Download - Erfolgsperspektive Deutschland
Kommentar
Auf der Suche nach der richtigen Zukunft – die Bundestagswahl
Nun steht sie unmittelbar bevor, die große Entscheidung – die Bundestagswahl. Und es geht
– wie immer – um nichts Geringeres, als um die Zukunft unseres Landes. Wir haben nicht nur
die Kraft, sondern die Macht des Votums, für wenige Augenblicke zumindest, für die Zeit in der
Wahlkabine. Was dort wirklich passieren wird, wissen wir nicht. Auch die Wahlforscher nicht,
weshalb das Orakeln um den möglichen Wahlausgang auf Hochtouren läuft. Nach den gängigen
Prognosen ergibt sich ein klarer Trend: CDU/CSU rangieren bei einem Wert um 35%, die SPD
kommt auf rd. 20% – 25%, FDP und Grüne liegen bei jeweils 12% – 14%, die Links-Partei könn-
te sogar über 10% erreichen und der Rest entfällt auf die üblichen Sonstigen. Bei aller Ungewiss-
heit von Vorhersagen wird sich eine Entwicklung bestätigen: Die großen Volksparteien verlieren,
die kleinen Parteien legen zu, es kommt zu keinen klaren Mehrheitsverhältnissen, Koalitionen
und Kompromisse sind die Folge.
Oliver W. Schwarzmann, Zukunftspublizist, Vorstand Vordenker-Medien Bley und Schwarzmann AG und Initiator der Erfolgsperspektive Deutschland
Ein Jammer, werden die Parteistrategen anschließend sagen, hat man sich doch eben um Masse
bzw. um die Mitte der Wähler hinreichend bemüht. Doch das Ende der eindeutigen Mehrheiten
ist ein Zeichen der Zeit. Und kein Signum fehlender politischer Stärke.
Dass Parteien heute überhaupt massentauglich sein können, liegt nicht mehr an ihrem scharfen
Profil. Nein – das Gegenteil ist der Fall: Eine differenzierte Gesellschaft (wie die unsere) zeichnet
sich ja gerade dadurch aus, dass es keine eindeutigen Mehrheiten mehr gibt, sondern eine hohe
Komplexitätsschicht aus heterogenen Interessen und unterschiedlichen Strömungen. Heißt für
die Politik: Keine Partei ist in der Lage, die Differenzierung der Gesellschaft in einem kompak-
ten, einheitlichen Profil abzubilden. Bedeutet für die Parteien: Wollen sie möglichst viele Wähler
ansprechen, müssen sie sich ent-profilieren. Das tun sie eigentlich bereits, zumindest CDU und
SPD machen das, auch die Grünen, während sich die FDP bemüht, sich selbst ein Stück weit
treu zu bleiben. Die Regierungsparteien geben sich dieser Entwicklung nicht gerne hin, sondern
handeln aus Koalitionszwang und politischem Pragmatismus. Lieber wäre ihnen, Kante zu zei-
gen – aus einem historischen, aber überholten Prestigeverständnis. Wer hingegen mit der Ent-
Profilierung liebäugelt, nutzt sie noch falsch: Man will niemandem wehtun und jedem gefallen
– Ent-Profilierung wird so wiederum zum Profil und funktioniert nicht.
Ob die Parteien wollen oder nicht, die Ent-Profilierung ist bereits überall wirksam: Wahlprogram-
me sind zwar noch das, was sie immer waren - Idealvorstellungen. Aber sie repräsentieren mit-
tlerweile keine Profilierungsbelege mehr – die Ähnlichkeit zwischen den Konzepten ist zu groß
geworden. Und soviel Ent-Profilierung ist schon Realität: Es geht den Parteien heute vielmehr
darum, möglichst breit angelegte Zukunftsappelle zu formulieren, statt sich mit klaren Ideologien
abzugrenzen. Wie schon angedeutet: Abgrenzung bedeutet in einer differenzierten Welt auch
mögliche Ausgrenzung. Dieses Risiko will keine Partei eingehen. Außer vielleicht der Links-Par-
tei, die mit ihrer inszenierten Ausgrenzung mittels der Beschwörung sozialromantischer Utopien,
sich auf einem inselartigen, staatsparadiesischen Gegenstatus zum politischen Establishment
domiziliert hat.
Aber, wie gesagt, wir brauchen keine Angst zu haben: Das Fehlen klarer Profile ist kein Ausdruck
herrschender Themenverarmung, wie es viele Politbeobachter befürchten. Sondern wir erleben
lediglich die Indizien eines strukturellen Wandels der parteipolitischen Imagebildung. Die Ent-
Profilierung wird zwar nach wie vor vordergründig bekämpft, ist aber bereits voll im Gang - und
Parteien liegen damit (bewusst oder unbewusst) genau im Trend, auch wenn man das kaum
glauben mag.
Wonach sollen sich Wähler dann richten?
Tja, das ist das Dilemma mit der Differenzierung – jeder Einzelne sucht in der Parteienlandschaft
nach der Reflexion seiner momentanen, individuellen Interessen und hat das Gefühl, nicht wirk-
lich fündig zu werden. Was er auch nicht kann, denn einfache und klare Richtungen kommen in
einer komplexen, vielschichtigen Welt nicht mehr vor. Und keiner Partei ist es in einem so hoch
unterschiedlichen Umfeld möglich, einen ideologischen oder wie auch immer gearteten Massen-
geschmack zu treffen - es gibt ihn nicht.
Vielleicht nur noch im Gewand eines kurzen Skandals.
Doch Blitzaufreger, wie Dienstwagen oder Party im Kanzleramt, sind schnell wieder vergessen.
Heißt das nun, dass wir Bürger nach gut Dünken wählen und dass irgendeine zusammengewür-
felte, heißt: beliebige Regierung dann das anfallende Tagesgeschäft bürokratisch abarbeitet?
So einfach ist es allerdings nicht – weder für die Parteien noch für uns Wähler.
Die Parteien brauchen andere Alleinstellungsmerkmale als Ideologien, soviel ist klar in einer of-
fenen, hypervernetzten und zugleich superdifferenzierten Welt. Und wir Bürger müssen akzep-
tieren, dass es zunächst an uns selbst liegt, wenn keine klaren Mehrheiten zustande kommen.
Es ist einer der Preise, die wir für Individualität bezahlen. Und wir müssen darüber hinaus lernen,
dass es in einer komplexen Welt keinen „einzig richtigen Weg zur Zukunft“ gibt.
Nein, die Wege zur Zukunft sind extrem vielschichtig geworden – was uns alle zu mehr Flexibili-
tät, Offenheit und Vielseitigkeit auffordert.
Die Zukunft liegt in einer neuen Form des Konsenses – es geht nicht mehr darum, den kleinsten,
gemeinsamen (Interessens-)Nenner auszuhandeln, sondern das Verbindende zu suchen. Damit
entstehen neue Mehrheiten und etwas, was wir alle in der Politik suchen – Verbindlichkeit.
Wer also Mehrheiten sucht, wird sie nur finden, wenn es gelingt, eine besondere Form der emo-
tionalen Verbundenheit auszulösen. Das gilt für Parteien wie für Unternehmen gleichermaßen.
Nicht nur das: In der künftigen Tagespolitik wird es ohnehin darum gehen, in einer schnellen
Welt auf rasch eintretende Situationen unmittelbar reagieren zu können. Was nicht mit blindem
Aktionismus zu bewerkstelligen ist. Im Gegenteil: Je kurzfristiger unser Globus sich entwickelt,
desto weitsichtiger müssen gesellschaftliche Visionen angelegt sein. Tja, Visionen – das wären
vielleicht die anderen, neuen Alleinstellungsmerkmale für Parteien. Visionen, die eine politische,
will sagen: mentale Vorstellung einer möglichen Zukunft vermitteln. Damit erreichten wir eine
neue Qualität von Perspektiven. Und in die wäre besser investiert, als in den permanenten Ver-
such, Zukunftsängste mit möglichst breiten Profilierungskonzepten, will heißen: vollmundigen
Versprechungen, betäuben zu wollen. Ja, mit Visionen könnte man auch der herrschenden
Orientierungslosigkeit begegnen. Denn Unsicherheit ist das Ergebnis eines Mangels an Perspek-
tiven. Und Visionen könnten die angesprochene, emotionale Verbundenheit auslösen – gäbe es
doch so etwas wie ein kollektives Ziel. Freilich, diese Visionen müssten ideologiefrei daherkom-
men. Dann wären sie Markenzeichen.
Markenzeichen?
Lieber Herr Schwarzmann, wir wollen Parteien doch nicht zu kommerziellen Marken machen,
entgegnete mir ein Diskussionspartner auf einem Forum zur Zukunft der Politik.
Nein, erwiderte ich, Marken sind für mich keine kommerziellen Symbole mehr, sondern Bot-
schaften an die Zukunft. Und bitte: Unternehmen und Parteien haben eines gemeinsam – es geht
nicht mehr um Gewinne und Siege, sondern ihr Engagement gilt der Verbesserung, Kultivierung
und Weiterentwicklung der Gesellschaft.
Wer also die aktuellen Wahlprogramme wirklich substanziell prüfen möchte, sollte nicht nach
irgendwelchen, verwässerten Profilen suchen, sondern nach ideologiefreien Visionen und nach-
haltigen Perspektiven forschen. Das wäre schon ein Anfang für eine Neuorientierung.
Eines sollten wir uns an dieser Stelle allerdings nochmals bewusst machen – auch die Um-
setzung von global ausgerichteten, ganzheitlich angelegten und ethisch orientierten, sozialen,
ökologischen und wirtschaftlichen Visionen würde in unserem komplexen Zeitalter evolutionär
und vielschichtig verlaufen, will heißen: Schritt für Schritt, weder einfach noch eindeutig, nicht
geradlinig und kontinuierlich.
Die Architektur der Zukunft ist zu vergleichen mit einem unendlich offenen, 4-D-Puzzle, das nicht
nur unvollendet, sondern zudem permanent in Bewegung ist. Jeder hat in seiner Zeit die Chan-
ce, ein Stück daran zu bauen. Wir sollten dabei erkennen, dass der Bau jeden angeht, dass jeder
seinen individuellen Blickwinkel besitzt und doch mit jedem anderen in Verbindung steht. Dass
wir gemeinsam und nicht isoliert an einem ebenso universalen wie einzigartigen Werk arbeiten.
Schon alleine deshalb sollten wir zur Wahl gehen.
Damit ein vielschichtiges Ergebnis dabei herauskommt.
Und kein beliebiges.