El Fragmento de Nochistlan – Ikonographische Analyse einer mixtekischen Bilderhandschrift
Wissenschaftliche Hausarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
einer Magistra Artium
der Universität Hamburg
von Jenny Lebuhn-Chhetri
aus Stade
Hamburg, 2012
Inhalt 1. Einleitung ........................................................................................................1
1.1. „Ikonologische Interpretation“ nach Erwin Panofsky ........................4 1.2. Forschungsgeschichte der mixtekischen Codices ...........................6 1.3. Die Anfertigung der Abzeichnung des Fragmento de Nochistlan ..10 1.4. UV-Licht-Untersuchung des Fragmento de Nochistlan im Museum
für Völkerkunde Hamburg ..............................................................12
2. Die Mixteca ....................................................................................................14 2.1. Die mixtekische Gesellschaft in der späten Postklassik (ca. 1200-
1521) ..............................................................................................16 2.2. Die mixtekischen Codices ..............................................................20
3. Der Codex Becker II ......................................................................................28 3.1. Forschungsgeschichte ...................................................................28 3.2. Beschaffenheit ...............................................................................29 3.3. Herkunft .........................................................................................30 3.4. Zeitliche Einordnung ......................................................................31 3.5. Inhalt ..............................................................................................31 3.6. Zusammenfassung ........................................................................39
4. Das Fragmento de Nochistlan .....................................................................41
4.1. Zusammengehörigkeit des Fragmento de Nochistlan und des Codex Becker II .............................................................................41
4.2. Beschaffenheit und Herkunftsgeschichte ......................................42 4.3. Forschungsgeschichte ...................................................................43 4.4. Analyseebene ................................................................................46
4.4.1. Beschreibung der Darstellungen .........................................46 4.4.2. Mixtekische Darstellungskonventionen ..............................49 4.4.3. Glossen ..............................................................................58
4.5. Interpretations- und Diskussionsebene ..........................................61 4.5.1. Ortszeichen ........................................................................61 4.5.2. Personen ............................................................................70 4.5.3. Daten ..................................................................................78
5. Ergebnisse ...............................................................................................83
5.1. Neue Erkenntnisse ........................................................................83 5.2. Zusammenfassung der Interpretation ............................................84 5.3. Ausblick .........................................................................................87
6. Anhang .......................................................................................................90
6.1. Literaturverzeichnis ........................................................................90 6.2. Quellenverzeichnis ........................................................................96 6.3. Internetquellen ...............................................................................97 6.4. Abbildungsverzeichnis ...................................................................97 6.5. Geste der Geborenen ..................................................................100 6.6. El Fragmento de Nochistlan – Umzeichnung 6.7. El Fragmento de Nochistlan – Foto
1. Einleitung
1
1. Einleitung
In den mexikanischen Bundesstaaten Oaxaca, Puebla und Guererro sind die
Mixteken ansässig. Geschichtlich gesehen zeichnet sich diese Gruppe vor allem
durch eine wichtige Errungenschaft aus: Die Mixteken fertigten faszinierende
historisch-genealogische Bilderhandschriften an, welche die eigene Geschichte
sowie die kulturellen und religiösen Gegebenheiten festhielten. Es sind heute nur
acht dieser Handschriften, Codices genannt, vorhanden, welche ihren Ursprung in
der vorkolonialen Zeit haben. Teilweise sind sie schwer beschädigt oder, wie im
Falle des hier behandelten Dokumentes, nur noch fragmentarisch erhalten.
Das Fragmento de Nochistlan (im Folgenden Fragmento genannt) ist im
Gegensatz zu anderen mixtekischen Codices bisher vergleichsweise wenig
erforscht. Es wird vermutet, dass es im auslaufenden 16. Jh. hergestellt wurde
und die Abschrift eines älteren, präkolonialen Dokumentes ist. Es befindet sich im
Museum für Völkerkunde Hamburg, wo es momentan in der Ausstellung „Herz der
Maya“ (07.11.2010 - 21.12.2012) zu sehen ist. Karl Anton Nowotny legte mit
seiner Untersuchung 1975 einen Grundstein für die Erforschung des Fragmentos.
Schon früh wurde die Ähnlichkeit mit dem Codex Becker II erkannt, die auch
Nowotny entdeckte und in seiner Arbeit diskutierte. Mary Elizabeth Smith gab mit
ihrem Artikel aus dem Jahre 1979 einen Forschungsansatz in Bezug auf die
Ermittlung des Ursprungsortes und Maarten Jansen ging im Jahr 1994 ebenfalls
etwas genauer auf das Fragmento ein. Ansonsten tauchen in verschiedenen
Artikeln zwar Hinweise auf die Existenz dieses Dokumentes auf, erneute
detaillierte Untersuchungen und weitere Perspektiven blieben aber bislang aus.
Fragestellung
Es wird, wie oben angemerkt, angenommen, dass das Fragmento de Nochistlan
ein Fragment des gleichen Dokumentes ist, zu dem auch der Codex Becker II
gehört. Da das Fragmento de Nochistlan bisher wenig erforscht wurde, ist die
Herkunft bislang ungeklärt. Ziel meiner Arbeit ist es, eine vertiefende
kulturhistorische Einordnung des Dokumentes vorzunehmen. Ich werde die
Forschungsgeschichte nachzeichnen und die Stimmigkeit der einzelnen
Forschungsergebnisse überprüfen. Im Anschluss werde ich die Verortung des
Dokumentes, die Identifizierung der dargestellten Personen und die Bedeutung
1. Einleitung
2
der angegebenen Daten diskutieren. Auf Grundlage dieser Analyse werde ich den
Inhalt des Fragmentos interpretieren.
Aufbau der Arbeit
In den Kapiteln 1.1. – 1.4. lege ich meine Auseinandersetzung mit dem
Originaldokument dar, von dem ich eine Abzeichnung erstellt habe und welches
ich mit verschiedenen Hilfsmitteln intensiv untersucht habe. Danach erfolgt die
kulturhistorische Einordnung des Fragmentos in Kapitel 2.1., bei der die
mixtekische Gesellschaft der späten Postklassik (ca. 1200-1521) eingehend
beleuchtet wird. Dies ist die Zeit, in der die sogenannte Mixteca in kleine politische
Einheiten aufgeteilt war, welche untereinander in politischen, sozialen und
wirtschaftlichen Beziehungen zueinanderstanden. Um die eigene
Vormachtstellung zu untermauern und die Geschichte der Dynastien festzuhalten,
wurden aufwendige Handschriften angefertigt, die wir heute Codices nennen. Die
acht mixtekischen Codices, welche inhaltlich in der präkolonialen Zeit liegen,
werden in Kapitel 2.2. näher vorgestellt. Die folgenden Kapitel (3. – 3.6.)
beschäftigen sich mit der Herkunft und dem Inhalt des Codex Becker II. Im
Anschluss beginnt die Auseinandersetzung mit dem Fragmento de Nochistlan.
Hier wird nun in den Kapiteln 4.4. und 4.5., nach einer kurzen Beschreibung der
Beschaffenheit, der Inhalt nach dem dreistufigen System der ikonologischen
Interpretation von Erwin Panofsky untersucht. Nach der ausführlichen Diskussion
der Hauptquellen und der Einbindung eigener Ansätze in den Kapiteln 4.5.1. –
4.5.3. werden die wichtigsten Anhaltspunkte in den Kapiteln 5.1. – 5.3.
abschließend zusammengefasst und ein Ausblick darauf gewährt, welche
Themengebiete noch weitergehend zu untersuchen sind.
Schrift oder keine Schrift
Die Diskussion, ob es sich bei den Darstellungen der mixtekischen Codices um
Schrift handelt, möchte ich gerne in der Einleitung vorwegnehmen. Ein großer Teil
der Darstellungen in den Codices besteht aus Symbolen und Piktogrammen.
Diese sind teilweise nur im kulturellen Kontext der Mixteken zu verstehen,
teilweise aber auch gängig in ganz Mesoamerika. Davon ausgehend wäre es
1. Einleitung
3
schwierig, von einer Schrift zu sprechen1. Es gibt nur einen begrenzten Teil
sprachabhängiger und phonetischer Darstellungen. Im Folgenden werde ich
dennoch von der mixtekischen Schrift sprechen und damit der Auffassung von
Elizabeth Hill Boone folgen, die eine weite Definition von Schrift als Grundlage für
ihre Untersuchungen heranzieht. Sie spricht von Schrift als die Kommunikation
relativ spezifischer Ideen in einer konventionalisierten Art und Weise durch
permanente, sichtbare Zeichen (Hill Boone/Mignolo 2000:30). Diese weit gefasste
Definition, welche verbale und nonverbale Systeme einschließt, stimmt auch mit
der mixtekischen Kategorie des Schreibens überein. Durch ein miteinbeziehen der
piktographischen Elemente in die Definition ist es möglich, das System
ganzheitlich, in Vokabular, Grammatik und Struktur, zu verstehen (Hill
Boone/Mignolo 2000:29).
Schwierigkeiten
Die Untersuchung der Codices beinhaltet eine generelle Schwierigkeit, welche für
Außenstehende sicherlich schwer nachzuvollziehen ist. Sehr viele der
Herleitungen und Interpretationen basieren auf vagen Ideen. Es gibt in dieser
Thematik wenige Beweise oder Belege. Am Ende einer Untersuchung hängt eine
aufgestellte Theorie oft weiterhin in der Schwebe. Eine Forschung, die auf diesen
Ideen aufgebaut ist, kann weiterhin immer nur Möglichkeiten aufzeigen. Es ist
essentiell, die Fehlbarkeit der bereits aufgestellten und eigenen Theorien im Kopf
zu behalten.
Davon ausgehend ergab sich eine große Schwierigkeit bei der Analyse des
Fragmentos: die unterschiedliche Wahrnehmung der einzelnen Wissenschaftler.
Bei der Bearbeitung des Fragmentes Codex Becker II wurde zum Beispiel
deutlich, wie unterschiedlich Karl A. Nowotny und Maarten Jansen die
Abbildungen deuteten. So wurde eine dargestellte Dame mal als Frau 7 Haus und
mal als Frau 8 Haus gesehen; mal erkennt der eine nichts, wo der andere deutlich
einen Geier zu sehen glaubt (siehe Kapitel 3.5.). Ich habe versucht, die
unterschiedlichen Auffassungen so klar und deutlich wie möglich
zusammenzufassen. Bei dem Fragmento de Nochistlan kam meine eigene
Wahrnehmung zu denen der anderen Wissenschaftler hinzu, da ich das Original
1 Schrift: Auf konventionalisiertem System von graphischen Zeichen basierendes Mittel zur Aufzeichnung von mündlicher Sprache (Bußmann 2008:608).
1. Einleitung
4
mit eigenen Augen (verstärkt noch durch eine belichtete Lupe) untersuchen
durfte.
Eine weitere Schwierigkeit, die sich mir bot, war die Untersuchung der
Glossen. Dem Fragmento sind lateinschriftliche Anmerkungen in verschiedenen
Handschriften beigefügt. Es stellte sich die Frage, inwieweit dieses Thema mit
den mir zur Verfügung stehenden Mitteln behandelt werden kann. Da ich keine
Expertin im Lesen von Handschriften aus dem 16.-18. Jh. bin und die mixtekische
Sprachen nicht beherrsche, wollte ich die Bearbeitung der Glossen anfangs
außen vor lassen. Während der Arbeit habe ich allerdings doch einige
Überlegungen aufgenommen, die ich im Kapitel 4.4.3. zusammengefasst habe.
1.1. „Ikonologische Interpretation“ nach Erwin Panofsky
Die Ikonographie ist die wissenschaftliche Methode, Bildinhalte zu bestimmen und
zu benennen. Der Begriff kam in der Renaissance durch das Zusammenführen
der griechischen Worte für „Bild“ (eikon) und „schreiben“ (graphein) auf und wurde
nicht im Zusammenhang mit der Autorschaft oder dem Stil eines Kunstwerkes
benutzt, sondern mit der Beschreibung des Bildinhaltes (Kopp-Schmidt 2004:44).
Erwin Panofsky (1892-1968), aus der Schule Aby Warburgs (1866-1929)
kommend, entwickelte dessen Ansatz weiter. Warburg formulierte den Anspruch,
über die für die Kunstgeschichte üblichen Quellen für eine Interpretation
hinauszugehen und auch Randgebiete des kulturellen Lebens für die
Interpretation nutzbar zu machen und erschuf daraus die sogenannte
ikonologische Analyse (Panofsky 1987:207).
Die ikonologische Analyse miteinbeziehend, entwickelte Panofsky ein
dreistufiges Modell für die umfassende ikonologische Interpretation eines Werkes,
welches er 1931 zum ersten Mal vorstellte.
1. Die erste Stufe der ikonologischen Interpretation bezeichnet Panofsky die
vorikonographische Beschreibung des Bildes, um den sogenannten
Phänomensinn (aufgeteilt in Sach- und Ausdruckssinn) zu erfassen. Hier
wird das Dargestellte betrachtet und benannt.
2. Die zweite Stufe besteht aus der ikonographischen Analyse, die auf der
Darstellungskonvention und der Kultur basiert. Sie zielt auf die
Identifikation der dargestellten Personen, Gegenstände und der aus den
1. Einleitung
5
Einzelteilen zusammengesetzten Szenerie ab. Das Erkennen des
Dargestellten geht über die optische Umwelterfassung hinaus. Für diese
Analyse werden Zusatzinformationen aus der Religion, Mythologie,
Geschichte etc. benötigt. Einfache Symbole des Kulturkreises kommen
hinzu. Diese Erschließung einer Darstellung über das allgemein bekannte
kulturelle Wissen bezeichnet Panofsky als Ikonographie. Geht aber eine
Darstellung über diese Definition hinaus, so wird das Erfassen des
Dargestellten schwierig.
3. Die dritte Stufe ist die ikonologische Analyse, die das Dargestellte in
Zusammenhang mit der Epoche bringt, in der es entstand. Ziel dieser Stufe
ist es, die eigentliche Bedeutung des Dargestellten zu entschlüsseln. Die in
Stufe II nicht entschlüsselten Darstellungen werden eingehend betrachtet
und es wird unter anderem versucht, bewusste und/oder unbewusste
Botschaften der Auftraggeber und Künstler und die Einstellung der Epoche
zu ermitteln. Diese Betrachtungsweise eines Kunstwerkes ändert die Sicht
auf das Werk von dem Träger einer Information hin zu einem Dokument,
einem Zeugnis der Zeitgeschichte.
Die Bearbeitung dieser Stufe erfolgt in zwei Phasen. Zunächst werden alle
Informationen, die das Werk, dessen Umfeld und Inhalt betreffen,
herangezogen. In der zweiten Phase wird versucht, die unbewussten
Strömungen und Einstellungen des Zeitalters herauszufiltern, die hinter der
vordergründigen Interpretation verborgen sind (Panofsky 1987:210-211).
Panofskys Methode der ikonologischen Interpretation zeigt auch nach 80 Jahren
noch Gültigkeit und lässt sich effektiv auf die Kunst Mesoamerikas anwenden. Sie
hilft, unter Einbezug sämtlicher kultureller Quellen, Aufschluss über die
Darstellungen zu geben (Klein 2002:28).
Auch im Falle des Fragmento de Nochistlan hilft Panofkys Methode, das
Dargestellte strukturiert zu erfassen. Nach den einleitenden Kapiteln über das
Gebiet, die Kultur und die Bilderhandschriften der Mixteca in der späten
Postklassik sowie über das Fragment Codex Becker II wird das Fragmento de
Nochistlan eingeführt. Panofskys Konzept kommt dann nach Erörterung der
physikalischen Gegebenheiten, der Herkunft und der Forschungsgeschichte zum
Einsatz. In drei Phasen wird das Fragmento untersucht:
Phase I: In Kapitel 4.4.1. werden die Darstellungen beschrieben.
1. Einleitung
6
Phase II: In Kapitel 4.4.2. werden die Darstellungskonventionen der
mixtekischen Codices miteinbezogen. Das in Kapitel 4.4.1.
Beschriebene wird durch die bisherigen wissenschaftlichen
Erkenntnisse erklärt und dadurch in einen kulturellen Kontext
gesetzt.
Phase III: In den Kapiteln 4.5.1.-4.5.3. werden dann die nicht erklärbaren
Details aufgenommen, diskutiert und gegebenenfalls interpretiert.
Im Vordergrund steht besonders die Frage, um welche Ortschaften
es sich bei den Ortszeichen handelt. Desweiteren werden die
dargestellten Personen und auch die Daten diskutiert.
1.2. Forschungsgeschichte der mixtekischen Codices
Kolonialzeit
Die ersten uns überlieferten Quellen zur mixtekischen Kultur waren unter anderem
die Wörterbücher der dominikanischen Mönche Antonio de los Reyes (1889) und
Francisco de Alvarado (1963), welche wichtige Informationen über die
Gesellschaft der Mixteken enthielten. Im 17. Jh. schrieb ein weiterer Dominikaner,
der Mönch Francisco de Burgoa, eine Abhandlung über die spirituelle Eroberung
von Oaxaca, in der er diversen Beobachtungen der mixtekischen Welt biblische
Passagen gegenüberstellte. Weitaus systematischer informierten die ca. 1580
geschriebenen Relaciones Geográficas über das Gebiet der Mixteken, welche
den spanischen König über seine Besitztümer aufklären sollten (Acuña 1984).
Unter anderem darauf aufbauend schrieb Antonio de Herrera y Tordesillas, der
offizielle Chronist der spanischen Krone, die erste Synthese über die mixtekische
Kultur mit dem Werk „Historia General de los Hechos de los Castellanos“ (Herrera
y Tordesillas 1947). Eine Ausnahme dieser Quellen, welche eine Außensicht auf
die Mixteken zeigen, ist die unvollständige und komprimierte Abschrift eines in
heutiger Zeit verlorenen mixtekischen, literarischen Werkes, welches sich mit der
Kosmologie und heiligen Geschichte der Mixteken befasst. Der Dominikaner
Gregorio García veröffentlichte diese im Jahre 1607 in einer Sammlung von
Quellen, welche sich mit den Ursprüngen der indigenen Amerikaner befasste
(García 1981).
1. Einleitung
7
In diesen frühen Quellen werden die mixtekischen Codices zwar erwähnt, aber nie
im Detail besprochen. In den Jahrhunderten, die der spanischen Eroberung
folgten, starb die Tradition der Anfertigung der Handschriften aufgrund von
missionarischer Zerstörung und der Einführung der alphabetischen Schrift
langsam aus. Die Dokumente, welche die Kolonialzeit überlebten, wurden von
Räubern und Liebhabern außer Landes gebracht oder in lokalen Archiven
verwahrt (Jansen 1990:99).
Frühe Moderne
Im 19. Jh. kam mit zunehmender politischer Unabhängigkeit auch ein Interesse
für die präkoloniale Vergangenheit bei der politischen und akademischen Elite auf.
Es war Manuel Martínez Gracida (1847-1923), der als erster ein umfassendes
Werk über die mixtekische Vergangenheit unter Einbeziehung eigener
Forschungen anfertigte. Er veröffentliche eine detaillierte geographische
Beschreibung der Siedlungen von Oaxaca (Martínez Gracida 1883) und sammelte
viele historische Dokumente über die indianischen Kulturen. Darunter waren
Zeichnungen und Beschreibungen archäologischer Stätten sowie Überlieferungen
oraler Tradition, Ortsnamen und ihrer Etymologie in der indigenen Sprache. Er
untersuchte auch einige Codices und andere Antiquitäten, hatte allerdings
Probleme bei deren Interpretation, da das Wissen um die piktographischen
Konventionen noch sehr gering war. Bei seinen Beschreibungen der präkolonialen
Gegebenheiten stützte er sich auf Intuition und Vorstellungskraft und kreierte
daraus romanähnliche Beschreibungen von Legenden und Traditionen (Jansen
1990:100).
Ein Kollege von Martínez Gracida war Mariano López Ruiz (1872-1931),
welcher selbst aus der Mixteca stammte. Er war verantwortlich für einige
Beschreibungen mixtekischer Stätten und Objekte in Martínez Gracidas Werk.
López Ruiz war Dichter und hatte Zugang zu einem jetzt verschollenen
piktographischen Dokument, welches eine Reihe mixtekischer Glossen enthielt.
1889 veröffentlichte er eine interpretative Beschreibung des Dokumentes, welche
zwar einige Fragen und Probleme aufwarf, jedoch ein wichtiger Schritt zu dieser
Erkenntnis war, dass die Codices tatsächlich als historische Erzählungen gelesen
werden können (López Ruiz 1889).
1. Einleitung
8
Die dritte wichtige Person im Zusammenhang mit der frühen Interpretation der
Codices war der mixtekische Lehrer Abraham Castellanos (1868-1918). Er
schrieb ebenfalls aus einer bildenden und emanzipierten Perspektive heraus in
einem lyrischen, poetischen Stil und befasste sich so mit dem Codex Colombino.
Er erschuf eine literarische Legende um einen wandernden König und den
zyklischen Kampf der Mixteken. Dieses Werk schrieb Castellanos kurz vor der
mexikanischen Revolution (1910-1920) und es ist ein authentisches Beispiel
mixtekischer Widerstandsliteratur (Castellanos 1910). Auch wenn die
Interpretationen dieser ersten Codex-Forscher heute größtenteils ungültig sind, so
waren sie doch die ersten, welche die historischen Inhalte, die mixtekischen
Konzepte, den literarischen Stil und den bildenden Wert der Codices erkannt
haben (Jansen 1990:101).
Zur gleichen Zeit entwickelte sich eine separate Forschertradition in
Europa, welche die Codices in den Bibliotheken und Museen als Ausgangspunkt
hatte. Verschiedene Gelehrte übernahmen die schwierige Arbeit, die Dokumente
zu veröffentlichen und zu kommentieren. Lord Kingsborough veröffentlichte so
zum Beispiel zwischen 1831 und 1848 verschiedene Codices (darunter die
Codices Bodley, Selden und Vindobonensis), um darzulegen, dass es sich bei der
amerikanischen Bevölkerung um die 10 „verlorenen Stämme Israels“ handelt.
Allerdings bot er dazu keine Kommentare an (Jansen 1990:101).
1902 veröffentliche Zelia Nuttall den Codex, der seitdem ihren Namen
trägt. In einem wegbereitenden Kommentar analysierte sie das Dokument als
historischen Text, ordnete diesen aber nicht den Mixteken, sondern den Azteken
zu. Entgegen Nuttalls Sicht stand die Interpretation von Eduard Seler, der die
Codices, die er „Vindobonensis-Gruppe“ nannte, als religiöse Dokumente, ähnlich
der Borgia-Gruppe, ansah. Darüber hinaus deutete er die Mythen und die
religiöse Ikonographie als symbolische Repräsentation der Bewegungen von
Sonne, Mond, Planeten und Sternen (Seler 1960-1961). Beide Wissenschaftler
hatten ihre Anhänger, Seler eher im deutschsprachigen und Nuttall eher im
englischsprachigen Raum. Kreichgauer, Lehmann und Rock vertieften sich in die
astrologischen Deutungen Selers und Clark, Long und Spinden untersuchten eine
Mehrzahl von Szenen als historische Erzählungen. Für keinen dieser Forscher
war die Vindobonensis-Gruppe allerdings mixtekischen Ursprungs (Jansen
1990:101).
1. Einleitung
9
Späte Moderne
Die Entdeckung der mixtekischen Herkunft entstammte einem bahnbrechenden
Artikel von Alfonso Caso, in dem er die Mapa de Teozacoalco2 untersuchte und
feststellte, dass einige dort erwähnte Personen mit denen anderer Codices
übereinstimmten (Caso 1949). Die Genealogien der Mapa entstammten den
Orten Teozacoalco und Tilantongo, den größten Stadtstaaten in der Mixteca Alta.
Somit stand am Ende seiner Erforschung fest: die vormals den Azteken
zugeordneten Dokumente entstammen der Region der Mixteken.
Etwa zur gleichen Zeit zeigte Karl A. Nowotny mit seiner Arbeit (1961),
dass die vormals angenommenen astronomischen Interpretationen der Mythen
und Rituale in den Mixtekischen Codices und auch in der Borgia-Gruppe überholt
waren.
Caso schrieb später zahlreiche Kommentare über die einzelnen Codices
und mit dem zweibändigen Werk „Reyes y Reinos de la Mixteca“ (1977-1979)
auch eine Abhandlung über die mixtekischen Herrscher und ihre Geschichte. In
diesem Werk analysiert er den Komplex von Genealogien und Daten, bei denen
er detaillierte Vorschläge zur Interpretation der Codices gibt. Er schlägt außerdem
eine Korrelation der mixtekischen Daten zum christlichen Kalender vor.
Später ergänzten und berichtigten viele Wissenschaftler die Erkenntnisse
Casos und Nowotnys. Die Erforschung der einzelnen Ortszeichen ist ein Thema,
dem sich viele Wissenschaftler widmeten (Jansen 1983; König 1979; Parmenter
1982; Smith 1979, 1988). Besonders die Errungenschaften von Mary E. Smith,
Schülerin von Caso, in ihrem Werk „Picture Writing from Ancient Southern
Mexico: Mixtec Place Signs and Maps“ (1973) waren grundlegend für das
Verständnis und die Identifizierung der Ortszeichen.
Andere Wissenschaftler konzentrierten sich eher auf die Analyse des Stils
und der piktographischen Konventionen. Zu nennen sind hier die Arbeiten von
Nancy Troike (1978, 1982), die sich zum Beispiel mit den Gesten der Herrscher
im Codex Colombino beschäftigte. Ebenso wichtig sind die Arbeiten von Jill Leslie
Furst, die sich zum Beispiel mit dem Kulturhelden 8 Wind beschäftigte und die
Gedanken Casos über ein mythologisches Anfangsdatum weiterführte (1977,
1978).
2 Ein bildliches Dokument, welches der Relación Geográfica von 1580 aus Teozacoalco beigefügt war.
1. Einleitung
10
Wichtige Erkenntnisse bezüglich des Problems der Chronologie und Korrelation
brachte Emily Rabin mit ihren Forschungen (1981, 1982). Sie berichtigte die von
Caso erstellte Chronologie, die auch heute noch weitgehend anerkannt ist.
Andere Studien befassten sich übergreifend mit der Verbindung zwischen
Historiografie, Religion, Ideologie und Politik (Byland und Pohl 1994; Furst 1978,
1982; Jansen 1988; Monaghan 1995; Spores 1967, 1984; Terraciano 2001).
Die Werke von Elizabeth Hill Boone und Walter D. Mignolo sind praktische,
ausführliche Übersichtswerke über die historisch-genealogischen und die rituell-
religiösen Codices (1994, 2000), die sich vor allem als Einstiegsliteratur
hervorragend eignen.
Die von Caso und Nowotny erstellten Arbeiten bilden bis heute ein Vorbild
für die Erforschung der mixtekischen Codices, welches auch heute noch
weitgehend gültig ist. Es ist dennoch verwunderlich, dass diese Denkmuster
komplett abgetrennt von denen entwickelt wurden, die schon ein halbes
Jahrhundert zuvor von lokalen Historikern in Oaxaca vorlagen.
Vor allem die Forschung von Maarten Jansen bemüht sich um eine
Einbindung heutiger mixtekischer Sichtweisen und auch der mixtekischen
Sprache, die bei den frühen europäischen Untersuchungen außer Acht gelassen
wurden (2005, 2007).
In Zusammenarbeit mit Ferdinand Anders, Gabina Aurora Pérez Jimenez
und Luis Reyes García bringt Jansen in den frühen 90er-Jahren eine Reihe
Codices als Facsimiles heraus und versieht diese mit ausführlichen
Kommentarbänden (1994). Diese geben detaillierte Interpretationen und bieten
gegenüber den vormaligen von Caso, Furst und Co. oftmals eine neue
Perspektive auf die Bilderhandschriften der Mixteken.
1.3. Die Anfertigung der Abzeichnung des Fragmento de Nochistlan
Für die Untersuchung des Fragmentos ist die genaue Erfassung der
Darstellungen erforderlich. Eine sehr gründliche Methode, um sich Linien und
Gestalten einzuprägen, ist, sie mit eigener Hand nachzuzeichnen. Man nimmt die
Figuren nicht nur mit dem Auge, sondern auch mit der Hand auf. Da man mit
seiner Aufmerksamkeit immer genau bei dem ist, was man mit der Hand macht,
1. Einleitung
11
ist so das Sehen viel aufmerksamer, statt ein Bild nur zu betrachten. Man sieht es
nicht nur, sondern verinnerlicht es durch die Bewegung.
Der erste Arbeitsschritt bei der Untersuchung des Fragmentos war, eine
genaue Abzeichnung anzufertigen, die auch als Illustration für den Text der
vorliegenden Arbeit von Nutzen sein sollte. Das Museum für Völkerkunde
Hamburg stellte mir eine Fotografie des Fragmentos zur Verfügung, von dem ich
in erster Linie die Abzeichnung anfertigte. Anhand des Objektes selbst habe ich
im weiteren Verlauf der Bearbeitung noch mal die Genauigkeit der Abzeichnung
überprüft.
Die Abzeichnung erstellte ich mithilfe eines Grafikprogramms. Das digitale
Foto habe ich als hinterste Ebene in ein neues Dokument kopiert. Auf einer
zweiten Ebene habe ich die Linien der unteren Ebene nachgezeichnet.
Mein Ziel war es, das Fragmento so genau wie möglich nachzuzeichnen
und schlecht erhaltene Stellen auszubessern, ohne das Dokument dabei durch
eigene Interpretationen zu verfälschen. Diese Gratwanderung hat mich bei der
gesamten Abzeichnungsarbeit begleitet: immer wieder abzuwägen, welche
Details in ihrer Zerstörung noch erkennbar sind und welche mich meine
Interpretation erkennen lässt.
Ein einfacher Fall war dabei zum Beispiel eine unterbrochene Linie, bei der
deutlich erkennbar ist, wo sie nach der Unterbrechung weitergeht. Die
Ausbesserung bestand dann also darin, die Linie in der Abzeichnung
durchgehend zu zeichnen. Bei schwierig erkennbaren Figuren, wie zum Beispiel
den zerstörten Tageszeichen, halfen mir die Interpretationen anderer
Wissenschaftler. Deren Ansichten des Dargestellten erleichterten es mir,
bestimmte Details zu erkennen und sie dementsprechend einzuzeichnen. Dabei
habe ich allerdings nie ein Tageszeichen ganz vervollständigt, sondern weiterhin
immer nur das nachgezeichnet, was ich auf dem Original gesehen habe.
Das erste Produkt meiner Arbeit war eine Nachzeichnung der dargestellten
Figuren mit schwarzen Linien. Als Nächstes habe ich die handschriftlichen
Glossen des Fragmentos übertragen. Dies habe ich mit wesentlich dünneren
schwarzen Linien getan, um sie von den gemalten Figuren abzugrenzen. Auch
hierbei habe ich auf höchste Genauigkeit geachtet, um die Charakteristika der
verschiedenen Schriftbilder beizubehalten. Der letzte Schritt war die Kolorierung
der Abzeichnung. Dafür habe ich mit dem Pipetten-Werkzeug des
Grafikprogramms die Farbe direkt aus dem Foto aufgenommen und damit die
1. Einleitung
12
entsprechenden Stellen der Abzeichnung ausgefüllt. Da die Farbschichten des
Fragmentos teilweise stark beschädigt sind, habe ich hier ebenfalls einige
Abwägungen machen müssen. Ich habe für das Ausfüllen immer die Farbe aus
den besterhaltenen Stellen benutzt. Allerdings habe ich mich dagegen
entschieden, ein Rot oder ein Gelb für das gesamte Dokument zu benutzen. Ich
habe immer nur Farbe aus der unmittelbaren Umgebung der auszufüllenden
Stelle benutzt, wodurch die Abzeichnung dem Original näher steht. Somit sind an
den Stellen des Dokuments, an denen das Fragmento sehr schlecht erhalten ist,
die Farben deutlich schwächer.
Während der inhaltlichen Bearbeitung des Fragmentos habe ich noch
kleinere Korrekturen vorgenommen. Ein Beispiel dafür ist das A-O-Jahreszeichen
auf der oberen Bildhälfte. Zunächst war mir nicht klar, was der kleine Zusatz
bedeutet, welcher links oben am A-O-Zeichen haftet. Das Werk „Picture Writing
from Ancient Mexico“ von Mary E. Smith brachte mich darauf, dass es sich hierbei
um ein Auge, eventuell das einer Eule, handelt, welches oft als Zusatz an einem
A-O-Zeichen angebracht ist. Aufgrund dieses Hinweises habe ich das kleine
Gebilde erneut betrachtet und erkannte, dass auch hier ein solches Auge zu
sehen ist (vgl. Smith 1973:220). Dementsprechend habe ich das Detail minimal
korrigiert. An anderer Stelle habe ich mich gegen eine Darstellung entschieden.
Im oberen Ortszeichen steht eine Inschrift von der nur noch die letzten zwei
Buchstaben zu erkennen sind. Hier steht ...YA. Vor dem Y ist schemenhaft ein
senkrechter Strich erkennbar. Da dieser Strich ein I sein könnte, aber auch der
Endstrich eines M oder H, habe ich mich dagegen entschieden, ihn mit in die
Umzeichnung einzutragen.
1.4. UV-Licht-Untersuchung des Fragmento de Nochistlan im Museum für
Völkerkunde Hamburg
Am 8. September 2010 fand eine UV-Licht-Untersuchung des Fragmentos de
Nochistlan im Museum für Völkerkunde Hamburg statt. Dabei waren Frau
Christine Chávez, Leiterin der Amerika-Abteilung, und die beiden
Restauratorinnen Frau Gertrude Blasum und Frau Wiebke Hattendorf anwesend.
An einem vorherigen Termin habe ich das Objekt bereits mit einer belichteten
Lupe untersucht, um die schwer erkennbaren Figuren besser zu sehen. Bei der
1. Einleitung
13
genauen Betrachtung mit der Lupe konnte ich allerdings keine neuen
Erkenntnisse gewinnen.
1979 schrieb Mary E. Smith, dass sie das Fragmento de Nochistlan unter
ultraviolettem Licht untersucht hat, jedoch keine Auffälligkeiten zu sehen waren
(Smith 1979:33). Meine erneute Untersuchung des Objektes unter ultraviolettem
Licht förderte tatsächlich eine bisher nicht gesehene Schrift zutage, auf deren
Einzelheiten ich im Kapitel 4.3.2 über Ortszeichen eingehe.
Wenige Tage nach der UV-Licht-Untersuchung wurde eine Untersuchung
mit einer Rotlicht-Lampe durchgeführt, die allerdings keine weiteren Erkenntnisse
hervorbrachte.
2. Die Mixteca
14
2. Die Mixteca
Die Bezeichnung Mixteca kommt aus dem Nahuatl (aztekisch) und bedeutet
„Wolkenleute“. Die Eigenbezeichnung der sogenannten Mixteken ist tay
ñuudzahui „Leute aus dem Regenort“ oder „Leute aus dem Ort des Dzahui“, des
Regengottes. Der Hintergrund dieser Bezeichnungen wird klar, sobald man auf
die klimatischen und topographischen Gegebenheiten blickt (Terraciano 2001:1).
Die heute als Mixteca bekannte Region liegt zwischen dem 16° und dem
18° 15’ nördlicher Breite und dem 97° und dem 98° 30’ westlicher Länge. Das
Gebiet umfasst eine Fläche von ca. 40.000 km2 und erstreckt sich über den
Westen Oaxacas, den Süden Pueblas und den Osten Guerreros, liegt aber zum
größten Teil in Oaxaca. Die Mixteca umfasst verschiedene Umgebungen,
Klimazonen und Höhenlagen und wird gemäß dieser Unterschiede in Zonen
aufgeteilt (Espinoza 2007:1). Die Hauptzonen sind die Mixteca Baja, Mixteca de la
Costa, Mixteca Alta und das Tal von Oaxaca (Terraciano 2001:1).
Die Mixteca Baja umfasst den nördlichen und westlichen Teil der Mixteca
und ist eine heiße und semi-aride Zone. Die Mixteca de la Costa ist, wie der
Name andeutet, an der Küste gelegen und erstreckt sich nach Norden in eine
Höhe von ca. 750 m. Hier ist es relativ feucht, was einen dichten Pflanzenwuchs
begünstigt.
Die Mixteca Alta bildet den nordöstlichen Teil der Mixteca und liegt im
hügeligen Hochland von Oaxaca. Die Topographie der Mixteca Alta ist sehr
unterschiedlich und reicht von unregelmäßigen Hügellandschaften zu zerklüfteten
Berghängen. Die großen Höhen mit den zerklüfteten Bergketten bieten natürliche
Barrieren und hindern das menschliche Vorankommen. Hier ist das Klima
gemäßigt bis kühl. In den Hügeln ist es vorwiegend kühl und trocken, in den
Tälern warm und feucht (Espinoza 2007:2).
Das Tal von Oaxaca hat ein gemäßigtes Klima und ist sehr fruchtbar
(Terraciano 2001:1).
2. Die Mixteca
16
2.1. Die mixtekische Gesellschaft in der späten Postklassik (ca. 1200-1521)
Die Mixteca der Postklassik war eine der am dichtesten besiedelten Regionen
Mesoamerikas. Die Stadtstaaten der Region zeichneten sich durch einen hohen
Grad an künstlerischem Ausdruck, demographischem Wachstum und politischer
Expansion aus. Im letzten Jahrhundert vor der spanischen Eroberung hatten
politische Gruppen aus der Mixteca Alta großen Einfluss über das Tal von
Oaxaca, begruben ihre verstorbenen Herrscher in hochherrschaftlichen Gräbern
in Monte Albán und unterhielten Heiratsallianzen zu den benachbarten
Zapoteken. In den letzten Jahrzehnten vor der spanischen Eroberung, ab ca.
1440, unterstanden Teile der Mixteca Alta und Baja der aztekischen Herrschaft.
Manche Orte wurden aber erst einige Jahre vor Ankunft der Spanier dem
aztekischen Reich zugefügt, wie es die Tributlisten der Mexica (so die
Eigenbezeichnung der Azteken) zeigen. So wurden zwar aus der Mixteca
verschiedene Güter, wie z.B. Jade, Goldstaub oder Cochenille, als Tribut geliefert,
die politischen Strukturen und die Kultur blieben allerdings weiterhin erhalten.
Nach Ankunft der Spanier übernahmen diese bereits in den frühen 20er-Jahren
des 16. Jh. viele Gebiete, wie z.B. die Region um Tututepec an der Pazifikküste.
Bereits ca. 1530 beherrschten sie die gesamte Mixteca. Ihre Herrschaft wurde
während der Kolonialzeit nie wirklich herausgefordert, obwohl es viele lokale
Aufstände und Revolten gab (Terraciano 2001:2).
Die mixtekische Gesellschaft der späten Postklassik basierte auf
traditionellen Rechten und Privilegien und einer Ideologie, welche die soziale
Schichtung unterstützte, auf Kontrolle der produktiven Ressourcen und Systeme
von Tribut, Umverteilung und Marktaustausch sowie der Ausweitung und
Festigung der politischen Macht durch Heiratsallianzen, Kontrolle der Wirtschaft
und Eroberungen (Spores 1983b:235).
Stadtstaaten
Das am weitesten verbreitete politische System der Mixteken war das Königreich
oder cacicazgo. Dies waren kleine Staaten, jeder von einer privilegierten
Aristokratie kontrolliert und meist ein Gebiet umfassend, welches in einem Tag
Fußmarsch zu durchqueren ist. Des Weiteren gehörte zu einem cacicazgo eine
oder mehrere landwirtschaftliche Siedlungen mit nahe gelegenen Ländereien und
2. Die Mixteca
17
anderen Quellen (Spores 1983c:255). Der Hauptort des cacicazgo wurde von
dem cacique regiert, während die umliegenden, untergeordneten Siedlungen
(sujetos, estancias oder ranchos) von den principales, zweitrangigen Adeligen,
kontrolliert wurde (Smith 1973:43).
Klar ist, dass diese kleinen politischen Einheiten durch bestimmte
Bündnisse miteinander verbunden waren und dass manche mächtiger waren als
andere und auf diese Einfluss ausüben konnten. Die kleineren Einheiten waren
sozusagen Vasallenstaaten, die zwar unter dem Einfluss eines anderen Staates
standen, jedoch weiterhin autonom blieben. Die Verbindungen zwischen
verschiedenen Orten bildeten einen Rahmen von gegenseitiger Verpflichtung,
beließen aber das Recht der eigenen Regierung (Byland/Pohl 1994:32).
Gesellschaft
Die mixtekischen Codices zeigen, wie die Vorfahren der wichtigen Dynastien aus
der Landschaft geboren werden. Sie entsteigen dem Rachen des Erdmonsters
oder sie kommen aus Flüssen oder Bäumen. Dies ist ein wichtiges Merkmal der
Elite, welches sie von der bäuerlichen Gesellschaftsschicht unterschied. Durch die
Verbindung zur Erde, aus der die Vorfahren geboren wurden, leitete sich eine
gegebene Beziehung zum Übernatürlichen ab sowie eine grundlegende
Rechtmäßigkeit des Landbesitzes (Byland/Pohl 1990:116).
Die mixtekische Gesellschaft unterlag genauen Heiratsregeln und war
streng hierarchisch aufgebaut. Obwohl auch in anderen postklassischen
Gesellschaften nur innerhalb der elitären Sphäre geheiratet werden durfte, so
legten die Mixteken besonderen Wert auf eine hochadelige Geburt und die Nähe
zur Abstammungslinie der herrschenden Elite. Die Nähe zu der herrschenden
Abstammungslinie war so wichtig, dass teilweise sogar Geschwister verheiratet
wurden, um die adelige Reinheit des Blutes zu gewährleisten (Flannery 1983:
218).
Ronald Spores (1983a:228) definiert soziale Schichtung als die ungleiche
Verteilung von sozialer, politischer und wirtschaftlicher Macht zwischen großen,
erkennbaren Schichten der Gesellschaft. Die postklassische mixtekische
Gesellschaft bestand hauptsächlich aus drei Ebenen. Den Stadtstaaten stand ein
cacique vor, der sogenannte yaa tnuhu. Zusammen mit seiner Familie und den
tay toho, dem Adel, formte er die herrschende Oberschicht. Die nicht-adligen
2. Die Mixteca
18
Einwohner waren die tay yucu. Spores hat eine weitere Klasse identifiziert, die tay
situndayu, von den Spaniern terrazgueros genannt. Dies waren landlose Bauern,
die als Leibeigene den Herrschern und Adeligen unterstanden und deren
Ländereien bearbeiteten. Zusammen mit Sklaven, die als Diener, Konkubinen
oder Menschenopfer dienten, formte diese Gruppe die dritte Ebene (Flannery
1983: 219). Mit Sicherheit gab es auch reiche Händler, die aber wohl keine eigene
Schicht bildeten (Spores 1983a:228).
Zwischen der nicht-adligen Bevölkerung und dem Adel gab es eine
Beziehung, bei der beide Seiten sich gegenseitig zuarbeiteten und die das
gesellschaftliche Leben prägte. Der Herrscher war für den Schutz seines
Königreiches verantwortlich und auch dafür, innerhalb des eigenen Reiches
Frieden zu erhalten und z.B. bei Zerwürfnissen zwischen seinen Adligen zu
schlichten. Des Weiteren musste er den religiösen Kult unterstützen und die
politischen Beziehungen zu anderen Staaten pflegen (Spores 1983c:255). Im
Gegenzug für zeremonielle, soziale und politische Leitung, wirtschaftliche
Sicherheit und Schutz, die von der herrschenden Elite kam, zahlten die Bürger
Tribut, leisteten Arbeitsdienste auf den Feldern und in den Häusern der Adeligen,
unterstützten den religiösen Kult und dienten im Krieg (Spores 1969:557-558).
Wirtschaft
In den Tälern zwischen den Hügeln pflegten die Bürger der Staaten intensive
Landwirtschaft auf Subsistenzbasis. Dazu wurde gejagt und es wurden
Wildpflanzen gesammelt. Der mesoamerikanische Nahrungskomplex bestehend
aus Mais, Bohnen, Chilli und Kürbis wurde auch hier gepflegt. Ebenso wurde in
den höheren Regionen der Mixteca Alta die Maguey-Agave angepflanzt, die
vielfältig eingesetzt wurde (Spores 1967:5). Die domestizierten Tiere
beschränkten sich auf den Truthahn und zum Verzehr gezüchtete Hunde. Die
Cochineal-Laus, die den Grundstoff eines roten Farbstoffes darstellt, war ein
wichtiger Bestandteil der heimischen Industrie und des Handels. Im Hochland
wurden wertvolles Metall und Edelsteine in Minen abgebaut. Die regionale Vielfalt
förderte den Handel und die regulär abgehaltenen Märkte (Spores 1967:6).
Der vorspanische Bürger war in der Gemeinde tätig. Er hatte
Nutznießungsrechte für Teile des Kommunallandes, musste Tribut zahlen, seinen
Herrscher respektieren, ihm gehorchen und dienen. Er musste spezielle Regeln
2. Die Mixteca
19
im Umgang mit anderen Schichten der Gesellschaft in puncto Kleidung, Essen
und Beruf einhalten. Während die herrschende Klasse oft Heiratsbeziehung mit
anderen Städten und Königreichen einging, so heiratete der normale Bürger lokal
endogam (Spores 1983a:229).
Der Adel und die Herrscher besaßen privates Land, an das die
terrazgueros gebunden waren, die selbst kein Land besaßen. Schwieriger
festzustellen sind die Besitzverhältnisse bei dem normalen Volk. Es scheint eine
Art Gemeindegrund gegeben zu haben, auf dem gemeinschaftlich gearbeitet
wurde. In der frühen Kolonialzeit tauchen in den Gerichtsakten in der Mixteca
äußerst selten Fälle von Landstreit in der normalen Bevölkerung auf. Es ist nicht
klar, ob Landnutzung für sie zeitlich limitiert war oder ob es bestimmte
Nutznießungsrechte gab und ob sich diese Rechte auf bestimmte Individuen,
Familienabstammung oder andere gesellschaftliche Kategorien bezogen (Spores
1983a:229).
Es ist allerdings eindeutig, dass die herrschende Elite den Zugang zum
besten Land und alleinig bestimmte Rechte hatte z.B. die Jagd von Hirschen und
Wachteln und die Verwendung bestimmter Materialen wie Felle, Pelze, Zähne,
Federn und Stoffe. Auch wichtige Ressourcen, wie Salz und Wasser für die
Landwirtschaft, standen unter der Kontrolle der Aristokratie, während die untere
Schicht Zugang zu bestimmten Sammelstellen von Feuerholz, Wildpflanzen,
Mineralien hatte und nur Nager, Kleintiere und kleine Vögel jagen durfte (Spores
1983a:229).
Religion
Religion und die rituellen und ideologischen Erweiterungen (z.B. Reflektionen und
Rechtfertigungen für soziale Schichten in Entstehungsmythen und Mythen von
Elitegenealogien) bieten eine übernatürliche Gültigkeit für das bestehende
soziokulturelle System und eine Rechtfertigung und Bestärkung für die politische
Ordnung (Spores 1983b:235).
Die verehrten Gottheiten lehnten sich an die zentralmexikanischen an.
Darunter waren unter anderen mixtekische Versionen von Tlaloc, Quetzalcoatl
und Xipe Totec. Hinzu kamen regionale oder kommunale Gottheiten oder
Geistwesen. Berggipfel, Höhlen und ungewöhnliche Naturgegebenheiten waren
oft mit Altären versehen. Die kalendarischen religiösen Feste waren
2. Die Mixteca
20
wahrscheinlich sehr elaborierte, farbige Festlichkeiten, an denen die ganze
Gesellschaft teilnahm (Spores 1967:22f.).
Von der Klassik zur Postklassik lässt sich feststellen, dass eine
Entwicklung in der politisch-religiösen Einheit stattfand. Das Priesteramt entfernte
sich dabei immer weiter vom säkularen Amt. Teil dieser Entwicklung war die
räumliche Trennung von Zeremonialzentren und Wohngebieten (Spores
1983b:234f.).
Die Mixteken hielten sich an den in ganz Mesoamerika verbreiteten 52-
Jahres-Zyklus, der sich aus der Benutzung des 365-tägigen Sonnenkalenders und
des 260-tägigen Ritualkalenders ergibt (Spores 1967:16-17). Hier werden 20
Tageszeichen mit den Zahlen 1-13 kombiniert. Der Wahrsagekalender bildet mit
dem Sonnenkalender (365-tägig) eine große Kalender-Runde, bei der ein
bestimmtes Datum erst wieder nach 18.980 Tagen, genau 52 Sonnenjahre,
vorkommt. Die Angaben der mixtekischen Codices beziehen sich allerdings nur
auf den 260-tägigen Kalender.
2.2. Die mixtekischen Codices
Die acht präkolonialen Codices der Region der Mixteken umfassen Legenden und
Dynastiegeschichten in einem Zeitraum von ca. 1000 v.Chr. bis zur Ankunft der
Spanier in den 1520er-Jahren (Byland/Pohl 1994:Preface).
Themen/Performanz
Beweggründe, solche Dokumente anzufertigen, lassen sich nur erahnen. Die
Vereinigung von Geschichte, Kosmologie und Kosmogonie und auch Propaganda
machen die Inhalte aus. Man kann davon ausgehen, dass die Dokumente
angefertigt wurden, um die Machtposition der herrschenden Dynastie zu
unterstreichen. Das würde auch eine Vermischung mit mythologischen Elementen
verständlich machen, da eine Verbindung zu wichtigen mythologischen Personen
oder Ereignissen ein starkes Argument zur Machterhaltung darstellte. In diesem
Umstand liegt aber die Schwierigkeit für die Wissenschaft, historische Ereignisse
herauszufiltern (Marcus 1992:61). Zusätzlich ist bekannt, dass in manchen Fällen,
wie z.B. dem Codex Selden, Dokumente überschrieben wurden. Es wurde einfach
2. Die Mixteca
21
eine weitere Stuckschicht aufgetragen und ein Teil der Geschichte neu verfasst.
Eine andere Methode war, wie vermutlich beim Codex Vindobonensis, ältere
Dokumente neu zu kopieren, um eventuell bestimmte Teile der Geschichte zum
eigenen Vorteil zu ändern, neu hinzuzufügen oder einfach auszulassen (ebd:150).
Die sich aus den politischen Umständen herausbildenden Themen
umfassen Eroberungen, Allianzen verschiedener Stadtstaaten, Kriege,
Verschwörungen und Intrigen. Leitfaden der verschiedenen Ereignisse sind die
Lebensgeschichten der agierenden Personen (Byland/Pohl 1994:Preface).
Viele der Themen überschneiden sich in den verschiedenen Codices. Eine
Geschichte, die in einem Codex beginnt, kann von der in einem anderen Codex
fortgesetzt oder ergänzt werden. Dabei kann es vorkommen, dass dieselbe
Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird.
Über die Verwendung der Bilderhandschriften kann man heute vermuten,
dass sie wahrscheinlich als eine Art Drehbuch dienten und zu besonderen
Anlässen am königlichen Hofe benutzt wurden, um in einer Vorführung die Inhalte
wiederzugeben. Eventuell wurden diese Vorführungen, ob als Lesungen,
Schauspiele oder Tänze, musikalisch begleitet und den am Hofe lebenden
Personen zur Unterhaltung oder zur Erinnerung vorgetragen. Ansonsten hingen
sie vermutlich zur Dekoration an den Wänden des Palastes (König 1999:108).
Das aztekische Bildungswesen legte großen Wert auf das Rezitieren und
Auswendiglernen von Texten. Die schon im Gedächtnis vorhandenen Texte
wurden von den dargestellten Anhaltspunkten ausgelöst und somit konnte der
Leser, wahrscheinlich ein Priester, eine flüssige, standardisierte Geschichte
erzählen (Hill Boone/Mignolo 1994:72). Diese zentralmexikanische Erzählweise
könnte in der Form auch in der Mixteca stattgefunden haben.
Entwicklung der Schrift
Die Entwicklung der mixtekischen Schrift kann nur grob eingeschätzt werden. Man
kann nachvollziehen, dass die Mixteken einige Charakteristika von den
benachbarten Zapoteken übernahmen. Die beiden Kulturen verbinden ihre
geographische Nähe und die otomangue Sprachfamilie (Marcus 1992: 34).
Eventuell wurde die mixtekische Schrift auch von der toltekischen Kultur
beeinflusst, was wiederum die Gemeinsamkeiten zwischen aztekischer und
mixtekischer Schrift erklären würde (Marcus 1992:35).
2. Die Mixteca
22
Schreiber
Bei den Mixteken hieß der Schreiber tay huiri taca („Maler“), tay toatutu
(„Papier/Buch-Gestalter“) oder huisi tacu („der dessen Handwerk es ist, zu
schreiben“). Die Codices selbst wurden tonindeya („Geschichte der Dynastien“),
naandeya („Erinnerung an Vergangenes“), tutu nuhu („heiliges Papier“) oder nee
nuhu („sakrale Haut“) genannt (Marcus 1992:60). Die Schreiber und auch Leser
waren speziell dafür ausgebildet. Die normale Bevölkerung hatte keinen Zugang
zum Wissen um die heiligen Bücher und war des „Lesens und Schreibens“
unkundig (Marcus 1992:28).
Die Bilderhandschriften weckten in den Spaniern gleichermaßen Angst und
Neugier. Ein Großteil der Handschriften fiel der religiösen Verfolgung durch die
katholische Kirche gegen die indigene Religion zum Opfer. Dennoch ermöglichten
die Handschriften den Spaniern auch, vor allem bei den Azteken, die Strukturen
indianischer Herrschaft und wirtschaftlicher Organisation zu verstehen. Viele von
den Dokumenten, die uns heute erhalten sind, tragen lateinschriftliche Glossen,
die das Dargestellte erklären (Schmidt 1999: 388).
Aus diesem Interesse und Nutzen heraus erklärt sich der Umstand, dass
die Spanier in Zentralmexiko die Tradition des Codexschreibens bis ins 18. Jh.
hinein aufrecht erhielten (Schmidt 1999: 387). Sie konnten somit die schon
bekannten Wege der Aufzeichnung und Organisation für sich nutzen, ohne ein
komplett neues System einführen zu müssen.
Darstellungsweise
Geschichtsschreiber im späten postklassischen Mexiko benutzten drei
verschiedene Präsentationsformen. Es gab die ereignisorientierte Geschichte, die
kartographische Geschichte und chronologische Jahresaufzeichnungen (Hill
Boone/Mignolo 1994:51). Die verschiedenen Dokumente können diesen
Präsentationsformen zugeordnet werden. Die kartographische Erzählweise findet
man z.B. bei Lienzos, die eine Geschichte anhand einer Landkarte erzählen. Das
ist vorteilhaft bei Migrationsgeschichten oder Landverteilungen. Ein Beispiel für
analenähnliche Jahresaufzeichnungen sind die aztekischen Codices und die
ereignisorientierte Erzählweise lässt sich bei den mixtekischen Codices finden.
Hier haben die Schreiber besonderen Wert darauf gelegt, bestimmte Ereignisse
2. Die Mixteca
23
darzustellen, anhand derer die Geschichte festgemacht wird. Um das dargestellte
Ereignis und den Akteur gruppieren sich zweitrangig Ort und Zeit (Hill
Boone/Mignolo 1994:54).
Die Vorteile dieser Darstellungsweise liegen in ihrer Flexibilität. Es kann
zwischen verschiedenen Personen oder Orten gewechselt werden, um die
Geschichte am Laufen zu halten. Es werden sehr viele Details, wie z.B.
Personennamen, Ortsnamen und Daten, festgehalten. Dadurch ist es ein sehr
effizientes System. Die Zeit läuft vorwärts, kann aber auch angehalten werden
oder zurückgehen, um eine vorhergehende Sequenz aufzugreifen (Hill
Boone/Mignolo 1994: 59). Das heißt, die einzelnen Sequenzen sind durch
Ursache und Effekt aneinander gebunden und nicht wie bei den Lienzos durch
räumliche Distanzen oder wie bei den Jahresaufzeichnungen durch eine genaue
zeitliche Abfolge (Hill Boone/Mignolo 1994:60).
Doch die Darstellungsweise hat auch Nachteile. Es ist schwierig, einen
Überblick zu bekommen, da nie ein Bild der ganzen Geschichte gezeigt werden
kann, sondern immer nur Einzelheiten. Dauerhaftes oder Kontinuierliches
darzustellen, ist ebenso schwierig, wie Entwicklungen oder Anhaltendes.
Räumliche Beziehungen fehlen ebenso und können nur anhand der bekannten
Ortszeichen hergestellt werden (Hill Boone/Mignolo 1994:60).
Die mixtekische Schrift
Wir begegnen hauptsächlich drei Komponenten in der mixtekischen Schrift. Die
erste Komponente bilden Piktogramme. Das heißt, es sind eindeutig
identifizierbare Gegenstände dargestellt, die für nichts anderes stehen als für das,
was sie zeigen. Ein Haus bedeutet Haus. Eine Agave bedeutet Agave. Eine
Maispflanze hat keine andere Bedeutung als Maispflanze (König 1999:109).
Die zweite Komponente sind die Logogramme oder auch Ideogramme.
Diese sind im übertragenen Sinne zu verstehen, wie Symbole. Hinter einer
Darstellung steht ein größerer Gedanke. Beispiele hierfür sind eine Sprachvolute,
an der man erkennt, dass jemand spricht oder ein Mumienbündel, das für das
Ereignis Tod steht (König 1999:110).
2. Die Mixteca
24
Die Piktogramme und Ideogramme sind oft sprachunabhängig und in vielen
Regionen Mesoamerikas zu finden. Auch wenn sie unabhängig von einer Sprache
sind, so sind sie doch höchst konventionalisiert (Smith 1983:239). Die
Sprachvolute ist zwar ein Symbol, welches in vielen Teilen Mesoamerikas
vorkommt, es kann aber mit regionalen Stilen vermischt sein. Sprachvoluten, an
denen z.B. Feuersteinmesser haften, stellen „schneidende Worte“, also
Beleidigungen, dar. Dies ist eine mixtekische Eigenheit in
der Darstellung von Sprache (Smith 1983:242/243). Die
dritte Komponente der mixtekischen Schrift sind die
sprachabhängigen Pikto- und Logogramme, auch
Phonogramme genannt. Es sind Zeichen, die das Prinzip
der Phonetik benutzen: Da mixtekisch eine tonale Sprache
ist, also ein Vokal in hohem, mittleren oder tiefem Ton
gesprochen werden kann,
gibt es viele Homonyme.
Das sind zwei Worte, die
gleich aussehen, die sich
aber in der Tonlage
unterscheiden. Besonders diese Homonyme
werden bei der piktographischen Darstellung
eingesetzt. Ein Beispiel hierfür ist das Ortszeichen
von Teozacoalco. Der mixtekische Name von
Teozacoalco ist chiyo canu, welches „große
Tempel-Plattform“ heißt. Canu hat die Bedeutung
Abb. 2: Der Priester 6 Geier Grabstock spricht. Aus: Selden, S. 6, Bd. II.
Abb. 3: Das Mumienbündel des 8 Hirsch Jaguarkralle. Aus: Bodley, S. 14, Bd. IV.
Abb. 4: Eine Person spricht "scharfe Worte". An den Sprachvoluten sind Feuersteinmesser dargestellt. Aus: Selden, S. 7.
Abb. 5: Das Ortszeichen von Teozacoalco oder chiyo canu. Aus: Selden, S. 4, Bd. II.
2. Die Mixteca
25
„groß“. Das wäre schwierig zu zeichnen, deswegen wurde das Homonym benutzt
da canu in anderer Tonlage „brechen“ bedeutet: Das Ortszeichen besteht also
aus einer Plattform, auf der eine kleine Person steht und die Plattform sichtlich
durchbricht (Smith 1983:241).
Es gibt auch phonetische Hinweise an Piktogrammen. Ein phonetischer
Hinweis ist dann gegeben, wenn ein Element eingebracht wird, das ein anderes
Wort klar macht. Ein Beispiel hierfür ist das Ortszeichen von Tututepec. Die
mixtekische Bezeichnung für den Ort ist yucu dzaa, welches Hügel des Vogels
heißt. Dzaa ist ein Homonym und bedeutet entweder Vogel oder Kinn. Oft wird an
das Ortszeichen also ein menschliches Gesicht oder Kinn gemalt. Dies dient der
Verdeutlichung, dass es sich eindeutig um den Hügel des Vogels handelt und
nicht etwa um den Hügel des Adlers oder des Geiers (Hill Boone/Mignolo
2000:36).
Kurzbeschreibung der Codices
Heute existieren nur noch acht vorspanische mixtekische Codices. Dies sind nicht
die einzigen erhaltenen Dokumente aus der Mixteca. Kolonialzeitliche Codices,
Lienzos und Tiras sind weitere Kategorien von Dokumenten. Dabei handelt es
sich häufig um karthographische Aufzeichnungen, die für die Relaciones
Geográficas1 angefertigt wurden. Häufig dienten diese Dokumente auch als
Rechtfertigungen von Landansprüchen vor Gericht.
1 Die Relaciones Geográficas von 1577-1586 wurden als Antworten auf eine vom spanischen König in Auftrag gegebene Umfrage angefertigt, als eine Art Bestandsaufnahme von Neuspanien.
Abb. 6: Das Ortszeichen von Tututepec oder yucu dzaa. Das menschliche Gesicht verdeutlicht, dass es sich um das Wort Vogel handelt. Aus: Bodley, S. 9, Bd. III.
Abb. 7: Das Ortszeichen von Tututepec oder yucu dzaa. Unter dem Schnabel ist ein menschliches Kinn zu erkennen. Aus: Nuttall, S. 55.
2. Die Mixteca
26
Zu den Merkmalen der Codices gehören die Verarbeitung aus Leder oder
Baumbast als Grundlage, einer Stuckschicht, auf die Farbe aufgetragen wurde,
und die Form einer langen, schmalen Seite, die leporelloartig gefaltet wurde und
zwischen zwei Holzplatten lagerte, die wiederum oft mit Fell bezogen waren.
Zu der Gruppe der mixtekischen Codices, gehören:
1. Codex Zouche-Nuttall, befindlich im British Museum in London. 1330 wird
für diesen Codex als Herstellungsjahr geschätzt. Der Name ergibt sich aus
dem ehemaligen Besitzer, einem britischen Sammler namens Baron
Zouche und der ersten Erfoscherin, Zelia Nuttall. Sie fertige 1902 ein
Faksimile des Codex an. Er ist schwer zu lesen, da die Erzählung in viele
Teile aufgebrochen wurde, die nicht zusammenhängend dargestellt sind.
Der Codex kommt ursprünglich aus chiyo canu (Teozacoalco) und enthält
verschiedene Herrschergenealogien. Ein großer Teil widmet sich Herrn 8
Hirsch Jaguarkralle, einem Helden aus ñuu tnoo (Tilantongo)
(Jansen/Pérez 2005:14).
2. Codex Egerton befindet sich ebenfalls im British Museum in London. Seine
Entstehungszeit wird auf 1450-1550 geschätzt. Der Name leitet sich
ebenfalls von dem Sammler ab, in dessen Besitz sich das Dokument
befand. Sánchez Solís oder Waecker Götter sind weitere Namen, unter
denen der Codex in der frühen Erforschung bekannt war (König 1979:5).
3. Codex Bodley befindet sich heute in der Bodleian Library in Oxford. Seine
Entstehungszeit wird auf ca. 1520 geschätzt. Der Name leitet sich von
seinem Aufenthaltsort ab. Die Frontseite des Codices beschäftigt sich mit
der Genealogie der Herrscher aus ñuu tnoo (Tilantongo). Die Aufzählung
beginnt im frühen 10. Jh. und endet mit dem letzten präkolonialen
Herrscher. Die Rückseite zeigt die Dynastiegeschichte des Ortes ndisi nuu
(Tlaxiaco). Der Codex weist große stilistische Ähnlichkeit zu Codex Selden
auf, welcher die Herrschaftsgeschichte von añute (Jaltepec), einem
Nachbarort von ñuu tnoo, behandelt. Deswegen ist anzunehmen, dass
Codex Bodely in ñuu tnoo angefertigt wurde (Jansen/Pérez 2005:30).
4. Codex Selden befindet sich ebenfalls in der Bodleian Library in Oxford.
Seine Entstehungszeit wird auf ca. 1550 geschätzt. Der Name leitet sich
wieder von dem Sammler ab, aus dessen Besitz er an die Bibliothek
gekommen ist. Ursprünglich stammt das Dokument aus añute (Jaltepec)
2. Die Mixteca
27
und beschäftigt sich mit der dortigen Herrscherdynastie (Jansen/Pérez
2005:14).
5. Codex Vindobonensis oder Wien, befindet sich in der National Bibliothek in
Wien, woher er auch seinen gebräuchlichen Namen hat. Seine
Entstehungszeit wird auf ca. 1350 geschätzt. Sein Inhalt besteht aus zwei
großen Teilen. Auf der Frontseite wird gezeigt, wie die Gründer einiger
mixtekischer Dynastien aus einem riesigen Mutterbaum in yuta tnoho
(Apoala) geboren werden. Die Rückseite beschäftigt sich mit der Dynastie
von ñuu tnoo (Tilantongo) (Jansen/Pérez 2005:14).
6. Codex Colombino befindet sich im Museo Nacional de Antropologia in
Mexiko und entstand schätzungsweise im 13. Jh. Codex Colombino und
Becker I sind wahrscheinlich zwei Teile des gleichen Manuskriptes. Der
Inhalt dieses Codices beschäftigt sich mit Herrn 8 Hirsch Jaguarkralle,
einem Herrscher aus ñuu tnoo (Tilantongo) (Jansen/Pérez 2005:14).
7. Codex Becker I befindet sich im Museum für Völkerkunde in Wien. Er ist
nach dem Sammler Phillip Becker benannt, in dessen Besitz er sich
befand. Siehe Codex Colombino.
8. Codex Becker II, welcher sich ebenfalls im Museum für Völkerkunde in
Wien befindet, wird in eine Entstehungszeit von ca. 1450-1550 geschätzt.
Er entstammt der gleichen Sammlung von Phillip Becker. Es wird vermutet,
dass das Fragmento de Nochistlan die Anfangsseite des Codex Becker II
ist.
3. Der Codex Becker II
28
3. Der Codex Becker II
Die Codices Becker I und Becker II kamen 1897 aus dem Nachlass von Philipp J.
Becker in die Sammlung des heutigen Museums für Völkerkunde Wien. Die etwa
1200 Nummern umfassende Sammlung mexikanischer Altertümer war die letzte
große private Sammlung ihrer Art, die in Europa auf den Markt kam. Sie wurde
von Georg von Haas angekauft und dem Museum geschenkt. Becker hatte die
Sammlung in Mexiko zusammengestellt und nach seiner Rückkehr nach Europa
weiter ergänzt. Bis zu seinem Tod im Jahr 1896 war sie in seinem Privathaus in
Darmstadt zu sehen (Nowotny 1961:1).
Auf der Rückseite des Codex Becker II steht: „Philipp J. Becker,
Darmstadt“ und „Philipp J. Becker“. Des Weiteren liegt dem Dokument ein Zettel
mit der Nummer 8 bei, die sich in einer Liste wiederfindet, in der Becker
persönlich 10 Gegenstände seiner Sammlung beschreibt. Da bei zwei anderen
Objekten der Liste vermerkt ist, dass sie in Mexiko-Stadt erworben wurden, meint
Nowotny, dass es möglich sei, dass auch die beiden Becker-Fragmente dort
eingekauft wurden. Die Liste enthält dann unter der Nummer 8 den Vermerk: „No.
8 Bilderschrift, scheinbar die Genealogie eines Häuptlings. Länge 1,16 m, Breite
0,27 m. Aus einem Dorfe der Umgebung (Huexocingos) Cholula“. Huexocingos ist
durchgestrichen und Cholula ist darübergeschrieben (Nowotny 1961:2).
3.1. Forschungsgeschichte
Nowotny war der Erste, der sowohl Codex Becker I als auch Becker II
untersuchte. Schon 1957 erschien von ihm ein Artikel über den Codex Becker II.
1961 veröffentlichte er dann einen ausführlichen Kommentar zu beiden Codices,
der Faksimiles beider Dokumente begleitete.
1979 erschien von Mary E. Smith ein Artikel, in dem sie die Herkunft des
Manuskripts zu erörtern versucht. In der 1994 von Jansen erschienenen
Publikation zu den beiden Fragmenten, dem Fragmento de Nochistlan und Codex
Becker II, fügte er eine ungefähre zeitliche Einordnung der Dokumente hinzu
(Jansen 1994:197).
3. Der Codex Becker II
29
3.2. Beschaffenheit
Der Codex besteht aus zwei Wildlederstreifen, die zusammengeklebt wurden und
84 bzw. 34 cm lang sind. Die beiden Stücke greifen 1,5 cm übereinander und
ergeben so eine Gesamtlänge von 115,6 cm. Die Breite des Streifens beträgt
26,5 cm. Das Dokument ist derzeit vierfach gefaltet, war aber zeitweise achtfach
gefaltet, was an den stark abgescheuerten Umbrüchen zu erkennen ist (Nowotny
1961:15).
Da an beiden Enden die Abbildungen abgeschnitten sind, kann man davon
ausgehen, dass ein Anfangs- und ein Endstück fehlen. Das Dokument ist
teilweise schwer beschädigt. Es weist Schädigung durch Wasser und durch
Abrieb der Stuckfläche auf, die als Grundierung für die Farbe dient. Viele der
Beschädigungen wurden laut Nowotny vor Ankunft des Dokumentes 1897 im
Museum für Völkerkunde in Wien von einer unbekannten Person versucht
auszubessern. Die mit Tinte und Farbe angefertigten Ausbesserungen sind, so
Nowotny, nicht sinnvoll. Er verzichtet deshalb bei seiner Umzeichnung auf diese
Ausbesserungen (Nowotny 1957:172).
Zur Bemalung wurden vier Farbstoffe verwendet: Schwarz, Rot, Gelb und
Blau. Grün und Dunkelgrün sind Mischfarben aus Gelb und Blau. Grau ist
verdünntes Schwarz. Grünrosa ist eine vielleicht unbeabsichtigte Mischung aus
Rot und Grau. Die Farbenreihe Gelb, Blau, Rot, Grün erscheint bei den bunten
Zahlenkreisen sowie bei den Haarbinden der Frauen. Die Federn, die Felder unter
den Matten sowie das Tageszeichen Alligator sind hellgrün und dunkelgrün
bemalt (Nowotny 1961:16).
Der Codex Becker II ist mit dem Codex Bodley stilverwandt. Die Art der
Zusammensetzung der Bildteile, bezüglich der Darstellung von Personen,
Haltungen und Kleidung, ähneln sich in beiden Dokumenten (Nowotny 1957:179).
Mary E. Smith sieht Ähnlichkeiten des Codex Becker II nicht nur mit Codex
Bodley, sondern auch mit Codex Selden, und nennt als eines der verbindenden
Elemente die Darstellung der menschlichen Zehen. Diese sind im Profil dargestellt
und bestehen aus einem Kreis am vorderen Ende des Fußes. Diese Darstellung
der Zehe findet sich in allen drei Codices (Smith 1973:16). Der Stil dieser drei
Codices muss in der späten Postklassik ein vorherrschender Codex-Stil gewesen
sein, der sich zumindest in der Mixteca Alta bis Ende des 16. Jh. hielt (Smith
1973:17).
3. Der Codex Becker II
30
3.3. Herkunft
Die Chronik im Codex Bodley endet nach der Berechnung von Alfonso Caso im
Jahr 1519. Nowotny schätzt die Entstehungszeit des Codex Becker II daher
ebenfalls auf die erste Hälfte des 16. Jh. (Nowotny 1957:179).
Da die ersten Paare des Codex Becker II fehlen, kann man leider nicht
ermitteln, um welchen Ort an dem die Paare ansässig sind, und um welchen
Regierungssitz es sich handelt (Nowotny 1957:180/181).
Mary E. Smith sieht die Herkunft des Codex Becker II in der Mixteca Baja
und begründet dies anhand dreier Argumente: (1) Die Stadt, deren Herrscher im
Codex Becker II dargestellt sind, liegt wahrscheinlich in der Mixteca Baja. (2)
Unter UV-Licht sind auf dem Codex Ortsnamen zu lesen, die sich in der Mixteca
Baja befinden. (3) Drei der Orte im Becker II, welche mit dem Herrscher assoziiert
sind, die in die Hauptlinie einheiraten, können tentativ als Orte in der Mixteca Baja
identifiziert werden (Smith 1979:30). Sie untersuchte den Codex Becker II unter
ultraviolettem Licht und konnte auf der zweiten Seite oben links zwei lange und
eine kurze Zeile in europäischer Schrift erkennen. Ebenfalls auf der vierten Seite
oben rechts sind zwei bis vier Zeilen sehr verblasster Schrift zu erkennen (Smith
1979:35). Die Inschriften auf Seite zwei könnte auf die Orte Huajuapan de León,
Zahuatlán oder Calihualá und Yucunaa hinweisen, die auf Seite vier auf das Jahr
1582 (Smith 1979:37). Da dies die einzigen Stellen waren, die für Smith entfernt
lesbar waren, stehen sie in keinem inhaltlichen Zusammenhang und müssen
absolut isoliert voneinander betrachtet werden. Die von Smith versuchte
Identifizierung der Eingangsglyphe im Fragmento de Nochistlan als Sanos Reyes
Yucuna würde sich auf den Codex Becker II übertragen, weil sie beide Fragmente
als Teile eines Dokumentes ansieht. Unterstützend kommt für sie hinzu, dass
einige Ortszeichen mit Orten in der Mixteca Baja gleichzusetzen sein könnten
(Smith 1979:41). Jansen folgt Smith in der Lesung der Glossen nur bis zur
Nennung von Huajuapan und der Jahresangabe 158(2). Er möchte ihren weiteren
Folgerungen nicht nachgehen, da die Inschriften sehr beschädigt sind (Jansen
1994:196).
3. Der Codex Becker II
31
3.4. Zeitliche Einordnung
Jansen versucht sich 1994 an einer zeitlichen Einordnung des Becker II. Herr 3
Affe aus Ebene des Adlers/Tecomaxtlahuaca, welcher auf Seite 3 oben
vorkommt, kann im Códice de Tecomaxtlauaca als Ozomatzin wiedergefunden
werden, der fünfte Herrscher der dortigen Dynastie (Jansen 1994:196f.). Diese
Verbindung erlaubt eine ungefähre Eingliederung in die Chronologie. Im Códice
de Tecomaxtlauaca steht, dass der Nachfolger von 3 Affe antrat, als Don
Hernando Cortés in Neuspanien ankam. Dies würde dem Jahr 1519 entsprechen.
Im Codex Becker II heiratet 3 Affe die Tochter des vierten Paares vor dem Ende
des Dokuments. Das letzte Paar müsste also ca. in der Mitte des 16. Jh. gelebt
haben und somit bringt uns der Codex in die koloniale Epoche (Jansen 1994:197).
Herr 3 Affe heiratet auf Seite 4 im Codex Becker II eine Dame aus
Tecomaxtlhauca. Diese ausgeprägte Verbindung zu einem Ort in der Mixteca
Baja legt nahe, dass die beiden Fragmente ebenfalls aus der Mixteca Baja
stammen (Jansen 1994:197).
3.5. Inhalt
Der Codex Becker II ist durch eine durchgehende Trennlinie ungefähr in der Mitte
der Länge nach geteilt. So entstehen eine obere und eine untere Ebene. In der
unteren Partie sieht man neun Paare, die sich jeweils gegenübersitzen. Der Mann
ist immer auf der linken Seite und die Frau immer auf der rechten Seite platziert.
Der Rest eines zehnten Paares am Anfang ist zu erahnen. In der oberen Partie
sitzen sechs Paare, die wahrscheinlich die Töchter der unteren Paare und deren
Ehepartner sind (Nowotny 1957:177). Nowotny nimmt an, dass die Herkunft der
Frauen unten durch Ortszeichen angegeben ist, durch die sie mit Fußspuren
verbunden sind. Dies zeigt den Ort ihrer Geburt und, dass sie von dort zum
Wohnort ihres Mannes gezogen sind. Von den unteren Paaren führt dann
wiederum eine Linie mit Fußspuren nach oben zu den Töchtern, die nach der
Heirat im Wohnort ihres Mannes sitzen. Während die unteren Paare auf Matten
sitzen, sitzen die Oberen meist direkt auf den Ortszeichen. Die Sitzgelegenheiten
der Personen sind verschieden. Vielleicht sind hiermit verschiedene
Rangpositionen dargestellt (Nowotny 1961:21).
3. Der Codex Becker II
32
Der untere Teil ist farbig, der Obere lediglich in schwarzen Umrissen ohne farbige
Füllung gemalt. Die unteren Darstellungen sind größer als die Oberen. Die
Tatsache, dass Linien zu und von dem unteren Teil wegführen spricht ebenfalls
dafür, dass es sich hier um den wichtigeren Teil des Codex handelt. Die unten
dargestellten Personen stellen also wahrscheinlich die Regierenden dar.
Entweder handelt es sich dabei um eine Genealogie, bei der Sohn auf Vater folgt,
oder es handelt sich um gleichzeitig lebende Paare. Dabei läge dann
möglicherweise eine Dokumentation der Adelsklasse mit genealogischen
Anmerkungen vor (Nowotny 1957:179).
Bei allen Paaren ist die Haltung der Hände gleich. Eine Hand ist nach
vorne gestreckt und weist auf die gegenübersitzende Person. Die
gegenübersitzende Person weist ebenso zurück. Alle Personen sitzen auf
Hockern, die sich teilweise unterscheiden. Im Sitzen haben die Personen die
Füße vor dem Hocker aufgestellt. Ihre Arme haben sie auf den Knien abgestützt.
Die Kleidung und der Schmuck sind
ebenfalls bei allen Personen gleich.
Die Männer tragen ein um die Knie
gelegtes Tuch und eine rückwärtige
Bedeckung. Es gibt bei den Männern
allerdings eine Ausnahme: Herr Fünf
Regen Jaguarsonne von Paar
Nummer sechs (nach Nowotny das
Paar G). Er trägt die gleiche
Kleidung, wie alle Frauen des
Codices: einen Umhang, der den
Rücken bedeckt, und eine
Beinbedeckung, die bis zu den
Knöcheln reicht, vermutlich ein Rock.
Alle Personen tragen Ketten und
Ohrringe. Alle Frauen tragen die
traditionelle mixtekische Frisur, mit
Bändern versehen und hochgesteckt
(Nowotny 1957:179).
Abb. 8: Herr 5 Regen Jaguarsonne in Frauentracht. Aus: Nowotny, 1975.
3. Der Codex Becker II
33
Das erste Paar auf der unteren Ebene
sitzt auf Hockern, die in der Mitte eine
Aussparung haben. Die Aussparung
sieht aus wie ein umgedrehtes T. Der
Mann hat als Kalendernamen 1 Haus.
Sein Zusatzname ist ein
schildkrötenartiges Wesen. Nowotny
sieht darin eine Feuerschlangen-
darstellung. Die gegenübersitzende
Frau hat nach Nowotny den Beinamen
Türkisblume, bezugnehmend auf die
Blume, die aus Juwelen oberhalb der
Frau sprießt. In Nowotnys Umzeichnung
scheint der Kalendername
Feuersteinmesser zu sein. Er macht
hierzu aber keine Angaben. Vom
Rücken der Frau führt eine Linie, an der Fußspuren laufen, auf die obere Seite
des Blattes. Hier sind noch Reste eines Ortsfundaments zu sehen. Der Teil ist
allerdings schwer beschädigt (Nowotny 1957:178).
Das zweite Paar sitzt auf mit
Jaguarfell bezogenen Hockern. Der
Mann des zweiten Paares fällt in die
Kategorie der Abbildungen, die vor
der Ankunft im Wiener Museum
rekonstruiert wurden und die
Nowotny bei seiner Umzeichnung
weglässt. Bei ihm sind lediglich der
Rumpf des Mannes und Details des
Beinamens zu erkennen. Die Frau
trägt den Kalendernamen 7 Gras
und den Beinamen Türkispapagei,
zu sehen anhand eines mit Juwelen
besetzten Papageis. Die Linie mit
den Fußabdrücken führt vor der Frau
Abb. 9: Das erste Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.
Abb. 10: Das zweite Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.
3. Der Codex Becker II
34
zur oberen Ebene. Dort ist ein Ortsfundament zu sehen und das Detail eines
Kalendernamens: Haus. Dieser Ort scheint also der Herkunftsort der Frau zu sein,
da es auf der rechten Seite zu sehen ist. Rechts neben der Frau führt eine Linie
mit Fußstapfen von einem Ortszeichen zu ihr. Das Ortszeichen besteht aus einem
Fundament mit fünf eiförmigen Kugeln darüber. Nowotny nennt den Ort
Bohnenmauer und beschreibt damit den Herkunftsort der Frau (Nowotny
1957:178). Der Ort der Bohnen wurde schon eingehend von Mary E. Smith
untersucht. Leider konnte keine eindeutige Identifikation erfolgen, da es mehrere
Orte gibt, die das Element Bohnen enthalten (Smith 1988:701).
Das dritte Paar sitzt ebenfalls auf
Jaguarfellhockern. Der Mann trägt den
Namen 4 Bewegung Himmelsfeuer. Der
Beiname ergibt sich aus einem kleinen
Himmelsband, aus dem Flammen nach
unten flackern. Der Kalendername der
Frau lässt sich nicht mehr genau
erkennen. Nowotny vermutet, dass es
sich um 13 Tod handelt, ist aber nicht
sicher. Als Beiname hat die Frau eine
Sonnenscheibe, aus der Quetzalfedern
sprießen. Nowotny gibt ihr deshalb den
Namen Quetzalsonne. Bei ihr ist lediglich der Herkunftsort angegeben, aber keine
Fußspuren-Linie führt von ihr weg, was darauf schließen lässt, dass es hier keine
Tochter gab, die in einen anderen Ort verheiratet wurde. Den Herkunftsort der
Dame nennt Nowotny Weg-Mauer-Berg. Die Darstellung besteht aus einem
Fundament mit einer Bergdarstellung darauf. Unter dem Fundament verläuft eine
Bordüre mit dem typischen Kriegspfadmuster (Nowotny 1957:178).
Abb. 11: Das dritte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.
3. Der Codex Becker II
35
Das vierte Paar sitzt auf ungekennzeichneten Hockern. Der Mann trägt den
Namen 3 Tod Himmelsjaguar. Ein Jaguar kommt kopfüber aus einem
Himmelsband. Die Frau trägt den Namen (Anzahl unbekannt) Adler,
Quetzalsonne. Rechts neben der Frau deutet wieder eine Fußspuren-Linie den
Herkunftsort an. Das Ortszeichen besteht aus einem Netz aus Tauen, welches
sich im Rund um ein Gebiss legt. Nowotny nennt diesen Ort Netzzahnreihe.
Jansen nennt es „Lugar de la Red“1 (Jansen 1994:209). Zwischen Mann und Frau
verläuft eine weitere Fußspuren-
Linie zu der oberen Ebene. Hier sitzt
ein weiteres Paar auf einem
Ortsfundament. Der Ort ist dadurch
gekennzeichnet, dass rechts
daneben ein bestimmendes Detail
gezeigt wird. Nowotny bestimmt es
als eine Schote und nennt den Ort:
Schoten-Mauer. Als Namen des
oberen Paares sind lediglich die
Kalendernamen angegeben. Der
Mann heißt 2 Haus und der Name
der Frau ist sehr schwer zu
erkennen. Nowotny vermutet den
Namen auf 13 Hund (Nowotny
1957:178). Jansen erkennt den
Namen 13 Geier (Jansen 1994:209).
Das fünfte Paar sitzt erneut auf ungekennzeichneten Hockern. Der Mann trägt
den Namen 3 Hund Ballspielplatzadler. Nowotny ist sich bei der Zahl des
Kalendernamens nicht sicher. Der Beiname besteht aus einem stilisierten
Ballspielplatz, auf dem ein Adler sitzt. Die Frau trägt den Namen 1 Hund
Türkisfeder. Auch bei dieser Zahl des Kalendernamens ist Nowotny unsicher. Der
Beiname ergibt sich auf einem Schmuckstück mit Edelsteinen aus dem eine Art
Fächer aus grünen Federn steckt. Rechts von der Frau führt wieder eine
Fußspuren-Linie von einem Ortszeichen zu ihr. Nowotny nennt den Ort
Tempelpyramide-Berg. Unten befindet sich erneut ein Kriegspfadband. Darauf
1 Übersetzt: Ort des Fischernetzes.
Abb. 12: Das vierte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.
3. Der Codex Becker II
36
steht ein trapezförmiges Fundament mit Schnörkeln. Auf dem Fundament befindet
sich ein rechteckiger Kasten mit drei Kreisen (Nowotny 1957:178).
Das sechste Paar besteht aus dem
oben erwähnten 5 Regen
Jaguarsonne, der als einziger Mann
eine Frauentracht trägt. Der Beiname
ergibt sich aus einer halben
Sonnenscheibe, aus der nach oben
heraus ein halber Jaguar austritt. Die
Abbildung der Frau, die ihm
gegenüber sitzt, ist stark zerstört. Von
ihrem Kalendernamen ist ein
Affenkopf erkenntlich. Den Beinamen
kann man in einem mit Juwelen
besetzten Pfeil erkennen. Nowotny
leitet hieraus den Namen Türkispfeil
ab. Als Herkunftsort, rechts neben der
Frau dargestellt, erkennt Nowotny den Ort Tilantongo. Dargestellt wird er durch
ein schwarz-weiß gemustertes Fundament. Aus der Mitte dieses Paares
entspringen zwei Fußspuren-Linien, die nach oben führen. Sie spalten sich und
enden auf der oberen Ebene bei zwei Paaren. Offensichtlich hatte das untere
Paar also zwei Töchter, die in andere Orte verheiratet wurden. Das erste Paar
sitzt auf kleinen ungekennzeichneten Hockern direkt auf der Trennlinie. Links
neben dem Mann ist der Name des Ortes angegeben, den Nowotny als den
Herkunftsort der Dame von Paar 3 wiederzuerkennen glaubt. Die
Zusammensetzung des Ortszeichens ist allerdings anders. Bei dieser Abbildung
ist unten das Fundament, auf dem dann der Kriegspfadstreifen liegt. Der Berg ist
nur zu erahnen. Nowotny meint, beim Kalendernamen des Mannes könnte es sich
um Hund handeln. Der Kalendername der Frau ist 8 Feuersteinmesser. Bei
beiden Personen ist kein Beiname abgebildet. Das zweite Paar auf der oberen
Ebene sitzt auf einem Fundament, welches aus abgerundeten Elementen zu
bestehen schein. Drei mal drei dieser länglichen Elemente bilden die Sitzfläche.
Nowotny nennt diese Fläche Federfeld. Die Personen sitzen zudem auf nicht
gekennzeichneten Hockern. Neben dem Federfeld ist wieder eine genauere
Abb. 13: Das fünfte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.
3. Der Codex Becker II
37
Kennzeichnung des Ortsnamens, die aus einem Adlerkopf besteht. Als Name
schlägt Nowotny aus diesem Grund Adler-Federfeld vor. Wieder sind für das Paar
nur die Kalendernamen
angegeben, der Mann heißt 3
Affe und die Frau 12 Adler
(Nowotny 1957:178). Hier
setzt die Arbeit von Smith an,
die den Ort als Ebene des
Adlers, Tecomaxtlahuaca,
yodzo yaha in mixtekisch
(yodzo = Ebene, yaha =
Adler), identifiziert. Yodzo ist
ein Homonym und bedeutet
in unterschiedlicher Tonlage
einmal Feder und einmal
Ebene. Tecomaxtlahuaca ist
ein Ort in der Mixteca Baja
(Smith 1979:39).
Das siebte Paar auf der
unteren Ebene sitzt erneut
auf nicht gekennzeichneten
Hockern. Die beiden Bei-
und Kalendernamen sind
deutlich erkennbar. Der
Mann heißt 11 Feuer-
steinmesser Quetzaladler.
Der Beiname ergibt sich
aus der Darstellung eines
Adlers, aus dessen
Gefieder Quetzalfedern
sprießen. Die Frau heißt 13
Rohr Blumengirlande, da
über ihrem Kopf eine
Girlande aus in sich
Abb. 15: Das siebte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.
Abb. 14: Das sechste Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.
3. Der Codex Becker II
38
verdrehten Blütenranken zu sehen ist. Der Herkunftsort der Frau wird rechts
neben ihr gezeigt. Es handelt sich um ein Fundament mit Schnörkeln. Darauf
befindet sich nach Nowotnys Beschreibung eine Reihe Rosetten. Oben auf dem
Fundament steht ein Gebiss, das eine Rosette zwischen den Zähnen hält. Smith
versucht sich hier an einer Identifizierung des Ortszeichens. Sie erklärt, dass der
Kiefer für das locative Suffix a- steht und die vierblättrige Blüte für yuhu.
Zusammengesetzt also ayuhu. Dies weist auf den Ort Santa María de Ayú in der
Mixteca Baja hin, nahe Huajuapan de León. (Smith 1979:41). Die Blüte, die im
Kiefer steckt, ist allerdings nicht vierblättrig. Im Fries des Fundamentes kann man
hingegen vierblättrige Blüten erkennen.
Zwischen den Eheleuten schlängelt sich eine Fußspurenlinie empor zur
oberen Ebene. Dort führt sie zu einem Paar, dessen Mann 2 Kaninchen und
dessen Frau 7 Haus heißt.2 Wieder sind nur die Kalendernamen angegeben. Die
beiden sitzen erneut auf einem Federfeld, auf dessen rechter Seite ein A-O-
Jahreszeichen anschließt. Nowotny fügt die beiden Bestandteile zum Namen
Jahr-Federfeld zusammen (Nowotny 1957:178). Smith gelingt es, diesen Ort als
Juxtlahuaca, ebenfalls in der Mixteca Baja, zu identifizieren. Der mixtekische
Name von Juxtlahuaca ist
yodzo cuiya (yodzo = Ebene,
cuiya = Jahr) (Smith 1979:41).
Das achte Paar sitzt ebenfalls
auf nicht gekennzeichneten
Hockern. Auch hier sind die
jeweiligen Kalender- und
Beinamen gut erkennbar. Der
Name des Mannes ist 6
Kaninchen Himmelsadler. Der
Beiname ergibt sich aus einem
Himmelsstreifen, aus dem ein
Adlerkopf nach unten guckt.
Die Frau trägt den Namen 10
Wind Sonne-Spinnennetz. Das
dazugehörige Zeichen dafür ist eine halbe Sonnenscheibe, die mit einem halben
2 Jansen erkennt Frau 8 Haus aus der Abbildung (Jansen 1994:212).
Abb. 16: Das achte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.
3. Der Codex Becker II
39
Spinnennetz zusammengesetzt einen Kreis ergibt. Ihr Herkunftsort ist rechts
neben ihr dargestellt und besteht aus einem Federfeld, auf dem ein Gebiss liegt.
Nowotny tauft diesen Ort Federfeld-Zahnreihe (Nowotny 1957:179).
Die Abbildung des neunten Paares ist im unteren Teil stark zerstört. Dennoch
kann man die Namen ausmachen. Bei dem Mann handelt es sich um Herrn 3
Wind Jaguarkopf und bei der Frau handelt es sich um Frau 11 Alligator Xolotl-
Blume. Der Beiname des Mannes ergibt sich aus einem menschlichen Kopf, auf
dem sich ein Jaguarkopf befindet. Der Beiname der Frau wird durch eine Blume
mit drei Blüten dargestellt, aus der ein Ñuhu (Gottwesen) entsteigt. Der
Herkunftsort, rechts neben der Frau, ist kaum sichtbar. Erkennbar ist aber, dass
es sich wiederum um ein
Federfeld handelt, auf dem ein
Adlerkopf liegt. Nowotny
vermutet, dass es sich bei
diesem Ort um denselben
handelt, in den Frau 12 Adler,
Tochter von Paar sechs,
verheiratet wurde (Nowotny
1957:179). Jansen schließt
sich dieser Ansicht an und
sieht in dem Ort ebenfalls
erneut Tecomaxtlahuaca
(Jansen 1994:212).
3.6. Zusammenfassung
Das Codex-Fragment Becker II, welches aus der Sammlung von Phillip Becker
entstammt, ist bis heute keinem Ort eindeutig zuzuordnen. Es werden Orte
genannt, Juxtlahuaca, Tecomaxtlahuaca sowie evtl. Santa María de Ayú, welche
alle in der Mixteca Baja liegen. Tilantongo ist ein weiterer Ort, der eindeutig
identifiziert wurde, der allerdings in der Mixteca Alta liegt. Da Tecomaxtlahuaca
sogar zweimal vorkommt, wird angenommen, dass es zwischen dem
Ursprungsort von Becker II und Tecomaxtlahuaca intensive, politische
Abb. 17: Das neunte Paar im Codex Becker II. Aus:
Nowotny, 1975.
3. Der Codex Becker II
40
Beziehungen gab. Es konnte nachvollzogen werden, dass das letzte Paar des
Dokumentes wahrscheinlich Mitte des 16. Jh. und somit in der Kolonialzeit lebte.
Bei diesem Dokument handelt es sich um eine Genealogie, die
höchstwahrscheinlich die herrschaftliche Abstammungslinie eines bestimmten
Ortes zeigt. Welcher das ist, kann man nicht sagen, da der Anfang und das Ende
des Dokumentes fehlen. Becker II ist lediglich ein Mittelteil. Die Handschrift ist
längsseits zweigeteilt. In der unteren Hälfte befindet sich die Hauptlinie. Auf ein
Paar folgt wahrscheinlich der Sohn des Paares mit seiner Ehefrau. Der
Abstammungsort der Ehefrauen ist manchmal angegeben. Von diesen Paaren
führen oft Fußspuren auf die obere Hälfte. Hier sind die Töchter der unteren
Paare gezeigt, mit Ehemännern in den Orten, zu denen sie verheiratet wurden.
Nowotnys Annahme, dass sich auf der unteren Hälfte die Hauptlinie befindet, lässt
sich an dieser Darstellungsweise und auch aufgrund der Tatsache, dass die
oberen Paare kleiner und nur in Linien ohne Farbe gemalt wurden,
nachvollziehen.
4. Das Fragmento de Nochistlan
41
4. Das Fragmento de Nochistlan
4.1. Zusammengehörigkeit des Fragmento de Nochistlan und des Codex
Becker II
„[...] he was the first to note that the Codex Becker II in Vienna and the fragment
in Hamburg are sections of the same codex, much as Eduard Seler (1893) first
noted that the codices Colombino and Becker I are sections of the same
manuscript“ (Smith 1979:29). So leitet Mary Smith ihren Artikel über die
Fragmente Becker II/Fragmento de Nochistlan ein. Smith orientiert sich dabei an
Nowotnys Publikation des Fragmentos, in der er vermutet, dass das Fragmento
de Nochistlan der Anfang des Codex Becker II sei. Dabei führte schon John B.
Glass das Fragment als zusätzliches Fragment des Codex Becker II in einem
Zensus ethnohistorischer Quellen an, der 1975 im „Handbook of Middle American
Indians, Bd 14“ veröffentlich wurde (Cline 1975:96). Nowotny selbst stand eine
vorläufige Schrift davon aus dem Jahre 1965 zur Verfügung. Er verweist selbst
darauf, dass schon darin das Fragment als Teil von Codex Becker II angesehen
wurde (Nowotny 1975:5). Somit war Nowotny mitnichten der Erste, der diesen
Gedanken hatte, aber der Erste, der ihn verfolgte.
Nowotnys Aussage nach könnte man das Fragmento direkt an die erste
Seite des Codex Becker II anlegen. Lediglich ein schmales Verbindungsstück von
wenigen Zentimetern würde fehlen. Der Herr rechts unten auf dem Fragmento
würde dann einer Dame links unten auf Seite 1 des Becker II gegenübersitzen,
von der lediglich Reste zu erkennen sind. Ein weiteres starkes Argument für eine
Zusammengehörigkeit ist für Nowotny die große Ähnlichkeit des Malstils. Hinzu
kommt die annähernd gleiche Höhe beider Dokumente (Fragmento de Nochistlan:
27 cm, Codex Becker II: 26,5 cm), deren geringer Unterschied durch ein
Abschneiden des Randes erklärt werden könnte. Die rote Trennlinie verläuft auf
beiden Dokumenten auf der Höhe von 13,5 cm vom unteren Rand gemessen. Die
Farben beider Fragmente sind ungefähr die gleichen, allerdings ist das Fragmento
sehr nachgedunkelt, während der Codex Becker II noch einen gut erhaltenen
weißen Untergrund hat (Nowotny 1975:5).
Nowotny setzt sich aber auch mit den Argumenten gegen eine
Zusammengehörigkeit auseinander. So könne die Ähnlichkeit des Stils auf eine
gemeinsame Malerschule mit einheitlich verwendeten Formaten zurückgeführt
4. Das Fragmento de Nochistlan
42
werden. Demnach wäre es durchaus möglich, dass zwei inhaltlich verschiedene
Dokumente aus einer Malerschule stammen und deswegen große Ähnlichkeiten
aufweisen. Ein weiteres Argument gegen die Zusammengehörigkeit ist die
Tatsache, dass im Codex Becker II die obere Ebene nur in schwarzen Linien
umrissen ist, wohingegen die des Fragmentos farbig ausgemalt ist. So ist im
Codex Becker II mit den Fußspuren die Verbindung der dargestellten Paare
angegeben. Im Fragmento geschieht dies nicht. Hier sind des Weiteren bei vielen
Personen Augenbrauen gezeichnet, im Codex Becker II gibt es sie nicht. Dies
kann durch eine spätere Abschrift erklärt werden, bei der Augenbrauen
hinzugefügt wurden (Nowotny 1975:9). Nowotny stellt also lediglich eine
Vermutung über die Zusammengehörigkeit an, welche er dann diskutiert, um sie
am Ende offen stehen zu lassen.
Smith stimmt der Zusammengehörigkeit zu, zweifelt Nowotny allerdings an
der Stelle an, wo er meint, die einzelnen Teile wären direkt aneinanderzulegen.
Smith hält es für möglich, dass noch weitere Teile zwischen den beiden
Fragmenten liegen könnten. Als Grund dafür sieht sie den verschiedenen Aufbau
der Teile: Becker II hat offensichtlich unten die narrative Hauptlinie und oben
lediglich unterstützende Informationen. Beim Fragmento allerdings scheinen das
obere und untere Register vom Inhalt gleichgewichtig zu sein (Smith 1979: 34).
Jansen stimmt Smith hier zu. Technisch wäre es, seiner Meinung nach,
durchaus möglich, dass sich Becker II direkt an das Fragmento anschließt,
allerdings läge dann ein sehr plötzlicher Umbruch in der Erzählung vor, was dies
unwahrscheinlich macht. Es ist wahrscheinlicher, dass mehrere Seiten
dazwischen lagen, die einen Übergang von zwei auf eine Linie erklären (Jansen
1994:195).
4.2. Beschaffenheit und Herkunftsgeschichte
Das Fragmento besteht nach Ansicht von Karl A. Nowotny aus einem Stück
Hirschleder von 27 cm Länge und 52 cm Breite. Auf der Unterlage wurde als
Grundierung eine Schicht Gips aufgetragen, auf der gemalt wurde. Das Fragment
ist einseitig bemalt und die Bemalung weist große Beschädigungen auf. Nowotny
vermutet, dass das Fragmento an der rechten Kante beschnitten wurde, da die
Figuren dort sehr eng am Rand liegen. Sicher ist, dass das Fragment dort
4. Das Fragmento de Nochistlan
43
unterbrochen ist, da der untere Herr von seiner ihm gegenübersitzenden Frau
abgeschnitten ist. Es ist mit Sicherheit zu sagen, dass am rechten Ende des
Fragmentos ein weiterer Teil angeschlossen war, der jetzt fehlt (Nowotny 1975:5).
Die beiden Restauratorinnen des Museums für Völkerkunde Hamburg,
Gertrude Blasum und Wiebke Hattendorf, konnten bei genauer Betrachtung der
Fasern feststellen, dass es sich um ein papierartiges Material handelt, welches
die Grundierung trägt. Dies steht im Gegensatz zu Nowotnys Aussage.
Die Herkunft des Fragmentos wirft einige Rätsel auf. Smith gibt in ihrem
Artikel an, dass das Fragment ca. 1928 von einem deutschen Händler in
Nochistlan erworben wurde, und bezieht sich dabei auf Nowotnys
Veröffentlichung des Fragmentos (Smith 1979:30). Allerdings ist unter ihrer
Literaturangabe diese Information bei Nowotny nicht zu finden. Dort steht: „Der
Vorbesitzer gab an, dass er dieses Stück vor Jahren von einem Indianer in
Nochistlan im westlichen Oaxaca erworben hat (Nowotny 1975:5).“ Woher hat
Smith die Jahreszahl 1928? Der Datenbankauszug des Museums für Völkerkunde
benennt jenen Käufer zwar als Herrn Hans Heine aus Wedel/Holstein, allerdings
ist hier auch nur das Jahr eingetragen, in dem das Fragment ins Museum kam:
1963. Das Jahr des Kaufes in Nochistlan ist nicht angegeben. Es ist anzunehmen,
dass Smith diese Information im persönlichen Gespräch von Nowotny erhalten
hat. Da die Literaturangabe von Smith inkorrekt ist, kann der Fluss der Information
nicht nachvollzogen werden und sie wird unverwendbar.
Das Fragmento wurde in der Kolonialzeit angefertigt. Aufgrund der
Stilverwandtschaft mit dem Codex Becker II, Codex Bodley und Codex Selden
kann man die Herstellung des Fragmentos auf das späte 16. Jh. schätzen (Smith
1973:17). Die Glossen in der Tinte der Zeichnungen zeigen zudem, dass der
Maler der Lateinschrift kundig war (Nowotny 1975:9). Nowotny führt an, dass es
sich um eine direkte Abschrift eines älteren Dokumentes handeln könnte oder um
eine Aufzeichnung aus dem Gedächtnis als eine Erinnerung an ein solches
Dokument (Nowotny 1975:5).
4.3. Forschungsgeschichte
Das Fragmento de Nochistlan wurde zum ersten Mal im 14. Band des „Handbook
of Middle American Indians“ (im Folgenden Handbook genannt) erwähnt. Es
4. Das Fragmento de Nochistlan
44
wurde von einem damaligen Mitarbeiter des Museums für Völkerkunde Hamburg
und Maya-Experten Dr. Günter Zimmermann kommuniziert, der den
Herausgebern des Handbook eine Fotografie für die Veröffentlichung zur
Verfügung stellte. Das Handbook wurde 1975 veröffentlicht. Schon dort wurde es
als zusätzliches Fragment des Codex Becker II aufgeführt, zur Literatur über das
Dokument wurden aber keine Angaben gemacht (Cline 1975:96).
Kurz danach, ebenfalls im Jahr 1975, veröffentlichte Karl Anton Nowotny
seine Abhandlung über das Fragmento „El Fragmento de Nochistlan“ mit einer
farbigen Fotografie von mäßiger Qualität und einer Umzeichnung des Codex
Becker II. Er diskutierte die Zusammengehörigkeit beider Dokumente und
beschrieb die Darstellungen des Fragmentos auf insgesamt 13 Seiten. 1977
erschien der erste Band von Alfonso Casos zweibändigem Werk „Reyes y Reinos
de la Mixteca“. Caso ging ebenfalls auf das Fragmento als Anfang des Codex
Becker II ein, diskutierte diesen Umstand allerdings nicht weiter. Interessant ist,
dass er sich auf Herrn Zimmermann bezog und ihm die Entdeckung des
sogenannten „Fragmento de Yanhuitlan“ zuschrieb. Eine Literaturangabe ist
allerdings nicht beigefügt (Caso 1977:68). An anderer Stelle benannte er das
gleiche Dokument dann allerdings „Fragmento de Nochiztlan“ (Caso 1977:127).
Caso ist 1970 gestorben und muss somit die Information lange vor
Veröffentlichung des Buches gehabt haben. War der Titel „Fragmento de
Yanhuitlan“ nur ein vorläufiger, da Zimmermann für das Handbook (1975
veröffentlicht) schon „Fragmento de Nochistlan“ als Titel für das Dokument
vorschlug? Oder hat Caso sich bei dieser Äußerung geirrt? Es gibt keinen
weiteren Hinweis, dass das Fragment jemals mit Yanhuitlan in Verbindung
gebracht wurde.
Im zweiten Band der Reihe „Reyes y Reinos de la Mixteca: Diccionario
Biográfico de los Señores Mixtecos“, der 1979 erschien, nahm Caso die Herren 8
Wind und 3 Blume mit in sein Verzeichnis auf. Darin führte er die Quelle als
„Fragmento de Nochixtllán“ auf (Caso 1979:59/436).
1979 nahm Mary Elizabeth Smith die Arbeit Nowotnys wieder auf und
schrieb zu Ehren des 1978 verstorbenen Nowotny einen Artikel über beide
Fragmente: „Codex Becker II: A Manuscript From the Mixteca Baja?“. Sie widmete
sich darin vor allem der Bestimmung des Ursprungsortes der Dokumente, davon
ausgehend, dass das Fragmento und der Codex Becker II zusammengehören.
4. Das Fragmento de Nochistlan
45
Sie untersuchte eingehend die Glossen in den Ortszeichen im Fragmento de
Nochistlan sowie Inschriften, die sie unter UV-Licht auf dem Codex Becker II fand.
Maarten Jansen war der Nächste, der den Faden erneut aufnahm. Zusammen mit
Ferdinand Anders und Luis Reyes García veröffentlichte er eine Reihe von
Codices als Faksimiles mit ausführlichen Kommentarbänden, unter anderem auch
ein Band, der sich mit den Codices Egerton und Becker II beschäftigte: „La Gran
Familia des Los Reyes Mixtecos. Libro explicativo de los códices llamados
Egerton y Becker II.“ Darin ging er auch auf das Fragmento de Nochistlan ein und
schlug als neuen Namen für das Dokument „El libro de la dinastía de Lugar
Oscuro“ vor – „Das Buch der Dynastie des dunklen Ortes“. In diesem Band
befindet sich eine schwarz-weisse Abbildung des Fragmentos (Jansen 1994:199).
In seinem Beitrag nahm er die Annahmen von Smith und Nowotny auf. Leider
wurde daraus ersichtlich, dass er das Original selbst nicht gesehen hat. Dennoch
ist er neben Nowotny und Smith ein dritter überaus angesehener und erfolgreicher
Codex-Forscher, der das Fragmento untersucht hat.
Die Annahme, dass das Fragmento den Beginn des Codex Becker II
darstellt, scheint seither allgemein anerkannt zu sein. Beispielsweise führten
Elizabeth Hill Boone und Walter Mignolo in ihrem Buch „Stories in Red and Black“
das Fragmento in einer Aufzählung aller mixtekischen Codices auf. Sie erwähnten
es bei der Aufführung des Codex Becker II, und erklärten, dass das in Hamburg
befindliche Fragment die Anfangsseite bildet. Daraufhin haben sie die
Informationen von Smith (1979) und Jansen (1994) hinzugenommen und gaben
Smiths Interpretation wieder, dass der Ursprungsort wahrscheinlich Santos Reyes
de Yucuna ist (Hill Boone/Mignolo 2000:89). Später gingen sie auch auf die
Darstellungsweise im Fragmento/Becker II ein und erklärten den Aufbau beider
Dokumente (ebd:107).
Es gibt zum Fragmento somit drei Hauptquellen und einige Erwähnungen.
Fakt ist, dass nur Nowotny und Smith das Fragment im Original gesehen haben
und somit Jansens Informationen allein auf den Veröffentlichungen der beiden
Vorgänger und den bisher veröffentlichten Abbildungen basieren.
4. Das Fragmento de Nochistlan
46
4.4. Analyseebene
4.4.1. Beschreibung der Darstellungen
Die Bildebene des Fragmento de Nochistlan ist in zwei Zeilen geteilt. Eine rote
Trennlinie unterteilt das Blatt in ein oberes und ein unteres Register. Es folgt eine
detaillierte Beschreibung der Darstellungen im Sinne der vorikonographischen
Beschreibung nach Panofsky. Dabei werden die Glossen außer Acht gelassen,
lediglich die Schriftzüge innerhalb der Ortszeichen werden miteinbezogen.
Oberes Register
Abb. 18: Das obere Register. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Von links nach rechts fängt die Darstellung mit einem Ortszeichen an. Das
Ortszeichen hat die Form eines Hügels, der waagerecht in der Mitte geteilt ist. Die
obere Hälfte enthält ein mit Band eingeschnürtes Bündel. Das Bündel hat die
Form eines Ovals mit spitzen Enden. Außerdem stand hier ein Wort, von dem
man lediglich die letzten beiden Buchstaben erkennen kann: ....YA. Die untere
Hügelhälfte ist mit farbigen, ineinandergreifenden Streifen gemustert. Aus dem
Zwischenraum der oberen und unteren Hügelhälfte kommt eine große Flutwelle
hervor. Diese hat die Form eines Strudels bzw. einer Spirale. An der unteren
rechten Ecke des Ortszeichens setzt ein Fuß an. Ein Mann entsteigt dem
Ortszeichen mit einem großen Schritt. Er trägt lediglich einen Lendenschurz und
hält seine Arme scheinbar ausgebreitet bzw. er hält sie in einer bestimmten
Geste. Über ihm und mit ihm verbunden ist die Kalenderangabe 8 Wind.
Zwischen dem Ortszeichen und Herrn 8 Wind scheint eine weitere
Darstellung gezeichnet gewesen zu sein, welche aber nicht zu erkennen ist.
Schmierspuren deuten daraufhin, dass das Gezeichnete verwischt wurde.
4. Das Fragmento de Nochistlan
47
Es folgt ein Datum an einem A-O-Zeichen. Der Tag ist 3 Haus, das Jahr ist 7
Kaninchen. Das Kaninchen ist zwar stark beschädigt, lässt sich aber in groben
Umrissen bei genauer Betrachtung erkennen. Am A-O-Zeichen befindet sich ein
eingefasstes Auge mit einem Federbüschel. Dem Datum schließt sich eine
Hochzeitsszene an. In einem Gebäude sitzen sich ein Mann (links) und eine Frau
gegenüber. Das Gebäude öffnet sich nach rechts und ist mit vielen Details
verziert. Auffallend sind die Kreise im Dach und die Verzierungen des
Fundamentes mit Schnörkeln. Die Frau sitzt auf einem niedrigen Hocker und
weist mit einer Hand zum Mann, der seinerseits zurückweist. Der Name des
Mannes ist nicht zu erkennen, allerdings lässt sich innerhalb des Gebäudes eine
Ehecatl-Maske1 ausmachen, die eventuell von Juwelen umgeben ist. Weiter
rechts befindet sich eine weitere Ehecatl-Maske, von der jedoch nur die Spitzen
der Lippen zu erkennen sind. Der Name der Frau ist 3 Haus. Ihr persönlicher
Beiname besteht aus einem Kopf und Pflanzen. Die Pflanzen haben lange,
schmale Blätter.
Als Nächstes ist eine Plattform zu erkennen, die mit einer geflochtenen
Bastmatte belegt ist. Vermutlich ist dies wieder der Sitzplatz für ein Paar, die
Abbildung ist jedoch so zerstört, dass wir nur den Namen des Mannes (davon
ausgehend, dass der Mann immer links sitzt) erkennen können. Er heißt 12 Rohr
und trägt einen Beinamen, der einen Jaguar beinhaltet. Den Jaguar erkennt man
lediglich an der gelblichen Farbe und einem Ohr.
Ganz rechts sitzt ein weiteres Paar, ebenfalls auf einem Fundament,
welches mit einer Bastmatte belegt ist. Beide Personen sitzen auf Hockern, die
einen Hohlraum in Form eines umgedrehten T haben. Der Hocker der Frau ist
etwas höher und gestreift. Beide weisen mit einer ausgestreckten Hand zum
anderen. Der Mann trägt den Namen (?) Kaninchen Schäumender Pulquekrug mit
Band. Vor dem Kaninchen sind 3 Punkte deutlich erkennbar, es ist aber gut
möglich, dass weitere Punkte vorhanden waren. Der Kalendername könnte also
„mindestens 3 Kaninchen“ heißen. Die Frau trägt den Namen 7 oder 8 Rohr. Ihr
Beiname setzt sich aus mehreren Teilen zusammen, von denen einer ein buntes
Band ist und eventuell eine Zahnreihe. Ob es noch ein weiteres Element gibt, ist
nicht zu erkennen.
1 Ehecatl ist der Gott des Windes. Er ist häufig Teil persönlicher Beinamen und wird dann durch die sogenannte „Ehecatl-Maske“ symbolisiert. Diese ist am Kinnbart und an den langen Lippen zu erkennen und meist rot.
4. Das Fragmento de Nochistlan
48
Unteres Register
Abb. 19: Das untere Register. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Die untere Bildhälfte beginnt an der linken Seite ebenfalls mit einem Ortszeichen.
Es besteht aus einem Hügel, der auf einem Fundament steht. Das Fundament
enthält zwei Musterreihen. Die Obere ist ein schwarz-weißes Schachbrettmuster
und die Untere fügt sich aus bunten Treppchen zusammen. Nach dem
Ortszeichen wird ein Datum angegeben, Tag 1 Alligator, Jahr 1 Rohr. Dieses
Datum befindet sich wie oben an einem A-O-Zeichen. Danach sehen wir erneut
das Ortszeichen mit den zwei Musterreihen, allerdings etwas größer dargestellt.
Ein weiterer Unterschied zum ersten Zeichen ist die Tatsache, dass diesmal die
beiden Fundamentreihen nicht einzeln in die gelbliche Umrandung des Hügels
eingefasst sind, sondern lediglich die untere. Die Spitze des Hügels ist gespalten
und es entsteigt ihm ein Mann, der den Namen 3 Blume trägt. Er ist in einen
Lendenschurz gekleidet. Er kommt mit einem Schritt hervor und hält seine Arme
nach oben zu beiden Seiten ausgestreckt. Sein Kopf ist in den Nacken gelegt und
sein Blick ist ebenfalls nach oben gerichtet. Im oberen Teil des Hügels wurden
Beschriftungen hinzugefügt. Oben steht das Wort NVNAA und unten ein Wort,
welches nur unter UV-Licht zu sehen war: NVSIHYA.
Rechts neben dem Ortszeichen ist die Abbildung eines Gebäudes zu
sehen, welche stark zerstört ist. Das Gebäude öffnet sich nach rechts und an der
Öffnung sitzt ein Mann, der den Kalendernamen (?) Blume trägt. Ein Beiname ist
nicht zu erkennen. Ihm gegenüber sitzt eine Frau auf einer geflochtenen
Bastmatte. Bei ihr ist weder der Kalendername noch ein Beiname zu erkennen.
Die Gestik der Frau ist wie bisher die ausgestreckte Hand, die auf den Mann
weist. Die Gestik des Mannes unterscheidet sich von den übrigen Darstellungen.
Er hält seine Hand vor seinem Gesicht gerade hoch, wobei der Handrücken zu
ihm weist. Zwischen Mann und Frau scheint etwas dargestellt gewesen zu sein,
was leider nicht mehr erhalten ist.
4. Das Fragmento de Nochistlan
49
Das nächste Paar sitzt, wie auf der oberen Hälfte, wieder auf einem Fundament,
welches mit einer Bastmatte belegt ist. Die Darstellung des Mannes ist stark
zerstört, man kann seine Gestalt lediglich erahnen. Die Darstellung der Frau ist
besser erhalten, sie sitzt auf einem Hocker, der wieder den Hohlraum eines
umgedrehten T hat. Sie weist in der gängigen Manier mit Ihrer Hand auf den
Mann. Ihr Kalendername lautet 9 Rohr, ihr Beiname besteht aus einem rechten
Winkel aus Himmelsband, aus dessen Ecke etwas austritt. Das, was dort austritt,
ist nicht erkennbar.
Von dem nächsten Paar ist auf diesem Fragment nur der Mann abgebildet.
Man kann davon ausgehen, dass es einen weiteren Teil gibt, auf dem die zweite
Hälfte des Paares zu sehen ist. Der Mann sitzt erneut auf einem mit einer
Bastmatte belegten Untergrund. Er sitzt auf einem Hocker ohne Hohlraum. Sein
Körper weist starke Zerstörung auf. Von seinem Kalendernamen kann man 3 Tod
erkennen, weitere Punkte sind wahrscheinlich. Sein Beiname besteht aus einer
Sonnenscheibe, aus der nach unten hin etwas nicht klar erkennbares austritt.
4.4.2. Mixtekische Darstellungskonventionen
Das Hauptanliegen der Codex-Maler war es, dass die Darstellungen von den
Lesern, vorwiegend Priester und speziell dafür ausgebildete Gelehrte verstanden
werden konnten. Somit stand beim Abbilden die Deutlichkeit der Darstellungen
gegenüber der Ästhetik oder der Realität im Vordergrund. Zum Beispiel wurden
die Regeln von realer Größe dann außer Kraft gesetzt, wenn es um einen kleinen
aber bedeutenden Gegenstand ging. Dieser wurde dann im Verhältnis zum
Umfeld größer gemalt bzw. übertrieben dargestellt oder mit vielen Details
versehen, sodass der Leser sofort die Bedeutung der einzelnen Abbildungen und
deren Verhältnis zueinander verstand. Ebenso verhält es sich mit der Darstellung
von Personen. Eine realistische Darstellung, wie die genaue Zeichnung eines
Porträts, wurde dann unnötig, wenn der Kalender- und der persönliche Name
genannt wurden, um eine Person zu identifizieren. Um den limitierten Platz der
Bildfläche zu nutzen und alle wichtigen Informationen der Geschichte zu
übermitteln, wurden Schlüsselelemente eingesetzt, welche sich zu Konventionen
entwickelten (Troike 1982:178f.).
4. Das Fragmento de Nochistlan
50
Gesten
Die Hände der Personen im Fragmento haben zwei verschiedene Formen. Es
sind zum einen flach ausgestreckte Hände zu sehen und zum anderen Hände,
deren Zeigefinger ausgestreckt sind und deren restliche Finger in der Handfläche
liegen. Der Daumen liegt dabei am Zeigefinger.
Zeigefingerhände
Die „Zeigefingerhände“ kommen nur bei sich gegenüber sitzenden Personen vor.
Die beiden Herren links oben und unten sitzen nicht und haben eine andere
Handhaltung. Des weiteren ist bei den sich gegenübersitzenden Personen nur
jeweils eine Hand sichtbar. Wie von Troike beschrieben, liegt der andere Arm vor
der Brust verschränkt auf den Knien. Somit ist nur der Oberarm sichtbar,
Unterarm und Hand sind in der Profilsicht nicht erkennbar, da sie vom Körper
verdeckt sind (Troike 1982:193).
Nancy Troike veröffentlichte 1982 einen Artikel zu den Gesten im Codex
Colombino-Becker. Sie analysierte die einzelnen Handstellungen und fügte diese
zu Zonen zusammen. Daraus schloss sie, dass die Kombination einer 45° nach
unten weisenden mit einer 45° nach oben weisende Hand eine Kommunikation
von Anliegen und Gewährung ausdrückt. Die Person mit der nach unten
weisenden Hand trage dabei ein Anliegen vor und die Person mit der erhobenen
Hand gewähre dieses Anliegen. Dabei belegte Troike ihre Theorie mit Beispielen,
bei denen die gehobene Hand mit der Handfläche von der Person weg zeigt
(Troike 1982:187ff.). Dem würde das erste Paar auf der unteren Bildebene
entsprechen: Der Mann hebt die Hand in der von Troike beschriebenen Manier,
die Frau mit ihrer fast waagerechten Hand könnte die Bittstellerin sein. Allerdings
befindet sich die Hand der Frau nicht in der von Troike beschriebenen unteren
Zone, sondern eher in einer Waagerechten. Die Gesten dieses Paares weichen
von denjenigen der anderen Paare ab. Auch in anderen Merkmalen unterscheidet
sich dieses Paar von den anderen und wird weiter unten (Besuchsszene) näher
diskutiert.
Des Weiteren sind Troikes Zonen auf das Fragmento nicht übertragbar, da
die mehr oder weniger waagerecht zeigenden Hände nicht berücksichtigt werden
können. Diese sind aber im Fragmento vorhanden. Es ist anzunehmen, dass es
auch für die Geste der waagerechten Zeigefingerhand eine Bedeutung gibt, da
4. Das Fragmento de Nochistlan
51
ansonsten auch die Hände am Körper dargestellt hätten werden können.
Allerdings stellt sich die Frage, ob darüber hinaus die minimalen Abweichungen
von der Waagerechten ebenfalls bedeutungstragend sind. Dies erscheint
unwahrscheinlich, da die Codices ein Anliegen der klaren Vermittlung von
Bedeutung hatten und solche minimale Differenzen dieses Anliegen nicht erfüllt
hätten.
Flache ausgestreckte Hände
Die beiden Männer, die den Ortszeichen entsteigen, halten ihre Hände flach und
ausgestreckt. Abgesehen von dem Herrn in der unteren Bildebene, welcher die
Hand in der senkrechten Haltung hält und bei dem es nicht klar erkennbar ist, ob
er die Hand ausgestreckt oder in Zeigefingerhaltung hält, haben nur diese beiden
Männer diese Handhaltung inne. Hinzu kommt, dass bei ihnen beide Hände
sichtbar sind. Sie halten die Arme scheinbar weit ausgebreitet. Die
zweidimensionale Darstellung erschwert hier natürlich die Abbildung einer Haltung
in einem dreidimensionalen Raum. Dennoch vermute ich, dass hier versucht
wurde, weit ausgebreitete Arme, wie für eine Umarmung, darzustellen. Interessant
ist die Kombination dieser Geste mit der Aktion beider Personen, auf die im
Folgenden näher eingegangen wird.
Geste der Geborenen
Die Gründungsväter der mixtekischen Dynastien wurden aus Bäumen, Steinen
und Flüssen geboren. In den mixtekischen Codices entsteigen sie auch direkt den
Ortszeichen. Sie werden als Träger des Heiligen Bündels dargestellt, als Bringer
von Glaubenslehre und Gesetz. Apoala war der wichtigste Herkunftsort. Eine
Darstellung einer Baumgeburt in Apoala finden wir im Codex Vindobonensis
(Jansen 1990:103).
Schon de los Reyes
überlieferte die Legende,
dass die Mixteken seiner
Zeit glaubten, dass die
Herkunft ihrer Götter und
Herrscher in Apoala lag. Er
übersetzt den mixtekischen
Namen des Ortes, yuta
Abb. 20: Vindobonensis, S. 37.
Abb. 21: Nuttall, S. 1.
4. Das Fragmento de Nochistlan
52
tnuhu, mit „Fluss der Abstammung“ (Reyes 1889:2). Ein Beispiel für eine Geburt
aus einem Ortszeichen ist im Codex Nuttall zu sehen, wo im Jahre 1 Rohr, Tag 1
Alligator, Herr 8 Wind dem Ort „Berg des Affen“ entsteigt und eine zeremonielle
Begrüßung erhält (Jansen 1990:103).
Oft halten die „Geborenen“ in den oben beschriebenen Szenen ihre Arme
in der weit ausgebreiteten Haltung, die auch Herr 8 Wind und Herr 3 Blume aus
dem Fragmento innehaben. Allerdings kommt die Geste auch bei Personen vor,
welche sich in anderen Situationen befinden, und es gibt auch Geburtsszenen, bei
denen die Personen ihre Arme in anderer Haltung haben (siehe Punkt 6.5. im
Anhang). Dieser Aspekt sollte in weiteren Forschungen untersucht werden.
Ortszeichen
Die Ortszeichen der mixtekischen Codices repräsentieren verschiedene
Kategorien von Städten und anderen Lokalitäten. Es werden die cabeceras
(Hauptorte der cacicazgos) sowie deren sujetos (untergeordnete Orte)
repräsentiert. Darüber hinaus gibt es u.a. Ortszeichen für unbewohnte Orte,
Grenzposten und Zeremonialzentren, welche anhand der dort dargestellten
personifizierten Gottheiten oder der dort stattfindenden Rituale erkannt werden
können. Ein Beispiel eines Zeremonialzentrums ist der Ort „Schädel“, in dem
Priesterin Frau 9 Grass lebt. Dieser Ort erscheint nicht als Herkunftsort einer
Genealogie, sondern nur im Zusammenhang mit Frau 9 Grass (Smith 1973:44).
Mixtekische Ortszeichen setzen sich aus einer geografischen Komponente
und einer beschreibenden Komponente zusammen. Es gibt vier grundlegende
geografische Komponenten: ñuu (Stadt) wird von einem Fries oder einer Plattform
dargestellt. Yucu (Hügel) wird von einem glockenförmigen Hügel repräsentiert. Als
yuta (Fluss) wird der Querschnitt eines Flusses gezeigt. Yodzo (Ebene) wird von
einer federnen Matte dargestellt. Dies sind die wichtigsten und am häufigsten
vorkommenden Grundkomponenten. Es gibt allerdings noch weitere
geographische Komponenten, die weniger häufig zu finden sind und u.a. Seen,
Höhlen und Schluchten bezeichnen. Die beschreibenden Elemente der
Ortszeichen sind weitaus weniger standardisiert. Sie richten sich nach den
Personen, Tieren oder anderen Objekten, die beispielsweise mit dem Hügel, dem
Fluss oder der Ebene in Verbindung gebracht werden (Byland/Pohl 1994:34).
4. Das Fragmento de Nochistlan
53
Ein Beispiel für ein Ortszeichen ist das von Tilantongo.
Der mixtekische Name des Ortes ist ñuu tnoo huahi
andehui. Das bedeutet Schwarze Stadt/ Tempel des
Himmels. Es wird dargestellt durch ein Fries (ñuu), der
schwarz (tnoo) ist. Auf dem Fries ist ein Haus/Tempel
(huahi), welches von einem mit Sternen besetzten
Himmelsband (andehui) verziert ist (Byland/Pohl
1994:35).
Yucu und ñuu
Das Grundelement yucu (= Hügel) hat üblicherweise
eine grün-bräunliche Farbe und ist von einer gelblichen
Linie gesäumt. Die unteren Enden des Hügels wölben sich oftmals nach innen
und die den Hügel umgebene Linie ist üblicherweise von kleinen Wölbungen
durchsetzt, die eine grobe Beschaffenheit des Hügels vermitteln sollen. Diese
grundlegende Form des Hügels kann variieren, sodass zum Beispiel ein Hang in
eine Plattform übergeht oder Ähnliches. Im Nahuatl wird der Hügel durch das
geographische Substantiv -tepec ausgedrückt. Dies ist eine Kombination des
Wortes tepetl (= Hügel) und des lokalisierenden Partikels -c (= in) (Smith
1973:39).
Ñuu (= Stadt, Ort, an dem etwas existiert) wird von einem langen,
rechteckigen Fries dargestellt, welches mit bunten, geometrischen Figuren
dekoriert ist. Oftmals besteht diese Dekoration aus treppenförmigen Pyramiden.
Im Nahuatl gibt es lediglich eine Reihe von Suffixen, die dem mixtekischen ñuu
nahekommen. Darunter sind -co, -c (= in, drinnen), -can, -ca (= Ort, an dem
etwas existiert, in), -tla, -la (= wo der Überfluss von etwas existiert), -tlan, -lan (=
Ort, an dem etwas existiert, nahe, nahe an, darin, darunter), -yan, -ya (= Ort, an
dem sich eine Handlung ereignet) (Smith 1973:38).
Es kann vorkommen, dass die Zeichen yucu und ñuu untereinander
vertauscht werden. So wird ein und dasselbe Ortszeichen mal in Form eines
Hügels und mal als Plattform dargestellt. Und es kann auch vorkommen, dass
Hügel und Plattform in einem Ortszeichen erscheinen. Smith bietet eine
Erklärungsmöglichkeit für die Darstellung einer Plattform innerhalb eines Hügels:
Sie vermutet, dass das ñuu vor den Namen eines Ortes gesetzt wird, um den Ort
als Stadt zu bezeichnen, unabhängig davon, ob es im Namen vorkommt oder
Abb. 22: Das Ortszeichen von Tilantongo. Nuttall, S. 47.
4. Das Fragmento de Nochistlan
54
nicht. Stadt wird so als Einheit oder Größe vor den Namen gestellt, im Sinne von
„die Stadt Hamburg“ (vgl. Smith 1973:40).
Im Fragmento de Nochistlan finden wir drei Ortszeichen, von denen sich
zwei gleichen. Links auf der oberen Ebene haben wir einen Hügel, welcher in
Kapitel 4.5.1. detailliert beschrieben ist. Der Hügel trägt die Merkmale, wie sie von
Smith beschrieben wurden: Er ist glockenförmig, die unteren Kanten wölben sich
nach innen und er ist umgeben von einer gelblichen Linie mit kleinen
Auswüchsen. Das eingeschnürte Bündel im Inneren des Ortszeichens hat die
Form eines Feuersteinmessers.
Das Ortszeichen auf der unteren
Bildhälfte besteht aus yucu in Verbindung
mit ñuu. Beide Elemente weisen die von
Smith genannten Merkmale auf. Das
Fries, auf dem der Hügel steht, enthält
sogar das gleiche Muster der farbigen,
pyramidenförmigen Treppchen, das Smith beschreibt. Über dieser
sehr klassischen Darstellung von ñuu liegt ein Schachbrettmuster.
Die weitere Diskussion der Ortszeichen wird in Kapitel 5.2.1.
vorgenommen.
Jahreszeichen
Die Verwendung des A-O-Zeichens für eine Jahresangabe
ist ein spezielles Merkmal der mixtekischen Dokumente
(Caso 1977:37). Es besteht aus einem ineinander
verwobenen A und O, welche mit einem der vier
Jahresträger-Zeichen und einer Nummer verbunden sind.
Die vier Jahresträger Haus, Kaninchen, Rohr und
Feuersteinmesser kommen jeweils in der Kombination mit
einer der Nummern von 1-13 vor. Die Darstellungsweise
des A-O-Zeichens unterliegt kleinen Unterschieden. So
sind zum Beispiel manchmal die Kanten abgeflacht oder
zugespitzt. Kleine Variationen können sogar innerhalb eines Dokumentes
auftauchen. Auf dem O befindet sich manchmal ein Auge, eventuell das einer
Eule, mit einem Büschel Federn am oberen Rand. Mary Smith erwägt, dass die A-
Abb. 23: Selden, S. 2.
Abb. 24: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Abb. 25: Das A-O-Zeichen. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
55
O-Darstellung einen mit einem Seil gebundenen Sonnenstrahl zeigen könnte. Das
A wäre in diesem Fall die vereinfachte Darstellung des Sonnenstrahls und das
darum gewundene O ein Seil (Smith 1973:22).
Im Fragmento de Nochtistlán sind zwei Jahreszeichen enthalten. Auf der
oberen Bildebene finden wir das Jahr 7 Kaninchen. Links am A-O-Zeichen haftet
ein Kaninchenkopf, der nur noch schemenhaft zu erkennen ist, und links das von
Smith beschriebene Auge, dessen Bedeutung unklar ist. Über dem A-O-Zeichen,
verbunden mit einem Faden, ist die Nummer 7 aufgeführt.
Auf der unteren Bildebene befindet sich das Jahreszeichen, an dessen
rechter Seite ein Rohr steckt. Ein Auge, wie bei dem oberen Zeichen, findet sich
nicht. Über dem Zeichen ist, ebenfalls verbunden mit Jahreszeichen, die Nummer
1. Es handelt sich um das Jahr 1 Rohr.
Tageszeichen
Die Tagesangaben setzen sich aus einem der 20 Tageszeichen und einer der
Nummern 1-13 zusammen. Die Tagesangaben werden in mixtekischen und
zentralmexikanischen Dokumenten gleich dargestellt. Im Gegensatz zum Nahuatl
jedoch gibt es im Mixtekischen ein spezielles Vokabular für die kalendarischen
Zeichen. Es werden nicht die alltagsgebräuchlichen Vokabeln für die Zeichen
benutzt, so wie es im Nahuatl der Fall ist. Bei den Nummern 1-13 ist dies der
gleiche Fall. Dieses Spezialvokabular ist wichtig für die Übersetzung der
Tageszeichen und Kalendernamen. Die Nummern werden von bunten,
zusammenhängenden Kreisen dargestellt, welche wie Perlen auf einer Schnur
aussehen. Wenn der Koeffizient 3 übersteigt, sind die Kreise oft in Gruppen von
zwei, drei, vier oder fünf aufgeteilt. Die einzelnen Gruppen sind dann durch eine
schwarze Linie miteinander verbunden (Smith 1973:27).
Im Fragmento de Nochistlan befinden sich die Tageszeichen jeweils über
den Jahreszeichen. Sie sind durch eine schwarze Linie mit dem Jahreszeichen
verbunden. Auf der oberen Bildebene sehen wir den Tag 3 Haus (mixtekisch: co
(= drei) cuau/mau (= Haus)). Auf der unteren Bildebene ist der Tag 1 Alligator
(mixtekisch: ca/co (= eins) quevui (= Alligator))2 mit dem Jahreszeichen
verbunden.
2 Übersetzungen der Tageszeichen nach: Smith 1973:24-26.
4. Das Fragmento de Nochistlan
56
Personennamen
Ein wichtiger Grund der Anfertigung der mixtekischen Codices war es, die
Beziehungen und Interaktionen der Elite darzustellen. Jedes Mitglied der
Adelsklasse wird als Individuum mit dem eigenen Namen gezeigt. Der Name einer
Person setzt sich aus seinem Geburtsdatum und einem persönlichen Eigennamen
zusammen. Für das Geburtsdatum wird, wie für die Tagesangabe, das spezielle
Tageszeichenvokabular benutzt. Der Kulturheros 8 Hirsch heißt demnach auf
Mixtekisch: na (= 8) cuaa (= Hirsch). Der persönliche Name wurde laut Herrera im
Alter von sieben Jahren vergeben. Wie der Name ausgesucht wurde, ist hingegen
unbekannt. Es gibt auch den Fall, dass der Beiname einer Person im Laufe ihres
Lebens durch bestimmte Errungenschaften geändert wurde. Der persönliche
Name wird entweder sehr nahe an der Person dargestellt oder ist sogar mit ihr
verbunden. Die Person kann die Darstellung auch in den Händen halten, sie im
Kostüm oder im Kopfschmuck tragen oder auf eine andere Weise mit ihr
verwoben sein. Die Darstellung einer bestimmten Person kann in verschiedenen
Dokumenten variieren, sodass ihr Beiname mal in das Kostüm integriert und mal
isoliert neben der Person zu sehen ist. Ein Beiname, der hauptsächlich für
Männer verwendet wird, ist z.B. der Ballspielplatz. Ein Bestandteil, welcher häufig
in Frauennamen vorkommt, ist z.B. eine Blumengirlande (Smith 1973:27f.). Die
persönlichen Namen der Personen in den mixtekischen Codices werden als
Darstellungen abgebildet, welche bestimmte Laute der mixtekischen Sprache
repräsentieren. Bislang wurde dieser Aspekt noch nicht hinreichend erforscht,
weswegen weiterhin die Beschreibungen der Darstellungen als Namen genannt
werden (Troike 1978:561).
Im Fragmento trägt ebenfalls jede Person einen ihr zugeordneten Namen.
Die Identifikation der Namen ist aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes an
vielen Stellen schwer oder gar nicht möglich. Im Fragmento begegnen uns
Personen, die nur ein Geburtsdatum tragen, und Personen, die ein Geburtsdatum
und einen Beinamen tragen. Ein Beispiel für eine Person, die nur einen
Kalendernamen trägt, ist die erste Person oben links, Herr 8 Wind. Ein Beispiel für
eine Person mit einem Kalender- und einem Beinamen ist die Frau oben rechts.
Ihr Name ist teilweise zerstört, sodass wir als Kalendernamen lediglich das
Tageszeichen Rohr sicher identifizieren können. Es könnte sich um 7 Rohr oder
um 8 Rohr handeln, da das Ende der Nummernreihe nicht klar zu benennen ist.
4. Das Fragmento de Nochistlan
57
Ihr Beiname enthält als Detail ein buntes Band. Über dem Band ist noch ein Detail
zu sehen, welches man als untere Zahnreihe ausmachen könnte. Somit können
wir weder den Kalender- noch den Beinamen klar identifizieren. Die Diskussion
der einzelnen Personennamen wird in Kapitel 4.5.2. vorgenommen.
Hochzeit
Wenn ein Mann und eine Frau sich in einem Codex gegenübersitzen, so ist dies
die Szene ihrer Hochzeit (Smith 1973:29). Frauen und Männer sind in der Regel
an ihrer Kleidung und ihrer Frisur zu unterscheiden. Die Männer tragen einen
Umhang oder einfach einen Lendenschurz. Frauen tragen Röcke und sind oftmals
an ihrer Frisur zu erkennen, in die ein buntes Band eingeflochten ist. Oftmals sitzt
das Brautpaar auf niedrigen Hockern, auf einer Plattform, die mit einem Jaguarfell
belegt ist, auf einem Ortszeichen oder auf einer aus Bast gewebten Matte namens
petate. Es kann auch vorkommen, dass das Paar im Eingang eines Gebäudes
sitzt, das vermutlich ihre Residenz ist. Oftmals wird bei der Heiratsszene dem
Mann von der Frau ein Gefäß mit Kakao oder pulque (ein alkoholisches Getränk
hergestellt aus Agavensaft) angeboten. Wenn ein Paar auf einer gewobenen
Matte sitzt und in die gleiche Richtung schaut, wird angenommen, dass es sich
um ein bereits verheiratetes Paar handelt. Die Szenen beinhalten dann oftmals
das Empfangen von Gästen oder es wird die Elternschaft zu einer Person
dargestellt (Smith 1973:29). Es gibt noch weitere Heiratsszenen, die vereinzelt in
den verschiedenen mixtekischen Codices vorkommen. Die oben beschriebenen
sind allerdings der Regelfall und erscheinen auch im Fragmento.
Im Fragmento finden wir auf der oberen Bildhälfte drei Paare. Das Mittlere
ist komplett zerstört, es wird aber davon ausgegangen, dass sich dort ein Paar
befindet, da der Aufbau des Dokumentes, die angedeutete Plattform und der
schwach zu erkennende Name des Mannes daraufhin deuten. Bei allen drei
Paaren wird davon ausgegangen, dass es sich um eine Hochzeitsszene handelt.
Das erste Paar sitzt sich in einem Gebäude gegenüber. Die Frau sitzt auf einem
niedrigen Sitz. Das zweite und dritte Paar sitzt jeweils auf einer Plattform, die mit
einer Bastmatte belegt ist. Die einzelnen zu erkennenden Personen sitzen zudem
auf Hockern. Auf der unteren Bildhälfte sind zwei Paare zu sehen, bei denen sich
Mann und Frau gegenübersitzen. Am rechten Rand ist noch der Mann eines
dritten Paares zu erkennen. Bei dem zweiten und dritten Paar sitzen sich Mann
4. Das Fragmento de Nochistlan
58
und Frau wieder auf einer Plattform gegenüber, welche mit einer Bastmatte belegt
ist. Sie sitzen auf Hockern. Das erste Paar hingegen weicht in dieser Hinsicht von
den anderen Darstellungen ab.
Besuchsszene
Bei einer Besuchsszene sitzen oder stehen sich auch zwei Personen gegenüber.
Diese können auch das gleiche Geschlecht haben. Oftmals sitzt eine der beiden
Personen auf einem Ortszeichen und die andere nicht. Dies zeigt dann, dass
derjenige, der im Ortszeichen sitzt, von dem davor besucht wird. Manche dieser
Szenen ähneln eher einer religiösen Pilgerschaft, bei der ein Priester oder eine
personifizierte Gottheit besucht wird (Smith 1973:30).
Das erste Paar in der unteren Hälfte des Fragmentos weicht in der
Darstellungsweise von den übrigen ab, da der Mann in dem Gebäude sitzt und die
Frau davor auf einer Bastmatte. Auch die Handhaltung des Mannes und die
Tatsache, dass sich irgendetwas zwischen den beiden befindet, sind diesem Paar
eigen. Es besteht die Frage, ob es sich wirklich um eine Hochzeitsszene handelt
oder eventuell um einen Besuch der Frau bei dem Mann im Sinne einer
Besuchsszene. Die Gesten des Paares, wie oben (Zeigefingerhände)
beschrieben würde dies unterstützen, da die Kommunikation von Anliegen und
Gewähren bei einer Besuchsszene durchaus passend wäre. Aufgrund der
Struktur des Fragmentos als klar genealogisches Dokument ist jedoch
anzunehmen, dass es sich bei dieser Darstellung um eine Heiratsszene handelt.
Nowotny hat diesen Unterschied zu den übrigen Darstellungen ebenfalls
angemerkt. Er sieht in der Darstellung eine Hochzeitsszene und sagt: „Dieses
Paar ist von den folgenden Paaren dadurch ausgezeichnet, dass der männliche
Teil in einem prächtigen Haus, in einem Palast, sitzt (Nowotny 1975:10).“
4.4.3. Glossen
Die auf spanischer und mixtekischer Sprache eingefügten Glossen unterhalb der
Darstellungen sind ebenso von Zerstörung beeinträchtigt wie die gemalten
Figuren. Das Fragmento enthält Glossen in mindestens 3 verschiedenen
Handschriften. Smith erkennt sogar 4-5 verschiedene Schreiber. Sie geht in ihrem
4. Das Fragmento de Nochistlan
59
Artikel „Codex Becker II: A Manuscript from the Mixteca Baja?“ allerdings nur
detailliert auf die Glossen ein, die sich innerhalb der Ortszeichen befinden (Smith
1979:35). Diese werden im Kapitel 4.5.1. diskutiert.
Neben den geschriebenen Worten scheinen auch Abkürzungen unter die
Szenen geschrieben worden zu sein. Sie bestehen aus einzelnen Buchstaben mit
einem Punkt dahinter. Dies könnte darauf hindeuten, dass hier eine Art
Kennzeichnung bzw. Nummerierung vorgenommen wurde. Unterhalb der Person
8 Wind findet sich zudem ein Kringel, der wie eine kleine Nummer 6 aussieht.
Dies wäre dann aber die einzige Zahl.
Nowotny ist der Meinung, dass die Glossen innerhalb der Ortszeichen mit
derselben schwarzen Tinte vorgenommen wurden, wie die Umrisse der
Darstellungen und folgert daraus, dass der Maler die lateinische Schrift
beherrschte. Neben diesen Glossen gibt es noch in Blei geschriebene und weitere
in Tinte geschrieben (Nowotny 1975:9).
Beischriften auf anderen Dokumenten dieser Art haben gezeigt, dass es
sich meist um lateinschriftliche „Übersetzungen“ des Dargestellten handelt. Es
wurde also erklärend notiert, was auf der Bilderhandschrift zu sehen ist. Aufgrund
dieser Tatsache habe ich also zunächst das mixtekische Vokabular der
Tageszeichen und Zahlen herangezogen, um festzustellen, ob die Tageszeichen
in den Glossen wiederholt werden. Dann habe ich in den Wörterbüchern von
Alvarado (1963) und de los Reyes (1889) die Vokabeln der Details nachgeschaut,
die in den persönlichen Beinamen und in den Ortszeichen vorkommen. Das
Resultat dieser Recherche ist allerdings dürftig. Dies liegt, wie in der Einleitung
erklärt, an meinen fehlenden Mixtekisch-Kenntnissen sowie an der Lesbarkeit der
Handschriften.
Mögliche Deutungen – Oberes Register
Von links nach rechts betrachtet kann man als Erstes die kleine Zahl Sechs
sehen, wo der Fuß des Herrn 8 Wind an das Ortszeichen anschließt. Unter dem
Jahreszeichen liest Nowotny die Glosse jahunachi (ya-una-chi), in der er die
mixtekische Übersetzung für 8 Wind erkennt (Nowotny 1975:11). Hier fällt es mir
schwer, seine Lesung nachzuvollziehen. Ebenso, wie man in dem Anfang des
Wortes yahun... erkennen kann, könnte man zum Beispiel ein yahui... sehen.
Yahui heißt Marktplatz oder Gehalt, Preis, Kosten (Smith 1973b:64). Es steht im
4. Das Fragmento de Nochistlan
60
Codex Muro als Glosse neben einer Person mit den Attributen der Feuerschlange
im persönlichen Namen und könnte somit ein Hinweis auf eine Feuerschlange
sein (Smith 1973b:62).
Die nächste klar erkennbare Glosse ist die Inschrift el cazique oberhalb
des ersten Paares (Nowotny 1975:9).
Auf der rechten Seite, unterhalb des letzten Paares im oberen Register,
kann man deutlich das Wort dzo erkennen. Laut Smith heißt dzoo „gewebtes
Kleidungsstück/Gewand“ (Smith 1973:197). Alfonso Caso erklärt sogar, dass mit
dzoo der Umhang des Mannes gemeint ist (Caso 1977:30). Idzo ist das Wort für
Kaninchen, wäre allerdings nicht das richtige Wort für das Tageszeichen, welches
hier ja zu finden ist. Das Wort für das Tageszeichen Kaninchen ist sayu oder xay
(Smith 1973:24).
Mögliche Deutungen – Unteres Register
Unter dem ersten Ortszeichen, auf dem Unteren Register, meint Nowotny
yododuhua zu erkennen. Er übersetzt dies mit „Schlucht bei der meseta oder
ähnlich“ (Nowotny 1975:10). Meiner Meinung nach könnte man im ersten Teil des
Wortes aber auch toto lesen. Das heißt Stein/Felsen (Smith 1973:199). Unter der
zweiten Ortsglyphe im unteren Register liest Nowotny die Glosse yodocuta und
übersetzt dies mit „Ebene am Wasser oder dergleichen“ (Nowotny 1975:10). Aus
der entsprechenden Glosse Nowotnys vorgeschlagenes Wort herauszulesen finde
ich sehr schwierig.
Nowotny beschreibt die Tintenzeichnung am Herrn 3 Blume in der unteren
Bildebene als einen Zeigefinger, der auf el cazique im oberen Register weist
(Nowotny 1975:9). Diese Deutung Nowotnys kann ich nicht nachvollziehen. Mir
sieht die Zeichnung eher wie eine Ehecatl-Maske aus, aber diese Deutung ist rein
spekulativ. Ein solches Attribut hätte an dieser Stelle, so dicht am Körper, den
Zweck eines persönlichen Beinamen. Da dieser Zusatz allerdings nachträglich
eingefügt wurde, bestünde die Frage der Richtigkeit dieser Angabe.
Die nächste klar erkennbare Glosse befindet sich unter dem Palast, in dem
der Mann des ersten Paares sitzt. Hier steht aniñe, was Palast bedeutet und hier
demnach zur Abbildung passt (Smith 1973:71).
4. Das Fragmento de Nochistlan
61
4.5. Interpretations- und Diskussionsebene
4.5.1. Ortszeichen
Im Fragmento de Nochistlan gibt es drei Ortszeichen, eins im oberen und zwei im
unteren Register. Die Ortszeichen im unteren Register sind nahezu identisch und
beschreiben aller Wahrscheinlichkeit nach denselben Ort.
Die Merkmale der Ortszeichen entsprechen den Darstellungskonventionen
der mixtekischen Codices, wie sie in Kapitel 4.4.2. beschrieben wurden.
Oberes Register
Die Charakteristika des Ortszeichens sind eine sich aufrollende Welle bzw. ein
Wasserstrudel, welcher aus dem Hügel hervortritt, und ein eingeschnürtes Bündel
im oberen Teil des Hügels. Meines Erachtens könnte man die Form des Bündels
als die eines Feuersteinmessers beschreiben (vgl. Kapitel 4.4.2.). Die Inschrift
oberhalb des Bündels endet mit den Buchstaben YA. Vor dem Y ist auch noch ein
senkrechter Strich auszumachen, der sowohl ein I als auch der hintere Strich
eines H oder eines M sein könnte (Nowotny 1975:11). Jansen weist darauf hin,
dass die Inschrift im Falle eines IYA auf einen Herrn
hinweisen würde, da dies das mixtekische Wort für
„Herr“ (im Sinne von Herrscher, Ahne) ist (Jansen
1994:199).
Nowotny erkennt in diesem Ortszeichen auf
Grund des Wasserstrudels den Ort Apoala
(1975:10). Diese Deutung ist allerdings nicht
plausibel, da Alfonso Caso (1958) und auch
Maarten Jansen (1976) Apoala als Fluss
identifizierten, in dem eine Hand Federn oder Grass
hält. Das Detail der Hand mit den Federn ist beim
Ortszeichen von Apoala ausschlaggebend (Smith
1979:31).
Alfonso Caso erklärt, Herr 1 Wind „Haar aus
Blumen“ aus Culhuacan könnte der Gleiche sein wie Herr 8 Wind aus dem
Fragmento, weil in der Namensnennung häufiger 1 und 8 verwechselt wurden.
Abb. 26: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
62
Somit könnte es sich hier um den Ort Culhuacan handeln (Caso 1977:127,
1979:59). Dies hält Smith für unwahrscheinlich, da das Ortszeichen von
Culhuacan aus einem Hügel besteht, dessen Spitze sich aufrollt. Wasser oder ein
Bündel sind nicht Teile des Ortszeichens (Smith 1979:30).
Jansen schlägt eine andere Interpretation dieses Ortszeichens vor: Den
Berg und das Wasser könne man demnach als yucu nduta deuten, das
mixtekische Äquivalent zum aztekischen altepetl – ein allgemeiner Ausdruck für
Stadt. Das Bündel im oberen Bereich des Hügels ist schwer zu deuten, da man
nicht sagen kann, aus welchem Material das Paket ist. Es könnte sich um Blätter,
z.B. Tabakblätter, handeln, welche mit einem Seil verschnürt sind. Dieses Bündel
könnte das heilige Bündel sein, welches das „Herz“ jeder Ortschaft darstellt. Somit
könnte dieses Ortszeichen ein ganz genereller Hinweis auf eine Ortschaft sein,
ohne eine bestimmte damit zu meinen. Auf der anderen Seite könnten der
Wasserstrudel und das Bündel auch Hinweise auf eine ganz bestimmte Ortschaft
sein (Jansen 1994:199). Wenn „nur“ eine Stadt an sich gemeint wäre, scheint es
allerdings unlogisch, dass eine ganz bestimmte Genealogie, mit bestimmten
Personen, die durch Namen gekennzeichnet sind, folgt.
Vergleiche
Im Vergleich mit anderen mixtekischen Codices fielen besonders zwei
Ortszeichen durch ihre Ähnlichkeit zum Ortszeichen aus dem Fragmento auf. Das
Erste ist im Codex Bodley zu sehen, Vorderseite, Seite 7, Band V:
Prägnant ist hier der Wasserstrudel, welcher
dem Berg entspringt. Im unteren Teil des Berges
befindet sich ein geöffneter Mund, aus dem ein Stein
ragt. Auf dem Berg ist ein weiterer Stein abgebildet.
Könnte hier eine Parallele zu dem eingeschnürten
Paket (Feuersteinmesser?) aus dem Fragmento
vorliegen?
Das Ortszeichen kommt innerhalb der Erzählung
über Herr 5 Alligator Regen Sonne vor, dem Vater des
berühmten Eroberers Herrn 8 Hirsch Jaguarkralle. 5 Alligator wurde Hohepriester
des Ortes Tilantongo und heiratete zwei Frauen. Das oben genannte Ortszeichen
ist als Herkunftsort der Eltern der einen Frau von 5 Alligator genannt. Frau 9 Adler
Abb. 27: Bodley, S. 7 Bd. V.
4. Das Fragmento de Nochistlan
63
Kakaoblume und ihre Eltern Herr 8 Regen Kriegsadler und Frau 12
Feuersteinmesser Quetzalfedern kommen hierher. Jansen gibt keine mögliche
Identifikation des Ortes an (Jansen/Pérez 2005:61).
Caso schlägt als Identifikation den Ort Tecamachalco vor, gibt aber keine
Herleitung oder Begründung für diesen Vorschlags an. Er nennt den Ort „Stein-
Mund-Hügel“ und gibt an, dass auch 5 Alligators andere Frau aus diesem Ort kam
(Caso 1960:37). Dies ist im Codex Bodley auf Seite 8, Band III dargestellt. Das
Ortszeichen an dieser Stelle wird allerdings variiert
gezeigt. Anstelle eines Hügels ist der Mund mit dem
Stein an einer Plattform dargestellt. Caso sieht es
aber auf Grund der kennzeichnenden Elemente als
den gleichen Ort an (Caso 1960:36).
Vorausgesetzt dass dies wirklich das gleiche Zeichen wie das Bergzeichen
mit dem Wasserstrudel ist, ist es unwahrscheinlich, dass es sich dabei um den Ort
handelt, der im Fragmento abgebildet ist. Das Detail des Mundes mit dem Stein
ist ein sehr spezifisches Merkmal, das sich im Ortszeichen des Fragmentos nicht
wiederfindet.
Das zweite Ortszeichen, welches dem im Fragmento ähnelt, ist mehrfach im
Codex Selden zu finden. Codex Selden befasst sich mit der Genealogie des Ortes
Jaltepec. Das Ortszeichen enthält einen charakteristischen Wasserstrudel und ist
in sich zweigeteilt. Die obere Hälfte ist blaugrün und die untere ist zweifarbig
gestreift. Der Wasserstrudel sowie die Aufteilung entsprechen der des
Ortszeichens im Fragmento. Lediglich das eingeschnürte Bündel fehlt hier. John
Pohl beschreibt den Ort als „Hill of the Whirlpool“ (Pohl o.D.).
Abb. 28: Bodley, S. 8, Bd. III.
Abb. 29: Selden, S.5, Bd. III.
Abb. 30: Selden, S. 10, Bd. IV.
Abb. 31: Selden, S. 14, Bd. II.
4. Das Fragmento de Nochistlan
64
Bei seiner Beschreibung des Codex Selden beschreibt Caso die Ortszeichen mit
dem Wasserstrudel als „Cerro del Agua“ und geht weiter nicht drauf ein (Caso
1964:31). Bei den weiteren Erscheinungen nennt er den Ort „Cerro del Agua
torcida“ (Caso 1964:37).
Auf Seite 5, Band III kommt das Ortszeichen mit dem Wasserstrudel als
Herkunftsort der Frau 7 Tod Feuerfächer vor, welche durch Heirat mit Herrn 3
Regen Striche im Ballspielplatz in die Herrschaftslinie von Jaltepec einheiratet.
Ihre Eltern (Herr 1 Schlange Auge im Ballspielplatz und Frau 8 Feuersteinmesser
Bewegung des Bandes) sitzen auf dem besagten Ortszeichen, von dem
Fußspuren zu ihr führen. Jansen nennt den Ort „Cerro Negro (Tnoo/Tiltepec?) con
Ojo de Agua“ und schlägt als Identifikation von „Cerro Negro“ Yucu Tnoo/ Tiltepec
vor. Als zusätzliches Element trägt dieses Ortszeichen allerdings den
Wasserstrudel, den Jansen offenbar nicht ganz einordnen kann. Er gibt für die
vermutete Verortung für Cerro Negro keine weitere Herleitung, Belege oder
Erläuterung an. Zeitlich kann man diese Szene in die Jahre vor ca. 1040 n.Chr.
einordnen (Jansen/Pérez 2007:192). In den folgenden Aufzeichnungen im Codex
Selden, die bis in die frühe Kolonialzeit reichen, werden immer wieder Töchter
nach „Cerro Negro con Ojo de Agua“ verheiratet bzw. heiraten Töchter von dort in
die Dynastien von Jaltepec ein. Dies zeigt eine ausgeprägte sozio-politische
Verbindung beider Städte.
Hill of the Whirlpool im Codex Selden
Seite 5, Band III
Seite 9, Band IV
Seite 10, Band IV
Seite 14, Band II
Seite 15, Band III
Seite 19, Band IV
Unteres Register
Das Ortszeichen im unteren Register besteht aus einem Hügel, welches in einem
Fundament endet. Ein solches Fundament steht für eine Stadt: ñuu. Über dem
Fundament liegt ein Schachbrettmuster. Innerhalb des Hügels gibt es zwei
4. Das Fragmento de Nochistlan
65
Inschriften. Die Obere kann man NVNAA lesen. Die Untere habe bislang nur ich
unter ultra-violettem Licht gesehen. Hier steht NVSIHYA.
Nowotny stützt sich bei der Identifizierung
dieses Ortes auf die obere Inschrift, die er NVNAA
liest. Im Katalog von Gracida (1889) werden ñuñaa
und nuyoo als mixtekische Namen für den Ort San
Pedro Cantaros im Distrikt Nochistlan genannt. Der
aztekische Name für den Ort ist Cozcaltepec
(Nowotny 1975:10).
Smith meint, es kann sich bei dem
Schachbrettmuster-Ort nicht um Ñunaa (San Pedro
Cantaros) handeln, da schon der Codex Muro3 von
dort kommt und keine Person aus dem Codex Muro im Codex Becker II erscheint
(Smith 1979:33). Caso nimmt ebenfalls an, dass der Codex Muro aus Ortschaft
San Pedro Cantaros stammt. Den mixtekischen Namen Ñunaha/Ñunaa übersetzt
er mit „Alte Ortschaft“ (Caso 1977:114)4.
Smith vermutet hinter dem Schachbrettmuster-Ortszeichen den Ort Santos
Reyes Yucuna in der Mixteca Baja, etwa 23 km von Huajuapan de León entfernt.
Laut des Kataloges von Gracida heißt der mixtekische Name „dunkler Hügel“
(yucu: Hügel, na oder naa: dunkel) (Smith 1979:32). Sie führt allerdings keine
Gründe oder argumentative Hinführung zu dieser Vermutung an.
Smith sieht in der oberen Inschrift des Ortszeichend YY(A?)NAA. Sie meint
zudem, im Ortszeichen des oberen Registers ebenfalls NAA zu sehen. Die
Inschriften hätten also die gleiche Endung. Sie schlägt vor, dass mit den
Inschriften nicht etwa der Name der Ortschaften gemeint ist, sondern eine
Beschreibung der folgenden Personen. Yya naa übersetzt sie mit „adelige
Bildnisse“ oder „verstorbene Adelige“. Dass im unteren Register die Inschrift nur
im zweiten Ortszeichen vorkommt, aus dem der Adelige heraussteigt, ist für sie
ein Argument, das diese These unterstützt (Smith 1979:33). Da ich selbst das
Original gesehen habe, muss ich Frau Smith an dieser Stelle entschieden
widersprechen. Bei genauer Betrachtung sind die Inschriften YA im oberen
3 Ein kolonialzeitliches genealogisches Dokument. 4 Die unterschiedlichen Schreibweisen des mixtekischen Namens der Ortschaft San Pedro Cantaros wurde hier aus den verschiedenen Quellen übernommen.
Abb. 32: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
66
Register und NVNAA im unteren Register deutlich zu erkennen, ebenso wie auch
Nowotny sie gesehen hat5.
Auch Jansen ist Smiths Argumentationsführung zu ungenau. Er nimmt ihre
Annahme, es handele sich um den Ort Santos Reyes Yucuna, aus diesem Grund
nicht an (Jansen 1994:197). Der mixtekische Name Ñuu naa, übersetzt mit
„dunkler Ort“, erscheint Jansen allerdings ebenfalls eine geeignete Bezeichnung
des Ortes. Er führt weiterhin an, dass in den mixtekischen Codices ein
„Schachberg“ vorkommt, welcher die Himmelsrichtung Norden angibt. Er heißt
Yucu Naa im Mixtekischen. Dieses Zeichen kommt oft zusammen mit einem
gespaltenen Berg vor. Es gibt allerdings auch Hinweise darauf, dass es sich bei
Yucu Naa um einen bestimmten Ort handeln könnte (Jansen 1994:197,198). Es
ist somit für Jansen nicht auszumachen, ob es sich bei dem „Dunklen Ort“ im
Fragmento de Nochistlan um die Himmelsrichtung Norden handelt oder um einen
bestimmten Ort in der Mixteca Baja (Jansen 1994:199).
Die untere Inschrift NVSIHYA nennt den mixtekischen Namen des Ortes
Tetzoatlan in der Mixteca Baja. In der Ortsliste von de los Reyes wird er mit
nuusiya aufgeführt (Reyes 1889:90). Im Codex Bodley gibt es ein Ortszeichen,
welches Jansen tentativ als Tetzoatlan identifiziert. Es erscheint auf Seite 4, Bd. I,
auf Seite 36, Bd. IV und auf Seite 37, Bd. III. Er nennt es „Hill of the Pearls“, da es
aussieht, als ob auf der Spitze eines Hügels ein Haufen Perlen liegt. Allerdings ist
er sich bei der Deutung nicht sicher – er benutzt bei jeder Nennung ein
„möglicherweise“ oder „eventuell“ – und gibt keinerlei Erläuterung für diese
Vermutung an (Jansen/Pérez 2005:56).
Vergleiche
Das Schachbrettmuster kommt häufig als Detail in den mixtekischen Codices vor.
Oftmals ist es ein Teil des persönlichen Namens einer Person, wie z. B. im Codex
Bodley, Seite 18, Band II. Hier ist ein Herr abgebildet, in dessen Rücken sich ein
Viereck mit einem Schachbrettmuster befindet. Caso sieht das Schachbrettmuster
als Teil des Namens des Herrn: 11 Regen, „Eagle Checkered Board“ (Caso,
1960:48). Jansen sieht das Schachbrett ebenfalls als Teil des Namens, übersetzt
ihn allerdings als „Dark Eagle“ (Jansen/Pérez 2005:71). 5 An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass nur Mary E. Smith, Karl A. Nowotny und ich das Dokument im Original gesehen haben.
4. Das Fragmento de Nochistlan
67
Im Codex Nuttall, Seite
60 findet sich ein
weiteres Beispiel für
das Schachbrettmuster
als Namensdetail. Hier
ist Herr 4 Adler
abgebildet. Sein Bei-
name besteht aus
einem Adler, der auf
einem Schachbrett-
muster sitzt. Die Kombination von Adler und Schachbrett kommt hier erneut vor.
Dann gibt es Stellen, an denen die Bedeutung unklar ist, wie z.B. im Codex
Bodley, Seite 14, Band V. Hier schießt 8 Hirsch Jaguarkralle mit Pfeil und Bogen,
er befindet sich auf der Jagd. Über der Waffe ist ein kleines Viereck mit einem
Schachbrettmuster zu sehen. Caso äußert
sich hierzu in seiner Analyse des Codex
Bodley (1960) nicht. Auch Jansen (2005)
spricht dieses Detail nicht an.
An anderer Stelle ist Jansen sich
sicher, dass es sich um die Angabe der
Himmelsrichtung Norden handelt. Im Codex
Bodely, Seite 4, Band III kommt ein
Ortszeichen vor, welches Caso als
„Mountain that opens, checkered peak“
beschreibt. Es gehört eigentlich zur Szene auf Seite 3, Band III in der Herr 10
Alligator stirbt (Caso 1960:28). Jansen nennt den Ort „Split Dark Mountain“, in der
Nähe von Tepeji. Dies sei das emblematische Zeichen
des Nordens (Jansen/Pérez 2005: 57).
Im Codex Vindobonensis kommt das
Schachbrettmuster im Zusammenhang mit Orten
häufiger vor. In einer Aufzählung von Orten auf Seite
45 ist auch eine Darstellung von zwei Hügeln in einem
Zeichen, von denen einer oben gespalten ist und einer
ein Schachbrettmuster als Spitze hat. Die
Autorengruppe um Ferdinand Anders erkennt hier
Abb. 35: Bodley, S. 14, Bd. V.
Abb. 36: Bodley, S. 4, Bd. III.
Abb. 33: Bodley, S. 18, Bd. II.
Abb. 34: Nuttall, S. 60.
4. Das Fragmento de Nochistlan
68
erneut das emblematische Zeichen für Norden. In der Liste von Orten, in der es
auftaucht, werden auch die anderen Himmelsrichtungen aufgeführt. Dies
geschieht innerhalb der Entstehungsgeschichte der Mixteca
(Anders/Jansen/Pérez 1992:100).
Auf Seite 21 oben rechts erscheint ein
Tempel, in dem sich das Schachbrettmuster
befindet. Weiter unten sehen wir eine Hügelkette als
Landschaft. Einer der Hügel hat ein
Schachbrettmuster als Spitze. Tempel und
Hügelspitze korrespondieren, auch die anderen
Hügelkuppen haben einen zugehörigen Tempel.
Anders, Jansen und Pérez beschreiben, dass hier die Gründung der Orte im
Norden der Mixteca dargestellt ist. Die Kombination aus Schachhügel und
gespaltenem Hügel sei der Hinweis auf die Himmelsrichtung
(Anders/Jansen/Pérez 1992:153).
Abb. 38: Vindobonensis, S. 21.
Innerhalb einer riesigen Landschaft auf Seite 9, in der viele Orte
verzeichnet sind, befindet sich auch ein Fluss mit einem Schachbrettmuster als
Boden/Flussbett. Anders, Jansen und Pérez beschreiben hier die Entstehung der
Region um den Ort „Cerro de la Lluvia“ (Hügel des Regens).
Genauer gehen sie auf diese Abbildung aber nicht ein. Teil der
gleichen Aufzählung und ebenfalls nicht genauer beschrieben
ist das Schachbrettfries auf Seite 6 (Anders/Jansen/Pérez
1992:176).
Abb. 37: Vindobonensis, S. 45.
Abb. 39: Vindobonensis, S. 9.
4. Das Fragmento de Nochistlan
69
Zusammenfassung
Die Identifizierung des Ortes im oberen Register als
Apoala oder Culhuacan ist zu verwerfen. Die
Möglichkeit, dass hier eine Stadt an sich abgebildet
ist, erscheint ebenfalls unschlüssig, da eine
spezielle Genealogie folgt. Die frappierende
Ähnlichkeit zum „Hill of the Whirlpool“ aus dem
Codex Selden sollte in zukünftigen Forschungen
weitergehend untersucht werden.
Nowotnys Ansatz der Identifizierung des
Ortes im unteren Register als San Pedro Cantaros
scheint einleuchtend und nachvollziehbar. Smiths Argument, dass es dann eine
Übereinstimmung mit dem Codex Muro geben müsste, steht dem entgegen. Fest
steht, dass das Schachbrettmuster für sich ein Element der mixtekischen Schrift
ist. Es wird auf verschiedene Art und Weise benutzt. Jansen schreibt ihm den
Terminus „dunkel“ zu. In Kombination mit einem gespaltenen Berg steht der
Schachbrettmusterberg hingegen wahrscheinlich für die Himmelsrichtung Norden.
Da im Fragmento allerdings der Schachberg alleine vorkommt, ist es
unwahrscheinlich, dass hier eine Himmelsrichtung gemeint ist. Die Bezeichnung
„Dunkler Berg“ oder „Dunkler Ort“, den Jansen für dieses Ortszeichen
vorgeschlagen hat, ist ein guter Anfang, dem Ortszeichen einen Namen zu geben.
Durch Jansens Forschung zu den Darstellungen der Himmelsrichtungen ist die
„Übersetzung“ des Schachbrettmusters mit „Dunkelheit“ durchaus
nachvollziehbar.
Die Inschrift NVSIHYA, welche auf den Ort Tetzoatlan in der Mixteca Baja
hindeutet, ist als Hinweis durch meine Untersuchung neu dazugekommen. Ob es
sich bei dem Ortszeichen wirklich um Tetzoatlan handelt, kann allerdings nicht mit
Sicherheit gesagt werden. Hierzu wären weitere Forschungen nötig, die eventuell
vorhandene Dokumente aus dem Ort und seiner Umgebung miteinschließen
müssten. Dennoch ist es ein Hinweis, der dabei behilflich sein könnte, die Identität
des Ortes zu entschlüsseln.
Abb. 40: Vindobonensis, S. 6.
4. Das Fragmento de Nochistlan
70
4.5.2. Personen
Im Folgenden werde ich die im Fragmento dargestellten Personen diskutieren.
Beginnend mit dem oberen Register von links nach rechts, dann das untere von
links nach rechts.
Oberes Register
Herr 8 Wind (ohne persönlichen Beinamen)
8 Wind ist der Kalendername einer herausragenden
Person, die in verschiedenen Codices vorkommt. In den
Codices Selden (5, III), Bodley (5-6, V) und Vindobonensis
(35a) trägt er den Beinamen 20 Adler. In Bodley und
Vindobonensis sind die Adler, die den Beinamen
darstellen, grau und im Selden ist der Adler rot. Im Codex
Nuttall (1-7) trägt er den Beinamen Feuersteinmesser
Adler (Flinted Eagle). In den verschiedenen Codices wird 8
Wind in Zusammenhang mit seiner dritten Frau, 10 Hirsch
Jaguar Quechquemitl, gezeigt. Aus diesem Grund wird
davon ausgegangen, dass es sich bei 8 Wind
Feuersteinmesser Adler und 8 Wind 20 Adler um dieselbe
Person handelt (Furst 1978:13). Der Codex Nuttall beginnt
mit der Geburt von 8 Wind aus der Erde und stellt ihn als eine Art Ahnengottheit
dar, welche in direktem Zusammenhang mit der Erde, also dem mixtekischen
Land, steht. So beziehen sich in den verschiedenen Dokumenten
Herrschaftsdynastien auf ihn als Vorfahren, um so die rechtmäßige Vorherrschaft
über das Gebiet zu demonstrieren (Furst 1977:208).
Herr 8 Wind aus dem Fragmento hat durchaus eine ähnliche Rolle inne. Er
tritt aus dem Ortszeichen heraus, wird also ebenfalls aus der Erde geboren und
wird hier als erster Ahne der Dynastie dargestellt. Nowotny sieht in der Person 8
Wind die einzige mögliche Verbindung zu anderen Dokumenten (Nowotny
1975:9). Smith (1979:34) und auch Jansen (1994:199) finden dies
unwahrscheinlich, da keines der üblichen Attribute des 8 Wind 20 Adler/
Feuersteinmesser Adler am Herrn 8 Wind aus dem Fragmento zu sehen ist.
Abb. 41: Herr 8 Wind. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
71
Da 8 Wind keinen Beinamen trägt, ist allerdings nicht zu sagen, ob es sich
tatsächlich um den bekannten Herrn 8 Wind Feuersteinmesser Adler/20 Adler
handelt. Wie schon erwähnt, wäre es möglich, dass sowohl 8 Wind wie auch 3
Blume aus dem unteren Register in den jeweils folgenden Paaren vorkommen.
Falls es sich also beim Mann des ersten Paares im oberen Register um 8 Wind
handeln sollte, so enthielte der Beiname die Details Wind und Juwel. Es würde
sich demnach nicht um den berühmten 8 Wind Feuersteinmesser Adler/20 Adler
handeln.
Nicht identifizierbarer Mann
Links neben 8 Wind in dem Gebäude sehen wir
einen Mann, dessen Kalendernamen wir nicht
erkennen können. Wir sehen lediglich im Fries des
Gebäudes etwas, was wie eine Ehecatl-Maske an
einer Juwelenscheibe aussieht. Weiter rechts im
Fries sind dann ein zweites Mal die „Lippen“ der
Ehecatl-Maske erkennbar. Vor diesem Mann
befindet sich die Glosse el cazique. Wie oben
erwähnt, könnte es sich um die Wiederholung des
Herrn 8 Wind handeln. Es könnte aber auch ein
Nachfahre des 8 Wind sein.
Frau 3 Haus Ñuhu der Pflanze und des Wassers
Die Frau des ersten Paares ist Frau 3 Haus. Ihr
Beiname setzt sich aus einem roten Kopf einer
Pflanze und evtl. einer Wasserwelle zusammen. An
der Pflanze sind ein Blatt und zwei Auswüchse
erkennbar, welche Blüten sein könnten. Jansen
identifiziert den roten Kopf als Symbol für das Wort
ñuhu = Gott. In Zusammenhang mit dem Wasser
ergibt sich das Wort ndutañuhu = Meer. Alternativ
bietet er die Beschreibung der Darstellungen als
Name an: Ñuhu der Pflanze und des Wassers
(Jansen 1994:203). Nowotny gibt der Frau den
Namen 3 Haus Wasserpflanze (Nowotny 1975:11).
Abb. 42: „el cazique“. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Abb. 43: Frau 3 Haus Ñuhu der Pflanze und des Wassers. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
72
Wie in Kapitel 4.5.3. noch näher erläutert werden wird, kann die Wiederholung
des Tages des vorangehenden Datums im Kalendernamen der Frau darauf
hinweisen, dass hier die erste Herrscherin der Dynastie genannt wird (Jansen
1988:168).
Herr 12 Rohr Jaguar-(?)
Der Mann des zweiten Paares ist gänzlich zerstört. Lediglich Details des Namens
sind zu erkennen. Der Kalendername ist 12 Rohr. Der Beiname enthält das
Element Jaguar. Hier unterscheidet
sich meine Wahrnehmung ganz
entschieden von Nowotnys. Er nennt
als Kalendernamen 12 Jaguar und
sieht offenbar das unter der
Nummernreihe liegende Rohr nicht
(Nowotny 1975:11). Auch Jansen
nennt den Namen 12 Jaguar, wobei
aus seiner Literatur, wie bereits
erwähnt, nicht hervorgeht, dass er
das Original gesehen hat. Er bezieht
sich hier sehr wahrscheinlich nur auf
Nowotnys Angabe (Jansen
1994:203). Ich bin der Meinung, dass
das Rohr sichtbar ist, und bleibe
deshalb beim Namen 12 Rohr
Jaguar-(?).
Nicht identifizierbare Frau
Die Frau des zweiten Paares ist nicht auszumachen, da diese Stelle des
Fragmentos stark beschädigt ist.
Herr (?) Kaninchen Schäumender Pulquekrug
Der Kalendername des Herrn enthält das Tageszeichen Kaninchen. Drei Punkte
sind zu erkennen, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass weitere Punkte vorhanden
waren. Der Beiname enthält ein Gefäß, aus dem eine sehr große runde
Schaumwolke hervorkommt. Der Schaum scheint von einem roten Band
Abb. 44: Namensglyphe 12 Rohr Jaguar. Aus: Fragmento de Nochistlan.
Abb. 45: Namensglyphe 12 Rohr Jaguar. Aus: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
73
eingefasst. Nowotny (1975:11) wie auch Jansen
(1994:203) erkennen einen Pulquekrug. Die
spezielle Form des Kruges hat mich nach
Vergleichsdarstellungen suchen lassen, da in
anderen mixtekischen Codices die Krüge eine
andere Form haben.
Abb. 47: Fragmento de Nochistlan.
Abb. 48: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Abb. 49: Nuttall, S. 28.
Abb. 50: Nuttall, S. 84.
Abb. 51: Bodley, S. 30, Bd. IV.
Abb. 52: Vindobonensis, S. 25.
Abb. 53: Bodley, S. 30, Bd. V.
Abb. 54: Vindobonensis, S. 18.
Abb. 55: Vindobonensis, S. 18.
Abb. 56: Vindobonensis, S. 45.
Abb. 57: Bodley, S. 36, Bd. II.
Die Darstellungen der Krüge, ob für Kakao, Pulque oder andere Inhalte
verwendet, sind in den verschiedenen Codices recht konform. Entweder sind sie
einfache runde Schalen oder Gefäße mit zwei/drei Füßen und evtl. noch einem
Haltegriff an jeder Seite. Der Krug im Fragmento hat eine abweichende Form. Der
Boden ist rund und an jeder Seite befinden sich zwei Auswüchse. Das rote Band,
welches im Fragmento die Schaumkrone umfasst, findet sich bei manchen
Abb. 46: Herr (?) Kaninchen Schäumender Pulquekrug. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
74
Krügen in anderen Codices am oberen Rand des Kruges. Manchmal liegen
Knochendorne, andere längliche Objekte, Messer oder Kakaoblüten oder –
bohnen auf dem Gefäß. Es konnte ebenfalls keine vergleichbare Abbildung für die
sehr große und runde Schaumkrone des Kruges gefunden werden.
Frau (?) Rohr Buntes Band-(Zahnreihe?)
Der Kalendername der Frau, die im oberen Register ganz rechts sitzt enthält 7
Punkte. Ob noch weitere folgen, ist nicht klar zu erkennen, da hier das Fragmento
beschädigt ist. So ist auch der persönliche Name nicht genau zu erkennen.
Deutlich hervor sticht das gewundene bunte Band über der Nummernreihe. Über
dem Band scheint es ein weiteres Detail zu geben, welches eine untere Zahnreihe
darstellen könnte.
Unteres Register
Herr 3 Blume (kein persönlicher Name vorhanden)
Aus dem zweiten Ortszeichen im unteren Register steigt Herr 3 Blume mit weit
ausgestreckten, zum Himmel weisenden Armen. Er trägt lediglich einen
Lendenschurz.
Abb. 58: Fragmento de Nochistlan.
Abb. 59: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
75
Herr (?) Blume
Der folgende Herr trägt das Detail Blume in seinem Namen. Ob es Teil des
Kalender- oder des persönlichen Namen ist, ist unklar. Demnach könnte es sich
um die Wiederholung des vorigen Herrn 3 Blume sein, was jedoch eine
Hypothese wäre. Er sitzt in einem Palast, unter dem die Glosse aniñe steht. Aniñe
heißt Palast im Mixtekischen und steht unmittelbar in Verbindung mit dem Palast
eines bestimmten Ortes. Gemeint ist also der Palast eines Adligen oder cacique
(vgl: Colombino XIII, 40-41) (Smith 1973:71). Nowotny geht an dieser Stelle davon
aus, dass hier die Hochzeit des eben aus dem Berg gestiegenen 3 Blume zu
sehen ist (Nowotny 1975:10).
Nicht identifizierbare Frau
Die Frau, die Herrn (?) Blume
gegenübersitzt, ist nicht
auszumachen, da diese Stelle des
Fragmentos stark beschädigt ist.
Nicht identifizierbarer Mann
Der Mann des zweiten Paares im
unteren Register ist fast gänzlich zerstört. Es ist kein
Name zu erkennen.
Frau 9 Rohr Himmels-(?)
Der persönliche Name von Frau 9 Rohr enthält ein
rechtwinkliges Himmelsband, aus dem etwas
Abb. 60: Herr 3 Blume. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Abb. 61: Herr (?) Blume. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Abb. 62: Nicht identifizierbare Frau. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Abb. 63: Frau 9 Rohr Himmels-(?). Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
76
herunterfährt bzw. herausfällt. Jansen schlägt, ebenfalls mit einem Fragezeichen
versehen, einen Schmetterling vor (Jansen 1994:203).
Herr (?) Tod Sonnen-(?)
Von dem letzten Paar im Fragmento ist nur noch der
Mann zu erkennen. Die Frau muss auf einer folgenden
Seite abgebildet gewesen sein. Nowotny benennt das
Tageszeichen im Kalendernamen des Mannes als
malinalli, aztekisch für Gras (Nowotny 1975:10). Das
Tageszeichen besteht aus dem oberen Teil eines
Totenschädels. Man kann die Augenhöhle, das
Nasenbein und die obere Zahnreihe erkennen. Hier
scheint sich Nowotny geirrt zu haben, da dieses
Symbol sehr klar das Tageszeichen Tod darstellt und
nicht das Tageszeichen Gras. Gras wird meist durch
einen knöchernen Unterkiefer dargestellt, aus dem
Gras wächst und manchmal noch ein Auge an einem
„Stiel“ hervorkommt. Es ist etwas verwunderlich, dass Nowotny dieses
Tageszeichen falsch einordnet, da er in seiner Analyse des Codex Becker II ein
fast identisches Zeichen, korrekt als Tod bezeichnet hat (Nowotny 1957:178).
Der Beiname des Herrn ist nicht deutlich zu erkennen. Nowotny und
Jansen sind sich einig, dass eine Sonnenscheibe ein wesentliches Detail ist. Über
dass, was unten aus der Scheibe heraustritt, schweigt Nowotny. Jansen schreibt:
Abb. 65: Fragmento de Nochistlan. Der Kalendername 3 Tod.
Abb. 66: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Abb. 67: Selden, S. 1, Bd. II. Das Tageszeichen Gras.
Abb. 68: Becker II, S. 2 (Umzeichnung von Nowotny, 1975.) Das Tageszeichen Tod.
Abb. 64: Herr (?) Tod Sonnen-(?). Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
4. Das Fragmento de Nochistlan
77
„el Señor ? Muerte, Cabeza (?) del Sol“ (Jansen 1994:203). Er vermutet also
einen Kopf unter der Sonnenscheibe.
Um dem näher nachzugehen, folgen einige Vergleichsabbildungen. Dies
sind Köpfe von Tlaloc oder Ñuhu aus verschiedenen Dokumenten. Die aus dem
Mund kommenden langen Fortsätze des im Fragmento dargestellten Kopfes
deuten eher auf einen Tlaloc hin, da Ñuhus meist kleine gebogene Reißzähne
haben. Das runde Auge hingegen findet sich eher bei den Ñuhus wieder. Tlaloc
hat zwar häufig einen Ring um das Auge, das Auge selbst ist aber halb
geschlossen.
Zusammenfassung
Ein Problem bei der Untersuchung der Personen und den Vergleichen mit
Personen in anderen Codices ist die oftmals starke Beschädigung der Kalender-
und Beinamen. Sie sind größtenteils nicht klar erkennbar.
Soweit sie benannt werden konnten, stellte sich aber heraus, dass keine
der hier abgebildeten Personen in anderen Codices wiederzufinden sind. Die
einzige Person, welche Ähnlichkeiten mit einer bereits bekannten Person
aufweist, ist Herr 8 Wind. Der Kalendername und die Rolle als halb-mythischer
Ahne, welcher der Erde entsteigt, könnten ein Hinweis auf Herrn 8 Wind 20
Adler/Feuersteinmesser Adler sein. Da bei 8 Wind aus dem Fragmento aber kein
Beiname erkennbar ist und er auch sonst keine Attribute des berühmten 8 Wind
trägt, ist die Übereinstimmung beider Personen unwahrscheinlich.
Abb. 69: Selden, S. 3, Bd. III. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Tlaloc-Motiv.
Abb. 70: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.
Abb. 71: Bodley, S. 23, Bd. III. Tlaloc-Motiv.
Abb. 72: Bodley, S. 16, Bd. II. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Ñuhu-Motiv.
Abb. 73: Bodley, S. 15, Bd. V. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Ñuhu-Motiv.
4. Das Fragmento de Nochistlan
78
4.5.3. Daten
Im Fragmento de Nochistlan gibt es zwei Angaben von Daten. Auf der oberen
Bildhälfte befindet sich das Datum Jahr 7 Kaninchen, Tag 3 Haus. Auf der unteren
Bildebene erscheint das Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator. Beide Daten folgen
auf ein Ortszeichen.
Im Codex Vindobonensis, auf den Seiten 47-38 (Vorderseite), wird gezeigt,
wie Herr 9 Wind den Himmel anhebt/trägt. Darunter erscheinen Ortszeichen mit
Datumsangaben. Es ist durchaus ein Konsens in der wissenschaftlichen
Diskussion, dass es sich bei den Daten um die Gründungsdaten der jeweiligen
Orte handelt (Jansen 1988:163). Es ist also auch hier davon auszugehen, dass
mit den Daten die Gründung der beiden Orte bzw. die Gründung der dort
ansässigen Dynastie beschrieben wird.
Es bleibt dann zu klären, ob die Daten in unsere Zeitrechnung übertragbar
sind oder ob es sich um Daten handelt, die mit anderen Werten und Inhalten
belegt sind als die reine Wiedergabe einer bestimmten Zeit. Viele Forschungen zu
diesem Thema unterscheiden zwischen realen und mythologischen Daten (Furst
1978, Marcus 1992, Troike 1978). Diese Aufteilung macht in unseren
Kulturkreisen durchaus Sinn. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Mixteken
selbst auch in diesen Kategorien gedacht haben. Für sie waren die
mythologischen Daten vielleicht weitaus wahrhafter und wichtiger als diejenigen,
die wir mit Historizität belegen möchten. Ich werde mich im folgenden Maarten
Jansen anschließen, der von andauernder Zeit (durational time) und nicht-
andauernder Zeit (non-durational time) spricht (Jansen 1988:159). Damit entfällt
eine Wertigkeit im Sinne von real versus mythologisch und es wird neutral
zwischen den Daten unterschieden, die in die Chronologie von Rabin passen, und
denen, die aus der Chronologie herausfallen und von denen vermutet wird, dass
sie auf einer anderen Ebene als der puren Zeitvermittlung funktionieren.
Jansen hat weiterhin herausgefunden, dass bestimmte Orte in
verschiedenen Codices in Kombination mit bestimmten Daten vorkommen, und
nennt dies place-date-combination. Einem bestimmten Ort wird ein bestimmtes
Datum zugeordnet und diese Kombination taucht wiederholt auf, wenn es um die
Geschehnisse in dem Ort geht. Dies unterstützt die bereits stehende These, dass
hier Daten vorliegen, welche sich auf die Gründung der Dynastien dieser Orte
beziehen und als solches dem zeremoniellen Leben des Ortes zugeschrieben
4. Das Fragmento de Nochistlan
79
sind und keinem bestimmten Moment in der Chronologie. Jansen sieht in diesen
place-date-combinations visuelle Beispiele von nicht-andauernder Zeit in der
Geschichtsschreibung (Jansen 1988:168). Die Gründungsdaten hatten eine
Bedeutung für das rituelle Leben der Dynastien und deren Bevölkerung,
vergleichbar mit den Kalendernamen der Personen, die angeben, wann sie
geboren wurden (Jansen 1988:172). Oftmals wiederholen sich auch Teile der
Gründungsdaten im Kalendernamen einer Person des Gründungspaares (Jansen
1988:168). Da dies beim Datum Jahr 7 Kaninchen, Tag 3 Haus der Fall ist, im
folgenden Paar sitzt Frau 3 Haus, liegt hier ein weiterer Hinweis vor, dass es sich
bei diesem Datum um ein nicht-andauerndes Datum handeln könnte, welches die
Gründung der Dynastie angibt.
Bestehende Ansätze zum Thema Daten im Fragmento
Nowotny war der Ansicht, es könnte sich beim Datum Jahr 7 Kaninchen Tag 3
Haus um das Geburtsdatum von Frau 3 Haus handeln (Nowotny 1975:11). Das
Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator sieht er als Datum andauernder Zeit, welches
seiner Rechnung nach, unter Bezugnahme auf Casos Chronologie, dem Jahr 832
+- 52 Jahren entspricht (Nowotny 1975:10).
Jansen sieht das Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator als ein Symbol für
den Beginn der Zeit. Auch das Datum Jahr 7 Kaninchen Tag 3 Haus sieht er als
heilig an (Jansen 1994:203).
Smith äußert sich in ihrem Artikel nicht über die Daten im Fragmento.
Andauernde Zeit
Der Durchbruch in der Datierung der mixtekischen Codices gelang Alfonso Caso
mit der Mapa de Teozacoalco. Wichtig dafür war die Korrelation des mixtekischen
zum aztekischen Kalender. Bei der Interpretation der Mapa de Teozacoalco
gelang es Caso, anhand von Personen, die in der frühen Kolonialzeit in
verschiedenen spanischen Dokumenten sowie auch in verschiedenen Codices
vorkamen, in der Zeit zurückzurechnen. Für das 15. und 16. Jahrhundert waren
die Daten in nachvollziehbarer Weise gültig, aber je weiter er in der Zeit zurück
ging, desto unsicherer wurden seine Angaben, wie er selbst zur Diskussion stellte
(Caso 1977:39).
4. Das Fragmento de Nochistlan
80
Casos Korrelation wurde Anlass zu vielen Debatten und Korrekturen; heute
akzeptieren die meisten Wissenschaftler die Revisionen, die von Emily Rabin
vorgeschlagen wurden. Man kann die mixtekische Geschichtsschreibung vor der
spanischen Eroberung in zwei Hauptphasen teilen: einmal die Zeitspanne
zwischen dem Leben des 8 Hirsch Jaguarkralle und der Eroberung durch die
Spanier und einmal die Zeitspanne von der Gründung der ersten Stadtstaaten bis
hin zum Leben des 8 Hirsch. Die Daten in der Spanne zwischen dem Leben von 8
Hirsch und der spanischen Eroberung sind, mit Ausnahmen kleinerer
Unstimmigkeiten, relativ gesichert (Jansen 1990:107). Rabin korrigierte diese
Zeitspanne um einen Kalenderzyklus nach hinten. Somit würde die Lebzeit von
Herrn 8 Hirsch nicht mehr wie von Caso angenommen auf 1011-1063 fallen,
sondern auf 1063-1115 (Jansen 1990:108).
Für die Untersuchung der Daten im Fragmento werde ich die Korrelation
von Bruce Byland und John Pohl heranziehen, die sie basierend auf Emily Rabins
Forschungen erstellt haben (Byland/Pohl 1994:233-264).
Obwohl die Vermutung besteht, dass es sich bei beiden Daten im
Fragmento um nicht-andauernde Daten handelt, möchte ich trotzdem im Falle
Jahr 7 Kaninchen, Tag 3 Haus die Möglichkeit eines andauernden Datums in
Betracht ziehen. Dieses bestimmte Datum kehrt im Kreislauf der Kalenderrunden
alle 52 Jahre wieder, demnach ergeben sich sehr viele Möglichkeiten der
Übertragung in den gregorianischen Kalender (z.B. ...1058, 1110, 1162, 1214,
1266, 1318, 1370, 1422, 1474...). Um genau festzulegen, um welches dieser
Jahre es sich handeln könnte, bräuchte man einen Anhaltspunkt, wie z.B. eine
bestimmte Person, welche im Fragmento vorkommt und auch in einem anderen
Dokument. Sofern diese Person in dem anderen Codex in einem zeitlichen
Zusammenhang stünde, könnte man diesen dann auf das Fragmento übertragen.
Da Personen allerdings sehr häufig die gleichen Kalendernamen haben, müsste
ebenso der persönliche Name identisch sein, um sicher zu gehen, dass es sich
auch wirklich um die gleiche Person handelt.
Weil es sich bei der Szene um eine Dynastiegründung in einem
bestimmten Ort handelt, könnte man über die Identifizierung des Ortszeichens
vielleicht ebenfalls weitere Hinweise aus anderen Dokumenten gewinnen.
4. Das Fragmento de Nochistlan
81
Nicht-andauernde Zeit
Alfonso Caso war der Erste, der in dem Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator ein
Datum vermutete, welches in thematischem Zusammenhang mit Anfängen und
Ursprüngen steht.
In ihrem Artikel „The Year 1 Reed, day 1 Alligator: A Mixtec Metaphor“
untersuchte Jill Furst dieses Datum genauer und fand heraus, dass es vor allem
im Zusammenhang mit der Anpflanzung von Mais, der Erschaffung der Welt und
in genealogischen Dokumenten, wie z.B. dem Codex Nuttall, auftaucht, wenn
halb-mythologische Figuren geboren werden, mit denen eine neue Geschichte
anfängt bzw. eine neue Dynastie gegründet wird (Furst 1978:117). Als generelles
Symbol für den Neubeginn macht das Datum darüber hinaus Sinn, da das Jahr 1
Rohr das Erste im 52-Jahre-Zyklus ist und der Tag 1 Alligator der erste Tag im
260-tägigen Kalender (Furst 1978:123).
Mark B. King hat die Theorie aufgestellt, dass die Jahresangabe ein
Ausspruch einer Person ist bzw. die folgende Handlung beschreibt. Er sieht die
Jahresangabe als eine Art Beschriftung der Bilder in den Fällen, wo sie nicht-
kalendarisch, also nicht-andauernd, sind. Er neigt sich also von der
metaphorischen Bedeutung der Kalenderdaten hin zu einer „Übersetzung“ der
Worte (King 1990:144).
Positionierung der Daten
Es stellt sich die Frage, inwiefern die Anordnung der Daten innerhalb der
Gesamtkomposition der Darstellungen bedeutend ist. Wie oben angemerkt,
besteht die Vermutung, dass es sich aufgrund der Folge Ortszeichen – Datum um
ein Gründungsdatum handelt. Die Wiederholung der Tagesangabe im Namen der
folgenden Frau unterstützt dies. Es sollte dennoch auf den Unterschied beider
Positionen hingewiesen werden.
Auf der oberen Bildhälfte folgt das Datum auf die Erscheinung des Herrn 8
Wind aus dem Ortszeichen. Hinter dem Datum ist eine Hochzeitsszene
dargestellt.
Auf der unteren Bildhälfte haben wir zwei Ortszeichen, zwischen denen
das Datum erscheint. Dem zweiten Ortszeichen entsteigt Herr 3 Blume. Durch die
Stellung des Datums erscheint es einleuchtend, dass hier die Szene des
4. Das Fragmento de Nochistlan
82
Heraussteigens/Geborenwerdens datiert wird. Es ist fast wie bei einem Comic-
Strip intuitiv zu verstehen: Erst das „leere“ Ortszeichen, dann das Datum, dann
die Geburtsszene. Wenn man diese Leserichtung, und auch damit die kausale
Verkettung auf die obere Bildhälfte überträgt, ergibt sich eine Verschiebung des
Sinngehaltes: Demnach würde oben das Datum der Hochzeit angegeben werden.
Daraus würde sich wiederum die Frage stellen, ob es einen Unterschied machen
würde, denn die Gründung einer Dynastie wurde letztendlich in der Vermählung
zweier königlicher Nachfahren besiegelt, welche mit ihrer Zusammenkunft die
neuen Herrscher produzierten. Vielleicht liegt in dieser Überlegung sogar die
Erklärung für die unterschiedlichen Positionierungen. Unten wird mit dem
Anfangsdatum beschrieben, wie der halb-göttliche Ahne der Erde entsteigt. Erst
darauf folgt die Hochzeit. Oben hingegen wird mit dem Datum angegeben, wie
nach der Entsteigung des halb-göttlichen Ahnen eine Heirat die Gründung der
neuen Dynastie besiegelt. Dies würde auch eine Verschiebung der Bedeutung
des Inhaltes veranlassen. Unten würde durch das Datum eher der Bezug zum
Ahnen in den Vordergrund gestellt, oben hingegen würde dieser vorausgesetzt
und es würde das Augenmerk auf die eigentliche Gründung der Dynastie gelegt.
Dies sind allerdings nur vage Überlegungen.
Zusammenfassung
Das Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator ist aufgrund der zahlreichen
Untersuchungen eindeutig einer nicht-andauernden Zeit zuzuordnen, da es als ein
Datum gilt, welches symbolisch für einen Anfang steht. Die Platzierung
unmittelbar nach dem Ortszeichen deutet darüber hinaus darauf hin, dass es sich
um das Gründungsdatum der Dynastie des Ortes handelt.
Das Datum Jahr 7 Kaninchen, Tag 3 Haus folgt wieder auf die Darstellung
des Ortszeichens. Weiterhin deutet hier die Wiederholung des Tageszeichens 3
Haus im Namen der darauffolgenden Frau ebenfalls auf ein solches
Gründungsdatum hin. Eine Zuordnung in der Chronologie kann nur durch eine
Verbindung mit anderen Dokumenten erfolgen und erst dann letztendlich
nachvollzogen werden, ob die Zuordnung Sinn macht oder ob es sich wirklich um
ein Datum der nicht-andauernden Zeit handelt. Deswegen kann auch die
Diskussion, ob es sich um das Datum der Geburtsszene oder der Hochzeitsszene
handelt, nicht abgeschlossen werden.
5. Ergebnisse
83
5. Ergebnisse
5.1. Neue Erkenntnisse
Abzeichnung
Bisher gibt es lediglich vier Abbildungen des Fragmentos, die veröffentlicht
worden sind.
Das Erste ist ein farbiges Foto, welches in der Erstveröffentlichung von
Nowotny (1975) zu sehen ist. Dieses gibt Aufschluss über den Aufbau und den
Gesamteindruck des Fragmentos, aufgrund mangelnder Qualität und Größe sind
allerdings Details nicht klar erkennbar.
Im „Handbook of Middle American Indians“ von 1975 wurde im Anhang
eine schwarz-weiße Fotografie des Fragmentos beigefügt. Hier wird bestenfalls
nur ein schemenhafter Eindruck des Dokumentes vermittelt.
In ihrem Artikel „Codex Becker II: A Manuscript from the Mixteca Baja?“
(1979) hat Mary E. Smith zwei Ausschnitte des Fragmentos in Umzeichnungen
abgebildet. Dies sind die Ortszeichen aus dem oberen und dem unteren Register.
Die Umzeichnungen sind lediglich nachempfunden und keinesfalls akkurat. Bei
den Inschriften innerhalb der Ortszeichen hat sie ihre eigene subjektive
Interpretation abgebildet, was durchaus ein Problem darstellt, da man diese im
Original nicht sehen kann.
Im Kommentar von Maarten Jansen (1994) wurde ebenfalls nur eine
schwarz-weiße Fotografie abgedruckt, auf der schwer sichtbare Details
verschwinden. In diesem Fall war zu spüren, wie sich das Fehlen einer
brauchbaren Abbildung auf die Untersuchung auswirkte. Jansen hat das
Fragmento nicht im Original gesehen und die ihm zur Verfügung stehenden
Arbeitsmittel haben ihn bestimmte Details nicht sehen lassen.
Die Abbildung eines Dokumentes stellt die Grundlage und den Ausgangspunkt für
seine Erforschung dar. Die mangelhaften veröffentlichten Abbildungen des
Fragmento de Nochistlan haben es unumgänglich gemacht, eine gründliche
Umzeichnung anzufertigen.
Mit Unterstützung des Museums für Völkerkunde Hamburg, die mir eine
großformatige und hoch aufgelöste digitale Aufnahme zur Verfügung stellten und
5. Ergebnisse
84
mich das Original unter einer beleuchteten Lupe ansehen ließen, war es mir
möglich, eine sehr genaue Umzeichnung des Fragmentos anzufertigen. Natürlich
sind bei der Erstellung der Umzeichnung die vorangehenden Forschungen mit
eingeflossen. So ist eine Art Synthese entstanden von dem, was ich gesehen
habe, und von dem, was die Wissenschaftler vor mir gesehen haben. Die daraus
entstandene Umzeichnung bildet eine solide Grundlage und einen guten
Ausgangspunkt für weitere Forschungen.
UV-Licht-Analyse
Die Untersuchung des Fragmentos unter UV-Licht brachte eine zuvor nicht
gesehene Inschrift zutage. „NVSIHYA.“ steht auf dem zweiten Ortszeichen im
unteren Register. Im Ortsverzeichnis von de los Reyes wird für Nusihiya der
aztekische Name Tezoatlan aufgeführt (Reyes 1889:90).
Ob dies nun die endgültige Identifizierung des Ortszeichens ist, ist fraglich,
da auch andere Ansätze infrage kommen. Dennoch liegt hier ein neuer Hinweis
auf die Identifizierung des Ortes vor, der unbedingt weitergehend untersucht
werden muss.
5.2. Zusammenfassung der Interpretation
Das Fragmento de Nochistlan fügt sich thematisch und stilistisch gut in die Riege
der mixtekischen Codices ein. Es wird angenommen, dass es, wie manche der
anderen Codices auch, eine kolonialzeitliche Abschrift eines älteren Dokumentes
ist. So lassen sich kleine stilistische Abweichungen, wie zum Beispiel das
Auftreten von Augenbrauen erklären.
Die Hauptaussage des Fragmentos ist eindeutig genealogischer Art. Es
sind zwei Herrscherdynastien abgebildet, die jeweils mit ihren Urahnen beginnen,
welche aus der heiligen Erde steigen. Diese Vorkommnisse verbinden die
Abstammungslinien direkt mit dem Land, auf dem sie leben, und bilden somit eine
emotionale und traditionsreiche Verbindung zum Land, gleichzeitig aber auch
einen grundlegenden Besitzanspruch. Die Erde, aus der die Urahnen steigen, ist
mit einem Ortszeichen dargestellt.
5. Ergebnisse
85
Es folgen die einzelnen Herrscherpaare, wobei der Mann des folgenden Paares
immer der älteste Sohn des vorigen zu sein scheint. So wurden im Fragmento die
Herrscherlinien zweier Ortschaften festgehalten.
Da sehr früh die stilistische und strukturelle Ähnlichkeit zum Codex Becker
II festgestellt wurde, besteht die Frage, ob beide Fragmente zu einem Codex
gehörten. Dies ist auf der einen Seite sehr wahrscheinlich, auf der anderen Seite
aber nicht sichergestellt. Der Codex Becker II ist, wie das Fragmento, zweigeteilt
in ein oberes und ein unteres Register. Die Haupterzählung befindet sich im
unteren Register, lediglich Anmerkungen bezüglich der Töchter sind oben
dargestellt. Bedeutet dies, dass hier die Dynastie des unteren Registers aus dem
Fragmento weitergeführt wurde? Nicht unbedingt, da wir nicht wissen, ob auf den
eventuell fehlenden Seiten zwischen beiden Fragmenten etwa noch eine andere
Ortschaft eingeführt wurde, deren Dynastie im Codex Becker II fortläuft. Abhilfe
könnte hier nur geschaffen werden, wenn noch weitere Dokumente auftauchen
oder wenn es eine sichere Identifikation der Orte geben würde. Dann könnte man
gezielt in der Geschichte der Orte nach Indizien zu den dargestellten Personen
suchen. Jansen gelang eine zeitliche Einordnung des Becker II über eine Person,
welche im Becker II und in einem kolonialzeitlichen Dokument, dem Códice de
Tecomaxtlauaca, vorkommt. So konnte er die Aussage treffen, dass das letzte
Paar des Becker II ca. Mitte des 16. Jh. gelebt haben muss (Jansen 1994:197).
Für die zeitliche Einordnung des Fragmentos hilft uns dies nicht, da uns ein
Verbindungsstück unbekannter Länge fehlt. Smith ist der Ansicht, dass Becker II
aus der Mixteca Baja stammt, da im Dokument verschiedene Orte der Mixteca
Baja genannt werden, mit denen der Herkunftsort des Becker II
Heiratsverbindungen eingegangen ist (Smith 1979:41).
Die Identifikation der Ortschaften des Fragmentos hat allen
Wissenschaftlern, die es untersucht haben, Schwierigkeiten bereitet. Das obere
Ortszeichen bleibt weitestgehend unbekannt. Die wagen Vermutungen, die
darüber geäußert wurden, konnten schnell wieder verworfen werden. Für das
untere Ortszeichen gibt es mehrere Ansätze. Wegweisend hierfür ist die Inschrift
innerhalb des Ortszeichens: NVNAA. Nowotny (1975:10) folgt einer früh
aufgenommenen Liste von Ortschaften aus dem Katalog von Martinez Gracida.
Hier wird ñuñaa als mixtekischer Name des Ortes San Pedro Cantaros aufgeführt.
Diese Herleitung erscheint sehr stichhaltig und eindeutig. Allerdings kommt, wie
Caso (1977:114) und Smith (1979:33) anführen, aus diesem Ort schon ein
5. Ergebnisse
86
anderes Dokument, der Codex Muro. Wenn beide Dokumente hierher stammen,
müsste es inhaltliche Übereinstimmungen geben, die aber nicht gegeben sind.
Jansen gibt dem Ortszeichen den Namen „Dunkler Ort“. Er zeigt die Möglichkeit
auf, dass es sich bei beiden Ortszeichen um allgemeingültige Symbole handeln
könnte: oben um ein Symbol für Stadt und unten um ein Symbol für die
Himmelsrichtung Norden. Da aber bestimmte Genealogien folgen, scheint diese
Möglichkeit wenig einleuchtend.
Bei meiner Untersuchung des Fragmentos unter UV-Licht erschien die
bisher nicht gesehene Inschrift NVSIHYA innerhalb des unteren Ortszeichens. Im
Ortsverzeichnis von de los Reyes wird unter diesem Namen der Ort Tetzoatlan in
der Mixteca Alta aufgeführt. Dieser neue Hinweis sollte unbedingt weitergehend
untersucht werden. Ob er letztendlich das Rätsel um die Ortschaft löst, ist nicht
absehbar. Weiterhin würde auch der obere Ort unbekannt bleiben. Hier war die
Ähnlichkeit zu einem Ortszeichen im Codex Selden ersichtlich, welche eine
Perspektive für weitere Forschungen bietet.
Die im Fragmento vorkommenden Personen konnten in den anderen
mixtekischen Codices nicht wiedergefunden werden. Nowotny wies auf die
Übereinstimmung des Kalendernamens des Herrn 8 Wind mit dem mixtekischen
Kulturbringer 8 Wind 20 Adler/Feuersteinmesser Adler hin. Da allerdings 8 Wind
im Fragmento keinen Beinamen trägt, ist seine Identifizierung als 8 Wind 20
Adler/Feuersteinmesser Adler nicht möglich und auch wenig wahrscheinlich. Der
schlechte Erhaltungszustand der Namen im Fragmento machte die Identifizierung
der Personen nicht einfacher.
Die im Fragmento angegebenen Daten entstammen sehr wahrscheinlich
der nicht andauernden Zeit und benennen die Gründungen der Dynastien der
jeweiligen Orte. Das Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator ist ein gängiges Symbol
für einen Anfang. Thematisch passt dies zu der dargestellten Szene.
Zum Abschluss dieser Arbeit möchte ich auf ein weiteres Problem
hinweisen, welches mir während meiner Untersuchungen begegnet ist. Der von
Smith (1979) verfasste Artikel enthielt zum einen fehlerhafte Angaben und zum
anderen wurde hier deutlich, wie eine subjektive Darstellungsweise die gesamte
Forschung zu einem Thema verfälschen kann. Smith schlägt für die Identifizierung
des Ortszeichens im unteren Register den Ort Santos Reyes Yucuna vor, belegt
diese Vermutung allerdings unzureichend (Smith 1979:32). Diese ungesicherte
Annahme einer, zurecht, sehr anerkannten Wissenschaftlerin wurde dann in die
5. Ergebnisse
87
Liste der Codices bei Hill Boone und Mignolo (2000) aufgenommen. In deren
einführendem Werk zu den mixtekischen und aztekischen Dokumenten „Stories in
Red and Black“ steht nun eine ungesicherte, nicht nachvollziehbare Information
über den Herkunftsort der Fragmente Nochistlan/Becker II. Das erscheint mir sehr
problematisch.
5.3. Ausblick
Bei der Erstellung der vorliegenden Magisterarbeit wurde mit erneut klar, wie
begrenzt das Wissen über die mixtekischen Bilderhandschriften und deren
Bedeutung weiterhin ist.
Bei der Bearbeitung des Fragmentos fielen vor allem die folgenden
Themen auf, die noch weiterer Untersuchungen bedürfen.
Materialanalyse
Die heutige Wissenschaft bietet zahlreiche Analysemethoden für organische
Materialien, um deren Alter zu bestimmen oder eine Übereinstimmung mit
anderen Materialien zu belegen. Eine genaue Analyse der im Fragmento
verwendeten Tinten wäre sinnvoll um eine genauere Differenzierung der
verschiedenen Handschriften und deren Alter herauszustellen. Eine
Materialbestimmung der Schreibunterlage und deren Altersbestimmung wären
ebenfalls grundsätzliche Informationen, die über solche Analysemethoden zu
ermitteln wären. Es müssten zunächst geeignete Methoden ausgewählt werden,
um danach deren Aussichten auf neue Erkenntnisse gegenüber dem finanziellen
Aufwand und der absichtlichen Beschädigung des Fragmentos abzuwägen.
Gesten
In der vorliegenden Arbeit habe ich die Bearbeitung des Themas auf die Gesten
im Fragmento beschränkt. Die Geste der geborenen Personen, mit weit
ausgebreiteten Armen, könnte codex-übergreifend noch genauer untersucht
5. Ergebnisse
88
werden. Einleitend könnte man die verschiedenen Formen von
Geburtsdarstellungen (z.B. aus der Erde steigend oder durch eine
Nabelschnurverbindung) herausarbeiten und untersuchen, ob die Form der
Darstellung in Verbindung zur Szene, in der sie vorkommt, steht. Falls die Gesten
sich einem Muster anpassen würden, könnte man darüber hinaus herausfinden,
ob sie auch in anderen Szenen, welche nicht direkt mit Geburt zu tun haben,
verwendet werden, um vielleicht ein Konzept von Neubeginn oder Anfang zu
vermitteln.
Ortszeichen
Beim Themengebiet Ortszeichen sollte man die verschiedenen Abbildungen der
Orte in weiteren Kreisen vergleichen, als nur in anderen mixtekischen Codices.
Hier bilden die kolonialzeitlichen Dokumente aus der Mixteca einen großen
Quellenfundus. Zur weiteren Untersuchung der im Fragmento erhaltenen
Ortszeichen können die vorhandenen Lienzos nach vergleichbaren Darstellungen
untersucht werden. Viele Lienzos sind publiziert, etliche weitere allerdings noch
nicht. In diesem Zusammenhang wäre eine Forschungsreise überaus sinnvoll, um
in den lokalen Archiven nach mehr Material und Informationen zu fahnden.
Aber auch im Vergleich mit anderen mixtekischen Codices scheinen noch
weitere Untersuchungen der Ortszeichen angebracht. Dies wurde deutlich, als die
Ähnlichkeit des Ortszeichens im oberen Register mit einem bislang unbekannten
Ort im Codex Selden auffiel. Die Vernetzung der einzelnen Codices als
übergreifendes Thema bietet reichlich Anlass zu weiteren Untersuchungen.
Um dem Pfad, den die neu gesehene Inschrift NVSIHYA aufgezeigt hat, zu
folgen, müsste man die Dokumente, die eventuell in und um Tetzoatlan
vorhanden sind, aufsuchen und nach Übereinstimmungen suchen. Dann könnte
man mit mehr Bestimmtheit sagen, ob das Ortszeichen das von Tetzoatlan ist und
damit eventuell sogar, ob das Fragmento de Nochistlan von dort her kommt.
5. Ergebnisse
89
Hochzeit vs. Besuchsszene
Bei der inhaltlichen Analyse trat ein weiteres Problem auf, welchem man eine
detaillierte Untersuchung widmen kann. Im unteren Register des Fragmentos sitzt
sich das erste Paar auf zwei verschieden Untergründen gegenüber. Dadurch
unterscheiden sie sich von allen anderen Paaren im Fragmento und im Codex
Becker II. Normalerweise wird eine solche Szene als Besuchsszene interpretiert.
Das würde allerdings im Falle des Fragmentos wenig Sinn machen. Hier bietet
sich eine weitere Gelegenheit, mit einer genauen Untersuchung anzusetzen und
codex-übergreifend eine Studie zu sitzenden Gruppen zu erstellen.
6. Anhang
90
6. Anhang
6.1. Literaturverzeichnis
Acuña, René (Hg.)
1984 Relaciones Geográficas del siglo XVI: Antequera. 2 vols. Universidad
Nacional Autónoma de México, México.
Alvarado, Francisco de
1963 Vocabulario en lengua mixteca, hecho por los padres de la orden de
predicadores que residen en ella, y últimamente recopilado y acabado por
el padre ... Vicario de Tamazulapa, de la misma orden. Instituto Nacional
Indigenista - Instituto Nacional de Antropología e Historia, México. (1593)
Anders, Ferdinand; Maarten Jansen; Gabina Aurora Pérez Jiménez
1992 Origen e Historia de los Reyes Mixtecos, libro explicativo del llamado
Códice Vindobonensis. Fondo de Cultura Económica, Mexico.
Bußmann, Hadumod (Hg.)
2008 Lexikon der Sprachwissenschaft. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart.
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6.4. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Die Karte zeigt die Mixteca. Aus: Terraciano, 2001:4. ..........................15
Abb. 2: Der Priester 6 Geier „Grabstock“ spricht. Aus: Selden, S. 6, Bd. II. ......24
Abb. 3: Das Mumienbündel des 8 Hirsch „Jaguarkralle“. Aus: Bodley, S. 14, Bd.
IV. ..........................................................................................................24
Abb. 4: Eine Person spricht „scharfe Worte“. An den Sprachvoluten sind
Feuersteinmesser dargestellt. Aus: Selden, S. 7. .................................24
Abb. 5: Das Ortszeichen von Teozacoalco oder chiyo canu. Aus: Selden, S. 4,
Bd. II. .....................................................................................................24
Abb. 6: Das Ortszeichen von Tututepec oder yucu dzaa. Das menschliche
Gesicht verdeutlicht, dass es sich um das Wort „Vogel“ handelt. Aus:
Bodley, S. 9, Bd. III. ..............................................................................25
Abb. 7: Das Ortszeichen von Tututepec oder yucu dzaa. Unter dem Schnabel ist
ein menschliches Kinn zu erkennen. Aus: Nuttall, S. 55. ......................25
Abb. 8: Herr 5 Regen, Jaguarsonne in Frauentracht. Aus: Nowotny, 1975. .....32
Abb. 9: Das erste Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ....................33
Abb. 10: Das zweite Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. .................33
Abb. 11: Das dritte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ....................34
Abb. 12: Das vierte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ...................35
Abb. 13: Das fünfte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ...................36
Abb. 14: Das sechste Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ...............37
Abb. 15: Das siebte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ..................37
Abb. 16: Das achte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ...................38
Abb. 17: Das neunte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. .................39
Abb. 18: Das obere Register. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ............46
Abb. 19: Das untere Register. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ...........48
6. Anhang
98
Abb. 20: Vindobonensis, S. 37. ...........................................................................51
Abb. 21: Nuttall, S. 1. ...........................................................................................51
Abb. 22: Das Ortszeichen von Tilantongo. Nuttall, S. 47. ...................................53
Abb. 23: Selden, S. 2. ..........................................................................................54
Abb. 24: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................54
Abb. 25: Das A-O-Zeichen. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ...............54
Abb. 26: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................61
Abb. 27: Bodley, Seite 7 Bd. V. ...........................................................................62
Abb. 28: Bodley, S. 8, Bd. III. ..............................................................................63
Abb. 29: Selden, S.5, Bd. III. ...............................................................................63
Abb. 30: Selden, S. 10, Bd. IV. ............................................................................63
Abb. 31: Selden, S. 14, Bd. II. .............................................................................63
Abb. 32: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................65
Abb. 33: Bodley, S. 18, Bd. II. .............................................................................67
Abb. 34: Nuttall, S. 60. .........................................................................................67
Abb. 35: Bodley, S. 14, Bd. V. .............................................................................67
Abb. 36: Bodley, S. 4, Bd. III. ..............................................................................67
Abb. 37: Vindobonensis, S. 45. ...........................................................................68
Abb. 38: Vindobonensis, S. 21. ...........................................................................68
Abb. 39: Vindobonensis, S. 9. .............................................................................68
Abb. 40: Vindobonensis, S. 6. .............................................................................69
Abb. 41: Herr 8 Wind. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ........................70
Abb. 42: „el cazique“. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ........................71
Abb. 43: Frau 3 Haus Ñuhu der Pflanze und des Wassers. Fragmento de
Nochistlan, Umzeichnung. ....................................................................71
Abb. 44: Namensglyphe 12 Rohr Jaguar. Aus: Fragmento de Nochistlan. .........72
Abb. 45: Namensglyphe 12 Rohr Jaguar. Aus: Fragmento de Nochistlan,
Umzeichnung. .......................................................................................72
Abb. 46: Herr (?) Kaninchen Schäumender Pulquekrug. Fragmento de
Nochistlan, Umzeichnung. ....................................................................73
Abb. 47: Fragmento de Nochistlan. .....................................................................73
Abb. 48: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................73
Abb. 49: Nuttall, S. 28. .........................................................................................73
Abb. 50: Nuttall, S. 84. .........................................................................................73
Abb. 51: Bodley, S. 30, Bd. IV. ............................................................................73
6. Anhang
99
Abb. 52: Vindobonensis, S. 25. ...........................................................................73
Abb. 53: Bodley, S. 30, Bd. V. .............................................................................73
Abb. 54: Vindobonensis, S. 18. ...........................................................................73
Abb. 55: Vindobonensis, S. 18. ...........................................................................73
Abb. 56: Vindobonensis, S. 45. ...........................................................................73
Abb. 57: Bodley, S. 36, Bd. II. .............................................................................73
Abb. 58: Fragmento de Nochistlan. .....................................................................74
Abb. 59: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................74
Abb. 60: Herr 3 Blume. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ......................75
Abb. 61: Herr (?) Blume. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ...................75
Abb. 62: Nicht identifizierbare Frau. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ..75
Abb. 63: Frau 9 Rohr Himmels-(?). Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ...75
Abb. 64: Herr (?) Tod Sonnen-(?). Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ....76
Abb. 65: Fragmento de Nochistlan. Der Kalendername 3 Tod. ...........................76
Abb. 66: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................76
Abb. 67: Selden, S. 1, Bd. II. Das Tageszeichen Gras. .......................................76
Abb. 68: Becker II, S. 2 (Umzeichnung von Nowotny, 1975.) Das Tageszeichen
Tod. .......................................................................................................76
Abb. 69: Selden, S. 3, Bd. III. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Tlaloc-
Motiv. .....................................................................................................77
Abb. 70: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................77
Abb. 71: Bodley, S. 23, Bd. III. Tlaloc-Motiv. .......................................................77
Abb. 72: Bodley, S. 16, Bd. II. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Ñuhu-
Motiv. .....................................................................................................77
Abb. 73: Bodley, S. 15, Bd. V. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Ñuhu-
Motiv. .....................................................................................................77
6. Anhang
100
6.5. Die Geste der Geborenen
Hier werden nur Geburtszenen eingefügt, welche die Geste beinhalten, da es
sonst zu umfangreich würde.
Codex Nuttall:
Nr. Seite Szene Bild
1 S. 1 Herr 8 Wind Flinthelmet entsteigt einem
Ortszeichen, mit Geste.
2 S. 1 Herr 8 Wind Flinthelmet entsteigt einem
Ortszeichen, mit Geste.
3 S. 2 Herr 8 Wind Flindhelmet entsteigt einem
Ortszeichen, mit ähnlicher Geste. Aufgrund
des fülligen Kostüms wurde die Geste
vielleicht verändert dargestellt?
4 S. 5 Herr 8 Wind Flinthelmet entsteigt einem
Ortszeichen, mit Geste.
6. Anhang
101
5 S. 9 Herr 9 Regen wird aus einem Fluss geboren.
Er hält etwas in der Hand (Voluten), mit Geste.
6 S. 9 Herr 4 Wasser wird aus deiner Scheibe
geboren. Er hält etwas in der Hand, mit Geste.
7 S. 16 Geburt aus einer Mutter, mit Nabelschnur.
Auch das geborene Kind hält seine Arme in
der Geste.
8 S. 19 Frau 1 Tod wird aus Ortszeichen/Landschaft
geboren und hält ihre Arme in einer ähnlichen
Geste.
9 S. 24 Ein Steinmann entsteigt einem Fluss. Er hält
die Arme in einer ähnlichen Geste.
10 S. 28 Eine Frau gebärt ein Kind. Abweichende aber
auch sehr spezielle Geste.
11 S. 57 Als Herr 8 Hirsch seinen Nasenpflock als
Herrscherwürde bekommt, hält er seine Arme
in der Position. Das Bild der Wiedergeburt
würde thematisch hier auch passen.
6. Anhang
102
Codex Selden:
Nr. Seite Szene Bild
1 S. 2 Eine Gestalt entsteigt einem Baum: Im Jahr
10 Rohr wird Herr 2 Grass von einem
Baum in Achiutla geboren.
Codex Bodley:
Nr. Seite Szene Bild
1 Rückseite
S. 40,
Band I
Zwei Vorfahren steigen aus der
Erde/werden aus der Erde geboren.
Ein Mann tritt direkt heraus und
macht die Geste und schaut auch
Richtung Himmel, die Frau ist
sitzend dargestellt und eine Linie
verbindet sie mit dem Inneren des
Erdmonsterrachens (Caso,
1960:54).
Abbildung nicht vorhanden.
2 Rückseite,
S. 40,
Band IV
Herr 1 Blume und Frau 13 Blume
werden von den Flüssen in Apoala
geboren. Das gleiche Paar taucht
auch im Codex Nuttall, Seite 36, und
im Codex Vindobonensis,
Vorderseite, S. 35, auf. (John Pohl’s
Mesoamerica)
3 Rückseite,
S. 39,
Band I
Herr 3 Feuersteinmesser entsteigt
dem Erdrachen. Mit ihm verbunden
sind seine Nachkommen.
Abbildung nicht vorhanden.
6. Anhang
103
Codex Becker II:
nicht vorhanden
Codex Colombino:
nicht vorhanden
Becker I:
Nr. Seite Szene Bild
1 S. 8 Ein Mensch steigt aus der Erde empor. Die
Arme und Hände in ähnlicher Geste.
Codex Vindobonensis:
Nr. Seite Szene Bild
1 S. 37 Baumgeburt eines Vorfahren mit
ausgebreiteten Armen.
2 S. 49 Herr 9 Wind wird aus einem
Feuersteinmesser geboren. Die Arme hält
er nicht in der Geste.
6. Anhang
104
Codex Egerton:
Nr. Seite Szene Bild
1 S. 2 Person wird aus Ortszeichen geboren und
hält die Arme ausgebreitet. Im Ortszeichen
ist ein großer Jaguar abgebildet (Hill of the
Jaguar) aus dessen Rachen der Herr
steigt. Leider sehr schwer zu erkennen.
Ich versichere an Eides Statt durch meine eigenhändige Unterschrift, daß ich die
beiliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe angefertigt und alle Stellen,
die wörtlich oder annähernd wörtlich aus Veröffentlichungen entnommen sind, als
solche kenntlich gemacht habe. Außerdem habe ich mich keiner anderen als der
angegebenen Literatur bedient. Diese Versicherung bezieht sich auch auf zur
Arbeit gehörige Zeichnungen, Skizzen, bildliche Darstellungen etc.
Mit der späteren Einsichtnahme in meine Hausarbeit erkläre ich mich nicht
einverstanden.
___________________ _____________________________________
Datum Unterschrift