Download - Die römischen Kaiser
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Einen klar festgelegten Berufsweg, der zum römischen Kaisertum führte,gab es nicht. Unter normalen Umständen wurde erwartet, dass der Sohnseinem Vater, dem Kaiser, nachfolgte. Das dynastische Prinzip war jedochschwach verwurzelt, und es gab wichtigere Faktoren: Nero wurde Britan-nicus, dem Sohn des Claudius, vorgezogen, weil seine Mutter zu seinenGunsten intervenierte. Nur wenige Kaiser wurden im Purpur geboren, undder erste, dem ein solches Privileg zuteil wurde – Commodus, der SohnMarc Aurels –, versagte kläglich. Den meisten anderen Kaisern offenbartesich erst im Mannesalter ihre Bestimmung, über Rom zu herrschen. Kaiser gingen unterschiedliche Wege, um sich des Purpurs zu bemächti-gen: Sie erlangten die Macht als rechtmäßige Erben, Erbschleicher oder – im schlimmsten Fall – Usurpatoren.
Um erfolgreich zu sein, benötigten Anwärter auf den Kaiserthron ausgeprägte
Qua litäten. Zunächst mussten sie aus adliger Familie stammen und Senatoren sein.
Der erste römische Kaiser, der aus der zweiten Reihe der römischen Reichselite, dem
Ritterstand, stammte, war Macrinus, der 217 n. Chr. auf den Thron gelangte und nur
14 Monate lang darauf saß. Lange Zeit kamen die Kaiser aus Italien: Die Familie des
Augustus stammte aus Velitrae, aus dem unmittelbaren Hinterland der Hauptstadt.
Die Flavier (69–97 n. Chr.) hatten ihren Ursprung in Sabina, Latium. Claudius (41–54
n. Chr.) war der erste Kaiser, der in einer Provinz geboren wurde – er erblickte im
gallischen Lugdunum (Lyon) das Licht der Welt. Trajan (98–117 n. Chr.) war der erste
römische Herrscher, dessen Familie seit mehreren Generationen außerhalb Italiens
ansässig war. Er stammte aus der spanischen Stadt Italica, einer römischen Veteranen-
kolonie. Alle diese Kaiser sprachen Latein als Muttersprache. Der erste, der mit einer
anderen Sprache aufwuchs, war Septimius Severus (193–211 n. Chr.), der als Kind Pu-
nisch, die Sprache des alten Karthago, gesprochen hatte. Noch exotischer war Philippus
Arabs, der aus einem Dorf in der Provinz Arabien stammte, dem heutigen Jordanien.
Guter Regierungsstil und die Fähigkeit, mit den wichtigsten sozialen Interessen-
verbänden Roms – Senat, Armee und der städtischen plebs – zu kommunizieren, waren
unabdingbare Voraussetzungen. Militärisches Können war wichtig, aber nicht zwin-
gend notwendig: Augustus war alles andere als ein herausragender Feldherr, und
Clau dius führte nie eigenhändig ein Heer. Bildung war nützlich, obwohl es anderseits
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Kopf einer Bronzestatue desMacrinus, des ersten Kaisers,der dem Ritterstand entstam -mte. Die Statue entstand ca. 217 n. Chr.; ihr Realismusmarkiert die Abkehr von denidealisierten Porträts derantoninischen und severischenEpoche.
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schadete, wenn Kaiser allzu kunstbeflissen waren, wie das abschreckende Beispiel
Neros zeigt. Der Kaiser, der hauptsächlich Dichter und Musiker sein wollte, fiel als
Herrscher aus der Rolle.
Vom Werden eines KaisersKaum einem römischen Kaiser war die Herrschaft in die Wiege gelegt. Vor Constan -
tius II. (337–361), dem Sohn Konstantins des Großen, waren Titus (79–81) und
Commodus (180–192) die einzigen Kaiser, die Nachfolger ihrer Väter wurden. Selbst
in Dynastien, die sich lange an der Macht hielten, wie dem julisch-claudischen
Kaiserhaus, nahm die Nachfolge oft unerwartete Wendungen. Claudius war ein Über-
raschungskandidat, ausgerufen inmitten des nach Caligulas Tod ausbrechenden
Chaos, während Nero seine Erbfolge dem unersättlichen Ehrgeiz seiner Mutter Agrip-
pina verdankte, die Claudius gerade fünf Jahre vor seinem Tod geheiratet hatte.
Trotzdem musste man die Kaiser auf das höchste Staatsamt vorbereiten. Wie die
Griechen waren auch die Römer von der elementaren Bedeutung überzeugt, die Bil-
dung für einen guten Herrscher habe. Im 4. Jahrhundert v. Chr. hatte der griechische
Historiker Xenophon seine Kyropädie („Die Erziehung des Kyros“) verfasst. Das Werk
stellt Kyros, den Gründer des ersten persischen Reiches der Achaimeniden, als den
Prototyp eines tugendhaften Königs und als ein Beispiel für andere dar. Xenophon galt
Bildung, paideia für die Griechen, als Schlüssel zum guten und gerechten Herrschen:
Die hervorragende paideia, die Kyros in jungen Jahren genoss, habe reichlich Früchte
getragen, sobald er König wurde. Mit seiner Kyropädie schuf Xenophon ein völlig neu-
es literarisches Genre, das in Antike, Mittelalter und Renaissance durchgängig weite
Verbreitung genoss: als speculum principum beziehungsweise „Fürstenspiegel“.
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GEBURTSORTE DER KAISER
Dynastie
Die julisch-claudische Dynastie 27 v. Chr. – 68 n. Chr.
Die Flavier 69–96
Die fünf Adoptivkaiser und die antoninische Dynastie 69–192
Krise von 193 und die Dynastie der Severer 193–235
Soldatenkaiser 235–284
Tetrarchen 284–312
Konstantinische Dynastie 312–363
Valentinian und Theodosius 364–455
„Schattenkaiser” 455–476
Leo und Nachfolger 457–518
Rom
2
2
1
1
3
Italienaußerhalb Roms
5
1
4
2
2
1
1
Gallien/Germania
1
1
1
1
1
1
Britannia Balkan-staaten
6
7
4
6
2
Nord-afrika
2
1
1
Ägypten Kleinasien/Anatolien
2
Naher Osten
2
1
1
Unbekannt
7
1
2
2
Total
8
3
7
7
21
8
6
12
9
4
OBEN UND GEGENÜBER
Die Grafik zeigt die Geburts -orte der römischen Kaiser vonAugustus bis zur ThrakischenDynastie im Osten. Ab dem 3. Jahrhundert stammte einewachsende Zahl von Kaisernvom Balkan.
Spanien
2
2
3
– 1 Zeile
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LINKS
Schulszene, Relief von einemGrabstein aus Neumagen,Deutschland, ca. 180–185n. Chr. Der Lehrer (links),vermutlich ein Grieche, unter -weist seinen Schüler, der eineSchriftrolle hält. Ein zweiterSchüler (rechts) tritt ein undentbietet seinen Gruß.
Byzanz/Konstantinopel
Antioch
Alexandria
Memphis
Kyrene
Syracuse
Athen
Karthago
Kaiser, deren
Geburtsort unbekannt
ist
Rom
Italien (außerhalb
Roms)Gallien/
Germanien
Spanien
Nordafrika
Gesamtzahl von Kaisern = 85
Balkan-staaten
Kleinasien/Anatolien
NaherOsten
G E R M A N I A
12
B l a c k S e a
A T L A N T I CO C E A N
Lutetia (Paris)
Londinium
2
4
6
16
9
25
4
7
0 200 300 400 Kilometer100
100 200 300 Meilen0
M e d i t e r r a n e a n
S e a
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Als Nero nach Agrippinas Eheschließung mit Claudius designierter Kaiser wurde,
war seine Mutter bestrebt, ihrem 12-jährigen Sohn die bestmögliche Bildung zu geben.
Das Kind wurde Lucius Annaeus Seneca anvertraut, dem in Spanien geborenen Sena-
tor, stoischen Philosophen und Verfasser zahlreicher Aufsätze, Dialoge und Tragö-
dien. Seneca war eine ausgezeichnete Wahl: ein vielseitiger Intellektueller, der Nero in
Philosophie, Literatur und Staatskunst unterwies. Möglicherweise gebrauchte er die
eigenen Tragödien als Anschauungsmaterial für den Ethikunterricht. Womöglich war
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Einen „guten“ Kaiser zeichneten viele Eigenschaftenaus, von denen Bildung vielleicht die wichtigste war.Als Hadrian Antoninus Pius adoptierte, verfügte er,dass Antoninus Marcus Annius Verus adoptieren sollte,den künftigen Marc Aurel. Als er auf diese Weise in deninneren Zirkel der Macht eintrat, war Marcus 16 Jahrealt. Die entscheidenden Stufen der Erziehung, die einjunger römischer Aristokrat gewöhnlich genoss, hatteer bereits absolviert: Er hatte mit lateinischer Gram-matik begonnen und dann griechische Sprache und Literatur gelernt. Auf allen Gebieten hatte er vom Unterricht führender Spezialisten profitiert.
Als er etwa 18 Jahre alt war, erhielt er auch Unterricht
in Recht, Rhetorik und Philosophie. Philosophie kam auf
dem aristokratischen Stundenplan nur am Rande vor, aber
Marcus hatte rasch Gefallen an ihr gefunden. In seinen phi-
losophischen Exerzitien, bei denen er von Marcus Junius
Rusticus unterwiesen wurde, einem berühmten Stoiker,
suchte der künftige Kaiser Antworten auf die Fragen, die ihn
umtrieben. Die Stoa mit ihrer strengen Betonung von Pflicht
und Tugend sagte ihm am meisten zu. Während er viel spä-
ter gegen Markomannen und Quaden kämpfte, schrieb er
seine Selbstbetrachtungen nieder, ein Regelwerk für sein
eigenes Handeln, in dem er die stoische Philosophie auf den
Punkt brachte: „Der Tod ist, wie die Geburt, einen Offen-
barung der Natur [...]. Nichts an ihm sollte uns aus der Fas-
sung bringen.“ Und: „Lebe nicht dein Leben, als währte es
tausend Jahre, lebe jeden Tag, als wäre er dein letzter.“
Marcus’ Lieblingslehrer war jedoch kein Philosoph,
sondern Marcus Cornelius Fronto, der ihn in lateinischer
Rhetorik und Literatur unterwies. Frontos Kanon war, ver-
glichen mit dem Geschmack der Zeit, archaisch: Er zog Sal-
lust Tacitus vor und Ennius sowie Plautus den augusteischen
Dichtern Horaz, Vergil und Ovid. Intellektuell wandte sich
Marcus bald von solchen Vorbildern ab, aber er entwickelte
eine bleibende Zuneigung zu Fronto, die sich in ihrem Brief-
wechsel niederschlägt. Zu Anfang mag seine Begeisterung
für Fronto sogar eine homoerotische Komponente gehabt
haben. Als der geliebte Lehrer erkrankte, schrieb ein ver-
zweifelter Marcus: „Aber ich weiß nicht, wo mein Mut
geblieben ist; ich weiß nur, dass er unterwegs zu dir ist.“
Nachdem Marcus Kaiser geworden war, wurden die Briefe
förmlicher, aber die Freundschaft hatte Bestand.
WIE ERZIEHT MAN EINEN GUTEN KAISER?
Büste des jungen MarcAurel, ca. 140 n. Chr. Sie stammt aus der Villa des Kaisers in Lanuvium bei Rom.
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es auch Seneca, der die Leidenschaft des jungen Nero für Theater und Musik weckte
oder förderte.
Ein Manifest von Senecas Erziehungsidealen ist seine Abhandlung De clementia
(„Über die Barmherzigkeit“), geschrieben wohl 55/56 n. Chr., kurz nach Neros Thron-
besteigung. In diesem kurzen Aufsatz, in dem er den Kaiser direkt anspricht, zeichnet
der Lehrer – ganz im Stil von Xenophons Kyropädie – ein Porträt des guten Herrschers.
Seneca lobt Neros Tugend und besonders seine Barmherzigkeit, da der damals 18-Jäh-
rige – anders als alle seine Vorgänger – noch nie Blut vergossen habe. Barmherzigkeit
und die Fähigkeit zu vergeben seien die beiden Tugenden, die den guten Herrscher
vom gewöhnlichen Menschen unterscheiden:
Der rasende und erbarmungslose Zorn ziemt sich nicht für den König,
denn durch den Zorn erhebt er sich kaum über denjenigen, über den er
sich ärgert, sondern er nähert sich ihm an. Wenn er aber denen das Leben
schenkt und denen die Position belässt, die beides aufs Spiel gesetzt
haben und zu verlieren verdienen, dann tut er das, was nur tun kann,
wer Herr der Lage ist.
Anschließend erklärt Seneca Nero den Unterschied zwischen
einem ‚König‘, dem guten Kaiser, und einem Tyrannen:
Während der Tyrann überall Furcht sät, sei
der gute König derjenige, dem alle Dinge
Herzensangelegenheit sind, der, obwohl er
bald mehr, bald weniger Sorgfalt walten
lässt, sich um jeden einzelnen Teil des Staates
wie um einen Teil von sich selbst kümmert; der
selbst dort zur Milde neigt, wo für ihn Strafe gewinn-
trächtiger wäre.
Für Seneca sind Milde, Gerechtigkeitssinn, Maßhalten und Leut-
seligkeit die unabdingbaren Prinzipien des guten Herrschens.
In dem Manifest vermengt sich die Perspektive eines römischen
Senators mit dem intellektuellen Credo des stoischen Philosophen.
Die Stoa, die führende Schule der Philosophie in der frühen Kaiser-
zeit, legte viel Wert auf Selbstüberwindung und Beherrschung der
Triebe, vor allem des Zorns. Ein ethisches Leben setze Rücksicht auf
Andere und Bürgersinn voraus. Der Senator in Seneca mahnte Nero,
die politischen und sozialen Empfindlichkeiten der römischen Aristo-
kratie zu respektieren. Der gute Kaiser präsentiere sich als ein Senator
unter anderen, nicht als Herr; die rechtschaffene Herrschaft verlange
nach Bescheidenheit und Umgänglichkeit, nicht nach Prätention und
Machtdemonstrationen.
Neros Erziehung war eine Erfolgsgeschichte – wenigstens am Anfang.
Kaiser Trajan, der unter Claudius geboren wurde, bemerkte später, dass die
Marmorstatue Neros als Kind,mit Toga, ca. 48–50 n. Chr. Umseinen Hals hängt die bulla, eingoldenes Amulett, das Knabentrugen. In seiner linken Handhält er eine Schriftrolle. DieStatue könnte nach Agrip pi nasHochzeit mit Claudius in Auf -trag gegeben worden sein.
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BEKANNTE USURPATOREN
Name des Usurpators
Lucius AntoniusSaturninus
Avidius Cassius
Pescennius Niger
Postumus
Zenobia
Carausius
Magnentius
Procopius
Eugenius
Priscus Attalus
Ursupatoren gegen Jahr
Domitian
Marcus Aurelius
Septimius Severus
Gallienus
Aurelian
Maximian
Constantius II
Valens
Theodosius I
Honorius
Jahr
89
175
193
260
272
286
350
365
392
409 und 411
Stadt/Region
Mainz, Germania Superior
Naher Osten
Antiochia, Syrien
Köln, Germania Inferior
Palmyra, Syrien
Gesoriacum, Gallien
Autun, Gallien
Konstantinopel
Lyon, Gallien
Rom und Bordeaux,Gallien
Schicksal des Ursupators
Besiegt durch die Legionen in Germania Inferior und gefallen im Kampf (89).
Ermordet (175).
Besiegt durch Septimus Seve-rus in Issos (194), gefangen -genommen und hingerichtet.
Errichtete ein regionales Reich in Gallien und wurdedurch seine eigenen Soldatenin Mainz getötet (272).
Besiegt und gefangengenom-men durch Aurelian (272).
Errichtete ein regionales Reich in Britannia und Nord-gallien und wurde durch seinen eigenen Offizier er-mordet (293).
Tötete Kaiser Constans, wurde durch Constantius II besiegt beging und Selbst-mord.
Besiegt durch Valens bei Thyateira, gefangengenommenund hingerichtet (366).
Besiegt durch Theodosius undhingerichtet (394).
Zweimalige Usurpation, Un-terstützung durch die West-goten, Gefangennahme durchHonorius und Verbannung.
ersten fünf Jahre von Neros Regierung die glücklichsten waren, die Rom je erlebt
habe. Die goldenen Jahre, auf die sich Trajan bezog, verdankte man weitgehend der
Tatsache, dass Seneca und Burrus, der Präfekt der Prätorianergarde, gemeinsam die
Regierungsgeschäfte führten und Nero nur stiller Teilhaber war. Das Experiment
lief aus dem Ruder, als der junge Kaiser schließlich entdeckte, über welche Macht er
verfügte. Sein erstes Opfer wurde sein Adoptivbruder Britannicus (55 n. Chr.), danach
tötete er Agrippina (59) und später seine Gattin Octavia, Claudius’ Tochter (62).
Schließlich wurde sogar Seneca, der in eine Verschwörung gegen seinen ehemaligen
Schüler verstrickt war, zum Selbstmord gezwungen (65). Burrus war bereits 62 n. Chr.
an Krebs gestorben. Trotz aller Bemühungen Senecas, aus Nero den idealen Kaiser
zu formen, ging der letzte julisch-claudische Kaiser als Tyrann und nicht als barmher-
ziger König in die Geschichte ein. So überrascht nicht, dass einflussreiche Männer
ihn loswerden wollten.
GEGENÜBER
Der sterbende Seneca, Gemäldevon Peter Paul Rubens(1612/13). Rubens stellt Sena -cas Selbstmord im Bad dar, bei dem ihm ein Arzt zur Handgeht (rechts). Der Maler mo del -lierte seinen Seneca nach der berühm ten Statue einesFischers, von der man damalsannahm, sie stelle den Philo -sophen dar.
LINKS
Viele von denen, die nach derMacht in Rom griffen, bliebenerfolglos. Die Tabelle listeteinige der Usurpatoren auf, dievergeblich nach dem Purpurstrebten.
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... „das Geheimnis des Imperiums nunmehr offen zutage trete, dass nämlich ein Kaiser auch anderswo als in Rom gemacht werden könne“
Tacitus, Histories
UsurpationNur wenige römische Kaiser starben eines friedlichen Todes. Einige wurden ermordet,
andere ließen ihr Leben auf dem Schlachtfeld und einer, Valerian (260), starb in persi-
scher Gefangenschaft. Die meisten Herrscher, die gewaltsam von der Macht verdrängt
wurden, erlagen Usurpatoren: Generalen, die, gestützt auf die von ihnen geführten
Heere, den Purpur für sich reklamierten. Tacitus’ aus den Historien stammender Satz,
demzufolge – nach Neros Tod – zielte auf solche senatorischen Prätendenten.
Das Szenario für eine römische Usurpation
blieb grundsätzlich unverändert – über Jahrhun-
derte. Kaiser, denen es nicht gelang, mit denjeni-
gen Gruppierungen in Dialog zu treten, die den
Prinzipat trugen – Senat, Militär und Roms städti-
sche plebs –, verloren ihren Rückhalt. Hatte ein
Kaiser die Unterstützung einer oder mehrerer
dieser Gruppierungen verloren, stand seine Herr-
schaft am Rande des Zusammenbruchs. Schlag -
artig kam allen zu Bewusstsein, dass der Kaiser
nicht als Einziger „herrschaftstauglich“ war –
capax imperii in Tacitus’ Worten. Die senatorischen
Offiziere, denen die entlang der langen Grenzen
des Imperiums stationierten Heere gehorchten,
waren versucht, sich selbst von ihren Legionen
zum Kaiser ausrufen zu lassen. War der Präten-
dent erst einmal ausgerufen, so war ein Zusam-
menstoß mit dem amtierenden Kaiser unvermeid-
lich.
Neros Herrschaft, die sich durch eine beein-
druckende Reihe von Katastrophen auszeichnete,
stand 68 n. Chr. kurz vor dem Kollaps. Ein grau-
samer Krieg zwischen Parthern und Römern hatte
den Osten mehr als ein Jahrzehnt lang (54–66)
heimgesucht und unzählige Opfer unter römi-
schen Soldaten gefordert; 64 n. Chr. war Rom
Opfer eines Brandes geworden, der zwei Drittel
der Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte;
65 n. Chr. war ein Komplott führender Senatoren
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gegen Nero aufgeflogen, und viele Teilnehmer, darunter der angesehene Senator Piso
und der Philosoph Seneca, wurden hingerichtet oder gezwungen, Selbstmord zu
begehen; im folgenden Jahr war eine weitere Verschwörung aufgedeckt worden, in die
Gnaeus Domitius Corbulo, Neros fähigster General, verstrickt war; auch er wurde
genötigt, sich das Leben zu nehmen; schließlich hatte der Ausbruch des ersten Jüdi-
schen Krieges (66–70 n. Chr.) einen wichtigen Teil des römischen Vorderasien noch
einmal in ein Schlachthaus verwandelt.
Inmitten solcher Krisen und Katastrophen suchte der kunstbesessene Kaiser
Zerstreuung auf einer Reise durch Griechenland (66–68 n. Chr.), wo die Menge die
Auftritte des Kithara spielenden Kaisers mit begeistertem Applaus quittierte. Kein
Wunder: Der Philhellene auf dem Kaiserthron hatte die „Freiheit“ Griechenlands pro-
klamiert und sämtliche Steuern erlassen. Schwelgend in seiner eigenen Kunstbeses-
senheit hatte er jede Verbindung zur Realität verloren. Schlimmer noch: Einen Kaiser
in der Rolle des Künstlers akzeptierten die Senatoren keineswegs. Römische Aristo-
kraten, die eisern an ihren Traditionen festhielten, mochten Geschichte schreiben
oder sich allenfalls in der Dichtkunst versuchen; Auftritte als Schauspieler oder Musi-
ker hingegen waren ihrem Rang unangemessen. Ein Herrscher, der, wie Nero, auf
die Bühne stieg, fiel aus seiner kaiserlichen Rolle.
Als Nero 68 n. Chr. nach Rom zurückkehrte, hatte die Unzufriedenheit mit seiner
Regierung alarmierende Ausmaße angenommen. Die Rückkehr zu einer republika-
nischen Verfassung, wie sie einige Senatoren noch befürwortet haben mögen, kam
nun nicht mehr in Frage. Die Ereignisse, die auf Caligulas Ermordung folgten, hatten
das hinreichend klargestellt: 41 n. Chr. hatte der Senat die Restauration der Republik
kurz erwogen, war jedoch daran gescheitert, dass für das Militär ein drohendes Macht-
vakuum inakzeptabel war.
Kaum überraschend ergriff also 68 n. Chr. das Militär die Initiative. Gaius Iulius
Vindex, Statthalter der Provinz Lugdunensis in Gallien, rebellierte gegen den Kaiser.
Er erhielt Unterstützung von den einheimischen Stämmen und überredete seinen
Kollegen Servius Sulpicius Galba, den Statthalter von Terraconensis in Spanien, den
Purpur für sich zu beanspruchen. Am 3. April wurde Galba in Carthago Nova, dem
heutigen Cartagena, zum Kaiser ausgerufen. Obwohl Vindex am Ende gegen die starke
Rhein armee – deren Befehlshaber Lucius Verginius Rufus seine Entscheidung über
etwaige eigene Ambitionen über mehrere Monate hinausgezögert hatte – unterlag,
wurde Galbas Proklamation vom römischen Senat ratifiziert. An der Spitze seines Hee-
res brach der Usurpator am 8. Juni gen Rom auf. Am folgenden Tag beging Nero, der
jegliche Unterstützung verloren hatte, Selbstmord.
Nun war Galba Kaiser – zunächst unangefochten. Tacitus’ Historien geben eine
lebhafte Beschreibung seiner Persönlichkeit und der Umstände, unter denen er sein
Kaisertum antrat:
„Galba war ein kraftloser Greis [...]. Langsam war Galbas Anmarsch und blutig
[...]. Der Einzug in die Stadt: nach der Hinschlachtung so vieler tausend waffen -
loser Soldaten unheilvoll in der Vorahnung und sogar für die Mörder grauenerre-
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Karte des Römischen Reiches68/69 n. Chr. Sie zeigt dieDislozierung der Legionen unddie Ausgangspunkte der vierUsurpatoren.
IX Hispa
GalbaProklamation zum Kaiser in Karthago Nova, April 68
IV Mace XII Pri
V AlauXV Primig
XXI
Ort und Name der Legion
A T L A N T I K
Lutetia
Londinium
III Augu
VI Victrix
VI Victrix
XX Valaeria Victrix
II Augusta
0 200 300 400 Kilometer100
100 200 300 Meilen0
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