Der Erste Weltkrieg
Schulbuch: Teil 5 – S.186-231.
Kriegserklärungen
Bei Beginn des Ersten Weltkriegs standen sich auf der einen Seite die Mittelmächte - das Deutsche
Reich und Österreich-Ungarn - und auf der anderen Seite die Entente-Mächte Großbritannien,
Frankreich und Rußland gegenüber. Belgien, Serbien und Montenegro traten zur Entente, während
das Osmanische Reich ein Bündnis mit den Mittelmächten schloss. Bulgarien trat im Jahr 1915 auf
seiten der Mittelmächte in den Krieg ein. Zur Entente kam im Kriegsverlauf eine Vielzahl anderer
Staaten hinzu, am wichtigsten waren dabei die Kriegseintritte von Italien, Rumänien und den USA.
Auch Japan erklärte dem Deutschen Reich den Krieg und besetzte die deutschen Kolonien in China und
im Pazifik. Die ebenfalls auf seiten der Entente beteiligten mittel- und südamerikanischen Staaten
sowie China waren für den Kriegsverlauf von geringfügiger Bedeutung, da sie keine
Truppenkontingente stellten. Insgesamt nahmen 38 Staaten am Weltkrieg teil, zusammen mit den
Kolonien waren damit zwei Drittel der Weltbevölkerung vom Krieg betroffen.
Jahreschroniken
• Österreich-Ungarn 28. Juli 1914 an Serbien 6. August 1914 an Rußland
• Deutsches Reich 1. August 1914 an Rußland 2. August 1914 an Luxemburg 3. August 1914 an
Frankreich 4. August 1914 an Belgien 9. März 1916 an Portugal 27. August 1916 an Rumänien
• Großbritannien 4. August 1914 an das Deutsche Reich 12. August 1914 an Österreich-Ungarn
5. November 1914 an das Osmanische Reich 15. Oktober 1915 an Bulgarien
• Serbien 6. August 1914 an das Deutsche Reich 7. November 1914 an das Osmanische Reich
• Montenegro 7. August 1914 an Österreich-Ungarn 11. August 1914 an das Deutsche Reich
• Frankreich 13. August 1914 an Österreich-Ungarn 6. November 1914 an das Osmanische Reich
16. Oktober 1915 an Bulgarien
• Rußland 2. November 1914 an das Osmanische Reich 20. Oktober 1915 an Bulgarien
• Japan 23. August 1914 an das Deutsche Reich
• Italien 23. Mai 1915 an Österreich-Ungarn 20. August 1915 an das Osmanisches Reich 19.
Oktober 1915 an Bulgarien 28. August 1916 an das Deutsche Reich
• Bulgarien 12. Oktober 1915 an Serbien 1. September 1916 an Rumänien
• Rumänien 27. August 1916 an Österreich-Ungarn
• Osmanisches Reich 30. August 1916 an Rumänien
• Griechenland 25. November 1916 an das Deutsche Reich 25. November 1916 an Bulgarien
• USA 6. April 1917 an das Deutsche Reich 7. Dezember 1917 an Österreich-Ungarn
Die Entente
Zur Entente bzw. zur Tripleentente hatten sich Frankreich und England sowie Russland vertraglich zusammengeschlossen. Seit Kriegsbeginn kämpften Serbien und Belgien an der Seite der Entente-Staaten.
Später schlossen sich weitere Staaten diesem Bündnis an. Stellte der Kriegseintritt Italiens und Rumäniens die Mittelmächte insbesondere auf dem Balkan und an der österreichischen Südgrenze vor Probleme, so wurden an der Westfront zunehmend mehr Soldaten aus den Commonwealth-Staaten eingesetzt. Das militärische Potential der USA wurde von der „Obersten Heeresleitung“ (OHL) völlig unterschätzt.
Nach der Kriegserklärung der USA an Deutschland vom 6. April 1917 und einige Monate später an Österreich-Ungarn war der militärische Zusammenbruch der Mittelmächte nur noch eine Frage der Zeit.
"Der Krieg der Russen mit den Deutschen. Die Greueltaten der Deutschen in Polen", 1914-1918
Schon bei Kriegsbeginn waren die gut 262 Millionen Einwohner zählenden Entente-Staaten mit ihren 5,7 Millionen Soldaten den Mittelmächten weit überlegen.
Russland verfügte mit 173 Millionen Menschen über ein nahezu unerschöpfliches Menschenreservoir und war wegen seiner geographischen Ausdehnung militärisch kaum zu besiegen.
England war durch seine Flotte gegen jeden Invasionsversuch geschützt. Um den Nachschub über den Kanal zu den Kriegsschauplätzen in Belgien und Frankreich zu sichern, mussten die Entente-Staaten jedoch zunächst die Besetzung der Hafenstädte an der Kanalküste verhindern. Starke Verbände setzten England und Frankreich auch auf dem Balkan und im Kampf um die Dardanellen ein. Während der uneingeschränkte U-Boot-Krieg den Entente-Staaten zwar erhebliche Verluste zufügte, jedoch nicht kriegsentscheidend war, führte die von England durchgesetzte Seeblockade in Deutschland zu Lebensmittelmangel und gravierenden Versorgungsproblemen an Rohstoffen.
Die Mittelmächte
Bei Kriegsbeginn verfügten die Mittelmächte zusammen über rund 3,8 Millionen Soldaten, denen 5,7 Millionen Soldaten der Entente-Staaten gegenüberstanden.
Im Verlauf des Krieges steigerten die Mittelmächte die Zahl der eingesetzten Soldaten auf über 22 Millionen. Mit rund 118 Millionen Einwohnern hatten das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn nicht einmal halbsoviele Einwohner wie das gegnerische Lager. Zudem bestanden unter den insgesamt 51 Millionen Einwohnern der Donaumonarchie zum Teil erhebliche Spannungen. Für einen militärischen Erfolg gegenüber den zahlenmäßig weit überlegenen Entente-Staaten war eine schnelle Entscheidung an einer der beiden Fronten unabdingbar.
Mit dem Scheitern des Schlieffen-Plans gerieten die Mittelstaaten in eine prekäre Lage. Zudem waren die Mittelmächte auf die Einfuhr von Nahrungsmitteln und Rohstoffen aus den neutralen Ländern angewiesen. Da sie keinerlei Vorkehrungen für einen langandauernden Krieg getroffen hatten, musste die von den Briten verhängte Seeblockade sich unmittelbar auf die Lebensmittelversorgung und die Rüstungsproduktion auswirken.
Im Oktober 1914 trat das Osmanische Reich auf seiten der Mittelmächte in den Krieg ein und sperrte die Dardanellendurchfahrt. Bei gleichzeitiger Blockierung des Ostseezugangs durch die deutsche Flotte waren Hilfslieferungen von England und Frankreich an Russland nahezu unmöglich.
Nach der deutschen Sommeroffensive 1915 schloss sich Bulgarien den Mittelmächten an. Mit Hilfe der bulgarischen Truppen konnte die Frontlinie auf dem Balkan stabilisiert werden. Doch die Mittelmächte hatten kein militärisches Konzept für einen Sieg auf dem Balkan gegen die Entente-Staaten. Ebensowenig hatten sie ein strategisches Konzept für einen Sieg über Russland.
Angesichts der Überlegenheit der britischen Flotte waren die deutschen Kolonien militärisch nicht zu verteidigen.
Das deutsche Kaiserreich
Das Deutsche Reich war eine konstitutionelle Monarchie und mit 41 Millionen Menschen im Jahr der Reichsgründung 1871
der bevölkerungsreichste Staat in Mitteleuropa. 1914 lebten bereits 68 Millionen Menschen in Deutschland, das sich zur
größten Industrienation Europas entwickelt hatte. An der Spitze dieses von vielen Deutschen im 19. Jahrhundert
herbeigesehnten Nationalstaates stand der König von Preußen, der den vererbbaren Titel „Deutscher Kaiser“ führte. Die
Richtlinien der Innen- und Außenpolitik bestimmte aber Otto von Bismarck, der als „Reichsgründer“ über enormes Prestige
verfügte. Anders als sein Großvater Wilhelm I. überließ der 1888 inthronisierte Kaiser Wilhelm II. die politische Führung
nicht dem Reichskanzler. Nach der Entlassung Bismarcks 1890 wollte Wilhelm II. das wirtschaftlich prosperierende
Deutsche Reich in „persönlichem Regiment“ auch machtpolitisch zu „Weltgeltung“ führen. Dadurch geriet Deutschland
immer wieder in Konflikt mit anderen europäischen Großmächten und manövrierte sich in eine gefährliche außenpolitische
Lage. Nur auf das enge Bündnis mit Österreich-Ungarn war am Vorabend des Ersten Weltkrieges 1914 noch Verlass. Die
militärische Niederlage Deutschlands 1918 besiegelte auch das Ende des Kaiserreiches.
Das "Bismarckreich" 1871 bis 1890
Otto von Bismarck wollte das neu gegründete Deutsche Reich außenpolitisch sorgsam in das sensible europäische
Staatensystem einbinden. Er erklärte mehrfach, das Reich sei „saturiert“ und müsse nicht als potentieller Aggressor gefürchtet
werden. Ausgehend von der Überzeugung, Frankreich werde den Verlust von Elsass-Lothringen nie akzeptieren und stets
bestrebt sein, das 1871 an Deutschland verlorene Gebiet mit allen Mitteln zurück zu gewinnen, knüpfte Bismarck ein
Bündnissystem mit Beistands- und Neutralitätsabkommen. Jedoch suchte Deutschland keine Aussöhnung mit Frankreich, das
immer nach einer Revanche für die Niederlage von 1870/71 trachtete. Die politische und militärische Isolierung Frankreichs
war deshalb die Prämisse von Bismarcks Außenpolitik. Einen neuen Krieg verhindern konnte diese Politik aber nur so lange,
wie unter den sich gegenseitig misstrauisch beobachtenden Großmächten ein militärisches Gleichgewicht bestand.
Galt Bismarcks außenpolitisches Hauptaugenmerk der Verhinderung von Koalitionen der Großmächte gegen Deutschland, so
sorgte er sich im Inneren vor allem um den nationalen Zusammenhalt. Als ernste Bedrohung für die preußisch-protestantisch
geprägte Monarchie empfand Bismarck den politischen Katholizismus, dessen Einfluss er im „Kulturkampf“ vergeblich
auszuschalten versuchte. Die größte Gefahr für das von konservativen Eliten getragene gesellschaftspolitische System sah
Bismarck aber in der erstarkenden Arbeiterbewegung. Mit repressiven Maßnahmen bekämpfte der Staat die
Sozialdemokratie, deren Strukturen jedoch mit dem von 1878 bis 1890 gültigen „Sozialistengesetz“ nicht zerschlagen werden
konnten. Zugleich wollte Bismarck die Arbeiter mit einer fortschrittlichen Sozialgesetzgebung an den Staat binden. Die
Meinungsverschiedenheiten zwischen Bismarck und Wilhelm II. über das „Sozialistengesetz“ gaben am 20. März 1890
schließlich den Anlass für den erzwungenen Rücktritt des 75-jährigen Reichskanzlers. Von den Wertvorstellungen des
altpreußischen Landadels geprägt, war dem Junker Bismarck der Zugang zu den Problemen der entstehenden Industrie- und
Massengesellschaft verschlossen geblieben.
Die "Wilhelminische Ära" 1890 bis 1914
Der junge, technikbegeisterte Wilhelm II. schien ungleich mehr Verständnis für die fortschreitende Modernisierung der
industriellen Gesellschaft zu haben. In bewusster Abgrenzung zu seinem als liberal geltenden Vater, dem nach nur 99-tägiger
Regentschaft verstorbenen Friedrich III., war Wilhelm II. aber ein entschiedener Gegner des Parlamentarismus. Die von
Liberalen und Sozialdemokraten geforderte Einführung einer parlamentarischen Regierungsform war unter ihm nicht
durchsetzbar. Im Reichstag blieb eine seit 1871 bestehende Fünf-Parteien-Konstellation vorherrschend. Gegenüber dem
katholischen Zentrum, den Konservativen sowie den Links- und Nationalliberalen konnten die Sozialdemokraten auch in der
„Wilhelminischen Ära“ erhebliche Stimmenzuwächse verzeichnen und stellten 1912 erstmals die stärkste Reichstagsfraktion.
Die Bedeutung der organisierten Arbeiterbewegung wuchs mit der fortschreitenden Industrieentwicklung des Reiches. Von
1871 bis 1914 versechsfachte Deutschland seine industrielle Produktion und überflügelte damit Großbritannien. Dem starken
Wirtschaftswachstum stand ein ebenso rasanter Aufschwung von Wissenschaft und Forschung zur Seite. Vor dem Ersten
Weltkrieg ging jeder dritte Nobelpreis für Naturwissenschaften nach Deutschland. Bahnbrechende Fortschritte in der Medizin,
technische Errungenschaften wie die Elektrizität oder das Automobil und eine erhöhte Mobilität veränderten die gewohnten
Lebenswelten.
Großstädte hatten durch den Aufschwung der Wirtschaft Massen von Zuwanderern angelockt, die häufig in Mietskasernen
unter beengten und unhygienischen Bedingungen ein zumeist tristes Leben führten. In krassem Kontrast dazu standen die
Prachtbauten und die luxuriöse Repräsentation erfolgreicher Unternehmer und Bankiers, die auch politisch an Einfluss
gewannen. Diese aufstrebende Schicht des Großbürgertums konkurrierte in ihrer Selbstdarstellung mit dem Adel, der seine
gesellschaftliche Leitfunktion noch behaupten konnte. Das öffentliche Leben im Kaiserreich wurde von einer tradierten
Gesellschaftsordnung geprägt, die alles Militärische extrem überbetonte. Gleichzeitig aber machten Reformbewegungen und
künstlerische Avantgarde auf sich aufmerksam, die auf Überwindung autoritärer Konventionen und als überkommen
angesehener Lebens- und Kunststile abzielten.
Zugleich nahm in der Meinungsbildung die Bedeutung nationalistischer, häufig antisemitisch argumentierender
Agitationsverbände zu, die auch eine politische „Weltmachtstellung“ für das zu einem Industriegiganten aufgestiegene
Deutsche Reich mit allen Mitteln einforderten. In festem Glauben an die Überlegenheit der deutschen Wehrkraft wollte
Wilhelm II. Deutschland einen „Platz an der Sonne" sichern. Doch die Welt war unter den imperialistischen Staaten schon
weitestgehend aufgeteilt. Der unter dem Kaiser erworbene Kolonialbesitz war unbedeutend und stand in keinem Verhältnis
zu den politischen Folgekosten der Flottenaufrüstung. Insgesamt zeigte sich das deutsche Kaiserreich unter Wilhelm II. so
widerspruchsvoll wie der Monarch selbst: Deutschland schwankte zwischen den Extremen einer überaus dynamischen
Modernisierung und dem strikten Beharren auf längst unzeitgemäßen Traditionen. Vor allem in Preußen, dem mit Abstand
wirtschaftlich stärksten und bevölkerungsreichsten Land, prallten industrieller Fortschritt und konservative Agrarstrukturen
hart aufeinander. Das Ausland erblickte im Deutschen Reich – und hier vor allem in Preußen – eine bedrohliche Hochburg von
Reaktion und Militarismus, dessen aggressives imperiales Machtstreben die zu einer Triple-Entente zusammengeschlossenen
Großmächte Russland, Frankreich und Großbritannien einzuschränken suchten. Deutschland wiederum sah sich am Vorabend
des Ersten Weltkrieges von Feinden „eingekreist", die seinen weltpolitischen Aufstieg verhindern wollten.
Der Schlieffen-Plan
Der 1833 geborene Alfred Graf von Schlieffen war von 1891 bis 1905 Chef des Generalstabs der Armee.
Kurz vor seinem Ruhestand legte er eine Denkschrift für einen deutschen Zweifrontenkrieg gegen
Rußland und Frankreich vor: Während der für die russische Mobilmachung erforderlichen Zeit sollten
zunächst Frankreich niedergeworfen und anschließend die Truppen von der Westfront an die
Ostfront verlegt werden.
Dieser Schlieffen-Plan verdichtete sich vor 1914 zu einem Dogma und wurde von Schlieffens
Amtsnachfolger, Helmuth Graf von Moltke, überarbeitet.
Zwei Streitmächte sollten Frankreich von Norden und Süden her umklammern. Die Zange sollte sich
westlich von Paris schließen und den Gegner zur Kapitulation bewegen. Voraussetzung für die
Durchführung des Schlieffen-Plans war jedoch der Einmarsch deutscher Truppen ins neutrale Belgien.
Da Großbritannien aber Garantiemacht der belgischen Neutralität war, hatte der deutsche Einmarsch
vom 3./4. August 1914 die Kriegserklärung Großbritanniens zur Folge. Doch die Umsetzung des
Schlieffen-Plans scheiterte: Moltke brach die Schlacht an der Marne im September 1914 frühzeitig ab.
Zudem waren russische Truppen schon im August in Ostpreußen eingedrungen und hatten die
deutsche Armee in der Schlacht bei Gumbinnen besiegt.
Der Stellungskrieg
Nach dem Debakel der Marne-Schlacht mit dem gescheiterten deutschen Vorstoß nach Paris und
dem Rückzug hinter die Aisne standen sich die gegnerischen Heere an der Westfront ab Herbst 1914
von der belgischen Küste bis zur schweizerischen Grenze gegenüber.
Eilig ausgehobene Erdlöcher sollten gegen feindlichen Beschuss schützen. Im jetzt einsetzenden
"Stellungskrieg" wurde an der rund 700 Kilometer langen Frontlinie auf beiden Seiten schließlich ein
tiefgestaffeltes, zumeist dreigliederiges Grabensystem mit Unterständen angelegt. Über lange
Gräben waren die an den vordersten Linien eingesetzten Truppen mit den Nachschubstellen und
Feldlazaretten verbunden. Für die Befestigung der Schützengräben wurden ganze Wälder abgeholzt.
Schnell wurde das Maschinengewehr zum Symbol des mörderischen Stellungskrieges.
Schützengraben in St. Laurent bei Arras, um 1916
Der Einsatz schwerer Maschinengewehre sowie Stacheldrahtverhaue sollten gegnerische Angriffe
verhindern und Geländegewinne des Feindes unmöglich machen. Im Gegenzug sollte stundenlanges
Trommelfeuer der Artillerie den Gegner zermürben und das feindliche Befestigungsbollwerk sturmreif
schießen.
Mit Beginn des eigenen Angriffs ebnete die Artillerie mit einer vorausrollenden „Feuerwalze“ den Weg
für die unmittelbar dahinter vorrückenden Sturmtruppen – doch oft genug geriet ihr Beschuss zu kurz
und traf die eigenen Kameraden. Trotz des Infernos überlebten in der Regel genügend Verteidiger, um
die Kampfkraft der Abwehrreihen aufrecht zu erhalten.
Für die Angreifer war ein Ansturm auf das gegnerische Befestigungsbollwerk daher weit verlustreicher
als für die Angegriffenen – zu Hunderten starben sie im Abwehrfeuer der Maschinengewehre. Gelang
den Angreifern dennoch ein Geländegewinn von wenigen hundert Metern, verloren sie häufig den
soeben eroberten Schützengraben durch Gegenangriffe aus rückwärtigen Stellungen nach wenigen
Tagen oder gar Stunden wieder. Gab es keine Verständigung über eine Waffenruhe, erlagen die im
Niemandsland zwischen den Gräben liegenden Soldaten ihren Verletzungen nach oft qualvollen
Stunden und unerhörten Hilfeschreien.
Beschuss deutscher Soldaten im Schützengraben an der Westfront, 1917/1918
Der Versuch, durch „Materialschlachten“ wieder zum „Bewegungskrieg“ zurückzukehren, führte zu
bis dahin unvorstellbaren Opferzahlen.
Auf deutscher Seite konnten die Verluste bald nicht mehr durch frische Mannschaften ausgeglichen
werden. Da selbst Großoffensiven trotz des Einsatzes Hunderttausender Soldaten keinen
entscheidenden Durchbruch in die feindlichen Verteidigungslinien ermöglichten, sollten ab 1915 der
Einsatz von Giftgas und ab 1916 von Tanks Fortschritte erzielen. Doch bis zum Frühjahr 1918 änderte
sich am Frontverlauf im Westen nur wenig.
Oft auf weniger als 100 Meter lagen sich die Feinde in ihren Schützengräben gegenüber. Das Leben in
den Unterständen prägte den Alltag der „Frontsoldaten“. Doch die Enge des Raumes, Schlamm und
Morast, das Fehlen jeglicher Privatsphäre selbst bei der Verrichtung der Notdurft, die katastrophalen
hygienischen Zustände, Ratten und Läuse, permanenter Gestank, zermürbender Schlafmangel und die
ständige Angst vor dem nächsten Angriff zehrten an den Nerven auch der erfahrenen Frontkämpfer.
Mit dem Tod als ständigem Begleiter waren viele der Soldaten den psychischen und physischen
Belastungen des Grabenkrieges nicht gewachsen. Nach 1918 gab es wohl in jedem deutschen Ort
sogenannte Kriegszitterer oder psychisch kranke Männer mit Posttraumatischer Belastungsstörung,
über die es bei entsprechenden Fragen von Kindern dann lediglich hieß: Ach, der war doch im Krieg.
Um die medizinische Versorgung der verletzten Soldaten in frontnahen provisorischen Lazaretten zu
gewährleisten, war ein schneller Abtransport hinter die Frontlinie nötig. Er oblag den Krankenträgern,
deren Aufgabe zu den gefährlichsten im Heer gehörte. Von den Feldlazaretten aus erfolgte der
Weitertransport der Verwundeten, deren häufigen Wundinfektionen neben den eigentlichen
Verletzungen zu den gravierendsten Problemen zählten. Einer möglichst schnellen antiseptischen
Wundbehandlung vor Ort dienten die individuellen Verbandspäckchen, die jeder Soldat bei sich trug.
Diese breite Versorgung mit Erste-Hilfe-Material des einzelnen Soldaten gab es erstmals im Ersten
Weltkrieg. In Feldlazaretten mangelte es häufig an Verbandszeug und Medikamenten. Morphium-
Knappheit führte oftmals dazu, dass die Lazarette vom Stöhnen der Schwerverwundeten erfüllt waren.
In deutschen Lazaretten waren neben den Ritterorden nur die Vereine des Roten Kreuzes zur
freiwilligen Krankenpflege bei der Armee zugelassen. Bei Kriegsbeginn 1914 verfügte das Deutsche
Rote Kreuz über 5.000 ausgebildete Schwestern, 1.000 Hilfsschwestern und eine unbestimmte Zahl
von Helferinnen bei den Frauenvereinen. Da die Zahl der verfügbaren Schwestern im Krieg nicht
ausreichte, wurde bereits 1914 vermehrt mit der Ausbildung von Pflegepersonal begonnen. In
Feldlazaretten sahen sie sich neben Verwundungen überdies mit Erkrankungen und Seuchen
konfrontiert. Fleckfieber oder Magen-Darm-Erkrankungen waren auf die unhygienischen Zustände in
den Schützengräben zurückzuführen. Unter diesen Bedingungen gehörte Typhus in seinen
unterschiedlichen Arten überall zu den besonders gefürchteten Epidemien. In Russland, aber auch an
der Nordostfront und insbesondere auf dem Balkan litten die Armeen besonders stark unter
Flecktyphus, dessen Erreger durch Läuse übertragen wurden. Deutschland hatte einer Ausbreitung
durch Entlausungsmaßnahmen weitgehend entgegenwirken können.
Bei Kriegsende 1918 gab es in Deutschland rund 2,7 Millionen physisch und psychisch versehrte
Kriegsteilnehmer. Der schreckliche Anblick von Entstellten und Verstümmelten mit Prothesen
gehörte zum Alltag der Nachkriegszeit.
Materialschlachten
Die ersten Monate des Ersten Weltkrieges zeigten, dass die Kämpfe nicht von kurzer Dauer sein
würden.
Im Stellungskrieg an der Westfront legten beide Seiten ein tief gestaffeltes Grabensystem an. Dies
erzwang die technische „Modernisierung“ der Kriegsführung, um den Feind nachhaltig zu schwächen
und einen erfolgreichen Durchbruch durch das gegnerische Befestigungsbollwerk wagen zu können.
Ab 1915 prägte neues Kriegsgerät die bis dahin beispiellose Materialschlachten. Insbesondere im
Westen setzte erstmals ein Massentöten durch schwere Artillerie ein, die feindliche Stellungen unter
stundenlanges, manchmal tagelanges Dauerfeuer nahm, um sie schließlich „sturmreif“ zu schießen.
Im deutschen Heer löste der Stahlhelm ab 1916 schrittweise die Pickelhaube ab, die zu wenig Schutz
geboten hatte.
Auch die Soldaten wurden wie Geschütze und Munition als einzusetzendes Material betrachtet. Ihnen
wurde täglich der Einsatz ihres Lebens abverlangt. Der Tod wurde als „Heldentod fürs Vaterland“
verklärt und sollte seinen individuellen Schrecken verlieren.
Einen traurigen Höhepunkt erreichte das Konzept der Materialschlacht 1916 mit den Kämpfen um die
Festungsanlagen von Verdun und an der Somme sowie 1917 in Flandern.
Von Deutschen erbeutete 12-cm-Geschosse, um 1916
Das deutsche Feldheer verfügte bei Beginn des Krieges 1914 über rund 6.300 leichte und knapp 1.150
schwere Geschütze, Anfang 1917 waren es rund 12.500 leichte und etwa 7.200 schwere Geschütze.
Die gesamte Industrieproduktion der kriegsbeteiligten Mächte war auf die massenhafte Herstellung
entsprechender Munition ausgerichtet, die sich von Kriegsjahr zu Kriegsjahr immer mehr steigerte.
Franzosen und Briten verschossen allein 1918 rund die Hälfte ihrer Granaten während des gesamten
Ersten Weltkrieges, in dem die Artillerie der Entente und der Mittelmächte zusammen insgesamt mehr
als 850 Millionen Schuss abgaben.
Durch Artilleriefeuer starb rund die Hälfte aller Gefallenen im Ersten Weltkrieg. Der massive Einsatz
weit reichender Kanonen und die Zerstörungskraft von Granaten, Minen und Bomben hinterließen
überall grabenzerfurchte, sumpfartige Geländeflächen mit tiefen Granattrichtern und toten
Baumstümpfen sowie zerschossene Ortschaften. In den Kampfgebieten in Nordfrankreich, Belgien und
Westrussland wurden hunderttausende Häuser sowie Brücken zerstört. Straßen und
Eisenbahnstrecken wurden zum Großteil beschädigt. Dörfer, Städte und ganze Landschaften entlang
der Front waren nach ihrer Zerstörung völlig gesichtslos und unbewohnbar. Diesen Zerstörungen
standen minimale Geländegewinne gegenüber, die in der Regel schon nach kurzer Zeit wieder verloren
gingen.
Im Fronteinsatz zählten neben den Maschinengewehren vor allem Flammenwerfer und
Handgranaten zu den wirksamsten Waffen der Infanterie.
Zu Hunderttausenden detonierten Handgranaten täglich bei Offensiven an der Westfront, in
Deutschland wurden bis zu neun Millionen Stück monatlich produziert.
Gegen Granatsplitter konnten herkömmliche Lederhelme die Frontsoldaten nicht mehr schützen. Der
Stahlhelm bot ab 1916 mehr Schutz gegen die Splitter von Granaten, die durch ihren massenhaften
Einsatz Tod und Verstümmelung hervorriefen. Davor sollten auch andere Gegenstände des
Körperschutzes wie Grabenpanzer und Schutzmasken bewahren.
Deutsche Artillerie in den Kämpfen in der Champagne 1917
Alle Armeen verlangten von ihren Offizieren und Mannschaften täglich den Einsatz ihres Lebens.
Im Ersten Weltkrieg starben mehr als neun Millionen Soldaten, darunter über zwei Millionen aus
Deutschland, fast 1,5 Millionen aus Österreich-Ungarn, über 1,8 Millionen aus Russland, annähernd
460.000 aus Italien. Frankreich hatte über 1,3 Millionen, Großbritannien rund 750.000 militärische
Todesfälle zu beklagen. Hinzu kamen etwa 78.000 Tote aus den französischen und 180.000 Tote aus
den britischen Kolonien. Die USA verloren nach ihrem Kriegseintritt im April 1917 rund 117.000 Mann
in Europa.