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Ein bisschen Psychologie für Schiedsrichter - damit Sie nicht als Schiedsrichter rot sehen …
Lukas Götz,
Dipl.-Psych. Uni Würzburg
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Foul oder kein Foul- das ist hier die Frage!
� Höchste körperliche Anstrengung und geistige Konzentration seit beinahe anderthalb Stunden
� 35.000 oder auch 70.000 schreiende Menschen auf engstem Raum
� der Konterangriff läuft und der Schiedsrichter hinterher� ein langer Sprint in die andere Spielhälfte� von hinten kommt der Verteidiger dem Stürmer näher
– gut zu erkennen ist es von der Perspektive nicht� der Stürmer fällt, die Zuschauer schreien und jetzt
muss ganz schnell eine Entscheidung gefällt werden, � die an den Bildschirmen hunderttausende Menschen in
Freudentaumel und ebenso viele in abgrundtiefe Traurigkeit versetzt …
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Gliederung
� Kurze Einführung in die Psychologie
� Schiedsrichter –Persönlichkeit
� Kommunikation
� Schiedsrichter-Entscheidungen
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Psychologie
� Wissenschaft� Empirische Forschung von
� Kognitionen Denken und Planen� Emotionen Gefühl und Stimmung� Verhalten� Zusammenhang von Ursache und Wirkung
von Verhaltensweisen� Ursache – Verhalten – Konsequenz� Reiz – Reaktion - Konsequenz
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Psychologie
Beispiel 1:
� Stürmer wird in der 1. Spielminute vom gegnerischen Verteidiger extrem grob von den Beinen geholt, Schiedsrichter lässt weiterspielen.
� Perspektive Stürmer:� (-) Reiz: Verteidiger
� Reaktion: Angst � defensives Angriffsverhalten
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Psychologie
Beispiel 2:� Stürmer wird in der 1. Spielminute vom
gegnerischen Verteidiger extrem grob von den Beinen geholt, Schiedsrichter lässt weiterspielen.
� Perspektive Verteidiger:� Reaktion: aggressive/unfaire Verteidigung� (+) Konsequenz: erfolgreiche Verteidigung� (-) Konsequenz: ---
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Psychologie
Beispiel 3:� Stürmer wird in der 1. Spielminute vom
gegnerischen Verteidiger extrem grob von den Beinen geholt, Schiedsrichter zeigt gelbe Karte.
� Perspektive Verteidiger:� Reaktion: aggressive/unfaire Verteidigung� (+) Konsequenz: erfolgreiche Verteidigung� (-) Konsequenz: Verwarnung und Vorwarnung für
Mitspieler
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Psychologie
Beispiel 4� Ausverkauftes Stadion: Schiedsrichter pfeift
in einer umstrittenen Szene gegen die Heimmannschaft. Das Stadion tobt. Es kommt die nächste strittige Szene zu Lasten der Heimmannschaft.
� Perspektive des Schiedsrichters� (-) Reiz: tobende Zuschauer, Lärm� Reaktion: Schiedsrichterentscheidung?� (+) Konsequenz: Zuschauer beruhigen sich� (-) Konsequenz: Zuschauer toben noch mehr
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Psychologie
� Wissenschaft� Lernpsychologie
� Entwicklungspsychologie� Klinische Psychologie� Wirtschaftspsychologie� Sozialpsychologie� …� Sportpsychologie� Verkehrpsychologie
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Psychologie
� Wissenschaft� Lernpsychologie
� Entwicklungspsychologie� Sozialpsychologie
� Klinische Psychologie� Wirtschaftspsychologie� …� Sportpsychologie
� Verkehrpsychologie
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Psychologie und Schiedsrichter� Prozesse:
� Kommunikation & Interaktion� Informationsverarbeitung� Entscheidungsfindung
� Eigenschaften:� Persönlichkeit und Charakter � Selbstkonzept
� Kognitiver Ebene� Emotionaler/motivationaler Ebene� Verhaltensebene
� Umfeld� Spieler/Trainer� Zuschauer� Medien� Schiedsrichtergespann
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Psychologie und Schiedsrichter
� Selbstkonzept� Bewusstsein über sich selbst� Motivation und Motive
� Hoffnung auf Erfolg vs. Angst vor Misserfolg� Interesse� Einstellung
� Werte- und Normenhaltung� Moralisches Urteilsvermögen� Vorurteile� Selbstreflexion
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Umfeldfaktoren
� Spielcharakter� Unterschiedliche Spielertypen und -charaktere� Taktik der Spieler (aggressiv/abwartend)� Pärchenbildung (z.B. Vorstopper – Mittelstürmer, Linker
Verteidiger – Rechter Außenstürmer)� Beeinflussung von außen (Trainer, Betreuer, Zuschauer)� Besondere Spielsituationen� Gesamtatmosphäre auf dem Platz
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Schiedsrichter - Persönlichkeit
� Korrektheit im Umgang mit den Spielern
� Ruhe und Gelassenheit
� sachliches, aber bestimmtes Auftreten
� einheitliche Regelauslegung
� Blick für das Wesentliche
� flexible Anwendung seiner Möglichkeiten
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Kommunikation und Interaktion
„Man kann nicht nicht kommunizieren.
Auch Schweigen und Nichthandeln
haben Mitteilungscharakter.“
Paul Watzlawick
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Nonverbale KommunikationAuftreten
� Äußerlichkeiten � Ernsthaftigkeit, Professionalität
� Aufwärmen vor dem Spiel � "Auch der Schiedsrichter nimmt das Spiel hier sehr ernst und bereit sich entsprechend vor".
� Namen der Spielführer � Direkte Ansprache� Blickkontakt mit Spielern
� Konfliktbereitschaft� Körperhaltung � Unsicherheit oder
Selbstbewusstsein
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Nonverbale Kommunikation
Gestik
� Ein durchgestreckter Arm beim Anzeigen z.B. der Einwurfrichtung � souveräner Eindruck
� Ansprachen an einen Spielers nicht mit ausgestrecktem Zeigefinger durchführen �oberlehrerhaft
� Flache Hand � viel größere "Wirkungsfläche“
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Nonverbale KommunikationMimik
� Mimik � "Stimmung" des Gegenübers. � Immer gleiche Mimik (und damit der falsche
Versuch, neutral zu bleiben) � Unsicherheit � Aggressionen
� Variation der Mimik � Schiedsrichter berechenbarer � leichtere Bewertung einer Situation
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Verbale Kommunikation� klare und eindeutige Anweisungen und direkte
Ansprache: � Aussagen, wie "die Mauer muss weiter zurück" haben
weniger Aussagekraft, als "Stellen Sie sich auf die Strafraumlinie".
� Anweisungen, wie "Der Freistoß wird hier ausgeführt, wo ich stehe", sind viel konsequenter, als "Machen Sie den Freistoß von dort (evtl. mit Handzeichen)".
� klare Handlungsfreiheit bei Schiedsrichter� Vermeidung von Aussagen, wie "gehen Sie bitte fünf
Meter zurück" � Spielraum um eine Diskussion, welche Entfernung
nun tatsächlich 5 Meter sind. � Stattdessen "Halten Sie die 9,15m ein"
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Verbale Kommunikation� Fouls:
� "spielen Sie mal vorsichtiger", oder "spielen Sie ordentlich
� "Nicht mit aufgestelltem Fuß hineinrutschen
� Trainer � "Beruhigen Sie sich
bitte", oder "Bleiben sie bitte ruhig",
� "Kritisieren Sie meine Entscheidungen nicht!", oder aber auch "Bleiben Sie fair!".
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Verbale Kommunikation� Fouls:
� "spielen Sie mal vorsichtiger", oder "spielen Sie ordentlich
� "Nicht mit aufgestelltem Fuß hineinrutschen
� Trainer � "Beruhigen Sie sich
bitte", oder "Bleiben sie bitte ruhig",
� "Kritisieren Sie meine Entscheidungen nicht!", oder aber auch "Bleiben Sie fair!".
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Anmerkungen
� Tipps und Ratschläge � entscheidend eigene Erfahrungen
� Situationsabhängige Unterschiede� Hilfestellung für eine souveräne
Spielleitung, aber wertlos ohne Regelwissen, Spielverständnis und Erfahrung
� Expertiseerwerb nur über Erfahrung und Übung
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Vorwissen/-erfahrung
Experte:
� „besser, schneller, fehlerfreier, kontrollierter, flexibler, erinnerungsstärker, sie haben einen Wissensvorsprung, treffen hervorragende Problemlöseent-scheidungen, nehmen Problemreizebesserwahr usw.“
� Experten vs. Novizen
� Beispiele aus Fußball, Tennis, usw.
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Psychologie und Schiedsrichter� Prozesse:
� Kommunikation & Interaktion� Informationsverarbeitung� Entscheidungsfindung
� Gegebenheiten� Persönlichkeit und Charakter ���� Selbstkonzept
� Kognitiver Ebene� Emotionaler/motivationaler Ebene� Verhaltensebene
� Umfeld� Spieler/Trainer� Zuschauer� Medien� Schiedsrichtergespann
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Psychologie und Schiedsrichter� Prozesse:
� Informationsverarbeitung� Entscheidungsfindung� Kommunikation & Interaktion
� Gegebenheiten� Persönlichkeit und Charakter � Selbstkonzept
� Kognitiver Ebene� Emotionaler/motivationaler Ebene� Verhaltensebene
� Umfeld� Spieler/Trainer� Zuschauer� Medien� Schiedsrichtergespann
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Wissenschaftliches Vorgehen
� Psychologie als forschende Wissenschaft –Vorgehensweise einer Untersuchung:
� Fragestellung� Ursache – Wirkung
� z.B.: härtere Bestrafung eines Spielers, wenn die Zuschauer lauter sind.
� Zusammenhang� z.B.: allgemeines Gerechtigkeitsempfinden geht mit
besseren Schiedsrichterleistungen einher.
� Untersuchungsmethode z.B. Interview
� Stichprobe z.B. Schiedsrichter verschiedener Spielklassen
� Datenerhebung� Auswertung und Schlussfolgerungen
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Untersuchungs-methoden
� Beobachtung� Wie viele Blickkontakte gibt es zwischen
Schiedsrichter und Linienrichter, wie kommunizieren beide?
� Wie viele Interaktionen gibt es zwischen Schiedsrichter und Linienrichter?
� War die Entscheidung korrekt? � Vgl. mit Experten� Fragebogen/Interview
� Welche Szenen im Spiel waren heute schwierig zu entscheiden?
� Test� Leistung: Aufmerksamkeit, Reaktionsschnelligkeit,
Regelwissen� Persönlichkeit: Eigenschaften, Stressempfinden
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Untersuchungs-methoden
� Experiment� Urteilen Schiedsrichter bei gleichen Szenen und
Variation der Lautstärke der Zuschauer unterschiedlich?
� Von was hängt es ab, dass der eine Schiedsrichter Gelb, der andere Rot gibt?
� Physiologische Messungen� Fitness und Aufmerksamkeit� Herzrate, Blutdruck, Seh- und Hörvermögen,
Blickverhalten, Schnelligkeit, Strecke, Position auf dem Spielfeld usw.
� Datenbankanalysen� Statistiken zu Gelben/Roten Karten,
Zuschauerzahlen, Spielergebnissen, usw.
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Schiedsrichter und Statistik� Durchschnittliche Laufstrecke pro Spiel:
� 7,5 bis 12 km� 1. Halbzeit > 2. Halbzeit� 2-5 % Sprint – 10-15 % Rennen
� Niedrigere Herzrate bei Spitzenschiedsrichtern� Schiedsrichterentscheidungen
� 65-75 % der Entscheidungen bei Zweikämpfen korrekt� Fehlentscheidungen gehäufter bei Gastmannschaft� Nach Sprint höhere Fehlerquote� Kein Unterschied in der Herzrate bei
Fehlentscheidungen� Höchste Fehlerquote bei den von Experten am
schwierigsten zu bewertenden Entscheidungen� In den jeweils ersten 15 Minuten einer Halbzeit höhere
Fehlerquote
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Entscheidungsverhalten von Schiedsrichtern
� Wie kommt es zu einer Entscheidung?� Abhängig von
� Regeln und Vorgaben
� Kriterien und Maßstäben
� Verbindlichkeit und Interpretation
� Möglichen Alternativen
� Umfeldfaktoren
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Entscheidungsverhalten von Schiedsrichtern
Lautstärke und Heimvorteil
� Experiment:� Stichprobe: erfahrene Schiedsrichter� Darbietung von Foulszenen am Bildschirm� Zufällige Variation der Lautstärke� Ergebnis:
� höhere Wahrscheinlichkeit für eine gelbe Karte bei höherer Lautstärke
� Höhere Wahrscheinlichkeit für eine gelbe Karte bei genau derselben Szene bei höherer Lautstärke
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Entscheidungsverhalten von Schiedsrichtern
Lautstärke und Heimvorteil� Erklärung:
� Schiedsrichter lernen einen Zusammenhang von Lautstärke und Schwere des Fouls.
� Schiedsrichter nutzen unbewusst die Lautstärke als Maß für die Schwere eines Fouls.
� Vorteil für Heimmannschaft aufgrund akustischer Überlegenheit �Gastmannschaft erhielt signifikant mehr gelbe Karten
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Entscheidungsverhalten von Schiedsrichtern
Körpergröße der Spieler
� Datenbankanalyse:� Häufigere Entscheidung auf Foul bei größeren
Spielern als bei kleineren
� Experiment:� Darbietung von nachgestellten Zweikämpfen mit
Körperkontakt zwischen kleinen und großen Spielern am Bildschirm
� Ergebnis: Wenn auf Foul entschieden wurde, dann signifikant häufiger gegen der größeren Spieler
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Entscheidungsverhalten von Schiedsrichtern
Körpergröße der Spieler
� Erklärungen� Körpergröße = Wahrnehmung von
Kraft und Aggressivität� Größere Spieler begehen tatsächlich
öfter Fouls� Schiedsrichter lernen einen
Zusammenhang zwischen Körpergröße und Häufigkeit eines Fouls.
� Schiedsrichter schließen bei Zweikämpfen aus der Körpergröße auf Opfer und Täter sowie auf die Schwere des Fouls.
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Entscheidungsverhalten von Schiedsrichtern
Trikotfarbe: Schwarz vs. Wei� Datenbankanalyse aus verschiedenen
Sportarten:� Mannschaften mit schwarzen Trikots begehen
häufiger Fouls� Mannschaften mit schwarzen Trikots generell
aggressiver?� Experiment:
� Bearbeitete Szene eines Football-Spiels� Version 1: Team A in weiß – Team B in schwarz� Version 2: Team A in schwarz – Team B in weiß� Ansonsten identische Spielszene
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Entscheidungsverhalten von Schiedsrichtern
Trikotfarbe: Schwarz vs. Weiß
� Ergebnisse:� In beiden Versionen wurden das schwarze Team
als aggressiver bewertet und häufiger mit Verwarnungen belegt.
� Erklärung:� Unbewusste Verbindung von schwarzer Kleidung
mit Gewalt (Kultur, Medien)
� Vorwissen/Vorurteile bei der Entscheidungsfindung
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Entscheidungsfehler
� Erschöpfung/Ermüdung� Physische und psychische Überlastung� Systematische Fehler� Vorurteile� Unbewusste Erwartungen� Vorangegangene Erfahrungen� Selektive Aufmerksamkeit� Bezugsgruppeneffekt� Strategische Entscheidungen
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Konsequenzen
� Ziel der Sportpsychologie:� Erfassung von Entscheidungsfehlern und deren
Erklärung� Entwicklung von Trainingsprogrammen
� Notwendigkeit von Training zur Entscheidungsfindung� Übung und Erfahrung für korrekte
Entscheidungen� Intuitive unbewusste Entscheidungen aufgrund
von beschränkter Informationskapazität und Zeitressourcen
� Entwicklung von Erfahrung und Expertise
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KonsequenzenSchiedsrichter-Entscheidungs-Trainings SET
� videobasiertes Online-Trainingsprogramm. � Datenbank mit mehreren 100 Videos� sortiert
� nach ihrer Herkunft (z. B. WM oder Bundesliga)� nach Foulart (z. B. rempeln oder treten) � nach zu treffender Entscheidung (z. B. Foul oder gelbe Karte).
� Die Videos zeigen potentielle Foulsituationen und sind eher kurz (ca. 10 Sekunden).
� Regelmäßige Trainings-Sitzungen � Direkt nach dem Kontakt, der beurteilt werden soll, wird das Video
gestoppt. Jetzt müssen die Teilnehmer unter Zeitdruck per Mausklick ihre Entscheidung angeben: Foul oder kein Foul?
� Wenn sie Foul entscheiden, müssen sie weiterhin entscheiden zwischen Freistoß, Gelbe Karte oder Rote Karte.
� http://set.insfx.com/main.php?k=ho_start