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Ein Modell zur kalkulatorischen Bewältigung von Änderungsrisiken im Schadenbereich eines Versicherungsunternehmens
Von Josef Hutter, Mannheim
1. Das risikotheoretische Modell
LI Schadenmodell zur Abbildung des Zufallsrisikos im engeren Sinn (Zufallsrisiko i. e. S., Zufallsrisiko erster Stufe)
Zur Bestimmung kalkulatorischer Prämien und Reserven oder bei der Festlegung von Risikoteilungskonzepten, wie Selbstbeteiligungen von Versicherungsnehmern oder passive Rückversicherung von Versicherungsunternehmen für zukünftige Perioden, stützt sich die in der Versicherungswissenschaft und -praxis angewandte Risikotheorie1 auf die drei grundlegenden stochastischen Schadenvariablen Schadenzahl, Schadensumme und Gesamtschaden, welche im folgenden mit N, X und Y bezeichnet werden.
Die einer versicherungstechnischen Einheit (z.B. ein Einzelvertrag innerhalb einer als gleichartige Risiken angesehenen Risikogruppe von Versicherungsverträgen, eine derartige (homogene) Risikogruppe, die Gesamtheit aller von einem Versicherungsunternehmen in einem Versicherungszweig (einer -sparte) abgeschlossenen Verträge oder die Gesamtheit aller Versicherungsverträge eines Versicherungsunternehmens) während einer Rechnungsperiode (z.B. ein Geschäftsjahr) insgesamt zuzuschreibende zufällige Schadenhöhe, der Gesamtschaden Y{q)y läßt sich durch die in zweierlei Hinsicht stochastische Summe aus den zufälligen Schadenhöhen pro Einzelschaden, den Schadensummen Xi(q), / = 1, ..., N(q) und der zufälligen Anzahl der Schäden, der Schadenzahl N(q),
darstellen:
1 Siehe z.B. Beard, R.E.IT. PentikäinenlE. Pesonen; Risk theory, London/New York 1984; Bühlmann, H.; Mathematical methods in risk theory, Heidelberg/New York 1970; Gerber, / / .; An Introduction to Mathematical Risk Theory, Illinois 1979; Helfen, E. ; Risikotheorie - Grundlage der Risikopolitik von Versicherungsunternehmen, ZVersWiss 1975, 75-92; Hutter, / . ; Ein Unterneh-mensmodell als Planungs- und Controllingkonzept für Maßnahmen der passiven Rückversicherung von Erstversicherern, erscheint in Karlsruhe 1986; Kremer, E. ; Einführung in die Versicherungsmathematik, Göttingen 1985; Kupper, J.\ Wahrscheinlichkeitstheoretische Modelle in der Schadenversicherung, Teil 1: Die Schadenzahl, BDGVM 5 (1962), 451-502; Teil 2: Schadenhöhe und Totalschaden, BDGVM 6 (1962), 95-129; Lemaire, / . ; Theorie Mathématiques des Assurances, Presses Universitaires de Bruxelles, Brüssel 1982/83; Lippe, S.; Integration von Betriebskosten in risikotheoretische Modelle, Karlsruhe 1983; Seal, H.L.; Stochastic Theory of Risk Business, New York 1969; Sterk, H.P. ; Selbstbeteiligung unter risikotheoretischen Aspekten, Karlsruhe 1979; Sundt, B. ; An Introduction to Non-Life Insurance Mathematics, Karlsruhe 1984.
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N(q)
Y(q)=LXi(q) (1) 1 = 1
Dabei steht der in der klassischen Risikotheorie als bekannt (fest, sicher) vorausgesetzte Parameter q für bestimmte Eigenschaften des stochastischen Modells, z.B. für den Verteilungstyp, den Erwartungswert, die Varianz usw. Natürlich kann er, soweit es sich um Vergangenheitsbetrachtungen handelt, immer nur als Schätzung vorliegen, bzw. in den hier behandelten Fällen, bei denen es stets um laufende oder künftige Rechnungsperioden geht, lediglich als Prognose gegeben sein.
Üblicherweise wird für die Schadenvariablen N(q), X\{q)y ..., XN(q)(q) die stochastische Unabhängigkeit vorausgesetzt und die Schadensummenvariablen Xi(q), i = 1, ..., N(q), als identisch verteilt angesehen, was erlaubt, den Erwartungswert ju(Y(q)), die Varianz o2(Y(q)) und das dritte zentrale Moment a3(Y(q)) des Gesamtschadens mit Hilfe der entsprechenden Größen der Schadenzahl und der Schadensumme darzustellen2.
M(Y(q)) = M(N(q))ft(X(q))
o\Y(q)) = ^N(q))a2(X(q)) + a2(N(q))lu2(X(q)) (2)
a3(Y(q))=M(N(q))a3(X(q)) + 3a2(N(q))MX(q))o2(X(q))
Unter Verwendung der Größen o2(Y(q)) und a3(Y(q)) erhält man die Schiefe y(Y(q)) des Gesamtschadens durch die Beziehung
«3(r(g)) °\Y(q)) r(ym = ̂ ^ : (3)
Als Verteilungsmodell für die Schadenzahl haben im wesentlichen die diskreten Verteilungsfamilien
Poisson-, Binomial- und Negative Binomialverteilung
Eingang in die Literatur gefunden3, während für Schadensummenvariable
2 Siehe etwa: Kupper, (Fn. 1) 105; Lau, H.S.; An Effective Approach For Estimating The Aggregate Loss Of An Insurance Portefolio, JRI 1984, 20. Falls für N(q) und X(q\ bestimmte Verteilungsannahmen getroffen werden, vereinfachen sich teilweise die Formeln zu Ziffer (2).
3 Vgl. Albrecht, P. ; Dynamische statistische Entscheidungsverfahren für Schadenzahlprozesse, Karlsruhe 1981, 163-216; Beard/PentikäinenlPesonen (Fn. 1); Bühlmann (Fn. 1) 9-12, 41-54, 68-73; Kupper (Fn. 1)18-19.
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überwiegend folgende stetige Verteilungsfamilien und davon abgeleitete (trun-kierte und konzentrierte) Verteilungen zur Anwendung gekommen sind4:
Exponential-, Pareto-, Normal-, Lognormal- und Gammaverteilung
Y(q) als Ganzes repräsentiert in gewisser Weise, nämlich als bedingte (unter der Bedingung q) Wahrscheinlichkeitsverteilung, den Grad an Riskanz (Zufallsrisiko i.e.S., Zufallsrisiko erster Stufe5) der vom Versicherungsunternehmen von einer Risikoeinheit als möglichem Schadenproduzent übernommenen Gefahr unter der Annahme einer gemäß der Hypothese q bekannten (stabilen, sicheren) stochastischen Gesetzmäßigkeit während der in der Gegenwart oder Zukunft durchlaufenen Geschäfsperiode.
Vereinfachend oder zur Betonung ausgewählter Aspekte können von Y(q) abgeleitete Risikomaße wie der Erwartungswert, die Varianz, die Standardabweichung, der Variationskoeffizient, die Schiefe und die Überschreitungswahrscheinlichkeit einer vorgegebenen Schadengrenze oder Kombinationen davon zur Gefährlichkeitsmessung herangezogen werden, oder es kann, falls eine das Verteilungsmodell insgesamt berücksichtigende komplexere Bewertung gewünscht wird, die Wahl auf den Bernoulli-Nutzen und das Bernoulli-Prinzip oder die verschiedenen Arten der stochastischen Dominanz fallen6.
Nun hat sich in der Realität gezeigt, daß aufgrund von Änderungen im Schadenursachenkomplex, hervorgerufen durch technologische, rechtliche, soziale oder politische Entwicklungen, trendmäßige, zyklische und stochastische Veränderungen am Verteilungsmodell Y{q) zu beobachten sind7, mithin die Fiktion einer stabilen Hypothese q eher als realitätsfern einzustufen ist. Es liegt daher nahe, den das stochastische Schadenmodell Y(q) determinierenden Parameter q nach eventuell subjektiven Mutmaßlichkeitsvorstellungen stochastisch variieren zu lassen und zu einem zufälligen Parameter Q überzugehen.
4 Vgl. Beard/Pentikäinen/Pesonen (Fn. 1) 60-S4; Bühlmann (Fn. 1) 4-9, 18-19; Hogg, K.V.I S.A. Klugmann; Loss Distributions, Chichester 1984; Kupper (Fn. 1) 95-103.
5 Die Kennzeichnung "Zufallsrisiko erster Stufe" für das oben erklärte Zufallsrisiko i.e.S. bei stabilen stochastischen Gesetzmäßigkeiten stammt von Eichhorn. Vgl. Eichhorn, W. ; Erscheinungsformen des versicherungstechnischen Risikos, ZfV 1978, 594.
6 Zum Bernoulli-Nutzen und Bernoulli-Prinzip siehe z.B.: Schneeweiss, H. ; Entscheidungskriterien bei Risiko, Berlin/Heidelberg/New York 1967, 61-77. Einen Überblick über die verschiedenen Arten von stochastischer Dominanz findet man bei: Mosler, K.C.; Entscheidungsregeln bei Risiko: Multivariate stochastische Dominanz, Berlin/Heidelberg/New York 1983.
7 Vgl. Gerathewohl, K. et al.; Rückversicherung. Grundlagen und Praxis, Bd. 1, Karlsruhe 1976, 14-22; Jannott, H.K. ; Zufallsrisiko-Änderungsrisiko, in: Festschrift für Reimer Schmidt, hrsg. von F. Reichert-Facilides, R. Ritter und J. Sasse, Karlsruhe 1976, 407-432; Jannott, H.K.IK. Gerathewohl, Probleme des internationalen Risikoausgleichs, ZfV 1984, 521-526, speziell 522-524.
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Ein auf die Schadenzahl beschränktes Beispiel eines derartigen Vorgehens liefert das Modell schwankender Grundwahrscheinlichkeiten von Ammeter mit einer Poissonverteilung als bedingter Verteilung und einer Gammaverteilung als mischender A-priori-Verteilung, wobei der Parameter q identisch mit dem Erwartungswert ju(N(q)) der Schadenzahl ist, also dem Scharparameter 0 der Poissonverteilung entspricht (q=ju(N(q)) = 0)8.
Tabelle 2 enthält beispielhaft einige Risikoparameter zum Gesamtschaden Y,9 einer Risikogruppe von versicherungstechnischen Einheiten (Einzelverträgen) für die Geschäftsperioden t = 0, 1, 2, 9 und 10 auf der Grundlage der in Tabelle 1 ausgewiesenen Risikoparameter zur Schadenzahl und Schadensumme. Als Schadensummenverteilung wird stets die Gammaverteilung verwendet, während bei der Schadenzahl drei Fälle zu unterscheiden sind:
1. Zunächst der Fall einer
Poissonverteilung (Poisson),
d.h. es gilt für alle t: o2(Nt) =ju(Nt),
2. ferner eine
negative Binomialverteilung (neg. Bin. 1),
bei der für alle t: o2(Nt) = 1,8-ju(Nt) zutrifft, und
3. schließlich eine negative Binomialverteilung (neg. Bin. 2)
als Ergebnis des Ammeterschen Modells schwankender Grundwahrscheinlichkeiten zur Berücksichtigung einer Teilkomponente von Änderungsrisiko.
Im letzten Fall wird bei einer Poissonverteilung der Poissonparameter 6 durch das Produkt 9- Q* von 8 mit der für alle t a priori identisch gammaverteilten Zufalls variable Q* ersetzt, deren Parameter in der letzten Zeile von Tabelle 1 zu finden sind. Daraus resultiert als spezielle A-posteriori-Verteilung die gemischte Poissonverteilung neg. Bin. 2.
8 Vgl. Ammeter, H.; Die Elemente der kollektiven Risikotheorie von festen und zufallsartig schwankenden Grundwahrscheinlichkeiten, MVSVM 1949, 35-95.
9 Im folgenden wie auch in den Tabellen wird zur Vereinfachung der Schreibweise auf die Wiedergabe des Parameters q verzichtet und beispielsweise N, für N(qt) geschrieben.
Tabelle 1
Risikoparameter zur Schadenzahl N, und Schadensumme X, für die vergangene Geschäftsperiode 0 und die zukünftigen Gschäftsperioden t = infolge der Änderungshypothesen rg(t), rx(t) und Q*
1 bis 10
T = l
VW)
o\Nt)
Y(Ni)
v(Nt)
M(Xt) o(Xt) y{xt)
Poisson (=1 •/*(#,)) neg. Bin. { = 1,8 -fi(Nt))
absolut rei. zu ju(Nt) a
neg. Bin.2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Gamma-vertei- ( = 2-j/(Ar,)) lung
0 1,00 1,00
1,00
3000 3000 5400
190501 63,50
0,01826 0,01361 0,28868
0,01826 0,02490 0,14549
1200 2400
1 1,06 1,03
1,09
3180 3180 5720
213856 67,25
0,01773 0,01362
0,28868
0,01773 0,02378 0,14542
1236 2472
2 1,09 1,02
1,21
3466 3466 6239
253741 73,21
0,01699 0,01266 0,28868
0,02279 0,145 33
1260 2520
3 1,12 1,01
1,37
3 882 3882 6987
317840 81,88
0,01605 0,01196 0,28868
indentiseli 0,02153 0,14523
1274 2548
rM)
9 1,05 1,02
2,15
4907 4907 8833
506549 103,23
0,01428 0,01064
0,28868
0,01915 0,14504
1579 3158
10 1,04 1,03
2,30
5100 5100 9185
546978 107,25
0,01400 0,01043 0,28868
0,01400 0,01879 0,14502
1626 3252
ON
für alle / identisch 4 für alle t identisch 2
Q* für alle /identisch gammaverteilt mit p(Q*t) = l, o(Q*t) = 0,144338, y(Q*() = 0,288676
Tabelle 2 Risikoparameter zum Geschäftsperiodengesamtschaden Yt als Folge der zugehörigen Schadenzahl- und Schadensummenparameter Nt und X,
M(Y,)
o(Y.)
Y(Y.)
y<{Y,)
yc(Y.)
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin. 1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
absolut in DM relativ als Vielfaches von//(y0)
absolut in DM
relativ in % von MY,)
absolut in DM
relativ als Vielfaches von/*(y,)
absolut in DM
relativ als Vielfaches von//(Y,)
0 3600000
1,00
146969 158291 540001
4,082 4,397
15,000
0,07349 0,07617 0,28955
4168232 4212909 5936031
1,1578 1,1702 1,6489
3078953 3039792 1937325
0,8553 0,8444 0,5381
1 3930480
1,09
155 854 167860 588336
3,966 4,271
14,946
0,07137 0,07398 0,28946
4532362 4579659 6475494
1,1531 1,1652 1,6475
3377173 3335558 2118876
0,8592 0,8486 0,5391
2 4367160
1,21
165871 178649 651805
3,798 4,091
14,866
0,06837 0,07087 0,28934
5006667 5056882 7186561
1,1464 1,1579 1,6456
3777143 3732720 2359974
0,8648 0,8547 0,5403
9 7748153
2,15
247329 266383
1145376
3,192 3,438
14,766
0,05746 0,05956 0,28902
8695976 8770186
12701730
1,1223 1,1319 1,6393
6862186 6795218 4220356
0,8857 0,8770 0,5447
10 8292600
2,30
259651 279715
1224776
3,130 3,372
14,741
0,05635 0,05841 0,28899
9287031 9365100
13589490
1,1199 1,1293 1,6387
7361838 7291234 4520179
0,8878 0,8792 0,5451
OS
Tabelle 3
Risikoparameter zu dem über die Geschäftsperioden aggregierten Gesamtschaden Y0,, auf der Grundlage der in Tabelle 1 ausgewiesenen Schadenzahl- und Schadensummenparameter
M(Yo.i)
°{Yo.i)
Y(Y0tl)
YeiYo,,)
le{Y0tl)
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin. 1 neg. Bin. 2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin. 1 neg. Bin. 2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin. 1 neg. Bin.2
Poisson neg. Bin.1 neg. Bin.2
absolut in DM relativ als Vielfaches von^(Y0)
absolut in DM
relativ in % von ß(Yo.t)
absolut in DM
relativ als Vielfaches von^(Y0>/)
absolut in DM
relativ als Vielfaches von//(y0,,)
1 2 3 7530480 11897640 16843308
2,0977
214220 223091 798587
2,844 2,963
10,605
0,05122 0,05216 0,20527
8348578 8693332 0493240
1,108 1,113 1,393
6760055 6728632 4935798
0,8977 0,8935 0,6554
3,3050
270930 285806
1030820
2,277 2,402 8,664
0,04101 0,04228 0,16859
12926430 12983690 16091690
1,086 1,091 1,353
10916970 10086396 8466363
0,9176 0,9131 0,7116
4,6786
323893 343844
1266362
1,923 2,041 7,518
0,03463 0,03579 0,14761
18068810 18145150 21939170
1,073 1,077 1,303
15666270 15594680 12568720
0,9301 0,9259 0,7462
9 55 302111
15,3642
621929 667233
2667769
1,125 1,204 4,824
0,02043 0,02119 0,09842
57636500 57807630 65758100
1,042 1,045 1,189
53302233 52857390 45997530
0,9588 0,9558 0,8317
10 63594711
17,6686
673956 723477
2935487
1,060 1,138 4,616
0,01927 0,01999 0,09486
66122720 66309580 75077750
1,039 1,042 1,181
61122470 60941990 53332310
0,9611 0,9583 0,8386
<1
268
Die Parameter rg(t) und rx(t) stellen deterministische prognostizierte (postulierte) Änderungsfaktoren dar, um die sich die Schadenzahl- bzw. Schadensummenerwartungswerte in der laufenden Periode t gegenüber der Vorperiode /— 1 erhöhen. rx(t) ist als Teuerungsfaktor (hervorgerufen z.B. durch Inflation) für die einzelnen Schadensummen zu interpretieren, während rg(t) etwa den Einfluß von Bestandswachstum - gemessen an der Steigerung der Zahl an Versicherungsverträgen - oder einer Erhöhung der erwarteten Schadenhäufigkeit pro versicherungstechnische Einheit zum Ausdruck bringt.
Das Produkt aus rg(t) und rx(t) entspricht dann dem Anstieg des Gesamt-schadenerwartungswertes von der Periode t—1 zu t, d.h. es gibt das in der jeweils neuen Periode erwartete Schadenvolumen als Vielfaches der Vorperioden wieder. Damit enthält Zeile vier in Tabelle 1 das in den zukünftigen Perioden 1 bis 10 erwartete Schadenvolumen als Vielfaches der zum Basisjahr gewählten gerade vergangenen Periode 0.
Die Größen v(Nt) und v ( ^ ) bezeichnen den Variationskoeffizienten, also den Quotienten aus der Standardabweichung und dem Erwartungswert der jeweiligen Zufallsvariablen (z.B. v(Nt) = a(Nt)/(^(Nt)).
In den Tabellen 2 und 3 zu den Gesamtschäden Yt und Y0, „ wobei der letztere das aus den Geschäftsperioden 0 bis / aggregierte Gesamtschadenvolumen darstellt, sind zusätzlich noch Schadengrenzen JE undy E angegeben, welche von dem in einem Zeitabschnitt tatsächlich auftretenden Schadenvolumen mit einer Wahrscheinlichkeit von höchstens £ = 1/10000 über- bzw. unterschritten werden. Die Berechnung dieser Werte erfolgte mit Hilfe eines modifizierten Normal Power Verfahrens10.
Obgleich eine eingehende Kommentierung der Tabellenwerte in schriftlicher Form aus Platzgründen nicht möglich ist, sollen wenigstens einige Aspekte erläuternd ins Licht gerückt werden:
1. Sämtliche absoluten Risikoparameter (a, y"c— ju und fi-y_E) der Gesamtschadenvariablen Yt bzw. Y0,, nehmen mit in t wachsenden Erwartungswerten ju(Yt) bzw. pt(Yot ,) zu, während die relativen Risikoparameter (o//u, Y> iy£—fÀ)lfÀ, (ju-y_e)l^) abnehmen.
2. Die Unterschiede zwischen den Risikoparametern in den beiden Fällen ohne Änderungsrisiko (Poisson- und neg. Bin. 1) sind trotz der um 80% größeren Schadenzahlvarianz bei der negativen Binomialverteilung, welche aber gleichzeitig durch eine deutlich kleinere Schiefe gekennzeichnet ist, als geringfügig einzustufen. Zudem werden die Differenzen der relativen Risikoparameter mit in t wachsendem erwarteten Schadenvolumen immer kleiner.
Vgl. Beard/PentikäinenlPesonen (Fn. 1) 116-118.
269
3. Das bezüglich der Schadenzahl unterstellte zeitstabile Änderungsrisiko im Sinne schwankender Grundwahrscheinlichkeiten nach Ammeter (neg. Bin. 2), welches alle zur Risikogruppenvariable Nt gehörigen Einzelrisiken einheitlich und gemeinsam betrifft, also die stochastische Unabhängigkeit der individuellen Schadenzahl variablen dieser Einzelrisiken zerstört, bewirkt einen deutlichen Anstieg sowohl der Schiefe als auch der Varianz und entsprechend des Variationskoefffizienten von Nt. Demzufolge weisen alle Risikoparameter des Gesamtschadens für diesen Fall gegenüber den beiden anderen eine wesentliche Gefährlichkeitserhöhung aus.
4. Zwar deuten die mit t und wachsendem ju( Yt) ebenfalls sinkenden relativen Risikoparameter auch auf ein abnehmendes relatives Risiko der Gesamtschadenvariablen hin, allerdings von einem im Hinblick auf die zuvor behandelten Fälle ohne Änderungsrisiko erheblich geringeren Ausmaß.
5. Im übrigen läßt sich leicht zeigen , daß die relativen Risikoparameter Schiefe und Variationskoeffizient des Gesamtschadens Yt im Fall neg. Bin. 2 für M(Nt) gegen », nicht wie die entsprechenden Parameter in den Fällen Poisson und neg. Bin. 1 gegen 0, sondern gegen den Wert des Variationskoeffizienten bzw. der Schiefe der A-priori-Verteilung, also gegen v(Q*) bzw. y(Q*) konvergieren. Mit anderen Worten: Bei der Berücksichtigung des Änderungsrisikos findet ein Ausgleich im Kollektiv - so man gewillt ist, die Konvergenz der relativen Risikoparameter derart zu apostrophieren - lediglich in schwächerem Grad und nur bis zu einem gewissen, durch das Modell vom Änderungsrisiko vorgegebenen, höheren Niveau statt. Wegen der Art der Ermittlung der Schadengrenzen ~yE und yE mit Hilfe der Normal Power Methode folgt unmittelbar, daß auch (yE-ju)/ju und (ju-y^E)/ju für ju(Nt) gegen unendlich in den Fällen Poisson und neg. Bin. 1 gegen 0 und im Fall neg. Bin. 2 gegen zwei feste Werte aif a2>0 konvergieren, was sich auch so ausdrücken läßt: Die über den Erwartungswert hinaus erforderlichen Sicherheitsmittel werden relativ zum Erwartungswert immer kleiner, in der Situation ohne Änderungsrisiko prozentual vom Erwartungswert beliebig klein, sofern die Risikogruppe hinreichend genug vergrößert werden kann und beim Vorhandensein von Änderungsrisiko der beschriebenen Art auch bei beliebiger Größe der Risikogruppe immer größer als 100 a Prozent von
6. Demgegenüber lassen die Zahlenwerte von O/JU, y, {yE - ju)/ju und (// - y_E)l^ zum aggregierten Gesamtschaden Y0>, vermuten, daß ein Ausgleich in der Zeit in vollem Maße (Konvergenz der entsprechenden relativen Risikoparameter gegen 0 für t gegen oo dann gewährleistet ist, wenn wie im Beispiel hier die Annahme getroffen wird, das Änderungsrisiko zu den verschiedenen
270
Perioden beeinflusse sich gegenseitig nicht, genauer, die Variablen Q* seien für alle t stochastisch unabhängig.
Abbildung 1 visualisiert einige der Tabellenwerte zu den Gesamtschadenvariablen, um die Sachlage zu veranschaulichen. Die Darstellung beschränkt sich auf den Fall neg. Bin. 2, weil für den dazu gewählten Maßstab bis auf die ja bei allen Fällen übereinstimmenden Erwartungswerte, die Risikoparameter der Gesamtschadenvariablen zu den übrigen zwei Fällen nur schwierig einzuzeichnen sind, da sie fast zusammenfallen.
Anhand der Graphik kann der in Punkt 6 angesprochene Ausgleich in der Zeit unschwer nachvollzogen werden. Zwar ist die absolute Bandbreite ~yE — y_E
beim aggregierten Gesamtschaden Y(q^0, o) immer größer als beim Periodenge-samtschaden Y{qt), relativ aber auf die Erwartungswerte bezogen wird der Korridor, in dem sich der tatsächliche Gesamtschaden mit der vorgegebenen Wahrscheinlichkeit bewegen darf, bei den aggregierten Variablen viel schneller enger als bei den Periodenvariablen und das auf einem auch niedrigeren Niveau. So ergeben sich beispielsweise bei f=10 als Werte für yE — y_E 109,36% von fx{Y{qt)\ aber lediglich 34,24% vonju(Y(q0,0)).
271
Abbildung 1
Zeitlicher Verlauf einiger Risikoparameter zum Geschäftsperiodengesamtschaden Yt(qt) und zu dem über die Geschäftsperioden 0 bis / aggregierten Gesamtschaden Y(q(0i f)) im Vergleich zu einer
zufälligen Realisation y(qt) bzw. y(q0> t)) dieser Gesamtschadenvariablen
Y(q(o,t)>
15 -
10 -
5 -
Akkumulierter Gesamtschaden Y(q, .) der Perioden 0 bis t (o,t)
1
0
y£
( Y ( < 3 ( o , t ) »
y ( Y ( * ( o , t ) »
^ ( Y ( * ( o , t ) »
ï e ( Y ( « ( 0 , t ) W
- i 1 r -
Y(q t) , Gesamtschaden Y(qfc) der Periode t
3 -
1 .
yE<Y(qt))
y <Y(qt)>
y e (Y(q t ) )
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 t
272
1.2 Schadenmodell zur gemeinsamen Abbildung von Zufallsrisiko i.e.S. und Änderungsrisiko y dem Zufallsrisiko im weiteren Sinn
(Zufallsrisiko i. w. S., Zufallsrisiko erster und zweiter Stufe)
In Erweiterung der Überlegungen von Eichhorn, welcher unter Änderungsrisiko die Unsicherheit über den in einer laufenden oder zukünftigen Periode tatsächlich zutreffenden Schadenzahl- bzw. Schadensummenerwartungswert li(N(q)) bzw. ju(X(q)) versteht11, gelten im weiteren beliebige, soweit in einem Modell überhaupt spezifizierbare, unsichere, d.h. nur mit einer vorgegebenen (bekannten) Wahrscheinlichkeit mögliche Veränderungen an dem in der Vorperiode t = 0 für wahr gehaltenen Schadenmodell Y(q0) als Ausdruck von Änderungsrisiken, z.B. ein Wechsel im Verteilungstyp, Änderungen des Erwartungswertes, der Varianzen u.a.
Um nicht ebenfalls bei einer lediglich sprachlichen Modellbildung zu verharren, wird dabei von einer diskreten Zufallsvariable ß i ausgegangen, deren Werte qik, k = 1, ..., K, jeweils ein zu der Periode 1 mögliches Schadenmodell Y(q ut) anhand der Variablen N(qik) und X(qxk) konkretisieren. Jedes qik stellt eine mehrdimensionale Größe dar, welche die N(qik) und X(qik) konstituierenden Elemente enthält. Bei einem für alle k jeweils einheitlichen Verteilungstyp zur Schadenzahl und Schadensumme mit je zwei Scharparametern können dies etwa die Funktionalparameter n{N(q\k))> o2(N(qik)), ju(X(qlk)) und o(X(qlk)) von N(qlk) und X{qxk) sein:
qik = (p{N(qlk)), o\N(qlk)), f*(X(qlk)), o(X(qlk))) (4)
Die diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung UQx = {uik), k = l, ..., K, von ß i gibt als A-priori-Verteilung die Mutmaßlichkeit wieder, mit der in der Geschäftsperiode 1 das Auftreten eines der verschiedenen denkbaren K stochastischen Schadenszenarien Y(qik), k=\, ..., K, erwartet wird, während die sozusagen doppelt stochastische Zufallsvariable Y{QX) in diesem Sinne den Gesamtschaden einer Risikoeinheit für ein aus den einzelnen angenommenen Szenarien gemischtes mittleres Szenario darstellt.
Y(Qi) läßt sich als mathematisches Modell interpretieren, das neben den Zufallsschwankungen i.e.S. von Y(q0) um ju(Y(q0)) beim Schadenmodell mit festem Parameter q0 zusätzlich die durch Qx postulierten Änderungen der Risikolage (Änderungsrisiko, Zufallsrisiko zweiter Stufe) mit abbildet, oder anders
11 Vgl. Eichhorn (Fn. 5) 594; Die Kennzeichnung "Zufallsrisiko zweiter Stufe" hat ebenfalls Eichhorn vorgeschlagen, um einerseits die Stochastizität bei der Wahl der Schadenerwartungswerte deutlich zu machen und andererseits aber auch eine Unterscheidung zum Zufallsrisiko erster Stufe zu haben.
273
ausgedrückt, gewissermaßen das Informationsrisiko im Hinblick auf den in der Geschäftsperiode t = 1 tatsächlich gültigen Parameter qik berücksichtigt.
In y (ß i ) und den davon abgeleiteten Risikoparametern kommt also integriert und in Zahlen gefaßt neben dem Zufallsrisiko i.e.S. auch das Änderungsrisiko zum Ausdruck, und zwar dergestalt, wie es mittels der Änderungshypothesen qxk und deren Wahrscheinlichkeitsgewichten uxk modelliert worden ist. Die zweifache Stochastizität von Y(QX) rechtfertigt für dieses Gesamtrisiko die Wahl der Bezeichnung "Zufallsrisiko" i.w.S.
Damit verfügt man nun über ein Modell, das in der Lage ist, die wohl wichtigsten Risikoarten im Schadenbereich zu quantifizieren, sofern es gelingt, die Modellparameter zu spezifizieren. Schwierigkeiten bereitet dabei vor allem die Festlegung der das Änderungsrisiko charakterisierenden A-priori-Verteilung UQXÌ welche ja nicht unmittelbar gemessen werden kann, sondern oft nur mit Hilfe von Expertenprognosen auf Umwegen konstruiert werden muß12.
Dieses Problem weist auf eine weitere Risikoart hin, welche in der Literatur, obgleich inhaltlich nicht gänzlich übereinstimmend, mit den Begriffen Diagnoserisiko13, Irrtumsrisiko14 und Informationsrisiko15 umrissen wird. Falls man darunter, teilweise abweichend von den Auffassungen der Urheber dieser Wortschöpfungen, ganz allgemein die Gefahr des Auseinanderklaff ens von dem obigen Modell des Zufallrisikos i.w.S. und der Wirklichkeit versteht16, so wird schnell die prinzipielle Vergeblichkeit des Bemühens deutlich, ein derartiges Risiko mittels eines quantitativen Modelies abbilden zu wollen.
12 Ein Beispiel für eine Expertenprognose zu Schadenerwartungswerten über einen Zeitraum von 7 = 3 Jahren liefern Helten und Kurble. Siehe: Helten, E. ; Methoden und Grenzen der Prognose im Versicherungsunternehmen, ZVersWiss 1981, 343-345; Helten, E.IG. Kurble; Expertenprognose des Schadenbedarfs in der Kraftfahrthaftpflichtversicherung, VW 1982, 446-452.
13 Vgl. Helten, E.\ Statistische Entscheidungsverfahren zur Risikopolitik von Versicherungsunternehmen, Habilitationsschrift Köln 1973, 48-50.
14 Vgl. Farny, D.\ Produktions- und Kostentheorie der Versicherung, Karlsruhe 1965, 25-26; Jannott {Fn. 7) 415-417; Gerathewohl (Fn. 7) 9, 106, 658; Karten, W.; Grundlagen eines risikogerechten Schwankungsfonds, Berlin 1966, 41-43.
15 Vgl. Fuss, F. ; Risikogerechte Eigenkapitalausstattung und Solvabilitätssystem der Schadenversicherungsdirektive - eine betriebswirtschaftliche Untersuchung, Karlsruhe 1971, 22.
16 Die eben aufgelisteten Begriffe der genannten Autoren beziehen sich hauptsächlich auf Daten der Vergangenheit, also auf das Risiko, Beschreibungs- und Erklärungsmodelle zu vergangenen Geschäftsperioden falsch zu konstruieren und zu implementieren, was sich lediglich mittelbar negativ für das zukünftige Geschäft auswirken kann, etwa wenn unzulässigerweise mit Zeitstabilitätshypothesen oder mit falschen Modellfortschreibungen gearbeitet wird. Da es bei Anwendungen von Modellbildungen in der Praxis aber eigentlich fast immer darauf ankommt, ein Modell für die Zukunft zu haben (z.B. Prognosemodelle als Grundlage für Entscheidungsmodelle), sind in diesem Beitrag unter Irrtumsrisiko lediglich Irrtümer in bezug auf die wahre stochastische Gesetzmäßigkeit künftiger Geschäftsperioden gemeint.
274
Kaum hätte man nämlich ein solches vorgeschlagen, müßte man sich ja bereits wieder Gedanken machen, wie die Gefahr, daß auch dieses Modell unzutreffend ist, abzubilden sei, d.h. man gerät in eine aus Gründen der Logik nicht abbrechende Kette von Iterationen, weshalb wohl am besten ganz auf das Unterfangen und die Messung dieses Risikos verzichtet wird.
Das schließt nicht aus, daß fallweise pauschale quantitative Aussagen zum Irrtumsrisiko wie etwa eine von Helten, der aus der unvollständigen informationellen Situation (in der Kraftverkehrsversicherung, Anmerkung des Verfassers) wohl größere Risiken als aus der Stochastizität des Schadenverlaufs erwachsen sieht, zulässig oder berechtigt sein mögen17. Auch bedarf es keiner Erörterung, daß in Situationen, wo nur geringe oder gar keine Informationen vorliegen18, z.B. bei der Tarifierung neuer Risiken, vermutlich das Irrtumsrisiko, die alles dominierende Risikoart sein dürfte. Ansonsten aber wird sich leider erst hinterher, wenn man sich bereits geirrt hat, am Ausmaß des Irrtums vielleicht ermessen lassen, wie groß das Risiko dafür zuvor gewesen sein könnte.
Befremdlich bleiben jedoch Äusserungen mit in der Folge quasi Lehrsatzcharakter wie: "Der Umfang des Irrtumsrisikos aus den aktuellen Beständen verändert sich proportional zu deren Größe"19. Oder: "Das Diagnoserisiko (Irrtumsrisiko, Informationsrisiko) hat, falls es sich negativ auswirkt, die für den Versicherer unangenehme Eigenschaft, bestandsproportional zu sein: ... Einen «Ausgleich im Kollektiv» gibt es hier offenbar nicht"20.
Gewiß hat derselbe Irrtum, etwa eine falsche Schätzung des Gesamtschaden-erwartungswertes pro Risikoeinheit (hier eines Einzelvertrages) bei einem gemessen an der Anzahl der Risikoeinheiten größeren homogenen Kollektiv, stärkere Auswirkungen als bei einem kleineren, was aber noch lange nicht bedeuten muß, daß ein eventueller versicherungstechnischer Verlust proportional größer sein wird. Setzt man dagegen, wie offenbar die beiden angeführten Autoren zuvor, den tatsächlichen Verlust pro Risikoeinheit für zwei verschiedene große Bestände gleich, so ist trivialerweise als Folge dieser Voraussetzung der gesamte Verlust im größeren Kollektiv natürlich proportional höher. Nur sagt das wohl wenig darüber aus, wie groß vorher die Gefahr für einen derartigen Verlust gewesen ist. Im übrigen führt ein solcher Risikobegriff für das Irrtumsrisiko bei einer vergangenheitsorientierten Betrachtung zu der absurden
17 Vgl. Helfen, E.\ Statistische Probleme der Tarifierung in der Kraftverkehrsversicherung, ZVersWiss 1974, 164.
18 Siehe z.B. Gerathewohl, K.\ Living with Inflation - A Reinsurer's Viewpoint, VW 1982, 1110-1124, speziell 1117-1119; Glotzmann, P. ; Bestandspolitik bei neuen Risiken, ZVersWiss 1983, 285-306.
19 Vgl. Farny (Fn. 14) 26. 20 Vgl. Eichhorn (Fn. 5) 590.
275
Situation, daß ausgerechnet bei dem Kollektiv, für das mehr Informationen zur Verfügung stehen sollten, das Irrtumsrisiko höher eingestuft wird, wo man doch eher wie Fuss21 das Gegenteil anzunehmen hat.
Ähnlich wie Y(q0) kann auch die das Änderungsrisiko berücksichtigende Gesamtschadenvariable Y{QX) als Summe der zufälligen Schadenzahl N(QX) und den geweils zufälligen Schadenhöhen Xt{Qx), i= 1, ..., N(QX), geschrieben werden. Da aber die Ungewißheit über den in der Geschäftsperiode 1 wirklich vorhandenen Parameter qxk die Schadenzahl und die Schadensumme gemeinsam beeinflußt, sind beide stochastisch abhängig, so daß keine (2) entsprechende Formel für die Momente von Y(QX) existiert.
Statt auf eine einzelne Risikogruppe bezogen, soll nun im weiteren das Modell für ein aus Teilrisikogruppen zusammengesetztes Gesamtkollektiv formuliert werden. Dessen Gesamtschaden für die laufende Geschäftsperiode 1 stellt gerade die Summe der entsprechenden Gesamtschäden Y(Qiy), / = 1, ..., / , der einzelnen Teilrisikogruppen dar:
Y(Q1)=ÌY(QXJ) (5) ; = i
Die stochastische Parametervariable Qx besteht aus der vektoriellen Zusammenfassung der Sektorenvariablen ß1;-, ß i : = ( ß n , ..., ßiy, •••> Qu)> mit der gemeinsamen Verteilungsfunktion UQv welche die Wahrscheinlichkeitsvorstellungen über das Auftreten möglicher Parameterkombinationen qik' = (qiik, •••, qijk, ••• q\jk)> k = l, ..., Ky beschreibt.
Wenn man nun bezüglich der bedingten Schadenvariablen N(qXjk), X{qXjk) und Y(qXJk), d.h. den Schadenvariablen, welche gerade die Risikolage im Schadenbereich beschreiben, wenn in der Periode 1 das A>te Schadenszenario zutrifft, für jedes feste k die folgenden Annahmen voraussetzt,
(1) die Zufallsvariablen Schadenzahl N(qXjk) und Schadensummen Xi(qXjk), i = 1, ..., N(qXjk), seien stochastisch unabhängig,
(2) die Zufallsvariablen Xi(qXjk), i=l, ..., N(qXjk), seien stochastisch unabhängig und identisch verteilt und
(3) die Zufallsvariablen Gesamtschaden Y{qXjk)y j = 1, ..., /, seien stochastisch unabhängig,
dann kann die Berechnung des Erwartungswertes, der Varianz und der dritten Momente von Y(QX), der das Änderungsrisiko berücksichtigenden Gesamt-
21 Vgl. Fuss (Fn. 15) 22.
276
schadenvariablen des Gesamtkollektivs, mittels der nachstehend beschriebenen Prozedur schrittweise vollzogen werden:
1. Mit Hilfe der bedingten Verteilungen PN{qxjk) und FX(qxjk) ermittelt man zunächst//, o2 und a3 von N(qXjk) und X{qXjk).
2. Die Größen ju(Y(qXjk)), o2(Y(qXjk)) und a3(Y(qXjk)) erhält man über die Gleichungen (2).
3. ju(Y(qxk))f o2(Y(qxk)) und a3(Y(qxk)) ergeben sich als Summen der entsprechenden sektoriellen Größen.
4. Die gemischten ersten drei Momente jUi(Y(Qx)), für 1=1, 2, 3, lassen sich aus den /-ten Momenten von Y(qxk) über die Beziehung22
MY(Qi) = T.fii(Y{qìk))u(qìk) (/= 1, 2, 3) (6) k
berechnen.
5. Mit ihnen können schließlich die Werte der zentralen Momente <*2(Y(Q\)) = o2(Y(Qi)) und a3(Y(ßi)) über folgende Formeln errechnet werden23
o2{Y(Qx))=M2(Y(Qx))-v2(Y(Qx))
(7) a3(Y{Qx)) =M3(Y(QX)) - 3 / i ( r (ßi)) /*2(nßi)) + 2M\Y(QX))
Die Rechnung vereinfacht sich etwas, wenn zusätzlich die stochastische Unabhängigkeit der Variablen QXj vorausgesetzt werden darf, mithin das Änderungsrisiko in den verschiedenen Teilrisikogruppen ; unsynchronisiert in dem Sinne auftritt, daß etwa höhere Schadenerwartungen in einer Teilrisikogruppe nicht zwangsläufig auch höhere Schadenerwartungen in den übrigen Teilrisikogruppen nach sich ziehen.
In diesem Fall sind auch die das Zufallrisiko i.w.S. abbildenden Gesamtschadenvariablen Y(Qij) stochastisch unabhängig. Es genügt dann die Kenntnis der das Änderungsrisiko je Teilrisikogruppe beschreibenden Verteilungen UQlj statt der gemeinsamen Verteilungsfunktion UQl über alle Teilrisikogruppen und a 2 (7(ßi)) und a3(Y(Qx)) stellen einfach die Summe der entsprechenden Sektorenparameter dar. Diese Sachlage wird bei dem nachfolgenden Beispiel unterstellt.
Siehe Bühlmann (Fn. 1) 66. Siehe Kendali, M. G. IA. Stuart; The Advanced Theory of Statistics, Vol. 1, London 1969,56.
277
Abbildung 2
Teilmodell für den Versicherungszweig Allgemeine Haftpflicht
BETRIEB
S1
ALLGEMEINE
HAFTPFLICHT
BERUF
s2
PRIVAT
s3
s4
Als Gesamtkollektiv betrachte man etwa das im Versicherungszweig Allgemeine Haftpflicht abgeschlossene Geschäft eines Schaden- und Unfallversicherers, das vielleicht, wie in Abbildung 2 angezeigt, in die Risikogruppen ; = 1 , ..., 4 zerlegt werden kann. Sj sei die für alle versicherungstechnische Einheiten innerhalb jeder Risikogruppe j einheitliche Versicherungssumme und Lj die Anzahl der Risikoeinheiten pro Gruppe.
Weiter möge jede Risikogruppe hinsichtlich der Schadenzahl und der Schadensumme ein streng homogenes Kollektiv bilden, d.h. alle Einheiten einer Gruppe besitzen identische Schadenzahl- und Schadensummenverteilungen. Um die Rechenarbeit zu vereinfachen, werden keine rechts trunkierten oder konzentrierten Schadensummen Verteilungen verwendet. Die Schadensumme darf also unbeschränkt hohe Werte annehmen, obwohl in der Realität natürlich obere Grenzen für die Schadenhöhe existieren und hier im Beispiel für den Versicherer ein Haftungslimit in Gestalt der Versicherungssumme Sj vorliegt.
278
Hat man für die vergangene Geschäftsperiode 0 die in Tabelle 4 aufgeführten Parameter ermittelt, so können mit den Formeln (2) die in Tabelle 8 unter der Kennzeichnung Fall (1) wiedergegebenen Gesamtschadenparameter berechnet werden.
Die Schadenparameter aus Tabelle 4 beruhen weitgehend auf tatsächlichen Schadendaten eines Schaden- und Unfallversicherers, während die Bestandsparameter Lj und Sj in Anlehnung an die Realität so festgesetzt wurden, daß deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Bestandsgröße gemessen an der Zahl der versicherungstechnischen Einheiten pro Risikogruppe und den Haftungsumfang pro Schadenfall bestehen.
Als Schadenzahlmodell wird stets eine negative Binomialverteilung unterstellt, während für die Schadensumme bei den Risikogruppen 1 und 2 mit der Lognormalverteilung und bei den Risikogruppen 3 und 4 mit der Exponential-verteilung gearbeitet wird.
In den Tabellen 5, 6 und 7 sind in verschiedenartiger Darstellung zu jeder Riskogruppe ; die Parameter qX}k und die ihnen z.B. durch Expertenurteil zugebilligten Wahrscheinlichkeitsgewichte zusammengefaßt, wobei von unveränderten Bestandsparametern ausgegangen wird. Jedes qXjk entspricht einer Änderungshypothese, also unterschiedlichen, in der laufenden Periode 1 für möglich gehaltenen, Schadenszenarien, welche mit den vorgegebenen Wahrscheinlichkeiten uXjk erwartet werden.
Tabelle 4
Bestands-, Schadenzahl- und Schadensummenparameter der Vorperiode 0
Fall
(1)
Risiko
gruppe
0/
01
02
03
04
Bestandsparameter
Loj
400
5000
100000
30000
%
in
Mio.
DM
20
5
1
2
Loj - Soj
in
Mio.
DM
8000
25000
100000
60000
MN(qoi))
in%
von
250
6
13
10
1000
300
13000
3000
Schadenparameter
°2(N(<!oj))
in%
von
375,0
7,2
16,9
18,0
1500
360
16900
5400
o2(N{qQj))
1,5
1,2
1,3
1,8
MWlOj))
in%o
von s0j
0,2
2,0
0,5
0,6
in
DM
4000
10000
500
1200
o(X(qQj))
in%o
von
0,2
2,0
0,5
0,6
in
DM
4000
10000
500
1200
to
Tabelle 5
In der laufenden Periode 1 für möglich erachtete Werte q\jk der stochastischen Parametervariable giy, d.h. verschiedene Alternativen für Erwartungswert und Varianz der Schadenzahl und Erwartungswert und Standardabweichung der Schadensumme, sowie zugehörige Wahrscheinlichkeiten u\jk
Werte der Schaden- Wahrscheinlich-Parameter- Parameter- Komponenten der Werte der Parametervariablen giy summen- keitsverteilung variable variablen Verteilung von ßi7
Qu
Qu qu« (M(N(qljk)), or^JVfo,,*)), fi(X(qijk)), a(X(qv,k))) in DM in DM
ß l l -
0.2 =
Ö I 3 -
ß l 4 =
T~
-L
<7m = <7l 1 2 =
q i \ 3 = (
< 7 l l 4 =
4 l 2 1 =
q\22 =
q\23 =
q\24 =
<7l31 =
<?132 =
<7l33 =
? 1 4 1 =
^ 1 4 2 =
4 1 4 3 =
<7l44 =
<7l45 =
[ 1000 [ 1100 ; 1200 [ 1300
[ 300 [ 330 [ 360 [ 270
[ 13000 [ 14300 [ 15600
[ 2700 [ 3000 [ 3000 [ 3600 [ 3600
2000 2200 2400 2600
450 495 540 405
16900 18590 20280
4050 4500 5400 5400 6480
4000 4400 4000 4400
10000 11000 10000 11000
500 550 575
1320 1200 1380 1320 1380
8000) 6600) 6000) 8800)
10000) 16500) 20000) 33000)
500) 550) 575)
1320) 1200) 1380) 1320) 1380)
Lognormal
verteilung
Exponential-
verteilung
0,40 0,25 0,25 0,10
0,50 0,20 0,20 0,10
0,50 0,30 0,20
0,10 0,30 0,30 0,20 0,10
Tabelle 6
In der laufenden Periode 1 für möglich erachtete Werte qljk der stochastischen Parametervariablen QX], relativ ausgedrückt zu den erwarteten Bestandsparametern dieser Periode, Anzahl der Risiken L1; und jeweils abgeschlossene Versicherungssumme sV), sowie zugehörige Wahrscheinlichkeiten uljk
Werte der Schaden- Wahrscheinlich-Parameter- Parameter- Komponenten der Werte der Parametervariablen Q Xj summen- keitsverteilung variable variablen Verteilung von QXj
Öi/
Qu 4i, k (M(N(qUk)), o^iNiq^)), v(X(qljk)), o(X(qljk))) uljk
in % von L\j in%vonLi ; in%ovon.sI; in%ovon^iy
fill--
012 =
r ß.3= L
L
014 =
— — — _
< 7 n i = (
<?1 12 = (
4 l l 3 = (
^ 1 1 4 = (
qi2i= i
<7l22 =
4 1 2 3 = (
4 1 2 4 = (
< 7 l 3 1 = {
q\32= i
4133 =
4141 =
4142 =
4143 =
4 l 4 4 =
4145 =
250,0 ; 275,0
300,0 ; 325,0
; 6,0
; 6,6 ; 7,2 : 5,4
[ 13,0 [ 14,3 [ 15,6
[ 9,0 [ 10,0 [ 10,0 [ 12,00 ( 12,00
500,00 550,00 600,00 625,00
9,00 9,90
10,80 8,10
16,90 18,59 20,28
13,50 15,00 18,00 18,00 21,60
0,200 0,220 0,200 0,220
2,000 2,200 2,000 2,200
0,500 0,550 0,575
0,660 0,600 0,690 0,660 0,690
0,400) 0,330) 0,300) 0,440)
2,000) 3,300) 4,000) 6,600)
0,500) 0,550) 0,575)
0,660) 0,600) 0,690) 0,660) 0,690)
Lognormal
verteilung
Exponential-
verteilung
0,40 0,25 0,25 0,10
0,50 0,20 0,20 0,10
0,50 0,30 0,20
0,10 0,30 0,30 0,20 0,10
282
Tabelle 7 Komponenten der Werte q\,k von Tabelle 5 als Vielfache verschiedener Erwartungswerte von
Schadenzahl und Schadensumme
MWtoilk)) ttWqiik)) MWqiià) <K*(<?1/*)) MWqoi)) fWÜilk)) f(X(q0l)) M(X(qljk))
4 n i
4112
4113
4114
4121
4122
4123
4124
4131
4132
4133
4141
4142
4143
4144
4145
1,0
1,1 1,2 1,3
1,0
1,1 1,2 0,9
1,0
1,1 1,2
0,9
1,0 1,0
1,2 1,2
2,0 2,0 2,0 2,0
1,5 1,5 1,5
1,5
1.3
1,3 1,3
1,5
1,5 1,8 1,5 1,8
1,00 1,10 1,00 1,10
1,00 1,10 1,00 1,10
1,00 1,10
1,15
1,10 1,00
1,15 1,10 1,15
2,0
1,5 1,5 2,0
1,0
1,5 2,0 3,0
1,0
1,0 1,0
1,0 1,0
1,0 1,0 1,0
Tabelle 8
Gesamtschadenparameter der Teilsparten und der Sparte in der laufenden Geschäftsperiode 1 für die stochastischen Änderungshypothesen QXj
(Fälle (2) und (3)) im Vergleich zu den entsprechenden Werten bei der Annahme zeitlich stabiler Schadenparameter q0j (Fall (1))
Fall Gesamtschadenparameter gruppe
«(-te)) «zi «zi -("te) «zi '(t:))
(1) (2)
(3)
(1) (2)
(3)
(1) (2)
(3)
(1) (2)
(3)
ti
Ol
11
11
02
12
12
03
13
13
04
14
14
in%o von
LQJ ' Soj
0,5000
0,5727
0,5357
0,1200
0,1297
0,1242
0,0650
0,0740
0,0694
0,0600
0,0688
0,0640
in Mio DM
4,00
4,58
4,29
3,00
3,24
3,11
6,50
7,40
6,94
3,60
4,13
3,84
in% von
Loj • SQJ
750,000
4875,547
1870,330
414,000
935,088
601,018
7,475
971,930
231,766
20,160
463,648
146,400
in Mio. DM2
60000
390044
149626
103500
233772
150254
7475
971930
231760
12096
278189
87840
in% von
LQJ ' SQJ
3,18-107
1,22-IO9
1,61 IO8
4,36 IO7
3,38-IO8
1,77-IO8
1,30-IO4
4,35-IO8
4,71-IO7
1,04 IO5
8,60 IO7
4,20-IO6
in Mio. DM3
2,54-IO9
9,79 IO10
1,29-IO10
1,09 IO10
8,45 IO10
4,42-IO10
1,30 IO7
4,35-IO11
4,71 • IO10
6,26 IO7
5,16-IO10
2,52-IO9
in Mio DM
0,244949
0,624534
0,386816
0,321714
0,483500
0,387627
0,086458
0,985865
0,481415
0,109981
0,527435
0,296378
0,0612
0,1363
0,0903
0,1072
0,1491
0,1248
0,0133
0,1332
0,0694
0,0306
0,1278
0,0772
0,17289
0,40205
0,22308
0,32758
0,74772
0,75864
0,02006
0,45367
0,42211
0,04707
0,35167
0,09677
Tabelle 8 -Fortsetung-
Gesamtschadenparameter der Teilsparten und der Sparte in der laufenden Geschäftsperiode 1 für die stochastischen Änderungshypothesen ß , y
(Fälle (2) und (3)) im Vergleich zu den entsprechenden Werten bei der Annahme zeitlich stabiler Schadenparameter q0j Fall ((1)) Haftpflicht insgesamt
Fall Gesamtschadenparameter
«ti «ti «f» «ti «ti «ti
(1) (2)
(3)
in%o
von
Loj-Soj
0,0886
0,1003
0,0941
in Mio DM
17,10
19,35
18,17
in% von
LQJ ' SQJ
94,855
970,951
320,975
in Mio. DM2
183071
1873934
619482
in% von
Loj • Soj
7,01•106
3,47 108
5,53 107
in Mio. DM3
1,35 1010
6,69 1011
1,07-1011
in Mio DM
0,427867
1,368917
0,787071
0,0250
0,1079
0,0433
0,17265
0,26070
0,21886
OO
285
Auf der Grundlage dieser Tabellenwerte können mittels der vorhin beschriebenen Vorgehensweise die in Tabelle 8 unter Fall (2) ausgewiesenen Risikoparameter zu den die Änderungsrisiken Qxj berücksichtigenden Gesamtschadenvariablen Y(QXj) und Y(QX) berechnet werden. Die Zahlen werte für den Fall (3) resultieren aus Änderungshypothesen mit denselben Wahrscheinlichkeitsgewichten wie im Fall (2), bei denen aber die Schadenzahl- und Schadensummenerwartungswerte gegenüber Fall (2) nur halb so große Zuwächse erreichen und bei denen die Varianz/Erwartungswert-Verhältnisse der Schadenzahl für jede Risikogruppe mit denjenigen von Fall (1) identisch sind.
Für die im Beispiel zur Schadenzahl und Schadensumme vorgegebenen Schadendaten läßt sich generell feststellen, daß sowohl die Teilsparten- als auch die Spartengesamtschadenparameter durch die Einführung der unsicheren Änderungshypothesen erheblich größer geworden sind. Dabei wirkt sich die Unsicherheit über die wahren Schadenzahl- und Schadensummenparameter in den Teilsparten 3 und 4, die zuvor als relativ ungefährlich eingestuft werden konnten, wesentlich stärker aus als bei den in der Vorperiode (bei ex post bekannten Risikoparametern) als gefährlich angesehenen Teilsparten 1 und 2.
Risikogruppe 3 mit der in der Vergangenheit absolut niedrigsten Standardabweichung von 86458 DM (Fall (1)) weist nun nach Berücksichtigung des vermuteten Änderungsrisikos mit 985 865 DM (Fall (2)) bzw. 481415 DM (Fall (3)) die höchste Standardabweichung aller Teilsparten auf. Zwar besitzen die Risikogruppen 1 und 2 nach wie vor überwiegend die höheren relativen Risikoparameter, der Abstand zwischen den verschiedenen Teilsparten aber ist kleiner geworden.
Tabelle 9 enthält ergänzend für die drei vorgestellten Fälle (1), (2) und (3) die Sicherheitsmittel - absolut in Millionen DM und relativ als Prozentsatz von Erwartungswert und Standardabweichung, welche über die jeweiligen Erwartungswerte hinaus zur Verfügung stehen müssen, um zu gewährleisten, daß der jeweils tatsächlich eintretende Gesamtschaden die Summe aus Gesamtschadenerwartung und vorhandenen Sicherheitsmitteln mit einer Wahrscheinlichkeit von höchstens e überschreitet.
Anschaulich läßt sich das auch so ausdrücken: Ein Versicherer, welcher die Gesamtschadenerwartung als Nettorisikoprämie und die berechneten Sicherheitsmittel als Sicherheitszuschlag erhält, muß im Mittel bei T Geschäftsperioden unter unveränderten Bedingungen mit höchstens e • T Verlustperioden rechnen. Bei den in der Tabelle angenommenen Werten von e = 0,001 bzw. e = 0,0001 wäre demnach unter 1000 bzw. 10000 beobachteten Geschäftsjahren im Schnitt je 1 Verlustjahr zu erwarten, wobei die Größe des Verlustes allerdings eine beliebige Höhe annehmen kann.
Die Werte im oberen Teil von Tabelle 9 wurden wieder mit Hilfe der Normal-Power-Methode für jede Teilrisikogruppe getrennt berechnet, d.h. ohne die
286
Tabelle 9
Bei einem vorgegebenen Sicherheitsniveau e zur Vermeidung oder zum Ausgleich eines Periodenverlustes über die Teilsparten- bzw. Spartengesamtschadenerwartungswerte hinaus erforderliche
Sicherheitsmittel
Über den Gesamtschadenerwartungswert hinaus notwendige Sicherheitsmittel bei
Fall Risiko- £ = 0,001 (x£ = 3,090232292) £ = 0,0001 (xE =3,710164820) gruppe in % in in % in
von Mio DM
von Mio DM
*j M WS)) «ü «zi «ti (1)
(2)
(3)
01 02 03 04
11 12 13 14
11 12 13 14
20,43 38,15
4,15 9,65
49,93 61,96 49,76 45,91
30,76 52,07 25,62 24,92
333,66 355,70 311,88 315,73
366,31 415,57 373,67 359,14
340,81 417,12 369,17
322,81
0,817295 1,144338 0,269647 0,347246
2,287751 2,009271 3,683859 1,894221
1,318311 1,616882 1,777240 0,956745
24,97 47,26 4,99
11,64
62,23 79,03 62,26 56,60
37,77 66,47 31,98 30,24
407,80 440,71 375,29 381,03
456,56 530,10 467,54 445,84
418,48 532,42 460,82 391,61
0,998903 1,417826 0,324465 0,419065
2,851350 2,563026 4,609285 2,351533
1,618742 2,063806 2,218466 1,160632
Über den Gesamtschadenerwartungswert hinaus notwendige Sicherheitsmittel bei
Fall £ = 0,001 (xe = 3,090232292) £ = 0,0001 (xE = 3,710 164820) Haft- in% in in % in pflichtins- von Mio von Mio gesamt DM DM
«$ «® «Û «OS) (1) 8,35 333,63 1,427475 10,20 407,75 1,744630 (2) 24,48 346,17 4,738791 30,16 426,48 5,838178 (3) 14,74 340,21 2,677689 18,09 417,58 3,286654
287
Verbundeffekte zu berücksichtigen, welche die gemeinsame Übernahme aller vier Teilrisikogruppen nach sich zieht. Die Zahlen im unteren Teil sind nach demselben Verfahren ermittelt, nun angewandt auf die Schadenvariable Y(QX) des Versicherungszweigs Allgemeine Haftpflicht insgesamt.
In allen drei Fällen, also auch bei den teilspartenweise stochastisch unabhängige Änderungsrisiken berücksichtigenden Fällen (2) und (3) zeigt sich, daß die globale Sicht weise eine starke Verminderung der Sicherheitsmittel zuläßt. Beispielsweise sind für e = 0,001 im Fall (2) statt der Summe von 9874102 DM aus den für jede Teilsparte einzeln berechneten Sicherheitsmitteln lediglich 4738791DM nötig.
Vergleicht man die Riskanz der Teilspartengesamtschadenvariablen nun anhand der bei einem gewählten Sicherheitsniveau e zur Verfügung zu stellenden Sicherheitsmittel, so gelangt man im Fall (1) zur selben Reihenfolge (von der niedrigeren zur höheren Gefährlichkeit)
03, 04, 01 und 02,
wie sie sich auch bei Verwendung der Risikoparameter Standardabweichung, Variationskoeffizient und Schiefe ergibt, unabhängig davon, ob die absolute Höhe der Sicherheitsmittel oder der Prozentsatz in bezug auf die jeweiligen Erwartungswerte als Maß benutzt wird.
Anders stellt sich die Lage bei den Fällen mit Änderungsrisiken ((02) und (03)) dar. Da bei jenen das Änderungsrisiko für jede Teilsparte eine Vielzahl von Risikoeinheiten gemeinsam und gleichmäßig beeinflußt, spielt nun auch die an der Gesamtschadenerwartung gemessene Bestandsgröße eine entscheidende Rolle. Hinsichtlich der absoluten Höhe der Sicherheitsmittel sind jetzt im Fall (2) die Teilsparten in der Rangfolge
04, 02, 01 und 03
und im Fall (3) in der Rangfolge
04, 01, 02 und 03
anzuordnen, welche sich zudem von der in beiden Fällen identischen Rangfolge der Erwartungswertprozentsätze unterscheidet, die so lautet:
04, 03, 01 und 02.
Neben der bemerkenswerten Tatsache, daß das Änderungsrisiko offenkundig bedeutsame Verschiebungen der Gefährlichkeitsgewichte der Teilrisikogruppen in bezug auf die Gefährlichkeit der Gesamtrisikogruppe bewirken kann, springt vor allem auch die unter Umständen drastische Erhöhung - sei es absolut in DM oder relativ in Prozent der Gesamtschadenerwartung - der erforderlichen
288
Sicherheitsmittel ins Auge. Beispielsweise müßten diese laut Tabelle 9 von 4,14% der Gesamtschadenerwartung in Teilsparte 03 bei Fall (1) auf 25,62% in Teilsparte 13 bei Fall (3) wachsen, das entspricht immerhin trotz der abgeschwächten Änderungshypothese einem Anstieg von mehr als 517 Prozent, wobei außerdem zu beachten ist, daß implizit von der Annahme ausgegangen wird, der das Änderungsrisiko berücksichtigende Gesamtschadenerwartungswert fit(Y(Qx3))>ju(Y(qo3)) stehe auch tatsächlich als Nettorisikoprämie zur Verfügung.
Die Werte für den Versicherungszweig Allgemeine Haftpflicht insgesamt aus dem unteren Teil von Tabelle 9 (8,35% im Fall (1) und 14,74% im Fall (3), das ergibt einen Zuwachs von 76,53 Prozent) zeigen zwar aufgrund der Mittelung und der Unabhängigkeit der Änderungsrisiken zwischen den Teilsparten einen abgeschwächten Gesamteffekt, der im Fall (3) aber immer noch eine Erhöhung der Sicherheitsmittel um 87,58% von 1427475 DM auf 2677689 DM nötig macht.
Falls das Änderungsrisiko die verschiedenen Risikogruppen nicht willkürlich, uneinheitlich und ungleichmäßig trifft, sondern sich im Gegenteil bei einigen oder allen Risikogruppen gleichmäßig und synchron auswirkt, muß die Annahme stochastisch unabhängiger Variablen QXj fallengelassen werden. Das hat zur Folge, daß die für den gesamten Versicherungszweig berechneten Sicherheitsmittel gegenüber der Summe der für jede Teilrisikogruppe ermittelten Sicherheitsmittel nur in geringerem Ausmaß kleiner wird.
Ist man bereit, so wie es eben an Beispielen erläutert wurde, die Veränderung der Risikoparameter Varianz, Standardabweichung, Variationskoeffizient, Schiefe und Sicherheitsmittel bei einem Übergang von Y(q) zu Y(Q) als Maßgröße für das Änderungsrisiko zu akzeptieren, so können eine Reihe von im nächsten Abschnitt zusammengefaßten Schlußfolgerungen festgehalten werden.
2. Konsequenzen aus der Verwendung des Modells für die Versicherungspraxis
(1) Sofern man sich in der Versicherungspraxis die Mühe macht, Änderungsrisiken hinsichtlich der Schadenzahl und der Schadensumme als prognostische Hypothese quantitativ zu formulieren, besteht die Möglichkeit, die Auswirkungen dieser vermuteten unsicheren Änderungen, insbesondere deren in der Regel gefährlichkeitserhöhende Wirkung, anhand von relativ leicht interpretierbaren Kennzahlen zum Gesamtschaden, der eigentlich relevanten Größe für den Schadenbereich eines Versicherungsunternehmens, deutlich zu machen.
289
(2) Dabei zeigt sich, daß die Gefährlichkeitsgewichte, mit denen einzelne Teilrisikogruppen zum Zufallsrisiko im Schadenbereich des Gesamtunternehmens beitragen, beim Übergang vom Zufallsrisiko i.e.S. zum Zufallsrisiko i.w.S., also durch die Berücksichtigung des Änderungsrisikos, gravierende Verschiebungen erfahren können. Eine zuvor nur als mäßig riskant eingestufte Risikogruppe kann dann ein größeres Risiko darstellen, als eine andere vorher als die gefährlichere angesehene Risikogruppe.
(3) Für zwei Risikogruppen mit gleicher Gesamtschadenerwartung (Nettorisi-koprämie), welche demselben Änderungsrisiko unterworfen sind, wird der Anteil des Änderungsrisikos am Zufallsrisiko i.w.S. bei der Risikogruppe höher zu veranschlagen sein, welche das geringere Zufallsrisiko i.e.S. aufweist.
(4) Bei zwei der Anzahl an Risikoeinheiten nach verschieden großen Beständen von versicherungstechnischen Einheiten mit identischen individuellen Schadenzahl- und Schadensummen Verteilungen (d.h. beide Teilkollektive zusammen bilden ein streng homogenes Gesamtkollektiv), welche einem gleichartigen Änderungsrisiko ausgesetzt sind, wirkt die höhere Bestandsgröße des einen Teilkollektivs im Hinblick auf das Änderungsrisiko, aber auch auf das Zufallsrisiko i.w.S. nicht im gleichen Maße risikomindernd (bezüglich der Verwendung relativer Risikomaße) wie auf das Zufallsrisiko i.e.S. Wenn Änderungsrisiken vorliegen, sind demzufolge Bestandsausweitungen ein weniger effizientes Mittel zur Risikoreduktion als in den Fällen, bei denen keine Änderungsrisiken bestehen. Auf keinen Fall gilt, jedenfalls solange wie nicht die untaugliche Größe Gesamtschadenerwartungswert als Risikomaß verwendet wird, die in der Literatur zuweilen anzutreffende recht allgemeine Behauptung, das Änderungsrisiko sei proportional zur Bestandsgröße24.
(5) Proportional zur Bestandsgröße dagegen ist die Gesamtschadenerwartungs-wertänderungya(y(ß1)) — ju(Y(q0)). Sie kann als sicheres Äquivalent für die von dem unterstellten Änderungsrisiko herrührende unsichere und unbekannte Vergrößerung oder Verkleinerung des Bestandsgesamtschade-nerwartungswertes unter stabilen Risikobedingungen angesehen werden. Sofern die Differenz positiv ist, muß sie so wie die Nettorisikoprämie fit(Y(q0)) im Fall des Zufallsrisikos i.e.S. als zusätzlicher Nettorisikoprä-mienanteil im Fall des Zufallsrisikos i.w.S. zur Verfügung stehen, um die vermuteten Auswirkungen des Änderungsrisikos im Schadenbereich im Mittel zu auszugleichen, d.h. um zu gewährleisten, daß zum einen die
24 Vgl. Farny (Fn. 14) 25; Jannott (Fn. 7) 412-413; Gerathewohl (Fn. 7) 15.
290
(mathematische) Gewinn- bzw. Verlusterwartung des eigentlichen Versicherungsgeschäfts gerade null wird und zum anderen bei experimentell k-facher unabhängiger Wiederholung der betrachteten Geschäftsperiode unter gleichen Bedingungen die Summe der kollektiven Gewinne und Verluste pro Periode, also im zeitlichen Mittel, für k gegen unendlich mit Wahrscheinlichkeit eins gegen null konvergiert.
(6) Bei positiver Wertedifferenz von ju(Y(Qx)) -ju(Y(q0)) kann das Ignorieren derartiger Änderungsrisiken, sofern sie tatsächlich vorhanden sind, ernste Folgen haben, weil ja eine Verlusterwartung in dieser Höhe in Kauf genommen wird und zudem eine größere Schwankungsbreite der Schadenwerte zu verkraften ist. Auf der anderen Seite ist es natürlich schwieriger, diesen Anteil an der Nettorisikoprämie bei Versicherungspreisverhandlungen glaubhaft zu machen, denn er beruht weniger, wie der Erwartungswert ju(Y(q0)), auf oft vielen und relativ objektiven Vergangenheitsdaten, sondern mehr auf einer eher subjektiven Beurteilung zukünftiger Entwicklungen. Sollten sich entsprechend höhere Netto- bzw. Bruttorisikoprämien, das sind die Nettorisikoprämien vermehrt um Sicherheitszuschläge, für die Tragung des Änderungsrisikos am Markt nicht durchsetzen lassen, wird man unter risikopolitischen Gesichtspunkten gut daran tun, anderweitige Vorsorge zu betreiben, etwa mit einer Erhöhung der Sicherheitsmittel oder durch den verstärkten Einsatz geeigneter Rückversicherungsschutzkonzepte.
(7) Für beide Aufgabestellungen, Absatzentscheidungen zu treffen, insbesondere beim Führen von Versicherungspreisverhandlungen auf der Basis kalkulierter Prämien, sowie die Auswahl und detaillierte Konstruktion kompensatorischer Risikoschutzmaßnahmen festzulegen, bietet das vorgestellte Schadenmodell eine gute Grundlage, weil es in objektiver Weise erlaubt, die möglichen Konsequenzen denkbarer Handlungsalternativen auch bei Vorliegen von Änderungsrisiken vor Augen zu führen und zu beurteilen, trotz der auf subjektiver bei mehreren Geschäftspartnern möglicherweise unterschiedlicher Einschätzung beruhenden Veränderungen bezüglich der Schadenzahl und der Schadensumme.
291
Zusammenfassung
Ein Modell zur kalkulatorischen Bewältigung von Änderungsrisiken im Schadenbereich eines Versicherungsunternehmens
Neben den im allgemeinen recht gut berechenbaren zufälligen Schwankungen von Schadenwerten (Zufallsrisiko im engeren Sinn) haben in den letzten Jahren zunehmend ständige Veränderungen der gesamten Risikolage, welche jeweils mehrere Risikogruppen und Geschäftssparten gemeinsam betreffen (Änderungsrisiko) für die Versicherungspraxis Bedeutung erlangt, zu denen bisher noch keine quantitativen Abbildungsansätze vorhanden sind. Der Beitrag zeigt, wie mit Hilfe von aus Expertenmeinungen abgeleiteten A-priori-Verteilungen über künftig mögliche Risikoparameter ein Änderungsrisiken mit einbeziehendes Schadenmodell entwickelt werden kann, und macht an Beispielen die Konsequenzen deutlich, die sich aus der Beachtung eines derartig ermittelten Gesamtrisikos (Zufallsrisiko im weiteren Sinn) ergeben.
Résumé
Un modèle pour la considération des changements permanents de la situation du risque global
Parallèlement aux fluctuations aléatoires des variables de sinistres (le risque aléatoire au sens strict) que l'on peut calculer facilement, les changements permanents de la situation du risque global (le risque de changement), qui touchent plusieurs groupes de risques et branches conjointement et simultanément, ont pris ces dernières années une importance considérable aux yeux des compagnies d'assurance. Cette contribution permet de développer un modèle de sinistre comprenant le risque de changement, avec l'aide des distributions a priori sur des paramètres de risques possibles à l'avenir, basées sur l'opinion d'experts. Quelques exemples soulignent les conséquences qui résultent de la prise en considération du risque global (le risque aléatoire au sens large) ainsi calculé.
Summary
A Model with Consideration of Permanent Changes of the Global Risk Situation
Besides the random fluctuations of the accumulated claims (risk of random fluctuations in the stricter sense of the word), which are fairly well calculable in general, permanent changes of the global risk situation, concerning several risk groups or business lines jointly and simultaneously (risk of change), have been of growing importance for the insurance business in the last years. Quantitative models for the risk of change have been lacking so far, however. This contribution develops a claims model incorporating the risk of change, which is based on a priori probability distributions on future risk parameters derived from expert opinions. The consequences resulting from this new concept of total risk (risk of random fluctuations in the broader sense of the word) are demonstrated by several examples.