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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Freistil
Craft Beer
Die Braurebellion und ihre Macher
Von Michael Reitz
Produktion: Dlf 2016
Redaktion: Klaus Pilger
Sendung: Sonntag, 27.11.2019, 20:05-21:00 Uhr
Regie: Uta Reitz
Es sprachen: Jochen Langner, Bernd Reheuser und Sigrid Burkholder
Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Caroline Thon
Urheberrechtlicher Hinweis
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt
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- unkorrigiertes Exemplar -
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Atmo Bierfest in Kulmbach, unter Text
O-Ton (1) Schoppe: Du musst auch wirklich immer in Bewegung bleiben.
Also es reicht jetzt auch nicht irgendwie zu sagen, ich bin jetzt Craftbeer-
Brauer und ich hau jetzt mal Pale Ale auf den Markt, und dann ist deine
Rente gesichert.
O-Ton (2) Metzel: Welche Biere trinken Frauen gern? Das kann man auch
nicht pauschal beantworten, dass Frauen nur das eine trinken würden.
O-Ton (3) Lemke: Es geht um Bier, und es geht um Geschmack.
O-Ton (4) Eßer: Wir sitzen regelmäßig beieinander (…) in einem ganz
kleinen Kreis und sagen, na, was könnte denn vielleicht noch mal gut
sein? Oder was haben wir noch nicht ausprobiert?
O-Ton (5) Eichele: Wir haben in Deutschland eine einmalige Biervielfalt
mit 5500 Marken. Jede Woche kommt ein neues Bier auf den Markt. Wir
haben 1388 Brauereien. Die Zahl ist stark steigend.
O-Ton (6) Wülfing: Im Grunde genommen ist Bier brauen nicht
schwieriger als Kochen.
O-Ton (7) Annette: Ich behaupte, es ist ein Craftbier (…) Es hat so einen
getreidigen Abgang, den man eher von einem Ale kennen würde (…) Und
ich glaube, ein industrielles Bier hätte nicht soviel Geschmack.
Zitator: Wer kein Bier hat, hat nichts zu trinken.
Erzählerin: Der Reformator Martin Luther
Titelansage: Craft Beer – Die Braurebellion und ihre Macher. Von Michael Reitz.
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Atmo Bierfest in Kulmbach
Erzählerin: Es ist nicht nur das liebste Getränk der Deutschen, es ist auch
ein geradezu identitätsstiftendes Element: das Bier. Nach Informationen
des Deutschen Brauerbundes trinkt jeder Deutsche im Jahr
durchschnittlich 105,9 Liter. Nur wenige europäische Nationen trinken
mehr. Deutschland gehört auch zu den größten Prozenten weltweit. Und
nirgendwo auf der Welt wird die Herstellung von Bier so überwacht wie
hier, kein Land legt so viel Wert auf die Makellosigkeit der Zutaten. Ein
Grund dafür: Das berühmte deutsche Reinheitsgebot.
Zitator: Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren
Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als
allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden
sollen. Wer diese unsere Anordnung wissentlich übertritt und nicht einhält,
dem soll von seiner Gerichtsobrigkeit zur Strafe dieses Fass Bier, so oft es
vorkommt, unnachsichtlich weggenommen werden. – Gegeben von
Wilhelm IV., Herzog in Bayern am Georgitag zu Ingolstadt anno 1516.
Erzählerin: Bekannt und oft zitiert ist diese klare Weisung in Bezug auf
ein Lebensmittel, das zur damaligen Zeit höchstwahrscheinlich in weitaus
größeren Mengen getrunken wurde als heute. Eine Passage, die auch in
diesem Reinheitsgebot enthalten ist, hat sich allerdings nicht ins 21.
Jahrhundert retten können. Denn der umsichtige Herzog hatte für Bier
einen Einheitspreis festgelegt. Der lag bei einem Pfennig für die
bayerische Maß, die knapp über einem Liter lag. Das Ingolstädter
Reinheitsgebot ist zwar die bekannteste Verordnung zur Bierherstellung,
aber nicht die älteste. Bereits 350 Jahre zuvor hatten mehrere Städte
Verordnungen erlassen, die zunächst nur diese drei Zutaten erlaubten.
Einer der Gründe für Gerste war die Verhinderung von Hungersnöten.
Denn sie kann im Unterschied zu Roggen und Weizen nicht zum
Brotbacken verwendet werden. Hinzu kam: Die Vergärung war das
Problem. Da Hefe noch nicht bekannt war, wurden zur Alkoholerzeugung
alle möglichen und unmöglichen Stoffe ins Bier gemischt: Rüben,
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Tollkirschen, faules Wasser oder Pilze. Dadurch wurde es nicht nur
ungenießbar, sondern manchmal auch tödlich. Deshalb galt vielerorts eine
harte Strafmaßnahme: Ein Brauer, der miserables Bier herstellte, musste
sein eigenes Produkt solange trinken bis er in Ohnmacht fiel.
Musik: „Ein Prosit der Gemütlichkeit“
O-Ton (8) Eichele: Wir brauen in modernen Brauereien unter absolut
hygienischen Verhältnissen. Wir kontrollieren unsere Rohstoffe sehr, sehr
genau.
Erzählerin: Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen
Brauerbundes. Dort sind im Jahr 2016 1388 große und kleine Brauereien
vertreten.
O-Ton (9) Eichele: Das fängt beim Wasser an und endet dann bei der
Hefe, so wie man sich eben die Ansprüche – zu Recht – der Verbraucher
an einen hygienischen, modernen Betrieb vorstellt. Natürlich hat es eine
Weiterentwicklung gegeben. Natürlich nutzen wir die Möglichkeit, nicht nur
Hopfen, der frisch vom Feld kommt, Ende August zu verarbeiten, sondern
wir nutzen die Möglichkeit, Hopfenkonzentrat zu verarbeiten.
Erzählerin: Im Laufe der Jahrhunderte erhielt das Reinheitsgebot den
Rang eines Alleinstellungsmerkmals, dem sich jeder deutsche Brauer
verpflichtet fühlt. Denn in jedem anderen Land der Erde durfte und darf ins
Bier so ziemlich alles hineingebraut werden. 1906 wurde es im Deutschen
Reich zu einem Lebensmittelgesetz. Das allerdings 1993 in ganz
Deutschland teilweise liberalisiert wurde. Außer in Bayern, wo das
Reinheitsgebot nach wie vor in seiner reinen Fassung gilt, sieht man es
seitdem nicht mehr ganz so streng mit dem Brauen. Mit einer Ausnahme,
wie Holger Eichele erklärt:
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O-Ton (10) Eichele: Der Grundgedanke des Reinheitsgebotes ist es, die
lange Liste an künstlichen Zusatzstoffen, die in Europa zum Brauen
erlaubt sind, diese Liste auszuschließen. Wer nach dem Reinheitsgebot
braut, darf die in Europa zugelassenen Zusatzstoffe – das ist eine lange
Liste von E-Nummern – nicht verwenden. Und das ist der qualitative
Unterschied.
Erzählerin: In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ist in Deutschland ein
Trend entstanden, der das Reinheitsgebot als nicht mehr verbindlich
betrachtet: Craftbier.
Zitator: Craft – aus dem Englischen: Handwerk, Kunstfertigkeit,
Geschicklichkeit. Craftiness: Schlauheit. List.
Erzählerin: Unter dem Sammelbegriff „Craft-Bier“ formiert sich eine
Gruppierung von Klein- und Kleinstbrauern, die ihre eigene Biersuppe
kocht. Fernab vom Mainstream der Großbrauereien.
O-Ton (11) Eichele: Wir erleben im Moment einen Boom, eine
Hochkonjunktur auch der privaten Braukurse. Immer mehr Menschen
wollen selbst brauen lernen, weil sie aus den Medien eben mitnehmen wie
groß die Vielfalt ist, wie spannend es ist, mit diesen Rohstoffen zu brauen.
Und beachten müssen Sie, dass Sie sich das richtige Equipment kaufen,
und beachten müssen Sie, dass Sie keinen Ärger mit dem Zoll
bekommen.
Erzählerin: Denn für den privaten Gebrauch sind nur 200 Liter pro Jahr
und Haushalt erlaubt, die auch nicht verkauft werden dürfen. In
stillgelegten Lagerhallen, Industriebrachen oder Kellerräumen werden
Biere gebraut, die anders sein wollen: Exklusiv, nicht orientiert am
Massengeschmack, experimentell, originell, kleine Produktion. Der
Vorwurf der Crafter: So rein, wie das Gros der deutschen Brauer
behauptet, ist unter industriellen Bedingungen hergestelltes Bier schon
lange nicht mehr. Denn es würden ständig Kompromisse gemacht.
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O-Ton (12) Wülfing: Die Kompromisse sind vor allen Dingen auch
finanzieller Natur. Wir haben ja einen ganz brutalen Preiskampf, einen
Verdrängungswettbewerb in Deutschland.
Erzählerin: Fritz Wülfing, Craft-Bierbrauer in Bonn-Pützchen. Mit seiner
Frau Heike schrieb er das Buch „Craft Bier selber brauen. Revolution der
Heimbrauer“.
O-Ton (13) Wülfing: Es wird immer weniger Bier getrunken, und es muss
immer billiger sein. Die Margen werden immer spärlicher, und deshalb ist
das Brauen eigentlich voller Kompromisse, was das Bier angeht, weil es
nämlich in erster Linie billig sein muss. Und alle anderen Faktoren spielen
keine Rolle. Also die kulinarischen, insbesondere die, die gut fürs Bier
sind, die Zeit brauchen, lange Lagerung, starke Biere, viel Hopfen,
Aromahopfen.
Erzählerin: Doch merkt das auch der Verbraucher? Bilden sich die
Unterschiede in der Herstellung, in der Auswahl der Rohstoffe, dem
Verzicht auf Kompromisse, den die Crafter für sich reklamieren, auch im
Geschmack ab? Zwei Frauen und zwei Männer, die wenig, aber
regelmäßig Bier trinken und dabei keine Marke besonders bevorzugen,
werden zu einem Experiment eingeladen. Mehrere Flaschen Bier stehen
vor ihnen, ohne Etiketten oder andere Hinweise darauf, ob es sich um
Craft- oder industriell hergestelltes Bier handelt. Es ist eine
Blindverkostung mit den „Bier-Sachverständigen“ Sven, Annette, Heike
und Michael.
O-Ton (14) Sven: (Biereinschenken, Klimpern): Es haut einen nicht
vom Hocker von der Stärke her, ich find es auch sehr mild, aber der
Geschmack ist doch sehr eigentümlich (…) ich find das nicht so herb.
O-Ton (15) Annette: Ich find es extrem süß und süffig (…) es ist sehr
fruchtig, also ich hab mich schon gefragt, ob es in die Nähe von
Traubenschorle kommt (…) fruchtig, süß, süffig (…) Ich glaub nicht, dass
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das industriell hergestellt ist, denn dafür ist es tatsächlich zu süß, zu
fruchtig (…) industriell in der Geschmacksrichtung gäbe es maximal
Malzbier (…) Wenn es eine Farbe hätte das Bier, das ist auf jeden Fall
eine Mädchenfarbe, also lila, pink so in die Richtung
O-Ton (17) Heike : Kann ich gar nicht viel zu sagen, ich find das total
unspezifisch (…) Das schmeckt nach wenig, da ist nix Hopfiges, nix
Malziges, das ist so lullig.
O-Ton (18) Michael : Eine leicht herbe Note (…) ansonsten schon süffig,
für sonstige Biere, die ich getrunken hab unspektakulär, könnte für mich
alles sein, und das ist niemals ein Craftbier, das sag ich mal.
Erzählerin: Ist es auch nicht. Bei dem vorgestellten Bier handelt es sich
um das Produkt einer Brauerei in Unterfranken, die damit wirbt, auch
Craftbiere im Programm zu haben – die dann allerdings in großer
Hektoliterzahl gebraut werden. Doch welche Kriterien sollte ein Craftbier
überhaupt erfüllen? Heike, eine der Teilnehmerinnen der Blindverkostung
sagt dazu:
O-Ton (19) Heike: Meine Vorstellung von Craftbier ist das die irgendwie
Ecken und Kanten haben und nicht so gewöhnlich schmecken, so wie halt
diese Massenbiere, die überhaupt keine Ecken und Kanten haben.
Erzählerin: Bierverkoster Sven glaubt:
O-Ton (20) Sven: Ein Craftbier schmeckt halt entweder kräftig, herb, oder
süß, oder schmeckt stark (…) irgendeine spezielle Note haben die
Craftbiere nach meiner Erfahrung immer.
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Erzählerin: Fritz Wülfing braut in einem ehemaligen Maschinenlager pro
Jahr dreihundert Hektoliter Bier. Zum Vergleich: Die Unternehmensgruppe
Warsteiner, eine der Marktführerinnen in Deutschland, produziert etwas
mehr als fünf Millionen Hektoliter. Das Equipment dazu hat sich Fritz
Wülfing unter anderem auf einem Bauernhof beschafft: gebrauchte
Milchlagertanks, in denen nun Maische gekocht und Bier gekühlt wird.
O-Ton (21) Wülfing: Man kann sich sowas auch selber bauen (…) In den
USA hat jeder Dritte schon mal zu Hause gebraut. Kann man sich
vorstellen, bei 300 Millionen Einwohnern, wie viele da schon zu Hause
gebraut haben. Das ist so eine ganze Industrie. Da gibt es vor allen in
jedem Ort mehrere Heimbrauläden. In Deutschland sind wir da erst am
Anfang. Es gibt immer mehr.
Erzählerin: Fritz Wülfing, Jahrgang 1963, ist Verfahrenstechniker. Er hat
während seines Studiums ein Praktikum in einer Großbrauerei gemacht.
O-Ton (22) Wülfing: Und ich fand das so faszinierend, da die ganzen
einzelnen Produktionsstufen zu sehen, mitzuerleben. Die ganzen
Wohlgerüche. Und ich finde das sind alles Wohlgerüche, egal in welchem
Abschnitt man von der Produktion ist. Und seitdem bin ich eigentlich
bewusster Biergenießer. Und habe mich dann so rangetastet.
Erzählerin: Dieser Trend zum Selbst- und Heimbrauen kommt also aus
den USA. Jimmy Carter, von 1977 bis 1981 Präsident dieses Landes,
erlaubte per Gesetz das sogenannte „Homebrewing“. Jeder US-Bürger
darf seitdem sein eigenes Bier brauen. Die Ursache für dieses Gesetz war
die Herrschaft von einigen wenigen Brauereien in den USA, die nicht nur
die Preise, sondern auch den Geschmack diktierten. Und wie vieles, was
zunächst jenseits des Atlantiks entstand, kam auch die Craft-Bier-
Bewegung nach Europa. Erste Station: Die irische Hauptstadt Dublin.
Musik Irland
Atmo Porterhouse-Kneipe, erst hoch, dann unter Text
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Erzählerin: Nassau Street, im Zentrum von Dublin. Gegenüber des
ehrwürdigen Trinity College befindet sich das „Porterhouse“, ein
klassisches irisches Pub mit holzvertäfelten Wänden, Zapfhähnen so groß
wie Baseballschläger und einer kaum zu überblickenden Menge von
Biersorten: Lager, Ale, Stout, Porter, Pils und sogar Berliner Weiße, wobei
18 verschiedene Stile von „Porterhouse“ selbst gebraut werden.
Atmo Porterhouse-Kneipe, erst hoch, dann unter Text
Erzählerin: Das Porterhouse war eines der ersten Brauhäuser, die dem
Dubliner Bier-Giganten „Guinness“ trotzten. Seit 1996 wird dort Bier
gebraut, das sich deutlich von den herkömmlichen irischen Bieren
unterscheidet: kräftiger im Geschmack – aber auch in der Wirkung.
Ursprünglich nur aus einer kleinen Kneipe bestehend, setzte sich das
Konzept der alternativen Biere durch. Heute arbeiten 550 Angestellte in
den Brauereien und Pubs. Oliver Hughes, einer der Gründer der Firma,
erklärt in der Whisky-Bar des „Porterhouse“, was an Craft Bier so
besonders ist.
O-Ton (23) Hughes: Essentially it is more of a philosophy which is led by
the fact that you brewing something which is flavored, something tasty for
a local community. And it’s an ethic value to let the customer chose what
they want, as they are be told by fancy advertising what they should drink.
It’s a consumer and beer-lover led movement.
Overvoice: Im Wesentlichen ist es eine Philosophie, die vom Geschmack
geleitet wird. Etwas zu brauen, was lecker und für den lokalen Gebrauch
bestimmt ist. Es ist für uns von ethischem Wert, den Kunden selbst
entscheiden zu lassen, was er trinken will. Unbeeinflusst von flotten
Werbekampagnen. Craft ist eine kundenorientierte Bewegung von
Bierliebhabern.
Erzählerin: “Brewed by men – not machines” – “Von Menschen gebraut,
nicht von Maschinen” steht auf den T-Shirts der Barkeeper. Laut Oliver
Hughes ist die wichtigste Zutat des Bierbrauens die Liebe zum
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Gegenstand und die Leidenschaft. Gelernt hat er sein Handwerk bei einer
Craft-Bierbrauerei in den USA, später dann in London.
O-Ton (24) Hughes: I was in a brewery – I wouldn’t name it – they brewed
in four hours. Two men did it. Whereas we have our brewers, we taste the
hops, we have relationships with the hop-growers, we try to do things
different, we try to do things funky, bouncing ideas. This is not some push-
button-adventure.
Overvoice: Ich hab in einer Großbrauerei gelernt – ich will den Namen
jetzt nicht nennen – da wurde ein Bier in gerade mal vier Stunden gebraut.
Der Vorgang wurde nur zwei Personen überwacht, die lediglich Knöpfe
drückten. Wir hier haben eine ganze Menge Brauer und die drücken nicht
nur Knöpfe, wir reden mit den Hopfenzüchtern und versuchen das
Bierbrauen mit witzigen und zündenden Ideen anders zu gestalten.
Erzählerin: Die Porterhouse-Mannschaft versteht sich nicht als
Vereinigung von Geschäftsleuten. Für sie steht der Spaß im Vordergrund.
Vor dem Pub steht ein Schild, auf dem ein Finger in Richtung Trinity-
College zeigt „Nutz deine Gehirnzellen“. Ein anderer Zeiger weist in
Richtung Kneipe, er sagt: „Verlier deine Gehirnzellen“.
O-Ton (25) Hughes: Straight forward, straight talking, beer-loving,
whisky-consuming-company limited. Quite simple (…) These are individual
people (…) Irish people believe very much in individual characters.
Overvoice: Unser Motto ist: Immer vorwärts, klare und ehrliche Sprache,
wir lieben Bier und Whisky. Wir sind Individualisten und die Iren lieben ja
individuelle Charaktere.
Erzählerin: Die Porterhouse-Gruppe produziert pro Jahr ungefähr 15.000
Hektoliter Bier. Vollkommen ausreichend, wie Oliver Hughes meint. Denn
eine aggressive Werbung wird nicht betrieben, ebenso wenig wie der
Versuch, außerhalb Dublins oder gar Irlands Fuß zu fassen. Entweder die
Leute kommen, oder sie kommen nicht, meint Oliver Hughes.
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O-Ton (26) Hughes: Craft beer doesn’t suit everybody (…) People tend to
drink less. It is more of having a few beers and enjoying the flavor than
rather knocking back a gallon (…) We’re actually improving to drink better.
With craft beer we are drinking better.
Overvoice: Craftbier ist noch lange nichts für jeden. Hinzu kommt, dass
die Menschen weniger Bier trinken, der Trend geht eher dahin, weniger
besseres Bier zu trinken als sich die Birne zuzuknallen. Daran arbeiten
wir: Verbesserung des Bierkonsums und des Geschmacks durch Craftbier.
Atmo Porterhouse-Kneipe, erst hoch, dann unter Text
Erzählerin: Bierbrauen ist ein sehr komplexer Prozess. Umso
erstaunlicher ist es, wie lange der vergorene Gerstensaft schon ein
menschliches Kulturgut ist. Denn bereits die Sumerer im Zweistromland
hatten um 1800 vor Christus eine Biergöttin, die sie Ninkasi nannten und
der sie eine Hymne widmeten:
Musik
Zitator: Was dein Herz erfreut, das erfreut auch unser Herz. Unsere Leber
ist glücklich und unser Herz ist fröhlich. Möge Ninkasi stets mit dir sein.
Erzählerin: Neun Phasen lassen sich beim Bierbrauen unterscheiden:
Zitator: Maischen, Läutern, Würzekochen, Ausschlagen, Abkühlen,
Hefezugabe und Gärung, Lagerung, eventuell Filtrieren und schließlich
Abfüllung in Fässer, Flaschen oder Dosen.
Atmo Brauerei Wülfing, erst hoch, dann unter Text.
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Erzählerin: In Fritz Wülfings kleinem Betrieb. Bei einem Brauvorgang
sollen knapp tausend Liter Bier produziert werden. Drei Helfer sind vor Ort,
der erste Brauabschnitt wird ungefähr acht Stunden dauern.
O-Ton (27) Wülfing (mit Atmo): Eine Gose machen wir heute. Gose ist
ein alter deutscher Bierstil. Das ist nichts anderes als ein leicht säuerliches
Weizenbier mit Koriander und Salz. Und dieser Bierstil ist verschwunden,
als 1906 das Reinheitsgebot im gesamten Deutschen Reich in Kraft trat.
Erzählerin: Am Beginn steht das Maischen. Gemälztes Getreide, in
diesem Fall 200 Kilogramm Weizen, wird mit 600 Liter Wasser bei 68 Grad
Celsius gekocht. Mälzen bezeichnet einen kontrollierten Keimvorgang, bei
dem aus Getreide Malz entsteht. Es wird erst eingeweicht, dann in der
sogenannten Darrung getrocknet.
Erzählerin: Bereits durch dieses Verfahren wird das Aroma des Bieres
bestimmt. Mälzen ist nötig, damit bereits im Vorfeld des Brauens Stärke
und Eiweiß abgebaut wird, da sonst der Geschmack des Bieres
empfindlich beeinträchtigt würde.
Erzählerin: Das Maischekochen dauert ungefähr anderthalb Stunden.
O-Ton (30) Wülfing: Wir machen jetzt die Jodprobe. Das bedeutet, wir
testen, ob unser Maischvorgang am Ende ist oder nicht, oder beendet ist
oder fertig ist. Das Jod ist ja rot. In der Maischeprobe geträufelt würde sich
violett verfärben, wenn er stärker vorhanden wäre, und wie du siehst, färbt
sich gar nichts violett.
Atmo Brauerei Wülfing
O-Ton (31) Wülfing: Jetzt fangen wir an mit dem Läutern. Also wir warten
jetzt noch einen Augenblick. Das ist die sogenannte Läuterruhe. Das
bedeutet nichts anderes, als dass man die Spelzen von dem Malzschrott
in der Maische sich absetzen lässt, auf dem Siebboden, der da unten
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drunter ist. Dann fängt man mit dem Läuterprozess an. Und das machen
wir jetzt mal. Dann drehen wir jetzt mal den Hahn auf. Da kommt zuerst
mal trübe Plömpe raus.
Atmo plätschernde Maische
Erzählerin: Das Maischen hat bewirkt, dass die Getreidestärke in Zucker
umgewandelt wurde. Ob zuviel oder genügend Zucker in der Flüssigkeit
vorhanden ist, stellt Fritz Wülfing mit einem Gerät fest, das aussieht wie
die Klinge eines kleinen Messers und eigentlich aus dem Winzerhandwerk
stammt.
O-Ton (32) Wülfing: Das ist ein Refraktometer. Das benutzen eigentlich
nur Winzer. Da misst man den Zuckergehalt in Flüssigkeiten durch
Lichtbrechung (…) Und wir messen damit den Zuckergehalt in der
Bierwürze. Und normale Brauer machen das eigentlich nicht. Die nehmen
Spindeln und messen die Dichte so. Ist unheimlich aufwendig. Ist zwar viel
präziser, aber wir müssen es ja nicht genau messen. Es reicht ja, wenn
das ein halbes Prozent genau ist.
Erzählerin: Nun wird die gekochte Flüssigkeit am unteren Ende des
Maischbottichs abgelassen und in den Läuterbottich umgefüllt. Die
Getreidereste, die sogenannten Spelzen, legen sich dabei auf den Boden
des Maischbottichs.
O-Ton (33) Wülfing: Und der Boden ist ein Lochblech (…) Und darauf
bleiben die Spelzen liegen, die Flüssigkeit läuft durch und unter den
Lochblechhohlraum. Und da ziehen wir jetzt unten die Vorderwürze ab,
und pumpen sie zunächst mal wieder obendrauf. Und das sind alles so
diese Prozesse, die dazu führen, dass das Bier umso besser wird, je mehr
Zeit man sich lässt. Je länger man sich zum Beispiel hierfür Zeit lässt,
desto klarer wird die Flüssigkeit und desto besser ist nachher das
Ergebnis.
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Atmo Brauerei
O-Ton (34) Wülfing: So richtig im Blick habe ich’s nicht. So ein bisschen
im Gefühl. Aber das sieht schon ziemlich klar aus. Ich hole jetzt gleich
einfach mal ein Glas und halte das da drunter (…) Sieht schon ziemlich
gut aus. So richtig klar wird das sowieso nicht, weil wir Weizenmalz haben.
Erzählerin: Das nasse Malz bildet einen natürlichen Filter, der die
Bierwürze – Grundlage für das weitere Brauen – mit der Zeit klar
herauslaufen lässt. Nun beginnt das Würzekochen.
O-Ton (35) Wülfing: Das ist unsere Würzepfanne. Also wir pumpen jetzt
die sogenannte Bierwürze vom Läuterbottich in die Würzepfanne, und in
der Würzepfanne ist dann das eigentliche Biersieben. Sogenannte
Hopfenkochung, Würzekochung, gibt es viele Begriffe für (…) Da wird
dann diese Lösung aus Malz, Zucker, Wasser und später auch Hopfen,
der da dazugegeben wird, mindestens eine Stunde gekocht.
Atmo Brauerei Wülfing
Erzählerin: In der kleinen Bonner Brauerei riecht es jetzt nach faulen
Kartoffeln. Denn feuchter Weizen wurde gekocht und entwickelt dadurch
ein strenges Aroma. Das abgesetzte Getreide im Maischbottich schmeckt
jedoch überhaupt nicht ranzig oder verrottet, eher so süßlich wie ein
gezuckertes Müsli. Während des Würzekochens gibt Fritz Wülfing dann
den Hopfen hinzu, ungefähr 300 Gramm aus der Hallertau in Bayern, dem
größten Hopfenanbaugebiet Europas. In Fritz Wülfings Brauerei kommen
ausschließlich frisch geerntete Hopfen zum Einsatz
Atmo Brauerei Wülfing
O-Ton (38) Wülfing: Im Grunde genommen ist Bier brauen nicht
schwieriger als Kochen. Das einzige, was beim Bier brauen eben anders
ist, dass es so lange dauert. Also bis so ein ganzer Prozess einmal durch
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ist, bis dann nachher am Abend von einem Brautank mit Hefe versetzt im
Gärtank ist und gärt und nun die Arbeit die Hefe übernimmt, sind schon, je
nachdem wie es läuft, mindestens acht Stunden, meistens aber auch zehn
Stunden, die man dann an Arbeit hat.
Erzählerin: Nach dem Umfüllen in einen neuen Tank gibt Fritz Wülfing die
Hefe hinzu. Brauer sagen: Der Hopfen ist die Seele des Bieres, die Hefe
sein Körper. Sie sorgt dafür, dass der Zucker in der Würze innerhalb von
einigen Tagen vergärt und somit Alkohol bildet. Mit der Hefesorte
entscheidet der Brauer, ob er ein ober- oder untergäriges Bier herstellt.
Bei obergärigen Bieren wie Kölsch oder Alt setzt sich die Hefe oben ab,
bei untergärigen am Boden. Wichtig für den Umwandlungsprozess in
Alkohol ist auch die Stammwürze. Sie entsteht bereits während des
Läuterns. In Fritz Wülfings Mikrobrauerei wird nun die Flüssigkeit, aus der
Bier werden soll, in großen Gärtanks gelagert. Vier bis sechs Wochen wird
es dauern, bis es in Flaschen abgefüllt werden kann.
Zitator: Die erste Pflicht der Musensöhne ist, dass man sich ans Bier
gewöhne.
Erzählerin: ….sagt Wilhelm Busch
Atmo Brauerei Wülfing
Erzählerin: Von einer Micro-Brauerei im Rheinland nun zu einer ziemlich
großen in Bayern. Im fränkischen Kulmbach ist Hermann Nothhaft der
Braumeister und erklärt, was es mit der Stammwürze auf sich hat.
O-Ton (40) Nothhaft: Wenn Sie eine Stammwürze von 12 Prozent haben,
davon sind zwei Drittel vergärbar, also 8 Prozent. 4 Prozent bleiben
unverändert aus der Würze im fertigen Bier. 8 Prozent werden vergoren.
Und aus diesen 8 Prozent entsteht jeweils zur Hälfte Alkohol und zur
Hälfte Kohlensäure.
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Erzählerin: In größeren Brauereien werden im Gegensatz zu
Kleinbetrieben oft Hopfenkonzentrate oder sogenannte Pellets verwendet.
O-Ton (41) Nothhaft: Was ist der Unterschied von Pellets zu Rohhopfen?
Im Grund keiner. Lediglich hier im Rohhopfen sind Deckblätter drauf. Also
wie vom Tannenzapfen die Blätter und in der Mitte ist eine holzige Spindel.
Das hat eigentlich null Brauwert. Jetzt macht man das so, dieser
Rohhopfen wird vermahlen bei minus 30 Grad, um möglichst wenig Aroma
zu verlieren, (…) und die werden dann verpackt in Alu-Verpackungen, wie
Sie es vom Kaffee kennen. Und dadurch bleibt das Aroma und die Qualität
des Hopfens über längere Zeit erhalten.
Atmo Brauerei Wülfing, erst hoch, dann unter Text
Erzählerin: Nicht nur durch die Craftbier-Welle ist in die deutsche
Bierbrauer- und Konsumentenszene Bewegung gekommen. Die
Absatzzahlen der Branche sinken von Jahr zu Jahr, wenn auch nicht
dramatisch. Trotzdem hat sich einiges verändert.
Erzählerin: Die Tendenz geht zu alkoholfreien Bieren und
Biermischgetränken. Und sie geht auch dahin weniger zu trinken, aber
dafür besser. Das Hauptargument, das von Mikrobrauereien immer wieder
vorgebracht wird, geht in diese Richtung. Denn ihrer Meinung nach lautet
der Grundsatz der großen marktführenden Brauereien: Reinheitsgebot ist
gleichbedeutend mit einem Geschmackseinheitsgebot. Doch stimmt das
wirklich? Dass von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen die Biere alle
mehr oder weniger gleich schmecken, oder auf höchstens drei oder vier
Stile gebürstet sind, beispielsweise herb, malzig-süß oder bitter?
O-Ton (43) Eichele: Ich muss immer ein bisschen schmunzeln, wenn
dann von den deutschen Giganten und den deutschen Bierriesen die
Rede ist. Der deutsche Biermarkt besteht zum Großteil aus
Familienunternehmen – sehr erfolgreiche Familienunternehmen, große
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Familienunternehmen. Aber es sind bis heute Familienunternehmen
geblieben (…) Und wenn Sie sich mal den globalen Biermarkt ansehen,
der beherrscht wird von einigen wenigen global agierenden Konzernen,
dann kommt Deutschland mit der ersten Brauerei auf Platz 22. Soviel zum
Thema Giganten.
Erzählerin: Für Holger Eichele ist ein Biergeschmacksmonopol allein
schon deshalb nicht vorstellbar, weil Bierstile sich immer wieder neu
erfinden lassen:
O-Ton (44) Eichele: Wir haben in Deutschland eine einmalige Biervielfalt
mit 5500 Marken. Jede Woche kommt ein neues Bier auf den Markt. Wir
haben 1388 Brauereien. Die Zahl ist stark steigend. Metzgereien,
Schlachtereien, Bäckereien, diese kleinen Betriebe, die machen
reihenweise zu in Deutschland, aber es werden immer mehr Brauereien
gegründet. Und die Biervielfalt in Deutschland, die ist beachtlich (…) Aus
den vier Rohstoffen Wasser, Malz, Hopfen und Hefe können sie eine fast
unbegrenzte Menge Biere brauen, wenn sie sehen, dass sie 20
verschiedene Hopfensorten haben. Sie haben 40 Malze. Sie haben über
200 Hefestämme.
Erzählerin: Und noch etwas kommt hinzu, was Bier auf lange Sicht nicht
zu einem Auslaufmodell werden lassen wird. Denn während vor einiger
Jahrzehnten Werbeslogans noch vollkommen auf männliche
Konsumenten abgestimmt waren….
Musik
Zitator: Becks-Bier löscht Männerdurst! Männer wie wir: Wicküler Bier!
Erzählerin: ….sind es heute auch Frauen, die Pils-, Weizen- und Bockbier
trinken. Dabei hält sich hartnäckig das Gerücht, die weibliche
Käuferschicht würde aromatisierte Biere, beispielsweise mit Kirsch- oder
Pfirsichgeschmack bevorzugen. Helga Metzel, zuständig für die
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Unternehmenskommunikation bei der Kulmbacher Brauereigruppe, sieht
das differenzierter.
O-Ton (45) Metzel: Welche Biere trinken Frauen gern? Das kann man
auch nicht pauschal beantworten, dass Frauen nur das eine trinken
würden. Sicherlich ist es nicht nur überliefert, in der Tat wohl so, dass
Frauen eher mildere Biere gerne trinken, eher eben auch vielleicht mal ein
Natur-Radler, weil die Fruchtigkeit da eher durchkommt. Aber es gibt
genauso Frauen, die sehr, sehr gerne ein herbes Pils zu sich nehmen,
trinken, genießen können (…) Grundsätzlich ja, mildere Biere sind eher
was für Frauen.
Erzählerin: Helga Metzel hat sich vor einigen Jahren an der
Braumeisterschule im oberbayerischen Gräfelfing zur Bier-Sommelière
ausbilden lassen. Was es lange Zeit nur für den Wein gab – ein speziell
geschulter Sachverständiger, der den Gästen in einem Restaurant den
richtigen und passenden Tropfen zum Essen empfiehlt – gibt es nun im
Zug der Spezialisierung auch auf dem Biermarkt.
O-Ton (46) Metzel: Der Bier-Sommelier, der dient dazu, das Bier in
Deutschland dort noch salonfähiger zu machen, wo es vielleicht noch nicht
der Fall ist, sprich Themen zu irgendwelchen Geschmacklichkeiten
aufzufinden, die Liebe zum Detail zu entwickeln bei Menschen, die sie
vielleicht beim Bier noch nicht gefunden haben. Mehr Aufklärung geben zu
können über Geschmack, über Farbe, über den Geruch des Bieres, über
die Vielfalt der Biere, der Bier-Spezialitäten. Vielleicht auch gerade auch
der fränkischen Bier-Spezialitäten. Dafür dient der Bier-Sommelier.
Erzählerin: Bei der Ausbildung zum Bier-Sommelier lernen die
Kandidaten in erster Linie, ihren Geruchs- und Geschmackssinn zu
schulen. Das geschieht über das Probieren. Und das bedeutet nicht, dass
man von allen Bieren, die man beurteilen will, gleich mehrere Gläser
trinken muss. Nase und Gaumen werden für Fehlgerüche sensibilisiert,
man lernt, bestimmte Geruchstypen zu erkennen und genau zu
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beschreiben. Die Geschmacksfähigkeit wird herausgebildet, weiß Helga
Metzel:
O-Ton (47) Metzel: Es gibt Menschen, die haben das zunächst gar nicht,
das können sie aber trainieren. Genauso den Geruchssinn. Es hat ja
immer sehr viel mit Sinneserleben zu tun. Wenn es nicht antrainiert wird
oder auch nicht beigebracht wird (…) dann kann er das später aber
durchaus noch nachlernen, nachüben. Und der, der es hat, kann es
trainieren und weiter ausbauen und noch feiner sich da entwickeln.
Atmo Wirtshaus, erst hoch, dann unter Text
Erzählerin: Sehr schnell, so Helga Metzel, können Biersommeliers in der
Gastronomie feststellen, ob ein Bier gut oder schlecht gepflegt ist. Und
dadurch dem Wirt Tipps geben, wie er sein Produkt besser an die Gäste
bringt.
Atmo Wirtshaus, erst hoch, dann unter Text
O-Ton (48) Metzel: Worauf ist zu achten, damit die Kohlensäure stimmt,
damit das Bier gepflegt, gut schmeckend, wohl schmeckend beim
Bierliebhaber dann auch ankommt. Das richtige Bier zum richtigen Glas.
Dann aber auch (…) die Biertypen kennenzulernen, über die Biertypen
sprechen zu können. Also ganz einfach mehr Aufklärung bieten zu können
dem entweder Bierliebhaber, der es schon ist, oder dem gegenüber, der
es noch werden kann und soll.
Zitator: Er trank Bier – sieben Becher. Sein Geist entspannte sich, er
wurde ausgelassen. Sein Herz war froh und sein Gesicht strahlte. –
Erzählerin: Aus dem Gilgamesch-Epos, entstanden im zweiten
Jahrtausend vor Christus in Babylonien. Auch die deutschen Brauer
dürften eigentlich frohe Herzen und strahlende Gesichter haben. Sie
machten 2015 einen Umsatz von 7,8 Milliarden Euro, in der Branche sind
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annähernd 27.000 Menschen beschäftigt. Siebzig Prozent des
produzierten Bieres wird in Flaschen abgefüllt, der Rest in Dosen und
Fässern. Von den beinahe 1400 Betrieben, die im Deutschen Brauerbund
organisiert sind, hat fast die Hälfte ihren Sitz in Franken.
O-Ton (49) Eßer: Das ist historisch bedingt (…) die Böden hier im
Frankenland sind karge Böden.
Erzählerin: Andreas Eßer, Marketingchef der Kulmbacher Brauereigruppe
in Oberfranken.
O-Ton (50) Eßer: Das ist gut für den Anbau von Braugerste, weil man
braucht, um Braumalz herzustellen, eiweißarmes Getreide, karge Böden.
Wir haben ein etwas raueres Klima. Das heißt, es braucht auch etwas
länger, um auszureifen. Und vom raueren Klima kommt man zu einem
zweiten Punkt. Man braucht ja auch viel Kälte hinterher, um Bier reifen zu
lassen. (…) Wir haben hier auch heute noch hervorragende
Wasserqualitäten, die wir selber fördern können. Wir können heute unser
Brauwasser noch ohne jegliche Aufbereitung (…) zum Bierbrauen
verwenden.
Erzählerin: Andreas Eßer sieht die „Crafter“ als Kollegen, die die Absätze
des deutschen Brauereigewerbes auf Dauer nicht gefährden können.
O-Ton (51) Eßer: Wenn sich die Leute darüber unterhalten, hören wir
immer wieder: Ja, so Craft Biere bringen wir mal einem guten Freund zum
runden Geburtstag ein, zwei Fläschchen mit, weil in der Runde kann man
es dann mal probieren und sich darüber unterhalten. Aber dass es wirklich
so zum Bier wird, was man jeden Abend zur Brotzeit genießt, hören wir
sehr selten.
Musik
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Erzählerin: Am Rand der Stadt Kulmbach befindet sich das bayerische
Brauereimuseum. Hier kann man sehen, wie Bier seit dem Mittelalter
gebraut wurde, erfährt Wissenswertes über den Gerstensaft und seine
Herstellung. Und sogar über seine spirituelle Bedeutung. Denn der
nachweislich älteste Braukessel auf deutschem Boden wurde in Franken
gefunden. Er stammt von den Kelten, die ähnlich wie die Sumerer einen
Biergott hatten, und ist nachweislich mindestens 3000 Jahr alt. Darüber
hinaus lässt sich hier erfahren, dass Bierbrauen vor allem im Mittelalter
sehr häufig zuhause stattfand. Gebraut wurde für den Eigenbedarf und
nicht für den Verkauf. Heute ist es das Verdienst der kleinen
unabhängigen Crafter, so Andreas Eßer, dass sie mittlerweile für die
etablierten Brauereien die Rolle eines Hechts im Karpfenteich haben. Sie
halten den Fachbereich Bierbrauen auf Trab.
O-Ton (52) Eßer: Craft Beer ist gut, weil es in Deutschland alle dazu
angeregt hat, dem Kulturgut Bier mehr Nimbus mitzugeben. Das ist ein
bisschen verloren gegangen. Es war eher so ein Massenprodukt.
Erzählerin: Bei der Blindverkostung von Heike, Sven, Michael und Anette
liegen die Tester in fünf von sieben Fällen mit ihren Vermutungen richtig.
Wie hier beim Probieren eines sogenannten „Landbiers“ aus einer Eifler
Großbrauerei:
O-Ton (53) Heike: Ich finde, das riecht total nach Hopfen….
O-Ton (54) Michael: Es riecht aber nach mehr als (…) was es schmeckt.
O-Ton (55) Heike: Jetzt hab ich erwartet, es kommt eine stark hopfige
Note (…) schmeckt nach mehr als das erste Bier, aber dass es so intensiv
riecht (..:) Bisschen was Spezielles hat es, aber ich bin total enttäuscht,
weil der Geruch sich im Geschmack nicht spiegelt (…)
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O-Ton (56) Sven: Da ist der Hopfeneimer ausgerutscht!
O-Ton (57) Michael: Für mich auch eigentlich kein Craftbier (…) dafür
fehlt da einfach so eine spezielle Note.
O-Ton (58) Heike: Ich hatte bei dem Geruch gedacht, doch, das hat was
Spezielles, aber durch diese Enttäuschung beim Geschmack habe ich mir
gedacht, das ist mir doch zu sehr Massengeschmack.
Erzählerin: Einer der ersten, der in Deutschland das „Craften“ praktizierte,
ist der Berliner Oliver Lemke, Jahrgang 1968. Mitte der 1990er Jahre
gründete der gelernte Brauereiingenieur seine Firma in den Bögen des S-
Bahnhofs am Hackeschen Markt, nachdem er in vielen Ländern in
Brauereien gearbeitet hatte. Er machte fast Pleite. Die Zeit war noch nicht
reif für seine Konzepte bestehend aus Biersorten, die in Deutschland
entweder längst vergessen oder überhaupt nicht bekannt waren. Mit der
Zeit setzt er sich jedoch auf dem Markt durch, unter anderem auch
deshalb, weil Oliver Lemke nicht auf Konfrontationskurs zu den
Großbrauereien ging. Craftbier ist für ihn lediglich eine Farbe auf der
großen Palette des Bierbrauens, wie er bei einer Führung durch seinen
Betrieb erzählt.
O-Ton (59) Lemke: Zum einen ist es, glaube ich, kein guter Stil sich
selber da zu profilieren, indem man andere schlecht redet und zum
anderen ist es ja auch nicht schlecht, was sie machen, de facto (…) Das
ist halt echt ein Problem. So ein neu entstandenes Marktsegment, wo
unheimlich viele Leute wildern und sich berufen fühlen, da irgendwie ihre
Meinung kundzutun, die aber von dem Thema eigentlich keine Ahnung
haben und sich bestenfalls irgendwie mal ein halbes Jahr oder ein Jahr
damit auseinandergesetzt haben (…) aber es ersetzt natürlich nicht
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andere Leute, die irgendwie jahrelang diesen Beruf gelernt, studiert
haben.
Atmo Brauerei Lemke
Erzählerin: Oliver Lemke braut heute im Jahr 3000 Hektoliter, seine Biere
werden nicht nur im Restaurant unter den S-Bögen am Hackeschen Markt
verkauft, sondern im gesamten Berliner Raum. Die Diskussion zum
Thema Pro und Contra Reinheitsgebot hält er für überflüssig.
O-Ton (60) Lemke: Es geht um Bier, und es geht um Geschmack. Und
wenn ich mich darüber profilieren möchte, dass ich als Revoluzzer
irgendwo auftrete und sage, ey, 500 Jahre! Nach mir wird alles anders!
Dann ist das ein möglicher Weg – aus meiner Warte sehr zweifelhaft (…)
Also jeder kann sich sein Urteil selber bilden, ob er lieber ein
Großindustriebier trinkt oder eines von den Kleinen.
Atmo Brauerei Lemke
Erzählerin: Was Craftbiere vor allem auszeichnet, so Oliver Lemke, ist
das Experimentieren mit alten Rezepturen. Dabei geht es sehr häufig um
die Frage, ob die Geschmacksmöglichkeiten der einzelnen Stoffe voll
ausgeschöpft sind, oder ob man mit ihnen nicht noch viel mehr machen
kann. Das gilt zum Beispiel für den Hopfen, der jahrzehntelang nur dafür
verwendet wurde, die Süße aus dem Bier zu nehmen und den Zucker zu
neutralisieren. Das habe diese Zutat nicht verdient, meint Oliver Lemke.
O-Ton (61) Lemke: Ich habe selber in Großbrauereien gearbeitet, und
mein damaliger Chef sagte, wir geben kein Hopfen, wir geben Bittersäure.
Also das heißt, das, was der Hopfen nämlich auch kann, eine wunderbare
Aromavielfalt liefern, ist (…) in vielen Großbrauereien im Laufe der Jahre
so ein bisschen vergessen worden. Und im Rahmen dieser Craft-
Bewegung hat man den Hopfen eben für das auch entdeckt, was er eben
auch kann, und das ist wunderschöne Aromen ins Bier zaubern (…) 100,
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150 verschiedene Hopfensorten, mit denen wir arbeiten können, und jede
hat ein anderes Aroma.
Atmo Brauerei Lemke
Erzählerin: Trotz des Reinheitsgebots, das in Deutschland die Produktion
von Bier regelt, besteht für Oliver Lemke Nachbesserungsbedarf.
O-Ton (62) Lemke: Auf so ein Bier gehört nicht ein MHD – das
Mindesthaltbarkeitsdatum –, sondern auf so ein Bier gehört eigentlich ein
Burn on Date. Also, wann ist es abgefüllt worden. Weil, wenn jetzt
draufsteht, das ist haltbar bis keine Ahnung, Ende Dezember 2016, dann
weiß der Konsument gar nicht, wann das abgefüllt wurde. Ob es dann ein
halbes Jahr ist, oder ein Jahr oder was auch immer (…) Gerade bei
hopfenbetonten Bieren ist es super-, superwichtig, damit die toll
schmecken, dass sie ganz frisch sind.
Erzählerin: Berlin gilt mittlerweile als Mekka der Craftbier-Brauer. Vor
allem in den Stadtteilen Kreuzberg, Neukölln und Mitte sind die etablierten
Marken wie Schultheiß oder Berliner Kindl auf dem Rückzug. Immer mehr
neue Sorten entstehen, die meist nur ein ganz geringes Marktsegment
bedienen und auch oft in nur einer Kneipe erhältlich sind.
Atmo Kneipe Pfefferbräu
Erzählerin: Für viele junge Berliner ist Bierbrauen eine kreative Bastelei,
mit der sich auch noch Geld verdienen lässt. Einer von ihnen ist Thorsten
Schoppe, der im Bezirk Prenzlauer Berg das „Pfefferbräu“ betreibt. Sieht
er sich als Craftbier-Brauer?
O-Ton (63) Schoppe: Wenn wir jetzt mal ausklammern, dass keiner so
ganz genau sagen kann, was Craftbeer eigentlich ist, dann bin ich das
vermutlich. Also ich habe inzwischen meinen Frieden eigentlich mit
diesem Wort gemacht, wobei ich eigentlich so Kreativbier vielleicht
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eigentlich noch besser finde als Begriff, aber man will sich auch nicht mit
jedem Menschen, der das Wort Craftbeer in den Mund nimmt, streiten.
Also vermutlich bin ich Craftbeer-Brauer, ja.
Erzählerin: „Pfefferbräu“ – das ist ein Wirtshaus mit Restaurant, in dem
die Gäste fast neben den Sudkesseln sitzen. Sein Standort ist der
sogenannte Pfefferberg, ein Terrain, das wenige Höhenmeter über dem
Straßenniveau liegt. Dort siedelten sich schon ab 1841 mehrere
Brauereien an, unter ihnen die des Bayern Joseph Pfeffer. Übriggeblieben
ist heute der Betrieb von Thorsten Schoppe. Er erzählt, wie er zum
Bierbrauen kam.
O-Ton (64) Schoppe: Im Prinzip durch Zufall. Also ich habe leider keinen
Elternteil gehabt, der mir eine Brauerei vererbt hat, und ich bin tatsächlich
beim Arbeitsamt auf den Beruf des Bierbrauers gestoßen, nachdem ich
eigentlich Lehrer werden wollte und da ein bisschen geguckt habe, was
Lehrer so machen. Hat mir alles nicht gefallen, bin ich per Zufall auf
Diplom-Braumeister gestoßen und habe gedacht, ist ja toll, dass es einen
Beruf gibt, der das macht, was ich damals schon gerne getrunken habe,
und dann bin ich da so reingerutscht.
Erzählerin: Bei den über 5000 Biermarken, die in Deutschland produziert
werden, ist es schwer, sich aus der Masse herauszuheben. Das
bekommen auch die Marktführer zu spüren und setzen deshalb auf immer
spektakulärere Marketingstrategien.
O-Ton (65) Schoppe: Wenn du ein relativ uniformes Produkt hast, dann
musst du irgendwie versuchen, dich aus der Masse herauszuheben, und
das gelingt dir eventuell über Werbung oder über interessante
Sponsoringansätze, Regenwälder oder Ähnliches retten. (…) Wenn du
kein normales Wasser hast, dann hast du vielleicht Felsquellwasser oder
wenn du keinen normalen Hopfen hast, hast du halt Siegelhopfen oder
keine normale Gerste, sondern mährische Braugerste (…) Der Craft-
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Brauer versucht sicherlich eine Differenzierung mehr über den Geschmack
und über das eigentliche Produkt zu machen als über das Drumherum.
Erzählerin: Doch auch das Milieu der Craftbier-Trinker stellt mittlerweile
Ansprüche. Die Szene ist zu einem Markt geworden, der nach denselben
Gesetzen funktioniert, wie jeder andere auch.
O-Ton (66) Schoppe: Du musst auch wirklich immer in Bewegung
bleiben. Also es reicht jetzt auch nicht irgendwie zu sagen, ich bin jetzt
Craftbeer-Brauer und ich hau jetzt mal Pale Ale auf den Markt, und dann
ist deine Rente gesichert. So funktioniert das nicht. Die Konsumenten, die
erwarten auch immer wieder neue Sachen von dir. Das heißt, wenn du
irgendwie nicht wenigstens mal alle drei Monate ein neues Bier auf den
Markt bringst, dann sagen sie (…) der hat keinen Bock mehr.
Erzählerin: Unter diesen Umständen, so Thorsten Schoppe, ist es
manchmal schwer, den Anspruch des Purismus in Bezug auf das
Bierbrauen aufrecht zu erhalten. Die Crafter sind ausgewiesene
Individualisten und Künstler, experimentierfreudig, unkonventionell und
manchmal etwas schräg.
O-Ton (67) Schoppe: Auf der einen Seite hat das sicherlich ein Stück weit
was mit meiner Persönlichkeit zu tun. Also, das ist vielleicht irgendwie
sowas, was sich Craftbeer-Brauer irgendwie auf die Fahne schreiben, das
heißt, ich bin derjenige, der entscheidet, was gebraut wird. Ich stehe hinter
dem Produkt. Das wird vermutlich ein Doktor Soundso nicht behaupten
können, dass der selber am Kessel steht. Das macht wahrscheinlich so
die Craftbeer-Brauer oder auch mich irgendwie einigermaßen greifbar und
vielleicht auch sympathisch. Im Prinzip ist das eine relativ persönliche
Geschichte letztendlich.
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Erzählerin: Allein die Namen, die Thorsten Schoppe seinen Bieren gibt,
würden mit Sicherheit nicht bei Radeberger oder Bitburger auftauchen:
„Holy Shit Ale“, „Katerfrühstück“, „Black Flagg“ oder „Hoppy Schoppy Pils“.
O-Ton (68) Schoppe: Wir haben ja doch einen Großteil von Bieren, die
alle relativ uniform sind, die sich alle irgendwie Pilsener nennen, fünf
Prozent haben, relativ hell sind, untergärig und ein bisschen Hopfen drin
haben. Das ist so das Fernsehbier. Und das hat halt in den letzten Jahren
doch ein relatives großes Spektrum abgegriffen, und alles was anders ist,
dass ist Gott sei Dank momentan modern (…) sagen wir mal,
amerikanisch oder angelsächsisch inspirierte Sachen, Ales, IPAs, Pale
Ales, Stouts, Porter etc.
Erzählerin: Wie sieht das traditionelle Brauereigewerbe den Craftbier-
Trend? Ist er eine ernstzunehmende Konkurrenz, bestehend aus
Bierrevoluzzern und Aroma-Rebellen, die auf lange Sicht den Markt
aufrollen werden? Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen
Brauerbundes, sieht die Entwicklung gelassen:
O-Ton (69) Eichele: Der Trend zu Craft-Bieren ist eine absolute
Bereicherung, weil wir endlich in Deutschland wieder reden über die
Rohstoffe, über die Vielfalt, über die Braukunst und das Brauhandwerk
und nicht nur über den günstigsten Preis im Supermarkt. Wir freuen uns
über den Craft-Trend, wir freuen uns über diese Renaissance des Bieres
und des Brauens, und wir unterstützen auch die Craft-Kollegen nach
Kräften im Verband (…) Craft hat viele, viele, viele Gesichter in
Deutschland, das ist das Spannende an dieser Bewegung.
Atmo Bierfest Kulmbach
Erzählerin: Dass der kreative Schub, ausgehend von der Craftbier-
Bewegung auch Auswirkungen auf die Überlegungen großer Brauereien
hat, lässt sich besonders deutlich am Beispiel der Brauereigruppe im
oberfränkischen Kulmbach sehen. Auf den Vorwurf, dass die großen
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Brauereien nur Biere für den Massengeschmack produzieren, sagt
Andreas Eßer, Marketingchef der Kulmbacher Brauereigruppe:
O-Ton (70) Eßer: Wir haben uns im vergangenen Jahr entschieden, dass
wir uns noch stärker in Zukunft verloren gegangenen Rezepturen widmen
wollen. Ist ja auch paradox. Es gab ja vor 100, 200 Jahren Biere bei uns in
Deutschland, die man heute nicht mehr kennt. So Joppen-Bier oder was
es so alles gibt (…) Wir haben uns dann entschlossen, einerseits alte
Rezepturen wieder zu beleben, andererseits aber auch kleinere
Gebindeformen anzubieten. Und das erste Produkt, was so entstanden ist,
unser historisches Märzen.
Erzählerin: Märzen-Bier wurde früher in der kalten Jahreszeit eingebraut.
Daher auch der Name. Märzen zeichnet sich aus durch eine etwas höhere
Stammwürze. Es werden ausschließlich Aromahopfen und weiche
Malzsorten verwendet. Das gibt dem Bier einen süßlich-süffigen
Geschmack. Und gießt man es in ein Glas, sieht es aus wie ein reifes
Gerstenfeld im Sommer.
O-Ton (71) Eßer: Wir sitzen regelmäßig beieinander (…) in einem ganz
kleinen Kreis und sagen, na, was könnte denn vielleicht noch mal gut
sein? Oder was haben wir noch nicht ausprobiert? Und in aller Regel ist es
so, dass wir dann drei, vier verschiedene Ausprägungen dieser Idee
umsetzen, in kleinen Suden. (…) Und damit tasten wir uns ran. Und wenn
wir glauben, wir haben es so getroffen, dass es den Menschen auch
schmeckt, dann laden wir einfach tausend, zweitausend Menschen ein.
Nicht an einem Tag. Wir nehmen uns auch Zeit dazu, erzählen ihnen, was
uns durch den Kopf gegangen ist und dann macht man eine Brotzeit, dann
probiert man das. Und wenn alles vorbei ist, werten wir es halt mal aus so
nach dem alten Motto ‚Der Wurm muss eigentlich dem Fisch schmecken
und nicht dem Angler’.
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Erzählerin: Die Großen der Branche haben natürlich ganz andere
Möglichkeiten des Marketings und der Werbung als die Kleinen. Die
Kulmbacher Brauereigruppe beispielsweise hat ein PR-Instrument, das
vor allem in den Frühlings- und Sommermonaten zum Einsatz kommt. Es
besteht aus einem Planwagen, der ungefähr so groß ist wie ein fahrbarer
Verkaufsstand auf einem Wochenmarkt. Hier wird öffentlich gebraut, der
Betrachter kann den Vorgang von der Maische bis zur Hopfen- und
Hefegabe verfolgen.
O-Ton (72) Nothhaft: Sie sehen hier ein komplettes Sudhaus.
Erzählerin: Hermann Nothhaft, Braumeister in Kulmbach.
O-Ton (73) Nothhaft: Meistens halt ist immer Bier mit Alkoholexzessen
verbunden, ja, das für das Getränk schon ein negatives Image gebracht
hat. Und durch solche Sachen sieht er erst mal, mit welcher Sorgfalt die
Brauereien das ganze Bier herstellen. Und dann auch mal die Rohstoffe,
die Leute haben hier was zum Greifen, ja? Wir können hier aufmachen
und die können mal in so ein Korn reinbeißen und merken, ah hoppla, das
schmeckt ja süß. (…) Sie haben eine Brauerei zum Anfassen.
Erzählerin: Die mobile Brauerei ist nicht nur ein Marketing-Einfall, der
dann zum Einsatz kommt, wenn die Geschäftsleitung der Kulmbacher
Brauerei ihr Bier außerhalb von Oberfranken vorstellen und verkaufen will.
Sie wirbt auch Bier als Lebensmittel, für das Brauen als Handwerk.
Darüber hinaus verfügen die Kulmbacher über eine eigene Hefezucht.
Genauer gesagt über eine Hefebank, die die entsprechenden Zellen
aufbewahrt und züchtet.
O-Ton (74) Nothhaft: Damit immer der gleiche Biercharakter entsteht, hat
man irgendwann mal diese Zelle praktisch in ein Muttergefäß abgefüllt,
dann wird immer was rausgenommen, wird vermehrt, an die Brauerei
geschickt und wir haben immer die gleiche Hefe mit dem gleichen
Charakter in einer Art Stammsammlung. Und das ist an der TU München
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in Weihenstephan (…) Dort wird diese Hefe aufbewahrt, immer wieder ein
Teil genommen, vermehrt, verschickt. Und dieser Stamm ist dann immer
vorhanden und bringt uns immer die gleiche Qualität. Das ist ja ganz
wichtig, dass das Bier immer den gleichen Charakter hat.
Erzählerin: Gerade das ist einer der Kritikpunkte der Crafter. Nach ihrem
Selbstverständnis sollte man dem Bier gerade anmerken, dass es im
Geschmack von Brauvorgang zu Brauvorgang durchaus variieren kann.
Die Melodie des Bieres sollte zwar immer wiedererkennbar sein, sein Text
darf jedoch abweichen. Glaubt man Heike und Michael, zwei Probanden
der Blindverkostung, dann scheint es tatsächlich so zu sein, dass
Craftbiere – in diesem Fall das neue Bier von Fritz Wülfing –
geschmacklich ausgeprägter daherkommen:
O-Ton (75) Michael: Angenehm malzig, ein sehr angenehm malziger
Geruch, logisch, hier kann ja nur ein höherer Malzgehalt drin sein –
O-Ton (76) Heike: Oh, das ist aber süß! (…) Mir schmeckt‘s gut, ich war
erst überrascht über die Süße, passt mit dem Malzige aber total gut, ist
super temperiert – mein Favorit
O-Ton (77) Michael: Das heißt, für dich auch ein Craftbier?
O-Ton (78) Heike: Das könnt ich mir hier gut vorstellen, weil das Malzige
in der Kombination mit der Süße einfach was Spezielles hat. (…) Bei der
Frage, ist das Craftbier, würde ich sagen, doch!
Zitator: Bier ist der überzeugendste Beweis dafür, dass Gott den
Menschen liebt und ihn glücklich sehen will.
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Erzählerin: Sagte Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der
Vereinigten Staaten von Amerika. Was das Bier angeht, scheint es der
Große Geist mit den Deutschen besonders gut gemeint zu haben, so sieht
es jedenfalls Holger Eichele vom Brauerbund.
O-Ton (79) Eichele: Ich bin einmal im Monat in Brüssel bei meinem
europäischen Verband Brewers of Europe, und ich kann nicht bestreiten,
dass es gewisse neidvolle Blicke gibt auf das Reinheitsgebot und auf den
deutschen Biermarkt. Wir sind der größte Bierproduzent in Europa(…)
natürlich stellen Kollegen aus den Nachbarländern diese Spitzenstellung
in Frage. Das überlasse ich ihnen, aber diesen Neid mussten sich die
deutschen Brauer auch erst mal über Jahrhunderte erarbeiten.
Atmo Brauerei Wülfing (Flaschenklirren, Abfüllgeräusche)
Erzählerin: Nach sechs Wochen ist es in der Bonner Mikrobrauerei von
Fritz Wülfing soweit: das Bier wird auf Flaschen gezogen.
O-Ton (80) Wülfing: Sonst gibt es natürlich noch unser Dosenprojekt. Wir
füllen auch in Dosen, weil ich denke, dass die Dose, die beste Verpackung
für Bier ist. Das Image der Dose ist am Boden, hat aber andere Gründe.
Das hat nichts mit der Qualität zu tun. Es hat mit der Qualität schon was
zu tun, weil gerne sehr minderwertige Biere in Dosen gefüllt werden und
die dann billig verkauft werden. Das wird der Dose aber eigentlich nicht
gerecht, weil die Dose das Bier sehr gut schützt.
Erzählerin: In Flasche und Dose muss das Bier mit dem Namen Alemania
noch etwas nachreifen und kann dann getrunken werden. Zur
Geschmacksprobe lädt Fritz Wülfing immer einige Freunde in seine
Brauerei ein.
Erzählerin: Was seine Zukunft als Craftbier-Brauer angeht, ist Fritz
Wülfing zuversichtlich:
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O-Ton (81) Wülfing: Ich denke mal in diesem Jahr werden wir das nach
oben hin durchstoßen. Also der Markt verlangt nach viel mehr, da wäre
viel mehr drin (…) Eigentlich müssen wir nur aus dem Quark kommen, den
Rest macht der Markt momentan, weil es halt so wächst. Also nicht, dass
wir da alle Millionäre mit werden, aber ich sehe jetzt echt die Chance, dass
ich meinen Schreibtisch an den Nagel hängen kann und kann dann in ein
paar Jahren die Familie mit der Brauerei ernähren.
Atmo und O-Töne Kölner Brauhaus
Erzählerin: Bier ist das liebste Kind der Deutschen. Kaum ein
Nahrungsmittel ist über die Jahrhunderte so verfeinert, variiert und
verbessert worden. Das deutsche Reinheitsgebot – im Jahr 2016 feiert es
seinen 500. Geburtstag – ist dabei immer eine wichtige Richtschnur
gewesen. Die Opposition der Craftbierbrauer ist dabei nicht destruktiv: Sie
hat alte Bierstile wieder belebt, Rezepturen aus dem Ausland in
Deutschland hoffähig gemacht. Von dieser Szene ist noch viel zu
erwarten, denn sie steht erst am Anfang ihrer Entwicklung.
O-Ton (82) Michael: Prost und vielen Dank für die Einladung!
Atmo und O-Töne Kölner Brauhaus
Absage: Craft Beer – Die Braurebellion und ihre Macher Von Michael Reitz
Es sprachen: Jochen Langner, Bernd Reheuser und Sigrid
Burkholder
Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Caroline Thon
Regie: Uta Reitz
Redaktion: Klaus Pilger
Produktion: Deutschlandfunk 2016