Mehrheit der
Dozierenden vollkommen unbekannt seien. Es würden weiterhin konventionelle,
standardisierte Prüfungsformate genutzt. Besonders bemängelt wird, dass die
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 115
Chancen zur Kompetenz- und Studierendenzentrierung beim Prüfen, ebenso wie in
der Lehre, kaum genutzt würden.
7. Studienbegleitendes Prüfen
Studienbegleitende Prüfungsformate werden von den Expert(inn)en befürwortet. Es
wird bestätigt, dass sie zu reflexivem und prozessbegleitendem Lernen führen,
wenn sie mit regelmäßigem individuellem Feedback der Lehrenden verbunden
werden. Jedoch erforderten sie einen erheblichen Mehraufwand für Dozierende und
Studierende. Dazu wird kritisiert, dass infolge der falschen Modularisierung der
Mehraufwand überproportional hoch ausfällt, da jedes Modul mit Prüfungen
versehen werde, welche vornehmlich zu oberflächlichem und prüfungsorientiertem
Lernen von Studierenden führe.
8. Verbesserungsbedarf im Bereich der Prüfung
Die Vermehrung der Prüfungspflichten wird als untragbar angesehen. Zur
Verminderung der Prüfungsbelastung der Lehrenden und Studierenden wird eine
konsequente Beschränkung auf Modulabschlussprüfungen und eine Freistellung
einzelner Module von Prüfungsanforderungen verlangt. Auch wird die Anrechnung
von Prüfungstätigkeiten auf das Lehrdeputat gefordert. Für die Realisierung
kompetenzorientierter Prüfungen wird eine Abkehr von standardisierten,
vornehmlich wissensorientierten Testverfahren zugunsten eines breiteren
Spektrums von Prüfungsformaten in Richtung von Assessments vorgeschlagen. Es
wird kritisch festgehalten, dass für die Gewährleistung kompetenzorientierten
Prüfens eine hochschuldidaktische Qualifizierung der Lehrenden erforderlich ist.
Dazu ist auch ein verändertes Rollenverständnis der Lehrenden hin zu Lernberatern
notwendig.
9. Die Rolle des Hochschullehrenden in der Akademischen Selbstverwaltung
Es wird beschrieben, dass sich infolge der Reformen das Selbstverständnis der
Hochschulen wandelt. In der Serviceeinrichtung Hochschule würden Lehrende
immer mehr als Manager(innen) in der Aus- und Weiterbildung auftreten. Daher
gewinne die akademische Selbstverwaltung an Bedeutung. In diesem Zusammen-
hang wird von den Expert(inn)en ambivalent argumentiert: Einerseits wird kritisiert,
dass wachsende Managementaufgaben mit der Lehrqualität kollidieren. Anderer-
seits wird eingewandt, dass hoher Verwaltungsaufwand von Hochschullehrenden
als Ausrede für mangelndes Lehrengagement herhalten müsse. Daher sollte die
akademische Selbstverwaltung mehr der ergebnisorientierten Selbstreflexion der
Hochschulangestellten dienen.
10. Profilbildung von Fakultäten im Zuge des Bologna-Prozesses
Es wird festgehalten, dass infolge der Reformen die Profilbildung auf
Fakultätsebene erleichtert wurde. Jedoch führe eine Diversifizierung von Prüfungs-
ordnungen und Leistungsanforderungen durch unterschiedliche Akkreditierungs-
agenturen auch zu weniger Transparenz und Vergleichbarkeit von Studiengängen
zwischen Hochschulen. Weiterhin führe die Profilentwicklung zu einer Verschärfung
des Wettbewerbs um Ressourcen auf Fakultätsebene.
Seite 116 | Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses aus didaktischer Sicht
11. Curriculumentwicklung
Wie im Abschnitt zur modularisierten Lehre angedeutet, wird die Curriculum-
entwicklung in der Reformumsetzung kritisiert. Als zentrale Kritik wird die fehlende
inhaltliche Veränderung der neuen Studiengänge angegeben. Als größter Fehler der
Modularisierung wird festgehalten, dass anstelle einer Modifizierung der
Veranstaltungen eine bloße Umbenennung von Lehrveranstaltungen erfolgt sei. Für
kompetenzorientierte Studienkonzepte müssten Kompetenzprofile für Studiengänge
entwickelt werden, von denen wiederum Module mit spezifischen Kompetenzzielen
abgeleitet werden könnten.
12. Verbesserungsbedarf im Bereich der Akademischen Selbstverwaltung
Die Expert(inn)en fordern mehrheitlich die Einführung von Qualitätsmanagement-
systemen, um Fehlanpassungen in der Curriculumentwicklung identifizieren und
entsprechend modifizieren zu können. Dies könne durch einheitliche Standards und
Leitlinien in Hochschulverbünden erreicht werden, u.a. um die gegenseitige
Anerkennung studentischer Leistungen zu fördern.
Als eine bedeutende Ursache für Fehlentwicklungen wird das häufig unzureichende
Reflektieren bei Hochschullehrenden beschrieben sowie die Beobachtung, dass
ihnen Kompetenzen für die Entwicklung und Implementierung von Curricula fehlen.
Die Expert(inn)en kritisieren dabei die bei einigen Hochschullehrenden ausgeprägte
Haltung, dass Beratung von außen häufig als Eingriff in die persönliche
akademische Freiheit angesehen und abgelehnt wird. Es wird daher eine offenere
Diskussionskultur gefordert, um lösungsorientierte und interdisziplinäre Kooperation
zu ermöglichen.
13. Fazit der Expert(inn)en zum Bologna-Prozess
Die Ziele der Bologna-Reformen werden hauptsächlich positiv beurteilt. Als
besonders begrüßenswerte Entwicklungen wird der Bedeutungszuwachs gesehen,
den die Lehre und das Prüfungswesen an Hochschulen erfahren haben. Der
grundsätzliche Reformansatz der Schaffung gestufter Abschlüsse, der Modulari-
sierung von Studiengängen, der Durchführung studienbegleitender Prüfungen und
Einführung von Leistungspunkten verbunden mit einer kompetenzorientierten
Ausrichtung von Studiengängen wird mehrheitlich von den befragten Expert(inn)en
begrüßt.
Die konkrete Umsetzung dieser Vorgaben an deutschen Hochschulen wird jedoch
überaus kritisch gesehen. Vornehmlich als Struktur- und Organisationsreformen top-
down durchgeführt entsprächen die Reformen in ihrer Umsetzung nicht den
eigentlichen Intentionen des Bologna-Prozesses. Bemängelt werden Intransparenz,
Verschulung und Überreglementierung von Studiengängen verbunden mit deutlicher
Leistungsverdichtung und immens gestiegener Arbeitsbelastung für Lehrende und
Studierende zu Lasten der Studienqualität.
Eine notwendige „zweite Welle der Reform“ dürfe sich nicht auf einzelne
Modifizierungen beschränken, sondern müsse grundlegende Veränderungen
verfolgen. Die Kompatibilität von Studiengängen sowie die gegenseitige
Anerkennung von Modulen und Leistungen zwischen verschiedenen Hochschulen
seien sicherzustellen, um die Komplementarität zwischen Ausbildung und Studium,
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 117
Basisstudium und Aufbaustudium, Aufbaustudium und wissenschaftlicher
Forschung zu fördern. Unverzichtbar sei darüber hinaus eine kompetenzorientierte
Neugestaltung von Curricula in interdisziplinärer Zusammenarbeit und unter
Einbezug hochschuldidaktischer Beratung.
Es bedürfe der Etablierung einer studierendenzentrierten Lehr-/Lernkultur an
Hochschulen, verbunden mit geeigneten Lehr-/Lernkonzepten und einem
reflektierten Rollenverständnis von Hochschullehrenden. Um dies zu gewährleisten,
sei im Rahmen eines intensivierten Qualitätsmanagements eine flächendeckende
Einführung aktueller hochschuldidaktischer Standards sowie hochschuldidaktische
Beratung und Qualifizierung von Hochschullehrenden erforderlich.
5. Zusammenfassung und hochschuldidaktische Lösungsansätze
Zusammen mit dem hochschuldidaktischen Kompetenzmodell und den Ergebnissen zu der
Bewertung der Reformumsetzungen können auf Basis der Tätigkeitsbereiche einige
Optionen für die hochschuldidaktische Forschung und Qualifizierung näher beschrieben
werden.
5.1. Zusammenfassung
5.1.1. Tätigkeitsbereich Lehre
Im Bereich Lehre werden viele Probleme beschrieben, die durch hochschuldidaktische
Qualifizierung einer Lösung zugeführt werden können. Allgemein mangelt es den
Expert(inn)en zufolge den Hochschullehrenden an Wissen über bedarfsorientierte und
teilnehmerzentrierte Lehr- und Lernmethoden, was zu fehlender Kompetenzorientierung in
der Lehre führe. Negative Auswirkungen auf den Hochschulalltag hätten auch der hohe
Entwicklungs- und Abstimmungsaufwand, der für die Umsetzung der Modularisierung der
Studiengänge nötig sei und die Lehrenden zusätzlich belaste.
5.1.2. Tätigkeitsbereich Prüfung
Im Bereich Prüfung weisen die Expert(inn)en besonders auf den Mangel sowohl an
kompetenz- und teilnehmerorientierten Prüfungsformaten als auch an Schulungen im
Bereich des professionellen Prüfens hin. Als besonders belastend wird die große Anzahl der
Prüfungen beschrieben, da aufgrund der falschen Modularisierung jede Lehrveranstaltung
mit Modulprüfungen versehen wurde. Auf diese Weise sind Prüfungen für Lernende weder
als Lernhilfe noch kontinuierliches Feedback zu betrachten.
5.1.3. Tätigkeitsbereich akademische Selbstverwaltung
Im Bereich akademische Selbstverwaltung werden vor allem fehlende Selbstreflexions-
fähigkeiten und die verpasste Neuorientierung der Curricula beschrieben. Als Ursachen für
die Verhinderung einer gehaltvollen Umsetzung der Reform werden fehlende Ressourcen,
aber auch mangelndes Engagement für die Lehre und eine Veränderung akademischer
Arbeit beschrieben. Die häufig top-down-implementierte Reform führe zu einer passiven
Haltung bei vielen Hochschullehrenden und zur Ablehnung von Innovationsmöglichkeiten.
Seite 118 | Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses aus didaktischer Sicht
Als bedeutender Faktor der negativen Praxis der Reform-Umsetzung wird ein fehlendes
begleitendes Qualitätsmanagement gesehen.
5.2. Lösungsansätze der Hochschuldidaktik
Für die Lösung der Probleme machen die Expert(inn)en einige Vorschläge. Nachfolgend
eine Auswahl spezifischer Lösungsansätze.
5.2.1. Bologna-Prozess-Aufklärung
Als eine wichtige Grundlage zur Lösung verschiedener mit der Reform verbundener
Probleme wird die Aufklärung über die Ziele und Strukturen des Bologna-Prozesses
gesehen. Es wurde vielfach beschrieben, dass bei allen Mitwirkenden an Hochschulen eine
große Orientierungslosigkeit hinsichtlich der Ziele des Bologna-Prozesses herrscht. Sowohl
Hochschuldozent(inn)en als auch Verwaltungsangestellte müssten insbesondere über
Innovationsmöglichkeiten informiert werden. Als besonderes Anliegen gilt hierbei die
Veränderung der Zielsetzung hin zu einer kompetenzorientierten Lehre im Zuge der
Bologna-Reform.
5.2.2. Fort- und Weiterbildung, Beratung und Coaching
Allgemein wird der Nutzen von hochschuldidaktischen Weiterbildungsprogrammen
beschrieben. Exemplarisch wird der Einsatz von Einzelberatungen von Lehrenden, Trainings
zur Konzeption von Modulen oder das Verknüpfen von Feedbackverfahren mit individueller
Lehrevaluation genannt. Im Bereich der Lehre werden besonders Weiterbildungen zur
kompetenzorientierten Lehre sowie Trainings zur Unterstützung der Lehrenden in ihrer
neuen Rolle des Lerncoachs als hilfreich erachtet. Im Bereich Prüfung wurden
Weiterbildungen für den Bereich des kompetenzorientierten Prüfens und zu Feedback-
verfahren als wünschenswert betrachtet.
Ergänzend werde der Nutzen von hochschuldidaktischer Beratung und individuellem
Coaching genannt. In fachübergreifenden Arbeitsgruppen könne hochschuldidaktische
Beratung für die individuelle Fakultätsentwicklung genutzt werden. Insbesondere könnten
Funktionsträger(innen) die Möglichkeiten der Beratung nutzen, um ihre Aufgaben effektiv
und effizient zu bewältigen.
5.2.3. Rollenverständnis und studentische Mitwirkung
Im Zuge der Reform wird die Notwendigkeit einer Einstellungsveränderung für die
Etablierung neuer Rollenverständnisse gesehen. Sowohl Lehrende als auch Studierende
müssten sich in den neuen Studiengängen neu definieren. Studierende sollten dazu befähigt
werden, die Stärken und Schwächen von Lehrveranstaltungen zu erkennen, sich dazu zu
äußern und ihre Lernstrategien darauf anzupassen. Über alle Tätigkeitsbereiche hinweg
müsse eine Verbindung zwischen Lehren, Lernen und Prüfung entwickelt werden.
Besonders für die Modularisierung, Studiengangentwicklung und Prüfungsformalia seien
praktische Hilfen und eine ausreichende Umstellungszeit vonnöten.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 119
5.2.4. Motivation
Motivation müsse im Rahmen hochschuldidaktischer Maßnahmen für Lehrende besonders
berücksichtigt werden. Hochschuldozent(inn)en sollten die Chance erhalten, die Wirkung
kompetenz- und zielorientierten Lernens der Studierenden zu erfahren. Wenn sie den
Einfluss neuer Lehr- und Lernmethoden selbst erführen, könnten sie das notwendige Wissen
und die Fähigkeiten am besten erlernen.
5.3. Fazit und Ausblick
Abschließend sollen mögliche weiterführende Arbeitsschritte beschrieben werden.
5.3.1. Selbstreflexion hochschuldidaktischer Kompetenz
Das entwickelte Kompetenzmodell kann Hochschullehrer(inn)en eine Möglichkeit zur
kritischen Reflexion ihrer Lehre und ihres Selbstverständnisses bieten. Gemeinhin wird
fachliche Expertise als zentrale Kompetenz von Lehrpersonen an Hochschulen verstanden,
damit einhergehend wird die Hauptaufgabe der Dozent(inn)en als Wissensvermittler
gesehen. Im Rahmen des Modells ist in den Tätigkeitsbereichen Lehre und Prüfen
Fachwissen jedoch nicht an erster Stelle angesiedelt. Das Kompetenzmodell legt vielmehr
nahe, dass ohne didaktische Fähigkeiten und Feedback der Lehrenden keine
Kompetenzentwicklung der Studierenden gelingen kann.
5.3.2. Förderung hochschuldidaktischer Professionalität
In Anlehnung an den Qualifikationsrahmen für den europäischen Hochschulraum kann ein
Beitrag zur strategischen Förderung hochschuldidaktischer Professionalität geleistet werden.
Das Kompetenzmodell bietet dafür eine differenzierte Grundlage zur Beschreibung zentraler
Kompetenzen in den akademischen Tätigkeitsbereichen Lehre, Prüfung und akademische
Selbstverwaltung. Es kann daher für die Entwicklung eines Instruments zur Erfassung
hochschuldidaktischer Kompetenzen dienen. Mit der Erhebung des Weiterbildungsbedarfs
kann auf Basis empirischer Daten ein Referenzrahmen für die Entwicklung von
Lehrprofessionalität konstruiert werden. Darauf aufbauend ist es möglich, hochschul-
didaktische Qualifizierungsangebote zu generieren. Diese können stufenweise implementiert
werden, um beispielsweise unterschiedliche Karriere- und Fähigkeitsstufen (z.B.
Professor(inn)en und Promovierende), sowie institutionelle und disziplinäre Rahmen-
bedingungen (z.B. Hochschule für angewandte Wissenschaften und Universität; Natur-
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Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 123
Mythos guter Lehre, individuelles Coaching und die Wirksamkeit genderintegrativer Lehrinterventionen
Sigrid Metz-Göckel, Marion Kamphans, Christiane Ernst, Anna Funger
Abstract
Der Beitrag1 blickt aus verschiedenen Perspektiven auf das Lehren. Zum Einen liefert er
einen ausgewählten Einblick in das BMBF-Forschungsprojekt „LeWI – Lehre, Wirksamkeit
und Intervention“. Dieses hat auf der Basis von 80 qualitativen Interviews mit Hochschul-
lehrenden deren Einstellung zur Lehre und die Bedeutung der Geschlechterthematik für die
Lehr-Lern-Interaktion untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass sich Lehrende
unterschiedlich offen zeigen für hochschuldidaktische Fragen sowie für Lehrveränderungen.
Zum anderen wird das LeWI-Coaching vorgestellt und über erste Erfahrungen mit diesem
Konzept in der Lehre berichtet. Das aus dem Forschungsprojekt heraus entwickelte LeWi-
Coaching ist ein Format, das im engeren Sinne auf die Optimierung der individuellen
Lehrkompetenz zielt und im Weiteren auf eine Verbesserung des studentischen Lernens. Es
kombiniert eine hochschuldidaktische Begleitung mit Reflexionsschleifen und mit einer
wissenschaftlichen Begleitforschung. Es bietet einen Ansatzpunkt, schrittweise
Veränderungen auf Seiten der Lehrenden zu initiieren und zu einer nachhaltigen
Verbesserung der Lehre im Sinne einer aktivierenden und gender(diversity-)sensiblen Lehre
beizutragen.
1. Eine merkwürdige Ausgangssituation
„Sie waren immer das Schreckgespenst für mich“, sagte Sigrid Metz-Göckel ein kürzlich
emeritierter Kollege unverblümt ins Gesicht, als sie ihm anlässlich einer akademischen Feier
vorgestellt wurde, und weiter: „Ich habe immer gegen die Hochschuldidaktik gewettert“.
Diese schroffe Direktheit war verblüffend, eröffnete aber ein sehr aufschlussreiches
kollegiales Gespräch. Mit ihrem Namen verband der Kollege aus den Naturwissenschaften
eine ungemein angststeigernde, ja schreckenerregende Kontrolle seiner Lehre. „Sie können
sich nicht vorstellen wie anstrengend es ist, eine Vorlesung vor 200 und mehr Studierenden
zu halten. Ich war hinterher immer ganz verschwitzt und erschöpft. Es ist unglaublich schwer,
eine große Vorlesung hinter sich zu bringen“. Wie bei einem Dammbruch das Wasser, so
heftig strömten die Worte aus ihm heraus. Seit Sigrid Metz-Göckel aus dem aktiven
Hochschuldienst ausgestiegen ist, haben ihr mehrere Kollegen in informellen Gesprächen
ungefragt erzählt, wie ungern sie lehren und wie schwierig es für sie sei, insbesondere die
großen Vorlesungen und Pflichtveranstaltungen zu halten. Anschließend folgt oft die direkte
Frage, ob auch Sigrid Metz-Göckel große Vorlesungen gehalten hätte, um abzuschätzen, ob
sie wisse, wovon die Rede ist.
Professor(inn)en wird einfach unterstellt, dass sie lehren können und wollen und es auch gut
über die Bühne bringen. Was alles dahinter steckt, die dunkle Wolke und Grauzone,
mögliche (Versagens-)Ängste, (Un-)Lust und (un)angenehmer Leistungsdruck werden selten
öffentlich thematisiert. Neben der emotionalen Seite des Lehrens existieren mannigfache
1 Erstabdruck in: Auferkorte-Michaelis/Ladwig/Stahr (2010).
Seite 124 | Mythos guter Lehre, individuelles Coaching, genderintegrative Lehrintervention
Vorstellungen in den Köpfen von Lehrenden, Studierenden, Hochschuldidaktiker(inne)n,
Hochschul- und Wissenschaftspolitiker(inne)n darüber, wie „gute Lehre“ zu sein hat und wie
Lehrende zu sein haben, um den „Idealen guter Lehre“ möglichst nahezukommen.
Lehrkompetenz und ein professionelles Selbstverständnis werden per se vorausgesetzt,
ohne dass es hierfür bisher eine Überprüfung und Unterstützung gegeben hätte. Wenn wir
dies als „Mythos guter Lehre“ bezeichnen, dann weil „gute Lehre“ als professionelles
Selbstverständnis erwartet und Lehrkompetenz per se vorausgesetzt wird, ohne dass es
hierfür eine Überprüfung und Unterstützung gegeben hätte.
Die hochschuldidaktische Debatte der 1970er und 1980er Jahre war in dieser Hinsicht
perspektivisch blind gegenüber den Lehrenden als Personen. Die wissenschaftliche
Hochschuldidaktik dieser Zeit war vor allem hochschulpolitisch an Studienreformen
interessiert und berücksichtigte kaum die persönliche Seite der Lehre. Sie wurde vor allem
als kritische, wenn nicht gar, wie im Einführungsbeispiel, als bedrohliche Stimme wahr-
genommen. Jedenfalls scheint dies implizit eine Außenwahrnehmung von Hochschuldidaktik
bei denen zu sein, an die sich die Hochschuldidaktik richtet.
Dagegen wird gegenwärtig und zunehmend von wissenschafts- und hochschulpolitischer
Seite betont, dass gute Lehre der Ausbildung und Anerkennung bedarf, sei es durch positive
Rückmeldung und Wertschätzung, z.B. Vergabe von Lehrpreisen, Berücksichtigung der
realen Lehrbelastungen und Gratifikationen sowie der Unterstützung und individuellen
Entlastung, durch Freisemester und/oder Zulagen. In der Hochschuldidaktik selbst zeichnet
sich eine zunehmende Aufmerksamkeit, wenn nicht gar Wende hin zu einer professionellen
Ausbildung persönlicher Lehrkompetenz ab.
Im Folgenden beschäftigten wir uns mit der Frage, weshalb Lehrende – vor allem die
Professor(inn)en – mehrheitlich bisher so wenig von hochschuldidaktischen Weiterbildungen
halten, zumindest keine Notwendigkeit sehen, sich hochschuldidaktisch weiterzuqualifizieren
und deshalb – im Vergleich zu wissenschaftlichen Mitarbeiter(inne)n – höchst selten an
hochschuldidaktischen Weiterbildungsangeboten teilnehmen (vgl. Pötschke 2004). Wie also
lässt sich diese Resistenz und Zurückhaltung gegenüber hochschuldidaktischen Weiter-
bildungen überwinden? Ist dies überhaupt möglich?
Wir gehen zunächst auf Perspektiven des Lehrens ein, beschreiben den Blickwinkel, von
dem aus wir mit Lehrenden im Forschungsprojekt „Lehre, Wirksamkeit und Intervention
(LeWI)“2 kooperieren, beschreiben einige „Essentials“ hochschuldidaktischer Weiterbildungs-
programme und berichten erste Ergebnisse.
2 Gefördert vom BMBF unter dem Titel „Hochschulforschung als Beitrag zur Professionalisierung der
Hochschullehre“ im Rahmenprogramm „Empirische Bildungsforschung“. Leitung Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel/ Marion Kamphans, Mitarbeiterinnen Anna Funger, Christiane Ernst, Jennifer Eickelmann. Verbundpartner sind die Technische Universität München (Prof. Dr. Susanne Ihsen, Wolfram Schneider), die Technische Universität Braunschweig (Prof. Dr. Elke Heise, Ute Zaepernick-Rothe) sowie die Leuphana Universität Lüneburg (Prof. Dr. Christa Cremer-Renz, Dr. Bettina Jansen-Schulz, Brit-Maren Block). Laufzeit und Förderung: 01.12.2008–29.02.2012.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 125
2. Perspektivität und Subtilisierung der Geschlechterdifferenzen – zur theoretischen Positionsbestimmung
Wie wirken sich unterschiedliche Lehrformate auf die Motivation und Lerneffekte der
Studierenden aus? Welche Rolle spielen dabei die Einstellungen oder Haltungen der
Lehrenden zu ihrer Lehre? Und welche Bedeutung hat die Geschlechtszugehörigkeit in den
Lehr-Lern-Interaktionen für den studentischen Lernerfolg? Dies sind Fragen, die wir
kleinformatig empirisch im LeWI-Forschungsprojekt untersuchen. Unsere Aufmerksamkeit
richtet sich im ersten Schritt auf die Lehrenden, deren Einstellung zur Lehre wir in einer
Onlinebefragung und Interviews eruieren und mit einem eigens entwickelten Instrument
messen wollen. In einem zweiten Schritt wollen wir sie zur Mitarbeit gewinnen, indem wir sie
zu motivieren versuchen, hochschuldidaktische Veränderungen in ihrer Lehre einzuführen. In
einem dritten Schritt wollen wir diese Lehrveränderungen auf ihre Wirksamkeit bei den
Studierenden “prüfen“ und haben dafür eigens ein wissenschaftliches Instrumentenset
entwickelt. Somit konzentrieren wir uns mit der individuellen Begleitung und Beratung zwar
auf die Lehrenden – im Folgenden nennen wir dieses Format „LeWI-Coaching“ – der weitere
Fokus richtet sich jedoch darauf, die Lernprozesse der Studierenden zu entwickeln und zu
optimieren. Die Perspektive, aus der wir uns an Lehrende wenden, ist eine doppelte: Wir
sprechen sie als Expert(inn)en ihres Fachwissens und ihrer Lehrerfahrungen und als
Lernende zugleich an, indem wir sie zu neuen Lehrerfahrungen anzuregen versuchen oder –
angemessener – mit ihnen gemeinsam als Ko-Produzent(inn)en neuen Wissens einen
gemeinsamen Forschungsprozess initiieren. Wir regen einen Perspektivwechsel an, indem
die Lehrenden ihre Lehre aus der Perspektive ihrer Studierenden betrachten bzw. vertieft
kennenlernen.
Die erziehungswissenschaftliche Forschung begründet eine methodologische Perspektivität
mit der Sinnhaftigkeit unterschiedlicher Perspektiven. „Wir nehmen jeweils völlig
Verschiedenes wahr, je nachdem in welcher Größendimension unsere Wahrnehmung
angesiedelt ist. (…) Innerhalb einer Größendimension kommen die unterschiedlichsten
Ausschnitte zur Ansicht. Standort und Blickrichtung bedingen die Hinsicht auf den
Gegenstand und konstituieren die in dieser Hinsicht mögliche Ansicht, während zugleich
andere Ansichten verdeckt bleiben“ (Prengel 2000, S. 87f.). Wenn wir die Personen aus der
Nähe fokussieren, erfassen wir mit einer scharfen Einstellung lediglich einen kleinen
Ausschnitt und lassen vieles im Hintergrund, z.B. die Rahmenbedingungen.
Ein anderes Verständnis von Perspektiven bezieht sich auf die Zielausrichtung und grenzt
Lehrperspektiven von Lehrmethoden ab. „Perspectives are far more than methods. (…) It is
how methods are used, and toward what ends, that differentiates between perspectives”
(Pratt 2000, S. 2). Der “Teaching Inventory” von Pratt unterscheidet “a transmission
perspective, a developmental perspective, an apprenticeship perspective, a nurturing
perspective and a social reform perspective” (ebd.). Eine Lehrperson könne lediglich eine
oder zwei Perspektiven einnehmen, so Pratt, womit er die Haltung meint, mit der Lehrende
ihre Lehre ausrichten. Diese Perspektive kann sich an der Stoffvermittlung, dem
Entwicklungsprozess der Studierenden, an deren sozio-emotionalem Wachstum oder an
einer Studienreform ausrichten.
Seite 126 | Mythos guter Lehre, individuelles Coaching, genderintegrative Lehrintervention
In ihrem Beitrag „Die Perspektive der Lehrenden. Förderung von Handlungskompetenzen in
der Hochschullehre“ untersuchten Braun/Ulrich/Spexard (2006), welche Kompetenzen die
Lehrenden bei den Studierenden mit ihrer Lehre fördern wollen.3 Die Autor(inn)en
unterscheiden Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Personal-
kompetenz. Mit diesem Perspektivenverständnis ist die zielorientierte Blickrichtung der
Lehrenden auf ihre Lehre bezeichnet. Ihr könnte die Perspektive der Studierenden, wie diese
die Kompetenzen der Lehrenden wahrnehmen, gegenübergestellt werden, wenn sie denn in
die Untersuchung einbezogen worden wäre.
Das Wissen über die Perspektivität der sozialen Wahrnehmung wie der Selbstwahrnehmung
und über unterschiedliche Haltungen zu den Studierenden kann aufschlussreich dafür sein,
wie und ob überhaupt Geschlechteraspekte in den Lehr-Lern-Interaktionen wahrgenommen
werden. Da junge Männer und Frauen inzwischen gleichermaßen Zugang zum Studium
haben und ihnen auch die beruflichen Karrieren weitgehend offen stehen, sind
Geschlechterdiskriminierungen im Studium und am hochschulischen Arbeitsplatz nicht mehr
offensichtlich, vielmehr implizit und im Verborgenen wirksam, sodass von einer Subtilisierung
der Geschlechterunterschiede und -unterscheidungen auszugehen ist. Diese subtilen
Differenzierungen sind der Wahrnehmung eher zugänglich, wenn entsprechendes Wissen,
hier Genderwissen, bekannt oder integriert ist. Die Perspektivität der (Selbst)Wahrnehmung
und die Subtilisierung der Genderdifferenzen sind zentrale Begriffe, die den folgenden
Überlegungen zugrunde liegen. Auf die Perspektivität beziehen wir uns deshalb, weil es
jeweils subjektive Wahrnehmungen sind, wie die Lehrenden ihre Lehre einschätzen und ihre
Wirksamkeit bei den Studierenden antizipieren. Und von einer Subtilisierung der
Geschlechterunterscheidung gehen wir deshalb aus, weil die Lehrenden bewusst ihre
Studierenden – unbeschadet des Geschlechts, also diskriminierungsfrei – behandeln wollen,
dennoch können sie sich so verhalten, dass Geschlechterdifferenzen eher bestärkt als
neutralisiert werden, z.B. in der Art und Weise, wie sie die Studierenden adressieren, wem
sie welche Art von Rückmeldung geben u.a.m. (vgl. Münst 2002).
3. Resonanz und Konzepte hochschuldidaktischer Weiterbildungsangebote
Eine vielfach ad hoc gemachte Erfahrung mit hochschuldidaktischen Weiterbildungs-
angeboten in Form von Workshops, Seminaren, Tagesveranstaltungen oder Programmen
ist, dass Gruppenangebote lediglich die Anfänger(innen) in der Lehre und diejenigen
erreichen, die bereits relativ sicher sind (Auferkorte-Michaelis 2005; Dany 2007). Hochschul-
didaktische Zertifikatsprogramme wenden sich in letzter Zeit daher differenziert an
unterschiedliche Zielgruppen, an den wissenschaftlichen Nachwuchs, die Neuberufenen, an
Tutor(inn)en und dies vorwiegend als Inhouse-Angebote etc. (Cremer-Renz/Jansen-Schulz
2009; Stahr 2009). Inzwischen gehören Lehrhospitationen und Lehrprojekte zu einem
professionellen hochschuldidaktischen Weiterbildungsprogramm und auch Gespräche über
Lehre im kleineren Kreis auf Fakultätsebene, nicht zuletzt um die Bindung der Lehrenden
(und Studierenden) an ihre Hochschule zu fördern, wie das z.B. an der reformfreudigen
Universität Lüneburg der Fall ist (Cremer-Renz/Jansen-Schulz 2009). Man könnte meinen,
3 Mit einem qualitativen Verfahren mit sieben Lehrenden sowie einer Fragebogenerhebung (mit 178 Lehrenden).
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 127
die Hochschuldidaktik sei endlich an der Hochschule angekommen und erstmals in ihrer
Geschichte hat sie offiziellen Rückenwind statt Gegenwind (HRK 2007)4.
Eigentlich sollte es nicht erstaunen, dass Professor(inn)en durch die Angebote zur
hochschuldidaktischen Weiterbildung bisher nur sehr selten erreicht werden konnten.
Hochschullehrer(innen) können – eingedenk ihres Expertenstatus und ihres
Selbstverständnisses – nicht an hochschuldidaktischen Gruppenangeboten für Lehrende
teilnehmen. Es könnte sie entlarven, vielleicht sogar beschämen, auf jeden Fall könnte es
selbstwertschädlich für sie sein.5 Erstaunlich ist demgegenüber, dass sich die Hochschul-
lehrer(innen) in den anonymen Befragungen zur Lehre trotzdem positiv zu ihrer Lehre
äußern und sich dafür gut vorbereitet sehen (Enders/Teichler 1995). In der Onlinebefragung
unseres Projekts teilten die Lehrenden ebenfalls mit, sie würden gern lehren. Dies können
Hinweise auf den „Mythos gute Lehre“ sein. Denn irgendetwas stimmt nicht: Entweder
meinen die Befragten, sich im Sinne einer sozialen Erwünschtheit positiv zur Lehre äußern
zu müssen. Dann würde gute Lehre zum professionellen Selbstverständnis gehören, gleich
wie gut sie in der Realität ist. Oder die Lehrenden beziehen sich in ihren Aussagen auf
bestimmte Lehrsituationen und bestimmte Studierende, mit denen es ihnen Spaß macht.
Andere Lehrsituationen, die belastend sind und routinemäßig absolviert werden, fallen dann
aus der „Selbstbetrachtung“ heraus.
In den Interviews mit den Lehrenden, Professor(inn)en wie wissenschaftlichen
Mitarbeiter(inne)n überwiegen eher die Klagen und kritischen Kommentare, auch wenn zu
Beginn der Gespräche die Lehrenden stets beteuern, dass sie gerne lehren, ihnen die
Interaktion mit den Studierenden und die Wissensvermittlung Spaß macht. Die eingangs
beschriebene Äußerung eines Professors ist sicherlich extrem. Wir nehmen jedoch an, dass
sie in abgeschwächter Form sehr häufig anzutreffen wäre, wenn „unzensiert“ und
unbefangen kommuniziert werden könnte. Im Rahmen des LeWI-Projekts untersuchen wir
die Einstellung der Lehrenden zu ihrer Lehre als bundesweite Onlinebefragung an 26
Universitäten.6 Zudem werden qualitative Interviews mit 80 Lehrenden (Professor(inn)en und
Mittelbau) an drei Universitäten durchgeführt. Im Folgenden handelt es sich um einen Bericht
aus diesem laufenden Projekt. Es gehört zum Forschungstyp der aktivierenden
Sozialforschung (Altrichter et al. 1997) und innerinstitutionellen Hochschulforschung (Metz-
Göckel/Auferkorte-Michaelis/Zimmermann 2005).
4. Lehrkompetenz auf dem Prüfstand
Wir haben bislang 70 Lehrende an drei Universitäten für ein Interview gewonnen und sie
gefragt, ob sie bisher an einer hochschuldidaktischen Weiterbildung teilgenommen haben
bzw. ob sie an einer teilnähmen, die wir (mit ihnen) entwickeln würden. Gemeint sind Mini-
4 Lehre sei ebenso wichtig wie die Forschung behauptet die Hochschulrektorenkonferenz. Daher fordert sie eine
Verdoppelung der planmäßigen Dozent(inn)en pro Studierenden in den nächsten 5 Jahren (HRK vom 17.10.2007).
5 Zudem ist es für Professor(inn)en problematisch, wenn eine Institution wie das Hochschuldidaktische Zentrum
mit scheinbar besserwisserischen Maßnahmen und Vorschlägen von außen an sie herantritt. Es könnte sein, dass sie sich unter Druck gesetzt und kontrolliert fühlen.
6 Die Onlinebefragung wurde von Prof. Dr. Elke Heise und Dipl. Psych. Ute Zaepernick-Rothe von der TU
Braunschweig durchgeführt. Insgesamt wurden 43.000 E-Mail-Adressen von Lehrenden ermittelt und ein Rücklauf von über 7.000 ausgefüllten Fragebogen erreicht.
Seite 128 | Mythos guter Lehre, individuelles Coaching, genderintegrative Lehrintervention
Methoden, die Lehrende in ihrer Lehre einsetzen können, um z.B. die Aufmerksamkeit oder
die Motivation der Studierenden anzuregen. Diese (geplanten) hochschuldidaktischen
Interventionen und ihre begleitende Erforschung bestehen aus mehreren Schritten bzw.
Phasen:
der Vorbereitung der Lehrenden über persönliche Interviews und Gespräche,
der Verhandlungsphase, in der mit der einzelnen Lehrperson geklärt wird, was sie
verändern oder verbessern will,
der Unterstützungs- und Entwicklungsphase, in der mit der Lehrperson konkrete
Vorschläge/Maßnahmen entwickelt werden,
der Beobachtungsphase, in der teilnehmend die Lehrsituation beobachtet wird und
zwar wie die Studierenden reagieren. Diese werden zudem befragt, wie und ob sie
Veränderungen wahrnehmen und die Lehrenden, wie sie selbst die
Lehrveränderung einschätzen,
der Rückmeldephase mit kurzen und regelmäßigen Beratungseinheiten („Snack-
Coaching“), in denen Ergebnisse und Einschätzungen der Beobachtungsphase
diskutiert und reflektiert werden.
Die hochschuldidaktische Begleitung, die wir mit der einzelnen Lehrperson entwickeln,
grenzt sich von einer hochschuldidaktischen Beratung insofern ab, als es sich beim
Beratungsansatz um Reflexionsschleifen handelt, einem Expert-to-Expert-Kompetenz-Laien-
Ansatz (Jansen-Schulz 2008), bei dem die Überprüfung der Wirksamkeit zwar angeregt,
aber selbst nicht mehr zum Konzept gehört. Beim LeWI-Projekt handelt es sich um ein
Forschungsprojekt, das ein Coaching von Lehrenden mit einer hochschuldidaktischen
Lehrintervention anbietet und darauf zielt, zum einen die Selbstreflexion der Lehrenden
anzuregen und zum anderen die Lernprozesse der Studierenden zu verbessern. Parallel
wird die hochschuldidaktische Begleitung mit wissenschaftlichen Instrumenten untersucht,
um Aussagen über deren Wirksamkeit zu machen.
Das LeWI-Coaching zielt auf die Optimierung der individuellen Lehrkompetenz7, im Weiteren
aber auf eine Verbesserung des studentischen Lernens. Zuvor aber muss Vertrauen der
Lehrperson vorhanden sein oder Vertrauen aufgebaut werden, damit die Interventionen
überhaupt durchgeführt werden können. Lehrinterventionen in dieser „Öffentlichkeit des
Unterfangens“ sind riskante Schritte, die nur gelingen können, wenn wir den Kooperations-
partner(inne)n zutrauen, die Situation zu meistern und das offene Ergebnis auszuhalten.
In der Tat appellieren wir an die Lehrkompetenz der Lehrenden, die in ihrer Komplexität bei
diesem Unternehmen offensichtlich herausgefordert wird. Ingeborg Stahr (2009a) hat
Lehrkompetenz in fünf Dimensionen aufgeschlüsselt: Methodenkompetenz, systemische
Kompetenz, Sozialkompetenz, hochschuldidaktische Kompetenz und Selbstkompetenz mit
weiteren Binnendifferenzierungen (siehe Abbildung 1) und vor allem den biografischen
Zugang für die Lernprozesse im Erwachsenenalter betont. Wir lehnen uns an ihre
Strukturierung der professionellen Lehrkompetenz an.
Neben der Selbstkompetenz sind es vor allem die hochschuldidaktische Fachkompetenz und
die Methodenkompetenz, die wir im LeWI-Projekt in der konkreten Lehrsituation
7 Der Name des LeWI-Coaching gibt dies wieder: „LeWI-Coaching – individuelle Beratung zur Lehrkompetenz“.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 129
thematisieren. Sozialkompetenz impliziert einen Perspektivenwechsel auch in der
Forschungskooperation. Sie ist auf Seiten der forschend Beratenden wie der Lehrenden, die
sich auf den Prozess einlassen, von Anbeginn für die Kooperation erforderlich.
Hochschuldidaktische Fachkompetenz wiederum wird aufgebaut oder weiterentwickelt,
indem Lehrende an Weiterbildungen (Seminaren, Einzelberatungen wie Coachings etc.)
teilnehmen und sich auf diesem Weg kritisch mit Rückmeldungen der Studierenden
auseinandersetzen bzw. diese Rückmeldungen in ihre Lehrkonzepte integrieren. In den
Interviews, die wir mit Lehrenden im Kontext von LeWI geführt haben, haben wir einzelne
Lehrende, die längere hochschuldidaktische Weiterbildungen absolviert und diese Inhalte
nach und nach in ihre Lehrkonzepte und -formate integriert haben und anschließend über
positives Feedback der Studierenden berichten, befragt. Ein Lehrender hat durch eine
zweijährige lehrebegleitende Ausbildung ein komplett neues Verständnis davon entwickelt,
wie er Inhalte seiner Lehre den Studierenden so vermitteln kann, dass sie von ihnen wirklich
aufgenommen und verinnerlicht werden. Die Durchfallquote bei Prüfungen in seinen
Methodenseminaren habe sich von vormals 80 % auf 20 % reduziert. Als positive
Auswirkung für die Studierenden und für sich resümiert er, die Studierenden seien „vorher
dumm, blind, sie können [Forschungsberichte] nicht lesen (…). Wenn sie so einen Kurs
gemacht haben, dann sind sie in der Lage plötzlich unsere Wissenschaft zu verstehen. Ja,
und das ist doch toll, wenn ich denen den Zugang praktisch ermöglicht habe durch ein Tor,
was dann praktisch aufgeht und sie können eine Welt sich erobern“. Er habe es geschafft,
die Aktivität und das Interesse der Studierenden anzuregen mit der Konsequenz, dass er
selbst sehr viel zufriedener mit seiner Lehre sei als vor der zweijährigen Weiterbildung.
Abbildung 1: Dimensionen professioneller Lehrkompetenz
Quelle: Ingeborg Stahr 2009a, S. 80
Seite 130 | Mythos guter Lehre, individuelles Coaching, genderintegrative Lehrintervention
Eine Kompetenz auf der Systemebene wäre, die studentischen Lehrevaluationen in den
Fakultäten/Studiendekanaten zu beraten. Erst dann ist es ein professionelles hochschul-
didaktisches Verhalten, das die studentischen Bewertungen nicht ins Leere laufen lässt. Ein
Fachcoaching ist zwar grundsätzlich wünschenswert, es müsste aber im Team mit
Fachexpert(inn)en konzipiert und durchgeführt werden.
Braun/Ulrich/Spexard (2006) ermittelten eine konsistente Zunahme von
Kompetenzbereichen bzw. eine Kompetenzbündelung in den Aussagen ihrer Befragten.
„Nennt eine Lehrperson als Ziel den Ausbau von Personalkompetenzen, so sollen nach
ihrem Willen auch Sozial-, Methoden- und Fachkompetenz gefördert werden. Wird Sozial-
kompetenz als Ziel, nicht jedoch Personalkompetenz erwähnt, so wird gleichzeitig die
Absicht der Förderung von Fach- und Methodenkompetenz genannt. Die geplante Förderung
der Methodenkompetenz geht immer mit der Förderung der Fachkompetenz einher“ (ebd., S.
15). Es handelt sich bei diesen Befunden jedoch um verbale Absichtsbekundungen und um
eine Hochschuldidaktik-Forschung, welche die Praxis der Lehre nicht konkret einbezieht.
Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum LeWI-Projekt, denn wir befragen nicht nur die
Absicht der Lehrenden, sondern beobachten sie im Feld und erarbeiten mit ihnen
Vorschläge, wie sie ihre Lehre studierendenzentriert gestalten können und untersuchen
diesen Veränderungsprozess systematisch aus unterschiedlichen Perspektiven (aus der
Sicht der Lehrenden, der Studierenden und der forschenden Perspektive).
5. Kompetenzorientierung der Lehre
Aus der hochschuldidaktischen Perspektive geht es um die Anregung der studentischen
Lern- und Entwicklungsprozesse und die Förderung der Fähigkeit zur Selbststeuerung von
Studierenden. „Gute Lehre besteht darin, das eigenständige, selbstgesteuerte Lernen der
Studierenden zu ermöglichen“, meint auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK 2008).
Wie zielgerichtetes Lernverhalten motiviert ist und wodurch es reguliert werden kann,
behandelt die psychologische Selbstbestimmungstheorie (Deci 1972; Bles 2002). Die
Autor(inn)en unterscheiden intrinsisch und extrinsisch motiviertes Verhalten, die als ein
Kontinuum der Selbstbestimmungsgrade vorgestellt werden: An dem einen Pol (hoher Grad
an selbstbestimmtem, autonomem Verhalten) ist das intrinsische, d.h. um der Sache selbst
willen bzw. aus Interesse an der Sache ausgeübte Verhalten, am anderen Pol befindet sich
das Verhalten, das durch äußere Anreize oder Sanktionen kontrolliert wird, also extrinsisch
motiviert ist.8 Die hochschuldidaktische bzw. pädagogische Frage ist, wie die soziale Umwelt
auf die intrinsische Motivation und die autonome Selbstregulation einwirken kann. Diese
Einwirkung sollte sich in erster Linie an den psychischen Grundbedürfnissen wie Kompetenz,
soziale Beziehung und Autonomie orientieren (Bles 2002, S. 244; Deci et al. 1991). Eine
wichtige Rolle für die Motivierung und Selbststeuerung spielt die Rückmeldung des
Leistungsstandes. „Empirische Studien zeigen, dass ein positives leistungsbezogenes
Feedback, welches informativ und nicht kontrollierend ist, zur Wahrnehmung individueller
Kompetenz und damit zur Erhöhung der intrinsischen Motivation führt. (…) Dieser Effekt wird
insbesondere dadurch bewirkt, dass das Feedback gleichzeitig von Autonomieunterstützung
begleitet wird. Bei einem autoritären Lehrstil, der mit Kontrolle einhergeht, zeigt sich eher
8 „Die Selbstbestimmungstheorie beschäftigt sich mit den Auswirkungen und Bedingungen der verschiedenen
Motivationsfacetten und versucht, Implikationen für die verschiedenen Anwendungsgebiete der Psychologie anzuleiten“ (Bles 2002, S. 234).
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 131
eine extrinsische Form der Motivation. Auch negatives Feedback führt zu einem Absinken
der intrinsischen Motivation in Verbindung mit einem Abfall der wahrgenommenen
Kompetenz“ (Bles 2002, S. 244). Im Idealfall sind die Studierenden intrinsisch motiviert, das
führt zu einer tieferen Verarbeitung und Bewältigung des Lernstoffes, zu besseren Noten,
positiveren Affekten und mehr Zufriedenheit (Deci et al. 1982). Auf diese bereits intrinsisch
motivierten Studierenden beziehen sich wohl die Lehrenden, so unsere Befunde/Annahme,
wenn sie von ihrer Freude am Lehren berichten. Andere sehen in der Bologna-Reform eher
einen Rückschritt und damit eine zunehmende Belastung ihrer Lehre, da die Studierenden
immer weniger intrinsisch motiviert, sondern zunehmend prüfungszentriert seien. Ein
interviewter Professor formulierte es knapp wie folgt: Die Bologna-Studienreform hat das
Denken aus den Studiengängen vertrieben und vom Bildungsanspruch zum Ausbildungs-
anspruch geführt.
6. Die Positionierung der Lehrenden: Zwischen Selbstveränderung und Status quo
Ein zentraler Unterschied zwischen Lehrenden besteht darin, so ein Ergebnis unserer
Interviewauswertung, ob diese sich außerhalb oder als Teil der Lehr-/Lernprozesse
verstehen. Dies ist eine Frage der Perspektivität und des Standpunktes bzw. der Haltung, die
Lehrende einnehmen. Das Feldkonzept von Bourdieu (1998) ist hierfür theoretisch
aufschlussreich, weil es die relationalen Beziehungen und die Machtdimension im sozialen
Feld einzubeziehen erlaubt und die akademische Lehre kann als soziales Feld mit
unterschiedlichen Positionen angesehen werden. Die Position, die eine Person im sozialen
Feld Lehre einnimmt, prägt auch ihre Perspektive und wie sie sich selbst im sozialen Feld
betrachtet. Mit dem Habitus der Personen als verinnerlichte Struktur stellt Bourdieu eine
Verbindung zwischen Struktur und Handeln her, ohne dass diese Verbindung als
deterministisch angenommen wird.
Methodologisch kann das „Eingebettetsein“ der Lehrenden in die konkreten Verhältnisse
Widersprüchliches bedeuten: Zum einen, dass sich die Lehrperson als in den Verhältnissen
gefangen betrachtet. Dann sieht sie sich in ihren Routinen bestätigt und reproduziert so die
Lehr-/Lernverhältnisse. Zum anderen kann das „Eingebettetsein“ als Möglichkeit betrachtet
werden, diese Einbindung in die Prozesse und Strukturen zu reflektieren und so zu
interpretieren, dass Veränderungen auf der operativen Ebene möglich werden. Mit der
reflektierten Einsicht, Teil des sozialen Feldes zu sein, könnten zumindest die
Professor(inn)en mit ihrer positionalen Macht Einfluss auf die Lehrformate ihrer Fakultät
nehmen.
Die Lehrenden, die bereit sind uns ein Interview9 zu ihrer Lehre zu geben, zeigen sich
unterschiedlich offen für hochschuldidaktische Fragen sowie für Veränderungen ihrer Lehre:
Einige sehen sich eingespannt in formale Rahmenbedingungen und geben relativ
standardisierte Antworten.
Andere zeigen sich aufgeschlossen, ihre Lehre mit dem Internet und den digitalen
Medien anzureichern, mehr aber nicht.
9 Es ist auch aufschlussreich, wer ein Interview verweigert und mit welchen Begründungen.
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Wiederum andere sehen sich selbst als Teil des studentischen Lernprozesses und
nehmen Gestaltungsspielräume wahr.
Während die einen sehen, dass die Freiräume für die Studierenden geringer
geworden sind, entdecken andere auch nach Bologna Freiräume in der Studien-
organisation, z.B. in der Konstruktion generischer statt stoffzentrierter Module.
Bei der ersten Durchsicht der qualitativen Interviews finden sich unterschiedliche
Perspektiven und Haltungen zur Lehre:
Als Lehrrhetorik bezeichnen wir eine Haltung, bei der Professor(inn)en die offizielle
Rede wiederholen: Das hätte man gern, aber dem ist nicht so. Sie konzentrieren
sich auf ihre Belastungen und die Schwäche der Studierenden (Ausweichmanöver).
Als subversive informelle Alltagspraxis beschreiben andere ihre Lehrpraxis (ohne
Kritik an der Organisation der Prüfungen und Bewertungen): während die einen
unter dem Label „Bologna“ alles beim alten belassen und sie ihre Lehre als
Pflichtprogramm und im Duktus „business as usual“ absolvieren, experimentieren
andere mit Lehrformaten und Motivierungen, mit dem Ziel, möglichst alle
Studierenden zu einem guten Lern- und Studienerfolg zu führen, ohne sich in ihrem
Selbstverständnis auf formale Vorgaben der Bologna-Reform zu beziehen.
Hauptsächlich auf die Vermittlung von Stoff sind wieder andere zentriert. Auch ein
und dieselbe Person kann je nach Veranstaltung und studentischer Gruppe als
Stoffvermittler(innen) auftreten oder in einen (gewünschten) wissenschaftlichen
Diskurs mit den Studierenden treten.
Die Geschlechterthematik wird in den Interviews nur ausnahmsweise von selbst
angesprochen. Einige wenige thematisieren Genderwissen als Inhalt und vermitteln
es in ihren Lehrveranstaltungen. Nur ganz selten sehen sie sich in einen interaktiven
Prozess mit den Studierenden eingebunden, indem sie Geschlechterstereotype
verstärken oder nivellieren bzw. reflektieren (Handlungs- und Reflexionsebene). Wir
verfolgen insofern ein integratives Gendering (Jansen-Schulz 2007), als wir die
Lehrenden nicht von vornherein auf die Gender-Diversity-Thematik hinweisen oder
es zu einem zentralen Thema des LeWI-Coachings machen. Vielmehr läuft die
Gender-Diversity-Thematik als integratives Element mit, je nach Interesse und
Bedarf der Lehrenden machen wir auf Geschlechter-Diversity-Aspekte aufmerksam
und erklären anhand von Beispielen und empirischen Befunden, inwiefern Lehrende
einen Anteil daran haben können, Geschlechterstereotype mit zu produzieren
(„doing gender“).
6.1. Professionalisierung und Routinen der Lehre
Ein spät berufener Professor, der Methoden empirischer Sozialforschung lehrt, praktiziert wie
er meint, ein erfolgreiches Vorgehen. Er lehrt seit 30 Jahren und hat Routinen entwickelt, die
er als Professionalisierung bezeichnet. Er unterscheidet relativ strikt:
1. Zwischen der Lehre als Serviceleistung im Rahmen eines Begleitstudiums. Dies
sind Veranstaltungen für Lehramtsstudierende, bei denen keine Grundkenntnisse
vorausgesetzt werden können und auch nicht auf einem Basiswissen aufgebaut
werden kann und
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 133
2. den Lehrveranstaltungen des engeren Fachgebiets, an denen motiviertere
Studierende teilnehmen. In der Methodenausbildung seines Faches macht er die
Erfahrung, dass es sehr aufschlussreich und motivierend ist, aus eigenen
Forschungsprojekten berichten zu können. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter war er
vielleicht näher an den Fragen der Studierenden dran, meint er. Die Forschung
macht ihm mehr Spaß als die Lehre, das sagt er offen.
6.2. Interaktives Verständnis zur Lehre
Der interviewten Professorin einer Ingenieurwissenschaft ist die Lehre wichtig. Diese macht
ihr inzwischen Spaß und auch die studentischen Evaluationen sind für sie recht
zufriedenstellend geworden. Sie sieht dies als einen Prozess, von dem sie betont, dass sie
selbst besser und sicherer geworden sei. Sie meint, man solle weniger Stoff vermitteln,
diesen aber gründlicher. Sie begründet dies folgendermaßen: Wenn 50 Studierende auf eine
Frage falsch geantwortet hätten, dann sei der Stoff schlecht vermittelt, nicht verstanden
worden und die Lehrperson sollte etwas ändern. Sie begreift sich als Teil des
Unverständnisses der Studierenden und macht in ihrer Lehrveranstaltung kleine aktivierende
Demonstrationsexperimente. An ihren Kindern hat sie beobachtet, wie diese immer rasch
nach Neuem suchten, dass das Neue sie reizen würde. Dadurch, dass die Lehrkonzepte
immer gleich blieben, würden sie den Studierenden keinen Anreiz zum Lernen bieten, reizlos
sein. Wenn Studierende ihr sagen würden, dass sie das, was sie an der Uni gelernt haben
nicht gebrauchen würden, dann antwortet sie: „Du hast nur noch nicht gelernt, aus dem, was
du gelernt hast, was zu machen“. Sie sieht auch nach Bologna Freiräume in der
Modulgestaltung. Sie wünscht sich aber, dass
mehr kollegialer Austausch über die Lehre stattfindet,
ein aktueller Alltagsbezug die Lehre für die Studierenden interessanter macht,
mehr Abwechslung in den Vermittlungsformen eingeführt wird, um die Aufmerksam-
keit der Studierenden zu erhöhen.
Da diese Lehrperson bereits in ihrer Lehre experimentiert, ist sie auch zu einem hochschul-
didaktischen Experiment bereit.
7. Hochschuldidaktische Weiterbildung als innerinstitutionelle Hochschulforschung
Der eigene und der fremde (forschende) Blick auf Lehrsituationen und Lehrevaluationen
könnte in der Kommunikation über beide Perspektiven neue Sichtweisen auf die Lehre bei
den Lehrenden und damit ein Veränderungspotenzial kreieren, wie wir es auch mit dem
personenzentrierten Ansatz des hochschuldidaktischen Coachings in Kombination mit einem
Untersuchungsdesign versuchen.
Das Forschungsdesign zur Wirksamkeit des LeWI-Coachings ist als Prä-Post-Vergleich
angelegt.
Die Prä-Messung besteht aus einer Vorabmessung sowie der Durchführung und Evaluation
der hochschuldidaktischen Intervention mit folgenden Schritten:
Einstellungsmessung der Lehrenden mit einem eigens entwickelten Instrument,
teilnehmende Beobachtung der Lehrveranstaltung und der Lehrperson,
Seite 134 | Mythos guter Lehre, individuelles Coaching, genderintegrative Lehrintervention
Befragung des Lehrenden (Kurzinterview),
Befragung der Studierenden (Zufriedenheit mit der Veranstaltung, Selbstein-
schätzung des Lernerfolgs),
Durchführung der hochschuldidaktischen Intervention.
Die Post-Messung wird an zwei Zeitpunkten, unmittelbar nach der Durchführung der
hochschuldidaktischen Lehrintervention und einige Wochen später, mit folgenden
Instrumenten durchgeführt:
Einstellungsmessung der Lehrenden,
teilnehmende Beobachtung der Lehrveranstaltung und der Lehrperson,
Befragung des Lehrenden (Kurzinterview),
Befragung der Studierenden (Zufriedenheit mit der Veranstaltung, Selbstein-
schätzung des Lernerfolgs).
Das Konzept, die individuelle Beratung zur Lehrkompetenz an das Generieren
wissenschaftlicher Daten zu knüpfen, basiert auf Vorüberlegungen und Arbeiten im Kontext
des Forschungsschwerpunktes „Innerinstitutionelle Hochschulforschung“ am Hochschul-
didaktischen Zentrum der TU Dortmund, wie wir es bereits in verschiedenen hochschul-
internen Projekten und Kooperationen mit Lehrenden und Fakultäten ausprobiert und
umgesetzt haben (vgl. Auferkorte-Michaelis 2005; Kamphans et al. 2003, et al. 2004 sowie
2009). Innerinstitutionelle Hochschulforschung beinhaltet ein partizipatives Vorgehen, das wir
auch beim LeWI-Coaching umsetzen. Doch lassen sich Ergebnisse aus der empirischen
Forschung nicht 1:1 umsetzen. Vielmehr geht es darum, im Gespräch mit Lehrenden auf der
Basis wissenschaftlicher Ergebnisse auszuloten, wo, welche und wie konkret Veränderungen
– zugeschnitten auf die jeweiligen Interessen und Bedürfnisse von Lehrenden – entwickelt
und umgesetzt werden können. Dies erfordert ein gegenseitiges Verständnis und Vertrauen,
aber auch Zeit, Geduld und Beharrlichkeit.
8. Abschließende Bemerkung
Der Bologna-Prozess hat den Druck auf die Lehrenden erhöht, ihre Lehrkompetenz zu
verbessern. Trotz allem ist, wie eingangs dieses Beitrags dargestellt, die Weiterbildungs-
neigung von Lehrenden, vor allem von Professor(inn)en, noch gering. Genau diesen
Umstand hat das LeWI-Projekt zum hypothetischen Ausgangspunkt genommen und daraus
abgeleitet, individualisierte Weiterbildungen anzubieten, die ähnlich dem Konzept der
innerinstitutionellen Hochschulforschung Beratung, Forschung und Begleitung und ein
partizipatives Vorgehen enthalten. Der individualisierte Zugang zu Lehrenden – wie mit dem
LeWI-Coaching gewählt – erlaubt eine bedarfsgerechte Qualifizierung einzelner
Dimensionen der Lehrkompetenz und damit eine zielgenauere Weiterbildung, als es ein
Seminar mit mehreren Teilnehmer(inne)n kaum leisten kann.
Von dem LeWI-Coaching versprechen wir uns, Veränderungen auf Seiten der Lehrenden zu
initiieren und so zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lehre im Sinne einer aktivierenden,
wertschätzenden und gender-(diversity)sensiblen Lehre beizutragen. Das LeWI-Coaching
bietet Lehrenden die Gelegenheit, eingefahrene Routinen im Lehralltag zu reflektieren, den
eigenen Anteil am „doing teaching“ und „doing gender“ zu erkennen und eigeninitiativ
gegenzusteuern. Als Nebeneffekt der intensiven Zusammenarbeit im Rahmen von LeWI-
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 135
Coachings erhoffen wir uns auch, Resistenzen und Zurückhaltungen gegenüber
hochschuldidaktischer Weiterbildung aufzuweichen.
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Seite 138 | Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre
Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre – empirische Erkenntnisse
Isa Jahnke, Tobias Haertel, Michael Winkler
Abstract
Was macht Kreativität aus? Wie kann Kreativität insbesondere in der hochschulischen Lehre
gefördert werden? In diesem Beitrag werden sechs Facetten der Kreativitätsförderung für die
Lehre entworfen: Förderung des reflektierenden Lernens (1), des selbstständigen Arbeitens
(2), Förderung der (Forschungs-)Neugier, Begeisterung & Lernmotivation (3), Förderung des
kreierenden Lernens (4), Förderung neuer Denkkulturen (5) und schließlich die Entwicklung
neuer origineller Ideen (6). Diese Ergebnisse basieren a) auf Experteninterviews und wurden
b) durch eine Online-Befragung mit Lehrenden an drei Universitäten (n = 296) gestützt. Auf
die Frage, inwieweit bereits einzelne Kreativitätsfacetten in der Lehre umgesetzt werden,
geben ca. 50 % der Befragten an, die Facetten 1 bis 4 auf dem Lehrplan zu haben. Facetten
5 und 6 werden nur von 30 % bzw. 20 % der Lehrenden als „mache ich schon“ angegeben.
Das 6-Facetten-Modell kann als Reflexionsmittel eingesetzt werden und als Anleitung für
kreativitätsförderliche Lehre dienen.
1. Einleitung: Kreativität in Hochschulen?!
Kreativität ist ein facettenreicher Begriff. Er wird oft im Zusammenhang gebracht mit
Künstler(inne)n, Musiker(inne)n, Erfinder(inne)n, Schriftsteller(inne)n und immer öfter auch
mit Studierenden. Wolf Wagner (2010) macht in seinem Buch „Tatort Universität“ auf den
Zusammenhang einer Kreativität fördernden Hochschul(aus-)bildung und einer innovations-
freudigen, zukunftsfähigen Gesellschaft aufmerksam und bemängelt, dass „Deutschland […]
im Hinblick auf Innovationsfähigkeit hinter allen vergleichbaren Industrieländern zurück
[bleibt]“ (ebd., S. 15). Um das „stille Drama“ (ebd.) an deutschen Universitäten zu beenden
und das kreative Potenzial der Studierenden stärker zu fördern, schlägt Wagner eine Reihe
von Maßnahmen vor, die überwiegend an der Institution Hochschule und den Curricula
ansetzen.
In diesem Beitrag wird aus hochschuldidaktischer Sicht gezeigt, was unter Kreativität
verstanden wird und wie dies in der Lehre gefördert werden kann. Dazu muss zunächst
geklärt werden, was genau es zu fördern gilt, wenn im Kontext von Universitäten von
„Kreativität“ gesprochen wird. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich vielfältige
Definitionen und Konzepte von Kreativität, die sich teilweise widersprechen und gegenseitig
ausschließen (Gardner 1993; Boden 1994; Csikszentmihalyi 1996, 1997; Lenk 2000;
Sonnenburg 2007; Watson 2007; Dresler 2008). Eine gute Übersicht zu den verschiedenen
Konzepten befindet sich in Jahnke/Haertel (2010).
In dieser Kakophonie unterschiedlicher Kreativitätsverständnisse findet sich kein Konzept,
das unmittelbar anschlussfähig ist für den Bereich der Hochschullehre. Vielmehr wird bei der
Auseinandersetzung mit den Kontroversen in der Kreativitätsforschung deutlich, dass der
Kreativitätsbegriff für die jeweiligen Bereiche neu zu kontextuieren ist. In der Wirtschaftswelt
ist Kreativität eng mit der Innovation verbunden: Eine Idee ist dann kreativ, wenn sie
schließlich zu einem Produkt führt, das sich auf dem Markt behaupten kann. Ökonomisch
betrachtet ist z.B. das iPhone zweifelsfrei eine kreative Erfindung. Ein künstlerischer Prozess
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 139
hingegen kann völlig losgelöst von kommerziellen Interessen betrieben werden, hier steht
oftmals die kreative Entfaltung zur Schaffung kreativer Formen und ästhetischer Gestaltung
um ihrer selbst Willen in der Intention der Kunstschaffenden, zumindest wenn sie der
europäischen Kunsttheorie des 19. Jahrhunderts folgen, die die Redewendung „l‟art pour
l‟art“ hervorgebracht hat (vgl. Ulrich 2006, S. 124-143).
Daher verstehen wir Kreativität als offenes Konzept. Kreativität ist subjektiv, jeder Mensch
hat seine eigene Vorstellung darüber, was für sie/ihn kreativ ist. Mehrheitsverständnisse über
kreative oder nicht-kreative Leistungen können trügerisch sein. Kreativität bedeutet, zu
situieren, d.h. jeweils im Kontext zu verstehen. Für die Förderung der Kreativität in der
Hochschullehre bedeutet das, die vorliegenden subjektiven Kreativitätskonzepte der
Hochschulangehörigen in Erfahrung zu bringen und sich so der Antwort auf die Frage zu
nähern, was in diesem Bereich unter Kreativität verstanden werden kann. Erwartbar ist dabei
allein schon aufgrund der unterschiedlichen Disziplinen, dass die Antwort pluralistisch
ausfällt und eine Förderung von Kreativität in der Lehre dieser Pluralität gerecht werden
muss.
2. Untersuchungsdesign
Im BMBF-geförderten DaVinci-Projekt (Teilprojekt hochschuldidaktische Aspekte) wurden in
einer qualitativen Studie 20 Interviews durchgeführt: Die erste Erhebungswelle umfasste
zehn qualitative Experteninterviews mit herausragenden Lehrenden. Dazu gehörten
Lehrpreisträger(innen) (z.B. ars legendi; unicum „Professor des Jahres“), Professor(inn)en
und wissenschaftliche Mitarbeiter(innen), die von den Studierenden im Internetportal
meinProf.de besonders gut bewertet worden sind und in unterschiedlichen Disziplinen
wirken. In einer zweiten Welle wurden zehn Lehrende in der „Universitätsallianz Metropole
Ruhr“ (UAMR = Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen) befragt. Die
Interviews wurden u.a. mit dem Ziel geführt, Hinweise auf unterschiedliche Facetten von
Kreativität in der Hochschullehre zu erhalten. Zentrale Leitfragen waren:
„Was ist für Sie eine kreative Leistung (Denken/Handeln) Ihrer Studierenden?
Woran erkennt man Kreativität Studierender?“
„Führen Sie Veranstaltungen, Lehr-/Lernsequenzen, Kurse durch, von denen Sie
denken, dass diese kreatives Denken/Handeln fördern? In welchem Kontext spielt
Kreativität in Ihrer Lehrveranstaltung eine Rolle? Bitte beschreiben Sie diese
Veranstaltung.“
Im Ergebnis brachte die qualitative Erhebung sechs Facetten von Kreativität in der
Hochschullehre hervor (eine ausführliche Beschreibung der qualitativen Erhebung und ihrer
Ergebnisse (siehe Jahnke/Haertel 2010). Mit diesem ausdifferenzierten Konzept von
Kreativität in der Hochschullehre wird eine bisherige Forschungslücke gefüllt. Anderson und
Krathwohl (2001) reorganisierten in Anlehnung an Benjamin Bloom‟s Taxonomie (1954) die
Stufen des Kompetenzerwerbs neu: 1. „Remembering“, 2. „Understanding“, 3. „Applying“, 4.
„Analyzing“ 5. „Evaluating“ und 6. „Creating“. Oftmals geht es in der Hochschullehre nicht
über die ersten zwei Stufen „Wissen reproduzieren“ und „Verstehen“ hinaus. Insbesondere
die letzte Stufe „Creating“ wird in Universitäten weniger stark fokussiert, genau an dieser
Stelle aber setzen die sechs identifizierten Facetten zur Kreativitätsförderung in der Lehre
an.
Seite 140 | Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre
Auf Basis der Erkenntnisse der qualitativen Phase wurde ein teilstandardisierter Fragebogen
entwickelt. Nach dem Pretest wurde im Sommer 2010 (August/September) der Fragebogen
als Onlinefassung (Software Unipark) den Lehrenden der UAMR-Universitäten (Dortmund,
Bochum und Duisburg-Essen) per E-Mail zur Verfügung gestellt. Ziel des Fragebogens war
es, die Facetten der Kreativitätsförderung einer größeren Personenanzahl vorzulegen und
diese Facetten bewerten zu lassen. Die Frage war: Kann das aus der qualitativen Welle 1
und 2 erhobene Rahmenmodell bestätigt werden und wenn ja, inwiefern? Werden bestimmte
Facetten bevorzugt (z.B. fachspezifische Unterschiede), und/oder werden neue Facetten
genannt? Der Fragebogen bestand aus vier Seiten mit drei Fragen sowie sechs Items zu
soziodemografischen Daten (wie z.B. Geschlecht, Fach, Position, Lehrerfahrung). Die erste
Frage war als offene Frage konzipiert: „Was ist für Sie eine kreative Leistung Ihrer
Studierenden?“. Die Befragten hatten zunächst die Aufgabe, durch die Beantwortung einer
offenen Frage („Was ist für Sie eine kreative Leistung Ihrer Studierenden?“) die kreativen
Produkte oder Prozesse ihrer Studierenden anzugeben. Im weiteren Verlauf mussten sie
diese Angaben den aus der qualitativen Studie identifizierten sechs Facetten zuordnen
(Frage 2). Es gab auch die Antwortmöglichkeit „Etwas anderes/trifft nicht zu“. Frage 3
erfasste, inwiefern die Lehrenden bereits eine oder mehrere Kreativitätsfacetten in ihrer
eigenen Lehre fokussieren. Die Auswertung erfolgte mit der Software IBM SPSS Statistics
Version 19.
3. Ergebnis: Rahmenkonzept zur Kreativitätsförderung in der Hochschullehre
Ein Ergebnis der qualitativen Studie ist, dass der Kreativitätsbegriff (wie vermutet) in der
deutschen Hochschullandschaft heterogen aufgefasst wird. Die Auffassung darüber, was
Kreativität ist, schwankt zwischen einem alltäglichen Phänomen, das durch die Veränderung
unserer „Achtsamkeit“ beeinflusst werden kann, über die Entwicklung eigener Ideen (die
zwar generell schon existiert haben können, jedoch durch das Individuum selbst erarbeitet
statt einfach übernommen wurden) und die kreative Vernetzung bislang nicht verknüpfter
Ideen oder Gedanken bis hin zu der Fähigkeit, auf Dinge und Zusammenhänge aus anderen
Perspektiven heraus zu schauen, gewohnte Denkmuster zu verlassen und schließlich
gänzlich neue, noch nie dagewesene Ideen zu schaffen und umzusetzen.
Die Entfaltung von Kreativität kann gefördert – oder auch blockiert – werden, diese Ansicht
wurde weit vertreten. Allerdings unterliegt auch diese Förderung wieder der Subjektivität –
d.h. auf eine(n) Gesprächspartner(in) wirkten Restriktionen herausfordernd und motivierend
für die eigene kreative Aktivität, während andere Expert(inn)en Restriktionen als hinderlich
für ihre kreative Arbeit bezeichneten. Unabhängig vom zugrunde liegenden Kreativitäts-
verständnis hielten es die Lehrenden der 1. Welle für wichtig, den Studierenden zur
Förderung ihrer Kreativitätsentfaltung während ihres Studiums ausreichend Möglichkeiten zu
geben, selbst Ideen, Gedanken, Produkte zu entwickeln, sie also selbst etwas „schaffen“ zu
lassen.
Aus den Experteninterviews konnten sechs Facetten zur Kreativitätsförderung identifiziert
werden, die in Tabelle 1 erläutert sind. Die Förderung von studentischer Kreativität kann in
unterschiedlichen Bereichen stattfinden. Die Stärkung eigenständigen, reflektierenden
Lernens oder die Forcierung selbstständigen Arbeitens kann unter widrigen Bedingungen
(z.B. Vorlesungen vor mehreren hundert Studierenden mit vorgegebenen Inhalten und
Prüfungen) bereits eine wesentliche Verbesserung im Sinne der Kreativitätsförderung sein,
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 141
während diese Ziele z.B. bei Projektseminaren von selbst erfüllt werden. Für solche Lehr-/
Lernformen bieten sich andere Facetten der Kreativitätsförderung an. Die Entscheidung über
die angestrebte Facette (und die konkrete Gestaltung des Lehr-/Lernszenarios) liegt bei den
Lehrenden. Um die Unterstützung zu erleichtern, kann die Kreativitätsförderung in
Programmen von BA- und MA-Studiengängen einfließen.
Tabelle 1: Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der hochschulischen Lehre
Facetten der Kreativitätsförderung
Beschreibung Beispiele aus den Interviews „Was ist für Sie eine kreative
Leistung Ihrer Studierenden?“
6. originelle, völlig neue Ideen entwickeln
• kann nicht erzwungen werden
• die Möglichkeit des Anflugs vorbereiten
• Fehler zulassen
• andere Lösungswege nutzen/darlegen
• Stoff für eine Geschichte ausdenken
• ungewöhnliche, originelle Themen für Hausarbeiten etc.
• neue Produkte entwickeln
5. die Förderung einer neuen Denkkultur
• neue Haltung zur Vielperspektivität
• Reflexion über eigene Kreativität und eigene Denkstruktur (divergente, konvergente Pfade; verrücktes Denken)
• Studierende betrachten ein Thema aus mehreren Perspektiven
• Norm-/Konsensabweichung
• sinnvolle Abänderung von Routinen/Regeln
• Studierende stellen Bezüge zu anderen Disziplinen her
4. die Förderung kreierenden Lernens
• etwas „Schaffen“
• Texte, Präsentationen, Forschungsarbeiten, Szenarien, Lösungen u.v.m.
• Studierende „schaffen“ etwas zum Thema
• z.B. Tagungsplanung/-durchführung; E-Infrastruktur-Konzept; Podcast-Beiträge; Gestaltung einer Unterrichtsstunde für Lehrer(innen)
3. (Forschungs-) Neugier und Begeisterung fördern – Lernmotivation steigern
• abwechslungsreiche Lehre
• interessante Frage-/ Problemstellungen
• Reflexion über individuelle Lernmotivation
• Praxis-/Erfahrungsbezug ermöglichen
• Studierende darin fördern, für sich die effektivste Lernmethode herausfinden zu können
• es gelingt, Studierende zu begeistern
2. Förderung selbstständigen Lernens
• Lernprozesse eigenverantwortlich steuern
• eigene Entscheidungen treffen
• Thema selbstständig suchen
• eigene Fragestellungen entwickeln
• Lücken im Wissensstand aufdecken
• Studierende recherchieren selbst zum Thema
• Studierende organisieren ihren Lernprozess selbst
• eigene Lernziele formulieren
1. Förderung reflektierenden Denkens
• Wissen erarbeiten
• inneren Dialog führen
• Querdenken, Bekanntes hinterfragen
• nicht repetitiv; kritisches Hinterfragen
• Vorurteile, Annahmen erkennen
• über Aufgabenstellung hinaus arbeiten
Seite 142 | Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre
4. Ergebnisse der Lehrendenbefragung (Welle 3)
Es wurden alle Lehrenden der drei UAMR-Universitäten Dortmund (N = 2.307), Bochum (N =
2.973) und Duisburg-Essen (N = 2.432) angeschrieben. Das entspricht 7.712 potenziellen
Empfänger(inne)n. Der Fragebogen wurde innerhalb der beiden Universitäten Dortmund und
Duisburg-Essen über zentrale E-Mailverteiler versendet. An der Ruhr-Universität Bochum
waren im Jahr 2010 noch keine E-Mailverteiler vorhanden, sodass die Dekanate
angeschrieben wurden und die Weiterleitung des Fragebogens an die Lehrenden über diese
erfolgte. Es ist daher nicht sicher, ob der Fragebogen auch alle erreicht hat. Von allen
Empfänger(inne)n haben 812 Personen den Fragebogen angeklickt (10,5 %). Davon haben
712 Personen die erste offene Frage „Was ist eine kreative Leistung (Denken, Handeln) Ihrer
Studierenden?“ aufgerufen. 45 % haben anschließend abgebrochen. Schließlich sind 367
Personen bis zu Frage Nr. 3 des Fragebogens gelangt. Insgesamt haben 296 Personen den
Fragebogen bis zum Schluss beantwortet. Das sind von ehemals 812 Teilnehmenden, die
sich die Umfrage angesehen haben, rund 36 % Ausschöpfungsquote.
Tabelle 2: Abbrüche und Ausschöpfungsquote
Frage Anzahl Personen (absolut)
Abbrüche von Frage zu Frage
(in %)
Fortgeschritten von Startseite, n = 812
(in %)
Potenzielle Personen 7712
Startseite 812 12,3 % 87,6 %
Seite 1/Frage 1 712 45,3 % 47,9 %
Seite 2/Frage 2 389 5,7 % 45,2 %
Seite 3/Frage 3 367 14,4 % 38,7 %
Seite 4/soziodemograf. Items 314 5,7 % 36,5 %
N = 296
Die Geschlechter sind fast gleich verteilt, 52,1 % männliche und 47,9 % weibliche Personen.
Es haben 70 % wissenschaftliche Mitarbeiter(innen) geantwortet, ca. 20 % Professor(inn)en
und etwas mehr als 10 % Lehrbeauftragte. Die Befragten haben unterschiedlich viel Lehr-
erfahrung. Weniger als ein Jahr Lehrtätigkeit haben ca. 10 %. Fast 40 % haben zwischen 1-4
Jahre Lehrerfahrung. Rund 25 % geben zwischen 5-10 Jahre Lehrtätigkeit an; weitere 25 %
geben mehr als zehn Jahre an.
Bei der Verteilung nach Fächergruppen ist zu erkennen, dass fast 40 % in den Sprach- und
Kulturwissenschaften tätig sind. Es folgen Mathematik, Naturwissenschaften sowie Rechts-,
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit je ca. 20 %. Die anderen Fächergruppen sind
weniger vertreten, siehe Abbildung 1. Daher sind Aussagen zu diesen Fachbereichen mit
Vorsicht zu tätigen.
Die Frage, ob bereits an einer hochschuldidaktischen Weiterbildung zur Qualifizierung der
Lehrtätigkeit teilgenommen wurde, gibt Aufschluss über potenziell bereitzustellende
Angebote für die Zukunft. „Nein, bisher nicht“ teilgenommen sowie „bisher nicht, möchte es
aber gerne“ geben ca. 40 % der Befragten an. Rund 20 % der Lehrenden haben bereits ein
Mal an einer solchen Qualifizierung teilgenommen. 35 % geben an, mehr als einmal
Weiterbildungen besucht zu haben.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 143
Abbildung 1: Verteilung der Befragten nach Fächergruppen
Jun.-Prof. Dr. Isa Jahnke
Technische Universität Dortmund
Hochschuldidaktisches Zentrum6
Verteilung der Fächergruppen
38,1
23,8
21,3
9,4
3,5
3,0
1,0
Sprach- und
Kulturwissenschaften
Mathematik,
Naturwissenschaften
Rechts-, Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften
Ingenieurwissenschaften
Humanmedizin/Gesundheits-
wissenschaften
Kunst, Kunstwissenschaft
Sport n = 296, Prozentangaben
4.1. Fragen Nr. 1 und 2: Erkenntnisse zu den 6 Kreativitätsfacetten
Zentrales Anliegen der Onlineumfrage war es, die aus der qualitativen Studie entwickelten
sechs Facetten der Kreativitätsförderung in ihrer Verteilung zu erfassen. Die Frage war, ob
die sechs Facetten auch von der Mehrheit des Lehrpersonals genannt werden, inwiefern sie
auch in der Breite vorkommen und wenn ja, wie sie sich verteilen. Die offene Frage Nr. 1
zielte darauf ab, die kreative Leistung von Studierenden zu erfassen, also was die Befragten
als kreative Leistung ihrer Studierenden auffassen. Der Begriff „Leistung“ wurde gewählt, um
die Begriffe kreatives Denken und kreatives Handeln nicht im Vorfeld unterscheidbar zu
machen. Die Befragten hatten also die Aufgabe, die kreativen Produkte oder Prozesse
anzugeben; es konnten pro Befragtem/Befragter maximal drei Beispiele angegeben werden.
Im weiteren Verlauf mussten sie ihre offenen Angaben den aus der qualitativen Studie
identifizierten sechs Facetten zuordnen. Hierbei gab es auch die Antwortmöglichkeit „trifft
nicht zu“.
Die Ergebnisse zeigen, dass alle sechs Facetten genannt werden. Nur 1,5 % von 587
angegebenen, offenen Antworten konnten aus subjektiver Sicht der Befragten nicht
zugeordnet werden. Die Verteilung der sechs Facetten fällt ziemlich gleichwertig und damit
positiv überraschend aus.
Seite 144 | Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre
Abbildung 2: Verteilung der sechs Facetten der Kreativitätsförderung (nach Häufigkeit sortiert)
Jun.-Prof. Dr. Isa Jahnke
Technische Universität Dortmund
Hochschuldidaktisches Zentrum2
Abb. 2 - Zuordnung der offenen Items zu den 6 Facetten
62,2
55,7
55,5
50,4
47,2
41,6
1,5
Facette 2:
selbständiges Arbeiten
Facette 6: originelle,
völlig neue Ideen
Facette 5:
neue Denkkultur
Facette 1:
reflektierendes Lernen
Facette 4:
kreierendes Lernen
Facette 3: Begeisterung,
Lernmotivation fördern
trifft nicht zu n=587, Mehrfachantworten
Prozentangaben
Facette 2 „Förderung des selbstständigen Arbeitens“ (Studierende lernen, Lernprozesse
eigenverantwortlich zu steuern und treffen selbstständig Entscheidungen) wird mit mehr als
60 % am häufigsten genannt. Die Facetten 6 (originelle, noch nicht da gewesene Ideen), 5
(neue Denkkultur) und 1 (reflektierendes Lernen) werden zu 50 bis 55 % genannt. Es liegen
hier Mehrfachnennungen vor, da ein zuvor von den Befragten genanntes Item mehr als einer
Facette zugeordnet werden konnte. Die sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der
hochschulischen Lehre werden alle erwähnt. Jedoch sind kleinere Unterschiede vorhanden:
Facette 2 wird von 62 % der Befragten häufiger erwähnt als Facette 3 (42 % der Befragten).
Die Nennungen der kreativen Leistungen sind überraschend breit. Im Folgenden werden
einige Angaben der Befragten exemplarisch aufgeführt.
Facette 1: Förderung des reflektierenden Lernens
„Intensive Beschäftigung mit dem Thema über die 90 Minuten Unterricht heraus“;
„Nachfragen/Anregungen/Weiterdenken in den Veranstaltungen“; „logisch schluss-
folgern“; „Weiterentwicklung eines Gedankens“
„Studierende können theoretische Begriffe angemessen auf Alltagsbeispiele
beziehen“; „Die geistige Verknüpfung des aus vorangegangenen Semestern
gelernten Wissens mit dem neu gelernten Stoff“; „Studierende kombinieren mehrere
verschiedene Konzepte/Theorien zu einem sinnvollen Ganzen“
„Erkennen von Mängeln bzw. Lücken in vorhandenen Problemlösungen“;
„Detektivische Prüfung bzw. Hinterfragung von getroffenen Aussagen anderer“;
„Ziehen vor Querverbindungen“; „Identifizieren von relevanten Fragen“
Facette 2: Förderung des selbstständigen Arbeitens (Studierende darin fördern, Lern-
prozesse eigenverantwortlich zu steuern)
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 145
„Eigeninitiative“; „Selbstständiges Aufarbeiten der Vorlesung mithilfe von selbst zu-
sammengestellten, weiterführenden Materialien, z.B. aus Lehrbüchern/Forschungs-
artikeln“; „Das selbstständige methodische Vorgehen bei Abschluss-Arbeiten“
„Eigene Themenfindung“; „Eigene Quellensuche für Vortrag“; „Selbstständig unter
Nutzung verschiedener Suchwege und -modi einigermaßen brauchbare
Forschungsstände zu recherchieren“; „Selbstständiges Finden von Lösungen zu
Problemstellungen […].“; „Eigenständige Forschungsleistung, z.B. Fallstudie“;
„Eigene Ideen zur Erbringung von Studienleistungen/aktiven Teilnahmen“
„Ohne Hilfe des Dozenten in der Bewältigung des Unialltags kreativ zu sein, z.B.
wann sollte ich zu einem Dozenten in die Sprechstunde gehen, welche meiner
Arbeiten hat Priorität etc.“; „Nutzung von Freiräumen (organisatorische oder inhalt-
liche)“; „Entscheidungsspielräume nutzen“
Facette 3: Förderung der Forschungsneugier, Begeisterung, Lernmotivation
„Begeisterung für das Fachgebiet“; „Basierend auf Gelerntem weiterführende
Fragen stellen (Neugierde)“; „Lebhafte und kritische Diskussion mit den
Kommiliton(inn)en“
„Aktivierung der anderen Seminarteilnehmer(innen) (z.B. Bildung eines Experten-
gremiums, Initiierung von Podiumsdiskussion)“; „Einbinden des Plenums bei
Referaten durch Spiele, Rollenspiele etc.“
„Bereitschaft, bessere als durchschnittliche Leistungen (Soll) zu erbringen“
Facette 4: Förderung des kreierenden Lernens (etwas "schaffen“)
„Homepages written by students as part of an E-Learning experiment in a Business
English class”
„Entwicklung einer Software-Architektur für ein Übungsprojekt“; „Studierende
schreiben eine Geschichte weiter, von der nur der Anfangssatz vorgegeben [ist] und
die Geschichte ist wirklich spannend, lustig, o.ä.“; „Spiele erfinden bzw. Spielregeln
modifizieren in einer spezifischen Lernsituation.“
„Statt einer Hausarbeit ein Screencast o.ä. erstellen“; „Studierende basteln ein
Kinderbuch (Literaturwissenschaft)“; „Erstellung von Flyern mit fiktiven Firmen als
Ansprechpartner, was über die Aufgabenstellung hinausging“; „[…] dass
Studierende anschauliche Zeichnungen zur Erläuterung chemischer Sachverhalte
anfertigen.“
Facette 5: Förderung einer neuen Denkkultur (Vielperspektivität)
„Denken, outside the box“; „Querdenken.“; „Wegdenken“; „Raus aus den Standard-
Strategien bzw. Instrumenten“; „Die Fähigkeit, Probleme aus neuen Perspektiven zu
betrachten“; „Unkonventionelle Denkweisen“; „Vorhandene Theorien und Materialien
‚gegen den Strich„ zu lesen und einzusetzen.“
„Probleme, Sachverhalte aus einem Blickwinkel betrachten, der dafür bisher nicht
eingenommen wurde“; „Das phantasievoll-empathische Hineinversetzen in das
Denken von Menschen anderer Zeiträume“; „Der Blick über die Grenzen der
Seite 146 | Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre
Disziplin hinaus; die Einbindung unerwarteter Wissensbestände“; „Über den
Tellerrand hinausschauen“
„Eine ‚Podiumsdiskussion„, in der auch eine Position vertreten wird, die nicht der
eigenen Überzeugung entspricht.“; „Studierende sind bereit/fähig bekannte/
vorgegebene Denkweisen und Ideen zu verlassen und sich vorzustellen, dass etwas
auch ganz anders sein könnte als sie es bisher annehmen.“
Facette 6: Entwicklung völlig neuer, bisher unbekannter Ideen
„Angabe [einer] mir unbekannten Lösung für ein gestelltes Problem“; „Aus
bekanntem Neues erschließen“; „Neue Ideen und Fragestellungen aufwerfen“
„Entwicklung von außergewöhnlichen empirischen Methoden“; „Innovative
experimentelle Problemlösung“; „Umsetzung außergewöhnlicher Ideen“; „Neue
Ideen zu inhaltlichen Themen: bei Berufsfeldern ganz andere Wege aufzeichnen,
als die vorgegebenen, die auch so nicht in der Literatur bearbeitet werden, die aber
‚in der Luft„ liegen“
Neu ist, „wenn ein Student beim Betrachten einer Pflanze im botanischen Garten
eine Frage hat, die noch nie gestellt wurde, und wenn in einer Seminar-/BA-/MA-
Arbeit eine schlüssige Antwort über die konkrete Frage hinausreichende Relevanz
findet“
Die Zuordnung der offenen Antworten zu den sechs Facetten durch die Befragten wurde
nachträglich mithilfe von drei externen Personen inhaltlich überprüft. Die kommunikative
Inhaltsvalidierung fand durch eine intersubjektive Prüfung statt. Die Ergebnisse der drei
Personen sind sich ähnlich. Lediglich Facette 4 wurde von Person 2 etwas häufiger
zugeordnet als durch die anderen zwei Personen. Auffällig im Vergleich zu der Zuordnung
der Befragten ist, dass die drei Prüfer(innen) die genannten Items der Befragten weniger
häufig zu Facette 6 (originelle noch nie da gewesene Ideen) einordnen, dafür jedoch häufiger
die Facette 4 ausgewählt haben als es die Befragten getan haben (Abbildung 3). Die
befragten Lehrenden haben zu fast 18 % die Facette 6 gewählt, jedoch haben die
Prüfer(innen) die genannten Items lediglich zu 10 % der Facette 6 zugeordnet. Facette 4
(kreierendes Lernen) wurde von den Prüfer(inne)n im Durchschnitt zu 30 % genannt,
während die Befragten dies nur mit 15 % angaben.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 147
Abbildung 3: Inhaltsvalidierung – Verteilung der sechs Kreativitätsfacetten
Jun.-Prof. Dr. Isa Jahnke
Technische Universität Dortmund
Hochschuldidaktisches Zentrum3
Abb.3 Zuordnung der offenen Items zu den 6 Facetten
19,8
17,7
17,7
16,1
15
13,2
0,5
22,1
2,4
9,4
31,3
28,5
4,4
1,9
13,3
1,2
7
34,4
39,6
2,4
2,1
18,5
7,8
10,7
28,4
25,1
5,5
4,1
Facette 2
Facette 5
Facette 1
Facette 4
Facette 3
trifft nicht zu n=587, Prozentangaben
Alle 6 Facetten pro Person=100%
Facette 6
Schwarz=Befragte
Dunkelgrau=Person 1
Hellgrau=Person 2
Weiß=Person 3
(nach Häufigkeit der Befragten sortiert: schwarzer Balken)
Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Das Item „Wiss. (Haus)arbeiten oder Referate, denen
man ansieht, dass sie nicht nach Schema 08/15 geschrieben wurden, sondern der
Studierende der Arbeit auch eine individuelle Note gegeben hat“ wird von der/dem Befragten
zu Facette 6 zugeordnet, jedoch von den Prüfer(inne)n zu Facette 4.
Die Schwankungen der Angaben zwischen Prüfer(inne)n und tatsächlichen Befragten sind
erklärbar. Anscheinend gibt es ein unterschiedliches, kognitives Verständnis darüber, was
als „originelle, neue Idee“ verstanden wird. So haben die Prüfer(innen) die genannten Items
eher der Facette 4 („etwas erzeugen“) zugeordnet, wobei die Befragten ihre eigenen Items
bereits als originelle, neue, noch nie dagewesene Ideen und daher zu Facette 6 einordnen.
Dieses unterschiedliche Zuschreibungsverhalten kann auch dadurch erklärt werden, dass die
Befragten mit den von ihnen genannten Items etwas anderes verbinden als es rein von den
geschriebenen Worten explizit ausgesagt und von den Prüfer(inne)n verstanden wird.
4.2. Fachkulturelle Unterschiede
In den qualitativen Interviews (Welle 1/2) wurden erste fachkulturelle Unterschiede deutlich.
Anscheinend bedeutet Kreativitätsförderung in der Informatik eher produktorientiert zu sein,
d.h. hier werden verstärkt die Förderziele 4 bis 6 in den Blick genommen, während die
Pädagogik eher prozessorientiert ist und vor allem die Förderziele 1 bis 3 fokussiert. Die
Daten der Welle 3 des teilstandardisierten Fragebogens stützen diese Unterschiede auf den
ersten Blick jedoch nicht. Es gibt nur wenige Unterschiede zwischen Mathematik/
Naturwissenschaften, Sprach-/Kultur- und Rechts-/Wirtschafts-/Sozialwissenschaften. Die
Zuordnungen der offenen Items zu den sechs Facetten der Kreativitätsförderung weichen
nur minimal ab (Abbildung 4). Bei genauerer Betrachtung gibt es aber Hinweise, dass
Seite 148 | Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre
signifikante Zusammenhänge bestehen können. Aufgrund der geringen Fallzahl in den
Fächergruppen können keine klaren Aussagen gemacht werden.
Abbildung 4: Facetten der Kreativitätsförderung – Verteilung nach Fächergruppen
Jun.-Prof. Dr. Isa Jahnke
Technische Universität Dortmund
Hochschuldidaktisches Zentrum4
Abb .4 Zuordnung der offenen Items zu den 6 Facetten
19,8
17,7
17,7
16,1
15,0
13,2
0,5
Facette 2
Facette 6
Facette 5
Facette 1
Facette 4
Facette 3
trifft nicht zu
18,9
16,7
17,9
15,5
15,2
15,5
0,5
22,9
19,1
15,7
16,0
15,7
10,3
0,3
20,2
16,2
16,8
18,3
14,6
13,4
0,6
Sprach- und Kulturwissenschaften
über alle Fächer Mathematik, Naturwissenschaften
Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Facette 2
Facette 6
Facette 5
Facette 1
Facette 4
Facette 3
trifft nicht zu
(Prozentangaben, n = 587; nach Häufigkeit „über alle Fächer“ sortiert)
4.3. Frage Nr. 3: Inwiefern werden die sechs Facetten in der Lehre umgesetzt?
Ca. 50 % der Befragten geben an, die Facetten 1 bis 4 auf dem Lehrplan zu haben. Die
Facetten 5 und 6 werden nur von 30 % bzw. 20 % der Lehrenden als „mache ich schon“
angegeben.
Zusätzlich wurde erhoben, ob die befragten Lehrenden einzelne Facetten in der eigenen
Lehre mehr als bislang fokussieren möchten. Dieses Bild fällt überraschend positiv aus
(Abbildung 5). Die Facetten 5 (neue Denkkulturen) und 6 (Förderung neuer Ideen) werden
jeweils von rund 70 % der Befragten genannt. Immerhin fast die Hälfte der Befragten würden
gerne die Facetten 2, 3 und 1 mehr als bisher in der eigenen Lehre fördern. Einer verstärkten
Förderung der Facette 4 (kreierendes Lernen) stimmen 35 % zu.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 149
Abbildung 5: Weiterbildungs-/Qualifizierungsbedarf
Jun.-Prof. Dr. Isa Jahnke
Technische Universität Dortmund
Hochschuldidaktisches Zentrum27
F3: „möchte ich (mehr) machen“
71,2
66,1
49,3
49,3
45,0
35,7
n=218, Prozentangaben
(Antworten: „Mache ich noch nicht, möchte es aber gerne“ &
„Mache ich schon, würde aber gerne mehr machen“)
Facette 2:
selbstständiges Arbeiten
Facette 6: originelle,
völlig neue Ideen
Facette 5:
neue Denkkultur
Facette 1:
reflektierendes Lernen
Facette 4:
kreierendes Lernen
Facette 3: Begeisterung,
Lernmotivation fördern
4.4. Kreativitätsfragebogen zur Lehrevaluation und Beispiele
Die sechs Facetten bilden ein breites Spektrum ab, mit denen die Kreativität von
Studierenden gefördert werden kann, was auf heterogene Kreativitätsverständnisse der
Lehrenden zurückzuführen ist, die ihrerseits geprägt sind durch unterschiedliche disziplinäre
Einflüsse, weltanschauliche Positionen und verschiedenartige Lehr-/Lernsituationen. Für
Lehrende in Grundlagenvorlesungen der Physik oder Betriebswirtschaftslehre ist es bspw.
ein wertvoller Erfolg, wenn sie über eine entsprechende Gestaltung der Veranstaltung dazu
beitragen, das reflektierende Denken oder selbstständige Lernen ihrer Studierenden zu
fördern. Lehrende in kleinen Seminaren mit großen Freiräumen in vielleicht sogar
gestaltenden Disziplinen wie der Architektur oder Informatik haben hingegen eher die
Möglichkeit, in ihren Veranstaltungen eine neue Denkkultur oder die Empfänglichkeit der
Studierenden für originelle, gänzlich neue Ideen zu fördern. Dennoch ist auch Letzteres
schlecht ohne reflektierend denkende und selbstständig arbeitende Lernende möglich,
insofern schließen sich die sechs Facetten nicht untereinander aus, sondern bauen vielmehr
aufeinander auf.
Das 6-Facetten-Modell lässt sich verwenden, indem sich Lehrende zwei Fragen stellen:
Hinsichtlich welcher Facette kann/möchte ich die Kreativität meiner Studierenden
fördern?
Wie kann ich das in meinem Kontext erreichen?
Aus den sechs Facetten wurde ein Lehrevaluationsfragebogen entwickelt, der Lehrende
darin unterstützt festzustellen, ob und wenn ja, welche der sechs Facetten in ihrer Lehre
bereits gefördert werden. Im Vorfeld definiert die/der Lehrende fachliche und kreativitäts-
fördernde Ziele gemäß den sechs Facetten und entwickelt ein angemessenes didaktisches
Konzept für die zu fördernde Facette 1 bis 6 (oder mehrere). Im Anschluss an die
Lehrveranstaltung kann der entwickelte Kreativitätsförderungsfragebogen genutzt werden,
um die subjektiven Ansichten der Studierenden zu erfassen und mithilfe des Fragebogen-
Seite 150 | Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre
instruments zu untersuchen, ob die vorab anvisierten Facetten auch tatsächlich in der
Lehrveranstaltung gefördert wurden.
Soll bspw. Facette 4 (kreierendes Lernen) gefördert werden, können in Ergänzung zu dem
Fragebogen auch die erstellten Produkte und/oder Prozesse der Studierenden zur
Bewertungsgrundlage herangezogen werden, um Kreativität zu evaluieren. Da Kreativität
höchst subjektiv ist, ist es bei dieser Form der Evaluation wichtig, dass mehrere Personen
die Kreativität bewerten: So sollten sowohl die/der Lehrende, die Studierenden als auch die
Lerngruppe eine Einschätzung abgeben, um die unterschiedlichen Wahrnehmungen, was/
wem als kreativ zugeschrieben wird, zu erfassen.
Der Fragebogen1 wurde im Rahmen des Projekts DaVinci mehrmals eingesetzt. Zum
Beispiel ist er in der Informatik (in der Veranstaltung „Informatik & Gesellschaft“, SoSe 2010)
sowie in der Fakultät für Erziehungswissenschaften und Soziologie in der Veranstaltung
„Lebensphasen & Lebensformen“ (SoSe 2010) zur Anwendung gekommen. Die
Rekonzipierung von „Informatik & Gesellschaft“ ist an anderer Stelle veröffentlicht
(Jahnke/Haertel/Mattick/Lettow 2010).
5. Zusammenfassung und Ausblick
In diesem Beitrag haben wir bisherige essenzielle Erkenntnisse aus dem DaVinci-Projekt
vorgestellt. Die Herausforderung bestand darin, Kreativität in einem bestimmten Kontext
(hier: Hochschullehre) zu definieren. Vor diesem Hintergrund erschien es angebracht,
zunächst die vorliegenden subjektiven Kreativitätskonzepte von ausgewiesenen Lehrenden
in Erfahrung zu bringen. Statt die Förderung von Kreativität von vornherein auf einzelne
Aspekte zu beschränken, wurden die teils unterschiedlichen Kreativitätsverständnisse der
Interviewpartner(innen) zusammengetragen. So ist ein Rahmenkonzept zur Kreativitäts-
förderung an Hochschulen insbesondere zur Gestaltung kreativitätsförderlicher Lernkulturen
entstanden. Es kann zur Reflexion und Anleitung dienen, Kreativitätsförderung an
unterschiedlichen Stellen in der Lehre zu integrieren.
Im Fokus der Kreativitätsförderung stehen sechs Kreativitätsfacetten, die aus Forschungs-
stand und empirischen Befunden abgeleitet wurden:
Die Entwicklung origineller, völlig neuer Ideen;
Die Förderung einer neuen Denkkultur;
Die Förderung kreierenden Lernens;
Die Förderung der (Forschungs-)Neugier und Begeisterung, Steigerung der Lern-
motivation;
Die Förderung selbstständigen Arbeitens;
Die Förderung reflektierenden Lernens.
In einer Onlinebefragung aller Lehrenden an den UAMR-Universitäten Bochum, Dortmund
und Duisburg-Essen wurde geprüft, ob die sechs in den Interviews identifizierten Facetten
auch den Kreativitätsverständnissen einer größeren Anzahl von Lehrenden entsprechen.
1 Online verfügbar unter http://www.hdz.tu-dortmund.de/fileadmin/Projekte/davinci/Lehrevaluationsbogen-
Kreativitaet-jahnke-haertel-2010.pdf.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 151
Tatsächlich hatten die Lehrenden hierbei keine Schwierigkeiten, von ihnen als kreativ
empfundene Leistungen ihrer Studierenden den sechs Facetten zuzuordnen. Mit den sechs
Facetten gelingt es demnach, die pluralistischen Kreativitätsverständnisse der Lehrenden
nahezu vollständig abzudecken. Gleichzeitig ergab die Umfrage auch, dass Lehrende an der
UAMR schon viel für die Kreativitätsförderung in ihrer Lehre tun, andererseits aber auch
gerne noch mehr machen möchten.
Um diese Einschätzung der Lehrenden in Bezug auf die Kreativitätsförderlichkeit der Lehre
mit den Wahrnehmungen der Studierenden abzugleichen, wurde im Herbst 2010 ein Online-
fragebogen für Studierende entwickelt. Der Fragebogen zielte darauf ab, die Angaben der
Lehrenden mit den Angaben der Studierenden zu vergleichen was a) eine kreative Leistung
im Studium ist und b) inwiefern welche Formen der Kreativitätsförderung bereits in der Lehre
fokussiert oder umgesetzt werden. Die Daten werden zurzeit ausgewertet und die
Ergebnisse demnächst veröffentlicht.
Darüber hinaus wurde auf der Basis des Rahmenmodells eine Weiterbildungsveranstaltung
für Lehrende konzipiert und bereits 3-mal durchgeführt. Auch zu diesen Ergebnissen wird
aktuell eine Publikation vorbereitet.
Literatur
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Assessing: A Revision of Bloom's Taxonomy of Educational Objectives. New York.
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Jahnke, I./Haertel, T. (2010): Kreativitätsförderung in der Hochschule – ein Rahmenkonzept.
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Jahnke, I./Haertel, T./Mattick, V./Lettow, K. (2010): Was ist eine kreative Leistung
Studierender? Medien-gestützte kreativitätsförderliche Lehrbeispiele. In: Engbring, D./Keil,
R./Magenheim, J./Selke, H. (Hg.): HDI2010 – Tagungsband der 4. Fachtagung zur
»Hochschuldidaktik Informatik«. Potsdam, S. 87-92.
Lenk, H. (2000): Kreative Aufstiege: zur Philosophie und Psychologie der Kreativität.
Frankfurt am Main.
Sonnenburg, S. (2007): Kooperative Kreativität: theoretische Basisentwürfe und
organisationale Erfolgsfaktoren. Wiesbaden.
Ullrich, W. (2006): Was war Kunst? Biographien eines Begriffs. 2. Aufl. Frankfurt am Main.
Seite 152 | Sechs Facetten der Kreativitätsförderung in der Lehre
Wagner, W. (2010): Tatort Universität. Vom Versagen deutscher Hochschulen und ihrer
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Watson, E. (2007): Who or What Creates? A Conceptual Framework for Social Creativity. In:
Human Ressource Development Review, H. 4 (6), S. 419-441.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 153
Subjektive Kreativitätsverständnisse bei Lehrenden an der Universität. Erziehungswissenschaft und Informatik
im Vergleich. Eine empirische Studie.
Angela Carell, Alexandra Frerichs
Abstract
Die Hochschullehre in Deutschland ist zurzeit mit dem Bologna-Prozess großen
Veränderungen und Anpassungsprozessen unterworfen. Im Rahmen dieser Anpassungen
besteht die Möglichkeit Lehr-/Lernszenarien zu entwickeln, um die Wettbewerbsfähigkeit
deutscher Studierender auf den globalisierten Märkten zu verbessern. Dazu gehört unserer
Ansicht nach die Fähigkeit Probleme kreativ zu lösen, um innovative Lösungen oder
Produkte zu entwickeln. Um die vorherrschende Bedeutung von kreativitätsfördernder Lehre
an deutschen Hochschulen und die Wahrnehmung der Lehrenden bezüglich ihrer eigenen
Kreativität und die der Studierenden zu ermitteln, wurden Lehrende der Fachrichtungen
Informatik und Erziehungswissenschaften an drei Universitäten befragt, und zwar in Form
von qualitativen Interviews und einer Onlinebefragung. Die Ergebnisse zeigen, dass die
Lehrenden ein gutes Arbeitsklima als wichtige Grundlage für Kreativität ansehen, aber nur 60
% in ein solches Klima eingebettet sind. Von ihren Studierenden erwarten die Befragten nur
zu einem kleineren Teil neue und originelle Lösungen oder das Aufwerfen neuer Fragen.
Wesentlich häufiger charakterisieren sie Leistungen als kreativ, die darauf gerichtet sind, ein
Problem oder einen Inhalt zu verstehen, zu durchdringen und Gewohntes zu hinterfragen.
Fachkulturelle Unterschiede zeigen sich vor allem in Kreativitätskonzepten, die auf das
Entstehen von etwas Neuem abzielen. Hier herrscht in der Informatik ein eher lösungsorien-
tierter, in der Erziehungswissenschaft ein eher entdeckend-forschungsorientierter
Kreativitätsansatz vor. In der Erziehungswissenschaft liegt darüber hinaus ein großer
Schwerpunkt im Bereich Methodenkreativität.
1. Einleitung
Wissenschaftler(innen) und Zukunftsforscher(innen) sehen in der Förderung von Kreativität
eine wichtige Voraussetzung und Ressource für die Transformation unserer Gesellschaft in
Richtung einer „kreativen Wissensgesellschaft“ (Davenport 2005; Florida 2002).
Universitäten kommt hier eine besondere Bedeutung zu, denn sie bilden die (kreativen)
Wissensarbeiter(innen) von Morgen aus. Diese Bedeutung zeigt sich nicht zuletzt in der
universitären Lehre bzw. in den Forschungen über Lehre. So gibt es eine Vielzahl von
Beispielen guter und ausgezeichneter Lehre, von strukturierten hochschuldidaktischen
Angeboten zur Förderung der Qualität der Lehre und von Forschungs- und Interventions-
projekten, die die Verbesserung der Lehre an Hochschulen allgemein bzw. die Gestaltung
kreativitätsförderlicher Lehr-/Lernszenarien im Besonderen in den Blick nehmen (Projekt
DaVinci; www.projekt-davinci.de).
Didaktische Szenarien sind die eine, notwendige Seite der Förderung von Kreativität. Das
wahrgenommene Verhalten der Lehrenden und ihre Unterstützung für Kreativitätsprozesse
ist die andere, vielleicht sogar bedeutendere Seite. So belegen Studien zu Kreativität und
Führungsverhalten, dass eine aktivierende Führung (Amabile et al. 2004; Jung/Avolio 1999)
und bestimmte Instruktionsstile (Ruscio/Amabile 1999) wesentlichen Einfluss auf das
Seite 154 | Subjektive Kreativitätsverständnisse bei Lehrenden an der Universität
kreative Verhalten bzw. auf kreative Problemlöseprozesse haben. West (2002) hebt darüber
hinaus den Einfluss von Aufgabencharakteristika, der Gruppenzusammensetzung, von
Gruppenprozessen und von sogenannten „external demands“ auf die Kreativität
insbesondere von Teams hervor.
Um kreativitätsförderliches Lehrverhalten in universitären Lehr-/Lernkontexten zu erforschen,
lassen sich prinzipiell zwei Wege differenzieren: Zum einen können Studierende nach ihrer
subjektiven Meinung zum Leitungsverhalten der Lehrenden befragt werden. Diese
subjektiven Wahrnehmungen sind entscheidend, ob ein kreativitätsförderliches Klima
aufgebaut werden kann, dies belegen Studien zum Führungsverhalten allgemein und zum
Führungsverhalten im Hinblick auf Kreativität im Besonderen. Zum anderen gehen wir davon
aus, dass Subjektive Theorien und Haltungen zu Kreativität und Kreativitätsförderung
maßgeblichen Einfluss darauf haben, inwieweit Lehrende bereit sind, Studierende mit
kreativitätsförderlichen didaktischen Szenarien und Aufgabenstellungen zu konfrontieren
bzw. sie zur Entwicklung kreativer Lösungen herauszufordern. In unserer Studie haben wir
den letztgenannten Weg eingeschlagen und Lehrende dreier Universitäten aus den
Fachgebieten Informatik und Erziehungswissenschaft nach ihren subjektiven Konstruktionen
zu Kreativität im Lehr-/Lernkontext befragt. Bevor diese Studie und ihre Ergebnisse näher
dargestellt werden, wird im folgenden Abschnitt zunächst der Versuch unternommen,
Kreativität im Kontext hochschulischer Lehr-/Lernprozesse näher zu charakterisieren.
2. Kreativität – Bestimmung eines unbestimmten Phänomens
Kreativität ist ein Konstrukt, für das es keine einheitliche Definition gibt. Der Minimalkonsens
der divergierenden Begriffsbestimmungen besteht jedoch darin, dass durch Kreativität etwas
Neues und Nützliches bzw. Wertvolles hervorgebracht wird (z.B. Sternberg 2006). So
definiert Amabile (1997) Kreativität allgemein als die Produktion neuartiger und
angemessener Ideen in jedem Bereich menschlicher Aktivität. Unter neu versteht sie
Leistungen oder Ideen, die von dem abweichen, was bisher getan oder gedacht wurde. Als
angemessen bezeichnet sie Ideen, die nicht absurd sind und zu einer Lösung eines
Problems bzw. einer Aufgabenstellung beitragen oder im Rahmen einer spezifischen
Gelegenheit genutzt werden können. Doch diese Betrachtungsweise führt in ein Dilemma:
So kann etwas neu sein im Sinne eines „noch nie Dagewesenen“ oder es kann bezogen auf
einen bestimmten Kontext oder Bezugsrahmen neu sein. Entsprechend differenzieren Hutter
et al. (2010, S.11) zwischen „Novelty“ (neu im Rahmen eines Bezugssystems) und
„Newness“ (neu im Sinne eines „noch nie Dagewesenen“). Im vorliegenden Beitrag
verstehen wir unter Kreativität in hochschulischen Lernprozessen und unter Bezugnahme auf
den o.g. „Novelty“-Begriff „Ideen oder Leistungen von Studierenden, die zu einer originellen
Lösung eines Problems oder einer Aufgabenstellung führen und/oder die einen reichhaltigen
fachspezifischen Kontext erzeugen und so neue Problem- oder Fragestellungen eröffnen“
(vgl. Carell/Schaller 2010).
Weitere Relativierungen des Neuigkeitsbegriffs ergeben sich, wenn Neuartigkeit nicht als
objektiv bestimmbar, sondern als soziale Konstruktion verstanden wird. Auf diese
Relationalität und Konstruiertheit des Begriffs verweist im Rahmen der Kreativitätsforschung
insbesondere Czikszentmihaly (1997). Nach diesem entscheiden vor allem Expert(inn)en
einer Wissensdomäne, ob etwas als kreativ zu kennzeichnen ist oder nicht. Im Hochschul-
kontext liegt diese Bewertungshoheit bei den Lehrenden, die als Expert(inn)en den Zugang
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 155
zu einem bestimmten Wissensgebiet (Domäne) überwachen und somit die Definitionsmacht
besitzen, Leistungen von Studierenden als kreativ oder nicht kreativ einzustufen. Darüber
hinaus schaffen sie mit ihren Lehrangeboten selbst die Rahmenbedingungen bzw. den
Kontext, der das Hervorbringen kreativer Leistungen begünstigt oder hemmt.
Welche Leistungen Lehrende als kreativ bezeichnen und wie sie die Hervorbringung solcher
Leistungen befördern, hängt u.E. wesentlich von ihren Subjektiven Theorien ab, was genau
sie unter Kreativität verstehen. Diese Vorstellungen werden dabei einerseits durch
individuelle Erfahrungen geprägt, die Lehrende im Laufe ihrer individuellen und beruflichen
Sozialisation gemacht haben. Andererseits sind Lehrende an Hochschulen immer auch
institutionell und/oder inhaltlich-fachlich spezifischen Fächern bzw. wissenschaftlichen
Disziplinen zugeordnet. Diese prägen sogenannte „teaching and learning regimes (TLR)“ aus
(Trowler 2009). Darunter wird ein Set bzw. eine Konstellation an “rules, assumptions,
practices and relationships related to teaching and learning issues in higher education“
verstanden (ebd., S. 1). Es kann in diesem Zusammenhang deshalb angenommen werden,
dass die individuellen Kreativitätsverständnisse von Lehrenden auch durch disziplin-
spezifische TLR beeinflusst werden. Im Gegensatz dazu wird in der Kreativitätsforschung ein
disziplinübergreifender Ansatz verfolgt, der disziplinspezifische Unterschiede im
Kreativitätsverständnis wenn nicht negiert so doch nicht thematisiert. Die Frage nach dem
subjektiven Kreativitätsverständnis von Lehrenden muss deshalb um Aspekte ihre jeweiligen
„teaching and learning regimes“ erweitert werden.
3. Fragestellung und methodisches Vorgehen
3.1. Fragestellungen
Übergeordnetes Ziel der hier vorliegenden Studie ist es, die individuellen Konzepte und
Einstellungen von Hochschullehrenden zu Kreativität im Kontext hochschulischer Lehr-/
Lernprozesse zu erfassen. Darüber hinaus soll der Frage nach disziplinspezifischen
Gemeinsamkeiten und Besonderheiten (im Sinne von „teaching and learning regimes“)
nachgegangen werden. Im Einzelnen interessieren uns die folgenden Fragen:
1. Für wie kreativitätsförderlich halten Lehrende ihren eigenen Arbeitskontext (Frage
nach dem Kreativitätsklima im Arbeitskontext)? Wir gehen von einem ganzheitlichen
Ansatz von Kreativität und Kreativitätsförderung aus und fokussieren den Lehrenden
als eine Person, die selber in einen spezifischen Arbeitskontext eingebunden ist, der
ihre Kreativität fördert bzw. hemmt. In Anlehnung an Trowler (2009) gehen wir dabei
davon aus, dass Lehrende diese Erfahrungswelt in ihre Lehr-/Lernkontexte
einbringen. Entsprechend interessiert uns zum einen, welche Rolle das direkte
Team, in das die Befragten eingebunden sind, für ihre Kreativität spielt. Zum
anderen ist für uns von Interesse, wie die Befragten das Kreativitätsklima in ihrem
Arbeitskontext generell einschätzen.
2. Was macht eine kreative Leistung von Studierenden aus? Die Möglichkeit von
Studierenden, ihre kreativen Potenziale entfalten und ausdifferenzieren zu können,
hängt – wenn man die Kontextabhängigkeit von Kreativität akzeptiert – auch von
den subjektiven Kreativitätskonzepten der Hochschullehrenden ab. So gehen wir
davon aus, dass diese subjektiven Vorstellungen beeinflussen, was Lehrende als
kreative Leistungen ihrer Studierenden bezeichnen. Sie spiegeln gleichzeitig die
Erwartungshaltung der Lehrenden an die Studierenden wider.
Seite 156 | Subjektive Kreativitätsverständnisse bei Lehrenden an der Universität
3. Sind kreative Leistungen von Studierenden aus Sicht der Lehrenden an eine
besondere fachliche Expertise geknüpft? Die fachliche Expertise stellt eine
wesentliche Grundvoraussetzung dar, um etwas Kreatives auf einem bestimmten
Fachgebiet leisten zu können: „Expertise is the foundation for all creative work. It
can be viewed as the set of cognitive pathways that may be followed for solving a
given problem or doing a given task – the problem solver's „network of possible
wanderings‟“ (Amabile 1997). In Lehr-/Lernkontexten geht es bei der Erbringung von
kreativen Leistungen jedoch immer auch darum, die spezifische Art des kreativen
Denkens zu erlernen und auf der Basis der jeweiligen fachlichen Kompetenzen zu
erproben. Entsprechend interessiert bei dieser Frage, inwieweit Hochschullehrende
kreative Leistungen von Studierenden an ein bestimmtes Maß an fachlicher
Expertise knüpfen oder nicht.
Darüber hinaus interessieren uns die beiden folgenden Fragen, die quer zu den Fragen eins
bis drei liegen:
4. Gibt es disziplinbezogene Unterschiede im Kreativitätsverständnis? Die
Unterschiedlichkeit der an den Hochschulen vorhandenen „teaching and learning
regimes“ lassen die Vermutung zu, dass diese sich auch bezüglich ihrer
Kreativitätskonzepte unterscheiden. Im Kontrast zu dieser Annahme steht die
Kreativitätsforschung, die unabhängig vom Anwendungsbereich Kreativitäts-
prozesse entwickelt und erprobt hat.
5. Welche Einstellungen und Konzepte haben Spitzenforscher(innen) hinsichtlich
kreativitätsförderlicher Lehre und unterscheiden sich diese von anderen Hochschul-
lehrenden? Hinter dieser Frage steht die Annahme, dass Spitzenforscher(innen)
durch ihre starke Forschungsorientierung andere Konzepte von Kreativitäts-
förderung in der Lehre haben als solche Professor(inn)en, zu deren Hauptaufgaben
es gehört, Lehrveranstaltungen durchzuführen.
3.2. Methodisches Vorgehen
Die o.g. forschungsleitenden Fragestellungen wurden in zwei aufeinander aufbauenden
Erhebungswellen untersucht: In der ersten Welle wurden 22 qualitative Intensivinterviews
mit Professor(inn)en durchgeführt (anfallende Stichprobe), die vorwiegend dem naturwissen-
schaftlichen bzw. informatischen Bereich angehören.
Elf Interviews wurden mit Spitzenforscher(inne)n unterschiedlichster Fachrichtungen geführt,
die im gesamten Bundesgebiet, den USA und der Schweiz an Hochschulen und Forschungs-
einrichtungen tätig sind (vgl. Tabelle 1). Als Spitzenforscher(in) werden im Rahmen dieser
Arbeit solche Wissenschaftler(innen) bezeichnet, die aufgrund herausragender Forschungs-
leistungen offiziell mit einem Preis, insbesondere dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis,
ausgezeichnet wurden. Weitere elf Interviews wurden mit Professor(inn)en der
Universitätsallianz Metropole Ruhr (UAMR), d.h. der Universitäten Bochum, Dortmund und
Essen-Duisburg geführt, welche im Fach Informatik lehren und forschen (im Folgenden
nennen wir diese Gruppe zur besseren Unterscheidung die „Breitenforscher(innen)“1).
1 Die Begriffe Spitzenforscher(innen) und Breitenforscher(innen) schließen männliche und weibliche Forschende
ein. Gleichzeitig soll mit dieser Bezeichnung keine Wertung vorgenommen werden. Sie dient hier lediglich dazu, die unterschiedlichen Gruppen leichter zu differenzieren.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 157
Die Befragungen wurden als leitfadengestützte, problemzentrierte Intensivinterviews
durchgeführt (Witzel 2000). Die Interviews wurden in einem Zeitraum von drei Monaten
mündlich bei den Befragten durchgeführt (vgl. Tabelle 1).
In der zweiten Erhebungswelle wurden zentrale Aspekte und Thesen der Intensivbefragung
aufgegriffen und einer größeren Gruppe von Lehrenden zur Beantwortung vorgelegt. Die
Befragung wurde in Form einer schriftlichen Onlineerhebung realisiert. Die Online-Befragung
konzentrierte sich dabei auf zwei Fachgebiete (Informatik und Erziehungswissenschaft), um
fachkulturelle Einflussfaktoren auf die Einstellung zu Kreativität und kreativitätsförderlichen
Lehr- und Lernmethoden zu eruieren (Frage 4).
Im Rahmen der Online-Befragung wurden alle Lehrenden (Professor(inn)en, wissen-
schaftliche Angestellte) aus den Bereichen Informatik und Erziehungswissenschaft an drei
Universitäten per E-Mail angeschrieben und um Teilnahme gebeten. Insgesamt wurden 683
Lehrende kontaktiert, wobei elf E-Mails nicht zugestellt werden konnten, sodass die
Grundgesamtheit 672 Personen umfasste. Davon haben sich 178 Personen an der
Erhebung beteiligt, was einer Rücklaufquote von 26,48 % entspricht2. Weitere wesentliche
Charakteristika der Stichprobe sind in Tabelle 2 aufgeführt.
2 Nach einer Studie von Batinic (2000) variiert die Rücklaufquote zwischen den von ihm analysierten
Onlinebefragungen von 6% bis 73%.
Seite 158 | Subjektive Kreativitätsverständnisse bei Lehrenden an der Universität
Tabelle 1: Übersicht über die Interviews der ersten Erhebungswelle3
4. Ergebnisse
Die folgende Darstellung der Untersuchungsergebnisse orientiert sich an den weiter oben
spezifizierten forschungsleitenden Fragestellungen. Die übergreifenden Fragen nach fach-
kulturellen Unterschiede (Frage 4) bzw. nach Unterschieden in den Einschätzungen von
Spitzen- und Breitenforscher(inne)n (Frage 5) werden jeweils bei den inhaltsorientierten
Fragen mit diskutiert und bei der Diskussion der Ergebnisse im folgenden Abschnitt noch
einmal gesondert erörtert.
3 Die Interviewpartner(innen) sind gemäß ihrer Zuordnung in Spitzenforscher(innen) (Interviews 101 bis 111) und
Breitenforscher(innen) (Interviews 202 bis 211) kodiert. Interview 201 fehlt, da es aufgrund schlechter Aufnahmequalität nicht transkribiert werden konnte.
Interview-partner(in)
Fachdisziplin Dauer Zeichenlänge der Transkripte
Spitzen-forscher(innen)
101 Informatik 1:50:13 57279
102 Biologie 0:56:27 39615
103 Informatik 1:07:27 37953
104 Wirtschaftsinformatik 1:14:12 45751
105 Medizin 0:49:01 27535
106 Informatik 0:33:22 19634
107 Psychologie 0:41:08 26129
108 Informatik 0:49:12 32609
109 Informatik 1:02:32 27811
110 Physik 0:54:24 29151
111 Medizin 1:09:29 37586
im Durchschnitt 1:00:41 381053
Breiten-forscher(innen)
202 Informatik 1:14:22 53057
203 Informatik 0:38:22 17708
204 Informatik 1:01:31 37899
205 Informatik 1:11:32 38809
206 Informatik 0:51:49 22539
207 Wirtschaftsinformatik 0:40:25 30171
208 Informatik 1:12:32 66870
209 Wirtschaftsinformatik 1:22:21 81086
210 Informatik 1:13:55 43779
211 Informatik 0:41:04 30573
im Durchschnitt 1:00:47 422491
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 159
Frage 1: Kreativitätsklima an den Universitäten
In den Intensivinterviews sind sich die befragten Spitzen- und Breitenforscher(innen) einig,
dass ein gutes Kreativitätsklima zur Förderung der individuellen Kreativität und der Kreativität
von Gruppen wichtig ist. Sie sehen hier ihre Funktion darin, kreativitätsförderliche Impulse
ins Teams zu geben, indem sie die Rolle des „Brückenschlagers“ (Interviews 207, 111), des
Katalysators (Interview 103) oder des inhaltlichen Impulsgebers/der inhaltlichen Impuls-
geberin (Interviews 104, 111, 203) einnehmen, da sie aufgrund ihrer längeren Erfahrung
Inhalte besser verknüpfen bzw. in einen größeren Zusammenhang einbetten können
(Interview 111). Gleichzeitig betonen insbesondere die Spitzenforscher(innen) die positive
Wirkung ihrer Teams auf ihre eigene Kreativität und Motivation. Aus ihrer Sicht kann eine
Person, die „nicht im sozialen Kontext oder Netzwerk steht, nur sehr beschränkt kreativ sein“
(Interview 107). Die Breitenforscher(innen) betonen demgegenüber tendenziell eher die
unterstützende und entlastende Funktion ihres Teams im praktischen Arbeitsalltag. Hier
helfen die Mitarbeiter(innen) die Arbeit ein „wenig [zu] entzerren“ (Interview 206). Sie
erleichtern den Arbeitsalltag erheblich (Interview 210).
Tabelle 2: Überblick über die Stichprobe der quantitativen Onlinebefragung
Erziehungs-
wissensch. Informatik sonstige k. A.
X Gesamt Rest
Angeschriebene 277 345 50 / 672
Teilnehmende 40 40 5 93 178 85
Dauer der
Lehrtätigkeit
kürzer als 2 Jahre 11 9 0 20 20
2 bis 5 J. 9 11 3 23 23
6 bis 10 J. 14 13 0 27 27
mehr als 10 J. 7 5 2 14 14
k. Angabe 0 0 0 93 0
Alter
20 bis <30 12 10 1 23 23
30 bis <40 13 18 2 33 33
40 bis <50 7 3 0 10 10
50 bis <60 6 6 1 13 13
älter als 60 3 2 0 5 5
k. Angabe 0 1 0 94 1
Geschlecht
weiblich 24 7 3 34 34
männlich 16 31 2 49 49
Seite 160 | Subjektive Kreativitätsverständnisse bei Lehrenden an der Universität
k. Angabe 0 2 0 95 2
Position an der
Uni
Prof 5 7 2 14 14
Wimi 29 31 2 62 62
Lehrbeauftragte 4 1 0 5 5
k. Angabe 2 1 1 97 4
X = keine Angaben zu soziodemogr. Daten
Die Frage nach dem Kreativitätsklima haben wir auch in der quantitativen Onlinebefragung
gestellt. Dort haben wir die Lehrenden gebeten, das Kreativitätsklima in ihrem jeweiligen
Arbeitsbereich zu beurteilen. Bei der Messung haben wir uns dabei an der Klimametapher
orientiert (siehe Abbildung 1). Insgesamt bewerten 60 % aller Befragten das Kreativitätsklima
in ihrem Arbeitsbereich als heiter bis wolkig bzw. sonnig. Die übrigen 40 % halten es für
bewölkt (23,38 %) oder gar für regnerisch bzw. frostig (insgesamt gut 14 %). Differenziert
nach Fachbereichen ergibt sich bei den Befragten aus der Erziehungswissenschaft und aus
der Informatik ein vergleichbares Bild.
Abbildung 1: Einschätzung des Kreativitätsklimas
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 161
Frage 2: Was macht eine kreative Leistung von Studierenden aus?
Im Rahmen der Intensivbefragung beantworten die befragten Professor(inn)en die Frage,
was für sie eine kreative Leistung ausmacht, aus einer produkt- und prozessorientierten
Perspektive. So besteht für sie eine kreative Leistung von Studierenden in der Generierung
einer neuen Idee bzw. in der Schaffung von etwas Neuem. Diese Ideen können nach
Meinung unserer Interviewpartner(innen) dabei helfen, neue Ansätze, Methoden oder
Verfahren zu entwickeln, ein Problem zu identifizieren, eine andere Perspektive einzu-
nehmen bzw. etwas anders zu machen. Die Befragten weisen in diesem Kontext aber
daraufhin, dass sich die Art des „Endprodukts“ einer kreativen Leistung je nach fach- und
bzw. wissenschaftlicher Domäne unterscheiden kann. Der Prozess, der letztendlich ein
kreatives Produkt erzeugt, sei dagegen universell. In diesem Prozess ginge es vor allem um
das Querdenken, das Hinterfragen oder darum, Perspektivwechsel vornehmen zu können,
verschiedene Aspekte oder Themen, die bisher unverbunden waren, in einen neuen
Zusammenhang zu bringen, sich von ganz anderen Themengebieten anregen zu lassen etc.
Abbildung 2: Kategorisierung kreativer Leistungen in den Fächern Informatik und Pädagogik
Die Frage nach der kreativen Leistung haben wir auch in der quantitativen Onlinebefragung
gestellt. Die Befragten sollten dazu drei konkrete Leistungen von Studierenden in ihrem
Fachgebiet benennen, die sie als kreativ kennzeichnen würden (vgl. Abbildung 2).
Die angegebenen und als kreativ kategorisierten Leistungen sind dabei sehr breit gefächert
und reichen vom allgemeinen Problemverständnis über das kritische Hinterfragen hin zum
Suchen und Finden neuer Lösungen. Es werden ferner Aspekte der Lernhaltung und -
motivation ebenso unter dem Begriff „kreative Leistung“ subsummiert wie Kreativität in der
Präsentation von Inhalten (Methodenkreativität).
Hinsichtlich der untersuchten Fachdisziplinen ergeben sich sowohl Gemeinsamkeiten als
auch deutliche Unterschiede. An Gemeinsamkeiten zeigt sich, dass sich bei beiden
Problem-verständnis
Querbezüge Neues
entwickeln Haltung
Methoden-kreativität
Sonstiges
Informatik 16,09 14,94 24,14 35,63 0,00 9,20
Pädagogik 25,00 10,41 16,67 16,67 23,96 7,29
Gesamt 20,77 12,57 20,22 25,69 12,57 8,2
0,00
5,00
10,00
15,00
20,00
25,00
30,00
35,00
40,00
in P
rozen
t
Seite 162 | Subjektive Kreativitätsverständnisse bei Lehrenden an der Universität
Fachdisziplinen kreative Leistungen nicht nur auf das Finden neuer Lösungen beziehen,
sondern auch Leistungen als kreativ attribuiert werden, die sich auf ein vertieftes
Problemverständnis und kritisches Hinterfragen (Problemverständnis) und auf das Herstellen
von Querbezügen beziehen. Mit anderen Worten: Nur 24 % der Antworten der
Informatiker(innen) und knapp 17 % der Antworten der Erziehungswissenschaftler(innen)
beziehen sich darauf, dass unter Kreativität die Schaffung von etwas „Neuem“ zu sehen ist.
Der Großteil der Antworten aus beiden Disziplinen beschreibt dagegen Leistungen als
kreativ, die dem Finden neuer Lösungen vorgelagert sind (Problemverständnis, Querbezüge
herstellen) oder als eine Grundvoraussetzung für das Zustandekommen neuer Lösungen
(Haltung) angesehen werden. Gemessen an dem, was allgemein unter Kreativität
verstanden wird, zeigt sich, dass beide Fachdisziplinen deutlich dahinter zurückbleiben.
Unterschiede zwischen der Informatik und der Erziehungswissenschaft zeigen sich auf
quantitativer und qualitativer Ebene vor allem im Detail. Unter quantitativen Aspekten
verdeutlicht das Antwortverhalten, dass insbesondere die Informatik größeren Wert auf die
Entwicklung neuer Lösungen legt als die Erziehungswissenschaft, während bei letzterer
deutlich häufiger Antworten gegeben werden, die das kritische Hinterfragen oder den
Transfer von Ergebnissen auf andere Bereiche als kreative Leistungen bezeichnen.
Deutliche quantitative Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Kategorie Haltung. So
beziehen sich über 35 % der Antworten der Informatiker(innen), aber nur knapp 16 % der
Antworten der Erziehungswissenschaftler(innen) darauf, das Eigeninitiative, intrinsische
Motivation, selbstständiges Arbeiten und ein persönlicher Einsatz, der „ein bisschen über das
Geforderte hinausgeht“ als kreative Leistung zu betrachten sind.
Unter einer qualitativen Perspektive zeigt sich, dass im Bereich „Problemverständnis“ bei
den Pädagog(inn)en vor allem der Transfer bestehender Lösungen auf neue Anwendungs-
bereiche4 zu verstehen ist, während dies für den Bereich der Informatik eher nachrangig ist.
Die deutlichsten inhaltlichen Differenzen ergeben sich zwischen den beiden Disziplinen
jedoch hinsichtlich der Kategorien Methodenkreativität und dessen, was unter dem Begriff
neu verstanden wird (Neues entwickeln).
4 Transfer meint hier einen Sachverhalt oder eine Methode so zu Durchdringen, dass man sie auf andere
Bereiche übertragen kann. Es geht hier nicht darum, durch Transfer etwas Neues zu schaffen.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 163
Oberkategorie Kategorie n Prozent n Prozent n Prozent
Informatik Pädagogik
Proble
mve
rstä
ndnis
20,7738
Problemfeld beschreiben, analysieren 2 2,30 2 2,08
Kritisches Reflektieren 8 9,20 12 12,50
Transfer des Gelernten auf andere
Bereiche4 4,60 10 10,42
Proble
mve
rstä
ndnis
Querbezü
ge
20,7738
23 12,57
Offenheit (open minded) 0 0,00 8 8,33
Querdenken, Querbezüge zu anderen
Themen herstellen 13 14,94 2 2,08
Neues
entw
ickel
n
Querbezü
ge
23 12,57
37 20,22
Etwas Neues/ Eigene Ideen (5) 21 24,14 16 16,67
Neues
entw
ickel
n
Haltung
37 20,22
Motivation/Eigeninitiative 12 13,79 6 6,25 18 9,84
Selbstständiges Arbeiten 8 9,20 6 6,25 14 7,65
Ein bißchen mehr als normal 11 12,64 4 4,17 15 8,2
MethodenkreativitätNeue Darstellungen /Präsentationen 0 0,00 23 23,96
23 12,57
Sonstiges 8 9,20 7 7,29 15 8,2
Antworten insgesamt 87 100 96 100 183 100
Haltung
Tabelle 3: Kategorisierte Angaben zu kreativen Leistungen in den Fächern Informatik und
Pädagogik
Der Neuigkeitsbegriff im Bereich der Informatik wird vor allem aus einer lösungsorientierten
Perspektive beschrieben und bezieht sich vor allem auf das Finden „origineller Beweise“, auf
die Entwicklung „eleganter und schöner Programme, Verfahren und Algorithmen“, auf die
Schaffung „innovativer Lösungen“ und auf die „neue bzw. originelle Zusammenstellung von
Komponenten“. Im Bereich der Erziehungswissenschaft erscheint der Neuigkeitsbegriff
dagegen vornehmlich entdeckungs- und forschungsorientiert. Hier geht es vornehmlich um
das „Finden neuer Theorien und Zusammenhänge“, um das „Auffinden origineller
Anwendungsgebiete“, das „Entdecken neuer Fragestellungen und Forschungsmethoden“
sowie um „Modellbildung und Konzeptentwicklung“.
Neben den bereits diskutierten Kreativitätsvorstellungen, die sich vor allem auf die inhaltlich-
fachlichen Aspekte des jeweiligen Faches beziehen, beschreiben nahezu 13 % der
Antworten aus dem Bereich der Erziehungswissenschaften eine auf die Darstellung von
Fachinhalten bezogene Form der Kreativität, die wir hier als Methodenkreativität kategorisiert
haben. Diese bezieht sich darauf, fachspezifische Inhalte in Seminaren in „origineller“ Weise
zu präsentieren, z.B. in Form von „Theatereinlagen“ und „gelungenen Rollenspielen“ oder
allgemeinen „interessanten Formen des Aufgreifens und Aufbereitens von Inhalten“.
Genannt werden aber auch die „Herstellung von Multimediamaterial“ oder die „Produktion
von Podcasts“ zur Vermittlung von Fachinhalten.
Frage 3: Die Bedeutung von Fachwissen für kreative Leistungen von Studierenden
Im Rahmen beider Erhebungswellen wurde danach gefragt, welche Rolle Fachwissen nach
Meinung der Befragten für die Kreativität der Studierenden spielt. Mehrheitlich sind die 22
Seite 164 | Subjektive Kreativitätsverständnisse bei Lehrenden an der Universität
befragten Professor(inn)en der ersten Welle davon überzeugt, dass fundiertes Fachwissen
eine wesentliche Voraussetzung für Kreativität der Studierenden darstellt. Wissen, das nicht
vorhanden ist, kann auch nicht kreativ angewandt werden! Sie sind davon überzeugt, dass
„der Aufbau einer Wissensbasis […] vor Kreativität“ kommt (Interview 107).
Die Notwendigkeit fundierter fachlicher Expertise bedeutet jedoch nicht zwingend, dass
kreative Leistungen erst zum Ende des Studiums möglich sind. Zwar betonen 13 der 22
befragten Professor(inn)en, dass erst umfangreiche Grundlagen und Erfahrungswissen
geschaffen werden müssen, bevor sie kreativ sein können bzw. sollen (zumeist im Vordiplom
bzw. Bachelor): „Die müssen noch nicht kreativ sein“ (Interview 204). Die übrigen Befragten
sind dagegen der Meinung, dass Studierende bereits zu Beginn des Studiums kreativ sein
können bzw. „enorm kreativ sind“ und Herausforderungen suchen (Interview 105). Mit der
Zunahme an Grundlagenwissen steigt dann aber das Maß ihrer Kreativität. Interview-
partner(in) 105 problematisiert in diesem Zusammenhang, dass die meisten Professor(inn)en
sich selber für die einzigen Kreativen an den Hochschulen und Universitäten halten und dies
anderen eher nicht zugestehen. Hervorzuheben ist, dass vor allem die Spitzen-
forscher(innen) die Bereitschaft der Studierenden und ihre Ressourcen sehen, bereits in
frühen Phasen des Studiums kreativ sein zu wollen (und zu können).
Diese durchaus heterogene Einschätzung zum Verhältnis von Fachwissen und Kreativität
wurden in der Onlinebefragung aufgegriffen und noch einmal im Detail hinterfragt. Die
Befragten wurden gebeten, die in Tabelle 4 aufgeführten Äußerungen anhand einer 5er-
Likert-Skala zu bewerten, die für die vorliegende Auswertung zu einer 3er-Skala verdichtet
wurde. Dazu wurden die Bewertungen 5 (stimme überhaupt nicht zu) und 4 (stimme zu)
sowie die Bewertungen 2 (stimme zu) und 1 (stimme voll zu) jeweils zusammengefasst. Die
Daten beziehen sich bei diesem Fragekomplex auf insgesamt 80 Fragebögen.
Mehrheitlich sind die Befragten auch bei der Onlinebefragung der Meinung, dass
Studierende nicht ohne Fachwissen kreativ sein können. Allerdings bedeutet dies auch hier
nicht gleichzeitig, dass Kreativität nur etwas für höhere Fachsemester ist. Im Gegenteil: 75 %
der Befragten lehnen die Äußerung ab, dass Kreativität im BA nicht sinnvoll ist. Mehr als die
Hälfte der Befragten verneint zudem die These, dass Kreativität nur etwas für höhere
Fachsemester ist (gut 54 %). Umgekehrt ist die Mehrheit der Befragten (86 %) der Meinung,
dass Kreativität bereits vom ersten Semester an gefördert werden kann. Diese Meinung
steht im Kontrast zu den Ergebnissen der Intensivinterviews. Möglicherweise ist dies auf die
Befragtengruppe zurückzuführen: So wurden in den Intensivinterviews vorwiegend
Professoren befragt, während sich an der Onlinebefragung hauptsächlich Vertreterinnen und
Vertreter des akademischen Mittelbaus beteiligten.
5. Zusammenfassung und Diskussion
Übereinstimmend betrachten die von uns Befragten ein gutes Klima am Arbeitsplatz als
wichtige Grundlage für Kreativität. Die befragten Professor(inn)en sehen sich dabei vor allem
als Impuls- und Ideengeber(innen) für ihre Teams. Während jedoch die Spitzen-
forscher(innen) ihre Teams als wichtige Ressource für ihre eigene Kreativität sehen,
betrachten die Breitenforscher(innen) ihre Teams eher als Ressource, um sich von Alltags-
aufgaben entlasten zu lassen. In ein kreativitätsfreundliches Klima fühlen sich auch 60 % der
Befragten der Onlineerhebung eingebettet. Allerdings geben immerhin 40 % an, dass das sie
umgebende Klima im Hinblick auf Kreativität nur wolkig und schlechter ist. Offenbar gibt es in
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 165
der Universität unabhängig vom fachkulturellen Kontext wissenschaftliche Bereiche, in denen
ein für kreatives Arbeiten ungünstiges Klima herrscht. Für eine wissenschaftliche Einrichtung
ein eher ernüchterndes Ergebnis.
Die befragten Professor(inn)en der ersten Erhebungswelle bezeichnen vor allem die
Entwicklung von etwas „Neuem“ als kreative Leistung. Allerdings fällt bei der Online-
befragung nur gut ein Fünftel aller Äußerungen in diese Kategorie. Nur zu einem kleineren
Teil erwarten Lehrende tatsächlich neue und originelle Lösungen oder das Aufwerfen neuer
Fragen von ihren Studierenden. Der überwiegende Anteil der Äußerungen bezieht sich
dagegen eher auf Bereiche, in denen es darum geht, Probleme oder Aufgabenstellungen zu
verstehen, zu durchdringen und Gewohntes zu hinterfragen. Zu einem großen Teil
bezeichnen Lehrende bereits die für Kreativität zweifelsohne erforderliche (intrinsische)
Motivation, Eigeninitiative und einen selbstständigen Lern- und Arbeitsstil als kreative
Leistung. Es ist anzunehmen, dass die herausgearbeiteten Kreativitätskonzepte der
Lehrenden u.a. durch das geprägt sind, was sie an studentischen Leistungen in ihrer Lehre
erleben. Gleichzeitig zeigen Forschungsergebnisse, dass die Entstehung kreativer
Leistungen auch wesentlich von kreativitätsförderlichen Rahmenbedingungen abhängt.
Möglicherweise passen sich die Erwartungen der Lehrenden, die von ihnen bereitgestellten
Lehr-/Lernszenarien und die Leistungen der Studierende in einem Erwartungs-Leistungs-
Prozess aneinander an. Diese These gilt es in weiteren Studien eingehender zu
untersuchen.
Fachkulturelle Unterschiede zeigen sich vor allem in der Kategorie der Generierung neuer
Lösungen. Die Informatik kultiviert hier einen eher lösungsorientierten Kreativitätsansatz, in
dem es darum geht, neue, informatikspezifische Produkte zu entwickeln, während die
Erziehungswissenschaft einen eher entdeckend-hinterfragenden Ansatz verfolgt, der auf das
Generieren neuer Fragestellungen und Forschungsmethoden abzielt. Es dürfte interessant
sein zu untersuchen, ob sich diese Ansätze nur aus einer bestimmten Lehrtradition heraus
entwickelt haben oder ob sie die Spezifika des jeweiligen Faches widerspiegeln. Letztendlich
führt das zu der hochschuldidaktischen Frage, welche Art von kreativitätsförderlichen Lehr-/
Lernangeboten für beide Fächer entwickelt werden kann. Bezeichnend für die Erziehungs-
wissenschaft ist darüber hinaus eine spezifische Form von Kreativität, die sich nicht auf die
inhaltlich-fachlichen Aspekte, sondern auf deren methodische Präsentation bezieht.
Eine weitere wichtige Frage bezog sich auf den Zusammenhang von Fachwissen und
Kreativität, den die meisten Befragten für essenziell halten: Ohne Expertise keine Kreativität.
Allerdings besteht keine einheitliche Meinung, wann Kreativität vor dem Hintergrund dieser
Einschätzung sinnvoll in das Studium integriert werden kann. Vor allem die befragten
Breitenforscher(innen) siedeln kreative Anforderungen an Studierende nur in den höheren
Semestern an, nach dem ein gehöriges Maß an Fachwissen erworben wurde. Die befragten
Spitzenforscher(innen) und das Gros der Befragten der Onlineerhebung sehen jedoch auch
Möglichkeiten, bereits in den ersten Semestern die Kreativität der Studierenden zu fördern
und zu fordern.
Zusammenfassend lassen sich aus unserer Befragung Tendenzen erkennen, dass die
Professor(inn)en, die wir in dieser Studie als Breitenforscher(innen) bezeichnet haben, eher
die „Kreativitätskonservativen“ sind. Sie scheinen Kreativität, so wie es auch einer der
befragten Spitzenforscher(innen) beschrieben hat, eher auf ihren Berufsstand zu beziehen:
Ihr Team ist für sie eher eine Ressource zur Bewältigung alltäglicher Aufgaben als eine
Ressource für Kreativität, ihre Studierenden sind eher Personen, die Fachwissen anhäufen
Seite 166 | Subjektive Kreativitätsverständnisse bei Lehrenden an der Universität
als solche, die Bestehendes hinterfragen und Neues entwickeln. Die Spitzenforscher(innen)
sind eher die Kreativitätsprogressiven, die Kreativität im Team erleben und die Studierenden
mehr zutrauen, als Fachwissen erwerben zu können.
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Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 167
Studienerfolg aus Studierendensicht – Ergebnisse der ersten Erhebungswelle des Projekts USuS
Margret Bülow-Schramm, Marianne Merkt, Hilke Rebenstorf
Abstract
Im Forschungsprojekt USuS1 untersuchen wir, welches die Faktoren für erfolgreiches
Studieren unter Bologna-Bedingungen sind, worin eventuelle Barrieren eines erfolgreichen
Studiums bestehen und wie die Studienbedingungen und -ergebnisse verbessert werden
können. Bezugspunkt ist das Ziel der Bologna-Reformen, die Studierenden- und
Absolventenquote zu erhöhen, über eine Verbreiterung der Hochschulzugangsmöglichkeiten
nicht-traditionelle Studierende verstärkt an die Hochschulen zu holen und damit die Diversität
zu fördern. Mit der Analyse der Daten aus der quantitativen Online-Befragung kann USuS
zeigen, dass diese gewünschte Vielfalt noch weit von einer Realisierung entfernt ist. Zwar
sind die Zugangswege divers (dies wird besonders deutlich in den qualitativen Interviews)
und entsprechend weist die Studierendenschaft in ihrer Ausstattung mit kulturellem Kapital,
in der Geschlechterzusammensetzung und im Hinblick auf den Anteil Studierender mit
Migrationshintergrund eine große Spannweite auf, die einzelnen Studiengänge aber
erweisen sich in diesen Merkmalen als segregiert bzw. homogen. Unsere Daten zeigen neue
Zusammenhänge auf, nämlich dass für den subjektiven Studienerfolg, hier gemessen über
die Einschätzung der Studierenden zu ihrem Kompetenzerwerb, diese Merkmale
(insbesondere auch das kulturelle Kapital) von geringerer Bedeutung sind als erwartet und
mehr die Art, in der das Lehrverhalten der Lehrenden wahrgenommen wird, von Einfluss ist.
So fördert z.B. die Wahrnehmung eines wissenschaftsorientierten Lehrverhaltens den
Erwerb klassischer professioneller Kompetenzen, wogegen ein studierendenzentriertes
Lehrverhalten stärker den Erwerb genuin wissenschaftlicher Kompetenzen begünstigt. Ein
Element soziodemografischer Diversität beeinflusst jedoch sowohl den Kompetenzerwerb als
auch den Studienverlauf: die frühere Berufserfahrung, sofern sie einen Bezug zum
Studienfach aufweist. Neben diesen Ergebnissen werden im Folgenden ebenfalls
Zusammenhänge zwischen dem Studienstil der Befragten und deren Studienerfolg und
Studienverlauf gezeigt werden, wobei auch hier Zusammenhänge mit sozialstrukturellen
Faktoren untersucht wurden, insbesondere die Geschlechterkomponente. Ergebnisse aus
den qualitativen Interviews werden fallweise zur Verdichtung der Aussagen einbezogen. Da
die Interviews mit Studienanfänger(inne)n geführt wurden, sind in ihnen weniger Aussagen
zum faktischen als zum antizipierten Studienerfolg enthalten.
1. Sozialstrukturelle Diversität der Studierenden – Homogenität der Studiengänge
Im Rahmen von USuS wurden im Wintersemester 2009/10 an vier Standorten, an
Hochschulen verschiedenen Typs (Universität, Technische Universität, Hochschule für
angewandte Wissenschaften), in insgesamt fünf Bachelorstudiengängen und mit einem
Onlinefragebogen Totalerhebungen bei den Studierenden der 1., 3. und 5. Semester
1 Gefördert im Rahmen des BMBF-Schwerpunktes empirische Bildungsforschung/Zukunftswerkstatt
Hochschullehre unter dem Förderkennzeichen 01PH08001A. Informationen über Aufbau und methodische Herangehensweise sind auf der Homepage nachzulesen: http://www.zhw.uni-hamburg.de/usus/index.php.
Seite 168 | Studienerfolg aus Studierendensicht
durchgeführt. Die Gesamtstichprobe lag bei 938 Fällen, was einer Ausschöpfungsquote von
51 % entsprach. Diese betrug zwischen 44 % in den großen Studiengängen und bis zu 84 %
in einem kleinen Studiengang.
Trotz des erklärten Ziels europäischer Bildungspolitik, die Hochschulen für nicht-traditionelle
Studierende zu öffnen, die Übergänge zwischen den Bildungsinstitutionen zu erleichtern und
lebenslanges Lernen zum Kennzeichen der Bildungsbiografien des 21. Jahrhunderts zu
machen, ist auch am Ende der 1. Dekade des 21. Jahrhunderts in den von uns untersuchten
Studiengängen noch wenig hiervon zu sehen.
Über alle Studiengänge hinweg liegt der Anteil Studierender mit Fachhochschulreife oder
fachgebundener Hochschulreife immerhin bei knapp einem Drittel, aber die
Universitätsstudiengänge sind immer noch dominiert durch Studierende mit allgemeiner
Hochschulreife (Ingenieurswesen und Lehramt). Studierende, die auf anderem Wege die
Studienberechtigung erworben haben – nicht-traditionelle Studierende im engeren Sinne –
stellen eine sehr kleine Minderheit. Auffallende Differenzen gibt es auch im Hinblick auf den
väterlichen Bildungsabschluss2: 41 % der Väter der befragten Ingenieursstudent(inn)en
verfügen über einen Hochschulabschluss, gegenüber nur 13 % der befragten Informatik-
student(inn)en. Das Ingenieursstudium ist damit kaum als klassisches Aufsteigerstudium zu
bezeichnen – zumindest nicht, wenn es an einer Universität studiert wird, wo die
Studierenden selbst zu 98 % über die allgemeine Hochschulreife verfügen (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1: Hochschulzugangsberechtigung Studierender und Hochschulabschlüsse der Väter
allgemeine
Hochschul-
reife
fachgeb.
oder Fach-
HS-Reife
anderer
Zugang
Väter mit
Hochschul-
abschluss
Informatik 26 % 73 % 0 % 13 %
Ingenieurswesen 98 % 2 % 0 % 41 %
Sozialwesen (Präsenz) 26 % 70 % 3 % 32 %
Sozialwesen (Online) 24 % 66 % 4 % 16 %
Lehramt berufsb. Schulen 83 % 8 % 8 % 28 %
Gesamt 64 % 31 % 3 % 30 %
Auch im Hinblick auf die Geschlechterzusammensetzung zeichnen sich die Studiengänge
durch relative hohe Homogenität aus (vgl. Tabelle 2), mit Ausnahme des Informatikstudien-
gangs weichen unsere Studierendenpopulationen nicht auffallend von der generellen
Verteilung der Geschlechter ab (vgl. 11. Studierendensurvey, S. 3). Die Altersverteilung bzw.
das Durchschnittsalter der Studierenden spiegelt sowohl die Zulassungsvoraussetzungen
der Studiengänge wider als auch die typischen Wege zum Studium. In den beiden
Studiengängen, die Berufserfahrung voraussetzen, sind die Studierenden im Durchschnitt
2 Der Bildungsabschluss der Mütter zeigt die gleiche Verteilung wie die der Väter, aber die Differenzen zwischen
den Studiengängen sind weniger sichtbar, da weniger Mütter als Väter der befragten Studierenden über einen Hochschulabschluss verfügen.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 169
älter, im Universitätsstudiengang Ingenieurswesen am jüngsten – häufig wird hier der direkte
Weg von der Schule in die Hochschule gewählt3. In den Fachhochschulstudiengängen
Informatik und Sozialwesen ist der Bildungsweg weniger gradlinig, wie auch an dem hohen
Anteil Studierender zu erkennen ist, die bereits vor Aufnahme des Studiums berufliche
Erfahrung in einem Tätigkeitsfeld mit inhaltlichem Bezug zum Studiengang hatten.
Tabelle 2: Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund, studiengangbezogene Berufserfahrung
Frauen-
anteil
Ø-Alter in
Jahren
Migrations-
hintergrund*
Berufserfahrung mit
Stud.bezug
Informatik 4 % 23 12 % 31 %
Ingenieurswesen 18 % 21 11 % 7 %
Sozialwesen Präsenz 83 % 24 10 % 23 %
Sozialwesen Online 80 % 36 8 % 86 %
Lehramt berufsb. Schulen 64 % 27 5 % 88 %
Gesamt 53 % 25 9 % 40 %
* keine deutsche Staatsbürgerschaft und/oder beide Eltern im Ausland geboren
Studierende mit Migrationshintergrund verteilen sich sehr ungleich auf die Studiengänge,
sind in den mathematisch-ingenieurwissenschaftlichen Fächern deutlich stärker vertreten als
im Lehramt.
2. Studienerfolg als subjektiv wahrgenommener Kompetenzerwerb
Im Unterschied zu den meisten Studienerfolgsuntersuchungen, die sich an standardisierten
Studienverlaufsvorgaben und sogenannten objektiven Kriterien des Studienabschlusses und
der Benotungen orientieren (z.B. Krempkow 2008), wird in USuS besonders der subjektive
Studienerfolg fokussiert. Was meinen die Studierenden selbst, was sie gelernt haben?
Welche Kompetenzen meinen sie im Laufe ihres Studiums bislang erworben zu haben?
Den Studierenden wurde im Rahmen eines umfänglichen Fragebogens eine Liste vorgelegt
mit 24 Kompetenzen und Verhaltensweisen. Für jede dieser Vorgaben sollten sie angeben,
inwiefern diese in ihrem Studium gefordert würden und inwieweit sie diese während ihres
Studiums bereits erworben hätten. Die in dieser ungeordneten Liste von 24 Einzelangaben
verborgenen Dimensionen des Kompetenzerwerbs wurden empirisch ermittelt, orientierten
sich also nicht an den in der Literatur angegebenen, meist theoretisch konstruierten
Kompetenzfeldern (siehe für einen Überblick Schaeper/Briedis 2004), sondern wurden strikt
aus den Angaben der Studierenden ermittelt. Die Kompetenzbündel, die sich daraus
ergaben, wurden in Dimensionen zusammengefasst und mit möglichst aussagekräftigen
3 Die qualitativen Interviews zeigen jedoch, dass sich auch hinter dem Abitur als Hochschulzugangsberechtigung
durchaus verschlungene Pfade verbergen können. Das Abitur wird oft auf Umwegen erreicht.
Seite 170 | Studienerfolg aus Studierendensicht
Begriffen benannt4. Fünf Dimensionen ließen sich unterscheiden: (a) klassisches
Professionswissen – Wissenschaft als Verantwortungs- und partizipative Kompetenz (z.B.
konstruktives Austragen von Konflikten, überzeugendes Vorbringen der eigenen Argumente),
(b) genuin wissenschaftliche Kompetenzen – Wissenschaft als forschungsmethodische und
theoriebezogene Kompetenz (z.B. Auseinandersetzung mit theoretischen Fragen und
Systemen, Finden eigener Lösungswege), (c) vermittlungsorientierte Kompetenzen (z.B.
breites, fächerübergreifendes Allgemeinwissen, verständliche Darstellung komplexer Sach-
verhalte), (d) Fachwissen (Erwerb von Faktenwissen), (e) Anwendungsorientierung
(Umsetzung des Gelernten auf praktische Fragen und Anwendungen).
Eine erste Inaugenscheinnahme zeigt, dass das Maß des subjektiv wahrgenommenen
Kompetenzerwerbs zwischen den Studiengängen und zwischen den Hochschultypen variiert,
wie auch die Wahrnehmung des Ausmaßes des Erwerbs zwischen den Kompetenz-
bereichen eine gewisse Spannweite ausweist (vgl. Tabelle 3). Am einhelligsten wird von
allen Studierenden der Erwerb von Fachwissen angegeben. In den Fachhochschulstudien-
gängen ist die anwendungsorientierte Kompetenz subjektiv in höherem Maße erworben
worden als in den Universitätsstudiengängen. Klassisches Professionswissen wurde nach
Angaben der Studierenden in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen in
geringerem Maße erworben als von den Studierenden in Sozialwesen und Lehramt, an den
Fachhochschulen ist insgesamt der subjektiv wahrgenommene Kompetenzerwerb höher als
in den Universitätsstudiengängen.
Tabelle 3: Subjektiv wahrgenommener Kompetenzerwerb* nach Studiengängen und
Hochschultyp
klassische
profess.
Kompet.
genuin
wissen.
Kompet.
Vermittlungs-
orientierung
Fach-
wissen
Anwendungs-
orientierung
Informatik 3,1 3,5 2,7 2,2 2,4
Ingenieurswesen 3,7 2,7 2,9 2,6 3,0
Sozialwesen Präsenz 2,6 2,5 2,7 2,6 2,7
Sozialwesen Online 2,2 1,9 2,0 2,1 2,0
Lehramt berufsb. Schulen 2,8 2,6 2,9 2,6 3,0
Universität 3,2 2,6 2,9 2,6 3,0
Fachhochschule 2,6 2,3 2,5 2,4 2,5
* Die Skala reicht von 1 bis 5, je niedriger der Wert, umso höher der subjektiv wahrgenommene Kompetenzerwerb
Unterschiede im Hinblick auf klassische soziodemografische Merkmale sind feststellbar. Auf
den ersten Blick kontraintuitiv ist der Befund, dass Studierende mit allgemeiner Hochschul-
reife im Vergleich zu denen mit fachgebundener oder Fachhochschulreife in geringerem
4 Das angewandte statistische Verfahren war das der explorativen Faktorenanalyse mit Varimax-Rotation
(Backhaus et al. 2000, S. 252-327).
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 171
Maße Kompetenzerwerb wahrnehmen. Erklären ließe sich dies mit dem wahrscheinlich
subjektiv höher empfundenen Kompetenzniveau zu Beginn des Studiums oder höheren
Ansprüchen an den Kompetenzerwerb. Im Hinblick auf Geschlechterunterschiede gibt es
lediglich eine Differenz beim klassischen Professionswissen: Frauen nehmen dessen Erwerb
in größerem Maße wahr als Männer (vgl. Tabelle 4).
Tabelle 4: Subjektiv wahrgenommener Kompetenzerwerb* nach
Hochschulzugangsberechtigung, Geschlecht und Migrationshintergrund
klassische
profess.
Kompet.
genuin
wissen.
Kompet.
Vermittlungs-
orientierung
Fach-
wissen
Anwendungs-
orientierung
allgemeine HS-Reife 3,2 2,6 2,9 2,6 3,0
fach(geb.) HS-Reife 2,7 2,3 2,6 2,4 2,6
anderer HS-Zugang 2,7 2,5 2,9 2,4 2,9
Vater mit HS-Abschluss 3,0 2,5 2,8 2,5 3,0
Vater ohne HS-Abschluss 2,9 2,5 2,8 2,5 2,7
Frauen 2,8 2,5 2,8 2,5 2,8
Männer 3,2 2,5 2,8 2,5 2,8
Migrationshintergrund 2,8 2,4 2,6 2,7 2,4
kein Migr.Hintergrund 3,0 2,5 2,8 2,5 2,9
* Die Skala reicht von 1 bis 5, je niedriger der Wert, umso höher der subjektiv wahrgenommene Kompetenzerwerb
Im Hinblick auf den Migrationshintergrund der befragten Studierenden geben die mit
Migrationshintergrund in stärkerem Maße an, Kompetenzen in der Anwendungsorientierung
erworben zu haben. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Studierende mit
Migrationshintergrund stärker in den Fachhochschulstudiengängen vertreten sind und die
Studierenden der Fachhochschulen in höherem Maße Kompetenzerwerb berichten. Gleiches
gilt für Studierende, deren Väter über keinen Hochschulabschluss verfügen. Wie diese
Faktoren zusammenhängen zeigt die folgende Analyse.
3. Welche Faktoren beeinflussen den subjektiv wahrgenommenen Kompetenzerwerb?
Die bekannten Studien zu sozial ungleich verteilten Bildungschancen und Bildungs-
beteiligung (z.B. Middendorf 2008; Isserstedt et al. 2010) sowie die Befunde zu den
Determinanten des Studienabbruchs (Heublein et al. 2009) legen die Vermutung nahe, dass
die Ausstattung der Studierenden mit kulturellen, sozialen und ökonomischen Ressourcen
eine entscheidende Rolle beim Studienerfolg und somit auch beim subjektiv
wahrgenommenen Kompetenzerwerb spielt. Die Grundthese in USuS lautet, dass
hochschuldidaktisch fundierte Lehr-/Lernformen und Strukturierungssysteme mit
begleitenden Beratungsangeboten wesentlich zum Studienerfolg beitragen. Diese These
Seite 172 | Studienerfolg aus Studierendensicht
stützt sich auf Studien, die eine Wechselbeziehung zwischen Lernergebnissen und
Lehrmethoden, zwischen Lernergebnissen und Lernstrategien sowie zwischen Lehr-
strategien und Lernstrategien entdeckten. (Berendt 2005). In USuS haben wir aus diesen
Erkenntnissen ein Analysemodell entwickelt, dass neben den Ressourcen der Studierenden
auch organisatorisch-strukturelle Aspekte des Studiengangs und die Wahrnehmung der
Lehre durch die Studierenden als Erklärungsfaktoren für den Studienerfolg einbezieht (vgl.
Bülow-Schramm/Merkt 2008; Bülow-Schramm et al. 2009).
Wesentliches Gewicht beim Kompetenzerwerb der Studierenden kommt dem Lehrverhalten
der Dozent(inn)en zu. Wie bei den Kompetenzen wurde auch bei der Einschätzung des
Lehrverhaltens strikt empirisch vorgegangen. Die Studierenden wurden gefragt, wie die
Situation in der Lehre nach ihren bisherigen Erfahrungen sei. Insgesamt zwölf Aussagen
zum Verhalten von Lehrenden und zur Struktur von Lehrveranstaltungen sollten von den
Studierenden entsprechend dem Grad ihrer Umsetzung auf einer fünfstufigen Skala bewertet
werden. Eine explorative Faktoranalyse wies zwei Hauptkomponenten auf, die wir als
studierendenzentriertes Lehrverhalten5 und als forschungs-/wissenschaftsorientiertes
Lehrverhalten6 bezeichnen.7
In schrittweisen multiplen Regressionsanalysen wurde ermittelt, wie stark Ressourcen im
Verhältnis zum Lehrverhalten den subjektiv wahrgenommenen Kompetenzerwerb
beeinflussen (vgl. Tabelle 5). Die Hochschulzugangsberechtigung, die in der bivariaten
Analyse deutliche Differenzen zwischen Studierenden mit allgemeiner Hochschulreife und
denen mit fachgebundener oder Fachhochschulreife zeigten, ist nicht mehr festzustellen,
wenn nach Hochschultyp oder wahrgenommenem Lehrverhalten kontrolliert wird. Auch der
väterliche Bildungsabschluss spielt keine Rolle.8 Der Unterschied zwischen den Hochschul-
typen bleibt fast durchgehend erhalten: Auf den Erwerb klassischen Professionswissens
sowie vermittlungs- und anwendungsorientierter Kompetenzen hat die Fachhochschule
einen positiven Effekt. Das Fachsemester, also der Studienfortschritt, gemessen über die
Dauer des Fachstudiums wirkt positiv auf den Erwerb genuin wissenschaftlicher
Kompetenzen und vermittlungsorientierter Kompetenzen. Das Alter der Studierenden zeigt
Einfluss auf das Maß, in dem die Studierenden in ihrer eigenen Wahrnehmung klassisches
Professionswissen und anwendungsorientierte Kompetenzen erwerben, vorgängige
Berufserfahrung, die einen inhaltlichen Bezug zum Studiengang hat, wirkt sich ebenfalls
positiv auf den Erwerb klassischen Professionswissens aus. Die stärksten Effekte liegen
aber bei allen Kompetenzdimensionen in der Wahrnehmung des Lehrverhaltens.
5 (a) Die Lehrenden berücksichtigen Anregungen oder Vorschläge, die von Studierenden kommen. (b) Das
Lernziel der Lehrveranstaltungen wird jeweils klar definiert. (c) Die Vorträge der Lehrenden sind gut verständlich und treffend. (d) Die Lehrenden vergewissern sich, dass die behandelten Inhalte verstanden werden. (e) Die Lehrenden bringen übersichtliche Zusammenfassungen und Wiederholungen. Cronbach‟s α = .810.
6 (a) In den Lehrveranstaltungen werden Fragen der laufenden Forschung angesprochen. (b) Die Lehrenden
geben in den Veranstaltungen Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten und/oder zur Abfassung wissenschaftlicher Texte (Referate/Hausarbeiten). (c) Die Lehrenden halten zur vertieften Beschäftigung mit wissenschaftlichen Problemen an. (d) Die Lehrenden führen in die Anwendung von Forschungstechniken ein. Cronbach‟s α = .707.
7 Die Forschungsliteratur zum Lehrverhalten rekurriert überwiegend auf Befragungen und Beobachtungen von
Lehrpersonal, bei denen aufgrund der Population andere Indikatoren herangezogen und somit auch andere Lehrstile beschrieben wurden (siehe z.B. Kember 1997).
8 Der Migrationsstatus konnte in den Regressionen aufgrund der geringen Fallzahl nicht berücksichtigt werden.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 173
Tabelle 5: Schrittweise multiple Regression auf Dimensionen des Kompetenzerwerbs (Beta-
Koeffizienten)
klassische
profess.
Kompet.
genuin
wissen.
Kompet.
Vermittlungs
-orientierung
Fach-
wissen
Anwendungs-
orientierung
forschungs-/wissenschafts-
orientiertes Lehrverhalten
.286 .213 .140 -- --
studierendenzentriertes
Lehrverhalten
-- .232 .208 .205 .260
Fachhochschule .279 -- .144 -- .118
Fachsemester -- .144 .105 -- --
Berufserfahrung mit Bezug
zum Studienfach
.134 -- -- -- --
Alter .145 -- -- -- .107
Geschlecht (Männer) -.102 -- -- -- --
Vater mit HS-Abschluss -- -- -- -- --
Student(in) hat Abitur -- -- -- -- --
R² .338 .172 .157 .039 .130
Je stärker studierendenzentriertes oder forschungs-/wissenschaftsorientiertes Lehrverhalten,
also überhaupt ein Lehrverhalten, wahrgenommen wird, umso höher ist der subjektiv
wahrgenommene Kompetenzerwerb. Wir finden in unserem Projekt keine qualitative
Hierarchisierung zwischen verschiedenen Lehrstilen, wie sie z.B. bei Trigwell et al. (1999)
oder auch bei Biggs (2003) beschrieben werden, aber unsere Fragestellung ist auch eine
andere als bei den in der Hochschuldidaktik viel beachteten Studien: Trigwell et al. wie auch
Biggs sind daran interessiert zu erfahren, welches Lehrverhalten (bei ihnen erhoben über
Aussagen der Lehrenden) den präferierten „Deep-Level-Approach“ im Lernen der
Studierenden hervorbringt unter der Annahme, dass dieses Lernverhalten in der Hochschule
in besonderem Maße zum Studienerfolg beiträgt. Wir messen hingegen direkt die subjektive
Dimension des Studienerfolgs, den subjektive wahrgenommenen Kompetenzerwerb und
analysieren, welcher Effekt wahrgenommenem Lehrverhalten und Studierverhalten
zukommt.
Fassen wir die Ergebnisse soweit zusammen, so steht außer Frage, dass wir im
Forschungsprojekt USuS mit dem Fokus auf Studierendensicht sowie auf hochschul-
didaktische Interventionsmaßnahmen einen Erfolg versprechenden Weg beschritten haben,
sowohl bei der Identifizierung Studienerfolg versprechender Faktoren, als auch bei der
Analyse möglicher Einflussnahmen auf die Erhöhung von Studienerfolgsquoten. Die
üblicherweise rasch benannten Größen, die mit der Ressourcenausstattung Studierender
verbunden werden, wie z.B. die Hochschulzugangsberechtigung sowie die Ausstattung mit
kulturellem Kapital aus dem Elternhaus, erwiesen sich hier als nicht bedeutsam beim
subjektiv wahrgenommenen Erwerb von Kompetenzen während des Studiums. Die
Seite 174 | Studienerfolg aus Studierendensicht
Erkenntnis, dass es sich bei Studierenden um eine höchst selektive Gruppe handelt, bei der
die soziale Herkunft für die Leistungsfähigkeit keine große Rolle mehr spielt – die soziale
Selektion fand auf den früheren Stufen des Bildungssystems statt – ist nicht unbedingt neu9,
wird aber als Studienerfolgsfaktor immer wieder gerne bemüht. Dagegen erwies sich eine
individuell erworbene Ressource, nämlich Berufserfahrung, die einen Bezug zum
Studienfach aufweist, als förderlich beim Erwerb klassischen Professionswissens. Wichtiger,
weil von größerer Einflussstärke, sind jedoch der Hochschultyp und das wahrgenommene
Lehrverhalten. Je stärker die Lehrenden sich den Studierenden zuwenden oder auch eine
Forschungs- oder Wissenschaftsorientierung an den Tag legen, also in ihrer Lehre auf
Forschung verweisen und zu eigener Forschung anhalten, umso höher ist der
Kompetenzerwerb, zumindest in der subjektiven Wahrnehmung der Studierenden, in allen
Dimensionen, die wir hier unterscheiden können.
4. Erfolg gefährdender Faktor Stress – Schlaglichter aus Sicht der Studierenden
Als ein wesentliches Hemmnis von Lernprozessen in institutionell-organisierten Kontexten
werden aus lerntheoretischer und hochschuldidaktischer10 Sicht negative Emotionen wie
Angst- oder Stresserleben benannt. Negative Emotionen begrenzen Lernen auf
Lernprozesse mit sehr einfachem Niveau, beispielsweise „auswendig Lernen“. Sie wirken
sich lernfeindlich aus und verhindern komplexe Lernprozesse11. Häufig werden negative
Emotionen verursacht durch das Erleben, dass die Studien- oder Lernsituation von den
Lernenden nicht angemessen gestaltet oder kontrolliert werden kann, also fremdbestimmt
ist12. Da die Erhöhung des Stresserlebens in Studiengängen mit Bologna-Strukturen sowohl
im Kontext des Bildungsstreiks der Studierenden 200913 als auch im Anschluss daran im
Kontext in Auftrag gegebener Studien zur Einführung der neuen Bologna-Studienstrukturen
untersucht wurde (vgl. Bargel et al. 2009; Banscherus et al. 2010), sind auch wir diesem
Phänomen nachgegangen. Wir haben die in USuS in der ersten Welle erhobenen 36
Interviews von Erstsemestern über alle Studiengänge hinweg auf die Thematisierung von
Stress hin ausgewertet. Die Annahme lautet, dass Stress oder Angst verhindern, dass
eigene Interessen oder Fragestellungen (z.B. forschendes Lernen) im Studium verfolgt
werden können. Die viel thematisierte „Verschulung“ des Studiums hängt demnach eng mit
diesem Aspekt zusammen (vgl. dazu auch Merkt 2010, S. 4ff). Die Auswertung der
Interviews sollte darüber Aufschluss geben, in welchen Kontexten und wie Angst- oder
Stresserleben von den Studierenden in der Studieneingangsphase thematisiert werden.
9 Vgl. Bargel/Bargel 2009; Müller/Haun 1994. Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die soziale
Herkunft auch nach Abschluss des Studiums nach wie vor relevant für die Chancen der sozialen Platzierung sind, wie die Untersuchungen Hartmanns (2002) eindrücklich belegen.
10 Eine transparente, verlässliche und angstfreie Atmosphäre in der Lehre herzustellen ist mit Rückgriff auf
kommunikationstheoretische Ansätze und Modelle, bspw. von Paul Watzlawik, von Ruth Cohn oder von Friedemann Schulz von Thun, elementarer Bestandteil der hochschuldidaktischen Weiterbildung.
11 Vgl. zur Übersicht über theoretische Ansätze zum Emotionsbegriff und dessen Stellenwert beim Lernen auch
Reinmann-Rothmeier (2003).
12 So ist zum Beispiel der von Holzkamp geprägte Begriff des „defensiven Lernens“ eben diesem Phänomen
gewidmet (vgl. Holzkamp 1993).
13 Berichtet wird von erhöhtem Leistungsdruck und Stress in Bologna-Studiengängen (vgl. z.B. Repinski 2009;
Tegeler 2010).
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 175
In den im Herbst 2009 erhobenen 36 Interviews mit Erstsemestern14 wurden die Textstellen
markiert, in denen Stress, Angst oder Unsicherheit bzw. Verunsicherung thematisiert
wurden. Die markierten Kontexte wurden reformuliert und dann kategorisiert. Als drei
wesentliche Kontextcluster von Stress- oder Angsterleben kristallisierten sich die Themen
„prekäre Rahmenbedingungen“, „Zukunftsängste“ und „nicht beherrschbare Studien-
bedingungen“ heraus.
Als „prekäre Rahmenbedingungen“ wurden beispielsweise „unklare Finanzierung“, „Zeitnot
durch lange Anfahrtszeiten (Pendler(innen))“, „schwierige Wohnungssuche am Studienort“
oder „belastende Wohnverhältnisse“ sowie „schwierige Vereinbarkeit von Studium mit
Familie und/oder Erwerbstätigkeit“ genannt. „Zukunftsängste“ wurden konkret thematisiert
als „Angst vor dem Scheitern im Studium aufgrund von Scheiternserfahrungen im bisherigen
Bildungsweg“, „Angst davor, den Übergang in das Masterstudium nicht zu schaffen“ und
„Unklarheit über die Arbeitsmarkt- und Verdienstchancen mit dem Bachelorabschluss“.
Stress oder Angst, hervorgerufen durch „Studienbedingungen“ wird nach Angabe der
Studierenden ausgelöst durch „Anwesenheitspflicht, insbesondere in Verbindung mit
benoteten Leistungskontrollen“, durch „Angst vor Prüfungen, deren Anforderungen und
Bewertungskriterien unklar sind und die hohe Durchfallquoten haben“ oder durch
„Leistungsdruck, der von Professoren geschürt wird mit Verweis auf hohe Durchfallquoten“.
Diese Auswertung nach Stress- und Angsterleben ergibt kein Gesamtbild der Erhebungs-
ergebnisse und muss insofern relativiert werden, da sie selektiv auf die genannten Themen
erfolgte. Das Ziel dieser Teilauswertung war jedoch, aus der Perspektive der Studierenden
nachzuvollziehen, welche Bedingungen den Studienerfolg erschweren. Gerade vor dem
Hintergrund der oben beschriebenen Auswertung der quantitativen Erhebung, die zeigte,
dass die Zusammensetzung der Studierenden innerhalb der Studiengänge unerwartet
homogen ist, kann geschlossen werden, dass Handlungsbedarf besteht.
Der Zweck dieser Erkenntnisse ist, sie als Grundlage für Konsequenzen zur Gestaltung von
Studienangeboten zu nutzen, die die Diversität von Studierenden erhöhen können. Weitere
Auswertungsschritte in diese Richtung wurden bereits eingeleitet. So wurden beispielsweise
von den Studierenden in den Interviews Maßnahmen wie „Tutorien, Patenschaften und
ähnliches in der Studieneingangsphase“ sehr positiv beurteilt. Ebenso machen sich die
Studierenden Gedanken zu ihrem Lernverhalten und wünschen sich hierzu unterstützende
Angebote. Dabei gibt es eine weite Spannbreite von angedachten Lernstrategien. Wie sich
diese realisieren, wird erst in den nächsten beiden Erhebungswellen ausgewertet werden
können.
Das USuS-Projekt setzt bereits im Projektverlauf mit einem methodischen Design an, das
hochschuldidaktische Analysen, Beratungen und Interventionen in den Studiengängen mit
Interventionsmanagerinnen vor Ort mit den Ergebnissen der quantitativen und qualitativen
Erhebungen verschränkt. In weiteren Analysen der quantitativen Daten wird derzeit ermittelt,
welche weiteren institutionellen Faktoren wie z.B. die Bewertung weiterer Charakteristiken
14
Über einen qualitativen Zugang (explorative Interviews mit narrativem Anteil) im Sinne der Methodentriangulation sollten zusätzlich zur quantitativen Erhebung Begründungen und Erklärungen der Studierenden zu Hintergründen der subjektiven Wahrnehmung des Studierens gewonnen werden, die der Diversität der Studierenden Rechnung tragen. Deshalb wurden die interviewten Studierenden nach einem Scouting ausgewählt, das für jeden Studiengang eine hinsichtlich Gender, Migrationshintergrund und Bourdieu‟scher Kapitalausstattung variante Stichprobe ermöglichte. In den Interviews wurde nicht explizit nach Stress- oder Angsterleben gefragt, d.h. die Studierenden sprachen die Themen von sich aus an.
Seite 176 | Studienerfolg aus Studierendensicht
des Studiengangs durch die Studierenden oder auch individuelle Faktoren, wie z.B. das
Studierverhalten oder die Einstellung der Studierenden zum Studium Einfluss auf den
Studienerfolg haben15. In einer Methodentriangulation werden die Interviews der zweiten
Erhebungswelle, in denen die Studierenden über ihre Erfahrungen des ersten Studienjahres
berichten, entsprechend der hier vorgestellten Ergebnisse zu einer umfassenden Analyse
studienerfolgsfördernder und -hemmender Faktoren ausgewertet.
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Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft. Frankfurt am Main, New York.
15
Vgl. Bülow-Schramm/Rebenstorf, Forschungsbasierte Entwicklung hochschukldidaktischer Interventionen – ein kooperativer Ansatz, Download: http://www.zhw.uni-hamburg.de/usus/index.php.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 177
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Seite 178 | Wie sehen Studierende das Verhältnis von Studium und Beruf?
Wie sehen Studierende das Verhältnis von Studium und Beruf? Praxisbezug und Professionalität in den
Subjektiven Theorien Studierender
Mechthild Oechsle, Ingrid Scharlau, Gudrun Hessler, Kathrin Günnewig
Abstract
Der Beitrag befasst sich mit der Frage, auf welche Weise Studierende die Anforderungen
von Wissenschaft und Berufspraxis aufeinander beziehen und welche Subjektiven Theorien
sie hierzu entwickeln. Basierend auf einer qualitativen Befragung von Studierenden des
Lehramts und der Soziologie rekonstruiert der Beitrag verschiedene Konzepte von
Praxisbezug und Professionalität und analysiert mögliche Zusammenhänge zwischen diesen
Konzepten. Der Beitrag macht deutlich, dass es neben der (erwartbaren) Heterogenität
zwischen den Studiengängen eine erhebliche Heterogenität der entsprechenden Subjektiven
Theorien innerhalb der jeweiligen Studiengänge gibt und diskutiert mögliche Schluss-
folgerungen für die universitäre Lehre.
1. Einleitung
Mit der stärkeren Betonung von Berufs- und Praxisorientierung im Rahmen der neu
strukturierten Studiengänge werden die Erwartungen an Studierende komplexer und
widersprüchlicher. So sind sie nach wie vor mit wissenschaftsinternen Leistungsan-
forderungen konfrontiert, zugleich aber auch mit externen Ansprüchen des Arbeitsmarktes.
Dies lässt sich auch als Entgrenzung der universitären Ausbildung gegenüber der Berufs-
praxis interpretieren. Weitgehend ungeklärt ist, wie Studierende diese heterogenen
Erwartungen des Wissenschaftssystems und des Beschäftigungssystems im Rahmen
universitärer Ausbildung aufeinander beziehen und welche Sichtweisen und Strategien sie
hierzu entwickeln. Eine Analyse ihrer Problemdefinitionen und Deutungen des
Zusammenhanges zwischen Wissenschaft und Berufspraxis sowie des zugrunde liegenden
subjektiven Professions- und Wissenschaftsverständnisses steht noch weitgehend aus. Hier
setzt das Forschungsprojekt STEP an, das die Subjektiven Theorien Studierender und
Lehrender zum Verhältnis von Studium und Berufspraxis untersucht.1
Aktuelle Daten zur Relevanz des Praxisbezugs im Studium im Urteil der Studierenden und
ihrer Bewertung der Realisierung von Praxisbezug finden sich im Studienqualitätsmonitor
2007 (Bargel/Müßig-Trapp/Willige 2008). Danach wird von über 80 % aller Studierenden in
allen Fachrichtungen der Praxisbezug von universitärer Lehre als wichtig oder sehr wichtig
bezeichnet. Am wenigsten zufrieden mit dem Praxisbezug sind die Lehramtsstudierenden,
nur 18 % beurteilen ihn mit gut oder sehr gut. Die Sozialwissenschaften liegen bei 38 % im
unteren Mittelfeld (ebd., S. 23).
Implizit wird in diesen Studien ein gemeinsam geteiltes Sinnverständnis darüber unterstellt,
was Praxisbezug für die Studierenden bedeutet und was sie sich wünschen, wenn sie ein
Mehr an Praxisbezug fordern. Im Unterschied dazu möchten wir im Folgenden zeigen, dass
1 STEP ist ein Verbundprojekt der Universitäten Bielefeld und Paderborn; es wird innerhalb der Förderlinie
„Zukunftswerkstatt Hochschullehre“ des BMBF gefördert (www.step-projekt.de).
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 179
es zum Einen eine große Bandbreite in den jeweiligen Konfigurationen von Studium und
Berufspraxis zwischen den verschiedenen Studiengängen, zum anderen aber auch eine
erhebliche Heterogenität im Verständnis von Praxisbezug innerhalb der einzelnen
Studiengänge gibt.
Schon auf allgemeiner Ebene lässt sich eine erhebliche Varianz im Berufsbezug
universitärer Studiengänge feststellen:
Das Studium ist der allein mögliche Zugangsweg für bestimmte Berufe, die als
Professionen verstanden werden (z.B. Medizin, Lehramt).
Das Studium ermöglicht eine Bandbreite unterschiedlicher, klar beschreibbarer
Berufe und Positionen (z.B. BWL, Ingenieurwissenschaften).
Das Studium ist vor allem eine wissenschaftliche Ausbildung, konkrete Berufsbilder
sind nicht automatisch zugeordnet (z.B. Geistes- und Sozialwissenschaften)
(Griepentrog 2009)).
Es gibt also im universitären Fächerspektrum sehr unterschiedliche Konfigurationen des
Verhältnisses von Studium und Beruf, die sich auch in den Perspektiven der jeweiligen
Studierendengruppen zeigen: So haben Lehramtsstudierende in der Regel ein klares
Berufsbild vor Augen und formulieren andere Forderungen nach Praxisbezug als
Studierende in den Sozialwissenschaften, wo nur eine lose Kopplung von Studium und Beruf
existiert und Vorstellungen über berufliche Felder erst allmählich während des Studiums
entwickelt werden (vgl. etwa Späte 2007; Solga et al. 2009). Unsere Daten zeigen darüber
hinaus, dass es auch innerhalb der einzelnen Studienfächer oder Studiengänge eine
erhebliche Varianz in den Praxiskonzepten der Studierenden gibt (siehe dazu weiter unten).
Die verschiedenen Praxiskonzepte und die darin implizierten Erwartungen der Studierenden
an den Praxisbezug des Studiums stehen jedoch nicht isoliert für sich, sondern sind
eingebettet in breiter gefasste Subjektive Theorien zum Verhältnis von Studium und Beruf.
Die Vorstellungen und Argumentationen der Studierenden zu den im Beruf geforderten
Qualifikationen und Kompetenzen verweisen zudem auf implizite oder explizite
Professionalitätskonzepte der Studierenden.
In Studiengängen mit einer geringen Berufsfeldprägnanz wie der Soziologie gibt es im
Vergleich zu Studienfächern, die in ein klassisches professionelles Tätigkeitsfeld münden,
kein klar definiertes Professionskonzept. Gleichwohl gibt es in der Soziologie einen längeren
Professionalisierungsdiskurs, in dem versucht wird, Professionalisierungschancen für das
Fach und seine Absolvent(inn)en zu entwickeln (vgl. Zimenkova 2007). So macht sich z.B.
Lamnek (1993) für eine Professionalisierung des Faches stark und plädiert für die Entwick-
lung eines definierbaren Berufsbildes „Soziologie“, aufbauend auf den Basiskompetenzen
von Methodenkenntnissen und einer „spezifisch soziologischen Denkweise“, die den Kern
der berufsrelevanten Fähigkeiten darstellt (Lamnek/Ottermann 2003, S. 41). Beobachten
lassen sich auch verschiedene Versuche, Perspektiven einer aktiven Professionalisierung für
neue und expandierende Berufsfelder zu entwickeln, etwa für den Bereich Beratung (von
Alemann 2002; Blättel-Mink/Katz 2004). Eine andere Wendung geben Kühl und Tacke
(2003) der Professionalisierungsdebatte, indem sie von einer „Als-ob-Professionalisierung“
der Soziologie sprechen, da sie davon ausgehen, dass eine klassische Professionalisierung
des Faches aufgrund seiner Besonderheiten nicht möglich sei. Den Kern einer
soziologischen Ausbildung sehen sie in fundierten Methoden- und Theoriekenntnissen,
Analyse- und Reflexionsfähigkeit sowie empirischem Arbeiten. Mit Oevermann könnte man
Seite 180 | Wie sehen Studierende das Verhältnis von Studium und Beruf?
eine doppelte Professionalisierung der Soziologie sehen: eine bislang dominierende
innerwissenschaftliche und eine nur in Ansätzen entwickelte außerwissenschaftliche
Professionalisierung.
Die Frage nach der optimalen Professionalisierung von Lehrer(inne)n ist bislang ebenfalls
nicht beantwortet. Es liegen sehr unterschiedliche Modelle vor, von denen einige die
Professionalisierbarkeit des pädagogischen Handelns grundsätzlich bezweifeln. So betont
die strukturtheoretische Forschung die mangelnde Steuerbarkeit pädagogischen Handelns.
Die Arbeit von Lehrer(inne)n ist demzufolge durch unaufhebbare Antinomien gekenn-
zeichnet, etwa die Antinomie von Nähe-Distanz oder das Dilemma der Ungewissheit: Es
besteht keine Sicherheit über einen Erfolg des Bildungsauftrags (vgl. Helsper 2000). Zu
erwerbende Handlungsrepertoires und Routinen müssen angesichts der Dilemmata reflexiv
eingesetzt werden (Helsper 2007). Der strukturtheoretische Ansatz verweist zudem auf die
spezifische Distanz, die durch die Professionalität entsteht. Andere Autor(inn)en kritisieren
diese Beschreibung durch unlösbare Spannungsverhältnisse (etwa Tenorth 2006). Nach
Tenorth lässt sich das Kerngeschäft von Lehrer(inne)n als Unterrichten fassen. Dass
Unterrichten eine schwierige und paradoxe Tätigkeit ist, sieht auch er. Professionalisierung
fasst er deswegen als Ausbildung professioneller Schemata und Ausbildung von „Weisheit
der Praxis“ (ebd., S. 590), vorbereitet durch den Erwerb von Fachkompetenzen und
Reflexivität in der Universität. Baumert und Kunter betonen hingegen, dass professionelle
Handlungskompetenz aus dem Zusammenspiel von spezifischem, erfahrungsgesättigtem
deklarativem und prozeduralem Wissen, professionellen Werten, motivationalen
Orientierungen und metakognitiven sowie selbstregulativen Fähigkeiten besteht
(Baumert/Kunter 2006). Kern der Professionalität sind ihrem Ansatz zufolge allgemeines
pädagogisches, Fach- und fachdidaktisches Wissen. Zusammenfassend lässt sich fest-
halten, dass trotz ungelöster prinzipieller Fragen die Professionalität von Lehrer(inne)n über
Expertenwissen, Handlungskompetenzen und Routinen hinausgehendes Problemlösen
durch eine selbstreflexive und selbstkritische Haltung beschrieben wird. Dies führt dazu,
dass die Lehrer(innen)bildung zunehmend zu reflexiver Lehrerbildung wird.
2. Das STEP-Projekt: methodisches Vorgehen und theoretisches Konzept
Zur Analyse der Studierendenperspektive nutzen wir das Konzept Subjektiver Theorien nach
der Definition von Dann (1994). Hier werden Subjektive Theorien als stabile kognitive
Strukturen verstanden, die gleichwohl durch Erfahrung veränderbar sind. Sie haben die
Funktionen der Realitätskonstruierung, der nachträglichen Erklärung (und oft der
Rechtfertigung) eingetretener Ereignisse und der Generierung von Handlungsentwürfen (vgl.
Dann 1994, S. 166f.). Im Unterschied zu anderen Autor(inn)en, die Subjektive Theorien von
Konzepten wie Alltagstheorien oder Deutungsmustern abgrenzen (vgl. etwa Meuser/
Sackmann 1992), betonen wir die Anschlussfähigkeit dieses (psychologischen) Konzepts an
soziologische Konzepte wie das der kollektiven Deutungsmuster oder der Wissensbestände.
Sowohl im Konzept „Subjektive Theorien“ als auch im Konzept „Soziale Deutungsmuster“
wird von der handlungssteuernden Funktion dieser Deutungsmuster bzw. Theorien
ausgegangen. Individuen greifen in ihren Subjektiven Theorien auch auf soziale
Deutungsmuster zurück, die „eine kulturelle, kollektiv bzw. individuell (re-)produzierte Antwort
auf objektive, Handlungsprobleme aufgebende gesellschaftliche Bedingungen“ (ebd., S. 15)
darstellen.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 181
Die Studierenden wurden im Rahmen des STEP-Projekts mithilfe leitfadengestützter und
problemzentrierter Interviews befragt (vgl. Helfferich 2005; Witzel 1982). Neben dem
Praxisverständnis wurden auch ihre Vorstellungen zum Verhältnis von Studium und Beruf, zu
Professionalität und zu Kompetenzen und Kompetenzentwicklung im jeweiligen Studiengang
erhoben. Die folgenden Ergebnisse beruhen auf einem Auswertungsverfahren, bei dem wir
auf Basis eines Kategoriensystems die Interviews codiert haben. Auf dieser Grundlage
wurden Interviewpassagen thematisch ausgewertet; in einem zweiten Auswertungsschritt
werden die gefundenen Ausprägungen und vorläufigen Typisierungen differenziert und im
Rahmen einer komplexeren Typologie weiterentwickelt (Kelle/Kluge 2010).
3. Praxiskonzepte Studierender
Im Folgenden stellen wir eine Typologie der Praxiskonzepte Studierender aus verschiedenen
Lehramtsstudiengängen und den Studiengängen Sozialwissenschaften (BA) und Soziologie
(BA, MA) vor.
3.1. Soziologie
3.1.1. Kritik an fehlendem Praxisbezug
Studierende mit diesem Praxiskonzept äußern deutliche Kritik an der Organisation des
Studiums, das für sie zu wenig Praxisbezug im Hinblick auf außeruniversitäre und außer-
wissenschaftliche Praxisfelder enthält.
„Der Bezug zu welcher Praxis ist das denn? Zur wissenschaftlichen Praxis – na super!
(…) Hier wird man nur zum Wissenschaftler ausgebildet (…). Ob wir da jetzt wirklich
alle landen, ist ja wohl eher fraglich.“
Aufgabe der Universität wäre es, durch entsprechende Veranstaltungsformate auf die
Berufspraxis vorzubereiten. Angebote zur Berufsorientierung werden explizit gewünscht,
Praktika sollten verpflichtend gemacht werden und länger dauern. Praxiserfahrung heißt für
diese Studierenden auch, die Regeln der Arbeitswelt kennenzulernen,
„damit man weiß, wie das so in einem Unternehmen abläuft, sonst macht man sich da
falsche Vorstellungen. (…) Dass man da stark unter Strom steht und es nicht darauf
ankommt, eine Sache lang und gründlich zu machen, sondern schnell und
einigermaßen“
3.1.2. Studium als Bildung
Studierende mit diesem Praxiskonzept sehen eine systematische Differenz zwischen
Studium und Beruf, die aufrechterhalten werden sollte, weil sie die Qualität eines wissen-
schaftlichen Studiums ausmacht. Die Universität kann nicht auf konkrete Berufsfelder
vorbereiten und sie soll sich auch nicht einmischen; ein konkreter Praxisbezug wird deshalb
kaum erwartet und Hilfestellung für die eigene Berufsorientierung kann die Universität nicht
leisten:
„und da will ich jetzt irgendwie von der Uni, also ich persönlich zumindest, nicht
unbedingt eine Hilfestellung haben, im Sinne von ja Du könntest Journalistin werden
oder Du könnest in die Personalabteilung gehen, aber ich will die Zeit haben, dass ich
mir das selbst entwickeln kann.“
Seite 182 | Wie sehen Studierende das Verhältnis von Studium und Beruf?
Eine Vorbereitung auf die Berufspraxis erfolgt aus Sicht dieser Studierenden durch den
Erwerb fachlicher wie überfachlicher Kompetenzen: Durch das Studium erhält man einen
anderen (soziologischen) Blick auf die Dinge, man erkennt Zusammenhänge, lernt sich zu
orientieren, kann Sachverhalte schneller verstehen. Man lernt wissenschaftliches Arbeiten,
entsprechend zu denken und eine „vernünftige Analyse herzustellen“. Wichtig ist es auch,
die eigene Persönlichkeit zu entwickeln.
3.1.3. Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Berufspraxis
Studierende suchen hier eine vermittelnde Position zwischen den (Selbst-) Ansprüchen an
das Studium als in erster Linie wissenschaftliches Studium mit einer Betonung des
Bildungsaspekts und den wahrgenommenen Anforderungen des Arbeitsmarktes. Dies wird
als tendenziell konflikthaft und als „Spagat“ zwischen Wissenschaft und Berufspraxis erlebt:
„Also die Hochschule ist ja doch eher wissenschaftlich und theoretisch ausgelegt und
wenig praxisorientiert. Und der Beruf verlangt ja genau das Gegenteil von dem was wir
an der Hochschule machen. Und das würde ich mal mit Studium und Beruf in
Verbindung setzen, also der Konflikt so ein bisschen, oder ja Theorie und Praxis
miteinander zu vereinbaren.“
Diese Studierenden nehmen den wissenschaftlichen Anspruch des Studiums, ähnlich wie
beim vorhergehenden Praxiskonzept, sehr ernst und schätzen die Fähigkeiten, die sie durch
das wissenschaftliche Studium erlernen: Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens,
Methodenkenntnisse, Analysen erstellen und Zusammenhänge erkennen; zudem Schlüssel-
kompetenzen wie Präsentation, Rhetorik. Darüber hinaus lässt sich in diesem Praxiskonzept
eine vermehrte Beschäftigung mit Themen und Anforderungen des Arbeitsmarktes
erkennen. Die Studierenden beschäftigen sich aktiv mit der Frage nach einer möglichen
beruflichen Zukunft und versuchen, sich Informationen über mögliche Berufsfelder zu
beschaffen. Dies geht teilweise einher mit dem Sammeln gezielter Praxiserfahrungen durch
z.B. Praktika oder Nebenjobs. Eine Ausrichtung des Studiums auf eine spätere
Berufstätigkeit wird durch eine erkennbare Spezialisierung auf bestimmte Themen- und
Forschungsfelder schon während des Studiums verfolgt.
3.2. Lehramt2
3.2.1. Primat der beruflichen Verwertbarkeit
Studierende mit diesem Praxiskonzept gehen davon aus, dass das Studium direkt auf den
Lehrerberuf vorbereiten sollte und dass dies zu wenig geschieht:
„Und ich glaube, (...) dass das Studium zu wenig praxisbezogen ist. Man macht seine
drei Praktika in den Schulen, plus das außerschulische Praktikum. Und das ist die
einzige Phase, wo man sich wirklich mal ausprobieren kann, (…), und auch
unterrichten kann, (…) dass man dann aber dennoch recht wenig von dem angewandt
hat, was man in der Universität gelernt hat, sondern eher aus den Erfahrungen der
anderen Lehrer der Schulen profitiert.“
2 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf erste Ergebnisse, deren Publikation für 2011 vorgesehen ist (vgl.
Schüssler/Günnewig/Scharlau 2010).
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 183
Sowohl für fachliches als auch für erziehungswissenschaftliches Wissen wird gefordert, dass
es direkt auf die Schule bezogen werden kann. Das führt dazu, dass beim fachlichen Wissen
Inhalte abgelehnt werden, die nicht selbst unterrichtet werden können.
„Ja, zum Beispiel (…), dass man dann eine Unterrichtsreihe konzipieren soll, über das
Thema Shakespeare, für die Hauptschule. Wo ich mir denke, wenn man mal realistisch
ist, wird man nie an der Hauptschule Shakespeare behandeln. Und da würde ich es
(…) sinnvoller finden, (…) gute Modelle sich anzugucken über Sprachvermittlung oder
(…) Bücher durchzunehmen, die man wirklich an einer Hauptschule vielleicht machen
könnte.“
Besondere Wertschätzung erfährt hingegen Handlungswissen, wie solches über Unterrichts-
vorbereitung und -durchführung. Alles Wissen, das über diesen Anwendungsbezug
hinausgeht, muss sich als praxisrelevant legitimieren und steht unter dem Vorbehalt, für die
Praxis nicht brauchbar und deshalb überflüssig zu sein. Zudem identifizieren viele dieser
Studierenden Praxisbezug direkt mit eigenem Handeln.
„Die Seminare, die praxisorientiert sind, da wird eben sehr viel praktiziert, würde ich
sagen. Man kann sich selber ausprobieren. Oder man sieht, wie andere sich selber
ausprobieren.“
Die Vorstellungen vom Lehrerberuf und den dazu notwendigen Kompetenzen sind eng auf
das Unterrichten bezogen. Planen und Durchführen von Unterrichtsstunden werden als
wesentlicher Teil des Lehrerhandelns begriffen und universitäres Wissen wird dann
geschätzt, wenn es dazu relevantes Wissen und Kompetenzen vermittelt.
3.2.2. Wechselwirkung von Theorie und Praxis
Dass Studierende sich mehr Praxis wünschen, den Praxisbezug des Lehramtsstudiums vor
allem in den Praktika verorten und oft ein wenig kritisches Bild von Praxisphasen haben, ist
schon lange bekannt (vgl. Hascher 2006). Unsere Analysen bestätigen dies allerdings nur für
einen Teil der Studierenden. Eine andere Gruppe hat ein breiter gefasstes, reflektiertes und
damit kritisches Verständnis vom Praxisbezug des Studiums.
„vor diesem Praktikum habe ich das sehr kritisch gesehen, das Verhältnis von Theorie
und Praxis und dachte, ich bin überhaupt nicht auf (...) diesen Beruf vorbereitet.
Mittlerweile denke ich aber, dass das Studium jetzt einfach andere
Schlüsselqualifikationen ausbildet und dass das Ziel ist und dass ich die auch sehr gut
beherrsche (…) und dass ich die Dinge, die in der Praxis wichtig sind, auch im
Referendariat ausbilden kann, auch zeitnah. Und da (...) wünsch ich mir dennoch aber
immer wieder Zeit, die Theorie wieder reinzuholen.“
Die unmittelbare Berufsvorbereitung ist hier lediglich eine Teilaufgabe. Das Studium dient
der Vermittlung weiter fachlicher Perspektiven, dem Gewinnen von Standpunkten und dem
Erwerb von Kompetenzen, die es möglich machen, berufliche Handlungsstrategien zu
erwerben. Dazu zählen primäre Qualifikationen wie ein Grundverständnis des Fachs, das
Recherchieren und Problemlösen, aber auch sekundäre Qualifikationen wie Zeitmanage-
ment und Organisationsfähigkeiten. Das universitäre Wissen erlaubt es, Unterrichten und
andere Lehrertätigkeiten zu reflektieren und zu verstehen.
„Ja, ich denke schon, erst mal die Horizonterweiterung und einfach auch die Sicherheit,
die man bekommt. Wenn ich nachher ein Fach unterrichte, dann habe ich mehr die
Seite 184 | Wie sehen Studierende das Verhältnis von Studium und Beruf?
Sicherheit, (...) dass ich (...) eine gefestigte Meinung drin habe oder ein gefestigtes
Wissen. Genau.“
Praktika werden als sehr bedeutsam für die Berufsvorbereitung gesehen, bedürfen aber der
Verbindung mit universitären Veranstaltungen, in denen die Praxiserfahrung reflektiert wird.
Einige dieser Studierenden beziehen Praxis- und universitäre Phasen im Sinne eines
wechselseitigen Reflexionsverhältnisses aufeinander. Auch sie kritisieren oft den
mangelnden Praxisbezug des Studiums; allerdings sehen sie neben zu wenig auch qualitativ
nicht hinreichenden Praxisbezug und wägen die Aufgaben von Universität und
Praktika/Referendariat gegeneinander ab.
3.3. Zwischenfazit
Die Analyse der Interviews zeigt eine erhebliche Varianz in den Vorstellungen über einen
Praxisbezug des Studiums. Diese Unterschiede ergeben sich weniger durch die Differenz im
Berufsbezug der Studiengänge selbst als vielmehr durch unterschiedliche Subjektive
Theorien von Studierenden innerhalb eines Studiengangs. Interessant ist, dass es in beiden
Studiengängen ein Praxiskonzept gibt, das eine unmittelbare berufliche Verwertbarkeit des
Studiums und ein Studium mit einem stärker berufsorientierten Zuschnitt einfordert und
eines, das die Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis und die (berufliche)
Kompetenzentwicklung auch durch das wissenschaftliche Studium betont. Das dritte
Konzept, das Kompetenzerwerb in erster Linie als Resultat eines wissenschaftlichen
Studiums und der hier erworbenen fachlichen wie überfachlichen Kompetenzen begreift,
findet sich bei Studierenden des Lehramts in unserem Sample nicht. In den Studiengängen
Soziologie und Sozialwissenschaften ist dieses Konzept durchaus häufig vertreten.
Es wird zu prüfen sein, wie sich diese Praxiskonzepte auf das Studienverhalten auswirken.
Zudem ist zu untersuchen, inwieweit die Praxiskonzepte mit Vorstellungen der Studierenden
über berufliche Kompetenzen, Kompetenzentwicklung und zur Professionalität zusammen-
hängen. Zu fragen ist dabei, ob diese verschiedenen Inhalte ein gemeinsames Ganzes
bilden, sich also die drei (bzw. zwei) gefundenen Typen auch in den Kompetenzvor-
stellungen und Professionalitätskonzepten wiederfinden, oder ob die Studierenden zu diesen
Themen unterschiedliche und nicht zwangsläufig verbundene Ansichten ausbilden.
4. Professionalität
4.1. Soziologie
Die Subjektiven Theorien der Studierenden zur Professionalität des Faches sind
aufschlussreich sowohl für die Wahrnehmung ihres Studiums als auch für ihre Vorstellung
hinsichtlich eines möglichen Beruf- und Arbeitsweltbezugs ihres Studiums. Es lassen sich
drei wesentliche Konzepte von Professionalität finden: Erstens eine Vorstellung von
Professionalität, die sich primär auf wissenschafts- und studienbezogene Dimensionen
bezieht, zweitens ein Professionalitätskonzept, das sich auf außerwissenschaftliche Berufs-
felder bezieht sowie ein drittes übergreifendes Konzept, das wissenschaftliche und
außerwissenschaftliche Praxis verbindet.
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 185
4.1.1. Professionalität bezogen auf Studium und Wissenschaft
Professionalität als Soziologe/Soziologin oder Sozialwissenschaftler(in) wird von einer
größeren Gruppe von Studierenden im Kontext von wissenschaftlichen Standards definiert.
Ein zentraler Punkt ist das „saubere“ wissenschaftliche Arbeiten, ein korrekter Umgang mit
Quellen und richtiges Zitieren. Professionalität heißt hier
„dass er sauber arbeitet, dass wenn er irgendwas sagt, dass er zitiert, das er ordentlich
mit Quellen umgeht und so was alles (…) diese grundlegenden Sachen.“
Wichtig sind darüber hinaus der korrekte Umgang mit Daten und die Einhaltung von
Standards der Objektivität und Überprüfbarkeit.
Während sich dieses Verständnis von Professionalität eher auf generelle Standards
wissenschaftlichen Arbeitens bezieht, werden von anderen Studierenden v.a. fachwissen-
schaftliche Qualifikationen und Kompetenzen als Kern soziologischer Professionalität
benannt. Im Vordergrund stehen hier Theorie- und Methodenkenntnisse, die jedoch nicht nur
angewandt, sondern auch im Hinblick auf Reichweite und Ertrag reflektiert werden sollten.
„also dass man verschiedene Theorien kennt (…) weiß wie man sie einzuordnen hat,
was sie einem bringen können.“
Während sich dieses Verständnis von soziologischer Professionalität im Sinne Oevermanns
an innerwissenschaftlichen Kriterien orientiert und eng mit der aktuellen Lebenswelt der
Studierenden verknüpft ist, wird im folgenden Konzept Professionalität primär auf die
außerwissenschaftliche Berufswelt bezogen.
4.1.2. Professionalität bezogen auf außerwissenschaftliche Praxis
Zentral ist hier die Frage, inwieweit Soziolog(inn)en spezifische Fachkenntnisse im Vergleich
zu anderen Absolvent(inn)en haben und inwieweit sie mit diesen in bestimmten Berufs-
feldern konkurrieren können. Professionalität wird hier definiert mit Bezug auf die
spezifischen Anforderungen des jeweiligen Berufsfeldes und als das Ausführen fachlicher
Aufgaben:
„wenn man in der Personalabteilung eines Unternehmens ist, dann muss man den
Anforderungen da genügen (...)“
„Professionalität ist eigentlich immer die Aufgaben, die man bekommt, wirklich nach
bestem Wissen und Gewissen auszuführen. (...) Und das halt möglichst fehlerfrei und
routiniert auch ein bisschen noch.“
Professionalität in außerwissenschaftlichen Berufsfeldern bedeutet aber auch Handeln unter
ungewissen Bedingungen, mit unvollständiger Information und unter Zeitdruck:
„Handeln, da gibt es immer Lücken. Und ich glaube, dass die Professionalisierung eher
ist wie man damit umgeht, also so dass man diese Lücken hat.“
4.1.3. Professionalität als übergreifende Perspektive
Ein drittes Professionalitätskonzept ist weder ausschließlich auf Wissenschaft noch auf
spezifische Berufsfelder bezogen; als übergreifendes Konzept kann es eine Vermittlung
zwischen beiden Sphären herstellen. Dieses Konzept betont die spezifische Perspektive auf
gesellschaftliche Phänomene, die durch das Studium der Soziologie vermittelt werden.
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Genannt werden Fähigkeiten wie Zusammenhänge zu erkennen, Funktionsweisen der
Gesellschaft zu verstehen, Strukturen zu erkennen und kritisch zu hinterfragen sowie eigene
Erkenntnisinteressen zu reflektieren.
„Also Sozialwissenschaftler kriegen ja erst mal die Hintergründe über die Gesellschaft
und so vermittelt, denk ich mal. Also dass man da irgendwie einen ganz anderen Blick
drauf kriegt und nicht so oberflächlich irgendwie, sondern dass man da das gelernt hat,
das zu hinterfragen.“
Ein weiterer Gedanke ist die Entwicklungsfähigkeit in Bezug auf die eigene (wissen-
schaftliche) Arbeit, d.h. das immer wieder erneute Hinterfragen eigener Ergebnisse und ein
im weitesten Sinne forschendes Herangehen an Fragestellungen.
„Ich finde am allerwichtigsten unter anderem, dass man das, was man in dem Moment
denkt oder herausfindet, dass man das immer wieder hinterfragt. Also dass man sich
weiterentwickelt.“
Dieser „soziologische Blick“ bzw. eine gewisse Reflexionsfähigkeit scheint das zu sein, was
viele Studierende der Soziologie mit einer Professionalität des Faches verbinden.
Die bisherigen Auswertungen zeigen, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen
den Praxiskonzepten und den Subjektiven Theorien zu Professionalität gibt. So findet sich
das an Standards wissenschaftlichen Arbeitens orientierte Professionalitätskonzept bei
vielen Studierenden, unabhängig von ihren jeweiligen Praxiskonzepten; bestenfalls lassen
sich Unterschiede im Hinblick auf die Differenziertheit und Reflexivität der Argumentation
feststellen. Gleichwohl gibt es aber eine Nähe bestimmter Konzepte zueinander bzw. ein
Sich-Ausschließen bestimmter Konzepte. Studierende mit einem Konzept von Praxisbezug,
das auf eine möglichst direkte berufliche Verwertbarkeit zielt, argumentieren in der Regel
nicht mit dem „soziologischen Blick“ als Kernkompetenz soziologischer Professionalität,
sondern eher mit handfesten Methodenkenntnissen oder mit fachunspezifischen Schlüssel-
kompetenzen.
4.2. Lehramt
Der Professionalitätsbegriff war den Lehramtsstudierenden wenig geläufig und zugänglich
und wurde von einigen als zu stark wertend gänzlich abgelehnt. Daneben ergab sich in den
induktiven Analysen wieder eine erhebliche Heterogenität.
Die Analyse zeigt, dass vor allem fünf Themenbereiche den Studierenden wichtig sind:
Reflexionsfähigkeit, die Balance von Routine und Flexibilität, bewusste Rollenübernahme,
(Fach-) Wissen und Lehrerkompetenzen. Ausgehend hiervon konnten zwei Typen
Subjektiver Theorien zu Professionalität ausgemacht werden, die zwei prominenten Stand-
punkten in der wissenschaftlichen Debatte um Lehrerprofessionalität ähneln, und zwar der
Definition von Professionalität über Reflexion und Rollenverständnis (vgl. etwa Helsper 2006)
und der Definition über das Vorhandensein von fachlichen, fachdidaktischen und
pädagogischen Wissensbeständen (vgl. Baumert/Kunter 2006). Da von den Studierenden
keinerlei Bezüge zur Professionalisierungsdebatte genommen und keine theoretischen
Konzepte diskutiert werden, handelt es sich lediglich um einen impliziten Bezug. So
formuliert eine Vertreterin des zweiten Konzepts:
„Für den Lehrer ist es auf jeden Fall wichtig, dass er sehr gut ist, in seinem Fach und in
der Vermittlung, in der Didaktik. Und die ganzen Dinge, die wir eben schon genannt
Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden | Seite 187
haben, die Kompetenzen, die ein Lehrer mitbringen sollte, da muss er gut sein. Damit
er den Beruf auch gut ausüben kann und die Schüler dann auch was davon haben.“
Eine andere Studentin beginnt ebenfalls mit dem Hinweis auf den Kompetenzerwerb,
formuliert dann aber auch die Ansprüche an Reflexion, die typisch für das erste Konzept
sind:
„Ja, also Professionalität im Lehrerberuf, denke ich, ist diese Kompetenzen, die wir
grade genannt haben, weitgehendst verinnerlicht zu haben, ohne dass man sich das
vielleicht ständig selber noch mal bewusst machen muss. Aber trotzdem immer wieder
zu reflektieren und zu schauen, inwieweit habe ich vielleicht Verhaltensmuster
mittlerweile angenommen, die nicht angemessen sind.“
Die Analysen bringt zudem eine interessante Ergänzung zu den oben skizzierten Befunden
zum Praxiskonzept. Viele der Lehramtsstudierenden, deren Subjektive Theorie vom
Praxisbezug dem Primat der beruflichen Verwertbarkeit zugeordnet werden kann, vertreten
ein Verständnis von Lehrerprofessionalität, das um pädagogisches, fachdidaktisches und
Fachwissen konzentriert ist. Dies ist weitgehend stimmig zu ihrem Praxiskonzept.
Interessanterweise erfährt das bei der Frage nach dem Praxisbezug des Studiums oft
geschmähte Fachwissen im Kontext der Diskussion um Professionalität allerdings eine
deutlich höhere Wertschätzung. Die zum Thema Studium und Beruf verfügbaren Subjektiven
Theorien einzelner Individuen sind in sich also keineswegs widerspruchsfrei.
Andere Studierende, die vom Primat der beruflichen Verwertbarkeit ausgehen, schätzen
hingegen ein adäquates Rollenverständnis und Reflexivität als Kern pädagogischer
Professionalität. Beide Professionalitätskonzepte finden sich zudem etwa gleich verteilt auch
in der Gruppe von Studierenden mit dem weiteren Bild eines Praxisbezugs durch
Wechselbeziehung von Theorie und Praxis. Dieser Befund zeigt, dass Studierende mit dem
Konzept vom Primat der beruflichen Verwertbarkeit nicht einfach nur schlechter ausgebildet
oder weniger informiert sind als solche mit einem weiter gefassten Praxiskonzept. Unserer
Ansicht nach lässt er sich eher dahingehend interpretieren, dass Wissensbestandteile oder
Subjektive Theorien nur in begrenzten Begriffs- oder Deutungshorizonten verfügbar sind –
ein möglicherweise wichtiger Befund für die Frage nach der Ausbildung ebensolcher
Konzepte.
5. Schlussfolgerungen
Was bedeuten diese Befunde nun für die Gestaltung des Studiums? Es ist davon
auszugehen, dass die von uns rekonstruierten Subjektiven Theorien einen Einfluss auf die
Studiengestaltung, die Studienstrategien und mittelbar auch die Zufriedenheit mit dem
Studium nehmen. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Studierenden unerwartet unter-
schiedliche Deutungen des Verhältnisses von Studium und Beruf vorbringen. Dieser
Heterogenität muss die Universität Rechnung tragen und differenzierte Angebote für die
verschiedenen Gruppen von Studierenden anbieten. Die Forderung nach „mehr
Praxisbezug“ etwa wird damit mehrdeutig – sie kann mehr direktes berufliches Handeln
bereits im Studium, aber auch mehr Reflexion des Verhältnisses von praktischer Erfahrung
und wissenschaftlicher Theorie und mehr fachwissenschaftliche Ausbildung bedeuten.
Da Subjektive Theorien als Filter bestimmen, welche Studienangebote und Lerngelegen-
heiten Studierende wahrnehmen, und eine erhebliche Beharrungskraft gegenüber
diskrepanten Erfahrungen haben, wird es notwendig, im Studium neben der Vermittlung von
Seite 188 | Wie sehen Studierende das Verhältnis von Studium und Beruf?
Fachwissen und Kompetenzen primärer und sekundärer Art auch die Subjektiven Theorien
oder Deutungsmuster der Studierenden zu thematisieren und zu verändern (vgl. Blömeke
2002; Beyer/Wisbert 2006). Vor der Vermittlung von Wissen – zumindest aber
gleichberechtigt neben ihr – sollte die Reflexion der eigenen Subjektiven Theorien oder
Deutungsmuster stehen. Das hat auch deswegen einen Reiz, weil sie (häufig implizit) Bezug
auf aktuelle und ungelöste professionstheoretische Debatten nehmen. Besonders relevant ist
hierbei der Befund, dass, wie wir gezeigt haben, einige Studierende intern widersprüchliche
Subjektive Theorien haben – unterschiedliche Fragen in Interviews machen unterschiedliche
Erfahrungs- und Überzeugungsbestände zugänglich, ohne dass diese untereinander
argumentativ verknüpft würden. Damit besteht bei jeder Form von reiner Vermittlung von
Inhalten ohne Bezugnahme auf die Subjektiven Theorien Inhalte die Gefahr, dass diese
neben die bereits vorhandenen subjektiven Repräsentationen treten, nicht aber in diese
integriert werden.
Um die Subjektiven Theorien den Studierenden bewusst zu machen und sie zu
differenzieren, scheint es Erfolg versprechend zu sein, diese im Lichte anderer Perspektiven
zu reflektieren, etwa indem sie gezielt mit anderen Subjektiven Theorien, Praktikums- oder
Studiumserfahrungen und wissenschaftlichen Theorien in Beziehung gesetzt und diskutiert
werden. Hierzu werden im STEP-Projekt derzeit Self-Assessment-Instrumente entwickelt, die
– möglichst in curricular einsetzbarer Form – die Studierenden durch wesentliche Phasen
ihres Studiums begleiten sollen.
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Institutionelle Rahmenbedingungen
Seite 192 | Lehre unter den Forschungshut bringen
Lehre unter den Forschungshut bringen… – Empirische Befunde zu multipler Zielverfolgung und Zielkonflikten
aus Sicht von Hochschulleitungen und
Nachwuchswissenschaftler(inne)n
Wiebke Esdar, Julia Gorges, Katharina Kloke, Georg Krücken, Elke Wild
Abstract
Hochschulen und deren Mitarbeiter(innen) sehen sich traditionell mit vielfältigen
Anforderungen konfrontiert und verfolgen somit zeitgleich multiple Ziele. Sind diese nicht
vereinbar, kommt es zu Konflikten. Das Forschungsprojekt ConGo – Conflicting Goals @
universities untersucht die Entstehung, Konstitution und Folgen solcher Zielkonflikte auf
organisationaler und individueller Ebene, wobei der Fokus auf Lehrziele gelegt wird. Es zeigt
sich, dass sowohl Hochschulleitungen als auch Nachwuchswissenschaftler(innen)
Zielkonflikte als Ressourcenkonflikte wahrnehmen. Gemeinsamkeiten bestehen weiterhin
darin, dass trotz ständig steigender neuer Aufgaben, mit denen sich Hochschulen und
Individuen konfrontiert sehen, Konflikte zwischen den traditionellen Kernaufgaben Forschung
und Lehre auf beiden Ebenen im Vordergrund stehen. Unterschiede zeigen sich hingegen in
der Verantwortlichkeit für den Umgang mit multiplen Anforderungen: Während die
Hochschulleitungen als organisationale Entscheidungsträger(innen) Zuständigkeiten auch an
Supporteinrichtungen und dezentrale Bereiche delegieren können, erhöht eine Übernahme
der Verantwortlichkeit bei Nachwuchswissenschaftler(inne)n die Wahrscheinlichkeit von
Zielkonflikten und psychischer Belastung.
1. Einleitung
Das deutsche Hochschulsystem befindet sich im Umbruch: Unter Schlagwörtern wie
„Bologna-Prozess“ und „Exzellenzinitiative“ werden derzeit parallel Reformvorhaben auf
verschiedenen Ebenen verfolgt, die – so die zentrale These – im Ergebnis mit einer
Multiplizierung von Zielen und Erwartungen auch und gerade in der akademischen Lehre
einhergehen. Für diese multiplen Ziele gilt es organisationale und individuelle Strategien der
Problemlösung zu finden, die allen Beteiligten, der Organisation „Hochschule“ und ihren
Mitarbeiter(inne)n gerecht werden.
Sowohl kollektive als auch individuelle Akteurinnen und Akteure benötigen zur Zielverfolgung
Ressourcen. Bei steigenden Anforderungen und einer Multiplizierung zeitgleich zu
verfolgender Ziele werden Ressourcenengpässe wahrscheinlicher und es kommt zu
Zielkonflikten. Da die verfügbaren Ressourcen zumeist begrenzt sind, müssen
Entscheidungen über die für die Verteilung einzelner Ziele verfügbaren Ressourcen getroffen
werden.
An deutschen Universitäten werden traditionell multiple Ziele in den Bereichen Forschung,
Lehre und Selbstverwaltung verfolgt. In den letzten Jahren erweiterte sich das Spektrum an
sogenannten „Querschnittsaufgaben“ (zum Beispiel Technologietransfer, Gender
Mainstreaming, Internationalisierung), während auch die Anforderungen innerhalb der
einzelnen Tätigkeitsbereiche gewachsen sind. So gilt es im Bereich der Lehre mittlerweile
nicht nur eine akademische Ausbildung von vielen Studierenden auf hohem Niveau zu
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 193
gewährleisten, sondern auch eine europaweit einheitliche Studienstruktur mit dem Prinzip
der Kompetenzorientierung einzuführen, die “Employability„ der Absolvent(inn)en sicherzu-
stellen und neue (multi-mediale) Lehr-/Lernformen sowie innovative Prüfungsformen
umzusetzen. Die aktuelle Situation der Hochschulen und ihrer Mitarbeiter(innen) stellt sich
somit als äußerst vielschichtig und anspruchsvoll dar.
Die Bewältigung dieser multiplen Ziele erfordert sowohl auf Ebene der Organisation als auch
auf Ebene der individuellen Akteurinnen und Akteure großes Engagement und ein kluges
strategisches Vorgehen. Hier setzt das BMBF-geförderte Projekt ConGo@universities an: Es
geht der Frage nach, unter welchen Bedingungen multiple Zielverfolgung gelingt, wann
Zielkonflikte entstehen und wie diese auf beiden Ebenen gelöst werden. Um dies
untersuchen zu können, gilt es zunächst, ein möglichst präzises Bild der aktuellen Situation
sowohl aus organisationaler als auch aus individueller Perspektive zu zeichnen. Erste
empirische Ergebnisse dazu werden in diesem Beitrag vorgestellt. Kernfragen sind: Wie stellt
sich die Situation aus Perspektive der Hochschulleitungen und der Nachwuchswissen-
schaftler(innen) dar? Und welche Folgen hat sie für Handeln und Erleben?
Der vorliegende Beitrag ist in drei Abschnitte untergliedert. Zunächst wird das methodische
Vorgehen im Projekt ConGo näher erläutert. Daran anschließend (Abschnitt 3) werden erste
empirische Befunde zur Sicht der Hochschulleitungen und der Beschäftigten in zentralen
Supporteinheiten zu Fragen der multiplen Zielverfolgung, der Gestaltung von Lehre und der
Qualitätssicherung vorgestellt (organisationale Ebene). Im Vordergrund stehen hier die
Identifizierung der Ziele, die von den kollektiven Akteurinnen und Akteuren verfolgt werden,
sowie die Wahrnehmung von auftretenden Zielkonflikten mit ihren Folgen. In Abschnitt 4
werden Ergebnisse zu analogen Fragestellungen zusammengefasst, die auf der Analyse der
Individualdaten fußen und die Perspektive der Nachwuchswissenschaftler(innen) beleuchten.
Schließlich ziehen wir in Abschnitt 5 ein Fazit, indem wir Parallelen, aber auch wichtige
Unterschiede der multiplen Zielverfolgung auf den verschiedenen Ebenen herausarbeiten
und mit Blick auf praktische Implikationen diskutieren.
2. Conflicting Goals @ universities – Eine interdisziplinäre Untersuchung multipler Zielverfolgung an Universitäten
Das interdisziplinäre Projekt ConGo bedient sich in Teilprojekt 1 Ansätzen der Organisations-
soziologie (Leitung: Prof. Dr. Georg Krücken, DHV Speyer); in Teilprojekt 2 (Leitung: Prof.
Dr. Elke Wild, Universität Bielefeld) werden aus psychologischen Handlungs- und
Motivationsansätzen abgeleitete Thesen in einem qualitativen und quantitativen Zugriff
geprüft. Abbildung 1 illustriert das Design des Gesamtprojekts:
Seite 194 | Lehre unter den Forschungshut bringen
Abbildung 1: Design des Projekts ConGo
Im Rahmen der Organisationsanalyse werden Hochschulleitungen und Mitarbeiter(innen) der
Supporteinrichtungen als kollektive Akteurinnen und Akteure und ihre Wahrnehmung und
Bewältigung von Zielkonflikten, die auf der Ebene der Gesamtorganisation entstehen,
fokussiert. Supportstrukturen im Bereich der Lehre (Qualitätsmanagement, Hochschul-
didaktik) sowie im Bereich der Nachwuchsförderung werden dabei als Bindeglied zwischen
organisationaler und individueller Ebene im Bereich Lehre betrachtet.
Auf der individuellen Ebene gehen wir davon aus, dass sich Nachwuchswissen-
schaftler(innen), weil sie sich noch in ihrer Ausbildungsphase befinden und zumeist auf
befristeten Stellen beschäftigt sind, in einem ausgeprägten Wettbewerb um Stellen und
Reputation sehen. Dieser Erfolgsdruck zusammen mit unsicheren Karriereaussichten sollte
dazu führen, dass sich Nachwuchswissenschaftler(innen) stärker als andere Statusgruppen
mit Zielkonflikten konfrontiert sehen. Folglich liegt der Fokus im Teilprojekt 2 auf Post-
graduierten und Postdoktorand(inn)en.
Insgesamt wurden Fallstudien an neun systematisch ausgewählten Universitäten
unterschiedlicher Größe aus allen Teilen Deutschlands durchgeführt. Als besonders
forschungsstark galten dabei zwei Universitäten, die für ihre Zukunftskonzepte in der
Exzellenzinitiative ausgezeichnet wurden, sowie eine Universität, die in den beiden anderen
Förderlinien erfolgreich war. Als besonders lehrstark wurden drei Universitäten ausgewählt,
die sich durch eine starke Lehramtsausbildung, eine rasche Bachelor-/Masterumstellung
oder eine lange Tradition im Bereich der Qualitätssicherung der Lehre auszeichnen. Darüber
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 195
hinaus haben wir drei Universitäten ausgewählt, die in Forschung und Lehre gleichermaßen
ausgewiesen sind, ohne dass sie einer der beiden anderen Gruppen zuzuordnen sind.
Im Teilprojekt I wurden an jeder der untersuchten Hochschulen Interviews mit
Vertreter(inne)n der Hochschulleitung, der Einrichtungen zur Qualitätssicherung, der
hochschuldidaktischen Einrichtungen und zum Teil auch der Personalentwicklung bzw.
Nachwuchsförderung durchgeführt. Insgesamt wurden 39 Personen befragt. Die Interviews
wurden im Zeitraum von Februar bis November 2010 durchgeführt, aufgezeichnet und
anschließend vollständig transkribiert. Mithilfe des Datenprogramms MAXQDA wurden sie
später qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet.
Zur Erfassung der individuellen Perspektive (Teilprojekt II) wurde an acht dieser neun
Hochschulen in Absprache mit der jeweiligen Hochschulleitung zunächst eine Online-
befragung der Nachwuchswissenschaftler(innen) durchgeführt. Die Einladung zur Teilnahme
an dieser Befragung wurde über hausinterne Verteiler versendet und richtete sich an den
gesamten lehrenden Mittelbau. Bis dato nahmen 600 Nachwuchswissenschaftler(innen) mit
einem durchschnittlichen Alter von 32,7 Jahren an der Befragung teil. Davon waren 47,0 %
weiblich und 37,5 % promoviert. Die überwiegende Mehrheit (89,3 %) verfügt über einen
befristeten Arbeitsvertrag. 65,8 % sind auf Landesstellen beschäftigt, 32,2 % in Drittmittel-
projekten. 8,3 % der Befragten geben an, aus Studiengebühren finanziert zu werden. Die
Teilnehmer(innen) verteilen sich auf die Fächergruppen Geisteswissenschaften (20,3 %),
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (33,8 %) sowie Ingenieurs- und Naturwissenschaften
(45,9 %). Aus dieser Gesamtstichprobe wurde eine Intensivstichprobe (N = 12) gezogen.
Ausgewählt wurden Nachwuchswissenschaftler(innen), die sich entweder besonders gering
oder besonders stark durch Zielkonflikte belastet fühlen. Mit diesen wurde ein
leitfadengestütztes Interview durchgeführt, um näheren Aufschluss über Determinanten des
individuellen Umgangs mit multiplen Zielen zu erlangen. Die detaillierte Auswertung dieser
Daten steht derzeit noch aus.
3. Perspektive der Organisation – die Hochschulleitungen
Die befragten Hochschulvertreter(innen) berichten durchgängig, dass sich aufgrund
hochschulpolitischer und gesellschaftlicher Entwicklungen die Bandbreite und die
Komplexität der Ziele deutscher Universitäten deutlich ausgeweitet hätten. Dies wird vor
allem auf eine erhöhte Erwartungshaltung von Seiten der Politik, der Medien, der Wirtschaft
und der Öffentlichkeit im Allgemeinen zurückgeführt. Betont wird ferner, dass Universitäten in
einem nationalen und internationalen Wettbewerb um Drittmittel, (Nachwuchs-) Wissen-
schaftler(innen) und Studierende stünden. Zusätzlich würde von Universitäten gefordert,
interdisziplinäre Forschungsverbünde und Studiengänge aufzulegen, Querschnittsthemen
wie Gender Mainstreaming und Diversity zu verfolgen, Kooperationen mit der Wirtschaft zu
etablieren und Angebote der wissenschaftlichen Weiterbildung breitzustellen.
Grundsätzlich sehen sich die Hochschulleitungen als steuernde Instanz für die gesamte
Organisation Hochschule, verweisen jedoch häufig auf äußere und innere Umstände, die
eine zentrale Steuerung erschweren oder sogar unmöglich machen. Dabei sind drei
Kernaspekte voneinander zu unterscheiden, die die Wahrnehmung und Bewältigung von
multiplen Anforderungen und Zielkonflikten charakterisieren: (a) begrenzte finanzielle
Ressourcen, (b) das mit den Besonderheiten der Hochschulgovernance zusammen-
hängende Selbstverständnis der Hochschulen sowie (c) Lehre und Forschung als
Seite 196 | Lehre unter den Forschungshut bringen
Kernaufgaben und -konflikt. Diese drei analytisch trennbaren, in konkreten Handlungs-
situationen jedoch eng verwobenen Aspekte werden im Folgenden kurz erläutert.
3.1. Zielkonflikte aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen
Als Grundkonflikt identifizierten die Hochschulleitungen eine stagnierende bzw. sinkende
Finanzierung bei immer ambitionierteren Absolventenzahlen und gleichzeitiger Forderung
nach exzellenter Forschung. Die chronische Unterfinanzierung schränke den Handlungs-
spielraum in beiden Kernfeldern universitären Handelns bereits so stark ein, dass andere,
neuere Ziele und Anforderungen, wie wir sie zuvor benannt haben, demgegenüber eher eine
untergeordnete Rolle spielen müssten. Bereits hier wird deutlich, dass Zielkonflikte auf
organisationaler Ebene vornehmlich auf begrenzte finanzielle Ressourcen zurückgeführt
werden.
3.2. Das Selbstverständnis der Hochschulen
Weitere Zielkonflikte, die auch für universitäre Lehre von Bedeutung sind, beziehen sich auf
das Verhältnis von Staat und Universität (hier: externe Zielvorgaben vs. Hochschul-
autonomie) sowie auf das Verhältnis von zentraler und dezentraler Ebene (hier: strategische
Steuerung vs. Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Fakultäten). Derartige Zielkonflikte
sind nicht mit Ressourcenkonflikten identisch und beziehen sich unmittelbar auf Fragen der
Hochschulsteuerung („Governance“).
Grundlegend treffen traditionelle Strukturen hier auf neue Selbstverständnisse und
organisationale Ziele. Aus neo-institutionalistischer Perspektive können Hochschulen als
lose gekoppelte Systeme beschrieben werden, deren Kennzeichen es ist, dass einzelne
Teilsysteme mit unterschiedlichen Funktions- und Ordnungsprinzipien nebeneinander
bestehen und übergeordneten Leitungsstrukturen nur geringe Einflussmöglichkeiten
zugestanden werden (Krücken/Röbken 2009, S. 333). Dieses Verständnis wird zunehmend
von einem Selbstverständnis überlagert, demzufolge die Hochschule eine einheitliche,
handlungs-, entscheidungs- und strategiefähige organisationale Akteurin ist. Innerhalb
dieses Spannungsverhältnisses bewegen sich die von uns befragten Hochschulleitungen,
indem sie einerseits die Zuschreibung als handelnde Akteurinnen und Akteure für die
Gesamtorganisation übernehmen, andererseits aber aufgrund der weiterhin bestehenden
losen Kopplung begrenzte direkte Einflussmöglichkeiten von der (Gesamt-)Organisations-
ebene auf einzelne Teilsysteme wie insbesondere Fakultäten sehen.
Im Hinblick auf die in unserem Projekt im Vordergrund stehende Fragestellung zeigt sich,
dass angesichts des zuvor skizzierten Spannungsverhältnisses anstelle einer direkten
Steuerung in der Regel indirekte Einflussmöglichkeiten gesucht werden. Direkte
Einflussmöglichkeiten durch Schaffung hochschulweiter Richtlinien, etwa in Form
verbindlicher Promotionsbestimmungen und -handbücher, werden kaum gesehen
beziehungsweise als wenig zweckdienlich erachtet. Vielmehr wird der Angebots- und
Freiwilligkeitscharakter von unterstützenden Maßnahmen betont. Hier spielen insbesondere
die von uns untersuchten Supporteinrichtungen eine wichtige Rolle, da sie als wichtiges
Bindeglied zwischen der Hochschulleitung und den Fakultäten fungieren (sollen), indem sie
organisationale Ziele an die einzelnen Wissenschaftler(innen) kommunizieren und vielfältige
(zentral finanzierte) Unterstützungsleistungen bereitstellen. Die Mitarbeiter(innen) wiederum
betonen, dass sie in besonderer Weise auf die Hochschulleitung angewiesen seien, da sie
weder auf die Interessen und das Nachfrageverhalten von Nachwuchswissenschaftler(innen)
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 197
direkt einwirken können, noch auf das der jeweiligen Promotions- bzw. Habilitations-
betreuer(innen).
Insgesamt wird an diesem Beispiel ein organisationaler Umgang mit Zielkonflikten deutlich,
der Grundzüge eines sehr stark auf Dezentralität und Selbstorganisation setzenden
Organisationsverständnisses mit „indirekten“ Steuerungselementen im Sinne eines Aufbaus
organisationaler Angebotsstrukturen auf der Universitätsebene zu kombinieren versucht, die
nicht auf Zwang basieren. Das hierin zum Ausdruck kommende Selbstverständnis ist
weiterhin das einer lose gekoppelten Expertenorganisation, an die angesichts neuer
Aufgaben zentrale Organisationsstrukturen angegliedert werden, ohne dass hieraus direkte
Steuerungsambitionen resultieren.
3.3. Lehre und Forschung als Kernaufgaben und -konflikt
Bezogen auf die Kernaufgaben Lehre und Forschung zeigt sich, dass Lehranforderungen
zunehmend auf der Agenda stehen, Forschung aber insgesamt höher gewichtet wird.
Darüber hinaus fällt auf, dass neue Querschnittsaufgaben (Gender Mainstreaming,
Internationalisierung, Wissens- und Technologietransfer etc.) gegenüber den traditionellen
Kernaufgaben von Universitäten und den hieraus resultierenden Zielkonflikten in den
Hintergrund treten.
Unisono sagten die befragten Hochschulleitungen, aber auch die Mitarbeiter(innen) in den
Supportstrukturen aus, dass vor allem der Bologna-Prozess dazu geführt hätte, dass die
Universitäten sich stärker mit Lehrbedingungen auseinandersetzen mussten. Verstärkt
worden sei diese Entwicklung durch von Bundes- und Landesregierung aufgelegte
Förderprogramme für die Lehre sowie die im Herbst 2009 stattfindenden Studierenden-
proteste. Trotzdem räumt die Hälfte der Hochschulen der Forschung gegenüber der Lehre
ein stärkeres Gewicht ein. Die andere Hälfte der Hochschulen weist eine ausgeglichene
Gewichtung auf, wobei auch dort betont wird, dass die Forschung „überlebensnotwendig“
(Zitat Hochschulleitung) sei. Da der Anteil der Grundmittel reduziert worden oder nicht im
gleichen Maße wie die Studierendenanzahl gestiegen sei, würde stattdessen eine stärkere
Finanzierung durch (Forschungs-)Drittmittel notwendig.
Nach Ansicht aller Interviewpartner(innen) habe vor allem die Exzellenzinitiative dazu
geführt, dass zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen in die Beantragung dieser
Mittel investiert wurden. Forschung sei damit auf der Agenda der Hochschulen wieder in den
Vordergrund gerückt und würde beim Auftreten von Zielkonflikten zwischen Forschung und
Lehre zumeist priorisiert. Häufig wurde auch ein geringer „Marktwert“ der Lehre konstatiert:
Dieser zeige sich auf der Ebene der (Nachwuchs-)Wissenschaftler(innen), da für deren
wissenschaftliche Reputation und Karriere die Forschungsproduktivität ausschlaggebend sei,
aber auch auf organisationaler Ebene in Form einer mangelnden „Marktorientierung“ der
Studierenden. Diese würden die Wahl ihres Studienorts vor allem von der Wohnortnähe und
weniger von der Breite oder Qualität des Lehrangebots abhängig machen. Weiterhin
thematisiert werden Schwierigkeiten in der Erfassung und Bewertung der Qualität in der
Lehre.
Hervorzuheben ist, dass kollektive Akteurinnen und Akteure im Bewusstsein dieser
(vorgegebenen) Anreizstrukturen von einem hohen Lehrengagement der Nachwuchswissen-
schaftler(innen) ausgehen, welches Hochschulleitungen und Mitarbeiter(innen) in den
Supportstrukturen vor allem in der hohen intrinsischen Motivation begründet sehen. Diese
Seite 198 | Lehre unter den Forschungshut bringen
Art der Motivation wird als begrenzt steuerbar erachtet, sodass vor allem von Seiten der
Hochschulleitung davon ausgegangen wird, dass eine Stärkung des Lehrengagements
primär durch günstige organisationale Rahmenbedingungen (vor allem eine adäquate
personelle und finanzielle Ausstattung im Bereich der Lehre) erreicht werden kann. Diese zu
realisieren wird in Zeiten der Massenuniversität und nicht adäquat aufgestockter finanzieller
Mittel als schwierig beurteilt. Dessen ungeachtet versuchen alle befragten Hochschulen, die
Lehrkompetenz und Lehrqualität über die Etablierung bzw. den Ausbau von hochschul-
didaktischen Angeboten und dazugehörigen Einrichtungen zentral zu stärken.
4. Individuelle Perspektive – die Nachwuchswissenschaftler(innen)
Inwiefern prägen Zielkonflikte den Arbeitsalltag von Nachwuchswissenschaftler(inne)n und
welche Folgen zeichnen sich ab? Diese Fragen stehen im Zentrum der folgenden
Ausführungen.
4.1. Zielkonflikte aufgrund begrenzter zeitlicher Ressourcen
Nicht nur auf Leitungsebene, sondern auch von den befragten Nachwuchswissen-
schaftler(inne)n werden ein Anstieg in den Anforderungen und eine erhöhte Wahrscheinlich-
keit von Zielkonflikten beobachtet. Diese Konflikte scheinen allerdings vor allem dann ins
Bewusstsein zu treten, wenn die Verfolgung konkreter Einzelvorhaben aufgrund begrenzter
zeitlicher Ressourcen infrage gestellt ist.
Prinzipiell können Nachwuchswissenschaftler(innen) auf die Herausforderung, multiple
Vorhaben in begrenzter Zeit verfolgen zu müssen, unterschiedlich reagieren: Sie können
Überstunden einlegen, ihr Anspruchsniveau in Teilbereichen reduzieren, Vorhaben
sequenziell oder in wechselnder Abfolge erledigen oder Prioritäten zugunsten eines Teilziels
setzen. Welche Strategie auch immer gewählt wird: Nachwuchswissenschaftler(innen) sind
gefordert in jeder einzelnen Situation zu entscheiden, aus welchem Aufgabenbereich sie
Vorhaben verfolgen und welche Ziele hintenangestellt werden. Psychische Belastung muss
daraus nicht „quasi automatisch“ erfolgen. Theoretisch sollte sie sich vor allem dann
einstellen, wenn – ähnlich eines „schlechten Gewissens“ – das nicht verfolgte Ziel weiterhin
virulent bleibt oder immer wieder terminlich fixierte Anforderungen (Deadlines) dazu führen,
dass Vorhaben vorrangig verfolgt werden, obwohl sie nicht oder nur bedingt mit den eigenen
langfristigen Zielen und Prioritäten übereinstimmen.
Wertet man vor diesem Hintergrund die Angaben der von uns befragten Nachwuchswissen-
schaftler(inne)n aus, so berichtet der überwiegende Teil, dass sie häufig Situationen erleben,
in denen sie sich zwischen zwei konkreten Vorhaben hin- und hergerissen fühlen. Auch
geben fast zwei Drittel an, solche Situationen als (eher oder sehr) belastend zu empfinden.
Es ist zu erwarten, dass diese psychische Belastung langfristig mit Einbußen in
Wohlbefinden und Arbeitsmotivation korrespondiert.
4.2. Das Selbstverständnis der Nachwuchswissenschaftler(innen)
Die im Teilprojekt 1 befragten Interviewpartner(innen) nehmen wahr, dass Nachwuchs-
wissenschaftler(innen) mit Zielkonflikten konfrontiert werden, wobei zwei Konflikt-
konstellationen als vorrangig gesehen werden: Das Hin- und Hergerissen-Sein zwischen
dem Lehr- und Forschungsengagement einerseits sowie zwischen der Erstellung der
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 199
eigenen Qualifizierungsarbeit und Arbeiten am Forschungsprojekt andererseits. Dieser
Sachverhalt wird von den kollektiven Akteurinnen und Akteuren zwar problematisiert, aber
nicht aufgelöst. Denn obwohl die befragten Hochschulleitungen ein Lehrengagement für
Nachwuchswissenschaftler(innen) gerade aufgrund der gesteigerten Anforderungen für
notwendig erachten, geben sie ihnen den karrierestrategischen Rat, die Prioritäten auf die
eigenen Forschungsarbeiten zu legen, da diese für eine wissenschaftliche Karriere
ausschlaggebend seien.
Die Nachwuchswissenschaftler(innen) selbst zeigen sich grundsätzlich zuversichtlich, die an
sie gestellten Anforderungen im Arbeitskontext meistern zu können. Ihrem Selbstverständnis
als Forschende und Lehrende entsprechend fühlen sie sich dafür verantwortlich, die
anfallenden Aufgaben in ihrer Vielfalt und Breite zu meistern und bringen eine generell hohe
Anstrengungsbereitschaft mit. Auch gehen sie ihren Lehraufgaben intrinsisch motiviert nach,
das heißt sie widmen sich diesen, weil ihnen die Lehre Spaß macht und als interessant
wahrgenommen wird. So investieren Nachwuchswissenschaftler(innen) unverhältnismäßig
viel Zeit in die Lehre – im Mittel 38 % ihrer Arbeitszeit.
Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die strategische Zielverfolgung von Nachwuchs-
wissenschaftler(inne)n eher nicht der von Hochschulleitung angeratenen Logik folgt.
Stattdessen zeigt sich – wie von der Leitung letztlich auch gefordert und begrüßt – ein
durchgängig hohes Lehrengagement. Anders als die kollektiven Akteurinnen und Akteure
scheinen Nachwuchswissenschaftler(innen) insgesamt ihr Handeln also weniger an
Anreizsystemen zu orientieren, die Forschungsleistungen mittel- bis langfristig stärker
honorieren, sondern sich stärker von ihrem Selbstverständnis und ihrer intrinsischen
Lehrmotivation leiten zu lassen.
4.3. Lehre und Forschung als Kernaufgaben
Um näheren Aufschluss über ressourcenbedingte Konflikte zwischen Zielen auf
unterschiedlichen Abstraktionsebenen zu bekommen, wurden die Nachwuchswissen-
schaftler(innen) im Rahmen der Onlinebefragung gebeten, zwei von ihnen in letzter Zeit
verfolgte Vorhaben zu benennen, zwischen denen sie sich hin und hergerissen fühlten. Die
inhaltliche Inspektion der Konfliktkonstellationen macht deutlich, dass am häufigsten ein
Konflikt zwischen einem Lehr- und einem Forschungsziel genannt wird. Das traditionelle, in
den Interviews mit den Hochschulleitungen offenkundig gewordene Spannungsverhältnis
zwischen Ausbildung und Wissenschaft spiegelt sich somit auf individueller Ebene wider.
Keine Entsprechung zeigt sich allerdings bei der Prioritätensetzung: Die von
Nachwuchswissenschaftler(inne)n auf verschiedenen Dimensionen einzuschätzenden Ziele,
auf die die konfligierenden Vorhaben gerichtet sind, werden offenbar als gleichermaßen
wichtig erachtet. Diese Wertung korrespondiert mit der Arbeitszeitverteilung:
Nachwuchswissenschaftler(innen) investieren etwa gleich viel Arbeitszeit in Lehre und
Forschung.
Findet keine Prioritätensetzung statt, werden psychische Belastungen durch Zielkonflikte
prinzipiell wahrscheinlicher. Es stellt sich jedoch die Frage, ob bestimmte Konflikt-
konstellationen mit einem höheren oder geringeren Belastungsgrad assoziiert sind. Im Zuge
einer genaueren Betrachtung der Zielkonflikt-Kombinationen zeigt sich, dass Nachwuchs-
wissenschaftler(innen), die einen Lehre-Forschung-Zielkonflikt genannt haben, ein höheres
Belastungserleben berichten. Demnach wird die Kollision zwischen Lehr- und
Forschungsvorhaben als belastender empfunden als beispielsweise die Kollision zwischen
Seite 200 | Lehre unter den Forschungshut bringen
zwei Forschungsvorhaben. Die Gruppe derer, die einen Forschungs-Lehre-Zielkonflikt
benennt, zeigt zudem eine im Vergleich zu anderen Nachwuchswissenschaftler(inne)n
höhere extrinsische Lehrmotivation.
Wie können diese Ergebnisse interpretiert werden? Wenngleich die Selbsteinschätzungen
der Befragten auf eine durchgängig hohe intrinsische Lehrmotivation verweisen, scheint es
eine Gruppe von Nachwuchswissenschaftler(inne)n zu geben, die ihr Lehrengagement
stärker von Kosten-Nutzen-Kalkülen abhängig macht und einen Lehre-Forschungs-
Zielkonflikt als besonders belastend erlebt. Da karrierestrategisch bedeutsame
Anreizsysteme – auch aus Sicht der Hochschulleitung – primär Forschungsleistungen
honorieren ist zu vermuten, dass andere, weitere externe Faktoren Lehrengagement
bedingen. Dazu können die eingangs geschilderten gestiegenen Erwartungen von
Studierenden, von Hochschulleitungen aber auch weiteren Akteurinnen und Akteuren in der
öffentlichen Debatte gezählt werden. Dazu können auch weitere Merkmale der Lehrvorhaben
gezählt werden: Lehre kennzeichnet einen direkten Kontakt mit Studierenden und ist oftmals
durch Stundenpläne fest terminiert. Aus psychologischer Sicht überrascht das Ergebnis einer
höheren Belastung nicht, wenn berücksichtigt wird, dass Nachwuchswissenschaftler(innen)
Lehrvorhaben eher als fremdbestimmt, also von außen vorgegeben, wahrnehmen. Im
Kontrast dazu werden die genannten Forschungsvorhaben als stärker selbstbestimmt
bewertet. In weiteren Auswertungen konnte gezeigt werden, dass gerade die Zielkombina-
tionen, die mindestens ein (eher) fremdbestimmtes Ziel beinhalten, mit höherem Belastungs-
erleben einhergehen (vgl. Gorges/Esdar/Wild 2011). Ein größerer Anteil der Nachwuchs-
wissenschaftler(innen), die einen Lehre-Forschungs-Zielkonflikt berichten, möchte eine
wissenschaftliche Karriere in der Hochschule verfolgen: 43 % gegenüber 35,8 % der
Nachwuchswissenschaftler(innen) die einen anderen Zielkonflikt berichten. Gleichzeitig
schätzen die Nachwuchswissenschaftler(innen) mit einem Lehre-Forschungs-Zielkonflikt
aber die Wahrscheinlichkeit dieses Karriereziel zu erreichen als unwahrscheinlicher ein.
5. Fazit
Zielkonflikte entstehen, wenn die zeitgleiche Verfolgung mehrerer Ziele oder Vorhaben
behindert wird. Die Kontrastierung der Sichtweisen der kollektiven und individuellen
Akteurinnen und Akteure auf Zielkonflikte lässt Parallelen und Unterschiede offenkundig
werden. An der Hochschule bewegen sich sowohl die Hochschulleitungen als auch die
Nachwuchswissenschaftler(innen) in einem System, das durch vielfältige und steigende
Anforderungen kennzeichnet ist und dadurch zu einer Multiplizierung der Ziele beiträgt. Da
Ressourcen – finanziell wie zeitlich – nur begrenzt zur Verfügung stehen, steigen mit der
Anzahl und dem Anspruch der zeitgleich zu verfolgenden Ziele auch die Zielkonflikte:
Auf organisationaler Ebene sehen sich Hochschulen angesichts schrumpfender Grundmittel-
finanzierungen gezwungen, auf externe Anreize vor allem im Bereich Forschung zu
reagieren, um Möglichkeiten der Aufstockung finanzieller Ressourcen wahrzunehmen.
Gleichzeitig fordern weitere Stakeholder (z.B. Studierende, politische Akteurinnen und
Akteure, Medien) in öffentlichen Debatten Anstrengungen und Verbesserungen im Bereich
Lehre, für deren Einlösung keine verlässliche Zusatzfinanzierung in vergleichbarer Höhe in
Aussicht steht.
Während die Organisation über Möglichkeiten der Verantwortungsdistribution und der
Entkopplung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten verfügt, wird die Akteurszu-
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 201
schreibung einschließlich der „Accountability“ sowohl in der Forschung als auch in der Lehre
von den befragten Nachwuchswissenschaftler(inne)n vollständig akzeptiert: Weil Ziele in
beiden Arbeitsbereichen als gleichermaßen wichtig eingestuft werden, steigt die
Wahrscheinlichkeit von Zielkonflikten und einem anhaltenden „schlechtem Gewissen“; die
Nachwuchswissenschaftler(innen) berichten von psychischer Belastung. Sie stehen
permanent vor der Herausforderung ihre begrenzte Ressource „Zeit“ sinnvoll einzuteilen. Um
den multiplen Anforderungen und eigenen Zielen am Arbeitsplatz gerecht zu werden,
müssen Prioritäten auf bestimmte Ziele gelegt werden, müssen Mehrarbeit und Überstunden
Überlasten abfangen oder muss unter Umständen das Anspruchsniveau angepasst werden.
Entgegen den karrierestrategischen Ratschlägen, die auch die Hochschulleitungen
ausgeben, werten sie Lehr- und Forschungsziele als gleich wichtig. Neben dem
Reputationserwerb durch Forschungsleistungen fordert die Bologna-Reform ein
zunehmendes Engagement in der Lehre. Es zeigt sich, dass der auf organisationaler Ebene
beschrieben Wettbewerb und Druck auf die Individuen „durchschlägt“.
Im Ergebnis prägen Ressourcenkonflikte den Arbeitsalltag auf den betrachteten zwei Ebenen
in ähnlicher Weise. Sie verweisen jedoch partiell auf unterschiedliche Engpässe (Geld vs.
Zeit) und werden unterschiedlich beantwortet: Auf Organisationsebene verstehen sich die
Hochschulleitungen zwar als zentrale Steuerungsinstanz, sehen ihre Einflussmöglichkeiten
aufgrund des traditionell gewachsenen Selbstverständnisses, in dem die Universität als
Organisation lose gekoppelter Einheiten konzipiert ist, als begrenzt. Sie agieren, indem sie
Supportstrukturen (Qualitätssicherung, Hochschuldidaktik, Nachwuchsförderung) einrichten
und diese mit konkreten Anforderungen und Aufgaben betrauen. Der hierüber ausgeübte
Einfluss auf die Fakultäten, Betreuer(innen) und Nachwuchswissenschaftler(innen) ist
weitgehend indirekt und basiert auf Freiwilligkeit. Diese Vorgehensweise mag letztlich
funktional sein, beinhaltet aber auch Schwachstellen. So wird die Effektivität der
Supportangebote von den Befragten häufig aus zwei Gründen als begrenzt eingeschätzt.
Neben dem Eindruck, dass häufig Zielgruppen, die „es eigentlich nötig hätten“ (Zitat von
einer Leitungskraft einer hochschuldidaktische Einrichtung), nicht erreicht werden,
beansprucht die Wahrnehmung von Qualifikationsangeboten die ohnehin begrenzte
Ressource von Nachwuchswissenschaftler(inne)n, sprich: deren Zeit.
Mit Blick auf die Aussagen der befragten Nachwuchswissenschaftler(innen) ist
hervorzuheben, dass diese durchgängig die Verantwortung für die Erfüllung der an sie
gestellten Anforderungen in Forschung und Lehre zu übernehmen scheinen.
Alarmierend ist die durchgehend hohe Belastung aufgrund von Zielkonflikten, von der
Nachwuchswissenschaftler(innen) berichten. Ein hohes Belastungsempfinden resultiert
offensichtlich auch aus einer besonderen persönlichen Bedeutsamkeit der Ziele für die
eigene Zukunft. Da insbesondere Konflikte zwischen Zielen aus den Bereichen Lehre und
Forschung als besonders belastend erlebt werden, sind gerade hier negative Auswirkungen
auf die Arbeitsmotivation, das berufliche Wohlbefinden und die langfristige Berufsplanung zu
erwarten. Diese langfristigen Folgen wiederum werden systemrelevant, wenn berücksichtigt
wird, dass der Nachwuchs von heute die Wissenschaftler(innen) von morgen stellen soll.
Seite 202 | Lehre unter den Forschungshut bringen
5.1. Welche Handlungsempfehlungen können gegeben werden?
Verschiedene Ansatzmöglichkeiten sind denkbar.
Wenn Ressourcenkonflikte auftreten, besteht ein Missverhältnis zwischen Anforderungen
oder Zielen und den benötigten Ressourcen. Hochschulleitungen könnten mit mehr Geld
Personal einstellen, um Ziele in Forschung und Lehre besser zu verfolgen.
Nachwuchswissenschaftler(inne)n fehlt Zeit für zu viele Vorhaben. Um ihre Nachwuchs-
wissenschaftler(innen) in Zeiteinteilung und Regulierung zu unterstützen, könnte die
Hochschulleitung hochschulübergreifende Regelungen der Arbeitszeitverteilung für diese
erlassen. Dies ist an einigen Universitäten bereits der Fall. Allerdings bleibt die Umsetzung
im konkreten Arbeitskontext sicherlich schwer nachprüfbar, da, wie auch in den Interviews
berichtet, die Steuerung hierfür bei den Fakultäten und vor allem bei den Betreuer(inne)n
verortet wird. Somit erscheint es am zweckdienlichsten, an dieser „Schaltstelle“ anzusetzen
und eine „Betreuungskultur“ (Zitat von einem Leiter der Einheit Qualitätsmanagement) zu
etablieren. Dieses bedeutet vor allem, die Nachwuchswissenschaftler(innen) darin zu
unterstützen, deren vielschichtige persönliche Ziele in Einklang mit den organisationalen
Zielen zu bringen. Berücksichtigung finden sollten Erkenntnisse der psychologischen
Forschung, die zeigen, dass Konflikte, die selbstbestimmte Ziele betreffen, weniger
Belastung hervorrufen als Konflikte, die sich auf fremdbestimmte Ziele beziehen (vgl.
Gorges/Esdar/Wild 2011). Andere Studien zeigen auch, dass Ziele am ehesten erreicht
werden, wenn angemessene Ziele gesetzt werden, die Zielerreichung fortlaufend überwacht
und zeitnah auf wahrgenommene Ist-/Soll-Diskrepanzen bzw. Veränderungen der externen
Rahmenbedingungen reagiert wird (vgl. u.a. Gollwitzer/Oettingen 2000; Locke/Latham 2002).
Dabei gilt es, interindividuelle Unterschiede im Umgang mit Zielkonflikten zu berücksichtigen.
Die vorgestellten Ergebnisse können zum Anlass genommen werden, Personalentwicklungs-
maßnahmen und Trainings für ein breites Repertoire an individuellen Problemlösungs-,
Selbstregulations- und Zeitmanagementstrategien anzubieten.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Hochschulleitungen nicht auch die Einrichtung von
„Leitplanken“ für eine Betreuungskultur in Fakultäten forcieren könnten. Es liegen
beispielsweise aus der Betriebswirtschaftslehre oder der Organisationspsychologie
umfassende Erkenntnisse vor, die erklären können, wie intrinsische Motivation von
Organisationsmitgliedern erhalten oder eben auch korrumpiert werden kann (vgl.
Sansone/Harackiewicz 2000). Dies betrifft Fragen der partizipativen Steuerung von
Universitäten (vgl. Nickel 2009), aber auch die Berücksichtigung von Führungskompetenzen
bei der Auswahl neuer Professor(inn)en, die Gestaltung interner Mittelverteilungssysteme
(vgl. Beitrag von Becker/Wild/Tadsen/Stegmüller auf den Seiten 226-239 dieser Publikation)
und andere Aspekte des Personalmanagements an Hochschulen.
Nicht zuletzt verleihen unsere Befunde aktuellen Diskussionen um einheitlich geregelte
Anforderungen an Nachwuchswissenschaftler(innen) durch Rahmenpromotionsordnungen,
um eine vertretbare maximale Größe des Lehrdeputats für Lehrkräfte für besondere
Aufgaben oder auch um den Stellenwert einheitlicher Standards in der hochschul-
didaktischen Weiterbildung besondere Bedeutung. Programme, die durch zeitweilige
Entlastungen von anderen Aufgaben Zeit für Fort- und Weiterbildung gewähren, Transparenz
durch einheitliche und klare Anforderungen und Ausbildungen in der Lehre,
Rahmenpromotionsordnungen oder vertretbare maximale Lehrdeputatsumfänge für
Lehrkräfte für besondere Aufgaben stellen weitere institutionelle Stellschrauben dar, welche
eine zentrale Steuerung ermöglichen, aber bisher wenig bis keine Anwendung finden. Hier
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 203
bedarf es weiterer Anstrengungen, die zum Teil aber nur unter Bedingungen verbesserter
Ressourcenausstattung zu realisieren sind.
Literatur
Deci, E. L./Ryan, E. L. (2002): Handbook of Self-Determination Research. Rochester, New
York.
Gollwitzer, P. M./Oettingen, G. (2000): "Das Setzen und Verwirklichen von Zielen. In:
Zeitschrift für Psychologie 208(3-4), S. 406-430.
Gorges, J./Esdar, W./Wild, E. (2011): Good Ones and Bad Ones – The Role of Goal
Properties on the Effect of Goal Conflict. Paper submitted for publication.
Krücken, G./Röbken, H. (2009): Neo-Institutionalistische Hochschulforschung. In: Koch, S.
(Hg.): Neo-Institutionalismus in der Erziehungswissenschaft/grundlegende Texte und
empirische Studien. Wiesbaden.
Locke, E. A./Latham, G. P. (2002): Building a practically useful theory of goal setting and
task motivation: A 35-year odyssey. In: American Psychologist 57(9), S. 705-717.
Nickel, S. (2009): Partizipatives Management von Universitäten – Zielvereinbarungen,
Leitungsstrukturen Staatliche Steuerung. 2. Auflage. München und Mering.
Sansone, C./Harackiewicz, J. M. (2000): Intrinsic and extrinsic Motivation –The Search for
Optimal Motivation and Performance. London.
Seite 204 | Professionalisierung der Universitäten
Professionalisierung der Universitäten an den Schnittstellen von Lehre, Forschung und Verwaltung
Nadine Merkator, Christian Schneijderberg
Abstract
In den vergangenen Jahren hat die Zahl wissenschaftlich qualifizierter Personen an
Hochschulen deutlich zugenommen, die selbst nicht primär in Forschung und Lehre tätig
sind, aber Entscheidungen des Managements sachkundig vorbereiten, Dienstleistungen
etablieren und die Kernprozesse der Hochschulen – Forschung, Lehre und Studium – aktiv
mitgestalten. Dieser Personenkreis wird unter dem Begriff „Hochschulprofessionen“
(HOPROs) subsummiert. In diesem Artikel wird näher auf die Begriffsbestimmung der
HOPROs eingangenen und die ersten Ergebnisse des BMBF-geförderten Projekts „Die Rolle
der neuen Hochschulprofessionen für die Neugestaltung von Lehre und Studium (HOPRO)“
vorgestellt In dem Projekt wurde dieser Personenkreis vollständig und vertiefend untersucht.
Das Projekt wird am Internationalen Zentrum für Hochschulforschung der Universität Kassel
(INCHER-Kassel) durchgeführt und von Prof. Dr. Babara M. Kehm und Prof. Dr. Ulrich
Teichler geleitet.
1. Einleitung
Die wachsenden Anforderungen an die Hochschulen, wie z.B. gestiegene Autonomie und
verstärkte Wettbewerbssituation, führten in den letzten Jahren zu einem stetigen
Veränderungsprozess. Im sozialen Gebilde der Universität werden verstärkt aufgaben-
orientierte Strukturen und Prozesse ausgebildet, das heißt Zwecksetzungen funktional
spezifiziert. Nicht nur die Hochschulleitung entwickelt sich von der traditionellen Selbst-
verwaltung hin zum stark an Managementprinzipien orientierten Verwaltungsmodell (New
Public Management) (Kehm/Lanzendorf 2006; de Boer/Enders/Schimank 2007). Die
Universität als Ganzes fungiert zunehmend auch als Serviceeinrichtung (Finklestein/
Schuster 2001; Coaldrake 2000; Cummings 1998; Macfarlane 2011), die den Regeln
moderner Organisationen folgt. Neben den Primärfunktionen von Forschung, Lehre und
Weiterbildung rücken unterstützende Funktionen für das konsekutive Gestalten und Gelingen
von Hochschule in den Vordergrund (Teichler 2003, 2008). Notwendig gewordene Aufgaben
wie Qualitätsmanagement, Personalentwicklung, Fachbereichsleitung etc. können nicht mehr
alleine von den Wissenschaftler(inne)n oder der klassischen Verwaltungsebene erfüllt
werden. Ehemals randständige Tätigkeiten nehmen an Bedeutung zu, Stellen und Positionen
werden geschaffen und die Professionalisierung dieser Bereiche vorangetrieben. Dieselbe
Entwicklung zeigt sich nicht nur im Bereich der Verwaltung, sondern auch auf der Ebene von
Studium und Lehre. Bedingt durch die Studienreformen (u.a. Bologna-Prozess) der letzten
Jahre entstanden ebenfalls zusätzliche neue Berufsrollen, deren Aufgabenfelder sich explizit
mit Verbesserungen der Lehr- und Studiensituation befassen. Beispiele hierfür sind unter
anderem die Bereiche Akkreditierung, curriculare Gestaltung, Lehrevaluation oder
studentische Mobilität.
Die Weiterentwicklung dieser teilweise neuen Berufsfelder wird zum Großteil von hoch-
qualifizierten Angestellten getragen, die im Zusammenspiel mit den klassischen
Wissenschaftler(inne)n bei der Professionalisierung der Hochschulen eine entscheidende
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 205
Rolle spielen. Diese Personengruppe der „Hochschulprofessionellen“ (Klumpp/Teichler
2008) hat sich nach Gornitzka und Marheim Larsen (2004) im Kontext der neuen
Managementkonzepte und der Hochschullehrreformen in Europa dramatisch ausgeweitet.
Die beiden Autor(inn)en betrachten den Professionalisierungsprozess der Hochschul-
professionen jedoch stärker in ihrer zuarbeitenden Rolle und weniger in der für das HOPRO-
Projekt1 zentralen (mit-)gestaltenden Rolle im organisationalen Rahmen und deren
Professionalisierungsaspekten. Auch wenn in Deutschland keine explizite quantitative
Steigerung des technisch-administrativen Personals in Relation zum wissenschaftlichen
Personal festgestellt werden kann, ist dennoch eine qualitative Verschiebung dieses
Personals vom einfachen in Richtung des gehobenen Dienstes feststellbar (vgl. Blümel et al.
2010). Diese Entwicklung hin zu steigenden Qualifikationsanforderungen kann als
Anzeichnen gedeutet werden, „[...] dass die Hochschulprofessionen in den letzten Jahren
sehr stark in der Zahl der Positionen und in der Bedeutung für die Gestaltung der
Hochschulen zugenommen haben und dass sich dieser Trend in Zukunft fortsetzen wird"
(Kehm et al. 2008, S. 199).
2. Begriffsbestimmungen
Auch wenn bereits international zu den wissenschaftlich qualifizierten Personen an
Hochschulen geforscht wird, die nicht primär in Forschung und Lehre tätig sind, aber die
Entscheidungen des Managements sachkundig vorbereiten, Dienstleistungen etablieren und
die Kernprozesse der Hochschulen – Forschung, Lehre und Studium – aktiv mitgestalten,
konnte sich bisher weder im deutschen noch im englischen Sprachraum eine einheitliche
Definition oder Klassifizierung dieser Personengruppe durchsetzen (Kehm et al. 2010). In
Ermangelung eines einheitlichen Begriffes, der diese Gruppe ausreichend und treffend
beschreibt, wird im Folgenden der Begriff Hochschulprofessionen (HOPROs) verwendet (vgl.
Klumpp/Teichler 2008; Kehm 2006a-c).
Die HOPROs werden in dem gleichnamigen, hier vorgestellten Projekt „Die Rolle der neuen
Hochschulprofessionen für die Neugestaltung von Lehre und Studium (HOPRO)“ als
Personen definiert, deren Tätigkeit in Hochschulen an Schnittstellen – wie auch übergreifend
– zwischen administrativen, wissenschaftlichen und Serviceaufgaben angesiedelt sind. Diese
Personen leisten in verschiedenen Positionen, Funktionen und Tätigkeiten einen Beitrag zum
Gelingen von Studium und Lehre. Unterschieden wird dabei zwischen bereits lange
bestehenden Funktionen wie Entwicklungsplanung, Leitung der Akademischen Auslands-
ämter, Studienberatung, Fachbereichsreferent(inn)en etc. und neu hinzugekommenen
Funktionen wie Akkreditierung, Lehrevaluation, E-Learning etc. Diese enumerative Definition
der HOPROs ist exemplarisch und bleibt unabdingbar „unvollständig, weil sich immer mehr
Sachgebiete arbeitsteilig herausbilden, und das Gemeinsame […] dadurch nicht in den Blick
[kommt]" (Klumpp/Teichler 2008, S. 169). Diese Ausdifferenzierung der Aufgaben im Feld
zwischen Verwaltung und Forschung macht sowohl eine negative Definition (Hochschul-
angehörige, die weder primär Forschungs- und Lehraufgaben noch routinemäßige
Verwaltungs- und Dienstleistungsfunktionen ausführen) als auch eine Definition durch
Abgrenzung (Hochschulangehörige, welche sowohl Expert(inn)en des Hochschulsystems als
auch Spezialist(inn)en von Management und Verwaltung sind) schwer möglich (vgl.
Klumpp/Teichler 2008, S. 170). So beschreibt beispielsweise der Begriff „Hochschul-
1 Projekt: Die Rolle der neuen Hochschulprofessionen für die Neugestaltung von Lehre und Studium (HOPRO).
Seite 206 | Professionalisierung der Universitäten
management“ (vgl. Donner 2008, S. 176) lediglich einen Aufgabenbereich bzw. eine
Funktion von HOPROs. Für Kehm et al. (2008) handelt es sich hierbei um einen typischen
Entwicklungsprozess der Professionalisierung, „dass die alten Grenzen von Management
und Dienstleistungen immer fließender werden. ‚Management„ ist wohl eher ein Terminus für
eine vor-professionelle Gestaltung der Institution Hochschule" (ebd., S. 199f.). Danach
lassen sich vier dieser Entwicklungsprozesse aufzeigen:
1. Wandel der alteingesessenen Tätigkeitsbereiche und deren Qualifikations-
anforderungen (bspw. Entwicklungsplaner);
2. Bisher nur gering beruflich ausdifferenzierte Bereiche durchlaufen einen Prozess
wachsender professioneller Ansprüche und Kompetenzanforderungen (bspw.
Studienberatung);
3. Neue Berufsrollen bilden sich aus Nebenaufgaben heraus (bspw. Evaluator(inn)en;
4. Entwicklung vollständig neuer Aufgabenbereiche (bspw. Fundraising).
Das HOPRO-Projekt versucht, eine umfassende Rollenbeschreibung der Hochschul-
professionen auf Grundlage von empirischen Analysen zu geben. Bisher wurde diese
Gruppe in Deutschland aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht: Forschungs-
referent(inn)en (vgl. Adamczak et al. 2007), Hochschulkanzler(innen) (vgl. Krücken et al.
2009; Blümel et al. 2010), Hochschul- und Fachbereichsleitungen (vgl. Nickel/Ziegele 2006,
2010) sowie Fachbereichsmanager(innen) und Dekaninnen und Dekane (vgl. Leichsenring
2009), Qualitätsmanagement (Mittag 2006, 2008; Klug 2010; Schneijderberg/Merkator 2011)
und Hochschuldidaktik (Urban/Meister 2010).
3. Das Projekt HOPRO
In dem vom BMBF geförderten und von Prof. Dr. Barbara Kehm und Prof. Dr. Ulrich Teichler
geleiteten Projekt mit dem Titel „Die Rolle der Neuen Hochschulprofessionen für die
Neugestaltung von Studium und Lehre (HOPRO)“ wird das neue Tätigkeitsfeld an elf
deutschen Universitäten untersucht. Dabei handelt es sich sowohl um klassische und
technische als auch lehr- und forschungsstarke Universitäten unterschiedlicher Größe
(gemessen an der Zahl der Studierenden und der Professor(inn)en) aus dem gesamten
Bundesgebiet. In der angestrebten Vollerhebung in den ausgewählten Hochschulen wurde
zunächst eine quantitativ-strukturelle Bestandsaufnahme zur Arbeitssituation der HOPROs
durchgeführt. Erfasst wurden hierbei unter anderem die Eingliederung in die
Hochschulstrukturen, die Vertragssituation, die Aufgaben und die Qualifikation der HOPROs.
Für die vertiefende Analyse wurden neben der Triangulation verschiedener Erhebungs-
instrumente (Homepageanalyse, schriftliche Befragungen, fern-mündliche Interviews) und
der Anwendung unterschiedlicher quantitativer und qualitativer Analyseverfahren (Methoden-
triangulation) auch unterschiedliche Personenkreise (HOPROs und Professor(inn)en)
befragt. Durch dieses komplexe Vorgehen ist es möglich, verschiedene Aspekte der
Rollenzuschreibungen und Wirkungsmechanismen ebenso wie den Einfluss der
Professionalisierung zu untersuchen. Da das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, können
hier nur Ergebnisse der Befragung von HOPROs dargestellt werden.
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 207
3.1. Methodik
An den elf am Projekt teilnehmenden Universitäten, deren Präsident(inn)en sich zur
Teilnahme bereit erklärt hatten, wurde zunächst eine systematische, mehrstufige Homepage-
recherche zur Stichprobenbestimmung durchgeführt. Bei dieser Form der Adressrecherche
wurden insgesamt 3.078 Personen identifiziert, die der Definition von HOPROs zu
entsprechen schienen. Nach Rücksprache mit Kontaktpersonen an den jeweiligen
Hochschulen und einer erneuten Bewertung der potenziellen HOPROs durch das
Projektteam und die Kontaktpersonen wurden abschließend 2.657 Personen als HOPROs
definiert und angeschrieben. 44,4 % der angeschriebenen Personen antworteten. Vier
Fünftel der antwortenden Befragten füllten den Onlinefragebogen aus, allerdings trug sich
mit 44,8 % fast die Hälfte der Personen, die den Onlinefragebogen verwendeten, als „Nicht-
HOPRO“ aus. 39 der Personen, die angaben, eigentlich kein HOPRO zu sein, füllten
dennoch den Fragebogen größtenteils aus. Berechnet man nur die Personen, die den
Fragebogen (größtenteils) beantwortet haben, erreicht die Rücklaufquote mit 42,5 % einen
für schriftliche Befragungen dieser Größenordnung sehr zufriedenstellenden Wert.
Tabelle 1: Rücklaufquoten der Hochschulprofessionellen der elf untersuchten Hochschulen
Häufigkeit Prozent
bereinigte Prozente
(nur angeschriebene)
nicht angeschrieben 421 13,7 %
nicht geantwortet 1.477 48,0 % 55,6 %
Onlinefragebogen 950 30,9 % 35,8 %
keine Aufforderung zu Löschen 524 55,2 %
Aufforderung zum Löschen 426 44,8 %
Papierfragebogen 184 6,0 % 6,9 %
Papierfragebogen ohne Pin 46 1,5 % 1,7 %
Gesamt gültig 3.078 100,0 %
In einer zweiten Fragenbogenphase wurden alle Professor(inn)en der elf Hochschulen (ca.
4.400) angeschrieben. 272 Personen gaben an, nicht zur Stichprobe zu gehören (emeritiert)
oder waren zwischenzeitlich nicht mehr an der Institution beschäftigt (Wechsel, Tod …).
1.123 Professor(inn)en beantworteten den Fragebogen (564 Online, 559 Papier), was einer
Rücklaufquote von 27 % entspricht. In einer weiteren Erhebungsphase wurden bisher mehr
als 130 leitfadengestützte Experteninterviews mit HOPROs geführt. Gegenwärtig erfolgen
die vertiefende Analyse der schriftlichen Befragungen der HOPROs und der Professor(inn)en
sowie die Auswertung der Interviews.
3.2. Profile der untersuchten Universitäten
Die elf Universitäten, die sich bereit erklärt haben, an dem Projekt teilzunehmen, sind im
gesamten Bundesgebiet angesiedelt. Misst man deren Größe an der Zahl der Studierenden
und an der Zahl der Professor(inn)en ergibt sich folgendes Bild:
Seite 208 | Professionalisierung der Universitäten
Tabelle 2: Anzahl und Prozent der Befragten nach Größe der Universitäten gemessen nach
Anzahl der Studierenden
Studierende Universitäten Befragte insgesamt HOPROs pro Uni
Häufigkeit Häufigkeit Prozent Häufigkeit
weniger als 20.000 4 241 34 60
20.000-29.999 4 228 32 57
mehr als 29.999 3 238 34 79
Tabelle 3: Anzahl und Prozent der Befragten nach Größe der Universitäten gemessen nach
Anzahl der Professuren
Professuren Universitäten Befragte insgesamt HOPOROs pro Uni
Häufigkeit Häufigkeit Prozent Häufigkeit
weniger als 300 3 161 8 54
300-399 3 200 9 67
mehr als 399 5 346 10 69
Im Schnitt antworteten 64 HOPROs pro angeschriebener Universität.
3.3. Ergebnisse der Befragung der HOPROs
HOPROs sind mehrheitlich weiblich (60 %) und leben in einer festen Partnerschaft (80 %).
56 % haben Kinder. Sie besitzen zumeist die deutsche Staatsbürgerschaft (95 %) und sind
im Durchschnitt 45 Jahre alt. Ihre Stellen sind insbesondere im Fachbereich/in der Fakultät,
im Studiengang (32 %) oder in der zentralen Verwaltung (26 %) angesiedelt. Dennoch ist die
Einordnung der Stellen in die Strukturen der Hochschule und deren Bezeichnung
außergewöhnlich heterogen. So werden von den Befragten insgesamt mehr als 500
unterschiedliche Bezeichnungen ihrer Organisationseinheit angegeben, in welcher sie tätig
sind.
Fast zwei Drittel der Personen berichten, dass ihre Organisationseinheit mit der Schaffung
ihrer Stelle ein (zum Teil) neues Tätigkeitsfeld erschlossen hat. Daran lässt sich ablesen,
dass die Tätigkeitsfelder der HOPROs insbesondere in den letzten Jahren zumindest eine
funktionelle Differenzierung durchlaufen haben. Im Durchschnitt sind die Befragten seit fünf
Jahren auf ihrer jetzigen Stelle und seit 8 Jahren an der Hochschule beschäftigt.
Ein Viertel der Befragten haben eine Leitungsfunktion inne, über die Hälfte der Befragten
geben an, als Mitarbeiter(in) beschäftigt zu sein. Jedoch werden auch ergänzende
Bezeichnungen wie Referent(in) (13 %), Berater(in) (8 %) und Koordinator(in) (6 %)
angegeben.
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 209
Die komplexen und verantwortungsvollen Tätigkeitsprofile erklären, warum nur 5 % der
HOPROs keinen Hochschulabschluss besitzen. Das hohe Qualifikationsniveau der HOPROs
zeigt sich deutlich daran, dass fast die Hälfte der Befragten als höchsten Abschluss einen
Magister/ein Diplom/einen Master angibt, ein zusätzliches Drittel der Befragten hat sogar
promoviert.
Tabelle 4: Anzahl und Prozent des höchsten Abschlusses der Hochschulprofessionen
Häufigkeit Prozent
BA 8 1
FH Diploms 21 4
1. Staatsexamen 30 5
Magistra/Magister, Diplom, Master 251 4
weitere Abschlüsse 54 9
Promotion 192 33
Habilitation 18 3
Die ehemaligen Studienfächer der HOPROs sind sehr heterogen. Es gibt keine Fachgruppe,
die nicht vertreten ist. Allerdings wird deutlich, dass die Befragten vermehrt aus den Sprach-/
Kulturwissenschaften/Psychologie und den Rechts-/Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
stammen.
Tabelle 5: Anzahl und Prozent der Fachrichtungsgruppe des Abschlusses der
Hochschulprofessionen
Häufigkeit Prozent
Sprach- und Kulturwissenschaften,
Psychologie 192 37,5
Rechts-, Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften 127 24,8
Mathematik und Naturwissenschaften 100 19,5
anderes 30 5,9
Ingenieurwissenschaften und Architektur 21 4,1
Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften 16 3,1
Kunst, Kunstwissenschaften 12 2,3
Sport 12 2,3
Gesundheitswissenschaften 2 0,4
Gesamt 512 100
Seite 210 | Professionalisierung der Universitäten
Die Befragten geben an, dass das Studienfach nur eine geringe Rolle spielt. Von größerer
Bedeutung sind dagegen Kompetenzen, die nicht unmittelbar mit einem Studienfach
zusammenhängen, sondern während der beruflichen Tätigkeit und den Arbeitsprozessen als
HOPRO angeeignet wurden. Kommunikationskompetenzen, Verantwortungsbewusstsein,
Organisations-/Planungskompetenzen, Selbstständigkeit/Eigenverantwortung und Kennt-
nisse der Organisation und ihrer Abläufe, Belastbarkeit/Stressresistenz und Zeitmanagement
werden als zentral angesehen.
Die Bedeutung der Kommunikationskompetenz wird anhand des engen Arbeitskontaktes mit
verschiedenen Personengruppen deutlich. Auch wenn der Arbeitskontakt mit anderen
HOPROs der eigenen Hochschule am intensivsten ist, so besteht ebenfalls ein enger
Kontakt mit Professor(inn)en, Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeiter(inne)n und
Mitarbeiter(inne)n der zentralen Hochschulverwaltung.
Lehr- und Forschungskompetenz werden zwar als vorhandene Kompetenzen angegeben,
spielen aber in der Ausübung der HOPRO-Tätigkeiten nur noch eine untergeordnete Rolle.
Dennoch ist die Mehrheit der Befragten offiziell der Statusgruppe der wissenschaftlichen
Mitarbeiter(inne)n zugeordnet (46 %).
Die Hälfte der Befragten ist der Entgeltgruppe TVöD, TV-L 13 bzw. der Vergütungsgruppe
BAT II oder der Beamtenbesoldungsgruppe 13 zugeordnet; weitere 21 % eine Stufe höher,
was fast dem Anteil an Leitungspositionen entspricht. Angestellt sind die HOPROs in der
Regel auf Planstellen (74 %), nur 8 % arbeiten auf drittmittelfinanzierten Stellen. 55 % sind
unbefristet angestellt, 15 % verbeamtet, 26 % dagegen besitzen nur einen befristeten
Vertrag, wovon wiederum fast drei Viertel keine Aussicht auf einen unbefristeten Vertrag
haben. 70 % der Befragten arbeiten auf Vollzeitstellen, wenn diese Teilzeit tätig sind
überwiegend auf 50 % Beschäftigung.
Die Aufgaben, die die HOPROs wahrnehmen, sind sehr vielseitig. Insgesamt wurden mehr
als 100 Bereiche genannt, die so weit wie möglich in Oberkategorien zusammengefasst
wurden. Studienberatung/Studienservice (16 %) sowie Fachbereichsmanagement/-leitung/-
geschäftsführung (15 %) wurden am häufigsten angeben. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei
der Betrachtung der unterschiedlichen Tätigkeiten; auch hier sind Beratung/Betreuung,
Leitung und Koordination/Organisation/Management von zentraler Bedeutung.
Tabelle 6: Anzahl und Prozent der Tätigkeiten der Hochschulprofessionen
Tätigkeiten Häufigkeit Prozent
Beratung, Betreuung, Unterstützung, Information 145 18,2
Leitung 114 14,3
Koordination/Organisation/Management 101 12,7
Lehre 51 6,4
Geschäftsführung 48 6,0
Qualitätssicherung/Evaluation/Statistik/Monitoring 31 3,9
Entwicklung/Weiterentwicklung/Überarbeitung/Erstellung/Planung 23 2,9
EDV 20 2,5
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 211
Verwaltung 17 2,1
Marketing/Öffentlichkeitsarbeit 15 1,9
Forschung 14 1,8
Assistenz 13 1,6
Kooperation/Kommunikation 10 1,3
Weiterbildung/Weiterqualifikation/Fortbildung 7 0,9
Controlling/Überprüfen/Überwachen 6 0,8
Durchführung/Umsetzung 4 0,5
Service (undefiniert) 3 0,4
Interne Kommunikation 2 0,3
sonstiges 6 0,8
Mischung, nicht klar abgrenzbar, unbekannt oder ähnliches 166 20,9
Gesamt 796 100
Die vertragliche Situation unterscheidet sich im Durchschnitt nur sehr gering von der realen
beruflichen Tätigkeit. Lediglich der geringe Anteil an Forschung – durchschnittlich 9 % der
Vertragszeit – ist real im Durchschnitt mit 2,5 % noch geringer. Diese Verteilung der
beruflichen Tätigkeiten wird nicht als negativ angesehen.
Gefragt nach ihrer Motivation geben zwei Drittel der Befragten an, sich bewusst für ihren
jetzigen Tätigkeitsbereich entschieden zu haben, da sie sich speziell für diesen interessierten
und dieser ihren Fähigkeiten entsprach. 20 % geben an, sich bewusst für diesen
Tätigkeitsbericht als Alternative zu Forschung und Lehre entschieden zu haben. Die
Befragten geben zudem an, insgesamt mit ihrer beruflichen Situation und ihrer erreichten
beruflichen Position zufrieden zu sein (Mittelwert 2,3 und 2,4). Als positiv bewertet werden
insbesondere die Gestaltungsmöglichkeiten, die Abwechslung/Vielfalt und die vorhandenen
Entscheidungsfreiräume. So stimmen die Befragten auch den Aussagen zu, dass sie ihre
Aufgaben betreffend große Gestaltungsfreiräume haben, dass sie große Freiräume für
Eigeninitiative haben, und dass sie die Strategie ihre Organisationseinheit mitgestalten
können.
Betrachtet man die Bewertung der eigenen Arbeitssituation geben die Befragten an, dass sie
mit ihrer Tätigkeit helfen, Arbeitsabläufe effektiv, transparent, effizient und einfach zu
gestalten. Sie geben an, dass sich durch ihre Funktion Professor(inn)en besser auf
Primäraufgaben in Lehre und Forschung konzentrieren können (Mittelwert 2,3) und von
Sekundäraufgaben entlastet werden (Mittelwert 2,5). Teilweise wird auch angegeben, dass
es durch ihre Funktion verstärkt Betreuungsangebote für Studierende gibt. Angegeben wird
ebenfalls, dass die HOPROs an Schnittstellen arbeiten, multifunktional tätig sind, neue
Tätigkeitsfelder gestalten, Troubleshooter sind und oft dort einspringen, wo unmittelbarer
Bedarf entsteht. Die Akzeptanz ihrer Funktion und der Ausführung ihrer Tätigkeit wird
dementsprechend auch als relativ hoch eingeschätzt (Mittelwert 2,2), wobei die Akzeptanz
bei den direkten Vorgesetzten (1,8) und Studierenden (2,0) am höchsten eingeschätzt wird,
Seite 212 | Professionalisierung der Universitäten
bei der Hochschulleitung (2,4) und den Professor(inn)en (2,5) dagegen geringer. Wenn man
die Befragten offen nach negativen Aspekten der Arbeit befragt, geben fast 10 % der
Befragten an, dass sie und ihre Arbeit nur gering anerkannt und wertgeschätzt werden.
Fragt man nach den wichtigsten Aspekten des Berufs so zeigt sich, dass insbesondere ein
gutes Betriebsklima (1,4), eigenverantwortliches Arbeiten (1,4), die Möglichkeit, eigene Ideen
zu verwirklichen (1,6) und eine verantwortungsvolle Aufgabe (1,6) von hoher Bedeutung
sind. Am wenigsten wichtig bzw. nur teilweise wichtig sind ihnen gute Aufstiegsmöglichkeiten
(2,5), flexible Arbeitsortgestaltung (2,8) und übersichtliche und geregelte Arbeitsaufgaben
(2,8). Auf ihre gegenwärtige Situation trifft zu, dass sie eigenverantwortlich arbeiten (1,7) und
eine verantwortungsvolle Aufgabe und eine Arbeit haben, die sie fordert (1,9). Am wenigsten
und damit eher nicht zutreffend sind gute Aufstiegsmöglichkeiten (3,8).
Tabelle 7: Geschätzte Wichtigkeit und Zutreffen verschiedener Aspekte des eigenen Berufes
(Mittelwerte auf Skala: 1 trifft sehr zu bis 5 trifft überhaupt nicht zu)
berufliche Aspekte Wichtigkeit triff zu
gutes Betriebsklima 1,41 2,07
eigenverantwortliches Arbeiten 1,42 1,71
Möglichkeiten, eigene Ideen zu verwirklichen 1,61 2,19
verantwortungsvolle Aufgaben 1,62 1,89
eine Arbeit zu haben, die sie fordert 1,66 1,93
abwechslungsreiche Aufgaben 1,66 1,96
Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit anderen 1,75 1,99
Arbeitsplatzsicherheit 1,78 2,06
flexible Arbeitszeiten (z.B. Gleitzeit) 1,85 2,05
Möglichkeit zur Verwendung erworbener
Qualifikationen 1,89 2,36
Möglichkeit zur Einflussnahme 1,92 2,6
angemessenes Einkommen 1,93 2,7
Möglichkeit zur beruflichen Weiterqualifizierung 2,03 2,65
Möglichkeit, Nützliches für die Gesellschaft zu tun 2,03 2,47
Übernahme von Koordinierungs- und
Leitungsaufgaben 2,12 2,44
gute Möglichkeit, familiäre Aufgaben mit dem Beruf
zu vereinbaren 2,2 2,59
genug Zeit für Freizeitaktivitäten 2,39 3,01
gesellschaftliche Anerkennung 2,43 2,55
gute Aufstiegsmöglichkeiten 2,51 3,84
Institutionelle Rahmenbedingungen | Seite 213
Flexible Arbeitsortgestaltung (z.B. Tele-Arbeit) 2,75 3,15
Übersichtliche und geregelte Arbeitsaufgaben 2,79 3,09
Dementsprechend werden „geringe/keine Aufstiegsmöglichkeiten“/„geringe/keine berufliche
Perspektiven“ auch als negative Aspekte ihrer Arbeit angegeben, ebenso wie hohe „Arbeits-
belastung/Zeitdruck“ und „schlechte Rahmenbedingungen“/„geringe Ressourcen“ zu haben.
Fragt man nach den Veränderungswünschen der Befragten, so werden von den 597
unterschiedlichen Angaben am häufigsten folgende genannt: Mehr Ressourcen, höhere
Anerkennung, intensivere Kommunikation und Arbeitsplatzsicherheit.
Tabelle 8: Anzahl und Prozent der Veränderungswünsche der Hochschulprofessionellen,
hinblickend auf eigene Beschäftigung und Arbeit
Häufigkeit Prozent
mehr Ressourcen (Finanzen, Stellen, Räume) 56 9,4
höhere Anerkennung/Wertschätzung 40 6,7
intensivere Kommunikation/Kooperation 36 6,0
Entfristung der Stelle/Arbeitsplatzsicherheit 34 5,7
Konzentration der Aufgaben/genaueres
Aufgabenprofil 30 5,0
bessere Bezahlung/höheres Gehalt 29 4,9
bessere Aufstiegschancen/Perspektiven 26 4,4
bessere Strategieentwicklung 25 4,2
besseres Zeitmanagement/mehr Zeit 25 4,2
Weder bei den negativen Aspekten noch bei den Veränderungswünschen wird angegeben,
dass eine Tätigkeit gewünscht wird, die näher an den klassischen wissenschaftlichen
Funktionen liegt und damit mehr Forschungs- und Lehrbezug hat. Dementsprechend
verstehen sich die Befragten auch vielmehr als Dienstleister(in) (Mittelwert 2) und
Hochschulprofessionelle (Mittelwert 2) und kaum noch als Wissenschaftler(in) (Mittelwert 4).2
4. Schlussfolgerungen
Man kann bei den HOPROs nicht von einer homogenen Berufsgruppe sprechen. Doch trotz
der unterschiedlichen fachlichen Herkunft, der unterschiedlichen Verortung und der multiplen
Aufgabenfelder können deutliche Gemeinsamkeiten definiert werden.
Um es mit Klumpps und Teichlers Worten zu sagen, verfügen HOPROs über eine „große
Vertrautheit mit den Kernfunktionen der Hochschulen" (Klumpp/Teichler 2008, S. 170). Sie
2 Skalierung von 1 „trifft sehr zu“ bis 5 „trifft überhaupt nicht zu“.
Seite 214 | Professionalisierung der Universitäten
sind Expert(inn)en des Hochschulsystems und professionalisieren sich zunehmend. Auch
wenn HOPROs den Status einer Profession nach klassisch soziologischem Verständnis
bisher nicht erreichen und in absehbarer Zeit auch nicht erreichen werden, lässt sich eine
klare Professionalisierung feststellen. Betrachtet man die vier von Gornitzka et al. (2008, S.
173) entwickelten Aspekte von Professionalisierung für Personen, die an Hochschulen tätig
sind, nicht aber primär in Forschung und Lehre arbeiten, so zeigt sich eine Übereinstimmung
mit den Gemeinsamkeiten der HOPROs:
1. „Steigende Ansprüche an die formale Ausbildung für administrative Positionen,
2. Formaler Statusanstieg von administrativen Positionen,
3. Entstehen einer gemeinsamen kognitiven Basis,
4. Entstehung und Formalisierung von Netzwerken des entsprechenden Personen-
kreises und einer gemeinsamen Identität“ (Gornitzka 2008, S. 173).
Der wissenschaftliche Hintergrund fast aller Befragten und der hohe Anteil an Personen mit
Promotion sprechen für die steigenden Ansprüche der formalen Ausbildung. Der
Statusanstieg zeigt sich in den entsprechenden Tarifsystemen (TV-L 13) und der gleich-
artigen Vertragssituation. Zentrale Tätigkeiten können aufgezeigt werden, für die
insbesondere ein fester Kanon an sozialen Kompetenzen wichtig ist, ebenso wie die oben
bereits angesprochenen Kenntnisse der Organisation Hochschule. Somit kann trotz der
unterschiedlichen Fachkulturen, aus denen die Personen stammen, von einer gemeinsamen
kognitiven Basis ausgegangen werden. Auch wenn bisher kein formalisiertes Netzwerk für
HOPROs existiert, so gibt es doch verschiedene Tätigkeitsgruppen, die bereits eigene
Verbände besitzen (Gibet, DeGEval etc.). Die ähnliche Selbstwahrnehmung und das
einheitliche Selbstverständnis als Dienstleister(in) und Hochschulprofessionelle(r) ebnen den
Weg für die Entstehung einer gemeinsamen Identität.
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Qualitätsentwicklung und -steuerung
Seite 218 | Nach der Reform ist vor der Reform
Nach der Reform ist vor der Reform – Studienqualität vor und nach Bologna
Tino Bargel
Abstract
Der Bologna-Prozess ist heftig umstritten, bis hin zu demonstrativen Protesten von
Studierenden und Rücktritten von Professor(inn)en. In dieser heißen Debatte zwischen
bunten Versprechungen und grobem Verriss scheint es angebracht, die Befunde der
empirischen Hochschulforschung heranzuziehen, etwa des Studierendensurveys oder des
Studienqualitätsmonitors.
Auf dieser Grundlage sollen Befunde zu fünf zentralen Punkten der Auseinandersetzung um
Bologna und Bachelor vorgelegt werden: (1) zur Studierbarkeit, inklusive Zeitbudget und
Studiendauer, (2) zur Studienqualität, inklusive Forschungs- und Praxisbezug, (3) zur Berufs-
befähigung und zum Studienertrag (etwa „Employability“ und „Citizenship“), (4) zur
Auslandsmobilität sowie (5) zur sozialen Fairness für Bildungsaufsteiger(innen) (auch beim
Auslandsstudium oder beim Übergang zum Master).
Die Befunde der Hochschulforschung sprechen dafür, den Bologna-Prozess fortzuführen und
an der Gestaltung des Europäischen Hochschulraumes verstärkt mitzuwirken. Bei den
Bachelorstudiengängen sind dafür aber eine Reihe von Reparaturen und Rekonstruktionen
durchzuführen, etwa bei den Regularien und Prüfungssystemen, bei Auslandsstudium und
Internationalität, beim Übergang zum Master. Auch ein Überdenken der leitenden Prinzipien
erscheint notwendig: weg von Standards, Rankings und peniblen Bemessungen hin zu
kreativer Vielfalt, zu Forschungsbezug und Professionalität, zu Internationalität und
Autonomie im Studium.
1. Bologna-Prozess als Reformprozess
Der Bologna-Prozess ist heftig umstritten, bis hin zu demonstrativen Protesten von
Studierenden und Rücktritten von Professor(inn)en. In dieser heißen Debatte zwischen
bunten Versprechungen und grobem Verriss ist es nicht einfach, das Problembündel zu
entwirren, zumal es sich um keinen gordischen Knoten handelt, den man einfach
durchschlagen könnte. Da scheint es angebracht, die Befunde der empirischen Hochschul-
forschung heranzuziehen, etwa des Studierendensurveys oder des Studienqualitätsmonitors,
um zu klären, wie der Bologna-Prozess bislang von den Studierenden erfahren wird und wie
dessen Studienqualität verbessert werden kann.
Gleich zu Anfang des Bologna-Prozesses sahen wir uns einer vollmundigen Ankündigung
gegenüber. Der Bologna-Prozess werde bis 2010 abgeschlossen sein, so lautete die
Prognose. Das war und ist eine erhebliche Fehlspekulation, sowohl was die Dauer als auch
was die Tiefe der Umbruchphase an den deutschen Hochschulen angeht. Diesen
Wahrheiten müssen wir uns stellen: Erstens, „Bologna“ ist nicht so nebenbei zu haben und
zweitens, Veränderungen der Struktur bringen nicht mechanisch eine bessere
Studienqualität hervor – das verlangt eigene Bemühungen.
Insofern ist der Titel meines Beitrages ganz zutreffend: „Nach der Reform ist vor der
Reform“. Das gilt vor allem im Hinblick auf die Verbesserung der Studienqualität. Mittlerweile
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 219
wird sie als fortlaufende Aufgabe von den Hochschulen auch anerkannt. Die Einrichtung von
Büros und Stellen für das „Qualitätsmanagement in der Lehre“ sprechen dafür. Das ist
angemessen, denn „Studienqualität“ ist nichts Statisches: Es gibt neue Entwicklungen, zum
Beispiel der gestiegene Beratungsbedarf der Studierenden, oder neue Schwerpunkte, wie
das studentische Verlangen nach Rückmeldungen und Erläuterungen zu ihrem
Leistungsstand.
Die AG Hochschulforschung an der Universität Konstanz hat dazu einiges an Befunden und
Empfehlungen vorgelegt: einen ausführlichen „Bachelor-Bericht“ als Zwischenbilanz im
Frühjahr 2010, manche Beiträge zur Entwicklung der Studierbarkeit und Studienqualität und
außerdem spezielle Expertisen zur Situation beim wissenschaftlichen Nachwuchs, beim
Auslandsstudium und über soziale Ungleichheiten im Studium, d.h. über das Studienschick-
sal der Bildungsaufsteiger(innen). Dort kann ausführlicher nachgelesen werden, was
nachfolgend knapp und pointiert präsentiert wird.
2. Studierbarkeit und Berufsbefähigung
Zwei Probleme treiben die Bachelorstudierenden am meisten um, nicht zuletzt, weil sie
selber darauf viel Wert legen, mehr als früher und mehr als andere Studierende: Zum einen
die Studierbarkeit und der Studienerfolg, zum anderen die Berufsbefähigung und die
Berufsaussichten. Sie stelle ich daher an den Anfang meiner Ausführungen.
2.1. Erstes Problem: „Studierbarkeit“
Einst wurde versprochen, auf Hochglanz und in Faltblättern: Das Bachelorstudium sei
überschaubarer, strukturierter, gut betreut, kurzum: über die Module besser studierbar. Das
aber hat sich als ein nicht eingehaltenes Versprechen erwiesen. Damit sind wir bei einem
Grundproblem des Bologna-Prozesses: dem Auseinanderfallen von Versprechen und
Verwirklichung. Denn die Umsetzung in der Studienrealität an den Hochschulen sieht für die
meisten Studierenden ganz anders aus.
Häufig wird die gestiegene zeitliche Einspannung ins Studium angeführt, viele Studierende
klagen darüber. Diese Beschwerden stellen sich aber als eine Legendenbildung heraus, die
einer genaueren Nachprüfung zum Zeitaufwand nicht standhält. Es liegen dazu eindeutige
Befunde vor: Der Zeitaufwand für das Studium ist gegenüber früheren Jahren nicht
gestiegen und die Unterschiede nach Fachrichtungen haben sich fast unverändert gehalten.
Das ist übrigens seit einigen Jahren bekannt und wurde sowohl in der letzten Sozial-
erhebung (2009) als auch im Studierendensurvey (2009/10) bestätigt.
Zwangsläufig stellt sich dann die Frage, weshalb denn die Studierenden die Studierbarkeit
infrage stellen und über Stress klagen? Die Befunde zu Schwierigkeiten und Belastungen
ergeben einen eindrucksvollen Zusammenhang und sie geben den Beschwerden durchaus
recht: Bachelorstudierende haben in der Tat mehr Druck, sie empfinden zudem mehr Druck
und schließlich machen sie sich selbst auch mehr Druck.
Studierende im Bachelorstudium erfahren zu oft einen unübersichtlichen Studienaufbau mit
wenig abgestimmten Modulen, ein hartes, intransparentes Prüfungssystem, eine fort-
laufende, strikte Leistungsüberprüfung ohne Flexibilität und eigene Entscheidungen oder
Wahlmöglichkeiten. Sie empfinden weit größere Belastungen wegen der übertriebenen
Stoffmenge, den engen Regulierungen und den vielen Prüfungen.
Seite 220 | Nach der Reform ist vor der Reform
Die Studierenden äußern häufiger als früher die Sorge, das Studium nicht zu schaffen. Die
Studierbarkeit, möglichst mit gutem Ertrag, ist in der Tat zu oft für die Studierenden infrage
gestellt und muss mit ihrer Beteiligung hergestellt werden. Viele Hochschulen haben sich
bereits auf diese notwendigen „Reparaturen“ im Bachelorstudium eingelassen.
2.2. Zweites Problem: „Employability“ (Berufsbefähigung)
Es hört sich ebenfalls gut an, der Vorsatz, im Studium mehr für die Berufsbefähigung zu tun,
es stärker anwendungsbezogen anzulegen und Praktika vorzuschreiben, kurzum für den
Bachelor „Employability“ herzustellen. Das erweist sich letztlich aber als eine Fata Morgana,
das ist eine spezielle Art verführerischer Illusion. Für die in Aussicht gestellte „Employability“,
ein schillerndes Konzept zwischen Arbeitsmarktanpassung, Praxistauglichkeit und
Berufsbefähigung, tun die Studierenden viel, um sie zu erwerben und nachzuweisen, anhand
von Zertifikaten, Punkten, Anrechnungen. Sie laufen dem beständig hinterher. Dennoch
erfahren sie, vor allem an den Universitäten, bislang keinen engeren Praxisbezug in der
Lehre oder eine bessere Berufsvorbereitung.
Das einseitige oder dominierende Hervorheben von angewandter Nützlichkeit und
beruflichem Gewinn eines Studiums produziert mehr Unübersichtlichkeit und Unsicherheit,
zumal dann externe Instanzen (meist Wirtschaft und Berufsverbände) die Ausbildungsziele
und Übernahmebedingungen setzen. Das hat ständige Anpassungsversuche und Eindrücke
des Ungenügens bei den Studierenden zur Folge, was wiederum den Druck im Studium
erhöht, und zwar auf Kosten von Nachdenken, Kreativität und Innovation.
2.3. Drittes Problem: „Citizenship“ (öffentliche Verantwortung)
Dem Bachelorstudium wird weiterhin angelastet, es habe wegen Enge und Einspannung
dazu geführt, dass sich die Studierenden zu wenig sozial, kulturell oder politisch engagieren
und aus der öffentlichen Mitwirkung zurückziehen. Dies erweist sich aber als eine
fälschliche Zuschreibung, eine unzutreffende Unterstellung. Die Zeitreihe und
Vergleiche der AG Hochschulforschung belegen vielmehr: Es handelt sich um einen
allgemeinen Trend bei allen Studierenden.
Insofern trifft es zu: Es vollzieht sich eine nachweisbare Verarmung an sozialer, politischer
und kultureller Betätigung und Verantwortlichkeit. Aber diese Entwicklung hat mehr mit dem
Aussterben des Magisters und dem Verblassen der geistes- und sozialwissenschaftlichen
Fachkulturen zu tun, weshalb Eigenwilligkeit und Engagement immer mehr verschwinden,
seit der Jahrtausendwende sogar verstärkt.
Durch das Bachelorstudium wird dieser allgemeine Trend dann verstärkt, wenn einseitig auf
die Berufsbefähigung gesetzt wird und die Fachkultur der Wirtschaftswissenschaften das
dominierende Modell abgibt. Es war daher überfällig, dass von der Konferenz der
zuständigen Minister aus den 47 beteiligten Nationen nunmehr auch die „Citizenship“ als
allgemeines Bildungsziel von gleichem Rang wie „Employability“ hervorgehoben wird (wie
dem Kommuniqué Leuven 2009 zu entnehmen ist). Daher ist zu verlangen, dass diese
Einsicht in der Hochschullehre mehr Beachtung findet.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 221
3. Studienqualität und Studierendenstatus
Nun sind wir bei der Studienqualität im engeren Sinne. Zuerst ist herauszustellen: Die
Studienqualität ist allenthalben besser geworden, vor allem in den 90er Jahren hat sie sich
deutlich erhöht. Im neuen Jahrtausend hält sie sich weitgehend auf diesem Niveau, auch in
den Bachelorstudiengängen. Das ist soweit erfreulich und belegt, dass es in dieser
allgemeinen Hinsicht im Bachelorstudium nicht schlechter oder schlimmer geworden ist.
Viele anklagenden Äußerungen über den Niveauverlust im Bachelorstudium erweisen sich
als unhaltbare Behauptungen, es handelt sich um unzutreffende, pauschale Vorwürfe.
Insbesondere die inhaltliche Qualität der Lehre wird weiterhin und mehrheitlich als gut
bewertet – eine ganz wichtige Grundlage für Zufriedenheit und Selbstbewusstsein der
Studierenden. Im Bachelorstudium sind allerdings einige Abstriche beim Aufbau der Studien-
gänge und bei der Betreuungs- und Beratungsleistung vorzunehmen. Hier muss an Aufbau
und Abstimmung der Module, an den Leistungsüberprüfungen sowie an der Zugänglichkeit
der Lehrenden noch einiges rekonstruiert und verbessert werden.
Ein eigenes Problem stellt der Status der Studierenden dar, welche Rolle dürfen sie spielen?
Es ist ein wichtiger Befund der Forschungen zur Studienqualität, dass deren Höhe nicht
allein von den Lehrenden abhängt, sondern ebenso von den Studierenden. Ohne die
Motivation, Aktivität und Mitarbeit der Studierenden ist eine gute Studienqualität nicht zu
haben. Umso fataler ist es, ihnen eine Konsumentenhaltung anzugewöhnen oder sie darin
zu unterstützen.
Es stellt sich als Irrweg heraus, die Studierenden als bloße „Kund(inn)en“ aus der
Mitgestaltung und Mitverantwortung für Lehre und Hochschule zu entlassen. Gerade das
Bachelorstudium erscheint deshalb oftmals als allzu verschult. Der allenthalben den
Studierenden angedachte passive Status erweist sich als Nachteil; er macht die Lehre nicht
leichter, die Studienqualität schon gar nicht besser. Es wird zwar gelernt und gepaukt, aber
nicht studiert, wenn darunter ein offenes und selbstständiges, ein forschungsorientiertes und
kreatives Lernen verstanden wird und gefördert werden soll.
4. Auslandsmobilität und Internationalität
Bislang wurde der Eindruck vermittelt, dass im Bachelorstudium ein Auslandsstudium kaum
zu verwirklichen sei. Die Gründe sind schnell bei der Hand: das kurze Studium, das Jagen
nach ECTS-Punkten, das Verschieben in die Masterphase. Verlässliche Daten zur
Entwicklung des Auslandsstudiums sind in der Umbruchphase jedoch schwer zu haben, sie
bleiben meist nicht eindeutig, vor allem die geläufige, oft benutzte „Auslandsquote“ als Maß
muss neu bestimmt und berechnet werden (gemeint als „Anteil an Graduierten mit einer
Studienphase im Ausland in Prozent“).
Ein methodisches Seminar ist hier nicht möglich, etwa über die Bedeutung von
Grundgesamtheiten für Anteilswerte – zum Beispiel welche Semester als Bezugsgröße
herangezogen werden. Nur so viel: Ohne neue Modi der Berechnung erhalten wir notwendig
zahlenmäßige Artefakte, die die Wirklichkeit verzerrt abbilden. Ich habe selbst einige Zeit
darüber zugebracht, mögliche Verzerrungen auszuräumen.
Bei genauerem Hinsehen hat sich herausgestellt: Eine Studienphase im Ausland war unter
den Bachelorstudierenden anfangs selten, was aber allein daran lag, dass sie sich fast alle
noch in den Anfangssemestern befanden. Im Laufe der letzten Jahre, etwa von 2007 bis
Seite 222 | Nach der Reform ist vor der Reform
2010, hat eine Auslandsphase im Bachelorstudium um 5 Prozentpunkte beachtlich
zugenommen; die „Auslandsquote“ liegt nun bei 15 % insgesamt. Das ist nicht viel weniger
als die 18 % für alle Studierenden, ein übrigens leicht überschätzter Wert. Wegen ihrer
Bedeutung für den Bologna-Prozess wie für die Qualifikation der Studierenden bleibt die
Entwicklung der Auslandsaktivitäten, auch mit einigen möglichen Verlagerungen zwischen
den verschiedenen Arten von Aktivitäten (Studienphase, Praktikum, Sprachkurs, Studien-
reise/Exkursion, Projektarbeit), weiterhin zu beobachten.
Festgehalten werden kann zumindest: Die gängige Befürchtung, das Bachelorstudium
verhindere oder erschwere ein Auslandsstudium, stellt sich als letztlich unbegründet heraus.
Es ist eine irrige Behauptung, im Bachelor sei keine Auslandsphase möglich (oder gar:
auch nicht nötig) – das kann als widerlegt gelten. Eine Auslandsaktivität, als Studienphase
oder Praktikum absolviert, lässt sich gut im Bachelorstudium einrichten, wenn die Studien-
bedingungen entsprechend gestaltet werden und zugleich Unterstützung gewährleistet wird:
über Stipendien, Zeitfenster, ECTS-Punkte, Informationen und vor allem fachnahe
Austauschprogramme.
Das liegt nicht zuletzt an der Arbeit der Auslandsämter, oft nun International Office genannt.
Sie haben in den letzten Jahren für das Auslandsstudium und die Auslandsaktivitäten viel
getan und werden von den Studierenden entsprechend sehr gut evaluiert. Deren
Informationsstand über die Möglichkeiten zum Auslandsstudium hat sich in der Folge
erheblich verbessert. Im Übrigen: Ob ein Auslandsstudium durchgeführt wird, das ist weit
mehr von der sozialen Herkunft abhängig und das Interesse daran wird meist schon ins
Studium mitgebracht.
5. Soziale Fairness für Bildungsaufsteiger(innen)
Es ist aufschlussreich, dass im Zuge des Bologna-Prozesses die „soziale Dimension“
entdeckt und betont wird – ein bemerkenswerter Nebeneffekt. Dazu hat der hartnäckige
Einsatz des internationalen Studentenverbandes (ESU, früher ESIB) gewichtig beigetragen –
ein Beleg dafür, dass sich studentische Einmischung in den Bologna-Prozess auswirken
kann und lohnend ist.
Lange hat sich der Mythos gehalten, hier ist das Wort endlich berechtigt, dass an der
Universität allein die wissenschaftliche Leistung für Erfolg und Fortkommen zähle, als ob die
Studierenden ihre soziale Herkunft mit der Immatrikulation wie einen Mantel an der
Garderobe abgegeben hätten.
Wir haben einigen Aufwand betrieben, um nachzuweisen, wie stark im Studium, etwa bei der
Beteiligung in Lehrveranstaltungen, bei der Sicherheit und dem Zutrauen in die eigene
Leistung, bei der Besetzung von Hilfskraft- und Tutorstellen, beim Mangel an Ingenieur-
(inn)en oder bei dem Weg zum wissenschaftlichen Nachwuchs die soziale Herkunft von
Einfluss oder sogar maßgeblich ist. Klares Fazit: Bildungsaufsteiger(innen) werde im
Studium, materiell wie ideell, allzu wenig unterstützt.
Mittlerweile sorgt das europäische Projekt EUROSTUDENT dafür, dass über die soziale
Situation der Studierenden und die sozialen Ungleichheiten an den Hochschulen europaweit
mehr bekannt wird. Auch im Feld des Studiums schneidet Deutschland im internationalen
Vergleich wenig gut ab – etwa beim Auslandsstudium. Deshalb müssen wir Fairness und
„Equity“ endlich als zentrale Elemente der Studienqualität begreifen und als gewichtigen Teil
des Qualitätsmanagements praktisch etablieren.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 223
6. Bachelorstudium und Problemzuweisungen
Da sind sich viele Studierende und Professor(inn)en einig im Ruf: Der Bachelor ist an allem
schuld! Vorsicht sollte aber walten, wenn Mängel im Studium einfach auf den „Bachelor“
geschoben werden. Einige Gründe sprechen dagegen. Sie sind zu registrieren, damit nicht
am Bachelor herumgebastelt wird, wo ganz andere Baustellen betreten werden müssten.
Dazu drei kurze Hinweise:
1. Viele problematische Züge waren bereits vor Einführung des Bachelors an den
Hochschulen vorhanden: Der Trend zurück ins Private, das Votieren für
Anwendungsbezug oder die einseitige Effizienzorientierung auf Seiten der
Studierenden; andere Studienbedingungen haben sich nicht oder nur unbedeutend
verändert wie fehlende Kontakte und Betreuung, die oftmals mangelhafte
Hochschuldidaktik oder die unzureichende Förderpraxis.
2. In Jura und Medizin, vor allem im Lehramt, sind Studienbedingungen und
Studienqualität erkennbar ungünstiger als in vielen Bachelorstudiengängen. Aber
darüber wird der Mantel des Schweigens oder der Hinnahme gesenkt. Man könnte
folgern: Die neue Studienstruktur täte Jura-, Medizin- und Lehramtsstudium ebenso
gut, um grundsätzliche Mängel der Lehre erkennbar zu machen und das Bemühen
um Studienqualität auf den Weg zu bringen.
3. Schließlich sind es oft ungünstige Studienbedingungen, für die der Bologna-Prozess
nicht verantwortlich gemacht werden kann: Dazu gehören die gestiegenen
Probleme mit der Studienfinanzierung, die unklaren Auswahlverfahren der
Hochschulen oder eine anhaltende Überfüllung in den Lehrveranstaltungen vieler
Fächer, vor allem an den Universitäten.
Bei all diesen schwerwiegenden Problemen ist Abhilfe nötig, damit Standards der Studien-
qualität, Studieneffizienz und Fairness verwirklicht werden. Das wäre auch zum Vorteil des
Bologna-Prozesses, damit er für diese Mängel nicht mehr herhalten muss und dadurch das
Ansehen des Bachelorstudiums belastet wird.
7. Abschluss: Gestaltung des Europäischen Hochschulraumes
In meinen Ausführungen bin ich auf manche Irrtümer eingegangen, die nicht haltbar sind,
wenn wir uns auf die Empirie der Hochschulforschung stützen. Sie treten uns in
verschiedenem Gewande gegenüber: als Fehlspekulation und Fata Morgana, als Irrtümer
und Artefakte, als Fehldeutungen und Fehleinschätzungen, als Legenden und Mythen. Kann
die Empirie tatsächlich wie ein Masterplan zur Studienreform gelesen werden – wie das
Deutsche Studentenwerk (DSW) dem Studierendensurvey freundlicherweise zuspricht? Auf
alle Fälle wird deutlich, dass wir zutreffende, differenzierende und wegweisende
Informationen beim weiteren Bologna-Prozess brauchen, d.h. eine fundierte und aussage-
kräftige Hochschulforschung an vielen Orten mit unterschiedlichen Ansätzen.
Es sind nicht die hehren Bologna-Ziele, die von den Studierenden infrage gestellt werden,
dafür sind ihnen Internationalität, Austausch, Mobilität, bessere Stoffgestaltung (Module) und
kontinuierliche Leistungsanerkennung, auch der Anwendungsbezug viel zu wichtig. Diese
Befunde sprechen dafür, den Bologna-Prozess fortzuführen und an der Gestaltung des
Europäischen Hochschulraumes verstärkt mitzuwirken. Wir müssen uns aber im Klaren sein,
Seite 224 | Nach der Reform ist vor der Reform
dass erst der Rohbau steht und für den entscheidenden Innenausbau noch manches an
Reparaturen und Rekonstruktionen nötig und zu leisten ist. Dazu ist an vielen Hochschulen
einiges im Gange, etwa zum Umbau der Module, zur Überarbeitung des Prüfungssystems
oder zur Förderung des Auslandsstudiums.
Wir werden bei der Studienqualität aber nicht entscheidend vorankommen, wenn wir über
solche „Nachjustierungen“ hinaus nicht auch eine Reanimation des Studierens im Bologna-
Prozess vornehmen. Das Festschreiben und Aushandeln von Strukturen und Quoten
(etwa Studiendauer, ECTS-Punkte, Teilnahmelisten, Auslandsquote) stand zu sehr im
Vordergrund und die Selektionsverfahren sind allzu unklar und einseitig, vielen erscheinen
sie auch ungerecht (Stipendienvergabe, Masterübergang, Wege zum wissenschaftlichen
Nachwuchs).
Was wir dringend brauchen ist ein Aufgreifen der belebenden Prinzipien für ein Studium
(the animating principles) und des Reizes von Wissenschaftlichkeit (the sense of science);
sie bleiben oft unbeachtet oder gingen verloren. Diese Reanimation wäre nicht erst für das
Masterstudium vorzusehen, sondern bereits im Bachelorstudium zu verwirklichen. Sie
verlangt eine Studiengestaltung und ein Lehrangebot unter den leitenden Prinzipien von
Forschungsbezug und Professionalität, von Autonomie und Internationalität, von Kreativität
und Vielfalt.
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typus wird im Bachelorstudium begünstigt? In: HIS Hochschul-Informations-System
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Seite 226 | „Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen
„Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen – Ein empirischer Einblick in
Lehrkonzepte, Steuerungsphilosophien, Motivlagen,
Anreizsysteme und Inplacement-Maßnahmen
Fred G. Becker, Elke Wild, Wögen Tadsen, Ralf Stegmüller
Abstract
„Gute Lehre“ rückt immer mehr in das Zentrum hochschulpolitischer wie universitärer
Bemühungen. Im Rahmen des interdisziplinären BMBF-Projekts „Motivation und Anreize zu
‚guter Lehre‟1 im Rahmen des Inplacement" wurde daher der Frage nachgegangen, welche
strategischen Maßnahmen und Human Resources aus Sicht von Hochschulleitungen und
neuberufenen Professor(inn)en zur Qualitätssicherung in der Lehre beitragen. Im Zentrum
der Interviews mit beiden Gruppen an (bislang) 19 Hochschulen stand die Frage, welche
Vorstellungen von „guter Lehre“ vorherrschen und welche Bedeutung die Gesprächs-
partner(in) universitären Anreizsystemen sowie Konzepten zur Personaleinführung für die
Aufrechterhaltung bzw. Steigerung des Lehrengagements und der Lehrkompetenz von
Hochschullehrenden zumessen. Das besondere Interesse am Inplacement-Prozess von
Neuberufenen gründet auf Erkenntnissen aus dem erwerbswirtschaftlichen Kontext, wonach
die Zeit um den Stellenantritt eine weichenstellende Phase markiert. Im Beitrag werden die
Vorgehensweise des Projekts sowie erste Ergebnisse vorgestellt.
1. Einleitung
Lehrkonzepte, -bedingungen und -leistungen sind seit der Bologna-Reform, der Einführung
von Studiengebühren und der „Nach-Bologna-Diskussion“ im Fokus vieler Hochschulen −
zumindest verbal. Unklar ist jedoch, wie und in welchem Ausmaß Professor(inn)en motiviert
werden (können), „gute“ Lehre bereitzustellen. Dieser Thematik widmet sich das BMBF-
Projekt „Motivation und Anreize zu guter Lehre im Rahmen des Inplacement“ (kurz MogLI)2.
Ausgangspunkt ist die – aus dem „resourced-based view“ (zusammenfassend Wolf 2011, S.
564ff.) stammende – These, dass personalwirtschaftlichen Subsystemen an Hochschulen
(insb. Beschaffung, Auswahl und Inplacement von Hochschullehrer(inne)n sowie Gestaltung
von Anreizsystemen) als organisationale Fähigkeit („organizational capability“) eine
zentrale Bedeutung für die Qualität der Lehre zukommt.
Im Folgenden werden die Schwerpunkte, die Projektziele umrissen, die Eckpfeiler des
methodischen Vorgehens skizziert sowie erste (vorläufige)3 Erkenntnisse zur Rolle von
„guter Lehre“, zu entsprechenden Lehranreizen sowie zu Inplacement4 zusammengefasst.
1 Was „gute Lehre“ ist wurde nicht vorgegeben. Vielmehr wurden die Interviewten nach ihrer Auffassung befragt.
2 MogLI ist in der BMBF-Förderlinie „Empirische Bildungsforschung“ mit dem Schwerpunkt „Hochschulforschung
als Beitrag zur Professionalisierung der Hochschullehre“ (www.uni-bielefeld.de/mogli/) angesiedelt.
3 Zum Zeitpunkt des Vortrags standen noch zwei Interviews mit Hochschulleitungen und 50 Befragungen von
Neuberufenen an vier Hochschulen aus.
4 In Fachkreisen wird anstelle des Terminus „Inplacement“ i.d.R. auf „Personaleinführung“ zurückgegriffen. Wir
verwenden den „Inplacement“-Begriff, da (1) wir vermuten, dass sich Professor(inn)en ihrem Selbstverständnis nach nicht im klassischen Sinne als „Personal“ sehen, (2) der Begriff der Personaleinführung in der
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 227
2. Inhalte, Ziele und Referenzrahmen des MogLI-Projekts
2.1. Inhaltliche Schwerpunkte
Die skizzierte Rahmenthematik ist umfassend, insofern ist eine Konzentration sinnvoll.
Maßgeblich für unsere thematische Schwerpunktsetzung waren zwei Überlegungen:
Die für die Hochschullehre zuständigen Hochschullehrer(innen) repräsentieren
traditionell keine homogene Gruppe, da sie Nachwuchswissenschaftler(innen) und
Professor(inn)en einschließt, die sich an unterschiedlichen Punkten ihrer
wissenschaftlichen Laufbahn befinden und deren Arbeitsbedingungen (z.B. raum-
zeitliche Ziele, Ausstattung von Ressourcen, spezifische Fächer- und Hochschul-
kulturen) entsprechend variieren. Diese Heterogenität ist durch die Etablierung
neuer Berufspositionen (z.B. Juniorprofessuren, Stellen für besondere
Lehraufgaben) weiter gestiegen. Vor diesem Hintergrund und angesichts der sich
erst allmählich etablierenden Hochschulforschung in Deutschland ist es sinnvoll, die
strategische Bedeutung des Personalmanagements von Hochschulen – zunächst –
getrennt für verschiedene Gruppen von Hochschulmitgliedern zu untersuchen. Im
MogLI-Projekt stehen die prinzipiell unbefristet beschäftigten Professor(inn)en im
Mittelpunkt.5
Mit Blick auf diese Statusgruppe interessiert speziell die Anreizgestaltung und das
Inplacement von Neuberufenen sowie deren jeweilige Bedeutung für „gute Lehre“
(ausführlich Wild et al. 2010). Personalwirtschaftliche Subsysteme und
insbesondere das Inplacement sind an Hochschulen erst ansatzweise untersucht
(siehe Becker/Probst 2004). Dabei wird in der betriebswirtschaftlichen wie
organisationspsychologischen Literatur gerade die Anfangsphase als ein weichen-
stellender Abschnitt der organisationalen Sozialisation (zusammenfassend
Günter/Brundstein 2001) betrachtet, der das organisationale Commitment und –
darüber vermittelt – die Arbeitszufriedenheit, die Leistungsbereitschaft sowie das
Arbeitsverhalten prägt (van Dick 2003). Mit Blick auf die Ausformung des
Lehrhabitus interessiert im MogLI-Projekt daher besonders die Rolle
hochschulspezifischer Botschaften zu „guter Lehre“, die auf verschiedenen
Organisationsebenen teils explizit (z.B. in Form von Leistungsanreizen in
Berufungsverhandlungen sowie sonstigen Anreize) teils implizit (z.B. in informellen
Gesprächen mit Kolleg(inn)en der Berufungskommission) vermittelt werden.
2.2. Ziele
Das MogLI-Projekt verfolgt auf Basis dieser Vorüberlegungen verschiedene Zielsetzungen:
Zum Ersten sollen – gewissermaßen in einer Vorphase – hochschulweite Konzepte
zur Qualität der Lehre („guter Lehre“) identifiziert werden.
umgangssprachlichen Verwendung auf die Zeitperiode nach Stellenantritt verengt ist (≈ Inplacement i.e.S.), während er unserem begrifflichen Verständnis (Inplacement i.w.S.) nach die gesamte Zeitperiode von der Stellenausschreibung bis zu etwa zwölf Monate nach Dienstantritt umfasst.
5 Nicht betrachtet werden Juniorprofessuren, apl. Professor(inn)en, Postdocs u.Ä., da diese unter
Rahmenbedingungen beschäftigt sind, die nicht unmittelbar mit denen „regulärer“ Professuren vergleichbar sind.
Seite 228 | „Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen
Zum Zweiten soll die Motivlage und die Anreizsituation zur Erbringung von
Lehrleistungen sowohl aus der Sicht von neuberufenen Professor(inn)en als auch
aus der Sicht von Hochschulleitungen beschrieben (und anschließend kontrastiert)
werden.
Drittens sollen Erkenntnisse zur handlungsleitenden Funktion von Anreizen für
die Lehre theoriegeleitet gewonnen, d.h. Bedingungen des Lehrengagements von
Neuberufenen herausgearbeitet werden (Personenfaktoren, monetäre und nicht-
monetäre Anreize, standortspezifische Inplacement-Maßnahmen).
Unter einem praxeologischen Aspekt soll ein Bezugsrahmen zur Beeinflussung des
Lehrverhaltens erarbeitet werden. Er wird evidenzbasierte Handlungs-
empfehlungen sowohl zu „guter Lehre“ als auch zu Anreiz- und Inplacement-
Konzepten enthalten.
2.3. Referenzrahmen
Um den Status quo beschreiben und in seinen Konsequenzen nachzeichnen zu können,
greift das MogLI-Projekt auf zwei theoretische Ansätze zurück (s. Wild et al. 2010):
Aus der auch in der betriebswirtschaftlichen Personallehre etablierten Anreiz-
Beitrags-Theorie (zusammenfassend Martin 2004) lassen sich Thesen über die
verhaltenswirksame Kraft von Konzepten zu „guter Lehre“ und zum Inplacement
ableiten sowie begründen. Darüber hinaus thematisiert dieser Ansatz das Verhältnis
von „objektiven“ (Lehr-) Anreizen und persönlichen Kosten-Nutzen-Kalkülen in einer
differenzierten Weise, sodass gängige aber u.U. kontraproduktive Kontrastierungen
(z.B. zwischen den Folgen monetärer und immaterieller Anreize) überwunden
werden (können).
Aus Ansätzen der psychologischen Motivationsforschung greifen wir die Self-
Determination-Theorie (siehe Deci/Ryan 2000) heraus, die sich in relevanten
Anwendungskontexten (z.B. Schule, Unternehmen) bewährt hat. Sie erlaubt eine
Differenzierung zwischen qualitativ unterschiedlichen Formen der Lehrmotivation
und spezifiziert Kontextbedingungen, die für die Ausbildung wünschenswerter
Motivlagen von Lehrenden sowie einer hohen affektiven Bindung (dem
organisationalen Commitment) maßgeblich sein sollten.
3. Methodisches Vorgehen
Bislang sind empirisch gesicherte Erkenntnisse zum Entwicklungsstand universitärer
Lehrkonzepte, zu Motivlagen und Anreizsystemen sowie zum Inplacement an deutschen
Hochschulen rar (z.B. Becker/Probst 2004; Wilkesmann/Schmid 2010). Aus diesem Grund
wurde eine Kombination von jeweils 1- bis 1,5-stündigen qualitativen Leitfadeninterviews
mit 20 Hochschulleitungen und teilstandardisierten Interviews mit jeweils 20
Neuberufenen6 an diesen Standorten angestrebt.
6 Gutachterempfehlungen folgend wurde versucht, zusätzlich eine kleinere Vergleichsgruppe von erfahreneren
Professor(inn)en als Interviewpartner(innen) zu gewinnen. Es zeichnete sich jedoch rasch ab, dass die Teilnahmebereitschaft dieser Kolleg(inn)en standortübergreifend sehr niedrig ausgeprägt war. Um nicht die Gesamtaussagekraft der Ergebnisse durch empirisch schwer kontrollierbare, differenzielle Selbstselektionsprozesse zu schmälern, wurde daher die Befragung dieser „Alt-Berufenen“ eingestellt.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 229
Die Auswahl der Einrichtungen und Personen erfolgte über ein mehrstufiges Sampling-
Verfahren: Um ein die heterogene Hochschullandschaft widerspiegelndes Bild zu erlangen,
wurden bei der Auswahl der Standorte sechs Kriterien berücksichtigt: (1) Positionierung der
Hochschulen in der Exzellenzinitiative (Hochschulen mit/ohne Exzellenz-Status), (2) Größe
(kleinere bis 10.000, mittlere bis 25.000 und große über 25.000 Studierende), (3) Einzugs-
gebiet (Hochschulen in Ballungsräumen vs. ländlichem Raum), (4) regionale Lage (alte vs.
neue Bundesländer im nördlichen und südlichen Teil Deutschlands), (5) institutioneller Status
(privatrechtlich bzw. als Körperschaften öffentlichen Rechts organisierte Fachhochschulen
und Universitäten) sowie (6) Spezialisierungsgrad (Technische Universitäten und
Volluniversitäten). Unter Berücksichtigung dieses Sets an Kriterien wurden 41 Hochschulen
ausgewählt und schriftlich um eine Teilnahme gebeten. 21 Hochschulen sagten zu, wobei
an einer Hochschule nur die Hochschulleitung interviewt werden konnte.
Für die Aussagekraft der Ergebnisse spricht, dass – ganz im Sinne unseres Anliegens – ein
heterogenes Sample von Einrichtungen gewonnen werden konnte: Unter den
teilnehmenden 14 staatlichen Universitäten befinden sich Einrichtungen unterschiedlicher
Größe, die in alten und neuen Bundesländern angesiedelt sind, sowie auch zwei
Exzellenzuniversitäten und eine international herausragende Universität im deutsch-
sprachigen Ausland. Hinzu kommen fünf Fachhochschulen und zwei private Hochschulen,
sodass insgesamt die Bandbreite der in der Hochschullandschaft anzutreffenden
Einrichtungen hinreichend abgebildet wird.
Angesichts der Vielfalt universitärer Leitungsstrukturen stellte sich die Frage der Auswahl
von Vertreter(inne)n „der“ Hochschulleitung. Im MogLI-Projekt wurde auf die
Entscheidungskompetenz der Hochschulleitungen gesetzt: Diese entschieden unter
Berücksichtigung interner Aufgabenverteilungen selbst, welche Personen sich zu den
mitgeteilten Fragekomplexen äußern und stellvertretend die strategische Sicht der
Hochschulleitung darstellen sollten. Im Ergebnis wurden sieben Interviews mit
Rektor(inn)en/Präsident(inn)en, zehn mit Prorektor(inn)en/Vizepräsident(inn)en (i.d.R. für
Lehre) und/oder fünf mit Kanzler(innen) durchgeführt. In drei Fällen wurde das Interview mit
jeweils zwei Leitungsmitgliedern durchgeführt.
Die Auswahl der zu kontaktierenden Hochschullehrer(innen) orientierte sich an dem
Anspruch, pro Standort 20 Neuberufene aus spezifischen naturwissenschaftlichen
Disziplinen (Physik und Chemie) sowie sozial- bzw. geisteswissenschaftlichen Disziplinen
(Wirtschaftswissenschaften, Psychologie, Erziehungswissenschaft) zu interviewen. Dieses
Prinzip konnte allerdings nicht vollständig durchgehalten werden, da an einigen Standorten
die Zahl der potenziell zu kontaktierenden Neuberufenen unter der Zielmarge lag.
Da die Datenerhebung zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags noch nicht
abgeschlossen war, basieren die folgenden Befunde auf den Angaben von 19
Hochschulleitungen und circa 160 neuberufenen Professor(inn)en aus 16 Hochschulen. Die
bis dato ermittelbare Rücklaufquote fällt mit über 50 % sehr zufriedenstellend aus.
Die Erhebungen wurden wie folgt konzipiert:
Der für das Gespräch mit den Hochschulleitungen entwickelte Interviewleitfaden
(siehe Becker et al. 2010) adressiert drei Themenkomplexe: hochschulspezifische
Konzeption zu „guter Lehre“, Anreize zu „guter Lehre“ und Inplacement-
Maßnahmen. Die Interviews wurden durch eine(n) Projektleiter(in) im Beisein eines
Projektmitarbeiters bzw. einer Projektmitarbeiterin durchgeführt. Die inhalts-
Seite 230 | „Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen
analytisch ausgewerteten Interviews basieren auf handschriftlichen Notizen und
auditiven Gesprächsaufzeichnungen.
Die Interviews mit den Professor(inn)en wurden jeweils von geschulten
Mitarbeiter(inne)n durchgeführt, die auch den Kontakt zum Interviewpartner/zur
Interviewpartnerin hergestellt hatten. Der weitgehend standardisierte Leitfaden sah
eine Kombination von (wenigen) offenen Fragen (z.B. zum eigenen Qualitäts-
verständnis in der Lehre), Einzelitems mit geschlossenem Antwortformat (z.B. zur
Beurteilung einzelner Inplacement-Maßnahmen) sowie einen umfänglicheren
Fragebogenteil mit den eingeführten Instrumenten (z.B. zur Erfassung der affektiven
Bindung) vor. Letzterer wurde, um etwaigen Antworttendenzen in Richtung sozialer
Erwünschtheit entgegenzuwirken, am Ende des Interviews vorgelegt, anonym (d.h.
in Abwesenheit des Interviewers/der Interviewerin) ausgefüllt und (in einem
geschlossenen Briefumschlag) abgegeben. Auf eine Aufzeichnung der Gespräche
wurde verzichtet. Stattdessen wurden die Antworten zu den offenen Fragen
stichpunktartig notiert und direkt nach dem Interview entlang vorab definierter
Kategorien kodiert.
Die folgende Ergebnisdarstellung greift drei zentrale Themenfelder des Projekts auf und
gliedert sich in zwei Abschnitte. Im ersten Schritt werden auf Basis der Interviews mit den
Hochschulleitungen gewonnene Erkenntnisse zusammengefasst (siehe Kapitel 4.1.).
Danach werden ausgewählte Analysen der von Neuberufenen erfassten Angaben vorgestellt
(siehe Kapitel 4.2.).
4. Erste Ergebnisse aus dem MogLI-Projekt
4.1. Die Sicht der Hochschulleitungen
4.1.1. Sichtweisen und Konzepte zur Lehrqualität an Hochschulen
Nicht überraschend ist, dass im Verhältnis Forschung und Lehre die meisten befragten
Universitäten der Forschung einen (z.T. viel) höheren Stellenwert zumessen als der Lehre.
Die Begründung liegt vor allem darin, dass staatlicherseits die finanziellen Anreize für eine
„gute“ Universität eindeutig auf Forschung und Drittmittel gelegt sind. Die Universitäts-
leitungen verhalten sich insofern nur rational, wenn sie in ihrer strategischen Ausrichtung
besonderen Wert auf Forschungsproduktivität legen. An den Fachhochschulen wird
deutlich gemacht, dass die Lehre die entscheidende Rolle spielt – wenngleich bei einer
Einrichtung die Forschungsorientierung (mit negativen Rückwirkungen auf die Lehrintensität)
sehr dominant ist.
Was die Verbesserung der Lehre betrifft, so sehen alle befragten Hochschulleitungen einen
anhaltenden Handlungsbedarf. Unterschiede zwischen den Einrichtungen beziehen sich
darauf, als wie dringend und umfassend dieser Handlungsbedarf gesehen wird. Hierfür
scheint die spezifische Situation der jeweiligen Hochschule (bspw. Finanzsituation,
Persönlichkeiten in der Leitung, Altersstruktur des Lehrkörpers, Studiengebühren)
entscheidender zu sein als der Hochschultyp. Insgesamt ist feststellbar, dass die Mittel aus
Studiengebühren von Hochschulleitungen als hilfreich oder unabdingbar für die
Verbesserung der Lehre erachtet werden.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 231
Idealtypischerweise würde ein konstatierter Handlungsbedarf mit Rückgriff auf ein
erarbeitetes und als Leitlinie dienendes Konzept zu „guter Lehre“ umgesetzt. Ein so
gefasstes Konzept (i.S. einer schriftlich fixierten Strategie) lag nur in drei der (bis dato 19)
untersuchten Hochschulen vor. Bei einer weiteren Hochschule war ein strategisches Konzept
erkennbar, welches allerdings nicht vorab von der Hochschulleitung formal fixiert wurde.
Insgesamt kann die Vielzahl der dort seit Jahren an- und umgesetzten, einander
ergänzenden Maßnahmen dahingehend interpretiert werden, dass eine emergente
Hochschulstrategie verfolgt wird (siehe Mintzberg 1978, S. 934ff.).
Auffällig war, dass fast alle Hochschulleitungen mit einem umgangssprachlichen
Konzeptbegriff zur Lehre operierten, der mehr eine Metapher als mit Inhalt gefüllt ist. An
sechs Hochschulen wird davon gesprochen, dass das Gesamtkonzept der Hochschulent-
wicklung selbstverständlich auch Belange der Lehre einbezieht. Dies geschieht jedoch eher
auf einer sehr abstrakten Ebene ohne konzeptionellen Anspruch. Zwar werden an allen
Standorten einzelne bis mehrere Maßnahmen zur Qualitätssicherung in Studium und Lehre
vorgenommen, ein ausformuliertes strategisches Konzept (mit konsistent und komplementär
adjustierten Einzelmaßnahmen) liegt jedoch selten vor, auch wenn einige Hochschulen nach
eigener Bekundung dabei sind, ein solches Konzept zu entwickeln.
Mit Blick auf Unterschiede in den von den Hochschulen verfolgten Zielen und Maßnahmen
wurde deutlich, dass sie divergierenden Steuerungsphilosophien entspringen:
Von der Mehrheit der Hochschulleitungen (11 von 19) wird eine institutionelle
Sichtweise („Institutionalist(inn)en“) vertreten. Kennzeichnend ist die Zuversicht,
dass mit der Bereitstellung günstiger Studien- und Lehrbedingungen (via Studien-
programmen, Räumlichkeiten, Informationssystemen, Evaluationen,
Assistent(inn)en von Studiendekan(inn)en u.Ä.) „gute Lehre“ sichergestellt werden
kann. Auffällig ist, dass diese Stellschrauben als zentral erachtet werden,
unmittelbaren Lehrleistungen hingegen eine zweitrangige Bedeutung zugesprochen
wird.
Etwa ein Viertel der Hochschulleitungen (5 von 19) vertreten eine kulturelle
Sichtweise („Kulturalist(inn)en“). Sie sind der Auffassung, dass erst die Schaffung
einer organisationsweiten Hochschulkultur, in der die Aufgaben in Lehre und
Forschung gleichberechtigt wahrgenommen werden, hinreichende Gewähr für eine
„gute Lehre“ bieten kann. Entsprechend sind die verfolgten Maßnahmen langfristig
angelegt und auf kulturprägende Elemente ausgerichtet. Die Vorgehensweisen
konzentrieren sich auf wenige, als bedeutsam erachtete Symbole (Lehrvorträge in
Berufungsverfahren, Thematisierung von Lehre in Verhandlungen, Lehrpreise,
Ressourcenvergabe für die Lehre u.Ä.).
Vereinzelt (3 von 19) klang in den Interviews durch, dass die Persönlichkeit der
Hochschullehrer(innen) entscheidend sei, nur hier mache es Sinn anzusetzen
(„Personalist(inn)en“). Besondere Bedeutung wird entsprechend der Professoren-
auswahl beigemessen; im Zuge der Berufungsverfahren – d.h. vor Ruferteilung und
Ernennung – gilt es Persönlichkeiten zu identifizieren, die motiviert lehren.
Diese verdichtete Darstellung soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die in Hochschulen
anzutreffenden Steuerungsphilosophien durchaus facettenreicher sind: (1) Die heraus-
gearbeiteten Prototypen lassen sich in Varianten differenzieren. (2) Sie werden zudem auch
Seite 232 | „Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen
nicht immer hundertprozentig umgesetzt, d.h. Anspruch und Wirklichkeit klaffen an der einen
oder anderen Stelle auseinander.
4.1.2. Ansichten zur Motivation und Motivierung von Hochschullehrer(inne)n
Fast unisono – d.h. unabhängig von der Hochschulart – gehen die Hochschulleitungen von
einer hohen Lehrmotivation ihrer Neuberufenen aus. Damit einhergehend wird unterstellt,
dass „gute Lehre“ auch unter schwierigen Bedingungen zu realisieren versucht wird.7
Hervorhebenswert sind in diesem Zusammenhang zwei Aspekte: Zum Ersten sind fast alle
Hochschulleitungen überzeugt, dass neuberufene Professor(inn)en eine intrinsische
Motivation mitbringen. Nachfragen ergaben allerdings, dass dieser Begriff eher umgangs-
sprachlich verwandt wird.8 In aller Regel wird mit dieser motivationalen Zuschreibung die
Vorstellung verknüpft, dass allenfalls immaterielle Anreize zielführend sind. Dessen
ungeachtet wurden auf die Frage, welche Anreize den Neuberufenen für „gute Lehre“
geboten werden, zum Zweiten fast ausschließlich materielle Anreize genannt. Die sich hier
andeutenden Widersprüche wurden in den meisten Gesprächen – selbst bei Nachfragen –
nicht näher erkannt.
Angesichts der oben skizzierten Sichtweisen erlangt die Frage, welche Anreize angeboten
werden, besondere Bedeutung. Zwei prototypische Formen von Anreizen wurden genannt:
Personenbezogene Anreize. An den Hochschulen, an denen eine variable
Vergütung für Professor(inn)en möglich ist, wird in Berufungsverhandlungen das
Instrument der Zielvereinbarungen mit variablen Vergütungen genutzt. Direkte
monetäre Folgen ziehen allerdings nur (nicht) erreichte Forschungsziele nach sich.
Lediglich in einem Fall wurde über eine lehrqualitätsbezogene Vereinbarung
berichtet. Die Standardantwort auf die Frage, warum Zielvereinbarungen nicht
stärker als Instrument zur Steigerung der Lehrqualität eingesetzt werden, lautet:
„Wir denken darüber nach. Es ist allerdings sehr schwierig, eine messbare
Zielgröße zu finden.“
Arbeitsbereichsbezogene Anreize. Das von Hochschulleitungen konstatierte
Problem der adäquaten Messung von Lehrleistungen mag erklären, warum auch die
Vergabe leistungsorientierter Mittel (LOM) eher selten an lehrbezogene Kriterien
und wenn doch, dann weniger an Qualitätskennwerten als an leichter
quantifizierbare Größen (Output, Aufwand, Lehrauslastung etc.) geknüpft wird. Mit
Blick auf die Verfahrensweisen zur LOM-Vergabe fällt auf, dass diese selbst
innerhalb einer Einrichtung stark divergieren. So könnte die Wirksamkeit monetärer
Anreize allein dadurch reduziert werden, dass die auf verschiedenen
Hierarchieebenen (d.h. Ministerium, Hochschulleitung und Subsystemebenen)
herangezogenen Schlüssel oft nicht aufeinander abgestimmt sind. Hinzu kommt,
dass die auf der untersten Ebene (Fakultäten/Institute/Abteilungen) angelegten
Kriterien (die den Hochschulleitungen nicht immer bekannt sind) voneinander
7 Offen bleibt, inwiefern dieses hohe Lehrengagement als Ergebnis der Personalauswahl gewertet wird.
8 In Fachdiskursen herrscht Konsens, dass für intrinsisch motivierte Handlungen der autotelische Charakter
konstitutiv ist. Ihre Ausführung ist nicht instrumentell (d.h. an der Erreichung von – von der Handlung separierbaren – Folgen) orientiert, sondern bezieht ihre energetisierende Kraft aus dem unmittelbaren Erleben im Handlungsvollzug.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 233
abweichen, die den einzelnen Hochschullehrer(inne)n zugestandenen Mittel also
stark von ihrer organisationalen Verortung abhängen.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Hochschulleitungen mehrheitlich der Qualität der Lehr-
motivation eine hohe Bedeutung für die Sicherstellung „guter Lehre“ zumessen. Die Auswahl
von Maßnahmen zur Förderung des Lehrengagements von Hochschullehrer(inne)n scheint
allerdings primär auf intuitive Überzeugungen und praktische Erfahrungswerte der Hoch-
schulleitung und ihrer jeweiligen Mitglieder zu gründen. Der in den Interviews erkennbar
hohe Stellenwert von monetären Anreizen war angesichts der Hinwendung zu output-
orientierten Steuerungsphilosophien zu erwarten. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist
jedoch die Vorstellung, dass durch Lehrevaluationen und damit verknüpfte (monetäre)
Sanktionen eine hohe Lehrqualität sicherzustellen ist, in vielfältiger Weise zu hinterfragen.
4.1.3. Inplacement-Konzepte im Hochschulbereich
Gängigen Definitionen zufolge umfasst der Begriff des Inplacement sowohl den
Qualifizierungsprozess für die neue Position („tätigkeitsbezogene Einarbeitung“) als auch
den Sozialisierungsprozess in der Organisation und Arbeitsgruppe („kulturelle und soziale
Eingliederung“) (siehe Berthel/Becker 2010, S. 347ff.). Ob das Inplacement ge- oder
misslingt, hängt von personenseitigen Bedingungen (wie die innere Bindung), aber auch von
organisationalen Bedingungen (z.B. Grad der Passung zwischen persönlichen und
organisationalen Zielen) ab. Hier eröffnet sich für Hochschulleitungen ein wichtiger
Gestaltungsspielraum. Gelingt es, die organisationale Verbundenheit der Hochschul-
lehrer(inne)n zu stärken, sind positive Folgen (z.B. höheres Commitment, größere
Arbeitszufriedenheit und höheres Arbeitsengagement) erwartbar (siehe Meyer/Allen 1997),
die für die Leistungsfähigkeit der Hochschule maßgeblich sind.
Vor diesem Hintergrund ist der Stand des Inplacement, wie er sich in den Interviews mit
Hochschulleitungen darstellt, ernüchternd. Bis auf eine Ausnahme liegt kein Inplacement-
Konzept vor, obwohl die Bedeutung eines solchen Konzepts unisono betont und auf
planerische Aktivitäten verwiesen wird. Letzteres erstaunt, da sich die Lage in der von
Becker und Probst (2004) zehn Jahre vorher geführten Befragung mit Kanzler(inne)n bereits
ähnlich darstellte. Dieser Umstand lässt verschiedene Interpretationen zu: (1) Es ist zu
vermuten, dass Pläne zur Optimierung des Inplacements vielerorts zugunsten der
Umsetzung anderer Vorhaben (z.B. Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen,
Exzellenzinitiative) zurückgestellt wurden. (2) Es könnte der Mehrwert des Inplacements für
die Hochschule als begrenzt erachtet werden. (3) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass
sich das Spektrum an Maßnahmen in vielen Hochschulen erweitert hat und vereinzelte
Maßnahmen auch mehr oder weniger systematisch durchgeführt werden. Möglicherweise
folgt der Aufbau eines Inplacements der inkrementalen Planungsphilosophie.
4.2. Die Sicht der Neuberufenen
4.2.1. Zum Lehrengagement Neuberufener
Um das Lehrengagement Neuberufener in quantitativer und qualitativer Hinsicht abbilden
zu können, wurde zum einen der relative Zeitanteil erhoben, den die Befragten faktisch in die
Lehre und in andere Funktionsbereiche (Forschung, akademische Selbstverwaltung)
investieren bzw. investieren möchten. Zum anderen wurde die Qualität der Lehrmotivation
erfasst, indem den Gesprächspartner(inne)n Aussagen zu den ihrem Lehrhandeln unter-
Seite 234 | „Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen
liegenden Gründen vorgelegt wurde. Auf diese Weise konnten drei in der Selbst-
bestimmungstheorie zentrale Formen der Handlungsregulation (extrinsische, identifizierte
und intrinsische Motivation) unterschieden werden.
Den Ergebnissen zufolge stimmen die Selbsteinschätzungen der Befragten mit den oben
ausgeführten (Fremd-)Urteilen der Hochschulleitungen überein. Neuberufene investieren
nach eigener Aussage einen substanziellen Zeitanteil in lehrbezogene Belange und dieses
Verhaltensmuster korrespondiert theoriekonform mit der in dieser Gruppe dominierenden
Qualität der (selbstbestimmten) Lehrmotivation: Mehrheitlich widmen sich die Befragten der
Lehre, weil sie dies als freudvoll (intrinsische Motivation) oder sinnhaft (identifizierte
Motivation) erleben.9 Dass dieser Befund mit Resultaten aus anderen Studien an
Hochschullehrenden (z.B. Wilkesmann/Schmid 2010) übereinstimmt, in denen abweichende
Rekrutierungs- und Erhebungsstrategien verfolgt wurden, spricht für die Robustheit der
Ergebnisse. So gewinnt die Frage an Bedeutung, unter welchen organisatorischen
Bedingungen das offenbar vorhandene Potenzial ausgeschöpft oder gar konterkariert wird.
Erste Hinweise hierzu liefern Analysen zur prognostischen Bedeutung formal-juristischer
Rahmenbedingungen. Während Gehalts- und Ausstattungsunterschiede (z.B.
Eingruppierung in der W-Besoldung, Zahl der zugeordneten Mitarbeiter(innen)) keinen
bedeutsamen Beitrag zur Aufklärung von Unterschieden in Art und Ausmaß des individuellen
Lehrengagements leisten, zeigt sich eine deutliche Trennungslinie zwischen Neuberufenen
an Fachhochschulen und Universitäten. Zwar gilt für beide Teilgruppen, dass der Anteil der
„selbstbestimmt motivierten“ Personen überwiegt und der in die Lehre investierte (relative)
Zeitanteil umso höher ausfällt, je ausgeprägter die selbstbestimmte Motivation ist. Das
durchschnittliche, von FH-Mitgliedern berichtete Zeitinvestment in die Lehre überstieg das
ihrer an Universitäten beschäftigten Kolleg(inn)en gleichwohl deutlich (72 vs. 41 %). Da sich
diese Differenzen auch bei Kontrolle des Lehrdeputats zeigen und gleichgerichtete
Unterschiede zwischen Fachhochschul- und Universitätsangehörigen in den persönlich
gewünschten Zeitanteilen für die Lehre (54 vs. 34 %) beobachtbar sind, dürften in den
Befunden nicht zuletzt divergierende berufliche Selbstverständnisse zum Ausdruck kommen.
Wie aber kommen diese zustande? Die Klärung dieser Frage ist hochschulpolitisch äußert
bedeutsam, da sich je nach Antwort andere Handlungsempfehlungen ergeben.
4.2.2. Personalauswahl und Personaleinführung aus Sicht Neuberufener
Theoretisch bilden sich Rollenkonzepte im Verlauf der beruflichen Sozialisation heraus. So
dürften Neuberufenen bei Stellenantritt ein Rollenverständnis mitbringen, welches stark
durch vorangehende Erfahrungen und Anforderungen geprägt ist, die im Verlauf der
wissenschaftlichen Laufbahn von Seiten der „Scientific Community“, der jeweiligen
Hochschule und der „Peergroup vor Ort“ an sie herangetragen wurden. Die skizzierten
Unterschiede in den lehrbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen zwischen FH- und
Uni-Professor(inn)en könnten vor diesem Hintergrund als Folge von (Selbst-) Selektions-
prozessen interpretiert werden.
9 In Einklang mit anderen Studien liegen die Korrelationen zwischen den beiden selbstbestimmten Formen der
Lehrmotivation und der extrinsischen Motivation nahe Null. Dieser Befund unterstreicht, dass (auch) in der Hochschulforschung verbreitete uni-dimensionale Konzeptionen zugunsten einer differenzierteren Sichtweise aufzugeben sind.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 235
Gegen diese Sicht ist einzuwenden, dass neue Erfahrungskontexte ein eigenes
Sozialisationspotenzial bergen und gerade in Phasen des beruflichen Übergangs eine
erhöhte Sensitivität gegenüber veränderten Anforderungen und Erwartungen besteht (siehe
Maier/Brunstein 2001; Schäper 1997). So könnten die oben genannten Unterschiede im
Rollenverständnis auch darauf hindeuten, dass das traditionelle Spannungsverhältnis
zwischen Forschung und Lehre zwar alle Hochschuleinrichtungen – als Multifunktions-
einrichtungen – betrifft, jedoch (noch) nicht in gleicher Weise.
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass der Grad der selbstbestimmten
Lehrmotivation von Neuberufenen systematisch mit der Ausgestaltung der Rekrutierung
variiert: Je stärker die Lehrkompetenz als Kriterium im Rahmen des Bewerbungsverfahrens
bzw. der Berufungsgespräche gewertet wurde und je „ernsthafter“ diese auch geprüft wurde
(z.B. über Lehrkonzepte, Lehrvorträg), desto eher geben die Interviewpartner(innen) an, aus
eigener Überzeugung und Freude zu unterrichten und desto mehr Zeit möchten sie auch in
die Lehre investieren. Beide Aspekte werden von Universitätsprofessor(inn)en im Vergleich
zu ihren Kolleg(inn)en an Fachhochschulen als weniger gegeben beurteilt.
Die Auswertung der Einschätzungen zum Inplacement deutet darauf hin, dass eine
systematische Unterstützung der Neuberufenen fast ausnahmslos auf zentraler Ebene
angesiedelt ist, während Maßnahmen auf Fakultätsebene eher zufälliger, punktueller und
informeller (z.B. persönliche Initiativen der Kolleg(inn)en) Natur sind. Dennoch beurteilen die
Neuberufenen die Maßnahmen, die von Seiten der Fakultät unterbreitet wurden, als
hilfreicher. Denkbar ist, dass zentral organisierte Maßnahmen weniger „maßgeschneidert“,
d.h. auf die fachlichen Belange zugeschnitten sind. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass
im unmittelbaren Arbeitsumfeld angesiedelte Unterstützungsmaßnahmen besser nachgefragt
und angenommen werden, weil sie auf einer persönlicheren Ebene stattfinden.
Zu erwähnen ist schließlich, dass FH-Neuberufene das Inplacement ihrer Hochschule wie
auch das ihrer Fakultät durchschnittlich positiver bewerten als ihre Kolleg(inn)en an den
Universitäten. Ob diese Unterschiede auf differierende Leistungsprofile der beiden
Organisationstypen, auf organisationale Merkmale oder divergierende Anspruchshaltungen
bzw. Bedarfslagen der Neuberufenen zurückgehen, kann aufgrund der Datenlage nicht
abschließend entschieden werden.
5. Motivierung Neuberufener durch Anreize
Monetäre Anreize (Funktionszulagen, besondere Zulagen) werden, legt man die Aussagen
der Neuberufenen zugrunde, in sehr unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlicher
Form eingesetzt. Da sich diese Diversität nicht zuletzt in abweichenden Aussagen von
Neuberufenen an einem Standort wiederspiegelt, könnten sich hier über die oben
thematisierten Unterschiede in den Steuerungsphilosophien der Hochschulleitungen auch
fächerspezifische Handhabungen andeuten.
Mit Blick auf die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen der Motivförderung ist zu betonen,
dass Anreize, die von der Hochschulleitung zum Zwecke strategischer Zielverfolgung
aufgelegt werden, vielen Hochschulmitgliedern nicht oder allenfalls vage bekannt sind und
eher skeptisch beurteilt werden. Beispielhaft sind Lehrpreise zu nennen: Der diesbezügliche
Grad der Informiertheit (z.B. Kriterien, Preisgeld) ist durchgängig gering, was allein eine
mangelnde Durchschlagskraft erklären würde. Hinzu kommt jedoch, dass die Mehrheit der
Neuberufenen Lehrpreise nicht als motivierend einschätzt. Zur Begründung wird teils auf die
Seite 236 | „Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen
Willkürlichkeit der Qualitätsbeurteilung oder auch eine an Proporzgesichtspunkten orientierte
Vergabepraxis verwiesen. Teilweise wird auch angemerkt, dass Lehrende eine selbst-
bestimmte Lehrmotivation mitbringen würden, Lehrpreise also allenfalls eine Wertschätzung
einer bereits vorhandenen Motivation zum Ausdruck bringen können. Auf die Frage, welche
Bedingungen aus Sicht der Gesprächspartner(innen) eine motivierende Wirkung entfalten
würden, wurden vor allem auf demotivierende Faktoren verwiesen. Im Vordergrund standen
dabei proximale Merkmale der (Beziehung zu) Studierenden sowie organisationale
Bedingungen (z.B. überfüllte Hörsäle, zunehmende administrative Vorgaben).
6. (Zwischen-) Fazit
Da noch nicht alle Interviews geführt sind, stehen Detailauswertungen und ein
systematischer Abgleich der auf beiden Ebenen gewonnenen Erkenntnis noch aus. Wir
beschränken uns daher auf ein vorsichtiges, thesenartig formuliertes Zwischenfazit.
Die Interviews mit den Hochschulleitungen lassen folgende Schlüsse zu:
Konzepte zu „guter Lehre“ im Sinne vorab planerisch aufeinander abgestimmter,
sich ergänzender und umfassender Maßnahmen sind an Hochschulen selten
anzutreffen, auch wenn es vereinzelte „Highlights“ gibt. Speziell an Universitäten
wird Forschung offenbar nach wie vor als wichtiger erachtet als die Lehre. Dies wird
mit der finanziellen Anreizsituation begründet: Solange Forschungserfolge stärker
honoriert werden und für die Existenzsicherung der Hochschule unabdingbar sind,
ist es rational die strategische Ausrichtung hierauf zu fokussieren. Einig sind sich
Hochschulleitungen jedoch in der Einschätzung, dass ohne Studiengebühren
deutlich weniger für die Qualität der Lehre unternommen worden wäre. Welche
Ansatzpunkte hierzu gewählt werden, scheint von den jeweiligen Steuerungs-
philosophien abzuhängen: teils wird eine eher kurzfristige Steuerung über
verschiedene Studienbedingungen angestrebt, teils eine eher langfristige
Beeinflussung über kulturelle Symbole bzw. Personen.
Die Hochschulleitungen „erkennen“ die Bedeutung der Human Ressource
(Kompetenz und Engagement der Lehrenden) und beurteilen in gewisser Weise
auch die Motivlage der Neuberufenen zutreffend, gleichwohl weisen die Befunde auf
verschiedene Probleme hin: (1) Verständnis von intrinsischer Motivation, (2)
Nutzung (im-) materieller Anreize, (3) Probleme variabler Vergütungen und generell
(4) hinreichende Kenntnis der Zusammenhänge (wenig ausgeprägte „organizational
capability“).
Potenziale eines effektiven Inplacement werden nur rudimentär genutzt,
ausgearbeitete Konzepte sind Mangelware. Weder in den Berufungsverfahren und
-verhandlungen, noch in der Zeit nach Dienstantritt wird versucht, die (späteren)
Neuberufenen für die eigene „Lehr-Lern-Philosophie“ zu gewinnen und sie
systematisch auf (sich verändernde und ausweitende) Aufgaben in der Lehre
vorzubereiten. An Fachhochschulen ist hier eine deutlichere Fokussierung
erkennbar.
Erste Schlussfolgerungen, die sich aus unseren Auswertungen der bis dato vorliegenden
Interviews mit Neuberufenen ziehen lassen, lassen sich zu zwei Hauptthesen verdichten:
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 237
Hohes Lehrengagement – trotz unwirksamer Anreize. Obwohl ein beruflicher
Wechsel im Regelfall mit Reibungsverlusten einhergeht und gerade für Erstberufene
die Zeit nach Stellenantritt durch das Hineinwachsen in neue Aufgaben geprägt ist,
identifiziert sich die Mehrheit der Interviewten stark mit ihrer Rolle als Hochschul-
lehrer(in) und investiert dementsprechend (selbst) in der Einarbeitungsphase viel
Zeit in die Lehre. Inwiefern die Interviewten damit „immun“ gegenüber externen
Maßnahmen zur Verhaltenssteuerung (hier: zur Motivierung) und Arbeits-
bedingungen sind, lässt sich letztlich nur in Längsschnittstudien klären. Immerhin
stützen einige unserer Beobachtungen theoretisch begründbare Zweifel an dieser
Auffassung: (1) Die Unterschiede im durchschnittlichen Lehrengagement von
Neuberufenen an Universitäten und Fachhochschulen korrespondieren nicht nur mit
der vor allem von Universitätsleitungen thematisieren Imbalance zwischen dem
Wert von Lehre und Forschung, sondern auch mit systematischen Unterschieden in
der Ausgestaltung von Berufungsverfahren. (2) Den Aussagen der Neuberufenen ist
zu entnehmen, dass sie eine externe „Herstellung“ von identifizierter Motivation (z.B.
durch Lehrpreise) für unnötig erachten, jedoch von ihrer Organisation erwarten,
dass demotivierenden Rahmenbedingungen konsequent entgegen gewirkt wird. (3)
Dass an einem Standort implementierte Anreizsysteme kaum bekannt sind, eine
Abstimmung von zentralen und dezentralen Maßnahmen oft nicht gegeben ist und
in den Fakultäten vielfältige Varianten einer leistungsabhängigen Mittelvergabe
anzutreffen sind, mag als Ausdruck der in der soziologischen Hochschulforschung
verbreiteten Konzeptualisierung von Hochschulen als einem Zusammenschluss lose
gekoppelter und daher kaum steuerbarer Teilsysteme gewertet werden. Möglicher-
weise verweisen diese Phänomene aber in allererster Linie auf einen (auch) in der
Dezentrale vorhandenen Bedarf an Maßnahmen zur Stärkung der „organizational
capability“. Fest steht, dass Neuberufene gängige Anreizsysteme zur Steigerung
des Lehrengagements mehrheitlich hinterfragen, hingegen einen deutlichen
Handlungsbedarf bei der Schaffung lehrfreundlicher Bedingungen sehen.
Erfahrungen zum Inplacement – zwischen Charisma und Chaos. Der auf Basis
der Interviews mit Hochschulleitungen herausgearbeitete Mangel an Inplacement-
Konzepten i.e.S. spiegelt sich in den Erfahrungen der Neuberufenen wider und lässt
sich zuspitzen. Über alle Einrichtungen hinweg betrachtet existiert ein durchaus
beeindruckendes Spektrum an (Einzel-) Maßnahmen; den einzelnen Gesprächs-
partner(inne)n wurden jedoch nur wenige (und meist punktuelle) Angebote offeriert.
Dies gilt auch für die dezentrale Gestaltung der Einführungsphase, wobei hier
quantitative und qualitative Unterschiede besonders deutlich werden: Im Idealfall
treffen Neuberufene auf charismatische Führungsfiguren in den Fakultäten, die sich
mit großem Gespür für Stilfragen dem neuen Kollegen/der neuen Kollegin
annehmen, Kontakte herstellen, Begrüßungsfeiern organisieren u.a. Ob
Neuberufene eine solche „unverhoffte Unterstützung“ erfahren oder in den ersten
Arbeitstagen mit chaotischen Zuständen und anderen, ernüchternden Eindrücken
konfrontiert werden, hängt von zufälligen (personellen) Konstellationen und
historisch gewachsenen Gepflogenheiten ab. Auch hier zeigt sich somit ein
Handlungsbedarf, der sich umso gewichtiger darstellt, als die von Fakultäten
gewährten (meist informellen) Unterstützungsangebote von unseren Gesprächs-
partner(inne)n im Rückblick als besonders hilfreich erachtet werden. Dieses Urteil
impliziert indes nicht, dass die Ausgestaltung der Einführungsphase allein von
Seite 238 | „Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen
dezentralen Einheiten zu verantworten ist. Gerade die Variabilität der Erfahrungen
von Neuberufenen selbst an einem Standort zeigt, dass der Nutzen eines effektiven
Inplacements für die Gesamtorganisation nur dann auszuschöpfen ist, wenn von
zentraler Seite darauf hingewirkt wird, dass die Sensibilität für dieses Thema
hochschulweit steigt, Fakultäten eine dem Habitus der Disziplinen entsprechende
„Inplacement-Kultur“ entwickeln und Nachhaltigkeit durch eine stringente
Kommunikation von Mindeststandards sichergestellt wird.
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Seite 240 | Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder
Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder auf die Qualität der Hochschullehre
Dieter Dohmen, Justus Henke
Abstract
Der vorliegende Beitrag untersucht, welche Effekte die Einführung von Anreiz- und
Steuerungsinstrumenten zwischen Land bzw. Ministerium und Hochschulen auf relevante
Indikatoren und das Verhalten von Hochschulen hat. Kennzeichnend für den Wandel des
Steuerungsmodells ist die schrittweise Einführung und Weiterentwicklung von Verfahren, die
verstärkt auf Output- statt auf Inputsteuerung, bei gleichzeitiger Stärkung der Eigenverant-
wortung der Hochschulen setzen. Schwerpunkt der Untersuchung sind monetäre
Instrumente, insbesondere die leistungsorientierte Mittelvergabe (LOM).
Ein Überblick zum Entwicklungsstand von Anreiz- und Steuerungsinstrumenten zeigt, dass
mittlerweile in fast allen Bundesländern neue Verfahren eingeführt worden sind, sich jedoch
unterschiedliche Schwerpunktsetzungen ausmachen lassen. Unsere multivariaten
statistischen Analysen zeigen, dass monetäre Verfahren durchaus nachweisbaren Einfluss
auf quantitative Indikatoren des Hochschuloutputs, wie z.B. Absolvent(inn)en oder Drittmittel,
haben. Für die LOM ist zu konstatieren, dass sie häufig nicht allein aufgrund ihrer Budget-
relevanz für die Hochschulen wirksam ist, sondern dass es auch auf die Gestaltung der
LOM-Modelle ankommt. Hierbei ist zu beachten, dass häufig Zielkonflikte zwischen Lehre
und Forschung auftreten. Bei näherer Analyse der verschiedenen LOM-Modelle anhand von
Simulationsrechnungen zeigt sich ferner, dass diese Modelle gleiche Leistungen der
Hochschulen finanziell unterschiedlich bewerten und dadurch sehr unterschiedliche
Mittelverteilungen unter den Hochschulen bewirken. Die resultierenden „abweichenden“
Anreiz- und Steuerungswirkungen sind bei der Entwicklung solcher Modelle stets zu
beachten.
1. Einleitung
Das deutsche Hochschulsystem hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen tief
greifenden Wandel ihres Steuerungsmodells vollzogen. Bei rückblickender Betrachtung ist
ein wesentlicher Ursprung der Veränderungen der Hochschulsteuerung in den 1980er
Jahren zu finden, als im Rahmen des sogenannten New Public Management (NPM) die
Reform öffentlicher Verwaltungen und Einrichtungen in Großbritannien, und später auch in
Deutschland, mit dem Ziel der Kostensenkung durch Effizienzsteigerung vorangetrieben
wurde. Erste Reformen in Deutschland mit ähnlicher Zielsetzung begannen in den 1990er
Jahren und Veränderungen sind seit Anfang der 2000er Jahre im deutschen Hochschul-
system zu beobachten. Im Kontext des NPM1 sind in den Bundesländern in großem Umfang
neue Anreiz- und Steuerungsmechanismen diskutiert und eingeführt worden. Genannt sei
hier u.a. die leistungsorientierte Mittelzuweisung (LOM) als Form einer anreizgesteuerten
Finanzierung. Auch die Flexibilisierung der Hochschulbudgets wurde vor diesem Hintergrund
vorangetrieben. Neben der Steuerung von Finanzströmen zwischen Land und Hochschulen
1 Gelegentlich wird auch vom „Neuen Steuerungsmodell“ gesprochen.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 241
werden in zunehmendem Maße auch Finanzströme innerhalb der Hochschulen durch
vergleichbare Instrumentarien gesteuert. Ziel solcher Reformen ist es, eine an
Erfolgskriterien orientierte und gleichzeitig effiziente Mittelverteilung zu gewährleisten. Erfolg
wird hierbei an Indikatoren gemessen, die einerseits auf Leistungen in der Forschung und
andererseits auf Leistungen in der Lehre ausgerichtet sind. Daneben kommen auch Anreiz-
und Steuerungsmechanismen zur Anwendung, die nicht oder nur indirekt auf monetäre
Effekte setzen, sondern die vielmehr versuchen, die Motivation und damit auch die Effizienz
und Qualität der Prozesse über mehr Autonomie für die Hochschulen oder ihre
organisationalen Untereinheiten zu erhöhen (vgl. z.B. Ziegele 2002). Gemeint sind u.a.
Zielvereinbarungen zwischen Hochschule und Land auf der einen Seite (vgl. z.B. König
2007) sowie zwischen Hochschulleitung und Fakultäten, Fachbereichen, Instituten oder
einzelnen Lehrstühlen auf der anderen Seite (vgl. z.B. Nickel 2009). Darüber hinaus wird
über aktivierende Anreizsetzung oder Ermöglichung von Chancen des Reputationsgewinns
versucht, Einfluss auf die hochschulischen Angebote und Lehrkonzepte zu nehmen. Zu
nennen sind hier z.B. Preise für gute Lehre, neue Lehrkonzepte oder die Weiterbildung von
Wissenschaftler(inne)n, insbesondere kurz nach deren Berufung.
Fundierte Belege über das Zusammenwirken von Anreizinstrumenten und Hochschul-
prozessen liegen bisher nicht vor (Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands
2009, S. 34). Der vorliegende Text präsentiert Zwischenergebnisse des vom Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „QualitAS-Lehre“ (Laufzeit
umfasst 2008 bis Ende 2011). Das Projekt untersucht sowohl Anreiz- und Steuerungs-
instrumente der Bundesländer als auch Anreize, die hochschulintern zur Anwendung
kommen. Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf die Analyse der Anreiz- und Steuerungs-
verfahren, die zwischen Land und Hochschulen etabliert, sind gelegt. Im Vordergrund stehen
dabei statistische Untersuchungen der monetären Instrumente.
2. Bestandsaufnahme der wesentlichen Anreiz- und Steuerungsinstrumente in den Ländern
Bevor die Wirkungszusammenhänge zwischen der Einführung und Ausgestaltung von
Steuerungs- und Anreizinstrumenten analysiert werden, soll ein kurzer Überblick zu den in
den einzelnen Ländern genutzten Verfahren und deren Ausgestaltung gegeben werden.
Wie man Abbildung 1 entnehmen kann, zeigen sich Unterschiede im Reformprozess der
Länder, gemessen an der Anzahl der zur Anwendung kommenden Steuerungsinstrumente.
Betrachtet man zunächst die Gesamtzahl der angewandten Steuerungsinstrumente, zählen
Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen zu den Ländern mit
den meisten neuen Verfahren. Bremen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt nutzen
hingegen „nur“ 9 von 17 Instrumenten. Differenziert nach monetären und nichtmonetären
Steuerungsinstrumenten wird deutlich, dass Bayern, Hamburg und Niedersachsen
besonderen Wert auf monetäre Steuerungsinstrumente legen, was sich auch durch die
Erhebung von Studienbeiträgen ergibt. In Bremen und dem Saarland werden hingegen nur
zwei von vier monetären Verfahren angewandt. Darüber hinaus weist Nordrhein-Westfalen
die höchste Zahl an Instrumenten auf, deren Regelungen ohne Einschränkungen gelten.
Seite 242 | Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder
Abbildung 1: Reformintensität der Bundesländer im Vergleich
Quelle: eigene Darstellung
Im Folgenden werden die einzelnen Verfahren und ihre Anwendung in den Bundesländern
kurz erläutert (siehe Tabelle 1).
0
2
4
6
8
10
12
14
16
BW BY BE BB HB HH HE MV NI NW RP SL SN ST SH TH
An
zah
l d
er
an
gew
en
dete
n S
teu
eru
ng
sin
str
um
en
te
monetäre Instrumente (gelten ohne Einschränkungen)
monetäre Instrumente (erste Reformansätze/ Regelungen gelten nur eingeschränkt)
nichtmonetäre Instrumente (gelten ohne Einschränkungen)
nichtmonetäre Instrumente (erste Reformansätze/ Regelungen gelten nur einschränkt)
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 243
Tabelle 1: Übersicht der zwischen Land und Hochschulen angewandten Anreiz- und
Steuerungsinstrumente (Stand Anfang 2011)
Erläuterungen: X = Anwendung des Verfahrens; (X) = erste Reformansätze bzw. Instrumente kommen nur eingeschränkt zur Anwendung; E = Erprobungsklausel; Ü = Berufungsrecht auf die Hochschule übertragbar; (A) = Verfahren wurde abgeschafft bzw. ausgesetzt
Quelle: eigene Darstellung
Mittlerweile werden in allen 16 Bundesländern Instrumente der Struktur- und
Entwicklungsplanung genutzt, jedoch in unterschiedlicher Ausgestaltung bzw. auf
unterschiedlichen Ebenen. In einigen Bundesländern liegt die Hauptverantwortung für die
Hochschulentwicklungspläne bei den Wissenschaftsministerien, andernorts stellen die
Hochschulen eigene Pläne auf und in vier Bundesländern werden diese gemeinsam von
Wissenschaftsministerien und Hochschulen erstellt. Teilweise stellen die Fachbereiche
eigene Entwicklungspläne auf.
Ferner kommen Kontraktelemente im Hochschulbereich in unterschiedlicher Form zum
Einsatz. Während Zielvereinbarungen hochschulindividuell abgeschlossen werden, gelten
Rahmenverträge für alle Hochschulen eines Landes und regeln die Entwicklung des
landesweiten Hochschulsystems. In allen Ländern haben sich solche Kontraktelemente
etabliert.
Traditionell unterstehen die Hochschulen der Rechts- und Fachaufsicht des Landes-
ministeriums bzw. der Senatsverwaltung. Eine vollständige Aufgabe der Fachaufsicht ist in
Nordrhein-Westfalen mit dem „Hochschulfreiheitsgesetz“ (HG NRW 2007) zu beobachten.
Hier wird lediglich noch die Rechtsaufsicht durch das Land wahrgenommen. Daneben wären
Seite 244 | Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder
noch die Länder Brandenburg und Berlin zu nennen, die sich vergleichsweise weitreichend
aus der Fachaufsicht zurückgezogen haben.
Eine besondere Form der Übertragung von Autonomierechten bilden die Stiftungshoch-
schulen in Brandenburg, Hessen und Niedersachsen, für die es grundsätzlich keine
staatlichen Weisungsbefugnisse mehr gibt. Laut Hochschulgesetz besteht in Niedersachsen
seit 2002 die Möglichkeit, Hochschulen in rechtsfähige Stiftungen des öffentlichen Rechts
umzuwandeln. In Brandenburg gibt es diese Rechtsklausel seit 2006.2 In Hessen ist die
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt bereits 1912 als Stiftungsuniversität
gegründet worden und 2007 erneut als Stiftungsuniversität umgewandelt. In Nordrhein-
Westfalen ist das Recht auf Stiftungsgründung seit 2006 hochschulrechtlich verankert, bisher
ist davon aber noch nicht Gebrauch gemacht worden.
Als weitere Änderung an der grundsätzlichen Struktur des Hochschulsystems sind die
Hochschulräte zu nennen. Sie sind überwiegend mit externen, teilweise auch mit
hochschulinternen, Mitgliedern besetzt und haben je nach Land unterschiedlich umfang-
reiche Befugnisse (vgl. z.B. Pasternack 2009; Meyer-Guckel/Winde/Ziegele 2010). Die
Aufgaben können von der reinen Beratungsfunktion bis hin zu weitreichenden
Mitbestimmungs- und Kontrollrechten in der Hochschule reichen. Bis auf Bremen haben sich
in allen Ländern Hochschulräte etabliert.3
Um die Erprobung struktureller und organisatorischer Neuerungen in den Hochschulen zu
ermöglichen, enthalten elf Hochschulgesetze Experimentier- bzw. Erprobungsklauseln.
Weitere vier Länder ermöglichen organisatorische Neuerungen, ohne dass dafür eine
gesetzliche Klausel geschaffen wurde. Lediglich in Hamburg sind keine Abweichungen der
Organisationsstruktur vorgesehen.
Personalentscheidungen sind eine wichtige Möglichkeit, Entwicklungsrichtungen zu
beeinflussen. In den vier Ländern Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen liegt
das Berufungsrecht mittlerweile ganz bei den Hochschulen. In anderen Ländern wird kaum
noch auf die Personalentscheidungen Einfluss genommen, stattdessen behalten sich die
Ministerien nur noch die formale Genehmigung von Berufungsvorschlägen vor. Die
Möglichkeit der Berufung von Professor(inn)en auf Probe ist in fast allen Ländern
vorgesehen.
Die Erweiterung hochschulischer Eigenverantwortung geht mit der Einführung von
Qualitätssicherungsinstrumenten an den Hochschulen einher. Darunter sind für die
Ministerien die externe Evaluationen und das Berichtswesen von besonderer Bedeutung.
Ferner sind für die Überprüfung der Zielsetzungen der Hochschulen die internen
Evaluationen, Lehrberichte, Lehrevaluationen und die externe Akkreditierung der Studien-
gänge bzw. die Systemakkreditierung der ganzen Hochschule von Bedeutung. In sechs
Ländern ist der Aufbau eines Qualitätssicherungssystems an den Hochschulen vorgesehen,
2 In Niedersachsen machten die Universitäten Göttingen, Lüneburg und Hildesheim sowie die Fachhochschule
Osnabrück von Umwandlungsrecht Gebrauch. In Brandenburg wurde die Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am 1. März 2008 in eine Stiftungshochschule umgewandelt.
3 Im Saarland verfügt nur die Universität über einen Hochschulrat. Im Gesetz über die Hochschule für Technik
und Wirtschaft des Saarlandes findet sich keine solche Regelung. In Baden-Württemberg hat die neue grün-rote Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vom 1. April 2011 festgelegt, dass die bisher an den Hochschulen eingerichteten „Aufsichtsräte“ durch „Hochschulbeiräte“ mit rein beratender Funktion ersetzt werden sollen.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 245
während in allen Bundesländern interne Qualitätssicherungsinstrumente zur Anwendung
kommen. Die Akkreditierung von Studiengängen ist in allen 16 Ländern erforderlich.
Durch Globalhaushalte wird den Hochschulen mehr Eigenverantwortung beim Umgang mit
ihren finanziellen Ressourcen eingeräumt. Häufig erhalten die Hochschulen ihre Mittel nur
noch über zwei Haushaltstitel: konsumtive Mittel und Mittel für Investitionen. Globalhaushalte
ohne Einschränkungen haben sich in zwölf Bundesländern etabliert, andere Länder haben
etwas restriktivere Formen des Globalhaushalts. In Thüringen gibt es zwar keine Global-
haushalte im engeren Sinne, jedoch wurden die Ausgabentitel auch hier deutlich verringert
sowie Spielräume zur Deckung und Übertragung von Mitteln eingeräumt.
Das Ziel der Erhebung von Studienbeiträgen ist es, die Studienbedingungen an den
Hochschulen nachhaltig zu verbessern, wobei in der Differenzierung der Vorgaben
Unterschiede zwischen den Ländern bestehen (Müller/Ziegele/Langer 2006, S. 22f.). In den
westdeutschen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen,
Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Saarland sind Studienbeiträge ab dem Erststudium
eingeführt worden, wobei Hessen und Saarland diese bereits wieder abgeschafft und weitere
Länder dies angekündigt oder bereits beschlossen haben.4
Die Anwendung von Leistungskriterien bei der Zuweisung finanzieller Mittel verfolgt das Ziel,
die wachsenden finanziellen Spielräume der Hochschulen durch monetäre Anreizsetzung zu
flankieren und somit eine effiziente Verwendung der Mittel zu gewährleisten. Hierbei wird ein
Teil der Zuweisungen an die Hochschulen einbehalten und als indikatorgestützte
Mittelvergabe zugewiesen. Diese Form der formelgebundenen Hochschulfinanzierung kann
sowohl die leistungsorientierte Mittelverteilung (LOM), aber auch die belastungsorientierte
Verteilung der Grundmittel umfassen. In insgesamt 14 Bundesländern ist die LOM Bestand-
teil des Mittelzuweisungssystems vom Land an die Hochschulen. In Bremen ist die
leistungsorientierte Mittelvergabe seit 2009 aus finanziellen Gründen ausgesetzt. Im
Saarland ist eine leistungsorientierte Mittelvergabe im Rahmen einer Zielvereinbarung mit
der Universität des Saarlandes und seit 2008 auch mit der Hochschule für Technik und
Wirtschaft festgelegt. Sachsen-Anhalt führt 2011 erstmalig ein System der leistungs-
orientierten Mittelvergabe ein.
Sowohl auf der Ebene staatlicher Hochschulsteuerung als auch hochschulintern werden
leistungsbezogene Finanzierungsverfahren regelmäßig genutzt (vgl. Jaeger 2008). Derzeit
ist die hochschulinterne leistungsorientierte Mittelvergabe in sieben Bundesländern
gesetzlich vorgeschrieben. Die Gestaltung des internen LOM-Modells können die Hoch-
schulen selbstständig bestimmen und dabei durchaus vom Landesmodell abweichen.
Darüber hinaus sind in sieben Bundesländern hochschulinterne Zielvereinbarungen
gesetzlich vorgeschrieben.
4 In Nordrhein-Westfalen ist die Abschaffung am 24. Februar 2011 zum Wintersemester 2011/12 durch den
Landtag beschlossen worden. In Hamburg wurde am 20. April 2011 die Abschaffung zum Wintersemester 2012/13 beschlossen und in Baden-Württemberg wurde Entsprechendes im Koalitionsvertrag vom 1. April 2011 vereinbart. Für Studierende in Bremen fielen zudem vorübergehend Studienbeiträge in Höhe von 500 € an, sofern der Wohnsitz in einem anderen Bundesland liegt („Landeskinderregelung“).
Seite 246 | Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder
3. Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungsverfahren
Ziel des folgenden Abschnittes ist es, Wirksamkeit und Wirkungsrichtung von Anreiz- und
Steuerungsinstrumenten auf Landesebene im Hinblick auf die Qualität der Lehre in
Hochschulen anhand statistischer Verfahren zu analysieren.
3.1. Überblick zu den LOM-Modellen der Bundesländern
In Ergänzung zu den Ausführungen in Kapitel 2 soll an dieser Stelle auf einzelne Eigen-
schaften der LOM-Modelle eingegangen werden, die für die weitere Analyse von Bedeutung
sind.
Tabelle 2: Anteil der über die LOM verteilten Mittel am Gesamtzuschuss nach Gültigkeitsjahr
Quellen: Landeshochschulgesetze (Stand: 1.8.2010); MWFK BW o.J.a; SBWF BE o.J.; HIS 2006a, b, c; HIS 2007; HIS 2009; LH Hessen 2010; Hillmer 2008; MIWFT NRW 2007; MWWF K RP 2005; MBKW SL 2007; LR SH o.J.; KM TH 2009; eigene Berechnungen.
Anmerkungen: Landeszuschuss ohne Sockelbeträge und Sondertatbestände. Für einige Länder wurde der Anteil auf diese Bezugsgröße hin umgerechnet, da ursprünglich eine andere Verteilmasse zugrunde lag. Betroffen sind BE, BB, HE, NI, NW, RP und TH. Referenzjahr für die Anteilswerte und die hinzugezogenen empirischen Berechnungsgrößen ist das Jahr 2008. LuF = Mittel für Lehre und Forschung
Die konkrete Ausgestaltung der LOM sowie die Berechnungsverfahren sind von Land zu
Land sehr unterschiedlich und teilweise sehr komplex. Tabelle 2 zeigt, dass die Höhe des
Anteils der LOM am Gesamtbudget zwischen 28 % in Berlin und 1,4 % in Sachsen variiert.5
Darüber hinaus hat eine Mehrheit der Länder mit LOM-Verfahren eine Kappungsgrenze für
Verluste eingeführt, die sich aus der Berechnung der verteilten LOM-Mittel ergeben. Dies
trägt dem potenziell hohen Verlustrisiko einzelner Hochschulen Rechnung und reduziert die
5 In der Übersicht nicht berücksichtigt sind die indikatorgestützten Grundzuweisungen, die im Wesentlichen auf
Belastungsgrößen wie Studierendenzahlen basieren und keine Leistungsmittel i.e.S. darstellen. Teilweise finden Belastungsgrößen auch Eingang in LOM-Modelle, im Wesentlichen fallen darunter Indikatoren zu Professorenstellen oder wissenschaftlichem Personal.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 247
Höhe der tatsächlich umverteilten Mittel teilweise beträchtlich. Ferner variiert die Anzahl der
Verteilkreise in den Ländern. Teilweise stehen Fachhochschulen und Universitäten in einem
direkten Wettbewerb innerhalb eines Verteilkreises, teilweise haben sie getrennte Modelle.
Zudem werden die Hochschulen in Berlin (bis 2011)6 und Niedersachsen zusätzlich nach
Fachdisziplinen differenziert. Darüber hinaus zeigen sich Unterschiede hinsichtlich der
Anzahl der Indikatoren im Modell, was als Maß für die Komplexität der Verfahren angesehen
werden kann.
3.2. Beschreibung des Datensatzes
Für die statistischen Auswertungen und Simulationsrechnungen wurden eigens erhobene
Daten sowie zusammengeführte Hochschulstatistiken nach statistisch signifikanten
Zusammenhängen zwischen Anreizinstrumenten und Leistungsindikatoren der Hochschulen
hin untersucht. Hierbei war es notwendig, verfügbare Statistiken und Daten zu
Anreizinstrumenten in einen verknüpften Datensatz zu überführen, damit die Variablen
gleichzeitig untersucht werden können. Dies gilt zum einen bei der Ableitung
hochschulspezifischer Indikatoren, die teilweise aus mehreren Primärstatistiken heraus
gebildet werden, aber auch für die Einbindung aller benötigter Variablen innerhalb
multivariater Modelle. Insbesondere wurden Daten durch die Forschungsdatenzentren der
Statistischen Ämter des Bundes und der Länder für die Jahre 2004 bis 2008 bereitgestellt
und in Rahmen des Projekts QualitAS-Lehre zusammengeführt. Ferner wurden die weiter
oben diskutierten Anreiz- und Steuerungssysteme der Länder den zugehörigen Hochschulen
im Datensatz zugeordnet. Soweit es Unterschiede zwischen Universitäten und
Fachhochschulen gab, z.B. beim Budgetanteil der leistungsorientierten Mittelvergabe,
wurden diese entsprechend berücksichtigt.
Untersucht werden nur öffentliche Hochschulen unter Trägerschaft der Bundesländer und
unter Ausschluss der Medizin-, Kunst-, Film- und Musikhochschulen bzw. medizinischer
Fakultäten.
Die Daten sind auf Ebene der Fachdisziplinen Geistes-/Sozial-, Natur- und Ingenieurwissen-
schaften mit dem Ziel der angemessenen Berücksichtigung unterschiedlicher Fächerkulturen
aggregiert worden.7
3.3. Wirksamkeitsmessung mittels multipler Regressionsmodelle
3.3.1. Methodischer Ansatz
Aus theoretischer Sicht sind Anreiz- und Steuerungsinstrumente nicht direkter Auslöser für
Leistungsverbesserungen von Hochschulen. Leistungsanreize wirken auf das Verhalten der
angesprochenen Steuerungssubjekte, seien es nun Organisationsebenen oder Individuen,
woraufhin sich erst die Ergebnisse ihres Handelns verändern. Der Umkehrschluss,
Veränderungen von Leistungen der Hochschule beruhten auf bestimmten Anreizsetzungen,
6 Ab 2012 tritt in Berlin ein neues LOM-Modell mit dem Namen „Leistungsbasierte Hochschulfinanzierung“ in
Kraft, das durch ein Preismodell gekennzeichnet ist. Beim Preismodell werden Leistungen der Hochschulen über festgelegte Preise honoriert, wobei Zugewinne der Hochschulen durch das maximale Budget für Leistungssteigerung des Landes gedeckelt sind.
7 Unter der Fachdisziplin Geisteswissenschaften sind die Fächergruppen Geistes- und Kulturwissenschaften,
Sport sowie Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zusammengefasst.
Seite 248 | Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder
ist allerdings nur möglich, wenn alle anderen relevanten Einflussfaktoren berücksichtigt und
somit ausgeschlossen werden können. Die angemessene Berücksichtigung aller
bedeutsamen Erklärungsmerkmale für die hochschulischen Leistungsprozesse stellt folglich
eine notwendige Bedingung für die Wirksamkeitsmessung dar.
Was Leistungen von Hochschulen sind, lässt sich schwer eingrenzen (z.B. Krempkow 2005,
2007, 2009; Frackmann 1997). Auch ist nicht jede Leistung systematisch oder mit
vertretbarem Aufwand statistisch messbar, z.B. gilt das für die Weiterbildungsaktivitäten der
Lehrenden. Solche Einschränkungen führen dazu, dass sich die Leistungsmessung an
quantifizierbaren Indikatoren orientiert. Hier wären beispielsweise Indikatoren zu
Absolvent(inn)en, Studierenden in Regelstudienzeit (RSZ), Promotionen, Drittmittel etc. zu
nennen. Da solche Indikatoren in vielen LOM-Modellen der Länder auftauchen, können sie
für diese Untersuchung als hinreichend für die Beobachtung hochschulischer Leistungen
erachtet werden und bilden somit die abhängigen Variablen in den folgenden
Regressionsmodellen.
Der methodische Ansatz der Regressionsmodelle ist, dass zunächst ein Basismodell
entwickelt wird, das einen möglichst hohen Anteil der Varianz der abhängigen Variablen
erklärt. Das Basismodell soll in der Lage sein, die meisten Leistungs- bzw. Effizienz-
unterschiede zu erklären. Darunter zählen Erklärungsmerkmale wie Größe, Hochschulart,
Fachdisziplin, Bundesland, Personal- und Sachmittelausstattung und Zeittrend. Im zweiten
Schritt wird das Basismodell um die gewählten Anreizinstrumente ergänzt und erneut
geschätzt. In dem gewählten multivariaten Modell sind also bereits die wichtigsten
Erklärungsmerkmale berücksichtigt, sodass die Aufnahme der Anreizmerkmale nur zur
Erklärung der restlichen Varianz des jeweiligen Indikators beiträgt. Betrachtet werden hier
nur monetäre Anreize, d.h. Instrumente mit direktem Einfluss auf die Höhe der verfügbaren
Finanzmittel der Hochschulen.
3.3.2. Ergebnisse
Die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf ersten Ergebnissen des Projekts QualitAS-
Lehre zum Zeitpunkt Ende 2010. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die zahlreichen
Modellschätzungen in eine kompakte Darstellung überführt.
Die abhängigen Variablen werden nach den beiden Aufgabenbereichen Lehre und
Forschung differenziert, wobei die Zuordnung der Indikatoren auf Grundlage der LOM-
Modelle der Länder erfolgte.8 Die Modelle weisen einen hohen statistischen Bestimmtheits-
grad aus, was sich in den meisten Fällen in einem R²>0,7 ausdrückt, häufig sogar R²>0,9.9
Nachdem grundsätzliche Erklärungsmuster für die untersuchten Indikatoren durch das
Basismodell identifiziert sind, wird nachfolgend nur auf Ergebnisse für einzelne Anreiz- und
Steuerungssysteme sowie Teilkomponenten der LOM eingegangen. Letztere sind in
Abbildung 2 zuerst aufgeführt, Merkmale zu Globalhaushalt, Studiengebühren und
hochschulinterne LOM-Verfahren befinden sich darunter.
Betrachtet man das Merkmal „Anteil der LOM an den Gesamtzuweisungen an die
Hochschulen“, so lässt sich beobachten, dass Forschungsindikatoren überwiegend positiv
8 Analog sollte die Verwendung der Begriffe Lehr- und Forschungsindikatoren im Text nicht missverstanden
werden, sondern sie dienen vor allem der sprachlichen Erleichterung der Interpretation.
9 Lediglich das Modell für die weiblichen Professuren wies mit R²=0,4 einen vergleichsweise niedrigen Wert auf.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 249
reagieren, während dies bei den Lehrindikatoren nur für Absolvent(inn)en zu gelten scheint.
Demgegenüber reagieren die Variablen Studienanfänger(innen) und ausländische
Studierende negativ. Die Einrichtung einer Kappungsgrenze für Verluste aus der LOM wirkt
sich zudem tendenziell negativ auf die Indikatoren Studienanfänger(innen), Studierende in
RSZ und weibliche Professuren aus. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die LOM für
die genannten Indikatoren bereits aufgrund ihrer Budgetrelevanz Wirkung entfaltet, da
mehrere Indikatoren positiv auf hohe LOM-Anteile reagieren.
Um weitergehend zu untersuchen, ob es bei der LOM auch auf die konkrete Gestaltung des
Modells ankommt, werden die Gewichtungen der Indikatoren Absolvent(inn)en und Drittmittel
in der LOM untersucht. Diese beiden Parameter tauchen in allen angewandten LOM-
Modellen in unterschiedlichen Varianten auf und eignen sich somit für den Vergleich über
alle Modelle hinweg. Es zeigt sich, dass sich eine hohe Gewichtung des Absolventen-
indikators positiv auf den Indikator Absolvent(inn)en auswirkt und negativ auf die Indikatoren
Promotionen und Habilitationen. Dies deutet auf einen möglichen „Trade-off“ zwischen der
Förderung von Studienabschlüssen und der des wissenschaftlichen Nachwuchses hin,
allerdings ist die Wirkung auf die Absolventenzahlen intendiert und somit erwartungsgemäß.
Umgekehrt indiziert eine hohe Gewichtung des Drittmittelindikators in der LOM sehr günstige
Auswirkungen auf Forschungs- und negative auf Lehrindikatoren. Dies lässt die Vermutung
zu, dass ein Zielkonflikt zwischen Lehre und Forschung herrscht. Hierbei fällt auf, dass
negative Effekte hoher Absolventengewichtung auf Forschungsindikatoren stärker
ausgeprägt sind, als die negativen Effekte hoher Drittmittelgewichtung auf Lehrindikatoren.
Die Komplexität des Modells, gemessen an der Anzahl an Parametern im Modell, steht
offenbar in keinem systematischen Zusammenhang mit den Aufgabenbereichen Lehre und
Forschung, jedoch wirkt sie positiv auf die Indikatoren Absolvent(inn)en und weibliche
Professuren sowie negativ auf die Indikatoren Studienanfänger(innen) und Studierende in
RSZ.
Jenseits der LOM-Merkmale konnten auch für weitere Steuerungsinstrumente Belege über
deren Wirksamkeit gefunden werden. Länder, die uneingeschränkte Globalhaushalte
eingeführt haben, weisen positive Entwicklungen bei den Forschungsindikatoren auf, jedoch
gleichzeitig auch ungünstigere bei den Lehrindikatoren. Dies könnte ein Hinweis sein, dass
die Flexibilisierung der Mittelverwendung im betrachteten Zeitraum überwiegend stärkere
Effekte auf forschungsrelevante Indikatoren hatte.
Länder, die Studienbeiträge erheben, weisen positive Effekte bei den Indikatoren
Absolventen und weibliche Professuren auf, jedoch konnten auch nachteilige Abweichungen
bei den Indikatoren Studienanfänger(innen) und Studierende in RSZ beobachtet werden.
Während gesetzlich verpflichtende hochschulinterne Zielvereinbarungen nur punktuell
Änderungen bei den Indikatoren auszulösen scheinen, zeigt das Merkmal verpflichtende
interne LOM überwiegend positive Effekte auf Lehrindikatoren, ohne dass dies klar zu Lasten
von Forschungsindikatoren geht. Eine Erklärung könnte sein, dass die interne LOM im
Vergleich zur Landes-LOM häufig weniger stark wettbewerblich orientiert ist, sondern auch
durch eine Reihe von Belastungsindikatoren gekennzeichnet ist.10
10
Fallstudien, die im Rahmen von QualitAS-Lehre durchgeführt wurden, bestätigen diese Tendenz.
Seite 250 | Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder
Abbildung 2: Erste Ergebnisse multipler Regressionsmodelle für Wirkungszusammenhänge
von Anreiz- und Steuerungsinstrumenten und hochschulischer Leistungsindikatoren
Legende: + bis +++ leichter (Beta < 0,1) bis starker (Beta > 0,4) positiver Einfluss auf den Indikator - bis --- leichter (Beta 0 > -0,1) bis starker negativer (Beta < -0,4) Einfluss auf den Indikator
Quelle: eigene Berechnungen
3.3.3. Interpretation
Die vorangegangenen Analysen basieren auf vorläufigen Ergebnissen, die bis zum Ende des
Projekts QualitAS-Lehre weiter verfeinert werden. Es lässt sich dennoch festhalten, dass
unter Berücksichtigung der Erklärungsmerkmale des Basismodells für die betrachteten
Indikatoren, die untersuchten monetären Anreize auf Landesebene überwiegend statistisch
signifikant und folglich wirksam sind. Mit Ausnahme des Indikators Absolvent(inn)en zeigen
sich in der Lehre tendenziell negative Effekte, wenn durch die LOM hohe Budgetanteile
umverteilt werden, während Budgetrelevanz positive Wirkung auf die Forschung entfaltet. Es
kann ferner zu Nebenwirkungen durch die LOM kommen, was insbesondere den „Trade-off“
zwischen Lehr- und Forschungsindikatoren betrifft. Mit anderen Worten, es erscheint
unwahrscheinlich, dass Forschungs- und Lehrindikatoren gleichzeitig durch die LOM
verbessert werden. Die LOM ist folglich steuernd! Beispielsweise wird der Absolventenanteil
begünstigt durch eine hohe Gewichtung des Absolventenindikators bei gleichzeitig geringer
Gewichtung von Drittmitteleinnahmen. Ein solches Modell hätte dann aber ungünstige
Effekte auf Promotionen und Habilitationen. Gleichzeitig hat eine hohe Gewichtung der
Drittmittel positive Effekte für mehrere Forschungsindikatoren ergeben. Insgesamt zeigen
sich Hinweise, dass die Lehre durch die LOM weniger stark beeinflusst wird als die
Forschung. Auffällig ist zudem, dass keiner der Anreize und LOM-Komponenten signifikant
auf den Indikator Drittmittel einwirkt. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass bei diesem
Indikator eine sehr stark hochschulspezifische Verteilung vorliegt, die durch die Merkmale
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 251
des Basismodells bereits hinreichend erklärt wird, wodurch die Anreizmerkmale keine
zusätzliche Erklärungskraft mehr entfalten.
Die Wirkung von hochschulinternen Anreizinstrumenten, deren Existenz seitens der Landes-
ministerien gesetzlich vorgeschrieben ist, fällt für die Mehrzahl der Indikatoren positiv aus.
Die gesetzlich vorgeschriebene Einführung geeigneter hochschulinterner Anreize kann daher
als vorteilhaft zur Verbesserung lehrbezogener Indikatoren angesehen werden. Die
ungünstige Wirkung der Globalhaushalte auf die Lehre sollten Anlass sein zu hinterfragen,
ob die Hochschulen möglicherweise in dem betrachteten Zeitraum 2004 bis 2008 ihre
Schwerpunkte eher in der Forschung gesetzt haben und hierfür die Flexibilisierung der
Mittelverwendung genutzt haben. Im Gegensatz dazu haben die Studienbeiträge, die ja
gerade nicht Teil des Globalhaushalts sind, sondern für Lehre und Studium zweckgebunden
eingesetzt werden müssen, positiven Einfluss auf die Lehre und wirken damit der
Forschungslastigkeit der Globalhaushalte entgegen. Es stellt sich folglich die Frage, ob
Qualitätsverbesserung in der Lehre wirksamer durch Zweckbindung von Mitteln –
unabhängig davon, ob durch Haushaltsmittel oder Studienbeiträge – zu erreichen ist.
Abschließend lässt sich aus den Ergebnissen ableiten, dass die Länder bei der Gestaltung
des Wettbewerbs – und insbesondere der LOM – sehr genau die Struktur ihrer Hochschulen
im Blick halten sollten, da diese sensibel auf die Anreizsysteme reagieren und Zielkonflikte
wahrscheinlich sind.
3.4. Wirkungsanalyse der LOM anhand Simulationen
3.4.1. Ableitung von Hypothesen
Die Ergebnisse der Regressionsmodelle lassen sehr unterschiedliche Wirkungen der LOM
auf die Hochschulen erwarten. Aus der Gestaltung der LOM resultierende Mittelverteilungen
können großen Einfluss auf die Finanzlage einer Hochschule haben, folglich ist eine
Untersuchung anhand von Simulationsrechnungen in diesem Zusammenhang sinnvoll. Zwei
Hypothesen können aus den oben diskutierten Ergebnissen bereits abgeleitet werden:
Aufgrund teilweise starker Wechselwirkungen der Indikatoren des LOM-Modells
dürften die konkrete Auswahl und Gewichtung der Indikatoren des LOM-Modells
entscheidend für die Ergebnisse der Umverteilung sein. Es ist zu prüfen, wie
sensibel die Mittelverteilungen auf unterschiedliche Konfigurationen der LOM
reagieren.
Aufgrund der gezeigten Lenkungswirkung der LOM sollten sich LOM-Modelle
identifizieren lassen, die vorteilhafte Entwicklungen in der Lehre bzw. bei
bestimmten Lehraspekten begünstigen; ggf. unter Inkaufnahme schwächerer
Forschungsleistungen.
Die folgenden Simulationsrechnungen dienen dazu, diese Hypothesen anhand von LOM-
Modellen der Bundesländer mit Echtdaten für Hochschulen näher zu untersuchen. Dies
ermöglicht die Ableitung von Ansätzen zur Weiterentwicklung von LOM-Modellen hinsichtlich
bestimmter Zielsetzungen und verbesserter Zieladäquanz.
3.4.2. Beispielhafte Simulationsrechungen
Für die Simulationsrechnungen wurden die Parameter und Berechnungsverfahren der
gängigen LOM-Modelle in ein Simulationsmodell überführt. Zusammen mit den
Seite 252 | Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder
entsprechenden Indikatoren können damit die Folgen für die Mittelverteilungen der
Hochschulen simuliert und analysiert werden. Hierbei lassen sich sowohl Bundesland und
LOM-Modell beliebig variieren als auch beliebige Veränderungen der LOM-Modelle
vornehmen. Die sich ergebenden Mittelwirkungen sind sowohl je Fachdisziplin und
Hochschule als auch auf Ebene einzelner Indikatoren analysierbar.
Für das gewählte Beispiel wurden fünf unterschiedliche LOM-Modelle ausgewählt, die ein
breites Spektrum der in der Praxis angewandten Modelle abdecken. Es handelt sich um die
Modelle von Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern,
Niedersachsen und Berlin. Diese unterscheiden sich in ihrem Verteilkreis, ihrem Budget-
anteil, der Komplexität des Modells und im Speziellen in der Gewichtung von
Absolvent(inn)en und Drittmitteln.11 Die Simulation erfolgt auf der Basis von Echtdaten einer
Stichprobe von Hochschulen für das Jahr 2008.
Die Ergebnisse in Tabelle 3 zeigen die Gewinne bzw. Verluste einzelner Hochschulen
gegenüber den einbehaltenen Mitteln aus dem LOM-Budget. Gewinne werden erzielt, wenn
die Indikatoren, die im jeweiligen Modell berücksichtigt werden, überdurchschnittlich im
Vergleich zu den im selben Verteilkreis befindlichen Hochschulen ausfallen. Man kann
erkennen, dass die Umverteilungswirkung der LOM in Abhängigkeit vom gewählten Modell
bei den gleichen Hochschulen und damit den gleichen Indikatorwerten sehr verschieden
ausfallen kann. Beispielsweise liegen die Gewinne der Universität „A“ bei zwei Modellen sehr
hoch, bei den anderen hingegen vergleichsweise niedrig. Auch für Fachhochschule „A“ sind
stark abweichende Mittelverteilungen, bis hin zum Wechsel von LOM-„Gewinner“ zu LOM-
„Verlierer“ zu verzeichnen. Als wichtigste Gründe sind u.a. die unterschiedliche Bewertung
von Indikatoren in den Modellen und die jeweiligen Verteilkreise zu nennen. Beispielsweise
konkurrieren im Niedersächsischen und im Berliner Modell die Fachdisziplinen der
Hochschulen und nicht die Hochschulen als Ganzes miteinander. Insbesondere das Berliner
und das Rheinland-Pfälzische Modell (Einkreismodell) liefern stark abweichende Ergebnisse.
Im Berliner Modell (Fächerkreismodell) sind deutlich mehr Indikatoren enthalten, die zudem
überwiegend auf Quoten- und nicht Absolutzahlen beruhen. Diesen Berechnungen zufolge
sehen sich die hier gewählten Fachhochschulen unter Anwendung des Rheinland-
Pfälzischen Modells mit größeren finanziellen Verlusten konfrontiert als mit den anderen
Modellen. Schaut man etwas genauer auf die Leistungen der Hochschulen, so können in
Bezug auf Absolvent(inn)en und Regelstudienzeit die Universitäten „A“ und „B“ sowie die
Fachhochschulen „A“, „B“ und „H“ als lehrstarke Hochschulen charakterisiert werden.
11
Weiterhin gibt es Unterschiede bei der Aggregation der Daten sowie bestimmten Gewichtungen für z.B. Regelstudienzeit, Frauen oder ausländische Studierende.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 253
Tabelle 3: Simulationen verschiedener LOM-Modelle für die gleiche Gruppe Hochschulen
Um zu testen, wie sensibel die Modelle auf Veränderungen einzelner Gewichtungen in den
LOM-Modellen reagieren, wurden die Mittelverteilungen noch einmal berechnet, und zwar
sind in diesem Fall die Absolventenindikatoren in allen Modellen um 10 % geringer gewichtet
und die Drittmittelindikatoren um 10 % höher (siehe Tabelle 4). In Bezug auf die Verteilung
der „Gewinner“ und „Verlierer“ aus der LOM ändert sich nur wenig. Bei einer entsprechenden
Modifikation des Modells von Mecklenburg-Vorpommern gäbe es einen Verlierer weniger
und beim Berliner Modell einen mehr. Insbesondere würden Universität „A“ und die
Fachhochschule „H“ von der Verschiebung profitieren. Diese hätten bereits vorher Gewinne
aufgrund vergleichsweise hoher Drittmitteleinnahmen erzielt, welche nun noch stärker
gewichtet würden. Bei einigen Hochschulen würden die Verluste nun sichtbar geringer
ausfallen, beispielsweise reduzierte die Universität „C“ ihren Verlust aufgrund der geringeren
Bewertung des Absolventenindikators. An anderer Stelle verschärften sich die Verluste
jedoch. So würden sich die Verluste der Fachhochschulen „D“ und „F“ aufgrund der
Höherbewertung der Drittmittel mehr ausweiten.
Seite 254 | Wirksamkeit von Anreiz- und Steuerungssystemen der Länder
Tabelle 4: Simulationen verschiedener LOM-Modelle bei Erhöhung der Drittmittelgewichtung
um 10 %, bei gleichzeitiger Reduktion der Absolventengewichtung um 10 %
3.4.3. Interpretation
Die beispielhaften Simulationsrechnungen zeigen, dass LOM-Modelle weitreichende
Möglichkeiten bieten Leistungen der Hochschulen unterschiedlich finanziell zu bewerten und
damit sehr unterschiedliche Mittelverteilungen zu bewirken sowie Anreize zu setzen.
Insbesondere beeinflusst die Modellwahl und -gestaltung, wie stark Universitäten und
Fachhochschulen zueinander in Wettbewerb stehen und wie stark lehr- bzw. forschungs-
starke Hochschulen für ihre Profilbildung „belohnt“ bzw. „bestraft“ werden. Den Ländern
kommt damit eine besondere Verantwortung zu Anreize so zu setzen, dass eine
unterschiedliche Profilbildung nicht bestraft wird, sondern nur schwache Gesamtleistungen
der Hochschulen. Als weitere Beobachtung wäre hinzuzufügen, dass das Einkreismodell den
Wettbewerb unter den Fachhochschulen gegenüber anderen Verteilmodellen offenbar
verschärft, da diese direkt mit Universitäten um Mittel konkurrieren. Ein solches Modell
eignet sich nur, wenn die Fachhochschulen dem Vergleich mit den Universitäten hinreichend
gewachsen sind. Ferner ist immer im Blick zu halten, welche konkreten Leistungen in der
Lehre belohnt werden sollen, da dies erheblichen Einfluss auf die Mittelverteilung hat.
4. Fazit
Die Bestandsaufnahme der Länder hat gezeigt, dass insbesondere monetäre Verfahren wie
die LOM teilweise sehr unterschiedlich umgesetzt worden sind. Das kann auch damit zu tun
haben, dass unterschiedliche Steuerungsziele damit verfolgt wurden. In der statistischen
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 255
Betrachtung der monetären Verfahren waren diese Unterschiede gut erkennbar. Die
Steuerungswirkung der LOM ist stark von der konkreten Ausgestaltung des Modells
abhängig. Es gibt ferner Anzeichen, dass die LOM stärker auf Forschungsergebnisse
einwirkt als auf Lehrergebnisse. Hierbei spielt auch die Höhe des LOM-Anteils am
Hochschulhaushalt eine tragende Rolle. Insgesamt reagieren Hochschulen sehr sensibel auf
die gewählten Anreizsysteme. Darüber hinaus ist die gesetzlich verpflichtende Einführung
hochschulinterner Anreize wie LOM und Zielvereinbarungen grundsätzlich positiv zu
beurteilen.
Für die Hochschulen wäre noch zu konstatieren, dass sie im Blick halten sollten, wie die
Landes-LOM ihre Mittelzuweisungen beeinflusst, mit wem sie im Wettbewerb stehen und wie
ihre Position darin ist, da hiervon beträchtliche Mittelflüsse abhängig sein können.
Entsprechend sollten sie ihre internen Verfahren stärker mit diesen Anforderungen
abstimmen. Wenn z.B. die Landes-LOM besonders budgetrelevant ist, können starke
Abweichungen des internen LOM-Modells ein finanzielles Risiko darstellen, da sie andere
Ziele befördern und dadurch Nachteile im Wettbewerb mit den anderen Hochschulen
entstehen können.
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Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation als Instrument der Reformgestaltung
Dries Vervecken, Anna Spexard, André Nowakowski, Edith Braun
Abstract
In diesem Beitrag wird dargelegt, in welcher Weise eine auf studentischen Kompetenzerwerb
ausgerichtete Lehrveranstaltungsevaluation gleichzeitig als Instrument der Qualitäts-
sicherung und der Reformgestaltung dienen kann. Als Grundlage der Analysen wird
zunächst ein kurzer Überblick über die zentralen Aspekte des Bologna-Prozesses gegeben.
Hierbei soll gezeigt werden, welchen Stellenwert die Förderung von studentischen
Kompetenzen und Qualitätssicherung in der Hochschullandschaft aktuell besitzen. Im
darauffolgenden Abschnitt werden verschiedene Konzepte der Lernorientierung von
Studierenden, sowie der Lehrorientierung von Lehrenden vorgestellt. Dabei wird vor allem
gezeigt, welche Zusammenhänge es zwischen Lern- und Lehrorientierung gibt und welchen
Einfluss diese auf die studentische Kompetenzentwicklung haben. Die Messung dieser
Studierendenleistungen, also der Ergebnisse des Bildungsprozesses, ist ein wichtiger
Bestandteil der im Rahmen des Bologna-Prozesses geforderten Qualitätssicherung. Zur
Messung der studentischen Kompetenzen bedarf es eines ergebnis- und kompetenz-
orientierten Evaluationsinstrumentes, welches im vierten Abschnitt vorgestellt wird.
Abschließend soll diskutiert werden, wie die Förderung einer studierendenzentrierten Lehre
durch eine kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation erreicht werden kann.
Insgesamt wird deutlich, dass eine studierendenzentrierte Lehrorientierung der Lehrenden
gefördert werden sollte. Diese kann mithilfe des vorgestellten kompetenzorientierten
Evaluationsinstrumentes unterstützt werden. Auch können mit einem solchen Instrument die
Kompetenzziele auf verschiedenen Ebenen überprüft werden.
1. Der Bologna-Prozess im deutschen und europäischen Kontext
Der Begriff “Bologna-Prozess“ ist ein geflügelter Ausdruck geworden, mit dem viele positive
und negative Veränderungen der deutschen und europäischen Hochschullandschaft
verbunden werden. Über die Bewertungen der Auswirkungen dieser umfassenden Reform
lässt sich streiten; sicher ist, dass tief greifende Umwälzungen stattgefunden haben und
neue Aspekte in den Fokus gerückt sind. Im Folgenden werden die zentralen Zielstellungen
des Bologna-Prozesses zusammengefasst.
1.1. Zentrale Aspekte des Bologna-Prozesses
Den Ausgangspunkt des Bologna-Prozesses stellt die Sorbonne-Erklärung dar, die 1998 von
den Bildungsminister(inne)n Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Großbritanniens
unterzeichnet wurde (vgl. Four Ministers in charge for France, Germany, Italy and the United
Kingdom 1998). In dieser Erklärung werden bereits die Grundzüge der Studienreform
festgelegt: Geschaffen werden soll ein gemeinsamer europäischer Hochschulraum, der den
„major changes in education and working conditions“ (ebd., S. 1) wie beispielsweise der
Diversifikation von Karrierewegen entsprechen kann. Außerdem hat der Europäische Rat
das strategische Ziel festgelegt, Europa zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten
Seite 258 | Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation
wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum der fähig
ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem
größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen (European Commission 2000). Das
übergeordnete Ziel des Bologna-Prozesses ist folglich die Entwicklung Europas zu einem
„Europe of knowledge“ (Four Ministers in charge for France, Germany, Italy and the United
Kingdom 1998, S. 1), denn die Zukunft der europäischen Wirtschaft hängt in starkem Maße
von den wissensbasierten Fertigkeiten ihrer Bürger(innen) ab. Ein Jahr später, 1999,
unterzeichneten die Minister(innen) von 29 europäischen Ländern1 eine gemeinsame
Erklärung zum europäischen Hochschulraum: Die Bologna-Deklaration (vgl. Europäische
Bildungsminister 1999). In den folgenden Jahren trafen sich die europäischen Bildungs-
minister(innen) alle zwei Jahre, um Fortschritte zu evaluieren, neue Ziele zu formulieren und
neue Mitglieder aufzunehmen (vgl. die Kommuniqués der Konferenzen in Prag 2001; Berlin
2003; Bergen 2005; London 2007, Leuven/Louvain-la-Neuve 2009). In Wien und Budapest
fand 2010 die Jubiläumskonferenz statt, im Rahmen derer die nun 47 Mitgliedstaaten2 den
Europäischen Hochschulraum eröffneten (vgl. Für Hochschulen zuständige europäische
Ministerinnen und Minister 2010).
Zentrale Ziele und Vorhaben des Bologna-Prozesses, die in den Kommuniqués und
nationalen Dokumenten festgehalten wurden, sind beispielsweise
die Schaffung eines Umfeldes, das studierendenzentriertes Lernen ermöglicht (vgl.
u.a. Für Hochschulen zuständige europäische Ministerinnen und Minister 2010);
die Implementierung einer wirksamen Qualitätssicherung (vgl. u.a. Für Hochschulen
zuständige europäische Ministerinnen und Minister 2003);
die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit durch eine Konzentration auf den Erwerb
von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen (vgl. Bundesministerium für
Bildung und Forschung 2008, S. 11).
1.2. Kompetenzorientierung und Qualitätssicherung im Bologna-Prozess
Wie bereits erwähnt, werden im Rahmen des Bologna-Prozesses unter anderem zwei
zentrale Punkte diskutiert: Die zunehmende Bedeutung von Qualitätssicherung in Hoch-
schulen und die Kompetenzorientierung in allen Bereichen des Hochschulsystems. In den
Dokumenten des Bologna-Prozesses wird von Beginn an die Etablierung eines Systems der
Qualitätssicherung als primäres Ziel formuliert. In der Bologna-Deklaration wird eine
„Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung im Hinblick auf die
Erarbeitung vergleichbarer Kriterien und Methoden“ (Four Ministers in charge for France,
Germany, Italy and the United Kingdom 1998, S. 5) gefordert. Auch die verstärkte Förderung
von Kompetenzen bei den Studierenden ist eine zentrale Forderung des Bologna-Prozesses.
Mit der Durchführung der Bologna-Reform hat eine starke Hinwendung zur Förderung von
1 Belgien, Bulgarien, Estland, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Griechenland, Großbritannien,
Irland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn.
2 Weitere Mitglieder: Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien und Herzegowina, ehemalige
jugoslawische Republik Mazedonien, Georgien, der Heilige Stuhl, Kasachstan, Kroatien, Liechtenstein,Moldau, Montenegro, Russische Föderation, Serbien, Ukraine, Türkei, Zypern (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2010).
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 259
Kompetenzen in der Hochschullehre stattgefunden. Eine Folge der Studienreform ist, dass
„statt der Studieninhalte [...] die Lernziele, also das, was bei der Studentin, bei dem
Studenten ankommt, was sie/er gelernt hat, im Vordergrund“ stehen (Winter/Anger 2010, S.
33). In den Kommuniqués der regelmäßig stattfindenden Bologna-Konferenzen wird von
„Lernergebnissen“ gesprochen (Für Hochschulen zuständige europäische Ministerinnen und
Minister 2007, S. 7) und auch die acht Referenzniveaus im Europäischen Qualifikations-
rahmen für lebenslanges Lernen (EQR; vgl. Europäische Kommission 2008) werden in Form
von Lernergebnissen beschrieben. Zu beobachten ist eine Verschiebung von einer Input- zu
einer Outcomeorientierung, „der EQR betont […] Lernergebnisse anstatt sich auf Inputs, wie
z.B. Studiendauer, zu konzentrieren“ (Europäische Kommission 2008, S. 3).
Auch auf nationaler Ebene ist der Kompetenzbegriff weit verbreitet, die Kultusminister-
konferenz (2003) fordert beispielsweise, dass „Bachelorstudiengänge wissenschaftliche
Grundlagen, Methodenkompetenz und berufsfeldbezogene Qualifikationen vermitteln“ (S. 3).
Im Qualifikationsrahmen für Deutsche Hochschulabschlüsse (vgl. Hochschulrektoren-
konferenz/Kultusministerkonferenz/Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005) ist
eine Ergebnisorientierung mit einer Hinwendung zu Kompetenzen zu finden: Die
Qualifikationen, die das Bildungssystem eines Landes produziert, sollen anhand von
„angestrebten Lernergebnissen (outcomes)“ (Hervorhebung im Original) und „Kompetenzen
und Fertigkeiten“ beschrieben werden (ebd., S. 3).
1.3. Kompetenzorientierte Lehre
Die im Rahmen des Bologna-Prozesses geforderte Kompetenzorientierung bezieht sich nicht
nur auf die Lernergebnisse von Studierenden, sondern hat auch Konsequenzen für die
Lehrpraxis. So bringt der Bologna-Prozess eine Veränderung der erwünschten Lehr-
orientierung mit sich, welche notwendig ist, um die studentischen Kompetenzen optimal zu
fördern. Der Wissenschaftsrat (2008) berichtete, dass zur Erreichung der Ziele von Bologna
in Deutschland, wie im ersten Abschnitt dieses Beitrags ausgeführt, die Qualität der Lehre
verbessert werden muss und hat daher Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Lehre
und Studium entwickelt. Ein zentraler Vorschlag ist, dass „Lehrende […] selbstorganisiertes
Lernen fördern und die Studienprozesse auf die Aneignung von fachlichen sowie
überfachlichen Kompetenzen ausrichten“ (ebd., S. 6) sollen. Ziel der Umgestaltung der
Hochschullehre allgemein und im Rahmen des Bologna-Prozesses ist, „eine rezeptiv
ausgerichtete Lehr-/Lernpraxis in eine aktive Wissenskonstruktion umzugestalten“ (Gerholz/
Sloane 2008, S. 9). Dies bedeutet eine Verschiebung der Perspektive von einer auf die
Darstellung von Inhalten ausgerichteten Lehre auf die Kompetenzgewinne der Lernenden
und die Strategien, mit denen Lernprozesse angeregt und begleitet werden („Shift from
Teaching to Learning“) (vgl. Wissenschaftsrat 2008).
2. Lehr- und Lernorientierungen
Den beschriebenen Forderungen zur Veränderung der Lehre liegt die implizite Annahme
zugrunde, dass es Zusammenhänge zwischen der Art gibt, wie Lehrende lehren und wie
Studierende lernen, und dass diese Unterschiede in Lehr- und Lernarten zu
unterschiedlichen studentischen Kompetenzgewinnen führen. Im folgenden Abschnitt wird
auf die Konzepte von Lehr- und Lernorientierungen sowie auf die Zusammenhänge zwischen
beiden näher eingegangen.
Seite 260 | Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation
2.1. Lernorientierungen
Marton und Saljö (1976) demonstrierten, dass Studierende unterschiedliche Lern-
orientierungen haben können. Die Forscher zeigten anhand der qualitativen Auswertung von
Experimenten zum Erarbeiten von Texten, dass Studierende ein und dieselbe Aufgabe
unterschiedlich wahrnehmen und daraus resultierend unterschiedliche Lernorientierungen
entstehen. So gab es in den Experimenten Studierende, die sich fast ausschließlich
bemühten, möglichst viel des Textinhalts auswendig zu lernen. Andere Studierende
versuchten hingegen, die Kernaussagen des Textes herauszufinden, dessen Botschaft zu
verstehen und eine Verbindung zwischen Textinhalt und eigenem Wissen herzustellen. Auf
Grundlage dieses Befunds entwickelten Marton und Saljö ein konzeptuelles Rahmenwerk,
welches nun als „studentische Lernorientierungen“ bekannt ist. Kurz zusammengefasst
werden zwei unterschiedliche Lernorientierungen differenziert: Tiefen- und Oberflächen-
lernen (vgl. Marton/Säljö 1976; Biggs 1978; Entwistle/Ramsden 1983). Jede Lernorientierung
besteht aus zwei Komponenten: einer Strategie (wie der/die Studierende an eine Aufgabe
herangeht) und einem Motiv (warum der/die Studierende die Aufgabe lösen möchte).
Bei Studierenden, die eine oberflächliche Lernorientierung zeigen, besteht das Hauptmotiv
für das Ausführen einer Aufgabe in den damit verbundenen negativen oder positiven
Konsequenzen. Eine typische oberflächliche Lernstrategie ist das Auswendiglernen, wobei
sich Studierende vor allem die Sachen merken, welche ihnen am wichtigsten erscheinen.
Aufgrund der Präferenz dieser Art der Verarbeitung von Lernmaterialien werden keine
Zusammenhänge zwischen der Bedeutung und der Implikationen des Gelernten hergestellt
(Biggs 1987).
Bei Studierenden mit einer tiefen Lernorientierung liegt das Hauptmotiv des Lernens in
intrinsischer Motivation oder Neugier. Bei der tiefen Herangehensweise zeigt der/die
Studierende persönliches Engagement beim Lernen. Dadurch verbindet er oder sie die
gelernten Inhalte mit persönlich bedeutungsvollen Kontexten und schon vorhandenem
Wissen. Hierbei werden kognitive Prozesse einer höheren Stufe eingesetzt als beim
Auswendiglernen: Analogien suchen, Verbindungen zum Vorwissen herstellen und über das
Gelernte theoretisieren (Biggs 1987).
Die beschriebenen Lernorientierungen sind keine stabilen kognitiven Strukturen von
Studierenden, sondern kontextabhängige Herangehensweisen, welche mit der Wahr-
nehmung des Lehrens und Lernens in einem bestimmten Kontext zusammenhängen (vgl.
Eley 1993; Laurillard 1997; Ramsden 2003). Folglich könnte die Lehre des/der Lehrenden
Einfluss auf die Lernorientierungen der Studierenden haben. Im Folgenden Abschnitt wird
näher auf verschiedene Lehrorientierungen eingegangen, im Anschluss daran werden
mögliche Zusammenhänge zwischen Lehren und Lernen dargelegt.
2.2. Lehrorientierungen
Seit Anfang der 90er Jahre werden Erfahrungen und Überzeugungen über das Lehren und
Lernen seitens der Dozierenden näher untersucht (vgl. u.a. Dunkin 1990; Gow/Kember 1990;
Gow/Kember 1993; Pratt 1992; Prosser/Trigwell/Taylor 1994). Viele dieser Studien zeigen
eine starke Korrespondenz in ihren Befunden, wobei sich zwei unterschiedliche
Lehrorientierungen herauskristallisieren: eine lehrendenzentrierte und eine studierenden-
zentrierte Lehrorientierung.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 261
Die erste Orientierung ist durch eine lehrendenzentrierte Strategie gekennzeichnet, wobei
der/die Dozierende vor allem die Intention hat, den Studierenden Fachwissen zu vermitteln.
In diesem Prozess der Wissensübermittlung liegt der Fokus auf Fakten und Fertigkeiten,
aber nicht auf dem Zusammenhang beider. Das Vorwissen der Studierenden wird nicht
beachtet und es wird davon ausgegangen, dass Studierende im Lehr-/Lernprozess nicht
aktiv sein müssen (vgl. Kember 1997; Trigwell/Prosser 1996a; Trigwell/Prosser/Waterhouse
1999).
Die zweite Orientierung wird durch eine starke Studierendenzentrierung charakterisiert, bei
der/die Dozierende anstrebt, die Studierenden vor allem in der Änderung ihrer Konzepte und
Wissensstrukturen zu unterstützen. Den Studierenden wird eine aktive Rolle zugeschrieben,
wobei sie ihr eigenes Wissen konstruieren. Der/die Dozierende legt den Fokus darauf, was
Studierende in den Lehr- und Lernsituationen machen. Der/die Dozierende ist überzeugt
davon, dass er/sie ein neues Weltbild oder eine neue Wissensstruktur nicht einfach
übertragen kann, sondern dass Studierende ihr Wissen selber konstruieren müssen, um ein
neues Weltbild oder eine neue Wissensstruktur zu produzieren (vgl. Kember 1997;
Trigwell/Prosser 1996a; Trigwell/ Prosser/Waterhouse 1999).
Genauso wie die studentischen Lernorientierungen keine unveränderbaren Merkmale sind,
ist eine unterschiedliche Ausprägung der lehrendezentrierten und studierendezentrierten
Lehrorientierung in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen oder im Verlauf der Zeit bei
Dozierenden möglich (Kember 1997; Trigwell/Prosser 1996b; Samuelowicz/Bain 2001).
Wie im Abschnitt zum Bologna-Prozess erläutert wurde, ist ein Kernziel die Förderung der
studentischen Kompetenzen. Die zentrale Frage ist nun, auf welche Weise dieses Ziel
erreicht werden kann. Dazu soll im nächsten Abschnitt dargestellt werden, wie
Lehrorientierungen, Lernorientierungen und Kompetenzzuwächse zusammenhängen.
2.3. Der Zusammenhang zwischen Lehrorientierungen, Lernorientierungen und Lernzuwachs
In einer Reihe von empirischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass im Vergleich zu
Studierenden mit einer oberflächlichen Lernorientierung Studierende mit einer tiefen
Lernorientierung Lernergebnisse produzieren, die ein gründlicheres Verständnis des Stoffes
zeigen und die Entwicklung von neuen und komplexeren Wissensstrukturen des Lernstoffs
nachweisen (vgl. u.a. Marton/Säljö 1997; Prosser/Millar 1989; Ramsden 1992; Trigwell/
Prosser 1991; van Rossum/Schenk 1984). Die Frage, ob Lehrorientierungen von
Dozierenden mit den studentischen Lernorientierungen zusammenhängen, wurde zunächst
qualitativ untersucht und konnte bestätigt werden (vgl. Martin/Ramsden 1998; Marton/Booth
1997; Patrick 1992). Mittlerweile liegen auch quantitative Studien vor, welche den
Zusammenhang zwischen Lehrorientierungen und Lernorientierungen bestätigen. Wenn
Dozierende ihre Lehrorientierung als lehrendenzentriert beschreiben, unterrichten sie sehr
wahrscheinlich Studierende, welche ihre Lernorientierung als eher oberflächlich beschreiben
(vgl. Trigwell/Prosser/Waterhouse 1999). Dass die Beziehung zwischen Lehrorientierung und
Lernorientierung nicht nur von korrelativer Art ist, sondern einen kausalen Zusammenhang
hat, demonstriert eine Studie von Gibbs und Coffey (2004) mit Dozierenden von 22
Universitäten aus acht unterschiedlichen Ländern. Nachdem die Studierendenzentrierung
der Dozierenden aufgrund einer Weiterbildung zunahm, entwickelten ihre Studierenden
parallel dazu eine weniger oberflächliche Lernorientierung. Im Hinblick auf die durch den
Bologna-Prozess vorgeschriebene Kompetenzorientierung gibt es aktuelle Studien, welche
Seite 262 | Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation
einen Zusammenhang zwischen der Lehrorientierung der Dozierenden und den
studentischen Kompetenzzuwächsen nachweisen konnten. Vor allem wenn Dozierende ihre
Lehrorientierung als studierendenzentriert beschreiben, berichten ihre Studierenden auch
systematisch größere Kompetenzzuwächse (vgl. Berendt 2006; Braun/Hannover 2008;
Meng/Heijke 2005; Schaeper 2009).
Die beschriebenen Studien zeigen, dass vor allem die studierendenzentrierte
Lehrorientierung einen positiven Einfluss auf die im Rahmen des Bologna-Prozesses
fokussierte Förderung von fachlichen und überfachlichen studentischen Kompetenzen hat.
Aus diesem Befund leitet sich die Frage ab, auf welche Weise bei Lehrenden eine
studierendenzentrierte Lehrorientierung gefördert werden kann. Im folgenden Kapitel wird
beschrieben, wie durch den Einsatz eines kompetenzorientierten Fragebogens zur
Lehrveranstaltungsevaluation sowohl die im Bologna-Prozess geforderte Studierenden-
zentrierung als auch eine Qualitätssicherung der Lehre gefördert werden könnten.
3. Der Nutzen von Instrumenten zur Lehrveranstaltungsevaluation
Evaluationen in Form von Lehrveranstaltungs-/Modulbewertungen sind aus dem Hochschul-
alltag nicht mehr wegzudenken. Sie dienen vor allem auch der Personalentwicklung (Duke
1990, S. 131), denn die Ergebnisse aus Lehrevaluationen bieten Informationen für möglichen
Handlungs- und Verbesserungsbedarf (Rindermann 2001). Im Auswertungsbericht bekommt
der/die Dozierende individuelle Rückmeldungen über spezifische Schwächen und Stärken
der von ihm/ihr durchgeführten Lehrveranstaltung, welche er/sie zur Optimierung der Lehre
anwenden kann (Marsh 1987; Balk 2000). Die bisherige Forschung ergab erste Hinweise
darauf, dass Lehrevaluationen Veränderungen in der Qualität der Lehre bewirken (Balk
2000; Cohen 1980; L´Hommedieu et al. 1990; McKeanchie et al. 1980; Overall/Marsh 1979;
Rindermann 1997; Wilson 1986). Allerdings generieren inhaltlich unterschiedliche
Lehrevaluationsinstrumente inhaltlich unterschiedliche Informationen und somit werden auch
unterschiedliche Konzepte über "gute Lehre" vermittelt.
Im Rahmen einer Lehrveranstaltungsevaluation können verschiedene Aspekte der Qualitäts-
messung berücksichtigt werden. Diese werden im folgenden Abschnitt kurz vorgestellt, um
daran anknüpfend ein Instrument zur kompetenzorientierten Lehrevaluation vorzustellen.
3.1. Verschiedene Aspekte der Qualitätsmessung
Nach Donabedian (1966) lassen sich drei Ebenen der Qualitätsmessung unterscheiden:
die Prozessebene, welche den Verlauf einer Lehrveranstaltung umfasst,
die Strukturebene, die sich auf die personelle und materielle Ausstattung eines
Studiengangs bezieht, sowie
die Ergebnisebene, auf welcher der Erfolg eines Studiengangs, eines Moduls oder
einer Lehrveranstaltung abgebildet werden kann.
Die Gestaltung einer Lehrveranstaltung durch den jeweiligen Dozierenden ist der Prozess-
ebene zuzuordnen (Beispielfragebogen Rindermann 2001; Staufenbiel 2000). Zur Messung
der Qualität auf der Prozessebene (Beispielitem: „Der Dozent/die Dozentin gestaltet das
Seminar interessant.“) werden Lehrveranstaltungsteilnehmende gefragt, wie ihnen die
Lehrveranstaltung gefallen und wie sie auf sie gewirkt hat. Prozessdaten sind demnach als
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 263
Zufriedenheitswerte zu verstehen (vgl. Braun et al. 2008). Die Beurteilung der personellen
und materiellen Ausstattung des Studiengangs gehört zur Strukturebene (beispielsweise in
Westermann et al. 1998 enthalten). Items zur Messung der Qualität auf dieser Ebene
(Beispielitem: „Diese Lehrveranstaltung ist überfüllt.“) erfragen die Rahmenbedingungen
einer Lehrveranstaltung. Im Gegensatz zu eben beschriebenen Ebenen der Qualitäts-
messung liegt der Schwerpunkt der Ergebnisebene auf der Messung des Ergebnisses eines
Bildungsangebotes.
Wie im Abschnitt zum Bologna-Prozess in diesem Beitrag erläutert, hat die Ergebnis-
orientierung an Bedeutung gewonnen. Die European Association for Quality Assurance in
Higher Education (ENQA 2005) beschreibt in den Europäischen Standards und Leitlinien für
Qualitätssicherung, welche Verfahren für eine interne Qualitätssicherung in der Hochschule
notwendig sind und stellt einen Bedarf an kompetenz- und ergebnisorientierten Mess-
instrumenten fest. Auch Braun et al. (2008) schlussfolgern, dass „eine pädagogische
Maßnahme an dem Ergebnis, dem erreichten Ausbildungserfolg, evaluiert werden sollte“ (S.
31). Mit der verstärkten Konzentration auf Kompetenzen, also dem Ergebnis einer
Lehrveranstaltung, muss auch der Inhalt der Evaluation von Lehrveranstaltungen angepasst
werden, um als adäquates Mittel in der Qualitätssicherung an Hochschulen dienen zu
können.
3.2. Kompetenzorientierte Lehrevaluation
Der erste Fragebogen, der die im Rahmen des Bologna-Prozesses formulierten
Anforderungen erfüllt, ist das Berliner Evaluationsinstrument für selbsteingeschätzte
studentische Kompetenzen (BEvaKomp, Braun et al. 2008). Das BEvaKomp erhebt die
Kompetenzzuwächse der Studierenden in einer Lehrveranstaltung über die Selbstein-
schätzung der Teilnehmenden. Durch die Messung der studentischen Kompetenzzuwächse
wird der Outcome einer Lehrveranstaltung erfasst, die Kompetenzzuwächse spiegeln den
Erfolg einer Lehrveranstaltung wider. Grundsätzlich wird im Konzept, das dem BEvaKomp
zugrunde liegt, davon ausgegangen, dass alle Kompetenzen in jeder Lehrveranstaltung
gefördert werden können, aber nicht müssen. Das BEvaKomp umfasst sechs
Kompetenzbereiche. Jede Kompetenz ist als ein Konstrukt zu verstehen, welches mithilfe
mehrerer Items erhoben wird:
Fachkompetenz beschreibt, inwieweit Studierende ihre Kenntnisse, ihr Verstehen,
Anwendungsfähigkeiten und Analysefähigkeiten erweitern.
Methodenkompetenz bezeichnet die Fähigkeit einer Person, effektiv Arbeit zu
planen.
Personalkompetenz beschreibt eine produktive Einstellung des Individuums gegen-
über Lernen und Selbstentwicklung.
Präsentationskompetenz beschreibt die Fähigkeit der Befragten, aufgrund der
Lehrveranstaltung ihre Präsentationen abwechslungsreicher und zuhörerorientierter
zu gestalten.
Kommunikationskompetenz beschreibt die Fähigkeit, die eigenen Meinungen
verständlich zu äußern sowie sich konstruktiv an Diskussionen zu beteiligen.
Kooperationskompetenz beschreibt eine produktive Zusammenarbeit innerhalb
einer Arbeitsgruppe (vgl. Braun et al. 2008).
Seite 264 | Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation
Die Items des BEvaKomp erfragen ausdrücklich den Zuwachs in verschiedenen Kompetenz-
bereichen, da hier der Erwerb der jeweiligen Kompetenzen von Interesse ist und nicht der
Kompetenzstand. Einzige Ausnahme bildet der Bereich Fachkompetenz; hier wird konkret
nach dem Kompetenzstand gefragt. Wenn Teilnehmende nach dem Besuch einer
Lehrveranstaltung feststellen, dass sie das behandelte Thema/Fachwissen verstanden
haben und anwenden können, ist das Ziel einer Lehrveranstaltung erreicht (vgl. Braun 2008).
3.3. Der Nutzen von kompetenzorientierten Lehrveranstaltungsevaluationsinstrumenten zur Reformgestaltung
3.3.1. Auswirkungen auf Lehren und Lernen
Bereits in den 90er Jahren wurde gefordert, dass im Rahmen akademischer
Weiterentwicklungen der Fokus in erster Linie auf den subjektiven Ansichten der Lehrenden
über das Lernen liegen soll und nicht auf dem konkreten Lehrverhalten (vgl. z.B. Kember
1997; Trigwell/Prosser 1996b). Der Grund ist, dass diese Konzepte des Lehrens und
Lernens in großem Maße die Gestaltung der Lehre beeinflussen. Allerdings generieren
traditionelle (prozess- und strukturorientierte) Evaluationsinstrumente Rückmeldungen über
konkrete Eigenschaften der Lehrenden und ihrer Lehre, welche die Lehrperson dann in
zukünftigen Lehrveranstaltungen „leicht“ umsetzen kann. So ist es nicht unwahrscheinlich,
dass Lehrende sich nach dieser Art der Rückmeldung vermehrt Gedanken über sich selbst
machen und darüber, wie sie auf die Studierenden wirken. Kompetenzorientierte
Evaluationsinstrumente erzeugen hingegen Rückmeldungen über den Kompetenzzuwachs
der Studierenden. Somit werden Lehrpersonen an ihre „neue“ Aufgabe, die Förderung von
fachlichen sowie überfachlichen Kompetenzen der Studierenden, gewöhnt. Außerdem erhöht
sich die Wahrscheinlichkeit, dass die zugrunde liegenden Konzepte über Lehren und Lernen
reflektiert werden. Der Auswertungsbericht einer kompetenzorientierten Lehrevaluation bietet
keine konkreten Hinweise darauf, wie der/die Lehrende die Lehre verbessern kann, sondern
ausschließlich, welche Kompetenzbereiche in den Augen der Studierenden gut oder weniger
gut gefördert wurden. Die Lehrenden müssen sich selbst Gedanken darüber machen, wie sie
die gewünschten Kompetenzzuwächse bei ihren Studierenden erreichen können, unter
Umständen auch mit welchem Lehrverhalten.
Allerdings ist die Änderung dieser zugrunde liegenden Konzepte ein langer und schwieriger
Weg. So haben Studien gezeigt (Postareff/Lindblom-Ylänne/Nevgi 2007; 2008), dass eine
Veränderung von Lehreinstellungen mit einem längerfristigen Prozess einhergeht. Ein erster
Schritt beinhaltet eine kritische Selbstreflexion, die sich in einer weniger positiven
Einschätzung der eigenen Lehreinstellung niederschlagen kann, aber langfristig zu einer
verbesserten Einschätzung der eigenen Lehre führt. Lehrevaluationen werden meistens als
Teil eines Qualitätssicherungssystems und als Personalentwicklungsmaßnahme verstanden.
Sie werden in den meisten Fällen regelmäßig durchgeführt. So haben kompetenzorientierte
Evaluationen das Potenzial, die Änderung der Lehrorientierung und der zugrunde liegenden
Konzepte langfristig zu stimulieren und so Anpassungen der eigenen Überzeugungen zu
ermöglichen.
Befragungen der Autor(inn)en zeigen, dass Lehrende sich tatsächlich unterschiedliche
Gedanken machen, je nachdem ob sie Rückmeldungen durch ein traditionelles oder ein
kompetenzorientiertes Evaluationsinstrument erhalten. Lehrende, die Auswertungen eines
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 265
traditionellen Fragebogens erhalten, antworten auf die Frage „Wie würden Sie Ihre
Lehrveranstaltung im nächsten Semester aufgrund der Rückmeldung verbessern?“
beispielsweise: „Ich müsste deutlicher sprechen“, „Ich muss mehr Themen präsentieren, für
die ich mich engagiere“ oder „Seminarpausen einfügen“. Diese Art von Antworten zeigt, dass
Lehrende sich vor allem Gedanken über sich selbst als Lehrperson und ihr Verhalten
machen. Auf die gleiche Frage antwortet eine Gruppe von Lehrenden, welche die
Auswertung eines kompetenzorientierten Fragebogens erhalten hat: „Ich könnte zu Beginn
des Semesters Themenfelder anbieten, von denen sich Studierende die aussuchen, die sie
am interessantesten finden, dieses in einer Gruppe erarbeiten und am Ende mittels eines
Diskurses im Plenum präsentieren“ und „Ich sollte mehr Rückmeldungen auf Referate
geben“. Hier wird deutlich, dass Lehrende sich vor allem Gedanken darüber machen, wie sie
Lernumgebungen gestalten können, um kompetenzfördernde Bedingungen zu schaffen.
Zusätzlich erwähnen Lehrende, die Ergebnisse einer kompetenzorientierten Evaluation
erhalten haben, wiederholt welche Kompetenzen und Bereiche sie fördern möchten. Das
zeigt, dass eine kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation die Erreichung der Ziele
des Bologna-Prozesses unterstützen kann, indem sie die Lehrenden mit der neudefinierten
Aufgabe vertraut macht: Der Förderung von studentischen Kompetenzen in fachlichen und
überfachlichen Bereichen.
Nicht nur die Lehrenden werden durch diese neue Art von Lehrveranstaltungsevaluationen
beeinflusst, sondern auch die Studierenden werden angeregt, ihre Verantwortung am
Kompetenzzuwachs zu sehen. Denn nicht nur die Lernumgebung ist für den Zuwachs
verantwortlich. So wird mittels Fragen wie “Ich habe meine Arbeitstechniken durch den
Besuch dieser Lehrveranstaltung verbessert“ oder „Ich kann aufgrund dieser Lehr-
veranstaltung die Qualität von Fachartikeln zum Thema besser beurteilen“ (vgl. Braun 2008)
der Fokus auch auf den eigenen Lernprozess gelenkt.
3.3.2. Überprüfung von Kompetenzzielen
Mit Einführung von gestuften Studiengängen soll für alle Module ausformuliert werden,
welche Kompetenzen die teilnehmenden Studierenden erwerben sollen. Mithilfe einer
kompetenzorientierten Lehrveranstaltungsevaluation können die formulierten Kompetenz-
ziele auf Lehrveranstaltungsebene überprüft werden.
3.3.3. Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation als Teil einer
umfassenden Strategie
Biggs und Tang (2007) formulieren in ihrem Konzept des „Constructive Alignment“, dass alle
Aspekte von Lehrveranstaltungen, also Curricula, Lernziele, Prüfungen und didaktische Maß-
nahmen, aufeinander abgestimmt sein müssen, um studentischen Lernerfolg zu erzielen. In
dieses Konzept kann auch die kompetenzorientierte Lehrevaluation eingefügt werden. Wenn
in einem Curriculum bestimmte Lernziele formuliert sind, können diese mithilfe einer
Lehrveranstaltungsevaluation überprüft werden. Dieses Vorgehen müsste nach Biggs und
Tang (2007) dazu führen, dass Lehrende und Studierende ihr Handeln an den abgefragten
Kompetenzen ausrichten. Auch so kann die kompetenzorientierte Lehrveranstaltungs-
evaluation als Instrument der Gestaltung von Lehrveranstaltungen und Studiengängen
eingesetzt werden.
Seite 266 | Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsevaluation
4. Ausblick
In diesem Beitrag wurde dargelegt, dass der Einsatz einer kompetenzorientierten
Lehrveranstaltungsevaluation die Erreichung der Ziele der Bologna-Reform unterstützen
kann. Erstens kann eine kompetenzorientierte Evaluation die Kompetenzorientierung in
Lehre und Lernen fördern. Die Lehrenden werden mithilfe der Auswertung aus einer
kompetenzorientierten Lehrveranstaltungsevaluation dazu angehalten darüber nachzu-
denken, wie sie die studentischen Kompetenzen durch ihre Lehre fördern können. Zweitens
lassen sich anhand der Ergebnisse Kompetenzziele, die auf verschiedenen Ebenen
formuliert wurden, überprüfen.
Wirkung und Zusammenhänge kompetenzorientierter Evaluationen gilt es nun weiter
empirisch zu überprüfen, um die Qualität der Lehre und des Lernens zu steigern.
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Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 271
Qualitätssteuerung und hochschuldidaktische Kompetenzentwicklung
Matthias Heiner
Abstract
Lehrkompetenz und hochschuldidaktische Kompetenz sind nicht in Eins zu setzen. In
unüberschaubarer, schwer abzuschätzender Mehrheit wird Lehrkompetenz an Universitäten
ohne hochschuldidaktische Reflexion entwickelt. Untersuchungen im BMBF-Forschungs-
projekt ProfiLe zeigen zwar eine beachtliche Kompetenzentwicklung von Lehrenden in ihrer
Lehrtätigkeit sowie in selbstverantworteter und fachwissenschaftlicher Reflexion, aber auch
eine markante Unterstrukturierung in kompetenzorientierter Reflexion, Flexibilisierung von
Lehrkonzepten, differenzierter Urteilsfähigkeit, Diversifikation und Innovation des
Lehrhandelns ist beobachtbar. Eine zeitgemäße und innovative Lehrkompetenzentwicklung
bleibt prekär, der Wirkungszusammenhang von Lehren und Lehren-Lernen hochgradig
komplex. Aber auch ein Gelingen hochschuldidaktischer Weiterbildung im angezeigten Sinn
ist nicht selbstverständlich und insbesondere die Verschränkung weiterbildungsgesteuerter
und informeller Kompetenzentwicklung bleibt ein Problem. Die Hochschuldidaktik in Deutsch-
land hat in den letzten Jahren parallel und begleitend zur Bologna-Reform ihr Programm der
Weiterbildung entwickelt und damit ein für die Qualität von Lehren und Studieren dringendes
Desideratum kompetenzorientierten und studierzentrierten Lehrens strukturiert. Parallel zur
zweiten Welle der Bologna-Reform bedarf es einer Qualitätsentwicklung des Lehrens und
Studierens, die die Professionalisierung von Lehrkompetenz aktualisiert und die
diversifizierten Strategien ihrer Entwicklung mit den Zielen der veränderten Universität
verbindet. Der Beitrag gibt Hinweise auf den Kontext, geeignete Felder und Instrumente.
1. Lehrkompetenz – Referenzen für ein Kompetenzmodell
1.1. Pointierung des Forschungskonzepts von ProfiLe an der TU Dortmund
Das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt ProfiLe (Heiner/Wildt 2009) setzt sich mit
einer theoretisch eigenen, empirisch unterfütterten, Rekonstruktion von Lehrkompetenz
kritisch gegenüber apriorischen (Webler 2004), praxeologisch orientierten (zusammen-
fassend: Brendel et al. 2006) oder systematisch (Viebahn 2004) abgeleiteten Kompetenz-
konstruktionen ab. Es hat sich projektbezogen ein Rahmenmodell im Anschluss an die
paradigmatisch gewordene Ausrichtung der Kompetenzdiskussion in der psychologischen
und pädagogischen Bildungsforschung (Horvath/Schaper 2008) erarbeitet und pointiert in
seinem Dortmunder Teilprojekt einen Forschungsansatz, der die Suche nach Referenzen für
ein Modell von Kompetenzentwicklung in der Lehre, das vor allem im Hinblick auf Interaktion,
didaktisches Handeln, Professionalisierung und Professionsentwicklung reich ist. In diesem
Zusammenhang werden die Berufsbildungsforschung (zusammenfassend Franke 2005) und
sozialwissenschaftliche Kompetenzdiskussion (Kurtz/Pfadenhauer 2009) mit reflektiert.
Das Dortmunder Teilprojekt versucht, die psychologisch-pädagogisch orientierte Kompetenz-
debatte um sozialkulturelle Dimensionen zu bereichern, indem es in seiner Konstruktion von
Lehrkompetenz vor allem die folgenden Aspekte fokussiert:
Seite 272 | Qualitätssteuerung und hochschuldidaktische Kompetenzentwicklung
1. die Reflexion auf didaktische Kompetenz:
Materialität der Interaktion und Kommunikation – Didaktik
2. die Reflexion auf individuelle Professionalisierung
Materialität der professionellen Entwicklung – Personalentwicklung
3. die Reflexion mit Bezug auf Professionsentwicklung
Materialität der sozialen Zuständigkeit – Personal- und Organisationsentwicklung
Das Forschungsprojekt an der TU Dortmund begeht den Weg einer Methoden-Triangulation,
welche die Analyse von Konzeption und Programmatik hochschuldidaktischer Weiterbildung,
die Entwicklungs- und Reflexionsarbeiten von Teilnehmenden dieser Weiterbildung und die
Analyse von 21 Interviews von Lehrenden miteinander verschränkt. Die Interviews sind nach
Disziplinen, Status, Kompetenzbiografien (der Hochschuldidaktik nah und fern, Lehrpreis
gekürt und nicht gekürt, mit und ohne eigener Lehr-Lern-Forschung) und Geschlecht,
stratifiziert, narrativ biografisch angelegt sowie durch Impulse, Leitfragen und Reflexion von
„kritischen Situationen“ nachgesteuert.
Die Analyse stellt sich vor allem den folgenden Fragen:
Wie gestaltet sich die Professionalisierung hochschuldidaktischer Kompetenz unter
gegebenen personalen, institutionellen und strukturellen Bedingungen?
Welche Kompetenzbiografien und Entwicklungsstrategien lassen sich beobachten
und unterscheiden?
Wie verlaufen Prozesse der Professionalisierung in der Lehre in formeller
hochschuldidaktischer Weiterbildung und in informeller Kompetenzentwicklung?
Welche Rückschlüsse ergeben sich für einen Ansatz von Qualitätssteuerung in
einem komplexen Wirkungszusammenhang?
Welche Konsequenzen ergeben sich für ausgewiesene Konzepte der Professionali-
sierung von Lehrkompetenz oder hochschuldidaktischer Kompetenz?
Welche Konsequenzen ergeben sich für ein Konzept der Qualitätsentwicklung und
Qualitätssteuerung?
1.2. Entwicklung von Lehrkompetenz im Kontext hochschuldidaktischer Weiterbildung
Lehrende leisten derzeit vor allem in fachlicher Perspektive Beachtliches selbstverantwortet
und selbstsorgend. Nach wie vor wird Lehrkompetenz an Universitäten zunächst und vor
allem fachbezogen entwickelt, in der Regel ohne die Teilnahme an hochschuldidaktischer
Weiterbildung – verwissenschaftlichte Reflexion des Lehrens, Hochschuldidaktik oder fach-
bezogene Didaktik, sind nur ein Teil der Kompetenzentwicklung von Lehrenden und im
Umfang zudem nicht überschaubar. Lehrkompetenzentwicklung leidet an ihrer didaktischen
Professionalisierung und wissenschaftlichen Unterfütterung.
Zugleich hat die hochschuldidaktische Weiterbildung Aufwind und die Nachfrage nach –
insbesondere fachbezogenen – didaktischen Konzepten hat zugenommen. Die Hochschul-
didaktik in Deutschland trägt dem Rechnung, sie hat in den letzten Jahren parallel und
begleitend zur Bologna-Reform ihr Programm der Weiterbildung entwickelt und modularisiert
und damit die Möglichkeit der Orientierung auf ein kompetenzorientiertes und studien-
zentriertes Lehren – ein dringendes Desideratum für die verbesserte Qualität von wissen-
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 273
schaftsorientiertem Lehren und Studieren – geschaffen. Aber auch ein Gelingen hochschul-
didaktischer Weiterbildung im angezeigten Sinn ist nicht selbstverständlich und die
Verschränkung durch Weiterbildung formeller und Selbstsorgen informeller Kompetenzent-
wicklung bleibt weiter ein Problem.
Die hochschuldidaktische Weiterbildung ist kompetenzorientiert strukturiert, modularisiert
und mit einem Zertifikat versehen. Sie präferiert lern- und studierbezogene Lehrkompetenz.
Die Community ist weitgehend auf Weiterbildungsmanagement ausgelegt, als wissenschaft-
liche Domäne unterstrukturiert. Neue Akteurinnen und Akteure (aus Fachdomänen) treten
ins Feld von Forschung und Weiterbildung.
1.3. Informelle oder autonome Entwicklung von Lehrkompetenz
In den Untersuchungen des BMBF-Projekts ProfiLe wird eine Kompetenzentwicklung in der
Lehre sichtbar, die den gesamten Wirkungszusammenhang von Entwicklungsbiografien,
Strategien des Kompetenzerwerbs, Konzeptualisierung und wissenschaftlicher Reflexion,
Diversität von Lehrhandeln in sich einschließt.
Das Forschungsprojekt beansprucht, alle Bereiche des Konstruktionszusammenhangs von
Kompetenzentwicklung in der Lehre zu umfassen. Dabei zeigen sich eine beachtliche
Kompetenz in selbstsorgender und selbstverantworteter Reflexion z.T. in Kombination mit
eigener Lehr-Lern-Forschung, aber auch eine markante Unterstrukturierung in kompetenz-
orientierter Reflexion, Flexibilisierung und Innovation von Lehrkonzepten sowie der
Diversifikation von Lehrhandeln.
Sie entwickelt sich vorrangig autonom, selbstgesteuert, selbstverantwortet und
selbstreflexiv.
Sie entwickelt sich hochgradig differenziell.
Elaborierte Kompetenz ist vor allem fachbezogen und in didaktischer Hinsicht unter-
strukturiert.
Lehrkompetenz entwickelt sich unterhalb ihrer Möglichkeiten einer
wissenschaftlichen Reflexion.
Selbstgesteuerte Lehrkompetenzentwicklung leidet an einem eklatanten Mangel an
verwissenschaftlichter Kommunikation.
1.4. Erste Ergebnisse
1. Lehrkompetenz entfaltet sich in einer Mischung von informellen und formellen
Prozessen.
2. Man findet Hinweise für eine Typisierung von Kompetenzentwicklung (horizontale
Typisierung) als eine insgesamt aber eher durchlässige Strukturierung und
für eine Typisierung von Kompetenztypen (vertikale Typisierung) als eine
durchlässige Strukturierung.
3. Lehrkompetenz ist am besten zu verstehen als rhizomatische Struktur von Knoten
und Kanten.
Seite 274 | Qualitätssteuerung und hochschuldidaktische Kompetenzentwicklung
4. Konzept- und Verhaltensänderungen können insbesondere in den ersten beiden
Phasen von Konzeptmotivation und Konzeptformung festgestellt werden, spätere
Phasen erfordern einen neuen Approach.
5. Zu Beginn der Karriere ist die Mehrheit der Lehrenden fach-/inhaltsorientiert, in einer
trivialen Weise studierendenorientiert, ohne die Berührung mit
hochschuldidaktischer Weiterbildung und arm in Bezug auf das Arsenal von Lehr-/
Lernszenarien, Medien und Methoden.
6. Man kann einen Impact von hochschuldidaktischen Weiterbildungsprogrammen in
Bezug auf Konzept- und Verhaltensänderung feststellen, wenn diese Programme
sich auf differenzielle Strukturen und Entwicklungen von Kompetenz einstellen.
7. Fachlich orientierte oder begründete Lehrkonzepte werden durch das
Wissenschaftssystem strukturell befördert (Forschungsorientierung und
Forschungsqualifikation).
8. Hochschuldidaktische Weiterbildung kann Kompetenzentwicklung in der Lehre
besonders dann befördern, wenn sie sich auf den fachbezogenen didaktischen
Bedarf einlässt und an fachbezogenen Inhalten orientiert.
9. Lehrkompetenz, die – informell oder formell – lern- und studierbezogen
professionalisiert wird, kann durch hochschuldidaktische Weiterbildung strukturiert
und in dieser Perspektive verstärkt werden.
10. Positive Effekte im Sinn eines „Shift“ zum lern- und lernendenorientierten
Lehrverhaltens können besonders dann beobachtet werden, wenn Selbstreflexion
unterstützt wird (Beratung, Supervision, Coaching).
11. Man findet insbesondere Hinweise für die Entwicklung und Verbesserung von
Lehrkompetenz mit Bezug auf Lernen und Lernende, wenn ein konstruktives
Ausrichten in Bezug auf alle Aspekte zu beobachten ist und wenn
Kompetenzentwicklung in eine homogene Lehr- und Lernkultur eingebettet ist oder
mit ihrer umfassenden Erneuerung einhergeht.
Selbstrefereztialität der Reflexion, didaktische Unterstrukturierung und wissenschaftliches
Kommunikationsdefizit verlangen den Zugriff einer verbindenden Qualitätsentwicklung, um
nicht ausgeschöpfte Potenziale zu entfalten.
2. Kompetenzmodellierung – das Konstruktionsschema
Das Projekt ProfiLe hat projektübergreifend im Anschluss an die psychologische und
erziehungswissenschaftliche Kompetenzdiskussion ein Rahmenmodell für die Kompetenz-
modellierung von Lehrkompetenz zugrunde gelegt, das eine Schichtung in drei Ebenen
vornimmt:
Ebene der Konzepte: „Beliefs“, Normen, Epistemologien, Theorien
Damit ist die Ebene von Lehrkonzepten in ihren unterschiedlichen Konstruktionsformaten im
Spannungsfeld von „Beliefs“ normativer bis differenziell theoretischer Unterfütterung ange-
sprochen.
Ebene der Kompetenzdimensionen: Wissen, Handeln, Performanz
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 275
Damit sind Kompetenzkonstrukte auf hoher Abstraktionsebene in der allgemeinen und
beruflichen bildungswissenschaftlichen Diskussion dimensioniert.
Ebene der Kompetenzanforderungen: Lehren und Lernen, Prüfen, Beraten,
Evaluieren, Innovieren, Professionsentwicklung: individuell, sozialkulturell,
institutionell
Mit dieser Ebene sind die Anforderungen aus der Praxis als Referenzpunkte der
Kompetenzkonstrukte benannt, die insbesondere um die Dimensionen der Verantwortung
und Zuständigkeit, in individueller, sozialkultureller und institutioneller Sicht angereichert, aus
der Professionalisierungsperspektive zu sehen sind.
Sie sind die Basis für ein Rahmenmodell von übergreifender formeller und informeller,
selbstsorgender und institutionell verantworteter Lehrkompetenzentwicklung.
2.1. Rhizomatische Strukturierung von Lehrkompetenzentwicklung
Die Auswertung der 21 Interviews mit Lehrenden im Teilprojekt in Dortmund legt im ersten
Approach – wenn alle beobachteten Entwicklungsoptionen von informellen und formellen
Prozessen einbezogen sind, einen Abschied von Annahmen vorgängiger Arbeiten über
Lehrkompetenzentwicklung nahe: Lehrkompetenzentwicklung lässt sich verallgemeinert nicht
als Lernprozess mit linearer Entwicklung (Kember 1997), nicht als Progression (Stes 2009),
bestenfalls im Kontext hochschuldidaktischer Weiterbildung als Shift (Wildt 2004) von
Konzept zu Konzept („from teaching to learning“, instruktionsorientiert zu lernorientiert usw.)
beschreiben. Als Beschreibungsmodell erscheint ein Strukturierungsbild von Rhizom
geeignet, das Knoten oder Ecken als Referenzpunkte und Bögen und Kanten als
unidirektional oder bidirektional gerichtete Verbindungen in mehrdimensionaler Perspektive
von Schichtungen und Anschlüssen aufweist. Vorgängige Strukturvorstellungen sind eher
Bilder wie Schwämme, Wurzelgebilde oder Netze. Es zeigt sich, dass der Begriff „Struktur“
eher eine problematische Wahl ist und „Strukturierung“ besser auf eine offene und
dynamische Referenzierung und Entwicklungsoperationen verweist, die dafür vor allem ein
Beschreibungspotenzial für eine strukturstarke Modellierung bereitstellt. Zwei Systeme
solcher Referenzpunkte sollen aus den Modellierungen an selbstbeobachtenden und -
beschreibenden Kompetenzbiografien von Lehrenden an dieser Stelle vorgestellt werden.
2.2. Kompetenztypen – vertikale Profile
Begreift man die Selbstbeschreibungen als Verdichtungen in vertikaler Perspektive,
Abstraktionen reduziert um den Zeithorizont, lassen sich die folgenden Typisierungen
vornehmen:
Charismatische Fachwissenschaftler(innen): Motivation epistemologisch fundiert mit
einer Karriere als Fachwissenschaftler(in), die/der Konzeptbestätigung sucht, in kritischen
Situationen idiosynkratisch mit einer Lehrkonzeptorientierung an Meisterkursen, einem
sokratischen Lehrverhalten und autodidaktischer Kompetenzerwerbsbiografie reagiert.
Akademische Professionals: Motivation epistemologischer Emphase mit einer Karriere als
akademischer Professional, an Konsolidierung orientiert, Konzept aus Profession
gewinnend, korporiertes Verhalten, Lehr-Konzept Projektlernen, Lehrverhalten an Projekt-
leitung orientiert und habitualisiert.
Seite 276 | Qualitätssteuerung und hochschuldidaktische Kompetenzentwicklung
Reflexive Lehrende: Motivation am Lernen orientiert, Karriere in der Lehrsozialisation,
Konzeptbestätigung suchend, Wandlungspotenzial in kritischen Situationen, Lehr-Konzept:
Referate – Seminar, Projekte, Lehrverhalten instruktive Moderation, autodidaktisch, reflexiv.
Habitualisierte Lerncoaches: Lernorientierte Konzepte, Karriere fachliche
Lehrsozialisation, an Konsolidierung und Konzeptübertrag orientiert, organisiert-entwickelnd,
Lehr-Konzept Projektlernen, forschendes Lehrverhalten und coachingorientiert,
Kompetenzentwicklung informell und formell hochschuldidaktisch.
Entwickelnde Lerncoaches: Motivation an Lernen orientiert, Karriere hochschuldidaktische
Lehrsozialisation, Konsolidierung in der forschenden Konzeptentwicklung, Arsenal von
Konzepten, refelexiv-forschend, Kompetenzentwicklung informell und formell hochschul-
didaktisch.
Diese Typologie ist nicht als Vorfindbarkeit von (Ideal-) Typen vorzustellen, sondern als
Verdichtungen zu Typen, an denen sich Beobachtungen und Beschreibungen orientieren
können. Dies macht insbesondere Sinn etwa in der Perspektive hochschuldidaktischer
Weiterbildung für Kompetenzentwicklung gestaltende Szenarien.
2.3. Kompetenztypen – horizontale Entwicklungstypen
Begreift man die Selbstbeschreibungen als Verdichtungen in horizontaler Perspektive,
Abstraktionen bezogen besonders auf den Zeithorizont, lassen sich die folgenden
Typisierungen denken:
Konzeptmotivation: Orientierung an „Beliefs“ aus Studienerfahrungen, Motivationsphase
und Konzeptuelle Konstitutionsphase, Innovative Phantasien.
Konzeptbildung: vorgängig Lehrerfahrungen als Lehreinsteiger(in), Experimentierphase,
Change der Motivation, konzeptuelle Konstitutionsphase mit Rollenfindung, Bereitschaft zu
innovativen Experimenten.
Konzeptbestätigung: vorgängig eigene Lehrerfahrung, Professionalisierung, Konstruktions-
phase, Konzeptfestigung, Rollenbestätigung und Habitualisierung, Umsetzung in innovative
Konzepte.
Konzeptstratifizierung: „Vererbung“ von Konzepten, Umsetzung von Lehrerfahrungen in
Profession, Konzeptfestigung und Konzeptdifferenzierung, Rollenfestigung und Habituali-
sierung, Stratifizierung der Lehrkonzepte.
Konzeptentwicklung: Konzeptumsetzung und Management in Konzept – Personal –
Organisation, Arbeitsteilung in Teams über Mitarbeitende, Tutor(inn)en, Entwicklungsphase
und Konzeptdisposition, Dispositionierung von Rollen und Habitus, innovative Entwicklung in
verallgemeinernder Perspektive.
Auch diese Typologie ist nicht als Vorfinden vorzustellen, sondern als Verdichtungen der die
Kompetenzentwicklung gestaltenden Elemente.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 277
3. Übergreifende Qualitätssteuerung von Lehrkompetenzentwicklung
3.1. Qualitätssteuerung und Konstruktionszusammenhang der Lehrkompetenzentwicklung
Eine übergreifende Qualitätsentwicklung hätte sich unter gegebenen personalen,
institutionellen und strukturellen Bedingungen unbedingt auf den gesamten Konstruktions-
zusammenhang der Lehrkompetenzentwicklung, unterschiedliche Kompetenzbiografien und
Entwicklungsstrategien, selbstgesteuert und auf Weiterbildung bezogen, sowie auf die
analysierten Referenzpunkte im Strukturierungskontext beziehen müssen.
Sie muss mit Bezug auf die wissenschaftliche Autonomie der Akteurinnen und Akteure und
die Heterogenität in der Professionalisierung zudem
auf ein „constructive alignment“ in der lehrkompetenzbiografischen Entwicklung
wissenschaftlicher Karrieren bauen,
Differenzen in der Konstruktion von Lehrkompetenz berücksichtigen,
Kontextsteuerung im Feld hochgradig autonomer Expert(inn)en und institutioneller
Akteurinnen und Akteure sein,
ein Tuningprozess im Einklang mit akademischer Personalentwicklung in einem
heterogenen Feld werden.
Die hochschuldidaktische Weiterbildung hat in Deutschland erheblich an Umfang
zugenommen, die Nachfrage ist gestiegen, das Angebot ist gewachsen und modularisiert,
die Verteilung über das Land hat zugenommen, hochschuldidaktische Einrichtungen oder
Managementstellen sind hinzugekommen. Die Weiterbildung ist auf dem Weg der
Standardisierung der Themen, Inhalte, Veranstaltungs-, Coaching- und Beratungsformate,
der Modularisierung der Ausbildung und ihrer Zertifizierung. Nach dem ersten Schub eines
Abstimmungsprozesses unter der Ägide des Berufsverbandes der Hochschuldidaktik,
„Arbeitskreis Hochschuldidaktik“ (AHD) und weiterer Anstöße aus der Nachfolgeorganisation
„Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidaktik“ (dghd), insbesondere auch durch die
strukturierten Akkreditierungsverfahren von Weiterbildungsveranstaltungen der
„Akkreditierungskommission“ (AKKO), aber auch durch informelle Kommunikation auf
Tagungen, wie die der dghd und der „Dortmund Spring School“ (DOSS), und nicht zuletzt
durch förmliche Abstimmungsprozesse in den regionalen und bundesdeutschen Netzwerken
der Hochschuldidaktik stellen sich nunmehr auch Fragen nach einer erweiterten
Qualitätssteuerung in der hochschuldidaktischen Weiterbildung. Im Mittelpunkt stehen dabei
die Abstimmung von Qualitätsstandards in der Veranstaltungsevaluation, die Rekrutierung
von Dozent(inn)en, eine auf Kompetenzerwerb orientierte Weiterbildung, die Durchwirkung
dieser Weiterbildungsveranstaltungen nach Adressatendifferenzierung, die Differenzierung
von Lehrkonzepten und Lehrszenarien, fachbezogene didaktische Konzepte und die
Beschreibung entsprechender „Learning Outcomes“, lesbare und beobachtbare Kompetenz-
entwicklungen, die den Bogen von Lehrkonzepte über Lehrhandeln, Lehr-/Studierszenarien,
Studieren und Studienerfolge spannt und in seinen Phasen und Bezugspunkten bearbeitbar
machen.
Seite 278 | Qualitätssteuerung und hochschuldidaktische Kompetenzentwicklung
3.2. Konzept der Qualitätsentwicklung in hochschuldidaktischer Weiterbildung
Im Fokus der weiterbildungsgesteuerten und -affizierten Lehrkompetenzentwicklung der
Hochschuldidaktik stehen verbreitet und in schwach standardisierter Form vor allem
Datenreports über das Veranstaltungsangebot der hochschuldidaktischen
Einrichtungen, teilstandardisiert;
Veranstaltungsevaluation über Feedbackfragebögen;
Bedarfserhebung u.U. verteilt, teilstandardisiert;
Qualitätsmanagement von Dozent(inn)en;
Portfolios von Teilnehmenden hochschuldidaktischer Weiterbildung;
Dokumentation der innovativen Projekte und qualitativ ausgewiesener Abschluss-
arbeiten des Modul III;
Veranstaltungsevaluation in der Lehre vor und nach hochschuldidaktischer Weiter-
bildung;
Auslobung und Dokumentation von Hochschuldidaktik- und Lehrpreisen.
Im Projekt ProfiLe werden umfassend die gängigen Praxen der hochschuldidaktischen
Einrichtungen erhoben und dokumentiert. Es ließen sich weitere Entwicklungsgelegenheiten
insbesondere unter qualitativen und die formelle Kompetenzentwicklung integrierenden
Aspekten in Vereinbarkeit mit der hochschuldidaktischen Weiterbildung denken, wenn man
Qualitätssteuerung als Kontextsteuerung und Tuningprozess in einem multipel strukturierten
Feld anlegte.
Für eine valide Qualität und reproduzierbare Aussagekraft müssen Daten sowohl für
quantitativ en als auch qualitativen Zugang regelmäßig erhoben werden, standardisiert oder
teilstandardisiert sein.
Die institutionalisierte Hochschuldidaktik ist regional, lokal und bezogen auf die jeweilige
Universität hochgradig autonom und in ihrer Organisationform unterschiedlich aufgestellt. Die
Einrichtungen und Netzwerke arbeiten nicht auf dem gleichen Stand, haben unterschiedliche
Schwerpunkte und jeweils auch Expertise in diesen Schwerpunkten entwickelt. Regionale
Netzwerktreffen und ein bundesweites Netzwerk der Hochschuldidaktik kommunizieren über
diese Themen und versuchen mindestens seit zwei Jahren in Netzwerketreffen und
nationalen Arbeitsgruppen verstärkt eine Abstimmung und zumindest eine Teilstandardi-
sierung herbeizuführen.
Ein Input aus der Forschung in den Prozess der Entwicklung von Standards in der hoch-
schuldidaktischen Weiterbildungslandschaft ist gewünscht und auch notwendig – trotzdem
ein nicht ganz einfaches Unterfangen angesichts der in den Ländern unterschiedlichen
kulturhoheitlichen Bezugssysteme, ihrer örtlichen institutionellen Einbindung, heterogenen
Bedingungen und meist knappen Ressourcen in den Weiterbildungseinrichtungen.
Abstimmung der Weiterbildungsprogramme auf formelle und informelle Kompetenz-
entwicklung
Diversifizierung von Erfassungsinstrumenten
Tuning der Konstruktions- und Erfassungsprozesse
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 279
Die hochschuldidaktischen Einrichtungen und Netzwerke sind als Institutionen und
Organisationen präsent und damit als Agenturen für die Qualitätsentwicklung der
Lehrkompetenz anzusprechen und vorrangig als erste Adressat(inn)en in eine Qualitäts-
entwicklung einzubeziehen.
3.3. Qualitätssteuerung – die Handlungsebenen
Als Teil eines umfassenden Konzepts ist ein kooperativer, vernetzter Prozess von
Qualitätssteuerung in einer Art Tuningkonzept Erfolg versprechend, der entlang von in der
Community elaborierten Standards die Entwicklung von Lehrkompetenz in der Perspektive
von Professionalisierung und Professionsentwicklung voranbringt. In der hochschul-
didaktischen Community der Weiterbildungseinrichtungen und ihrer Mitarbeitenden wird in
den jüngeren Netzwerkveranstaltungen dieser Prozess angestoßen und die folgenden
Punkte diskutiert und bearbeitet:
Bezugnahmen der Konstruktion von Kompetenzentwicklung
Standards der Konstruktions- und Erfassungsprozesse
Diversifizierung von Erfassungsinstrumenten
Abstimmung der Weiterbildungsprogramme auf formelle und informelle Kompetenz-
entwicklung
Anreizsysteme für die Kompetenzentwicklung
Qualitätsentwicklung der Weiterbildungsangebote
Qualitätsentwicklung der Weiterbildner(innen)
Verwissenschaftlichung der Kompetenzentwicklung
Auslegung auf Professionalisierung und Professionsentwicklung
Es ließen sich weitere Entwicklungsgelegenheiten, insbesondere unter qualitativen und die
formelle, selbstverantwortete Kompetenzentwicklung integrierenden Aspekten in Vereinbar-
keit mit der hochschuldidaktischen Weiterbildung, denken, wenn man Qualitätssteuerung als
Kontextsteuerung und Tuningprozess in diesem multipel strukturierten Feld anlegte.
Fragen nach der Beobachtbarkeit von Entwicklungen, der Lesbarkeit von Wirkungen und
Erfolgen drängt sich auf. Die Forschung in Deutschland verdichtet zwar mit einem Zuwachs
an Forschungsprojekten im Rahmen der nationalen Förderung des BMBF inzwischen die
Bezugspunkte im Wirkungszusammenhang der Lehrkompetenzentwicklung (Jahnke/Wildt
2010), beschreibt aber zugleich Lehrstellen, die vor allem ein „Gap“ in der Beobachtbarkeit
über die Wirkung von Kompetenzentwicklung, insbesondere der Wirkung von Weiterbildung
reklamieren – wie übrigens auch im internationalen Forschungskontext (Stes 2008). Was
bewirkt Kompetenzentwicklung tatsächlich, was kommt bei den Studierenden an und erzeugt
Reflexe in Studierstrategien, Studierhandeln und Studienerfolgen? Was kann man damit
über ihre Bedeutung und ihre Qualitätsentwicklung wissenschaftlich fundiert und
forschungsbasiert evident über alle Bereiche der Lehrkompetenzentwicklung hinweg
aussagen?
Seite 280 | Qualitätssteuerung und hochschuldidaktische Kompetenzentwicklung
3.4. Qualitätssteuerung als Kontextsteuerung und Tuningprozess im Feld autonomer Akteurinnen und Akteure
Autonomie, Kommunikationsdefizit und Strukturarmut erschweren den Zugang für eine
Entwicklungsperspektive und ihre Qualitätssteuerung. Dennoch ist eine Qualitätsentwicklung
denkbar und möglich.
Der beschriebene Wirkungszusammenhang ist vielgestaltig, Lehrkompetenzentwicklung
oszilliert zwischen weiterbildungsgesteuert, weiterbildungsaffiziert und selbstgesteuert, vor
allem, wenn man die informelle, selbstgesteuerte und verantwortete Kompetenzentwicklung
von Lehrenden mit einbezieht.
In einem multipel strukturierten Feld autonomer Akteurinnen und Akteure ist Qualitäts-
steuerung über die Steuerung des Kontextes und als Tuningprozess zwischen den
Akteur(inn)en anzulegen.
Reduktion der Pfadabhängigkeit von Lehrkompetenzentwicklung
Abstimmung der Weiterbildungsprogramme auf Integration von formeller und
informeller Kompetenzentwicklung
Diversifizierung von Erfassungsinstrumenten
Tuning der Konstruktions- und Erfassungsprozesse
Es bieten sich übergreifend eine Reihe von unterschiedlichen Gelegenheiten für die
Erhebung von Daten, für die Beobachtung und Bewertung, für die Reflexion und Entwicklung
an – insgesamt eine Chance für die Entwicklung von mehr Qualität.
Im beobachteten Feld der Lehrkompetenzentwicklung im übergreifenden Sinne zeigen sich
als markante Objekte für die Qualitätsentwicklung die folgenden Erfassungsinstrumente:
Hospitation – kollegiale Intervision (Supervision – Coaching)
Portfolios – Selbstreflexion
Entwicklungsprojekte in der Lehre
wissenschaftliche Kommunikation in Handbüchern, Fachzeitschriften, Buchpublika-
tionen und Internetpublikationen
Veranstaltungsevaluation von Lehrveranstaltungen der Lehrenden
Erfassung und Dokumentation von Hochschuldidaktik-Preisen und Lehrpreisen von
Stiftungen, Ländern, Universitäten oder Studierendenorganisationen
Erfassung von „Studierenden-Engagement“ in studentischen Selbstverwaltungen,
Tutorien, internationalen Beziehungen
Ausbau und Strukturierung anderer Anreizinstrumente wie die gezielte Förderung
des Lehrumfeldes an den Universitäten in der dritten Sphäre der Institution wie
Bibliotheken, Medienzentren, Karriereberatungsstellen, Studienberatungsstellen,
Hilfskrafttätigkeit in der Forschung, internationale Studien usw.
Qualitätsentwicklung und -steuerung | Seite 281
4. Erste Hinweise auf Qualitätsentwicklung der Lehrkompetenz
Der Wirkungszusammenhang zeitgemäßer und innovativer Lehrkompetenzentwicklung ist
komplex und damit hochgradig prekär für eine Qualitätssteuerung, die akademische
Personalentwicklung auf dem Gebiet der Lehre und des Studiums an den Bologna-Zielen
ausrichtet.
Damit wird auch deutlich, dass eine Qualitätssteuerung der Lehrkompetenzentwicklung
insbesondere von hochgradig autonomen Akteur(inn)en in der Institution Universität nach
einem angepassten Konzept verlangt, das mit „Kontextsteuerung“ Struktur bildet und mit
einem „Tuningkonzept“ lenkt und die Personalentwicklung und Professionalisierung von
Lehrkompetenz als wissenschaftlicher Kompetenz auf personaler und organisationaler
Ebene dynamisch verschränkt. Der Beitrag gibt Hinweise auf den Kontext, geeignete Felder
und Instrumente.
Parallel zur zweiten Welle der Bologna-Reform, die sich vor allem um kompetenzorientierte
Strukturierung und geeignete, wissenschaftsbezogene Studierszenarien bemühen muss,
bedarf es eines Prozesses, der die Professionalisierung von Lehrkompetenz aktualisiert und
die diversifizierten Strategien ihrer Entwicklung mit den Zielen der veränderten Universität
verbindet.
Literatur
Brendel, S./Eggensperger, P./Glathe, A. (2006): Das Kompetenzprofil von
HochschullehrerInnen – eine Analyse des Bedarfs aus Sicht von Lehrenden und
Veranstaltenden. In: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, ZHE, Heft 2/2006.
Franke, Guido (2005): Facetten der Kompetenzentwicklung. Bielefeld.
Heiner, M./Wildt, J. (2009): Professionalisierung von Lehrkompetenz an Universitäten – vom
Schattendasein zur Referenz für Exzellenz? In: Journal Hochschuldidaktik, Heft 1, S. 17-
20.
Jahnke, I./Wildt, J. (2010a): Konturen und Strukturen hochschuldidaktischer
Hochschulforschung – ein Rahmenmodell, Editorial. In: Journal Hochschuldidaktik, 21.
Jg., Nr. 1.
Jahnke, I./Wildt, J. (Hg.) (2010b): Editorial: Fachbezogene und fachübergreifende
Hochschuldidaktik – voneinander lernen. Special Issue der ZFHE, Online-Zeitschrift für
Hochschulentwicklung. Jahrgang 5, Heft 2 und Heft 3, S. 1-6.
Kember, D. (1997): A Reconceptualisation of the Research into University Academics'
Conceptions of Teaching. In: Learning and Instruction 7, Nr. 3, S. 255-275.
Kurtz, T./Pfadenhauer, M. (Hg.) (2009): Soziologie der Kompetenz. Wissen, Kommunikation
und Gesellschaft. 1. Aufl. S.l.
Schaper, N./Horvath, E. (2008): Entwicklung und Überprüfung eines Modells für
eLehrkompetenz. In: Hambach, S./Martens, A./Urban, B. (Hg.): e-Learning Baltics 2008.
Stes, A. (2009): The Impact of Instructional Development in Higher Education: Effects on
Teachers and Students. Promotion.
Seite 282 | Qualitätssteuerung und hochschuldidaktische Kompetenzentwicklung
Viebahn, P. (2004): Hochschullehrerpsychologie. Theorie- und empiriebasierte
Praxisanregungen für die Hochschullehre. Bielefeld.
Webler, W.-D. (2004): Lehrkompetenz – über eine komplexe Kombination aus Wissen, Ethik,
Handlungsfähigkeit und Praxisentwicklung, S. 53-83.
Wildt, J. (2003): Überlegungen zu einem gestuften System hochschuldidaktischer
Weiterbildungsstudien. In: Welbers, U. (Hg.): Hochschuldidaktische Aus- und
Weiterbildung. Grundlagen – Handlungsformen – Kooperationen. Bielefeld.
Wildt, J. (2004): The Shift from Teaching to Learning – Thesen zum Wandel der Lernkultur in
modularisierten Studienstrukturen. In: Ehlert, H./Welbers, U. (Hg.): Qualitätssicherung und
Studienreform. Strategie- und Programmentwicklung für Fachbereiche und Hochschulen
im Rahmen von Zielvereinbarungen am Beispiel der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf.
Ausblick | Seite 283
Ausblick
Überlegungen zum besseren Austausch zwischen
Bologna-Forschung und Bologna-Praxis
Frank Ziegele, Melanie Rischke
Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt der Bologna-Prozess den deutschen
Hochschulbereich. In dieser Dekade wurde viel diskutiert, gestritten und veröffentlicht. Was
lange fehlte, waren Forschungsergebnisse, die Antworten auf wichtige Fragen liefern und
den Blick für relevante Kritikpunkte schärfen. Nun liegen erste empirische Erkenntnisse vor.
Vor diesem Hintergrund erscheint es uns wichtig zu überlegen, wie ein produktiver
Austausch zwischen Bologna-Forschung und Bologna-Praxis aussehen könnte. Im
Folgenden werden dafür zwei grundsätzliche Wege aufgezeigt: Zum einen kann die
Hochschulforschung die tatsächlichen Effekte von Bologna deutlich machen und zum
anderen kann sie Beiträge dazu leisten, die praktische Umsetzung des Bologna-Prozesses
theoriegeleitet zu verbessern. Auch wird auf Basis der darzustellenden Nützlichkeit der
Hochschulforschung für praktische Gestaltungsfragen untersucht, was die Forscher(innen)
und die Manager(innen) jeweils dafür leisten können, dass die Forschungserkenntnisse
praktisch nutzbar werden. Des Weiteren wird auf die Wichtigkeit gemeinsamer
Diskussionsplattformen eingegangen.
1. Welche Anregungen für die Verbesserung der Bologna-Praxis lassen sich aus Forschungsergebnissen gewinnen?
Das Identifizieren von wahren oder falschen Aussagen in der öffentlichen Diskussion kann
nur ein erster Schritt für die Hochschulforschung sein. Die Forschung sollte darüber hinaus
konkrete und adäquate Instrumente theoretisch begründen und empirisch testen, um die
Umsetzung des Bologna-Prozesses zu optimieren. Es stellt sich die Frage: Welche
Anregungen für die Verbesserung der Bologna-Praxis lassen sich aus Forschungs-
ergebnissen gewinnen? Von der Darstellung des Gesamtkontextes inklusive einer
internationalen Einordnung oder dem speziellen Blick auf die Studierenden, über die
Diskussion von Ergebnissen aus einer Vielzahl von Projekten konnte in dieser Publikation
der Transfer zum angewandten Hochschulmanagement eingeschlagen werden.
2. Was können die Hochschulforscher(innen) tun, um ihre Ergebnisse der Praxis zu vermitteln?
Auch wenn bereits zahlreiche Erkenntnisse der Hochschulforschung zum Bologna-Prozess
vorliegen, ist die Frage, warum ihr Einfluss auf das Hochschulmanagement und damit auf die
Gestaltung der praktischen Umsetzung immer noch begrenzt ist. Hier soll die These
vertreten werden, dass sowohl Forscher(innen) als auch Manager(innen) mehr als bisher
dafür tun müssen, den Wissenstransfer in die Praxis zu ermöglichen. Einige Hindernisse auf
diesem Weg, über die auf der diesem Band zugrundeliegenden Tagung diskutiert wurde,
werden im Folgenden aufgezeigt (wie auch einige Ansatzpunkte zu ihrer Überwindung).
Seite 284 | Überlegungen zum besseren Austausch zwischen Bologna-Forschung und Bologna-Praxis
Die Hochschulforscher(innen) sehen sich oft nicht als Empfehlungsgeber(innen).
Traditionell sieht die deutsche Hochschulforschung es als Aufgabe, empirische Ergebnisse
zu ermitteln und zu prüfen, Entwicklungen zu beschreiben und einzuordnen. In vielen
Studien kommt die Integration von Empfehlungen zu kurz. Die Ableitung von
Handlungskonsequenzen sollte aber integraler Bestandteil des Forschungsdesigns sein. Die
Hochschulforschung sollte daher Interpretationen und politische Schlussfolgerungen aus
ihren Ergebnissen mitliefern, ansonsten tun dies andere (und das nicht immer in adäquater
Form).
Die Hochschulforscher(innen) haben das Hochschulmanagement als Adressat ihrer
Ergebnisse noch nicht genug im Blick. In der aktuellen Situation mit einer deutlichen
Zunahme empirischer Studien über Hochschulen erleben Hochschulmanager(innen) die
Forschung zunächst einmal über die zunehmende Abforderung von Daten und Befragungen;
sodass die Bereitschaft zur Mitwirkung an eben jenen Untersuchungen sinkt. Dies liegt auch
daran, dass oft die Ergebnisse nicht so aufbereitet werden, dass sie für das Management
direkt verwertbar wären (z.B. indem aus Erkenntnissen der Forschung Konzepte für
Managementinstrumente entwickelt werden; ein positives Beispiel ist in diesem Zusammen-
hang die Forschung zur Konzeption kompetenzorientierter Lehrevaluation; ausführlicher
dazu siehe den Beitrag von Metz-Göckel et al. auf den Seiten 123-137 dieser Publikation).
Die Hochschulforschung muss sich um Vertrauen bei den Manager(inne)n bemühen und auf
deren Bedürfnisse eingehen, die sich aus den praktischen Gestaltungsproblemen ergeben.
Die Hochschulforscher(innen) nutzen interdisziplinäre Ansätze noch nicht produktiv
genug. Ein typisches Beispiel: Während die betriebswirtschaftliche Hochschulforschung
einseitig z.B. auf Anreizsysteme für die Lehre abstellt, ist die soziologische Forschung oft
darauf ausgerichtet, die Fremdheit ökonomischer Kalküle für akademische Kontexte zu
belegen. Ein interdisziplinärer Ansatz hingegen könnte aus sozialwissenschaftlichen
Erkenntnissen Anhaltspunkte für die Optimierung von Anreizsystemen generieren. Einige
Beiträge dieser Publikation stechen in Bezug auf Interdisziplinarität positiv heraus: So
wenden die Hochschulforscher(innen) des Projektes Conflicting Goals @ universities sowohl
Ansätze aus der Soziologie für eine Organisationsanalyse als auch Handlungs- und
Motivationsansätze aus der Psychologie bei ihrer Befragung von Nachwuchswissen-
schaftler(inne)n an (ausführlicher dazu siehe den Beitrag von Esdar et al. auf den Seiten
192-203 dieser Publikation). In dem Projekt Motivation und Anreize zu guter Lehre im
Rahmen des Inplacement (MogLI) fiel die Wahl der Forscher(innen) der Universität Bielefeld
dagegen auf Ansätze aus dem betriebswirtschaftlichen Personalmanagement und auf
motivationspsychologische Ansätze, sodass der gesamte theoretische Referenzrahmen
interdisziplinär geprägt ist (ausführlicher dazu siehe den Beitrag von Becker et al. auf den
Seiten 226-239 dieser Publikation).
Die Hochschulforscher(innen) sollten die Umsetzungsprozesse für ihre Empfehlungen
mit in den Blick nehmen; durch partizipative Prozesse können sie Unterstützer(innen)
gewinnen. Bei dem Formulieren von Handlungsempfehlungen sollte die Hochschul-
forschung auf Durchsetzbarkeit achten; ein wichtiger Faktor zur Durchsetzung von
Veränderung ist die Partizipation der Betroffenen im Veränderungsprozess. Ein
Praxisbeispiel zu neu definierter und wahrgenommener studentischer Partizipation stellt das
Modellprojekt „Bachelor gemeinsam gestalten“ dar. Ausgehend von der empfundenen
Qualität des zum damaligen Zeitpunkt etablierten Studienprogramms wurden innerhalb der
Studierendenschaft Organisationsstrukturen gebildet, welche die als relevant und defizitär
Ausblick | Seite 285
empfundenen Themenbereiche bearbeiteten. Die Erfahrungen aus Freiburg zeigen, dass bei
entsprechenden Strukturen eine studentische Partizipation nicht zu Blockaden führt, sondern
die Optimierung von Bologna befördern kann (vgl. Bischof 2010).
3. Was kann das Hochschulmanagement tun, um die Forschungsergebnisse produktiv für Entscheidungen über die Bologna-Umsetzung einzusetzen?
Damit Forschungsergebnisse, die in Handlungsempfehlungen überführt werden, adäquat
umgesetzt werden können, gibt es aber auch eine Reihe von Anforderungen, die von den
Hochschulmanager(inne)n erfüllt werden müssen.
Die Praktiker(innen) beschäftigen sich zu wenig mit den Forschungsergebnissen –
welche, wie bereits erwähnt, adäquat und verständlich formuliert sowie verbreitet werden
müssen. Hochschulmanager(innen) sollten jedoch ihrerseits aktiv nach verwertbaren
Forschungsergebnissen recherchieren statt Reform vollständig theoriefrei zu praktizieren.
Die Hochschulmanager(innen) müssen dabei natürlich ein notwendiges Rüstzeug
mitbringen, um Ergebnisse richtig zu verstehen, einzuordnen, adäquat auf die eigene
Situation zu transferieren und die daraus abgeleiteten Maßnahmen zu implementieren.
Dies impliziert die Notwendigkeit einer Professionalisierung von Hochschul-
manager(inne)n, beispielsweise durch eine spezialisierte, akademische Ausbildung im
Hochschulmanagement, welche Managementpraxis mit wissenschaftlichen Methoden
verbindet. Insbesondere für die Beschäftigten an Schnittstellen zwischen administrativen,
wissenschaftlichen und Serviceaufgaben ist eine Professionalisierung vonnöten, da sie die
Heterogenität der zu erfüllenden Aufgaben nicht nur bewältigen, sondern auch optimal
nutzen können müssen. Dieser Umstand erfährt durch aktuelle, stetige Veränderungen eine
weitere Komponente – müssen doch Hochschulmanager(innen) die Fähigkeiten erwerben,
um diesem ständigen Wandel begegnen zu können. Mit neuartigen Aufgaben werden
ebenfalls neue Stellen geschaffen, welche adäquat besetzt werden müssen (ausführlicher
dazu siehe den Beitrag von Merkator/ Schneijderberg auf den Seiten 204-216 dieser
Publikation).
Auf Basis einer Professionalisierung wird auch das möglich, was im Ausland bereits
verbreitet ist: Die Etablierung von „Institutional Research“ an Hochschulen, d.h. die auf
die eigene Praxis bezogene Forschung über Hochschulen, der integrierte Umgang mit
internen Reformprozessen und der Forschung über genau diese Prozesse an einer
Hochschule.
4. Welche Rolle können Diskussionen zwischen Forscher(inne)n und Manager(inne)n spielen?
Neben der Formulierung von handlungsorientierten Empfehlungen sollte die Wissenschaft
auch dafür sorgen, dass eben diese in der Praxis wahrgenommen werden können.
Gegenwärtig lässt sich leider noch eine Lücke zwischen (den Wissensständen von)
Hochschulforscher(inne)n und Hochschulmanager(inne)n attestieren: Es fehlt schlichtweg
häufig der Austausch untereinander, um Lerneffekte zu generieren. Daher war das Konzept
der Tagung „Der Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung – Analysen und
Impulse“, welche vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und
Seite 286 | Überlegungen zum besseren Austausch zwischen Bologna-Forschung und Bologna-Praxis
vom CHE Centrum für Hochschulentwicklung inhaltlich und organisatorisch durchgeführt
wurde, genau auf diesen „Nachholbedarf“ ausgerichtet. Sie bot eine Plattform des Dialogs
zwischen Forscher(inne)n und Anwender(inne)n, um Mythen – die durchaus auch das
„Gegenüber“ betreffen können – zu thematisieren und ggf. zu beseitigen. Denn nicht nur in
strikt inhaltlichen Belangen, auch in der Verständigung selber kann eine zu schließende
Lücke bestehen. Die Kommunikationsformate können sicherlich unterschiedliche sein: Die
gemeinsame Tagung mit den Austausch fördernden Moderationselementen, das Web-
Informationsangebot (wie z.B. wissenschaftsmanagement-online.de), das gezielte Briefing
von Praktiker(inne)n mit Informationen über handlungsrelevante Forschungsergebnisse oder
die direkte Zusammenarbeit von Forscher(inne)n und Praktiker(inne)n in hochschulinternen
Einheiten für „Institutional Research“. Entscheidend ist, dass sich beide Seiten für die
Einrichtung solcher Kommunikationsplattformen einsetzen.
Literatur
Bargel, T./Multrus, F./Ramm, M./Bargel, H. (2009): Bachelor-Studierende Erfahrungen in
Studium und Lehre. Eine Zwischenbilanz. Download: http://www.hrk-
bologna.de/bologna/de/download/dateien/bachelor_zwischenbilanz_2010.pdf, abgerufen
am 27.04.2011.
Bischof, L. (2010): Vortragsfolien zur Tagung „Der Bologna-Prozess aus Sicht der
Hochschulforschung – Analysen und Impulse für die Praxis“ am 12. Dezember 2010 in
Berlin. Download: http://www.che-
concept.de/downloads/Veranstaltungen/CHE_Vortrag_Bischof_Bachelor_Gestalten_Prae
sentation_Berlin_nurCO2010_PK276.pdf, abgerufen am 27.04.2011.
Findeisen, I./Storfinger, N./Auspurg, K./Hinz, T./Pajarinen, A. (2010): Studium und Verbleib
der Bachelorabsolventen 2008/09 der Universität Konstanz. Download: http://kops.ub.uni-
konstanz.de/bitstream/handle/urn:nbn:de:bsz:352-opus-
123044/BA_Absolventenstudie_2010_final_Version_3108_IF.pdf?sequence=1, abgerufen
am 20.04.2011.
Regnet, E. (2010): Bachelor ist anspruchsvoll, aber studierbar. In: Die Neue Hochschule 51,
4-5, S. 26-35.
Thiel, F./Blüthmann, I./Richter, M. (o.J.): Ergebnisse der Befragung der Studierenden in den
Bachelorstudiengängen an der Freien Universität Berlin. Sommersemester 2010.
Download: http://www.fu-
berlin.de/praesidium/qm/media/Bachelorbefragung_FU_2010.pdf, abgerufen am
20.04.2011.
Witte, J. (2006). „Change of Degrees and Degrees of Change: Comparing Adaptations of
European Higher Education Systems in the Context of the Bologna Process“.
Promotionsschrift. CHEPS/Universität Twente. Enschede.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren | Seite 287
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Tino Bargel, Dipl. Soz., Mitarbeiter der AG Hochschulforschung an der Universität Konstanz,
langjähriger Betreuer des bundesweiten Studierendensurveys und Moderation des
internationalen Reseau Uni 21 der FREREF, insbesondere zum Bologna-Prozess. Mit-
Begründer des Arbeitskreises "Qualität von Schule" (1985). In den letzten Jahren u.a.
Berichte und Gutachten zum Bachelorstudium, zur sozialen Ungleichheit im Studium, über
politische Orientierungen und Werte sowie zur Schulentwicklung. Kontakt: tino.bargel@uni-
konstanz.de
Fred G. Becker, Dr., Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der
Universität Bielefeld, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Organisation,
Personal und Unternehmungsführung. Forschungsschwerpunkte: Personalmanagement für
Universitätsprofessoren, Transfersteuerung in der Personalentwicklung, Anreiz- und
Beurteilungssysteme, demografieorientierte Personalarbeit und Mitarbeiterbindung. Kontakt:
Edith Braun, Dr., wissenschaftliche Leiterin am HIS-Institut für Hochschulforschung. Die
Diplom Psychologin entwickelte in ihrer Dissertation das BEvaKomp und erhielt dafür den
Ulrich-Teichler-Preis. Ihr Forschungsinteresse gilt dem studentischen Kompetenzerwerb, in
Abhängigkeit sowohl von Lehreinstellung der Dozierenden als auch von Lernumgebungen.
Methodisch beschäftigt sie sich mit der Frage nach der Validität von Selbsteinschätzungen.
Edith Braun ist stellvertretende Vorsitzende der Gesellschaft für Hochschulforschung (GfHf).
Kontakt: [email protected]
Margret Bülow-Schramm, Dr., Professorin i.R. am Zentrum für Hochschul- und
Weiterbildung (ZHW) der Universität Hamburg, Leiterin des Forschungs-Projekts USuS
(Untersuchung von Studienverläufen und Studienerfolg), Vorsitzende der Gesellschaft für
Hochschulforschung (GfHf), Mitglied in der Programmakkreditierungskommission der ASIIN,
Gutachterin in Systemakkreditierungs- und Auditverfahren, ehemals Gleichstellungs-
beauftragte der Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie, Bewegungswissenschaft der
Universität Hamburg, Mitglied im Landesvorstand der GEW, Leiterin Referat D
(Lehrerausbildung). Kontakt: [email protected]
Angela Carell, Dr., 2002-2005 Mitglied des Promotionskollegs „Wissensmanagement und
Selbstorganisation“ der TU Dortmund. Seit 2004 forscht und lehrt sie an der Ruhr-Universität
Bochum, Informations- und Technikmanagement. Schwerpunkte: Computerunterstütztes
Lernen von Gruppen, Förderung von Kreativität in Gruppen und group cognition. Kontakt:
Firat Ceylan, M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pädagogik der Universität
Regensburg, Lehrstuhl Prof. Dr. Hans Gruber. Wissenschaftlicher Angestellter im BMBF-
Projekt „LehreProfi“. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Hochschuldidaktik,
Lehrkompetenz, Expertiseforschung. Kontakt: [email protected]
Dieter Dohmen, Dr., Gründer, Inhaber und Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs-
und Sozialökonomie (FiBS) und geschäftsführender Gesellschafter der FiBS Consulting
GbR. Inhaltliche Arbeitsschwerpunkte sind bildungsökonomische und demografische
Fragestellungen. Dies umfasst z.B. Bildungsfinanzierung und -planung,
Bildungsmanagement und -controlling und bildungsbereichsübergreifende Analysen.
Kontakt: [email protected]
Seite 288 | Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Christiane Ernst, Dipl.-Erziehungswissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der
Technischen Universität Dortmund, Hochschuldidaktisches Zentrum. Arbeitsschwerpunkte:
Frauen-, Geschlechter- und Hochschulforschung. Kontakt: [email protected]
Wiebke Esdar, B.A., Dipl.-Psych., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt
ConGo@universities sowie Promovendin an der Universität Bielefeld. Von 2003-2010
Studium der Psychologie an der Universität Bielefeld. Von 2005-2010 Studium der
Sozialwissenschaften und Geschichte an der Universität Bielefeld, Auslandsstudium an der
Saint Marys University, Halifax, Kanada sowie an der Université Denis Diderot, Paris VII,
Frankreich. Kontakt: [email protected]
Janina Fiehn, Dipl.-Päd., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pädagogik der
Universität Regensburg, Lehrstuhl Prof. Dr. Klaus-Peter Wild. Wissenschaftliche Angestellte
im BMBF-Projekt „LehreProfi“. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Hochschuldidaktik,
Lehrkompetenz, Hilfesuchverhalten. Kontakt: [email protected]
Alexandra Frerichs, Dipl.-Ökonomin, Studium an der Ruhr-Universität Bochum, Doktorandin
am Lehrstuhl Informations- und Technikmanagement. Ihre Forschungsschwerpunkte sind
Förderung von Kreativität in Gruppen und Marketing im Bereich Ambient Assistet Living und
Service Engineering. Kontakt: [email protected]
Anna Funger, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld, Fakultät für
Erziehungswissenschaft. Arbeitsschwerpunkte: Schulentwicklung und -forschung, Bildungs-
und Hochschulforschung, Frauen- und Geschlechterforschung und Lehr-Lern-Forschung.
Kontakt: [email protected]
Julia Gorges, Dipl.-Päd., Dipl.-Wirts.-Inf., wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin
an der Universität Bielefeld, seit Juni 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt
ConGo@universities. Von 1998-2001 Studium der Wirtschaftsinformatik an der
Berufsakademie Mannheim. 2001-2003 berufstätig in Wirtschaftsprüfung und IT-Beratung.
2003-2007 Studium der Pädagogik an der Universität zu Köln und der University of Limerick,
Irland. Kontakt: [email protected]
Kathrin Günnewig, Dipl. Psych., wissenschaftliche Mitarbeiterin im STEP-Projekt an der
Universität Paderborn. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Subjektive Theorien von
Lehramtsstudent(inn)en zu Praxisbezug, Professionalität, Kompetenzen und Kompetenz-
entwicklung, qualitative Methoden. Kontakt: [email protected]
Tobias Haertel, Dr., Technische Universität Dortmund, Hochschuldidaktisches Zentrum
(HDZ), Konktakt: [email protected]
Christian Harteis, Dr, Professor für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt
Bildungsmanagement und Bildungsforschung in der Weiterbildung an der Universität
Paderborn. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Berufliche Kompetenzentwicklung,
Intuition, Professional Development. Kontakt: [email protected]
Matthias Heiner, ist seit 1995 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hochschuldidaktischen
Zentrum (HDZ) der TU Dortmund in Forschung und Weiterbildung tätig. Arbeits- und
Schwerpunkte: Kompetenzforschung, Kompetenzmodellierung und Kompetenzerfassung.
Vor der Tätigkeit am HDZ arbeitete er als Pädagogischer Mitarbeiter in der
Erwachsenenbildung, Medienpädagoge und Lektor für AV-Medien. Kontakt:
[email protected], Internet: http://www.hdz.tu-dortmund.de/matthias-heiner
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren | Seite 289
Justus Henke, Mag. rer. soc. oec, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim FiBS. Arbeits- und
Forschungsschwerpunkte: Quantitative Analysen zu Anreizsystemen für Hochschulen;
Kosten und Erträge von Bildungsinvestitionen; Weiterbildungsfinanzierung zur Stärkung der
Beteilung an Erwachsenenbildung. Kontakt: [email protected]
Gudrun Hessler, Dipl.-Soz., wissenschaftliche Mitarbeiterin im STEP-Projekt an der
Universität Bielefeld, Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Studium und Beruf,
Professionalisierung und Kompetenzentwicklung Studierender; Verhältnis von Wissenschaft
und Praxis. Kontakt: [email protected]
Isa Jahnke, Dr., Professorin ICT, media and learning, Umeå University, Department of
Applied Educational Sciences. Kontakt: [email protected]
Marion Kamphans, Dipl. Soz.Wiss., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen
Universität Dortmund, Hochschuldidaktisches Zentrum (HDZ). Arbeitsschwerpunkte:
Bildungs- und Hochschulforschung, Frauen- und Geschlechterforschung,
Fachkulturforschung, Medien in der Bildung und Weiterbildung in der Lehre. Kontakt:
Barbara M. Kehm, Dr., Professorin und Geschäftsführende Direktorin am Internationalen
Zentrum für Hochschulforschung (INCHER-Kassel) der Universität Kassel. Forschungs-
schwerpunkte: Hochschulsteuerung, Internationalisierung im Hochschulwesen und
Entwicklung der Doktorandenausbildung in Europa. Kontakt: [email protected]
Katharina Kloke, Dipl.-Soz., seit 2007 Forschungsreferentin am Deutschen
Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung sowie Promovendin an der Deutschen
Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Seit August 2009 wissenschaftliche
Mitarbeiterin im Projekt ConGo@universities. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:
Hochschulforschung, Wissenschafts- und Organisationssoziologie, Qualitätssicherung.
Kontakt: [email protected]
Georg Krücken, Dr., Professor und seit 2006 Lehrstuhlinhaber des Stiftungslehrstuhls für
Wissenschaftsorganisation, Hochschul- und Wissenschaftsmanagement an der Deutschen
Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, ab Oktober 2011 Direktor des
Internationalen Zentrums für Hochschulforschung (INCHER-Kassel) an der Universität
Kassel. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschafts- und Hochschulforschung, Organisations-
forschung, Neo-Institutionalismus. Kontakt: [email protected]
Tanja Kruse, Dipl.-Päd., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leibniz Universität Hannover,
Zentrale Einrichtung Lehre, Studium und Weiterbildung (ZEL), Abteilung 1: Lehr- und
Studienqualität. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Kompetenzorientierte Studiengang-
entwicklung und studentische Lernentwicklungsprozesse. Kontakt: [email protected]
hannover.de
Andrew McCoshan, Dr., Associate Fellow und Senior Researcher, Centre for Education and
Industry, University of Warwick, England. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Berufs-
und Hochschulbildung und ihr Verhältnis zu Wirtschaft und Gesellschaft. Kontakt:
Nadine Merkator, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Internationalen Zentrum für
Hochschulforschung Kassel (INCHER-Kassel). Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:
Hochschulforschung, Studienberatung, empirische Methoden. Kontakt: [email protected]
kassel.de
Seite 290 | Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Marianne Merkt, Dr., Leiterin und Vertretungsprofessorin am Zentrum für Hochschul- und
Weiterbildung der Universität Hamburg, Studiendekanin des “Master of Higher Education”,
Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Zentrums für rechtswissenschaftliche
Fachdidaktik (ZerF) der Universität Hamburg und des Zentrums für Lehrkompetenz der
Universität Graz, Ko-Leiterin der BMBF-Projekte USuS (Untersuchung von Studienverläufen
und Studienerfolg) und ProfiLe (Professionalisierung der Hochschullehre),
Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) Kontakt:
Christiane Metzger, Dr., hat mehrere Jahre am Institut für Deutsche Gebärdensprache und
Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg im Bereich der Entwicklung von Lehr-
und Lernmaterialien für Gebärdensprachlernende und der Erforschung der Grammatik der
Gebärdensprache gearbeitet. Sie promovierte zu Lern- und Sprachverwendungsstrategien
erwachsener Gebärdensprachlerner. Zurzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im
Projekt ZEITLast am Zentrum für Hochschul- und Weiterbildung der Universität Hamburg
beschäftigt. Kontakt: [email protected]
Sigrid Metz-Göckel, Dr., Professorin em. an der Technischen Universität Dortmund,
Hochschuldidaktisches Zentrum. Arbeitsschwerpunkte: Bildungs- und Hochschulforschung,
Frauen- und Geschlechterforschung. Kontakt: [email protected]
Sandra Mittag, Dr., wissenschaftliche Referentin am Bayerischen Staatsinstitut für
Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF). Arbeitsschwerpunkte: Bologna-Prozess,
Qualitätssicherung, Qualitätsmanagement, wissenschaftlicher Nachwuchs.
Kontakt: [email protected]
Sigrun Nickel, Dr., Projektleiterin beim gemeinnützigen CHE Centrum für
Hochschulentwicklung. Arbeitsschwerpunkte: Forschungs- und Beratungsprojekte in den
Feldern Qualitätsentwicklung, Hochschulgovernance, europäische Hochschulpolitik sowie
Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung. Dozentin an der
Hochschule Osnabrück, Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für Hochschulforschung.
Kontakt: [email protected]
André Nowakowski M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin im
Arbeitsbereich Schul- und Unterrichtsforschung. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:
kompetenzorientierte Lehrevaluation; Qualitätssicherung in der Hochschule;
hochschuldidaktische Weiterbildung. Kontakt: [email protected]
Mechtild Oechsle, Dr., Professorin für Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld.
Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Geschlechterforschung; Vereinbarkeit/Work Life
Balance; Profession, Organisationen und Geschlecht; Berufsorientierung und
Lebensplanung; Lebensführung, Zeit und Geschlecht.
Kontakt: [email protected]
Nadja-Verena Paetz, Dipl.-Päd., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pädagogik der
Universität Regensburg, Lehrstuhl Prof. Dr. Hans Gruber. Forschungs- und Arbeits-
schwerpunkte: Hochschuldidaktik, Lehrkompetenz, Professional Development.
Kontakt: [email protected]
Hilke Rebenstorf, Dr., Studium der Soziologie an der Freien Universität Berlin und der
Universität Basel, Promotion an der FU Berlin, Habilitation an der Universität Hildesheim.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren | Seite 291
Seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Weiterbildung
(ZHW) der Universität Hamburg im Forschungsprojekt USuS.
Kontakt: [email protected]
Rüdiger Rhein, Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leibniz Universität Hannover,
Zentrale Einrichtung Lehre, Studium und Weiterbildung (ZEL), Abteilung 1: Lehr- und
Studienqualität. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Lehr-Lern-Forschung,
Kompetenzentwicklung und Bildungstheorie, Kontakt: [email protected]
Melanie Rischke, M.A., Referentin der Geschäftsführung beim Gemeinnützigen CHE
Centrum für Hochschulentwicklung. Kontakt: [email protected]
Isabel Roessler, Dipl. Soz.Wiss., Referentin beim gemeinnützigen CHE Centrum für
Hochschulentwicklung. Hier ist sie verantwortlich für den Aufbau eines Rankings von
Masterstudiengängen. Zu ihren Aufgaben gehört weiterhin die Mitarbeit in internationalen
Ranking-Projekten wie dem europäischen Pilotprojekt „U-Multirank“ sowie in
wissenschaftlichen Forschungsprojekten wie z.B. dem BMBF-geförderten Projekt
„Karriereförderung im Wissenschaftsmanagement“. Kontakt: [email protected]
Gabriele Sandfuchs, Ass. Jur., wissenschaftliche Referentin am Bayerischen Staatsinstitut
für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF). Arbeitsschwerpunkte: Rechts- und
Verwaltungsfragen, Bologna-Prozess, Studium. Kontakt: [email protected]
Ingrid Scharlau, Dr., Professorin für Kognitive Psychologie an der Universität Paderborn.
Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Experimentelle Psychologie (Aufmerksamkeit,
Zeitwahrnehmung), Subjektive Konzepte und Theorien, Förderung von Schreibkompetenzen,
Mentoring. Kontakt: [email protected]
Christian Schneijderberg M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Zentrum
für Hochschulforschung Kassel (INCHER-Kassel). Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:
Hochschulforschung, Wissens- und Technologietransfer und wissenschaftlicher Nachwuchs,
Kontakt: [email protected]
Rolf Schulmeister, Dr., Professor i. R. am Zentrum für Hochschul- und Weiterbildung der
Universität Hamburg, das er 1971 als Interdisziplinäres Zentrum für Hochschuldidaktik
(IZHD) mit aufgebaut hat. Zugleich war er Professor am Institut für Deutsche
Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser, das er 1987 gemeinsam mit Prof. Dr.
Siegmund Prillwitz gegründet hat. Zurzeit leitet er das BMBF-geförderte Projekt ZEITLast.
Kontakt: [email protected]
Silke Schworm, Dr., wissenschaftliche Assistentin am Institut für Pädagogik der Universität
Regensburg, Lehrstuhl Prof. Dr. Klaus-Peter Wild. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte:
Webbased Learning, Computerbasiertes Lernen, Hilfesuchverhalten. Kontakt:
Anna Spexard, Dipl.-Volksw., wissenschaftliche Mitarbeiterin am HIS-Institut für
Hochschulforschung in Hannover. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Auswirkungen des
Bologna-Prozesses; Kompetenzorientierung in der Hochschulforschung; Hochschuldidaktik;
Studierenden- und Absolventenbefragungen in Europa. Kontakt: [email protected]
Ralph Stegmüller, Dipl. Soz., wissenschaftlicher Mitarbeiter im MogLI-Projekt an der
Universität Bielefeld. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Motivation im Kontext Arbeit
und Organisation (insb. Lehrmotivation); Ursachen und Konsequenzen organisationaler
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Bindung; Personalmanagement im Hochschulwesen. Kontakt: [email protected]
bielefeld.de
Wögen N. Tadsen, Dipl. Kfm., wissenschaftlicher Mitarbeiter im MogLI-Projekt an der
Universität Bielefeld. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Anreize für Professor(inn)en in
Forschung und Lehre; Anreizsysteme an Hochschulen; Personalmanagement an
Hochschulen; Hochschulmanagement. Kontakt: [email protected]
Dries Vervecken M. Sc., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin.
Arbeitsbereich Schul- und Unterrichtsforschung. Kontakt: [email protected]
Don Westerheijden, Dr., Senior Researcher am Center for Higher Education Policy Studies
(CHEPS) der Universität Twente in den Niederlanden. Arbeits- und
Forschungsschwerpunkte: Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement. Kontakt:
Elke Wild, Dr., Professorin für Pädagogische Psychologie an der Fakultät für Psychologie
und Sportwissenschaft, Universität Bielefeld. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte:
Motivationsforschung, Lehr-Lern-Forschung, Familienpsychologie. Kontakt: elke.wild@uni-
bielefeld.de
Michael Winkler, Technische Universität Dortmund, Hochschuldidaktisches Zentrum (HDZ).
Kontakt: [email protected]
Martin Winter, Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Hochschulforschung (HoF)
an der Universität Halle-Wittenberg. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Studium und
Studienreform, Evaluation und Qualität von Lehre und Forschung, Hochschulorganisation
und -verwaltung, Hochschulpolitik. Kontakt: [email protected]
Johanna Witte, Dr., wissenschaftliche Referentin am Bayerischen Staatsinstitut für
Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF). Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:
Bologna-Prozess, Qualitätssicherung, internationaler Vergleich von Hochschulsystemen,
Hochschulpolitik. Kontakt: [email protected]
Frank Ziegele, Dr., Professor für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement an der
Hochschule Osnabrück und Geschäftsführer des Gemeinnützigen CHE Centrum für
Hochschulentwicklung. Kontakt: [email protected]
ISSN 1862-7188
ISBN 978-3-941927-18-6