Integrationsfachdienste:Arbeit und Struktur im Wandel
Fachtagung der Evangelischen Akademie Bad Bollin Zusammenarbeit mit der BIH
vom 22. bis 24. März 2010
Workshop 8: Rolle und Beauftragung
© Dr. Dipl.-Psych. Christoph Werner
IFD-Fachberater
Übersicht
� Beschreibungselemente der Rolle des IFD-Fachberaters nach KASSYS
� Der IFD-Fachberater in Zeiten der Krise
� Der IFD-Fachberater in Zeiten enger werdender ökonomischer Spielräume
� Der IFD-Fachberater in Zeiten weiterzuentwickelnder QM-Systeme
� Schlussbetrachtungen
Beschreibungselememte der Rolle des
IFD-Fachberaters
nach
KASSYS*
*Qualitätsmanagement-Referenzmodell zum Integrationsfachdienst (IFD) nach den §§ 109 ff. SGB IX
Fachliche Anforderungen I*
� 2 Jahre Berufserfahrung
� Psychosoziale und arbeitspädagogische Qualifikationen
� Fachspezifische Kenntnisse über Behin-derungsformen und ihre Auswirkungen
� Spezifische Qualifikationen (z.B. Gebär-densprache)
� Arbeitsdiagnostische Kenntnisse*KASSYS 3 6.2.1
Fachliche Anforderungen II*
� Beratungstechniken und Methoden der sozialen Arbeit
� Kenntnisse betrieblicher Abläufe und Strukturen
� Fähigkeit Konflikte zu erkennen, realistische Konfliktlösungsstrategien zu erarbeiten und situationsangemessen umzusetzen
*KASSYS 3 6.2.2
Fachliche Anforderungen III*
� Verhandlungsstrategien im betrieblichen Kontext
� Rechtskenntnisse
� Fähigkeit zur Anfertigung fachdienstlicher Stellungnahmen
*KASSYS 3 6.2.1
Weitere Anhaltspunkte aus dem Maßnahmenkatalog*
� Erarbeitung realistischer beruflicher Ziele (M2)
� Training sozialer/kommunikativer Kompetenzen (M6)
� Kriesenmanagement (M11)
*KASSYS 3 4.3
Das Mitarbeiterprofil*
� Sinnvolle Positionierung/Abgrenzung im betrieblichen Umfeld
� Auseinandersetzung mit verschiedenen Welten
� Wertorientierungen aus der „Sozialwelt“infrage stellen und anpassen
� Variables Vorgehen*KASSYS 3 6.2.2
Persönliche Eignung*
� Empathie
� Teamfähigkeit
� Selbstständigkeit/Selbstorganisation
� Konfliktkompetenz
� Positives Erscheinungsbild
KASSYS 3 6.2.1
Zwischenergebnis
Der IFD-Fachberater ist nach KASSYS ein (fach-) kenntnisreicher, präsentabler,sozial kompetenter, erfahrener, empathischer, variabler, sich sinnvoll positionierender
�Berater, Zielerarbeiter
�Kriesenbegleiter
�Konfliktbearbeiter
�Verhandler
�Infragesteller von Wertorientierungen
Gibt es weitere
Beschreibungselemente?
Der IFD-Fachberater in Zeiten der Krise
Eine integere Vertrauensperson
Thesen
I. Die gegenwärtig viel beschworene Krise ist auch eine allgemeine Vertrauenskrise.
II. Dabei sind Systemvertrauen und Personenvertrauen untrennbar ineinander verwoben.
III. Die Möglichkeit, fehlendes Vertrauen in die Sozialsysteme und ihre Repräsentanten gegenüber einem offen professionell reflektierenden Berater in der konkreten Beratungssituation anzusprechen, kann Grundlage für einen Vertrauenszuwachs sein.
IV. Dabei kann eine (auch) soziologisch geprägte Sichtweise entlastend und hilfreich sein.
Die Systeme der sozialen Sicherung
in der (Vertrauens-) Krise
Einstellungen zum Sozialstaat
„Nur noch die Hälfte der Befragten hat Vertrauen in die Pflegeversicherung und bei der Arbeitslosen-versicherung und der Sozialhilfe sinkt dieses auf deutlich unter 50%. Der Rentenversicherung vertraut nur noch ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger und bei der neu geschaffenen Grundsicherung für Arbeitssuchende liegt der Anteil sogar unter 30%.(Aus einer vom BMAS in Auftrag gegebenen Studie zu Einstellungen zum Sozialstaat, Krömmelbein et al. 2007:148)
Pressemitteilungen
„Barmer: FDP legt Axt an soziale Sicherheit“Barmer GEK, 11.2.2009
„Rentenbescheide falsch berechnet“RP Online, 8.9.2009
„ 40% SEHEN IN DER Medizin immer mehr Maschinen am Werk, das Menschliche komme zu kurz.“Niedersächsisches Ärzteblatt 01/09
„Forscher: Sozialsysteme teuer, aber ungerecht“ taz, 28.10.2005
Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme (soSi)
� Diese sind hochkomplex und schwer durchschaubar.
� Die Einzelsysteme stehen unter dem starken Druck der Externalisierung von Kosten, was zu einem institutionalisierten Misstrauen unter den beteiligten Funktionsträgern führt.
� Sie senden verunsichernde, wider-sprüchliche Botschaften nach außen und untergraben so das Systemvertrauen.
Einem undurchschaubaren System, dass durch eine Kultur des
Misstrauens charakterisiert ist und widersprüchliche
Botschaften aussendet, ist schwerlich zu vertrauen!
Aber: Vertrauen in die soSi ist nötig …
� um trotz mangelnden Wissens handlungs-und entscheidungsfähig zu bleiben –Anthony Giddens.
� um die gesellschaftliche Komplexität und informationsdichte zu reduzieren – Niklas Luhmann.
Misstrauen belegt alle Erscheinungsformen wirtschaftlichen Handelns mit einer Art Steuer, die in Gesellschaften mit einem hohen Maß an sozialem Vertrauen entfällt.
Francis Fukayama, 1995
Personen-
und
Systemvertrauen
Verschiedene Aspekte von Vertrauen
System-
vertrauen
Personen-
vertrauenOrganisations-
vertrauen
Systemvertrauen begünstigen
� Informationen und Wissen über das System
� Transparenz der Leistungsmöglichkeiten
� Transparenz interner Entscheidungswege
� Rechte und Widerspruchsmöglichkeiten der Kunden
� Interne Kontrollen und interne Sanktionsmöglichkeiten
Organisationsvertrauen begünstigen
� Verstehen von Lebenswelten und den darin begründeten Sinnstrukturen
� Fähigkeit der Professionellen zur Reflexion –auf der Personen-, Organisationen- und Systemebene
� Handlungen mit der Lebenswelt des Kunden in Beziehung setzen
� Auswirkungen im Prozess der Hilfeleistung thematisieren und reflektieren
Das Bedürfnis, sich an der Eigenart von Personen zu orientieren, dürfte in allen Bereichen des Soziallebens, wo es überhaupt zu wiederholten Kontakten kommt, nach wie vor stark sein.
Niklas Luhmann
Personenvertrauen als Systemrepräsentant begünstigen
� Kundenorientierung
� Kompetenz
� Integrität
� Entsprechende Erfahrungen über die Zeit
Kundenorientierung
� Erreichbarkeit
� Wohlwollen
� Interesse
� Empathie
� Verantwortlichkeit
Kompetenz
� Fachwissen
� Kommunikative Kompetenz
� Problemlösefähigkeiten
� Fähigkeit und Wille zu lernen
Integrität
� Glaubwürdigkeit
� Verschwiegenheit
� Distanz
� Verlässlichkeit
� Konsistenz
� Offenheit
Welche Vorteile hat die soziologisch ausgerichtete
Sichtweise?:� Sie schärft den Blick für eine schwierige
Situation, ohne dies an den Personen fest zu machen.
� Sie schärft den Blick für eine schwierige Situation, ohne dies an den Pathologien oder Defiziten fest zu machen.
� Sie kann Handlungsimpulse geben.
� Sie kann entlasten.
Was folgt daraus
für den IFD-Fachberater?
Der IFD-Fachberater …
� arbeitet an der Schnittstelle von Systemwelt (soSi) und Lebenswelt.
� wird wegen der für viele Kunden nicht gegebenen Möglichkeit, die Subsysteme der soSi klar zu unterscheiden, als Vertreter des Gesamtsystens und seiner Organisationen wahrgenommen.
� erleidet so bei allgemein abnehmendem Vertrauen in die soSi auch einen Vertrauensverlust.
� erwirbt in der individuellen Beratungssituation Vertrauen für das ganze System der soSi mit.
Der IFD-Fachberater …
� erwirbt personales Vertrauen in seiner Rolle u.a. durch Fachwissen, Glaubwürdigkeit, Distanz und Konsistenz.
� kann diese Eigenschaften in der konkreten Beratungssituation oft nur dadurch überzeugend zur Geltung bringen, dass er Widersprüche und Ungereimtheiten in den soSi und deren Organisationen reflektiert und sein Wissen darum, sowie die Fähigkeit kundenorientiert damit umzugehen, in angemessener, seinem Auftrag dienlicher Form zum Ausdruck bringt.
Damit gehört es zur Rolle des IFD-Fachberaters, nicht nur ein Experte in
den Systemen/Organisationen der sozialen Sicherung zu sein, sondern auch ein integerer Experte für das System und seine Organisationen – für deren praktische Funktionsweise.
Der IFD-Fachberater in Zeiten enger werdender
(ökonomischer) Spielräume
Ein (Mikro-) Politiker
Thesen
I. Betriebsangehörige versuchen ihren (ökonomisch bedingt) schwindenden innerbetrieblichen Entscheidungsspielraum durch die Anwendung von Mikropolitik zurückzugewinnen.
II. Dadurch wird das gesamte betriebliche Handlungsfeld gleichsam mikropolitisch aufgeladen.
III. Tritt ein Berater von außen in das betriebliche Handlungsfeld ein, so werden alle seine Schritte (auch) mikropolitisch interpretiert – dem kann sich der Berater nicht entziehen.
IV. So wird der Berater zwangsläufig auch zum Mikropolitiker.
Mikropolitik
Definition I
Mikropolitik ist der alltägliche Gebrauch von Macht um organisationale Ordnungen im eigenen Interesse zu gestalten.
Oswald Neuberger, 1996
Definition II
Politik in Organisationen bezieht sich schlicht darauf, wie Macht benutzt wird, um Unsicherheit und/oder Uneinigkeit in Bezug auf organisationale Handlungen und Ziele aufzulösen.
Anthony Cobb, 1986
Küpper & 0rtmann, 1992:
Die Machiavelli der Organisation sind umringt von Bremsern und Treibern, Change Agents und Agenten des ewig gestrigen, Märtyrern und Parasiten, grauen Eminenzen, leidenschaftlichen Spielern und gewieften Taktikern: Mikropolitiker allesamt.
Sie zahlen Preise und stellen Weichen, errichten Blockaden oder springen auf Züge, geraten aufs Abstellgleis oder fallen die Treppe hinauf, gehen in Deckung oder seilen sich ab, verteilen schwarze Peter oder holen Verstärkung, suchen Rückendeckung und Absicherung, setzen Brückenköpfe und lassen Bomben platzen, schaffen vollendete Tatsachen und suchen das Gespräch. Dass es ihnen um die Sache nicht ginge, lässt sich nicht behaupten; aber immer läuft mit: der Kampf um Positionen, Besitzstände, Ressourcen, Karrieren, Einfluss und Macht.
Crozier & Friedberg, 1993:Strategische Organisationsanalyse
Analysegesichtspunkte:� Strategie� Macht� Spiel: „Die Idee des Spiels ist das Instrument, dass die Menschen
entwickelt haben, um ihre Zusammenarbeit zu regeln. Es ist das wesentliche Instrument organisierten Handelns. Es vereint Freiheit und Zwang. Der Spieler bleibt frei, muss aber, wenn er gewinnen will, eine rationale Strategie verfolgen, die der Beschaffenheit des Spielsentspricht, und muss dessen Regeln beachten. Das heißt, dass er zur Durchsetzung seiner Interessen die ihm auferlegten Zwänge zumindest teilweise akzeptieren muss.“
Crozier & Friedberg, 1993
Mikropolitik ist …(nach Heber & Steinmüller, 2004)
–Tagtägliches Handeln
–Im Rahmen organisationaler Strukturen und Verfahren
–Deren ungewisse Akteure
–Mit der meist verdeckten Zielsetzung nutzen,
–Wenn nötig auf Kosten von Konkurrenten
–Eigene Interessen durchsetzten,
–Um das Potenzial knappe Ressourcen zu kontrollieren
–Dauerhaft
–Durch (Re-) Produktion geeigneter Strukturen und Verfahren zu sichern oder zu steigern
Mikropolitische Taktiken - Überblick
� Kontrolle von Informationen
� Kontrolle von Normen, Verfahren, Regeln
� Beziehungspflege
� Selbstdarstellung
� Abwertung Anderer
� Situationskontrolle/Sachzwang
� Handlungsdruck erzeugen
� Timing, Chancen nutzen
� Sanktionen androhen
� (verdeckte) Koalitionsbildung
� Höhere Instanzen einschalten
� Vorteile versprechen oder verschaffen
� Sich einschmeicheln, nach dem Mund reden
Mikropolitische Taktiken I
� Kontrolle von Informationen z.B. Zurückhaltung, Filterung von Information; Spezialwissen ansammeln, Gestaltung von Informationssystemen im Sinne privilegierter Nutzung
� Kontrolle von Normen, Verfahren, Regelnz.B. Kontroll- und Bewertungsmaßstäbe beeinflussen; Besitzstände, Gewohn-heitsrechte geltend machen; den Alter-nativenraum definieren
Mikropolitische Taktiken II
� Beziehungspflege
z.B. verdeckte Absprachen und Koaliti-onsbildung; privilegierte Beziehungen installieren; mit kleinen Geschenken die Freundschaft erhalten, Teilen und Herrschen
� Selbstdarstellung
z.B. Eindrucksmanagement betreiben; dominant, selbstbewusst auftreten; verunsichern; bluffen; ins Bockshorn jagen
Mikropolitische Taktiken III
� Abwertung Anderer
z.B. Mitarbeiter hinter ihrem Rücken schlecht machen; ihren Ruf oder ihre Leistung in ein negatives Licht rücken; sie einfach ignorieren
� Situationskontrolle, Sachzwang
z.B. scheinbar unabsichtlich Fehler machen; Dinge „vor die Wand fahren lassen“; Dienst nach Vorschrift machen; vollendete Tatsachen schaffen
Mikropolitische Taktiken IV
� Handlungsdruck erzeugen
z.B. (künstliche) Krisen erzeugen und/
oder nutzen; Termine setzen, kontrollieren, verschieben, nicht einhalten; „Politik der kleinen Nadelstiche“
� Timing, Chancen nutzen
z.B. Gelegenheiten (aus-) nutzen; den günstigsten Zeitpunkt abwarten; verfügbar, mobil, flexibel sein
Mikropolitische Taktiken V
� Sanktionen androhen
z.B. mit Entlassung drohen; mit einer schlechten Beurteilung drohen; die Verzögerung einer Lohnerhöhung androhen
� (verdeckte) Koalitionsbildung
z.B. die Unterstützung der Kollegen oder Mitarbeiter suchen; an Gefühle von Freundschaft und Loyalität appellieren; einen Tauschhandel eingehen; an einen alten Gefallen erinnern
Mikropolitische Taktiken VI
� Höhere Instanzen einschalten
z.B. sich an Vorgesetzte oder Vorgesetzte von Vorgesetzten wenden; externe Kontrollinstanzen einschalten
� Vorteile versprechen oder verschaffen
z.B. eine Lohnerhöhung oder Beförderung versprechen; bevorzugte Arbeitsräume oder –mittel zugänglich machen
� Sich einschmeicheln, nach dem Mund reden
Funktionen von Mikropolitik
� Fördert langfristig das Überleben sozialer Systeme
� Stellt Handlungsfähigkeiten her, löst widersprüchliche Systemimperative auf
� Erlaubt maßgeschneiderte Sofortlösungen ohne zeitraubende Begründungsrituale und Bürokratie
� Wirkt als Ventil
� Hat Demokratisierungseffekt - jeder, nicht nur „Insider“ machen Politik
Negative Auswirkungen von Mikropolitik
� Kann überhand nehmen, in offene Konflikte münden
� Kann destruktive Züge annehmen
Mobbing
� Kann Misstrauensspirale anstoßen
� Lässt die offizielle Ordnung als Trugbild erscheinen und fördert so Klimaverschlechterung und Zynismus
� Löst Verunsicherung aus
� Vergeudet Ressourcen
� Das Geschehen ist schwer kalkulierbar
Was fördert Mikropolitik?
� Zuwachs an Konkurrenz
� Erfolgsabhängige Be-/Entlohnung
� Organisatorische Veränderungen
� Deregulierung
� Intrapreneurship (Binnenunternehmertum)
� Zunahme von Komplexität, Intransparenz
Was bringt die mikropolitische Betrachtungsweise?
� Erweiterung des Menschenbildes� Hinweis auf Einflussfaktoren und
Einflussmöglichkeiten� Lenkt den Blick auf die natürliche Allgegenwart von
Konflikten� Stellt die Frage nach Art und Weise der
Konfliktbewältigung� Lenkt den Blick auf Macht als Instrument zur
Konfliktbewältigung und zur Verfolgung von Interessen
Kritik an der Mikropolitischen Betrachtungsweise
� Keine unmittelbaren Verhaltens- oder Gestaltungsempfehlungen
� Kann eine manipulative Vorgehensweise begünstigen
� Organisationsstrukturen geraten aus dem Blick – vgl. Akteurszentriertheit
� Makropolitik gerät aus dem Blick
Was folgt daraus
für den IFD-Fachberater?
Der IFD-Fachberater …
� tritt in der Arbeitswelt (wie auch in anderen Welten) zwangsläufig in ein mikropolitisches Feld ein, in dem häufig auf mehreren Ebenen und widersprüchlich kommuniziert wird.
� muss dies wissen, denn es ist Teil „betrieblicher Abläufe und Strukturen“ (vgl. KASSYS).
� wird zwangsläufig zum „Mitspieler“ (vgl. Crozier & Friedberg, 1993) bei Macht- oder Strategiespielen oder zum „Spielverweigerer“.
Der IFD-Fachberater …
� würde beim Versuch der Spielverweigerung auch als Mitspieler wahrgenommen.
� hat folglich nur die Möglichkeit, sein mikropolitisches Wissen integer und möglichst zum Nutzen aller Beteiligten anzuwenden.
� wird es dabei manchmal für angemessen halten mitzuspielen, manchmal wird er das Spiel offenlegen, häufig wird er aber auch nur andeuten, das er um das Spiel weiß, um einen Gesichtsverlust der Mitspieler zu vermeiden
Da der IFD-Fachberater gezwungen ist, in einem mikropolitischen Feld integer und neutral gegenüber Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu agieren, gerät er oft in die Rolle eines Diplomaten in Krisenzeiten.
Zwischenergebnis
I. Ein geringer werdendes Vertrauen in die öffentlichen Institutionen - auch die soSi – und härter werdende Auseinandersetzungen um Spielräume, Ressourcen und Arbeitsplätze in der Arbeitswelt beeinflussen die Arbeit der IFD-Fachberater.
II. Diese müssen vermehrt ihre Integrität unter Beweis stellen, d.h., zeigen, dass sie die Widersprüche und Ungereimtheiten der soSi reflektiert haben und nicht weltfremd beraten.
III.Sie müssen auch in einem Feld agieren, in dem die Interessen der einzelnen Beteiligten zusehends weniger direkt benannt werden können; dies erschwert die Anwendung gängiger Verhandlungs- und Konflikt-bearbeitungskonzepte.
IV. Die genannten Entwicklungen erschweren die Arbeit der IFD Fachberater auch deshalb erheblich, weil gerade Unüber-sichtlichkeit, Widersprüchlichkeit und Konflikthaftigkeit dazu beitragen, die Kompetenz von seelisch gestörten Kunden, den Alltag erfolgreich zu bewältigen, zu beeinträchtigen.
Der IFD-Fachberater in Zeiten weiterzuentwickelnder
QM-Systeme
Ein Experte
ThesenI. Qualitätssicherungssysteme und Expertensysteme
sind sinnvoll und nötig – sie erleichtern die Systematisierung des Fachwissens und die Dokumentation und Bewertung der Arbeit.
II. Expertensysteme sind Anfängersysteme – sie eignen sich gut zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter und zur Kontrolle der Arbeit.
III. Expertenwissen ist hoch komplex und zum Teil nicht bewusst – es lässt sich in seiner Gänze kaum in Expertensystemen abbilden.
IV. Das Bevorraten und Weiterentwickeln von Expertenwissen verlangt ergänzende Vor-gehensweisen: z.B. die Einrichtung von Communities of Practice.
Experten
und
Expertensysteme
Ein Expertensystem ist …
„… ein Programm, dass Expertenwissen auf einem bestimmten Gebiet maschinell verarbeitet, also einen Experten simuliert. … Typischerweise denkt man dabei an ein medizinisches Diagnosesystem, das aus den Befunden eines Patienten eine Diagnose herleitet, bei Bedarf aber auch weitere Befunde anfordert und schließlich Therapieempfehlungen gibt.“
Klaus Pommerening, 1988
Experten sind …
„… Personen, die berufliche Aufgaben bewältigen, für die man eine lange Fachausbildung und praktische Erfahrung benötigt. Zu den Fähigkeiten von Experten gehört, dass sie Probleme erkennen und verstehen, Probleme lösen, die Lösung erklären, die eigene Kompetenz einschätzen, Randgebiete ihres Fachs überschauen sowie Wissen erwerben und strukturieren können. Es ist möglich, dass Experten starke, aber fehlerhafte Annahmen darüber haben, wie sie zu Urteilen gelangen. Ihr Wissen kann unbewusst sein und nicht mit Worten ausdrückbar.“
Wachsmuth & Meyer-Fujara, 1994
Gedankenexperiment
Bitte stellen Sie sich folgendes vor:
Die Computerforschung und –technologie ist sehr weit fortgeschritten: Programmierte Roboter, die wie wirkliche Menschen aussehen, reden und sich bewegen, werden im täglichen Leben eingesetzt. Man bietet ihnen als Verantwortlicher, einen solchen, gutaussehenden, netten Roboter zur Einstellung in den IFD an, der mit angenehmen Mittelklassemanieren programmiert wurde, aber auch Randgruppen-und Oberschichtverhalten „kann“. Der Roboter ist auch programmiert mit: den SGB I bis XII, den internen Richtlinien der einschlägigen Sozialsysteme, KASSYS, KLIFD, dem ICD 10 nebst Kommentaren, dem Harward-Konzept, verschiedenen NLP-,Gesprächsführungs- und Verhandlungstechniken und Daten über die Organisation von Betrieben.
Würden sie den Roboter einstellen?!
Begrenzungen für rationaleEntscheidungen
� Informationsüberfluss� Informationsmangel� Implizites/tazides Wissen� Prozedurale Prozesse
z.B. Körpersprache� Vorgewusste mentale Modelle
vgl. grammatisch richtiges Sprechen (implizit), Gesichter erkennen (tazid)
Fünf Stufen des Kompetenzerwerbsnach Dreyfus & Dreyfus, 1987
Stufe Komponenten Perspektive Entscheidung Einstellung
Neuling Kontext-frei Keine Analytisch Distanziert
Fortgeschrit-tenerAnfänger
Kontext-frei u.situational
Keine Analytisch Distanziert
Kompetenz Kontext-frei u.situational
Gewählt Analytisch Distanziertes Verstehen und Entscheiden,an Ergebnissen gefühlsmäßig beteiligt
Gewandtheit Kontext-frei u.situational
Erfahren Analytisch Teilnehmendes Verstehen, Distanziertes Entscheiden
Experte Kontext-frei u.situational
Erfahren Intuitiv Gefühlsmäßig beteiligt
Communities
Of
Practice
(Cops)
Communities of Practice(CoPs) …
„ … sind Personengruppen, die ein Anliegen, eine
Problemlage oder eine Leidenschaft zu einer Thematik
teilen, und die ihr Wissen und ihre Expertise in diesem
Gebiet durch laufende Zusammenarbeit vertiefen.“
Wenger, McDermott & Snyder 2002
„ …können Wissen in „lebendiger“ Form bewahren,
anders als eine Datenbank oder ein Handbuch….Sie
machen implizites Wissen zugänglich, dass formale
Systeme nicht speichern können.“
Wenger 1998
Communities of Practice(CoPs) …
… arbeiten nach den Prinzipien des situierten Lernens (vgl. Lave & Wenger, 1991): „Legitimate peripheral participation“.
… liegt der Gedanke zugrunde, dass das Wissen das praktische Handeln bereichert und umgekehrt.
… beschäftigen sich viel mit Fallgeschichten, da in diesen viel implizites Wissen kommuniziert wird. Es geht hier darum, die beim Handeln im Praxisfeld jenseits von Schulungen erworbenen Wissensbestände, Haltungen und Fertigkeiten weiterzugeben. Dies geschieht explizit und implizit.
Die Wissensspirale …nach Nonaka & Takeuchi, 1997
… betrachtet die Umwandlung von Wissen (W) durch Fachgespräche: �Externalisierung:
implizites W → explizites W
�Internalisierung:
explizites W → implizites W
�Kombination:
explizites W →explizites W
� Sozialisation:
implizites W → implizites W
Cops funktionieren besonders gut, wenn …
…die Mitglieder freiwillig und aus echtem Interesse mitarbeiten.
…kein hoher Formalisierungsgrad angestrebt wird.
…nicht zwanghaft versucht wird, implizites Wissen zu versprachlichen.
…sie von den sie tragenden Organisationen geschätzt werden.
Welchen Nutzen haben CoPs
� Zusammenführung vorhandenen Wissens für neue Erkenntnisse
� Vorhandenes Wissen besser zugänglich machen
� Verbesserung der (Fach-) Kommunikation der Mitarbeiter
� Unterstützung der Mitarbeiter beim Wissenserwerb
Welchen Nutzen haben CoPs
� Weiterentwicklung des praktischen Handlungswissens durch die Fragen von Neulingen
� Förderung der Identitäsbildung
� Bevorratung von Wissen – insbesondere implizitem Wissen – auf lebendige Art
� Externalisierung und Dokumentation von Fachwissen
Was folgt daraus
für den IFD-Fachberater?
Der IFD-Fachberater …
� ist nach längerer Berufstätigkeit ein Experte, den vom Berufsanfänger ein hoch komplexes praktisches, in größeren Teilen nicht expliziertes und explizierbares Handlungswissen unterscheidet.
� gerät dadurch gleichsam zwangsläufig in die Rolle eines Handlungswissens-managers.
Schlussbemerkungen
Es besteht gegenwärtig ein Trend, Arbeit im psychosozialen Feld anhand von Prozess-beschreibungen zu steuern, zu optimieren und zu bewerten.
Um auch das so nicht abbildbare Hand-lungswissen weitergeben und weiterentwickeln zu können, bedarf es zusätzlicher Mittel des Expertenaustausches – etwa der Einrichtung von Communities of Practice.
Literatur
� Crozier, Michael & Friedberg, Erhard: Zwänge kollektiven Handelns. Über Macht und Organisation. Frankfurt, 1993.
� BIH: KASSYS. Karlsruhe, 2006.
� Lave, Jean & Wenger, Etienne: Situated learning. Legitimate peripheral participation. Cambridge/Mass., 1991.
� Luhmann, Niklas: Vertrauen. Stuttgart, 1989.
� Neuberger, Oswald: Mikropolitik und Moral in Organisationen. Stuttgart, 2006.
� Wagenblass, Sabine: Vertrauen in der sozialen Arbeit. Weinheim, 2004.